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VI. Vorteil und Gefahr der Astrologie

Jeder der zwei sogenannten Uebeltäter Saturn und Mars, und der zwei Wohltäter Jupiter und Venus ist auf seine Art Träger des Weltgesetzes. Während aber Saturn und Mars es mittelbar durch ihren Gegensatz sind, wird durch Jupiter und Venus das Gesetz unmittelbar offenbart. »Omnis definitio est negatio« sagt Spinoza. Damit das Göttliche sich »definiere«, d. h. abgrenze, bedarf es eines Negativs. So braucht die Sonne, um zu strahlen, den Hintergrund der Finsternis, Saturn, und dessen Chaos war nötig, damit Jupiter es zum Kosmos bändige. Ebenso wird die Kraft in Mars scheinbar aus der göttlichen Zone in die Trennung entlassen, aber nur damit in Venus die Liebe zwischen dem Getrennten entstehen kann. Wir haben gesehen, wie Saturn im Wassermann, Mars im Skorpion das große Geheimnis ihrer umgekehrten Göttlichkeit in all ihrer Tragik erleben und eben dadurch über den Menschen zu gottähnlichen Wesen emporsteigen können. Die Kinder des Jupiter und der Venus haben es leichter. Sie erfahren nicht die Abgründe der Welt, wandeln immer dem Lichte nah, bleiben Kinder Gottes, erkennen leicht sein Gesetz, aber kommen nicht auf sein Geheimnis, daß nämlich auch das Widergöttliche göttlich ist, Gottes negative Hälfte, ohne die er positiv nicht erscheinen könnte. Für den Saturn- und Marstyp ist von vornherein die Aussicht schlechter, als für Jupiter- und Venustyp. Wenn nicht die größte eigene Anstrengung stattfindet, bleiben jene verworfen, ohne je durch Ahnen des Sinnes ihrer Verworfenheit des göttlichen Gesetzes inne zu werden. Unfromm verharren sie in Sünde, Mühsal, Unwissenheit und Leid, während die Jupiter- und Venuskinder ein instinktives Wissen mitbringen, daß es eine Harmonie im Grund aller Dinge gibt, die ihre Sünden zu bloßen Schwächen, ihre Mühen leicht macht und ihrem tiefsten Leid stets einen Schimmer von Hoffnung läßt. Diese fromme Gotteskindschaft ist den reinen Mars- und Saturntypen nicht gegeben. Sie sind verworfen oder eingeweiht, das Böse und das Gute wissend, und in diesem Fall scheinen sie den Frommen ganