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Der Schnauzl

Nahe dem »Spridrigwäldchen«, in der »Buit'n«, ist eine kleine Froschlacke; wer den Mund recht vollnehmen will, mag sie, wie es der Besitzer tut, auch »Waldsee« nennen.

Dort an der Froschlacke hinter dem dichten Erlenbusch hat ein Karrner vorgestern abend sein Hündchen geschlachtet. Heute noch ist das ganze Dorf gegen den rohschlächtigen Karrner auf. Aber wer hat denn nur auch das Lügengesätzlein erfunden: »Jedes Haserl findet sein Graserl«?

Ein Jemand hat so den armen Mann mit der Stube voll Kinder getröstet. Und der drauf mit einem tiefen Seufzer: »Ach ja, wär' alles recht! Aber meine Kinder, Gott sei's geklagt, die essen kein Gras!«

Im »Spridrig« draußen, wo der Karrnerwagen steht, denkt euch, da hätte es nicht einmal ein Mäulchen voll Gras gegeben, so glattgerupft waren Acker und Wiese. Die Karrnerkinder hätten es vielleicht gegessen, denn die waren wie hungrige Wölfe. Unter der schmierigen Plache des Wagens stecken sie zu fünft die zausigen Köpfe hervor und schreien wie die hungrigen Raben: »Vater, oh, Muetter, oh! Kochen ... sied'n und brat'n ... ess'n ...«

Das Kleinste, so ein weißblondes Schimmelchen, das war der ärgste Schreihals. Schrie so arg, daß selbst der Schnauzl, der drei Schritte vor dem Karren liegt und scharfe Wacht hält, nur so verwundert aufschaut. Ihm knurrt ja auch sein Hundemagen. Wenn da jedes gleich so schreien wollte!

Die Mutter kauert vor dem Karren auf dem Boden; sie hat die hochgezogenen Knie mit den Armen umspannt und späht wie ein Raubvogel die Gegend nach Nahrung ab; um und um nichts; keinen Erdapfel in der Furche, kein einziges Maiskölbchen haben die Bauern bei der Fechsung vergessen. Denn es ist ein hungriges Jahr, und die geizigen Bauern muß man nur kennen.

Der Vater scheucht die zausigen Schreihälse mit dem Stock in den Wagenfond zurück. »Und du, kleiner Schimmel ... kein' Muckser mehr!«

Drücken sich die Kinder auf ein Weilchen ins Stroh und kichern untereinander: »Der Vater, ha! Der hat ein' guten Schnellsieder! Mit dem ist gleich 'kocht!«

Der Vater tut nur so grob. Gäb' ihnen auch lieber zu essen.

»Aber wenn nichts da ist – da sied' oder brat'!«

Er späht scharf feldeinwärts nach seinem ältesten Buben aus, den er auf Bettel und Dieberei ausgeschickt hat. Jeden Augenblick muß er kommen; und der kommt gewiß mit vollen Taschen. Denn für den Lixilex gibt es nicht Schloß noch Riegel; der schlüpft durch jedes Kellerloch. Der Lixilex ist ein junger Meisterdieb.

Es währt kein Vaterunser lang, da wagen sich die zausigen Köpfe wieder unter der Plache hervor; zuerst zaghaft, das weißblonde Schimmelköpfchen; dann die anderen der Reihe nach ... eins ... zwei ... drei ... vier ...

»Vater, oh, Muetter, oh, wenn kocht's denn amal ...«

Der Vater greift wieder nach seinem »Schnellsieder«; im Nu verschwinden die Köpfe. Die Mutter späht wie ein Raubvogel nach Nahrung aus. Um und um nichts.

»Da sied' oder brat'!«

Feldwärts kommt der Lixilex. Der kommt wie gerufen.

»Der Lixilex! Kinder! Der bringt Zehrung ... Der bringt alle Tasch'n voll!« schreit die Mutter.

Da geht es im Karren kunterbunt durcheinander; ein Geschrei und ein Kreischen wie von jungen Raben.

Der Vater mustert den näherkommenden Lex mit scharfen Augen. Läßt seine prüfenden Blicke an dem dürren Jungen auf- und niederschweifen; dann fängt er an die Stirn zu runzeln; denn nirgendwo erspäht er an den Taschen des Lixilex eine Ausbuchtung, die auf Beute schließen ließe. Dafür hat der Karrner einen guten Blick. Der Junge hat es nicht eilig mit dem Näherkommen; mögen die Kinder noch so schreien und die Hälse aus dem Karren strecken.

»Lixilex! Lauf! Lauf! Was hast kriegt, Erdäpfel und Brot ... und Speck?«

»An Dreck!« schreit ihnen der Junge entgegen. »Den Buckel voll Schläg' hab' i kriegt!« Und bedeutscht den Vater: »In der Kellerluke beim Kürbisbauer bin ich steckenblieben; und da haben sie mich gedroschen, der alte Kürbis und die Kürbisin! Aber schon ganz anders!« Und reibt sich den schmerzenden Rücken.

Nun drischt ihn der Vater. Die erbosten Kinder ballen unter der Plache hervor die Fäuste gegen den Lex und eifern den Vater an: »Vater! Nur fest; mit dem Schnellsieder!«

Das kleine Schimmelchen wirft gar einen alten Hafendeckel nach dem Jungen. Aber der nimmt das Leben nicht schwer. Streckt die Zunge heraus, lacht zu den Schlägen und freut sich wie ein Schneekönig, daß Schimmelchens Wurfgeschoß sein Ziel verfehlt hat: »Schleck' auf ... Schimmelkopf!«

Die Mutter späht wie ein Raubvogel die Gegend nach Nahrung ab. Um und um nichts!

»Da sied' oder brat'!«

Bleiben ihre Augen plötzlich an dem wachehaltenden Schnauzl hangen; begehrlich aufleuchtend wie Habichtsaugen. Das merkt der Karrner. Er sieht die Mutter eine Weile nur so groß an. Ganz angstvoll. Darin sagt er drohend, langsam: »Du Alte! Halt' deine Augen im Zaum!«

Seine Blicke funkeln wie ein bloßes Messer. Die Mutter hat ja nur den Schnauzl ein bißchen fixiert. Aber der Karrner kam davon ganz aus dem Häuschen. Eine richtige Angst hatte ihn gepackt: »Auf, Alte! Ins Dorf! Wir zwei ... ich und du! Und begegnen wir einem Bäck' ... ich reiß' ihm sein' Brotkorb weg ... und find' ich kein' Kellerluck'n offen ... i renn mit dem Schädel ein Loch durch die Mauer!«

»Und der Schnauzl halt' schon Wach' derweil vor dem Karren ... gelt, Schnauzl, bis wir kommen ...« Und er streichelt das Hündchen und kraut ihm das zottige Fell und tut ihm schön, wie noch nie. Es fehlte nicht viel und der harte Karrner hätte wässerige Augen bekommen.

Der Schnauzl wedelt und heftet seine klugen, schwarzen, bläulich schillernden Äuglein ganz vorwurfsvoll auf seinen Herrn, als wollte er sagen:

»Hab' ich vielleicht einmal nicht Wach' gehalten? Tät' schon bitten!«

Sie torkeln selbander dem Dorfe zu, er und sie; alles liegt still. Die feuchten Herbstnebel krochen über die Gasse. Sie tappten von Haus zu Haus, von Tür zu Tür. Niemand öffnete. Die Bauern lagen schon in den Ledern oder hinter dem Ofen. Ja, wenn es gegen den Spätherbst geht, werden die Bauern faul wie Murmeltiere. Und wo sich ein Fenster auftat und man sah das Karrnerpaar, da hieß es: »Schert euch; Diebsleuten gibt man nichts!«

Und klirr das Fenster wieder zu. Kein Bäcker mit Brot kam des Weges; keine Kellerluke war offen. Und mit dem Schädel durch die Mauer ... ist leichter gesagt als getan.

Also wieder heim, ohne Zehrung und Futter. Die Karrnerin redet kein Wort und läßt den Kopf hängen; der Karrner geht in der herbstlichen Dämmerung neben ihr her und hört ihr zu.

Schon von weitem vernahmen sie den wilden Chorus der Kinder: »Vater, oh, Muetter, oh! Sieden ... braten ... essen ...«

Je näher sie kamen, desto wilder schwoll das Geschrei. Nur der Schnauzl liegt unentwegt drei Schritte vor dem Karren und lugt scharf ausspähend ins Weite; ein guter, ein getreuer Wächter.

Als Vater und Mutter an den Karren kamen, gellt ihnen das Getobe der Kinder entgegen. Sagt die Mutter so vor sich hin:

»Wie fett der Schnauzl ist!«

Und mustert gierig das Hündchen.

Da wurde der Karrner gar wild. Schreit und tobt, daß ihm die Halsadern wie kleine Stricke schwellen: »Fett oder nit fett!«

Langt nach seinem Stock und haut seine Alte, daß sie tanzt. Dann wildauf gegen die Kinder: »Still ... auf der Stell'! Oder schlag' euch alle tot!«

Aber die Kinder sind nicht mehr still. Nur um so länger recken sie ihre Hälse aus dem Karren und schreien wie offene Rebellen: »Schlag' zu ... mit dein' Schnellsieder! Schlag uns ab! Ersparst das Ess'n!«

Läßt der Karrner den Stock langsam sinken; setzt sich neben dem Karren auf den Boden; beginnt zwischen den Zähnen zu pfeifen.

Die Mutter weiß nichts Gescheites anzufangen; zählt mechanisch die zausigen Köpfe: »Eins, zwei, drei, vier ... eins, zwei, drei, vier ...«

Und wo ist der fünfte? Der kleine Schimmelkopf ist nicht da; der wildeste, ungeberdigste Schreihals. Die Mutter tritt näher; sieht unter die Plache. Da sitzt das Schimmelchen zusammengekauert im Karrenstroh; nagt und saugt – woran denn nur?

»Jesus Maria! An alten Lederfleck nagt's an, das Schimmelköpfl!« Und Mutters Stimme schnitt wie ein Messer.

Da läßt der Karrner allgemach das Pfeifen sein; steht auf. Langsam, schwer und ungeschlacht, als hielte ihn der Boden gewaltsam fest. Endlich steht er auf den Beinen. Bläst sorgsam jedes Stäubchen vom Ärmel; jeden Grashalm streicht er umständlich von Joppe und Hose, als ob es bei seinen zerlumpten paar Fetzen auf einen Grashalm ankäme. Aber ich meine, er wollte nur Zeit gewinnen.

Endlich, endlich schickt er sich zum Gehen an:

»Schnauzl, komm!«

Der Schnauzl zuckt auf; sieht befremdet seinen Herrn an. Das ist nicht mehr geredet; das geht ans Leben. Aber der Schnauzl erhebt sich pflichtschuldigst; studiert ängstlich seines Herrn Miene; schleicht scheu an ihm vorbei und drückt sich an die Mutter. Springt an ihr hinauf, leckt ihr die Hand, tut ihr schön. Aber die Mutter sagt: »Geh nur, Schnauzl!«

Schiebt ihn von sich und wendet sich, als wollte sie weinen.

Der Karrner etwas freundlicher:

»Komm, Schnauzl! Wir geh'n ein Haserl suchen ... im Wald ... ein Haserl ...«

Ach du mein Gott! Ein Haserl! Der Schnauzl ist nicht von gestern. Das merkt doch jeder Hund, daß es heute nicht seine Richtigkeit hat. Aber er ging. Wird der Schnauzl nicht folgen, wenn der Herr ihn ruft? Demütig, mit eingezogenem Schweiflein trippelt er neben dem Karrner her; scheu, bang an dem finstern Manne hinaufblinzelnd, aber immer hart an seiner Seite.

Hinter dem Erlenbusch neben der »Waldsee-Froschlacke« hält der Karrner still; sieht sich schnaufend um. Das Hündchen mit der großen Angst in den Augen bleibt auch stehen. Pflichtschuldigst. Und tut zärtlich wie noch nie. Springt und wedelt an seinem Herrn hinauf; schmiegt und drückt sich an ihn; leckt ihm die Hände; noch einmal ... und noch einmal, wenn es seinen Herrn nur jetzt ein bißchen froher machen könnte. Das Hündchen mit der großen Angst in den Augen macht seine drolligsten Kunststückchen vor; sonst hatte sein Herr dazu immer gelacht. Aber heute ist schon einmal alles umsonst. Der Karrner schaut finster wie eine Wetterwolke.

Bis zur »Waldseelacke« dringt das Gekreische der hungrigen Raben: »Vater, oh! Muetter, oh!«

Er greift nach dem Stechmesser.

Zieht der Schnauzl den Schweif ein; legt sich platt auf den Boden; springt wieder winselnd auf; will fliehen und bleibt doch wieder. Wird der Schnauzl von seinem Herrn geh'n! Nein. Da bleibt er, und soll er daran sterben. Sagt der Karrner tief aufschnaufend:

»Schnauzl! Es muß sein! Das Schimmelköpfl nagt an ein' alten Lederfleck!«

Und sticht das Hündchen mit dem Messer. Fällt das Köterlein hin und wedelt noch. Als wäre ihm nun leichter, da das Blut zu fließen beginnt. Der Karrner hält es nicht aus. Läuft ein Stück weit in das Birkenbergerwäldchen und hebt zu fluchen an, daß sich Baum und Sträucher biegen. Wünscht der ganzen Menschenbrut einen einzigen Hals, und der sollte ihm unter sein Stechmesser kommen.

Als er nach einer Weile wieder näher kam, lag der Schnauzl ruhig; den Kopf ein wenig zur Seite geneigt, so lag er da und war tot. Nun ja. Wenn es sein muß!

*

Als der Vater heimkam, da waren die Kinder froh. Der Vater hat ein »Haserl« heimgebracht, schön ausgeweidet, ganz weidmännisch. Der Schnauzl habe das Häschen aufgejagt; und der Schnauzl werde bald nachkommen; jage nur noch ein bißchen im Walde herum; so zu seinem Vergnügen.

»Der Schnauzl ein Hasl 'funden ... der Schnauzl,« meint und lacht das Schimmelchen.

Bald brennt vor dem Karren ein lustiges Feuer. Leuchtet wie ein Freudenfeuer in die neblige Herbstnacht des »Spridrig«. Die Kinder tanzen um die Pfanne, in der das »Häschen« schmort; jauchzen und wackeln mit den zausigen Köpfen. Ja, wenn man ein Haserl hat ... da ist leicht gesotten und gebraten.

Der Vater hockt abseits. Seine Augen flackern.

Die Mutter hebt von Zeit zu Zeit den Deckel von der Pfanne; wendet den Braten um und wischt sich zwischendrein über die Augen; denn sie hat zum Feuern grünes Holz genommen; das macht soviel Rauch. Schlägt auch den Kindern mit dem Kochlöffel auf die Finger; denn die Rangen können es kaum mehr erwarten. Wollen das »Häschen« halb roh aus der Pfanne greifen.

Die Mutter sieht ihnen zu und seufzt vor sich hin: »So schön Bratzl geben hat er können ... und wachsam ... Tag und Nacht immer drei Schritt' vor dem Karren!« Und wischt sich heftig über die Augen, denn der Abendwind blies ihr den Rauch von dem erlöschenden Feuer gerade mitten in das Gesicht.

Der Vater sitzt abseits.

Die Kinder nagen jedes Beinlein glatt und sauber wie Elfenbein; nur das Schimmelköpfl läßt ein winziges Fleischstückchen an dem letzten Knöchelchen hängen. Ein kleines, kleines Bröcklein will es für den Schnauzl sparen; der Schnauzl war ja so brav und hat das Häschen aufgejagt. Kleinschimmelchen steht vom Essen auf, rafft mit seinen fettigen Batschhändchen alle Beinlein zusammen und lockt und ruft in den Wald hinein: »Snauzl ... Snauzl! Jetzt ist er nit da, weil i für ihn einmal Knöchelen hätt' ... Snauzl ... Snauzl ...«

Aber da wurde der Vater wild: »Marsch ins Stroh! Kein' Muckser mehr! Oder schlag' euch alle tot!«

Da forchten sich die Kinder und krochen nacheinander in den Karren; hinter ihnen die beiden Alten. Schliefen auch bald ein.

Sollen die Ärzte hundertmal anders sagen – mit vollem Magen schläft sich's doch besser.

Der Vater hatte eine unruhige Nacht. Immer wieder fuhr er schlaftrunken aus dem Karrenstroh. Er hörte im halben Schlafe den Schnauzl bellen.

»Was er nur heut hat ...« murrt er zwischen Schlafen und Wachen, und steckt den Kopf unter der Plache hervor: »Pst! Schnauzl! Sei still!«

Bis ihn die kalte Nachtluft anwehte und vollends munter machte. Da besann er sich: »Ach, ja so! Der bellt nimmer!«

Und warf sich schwer fluchend wieder aufs Ohr.

Und es war eine lange Nacht.


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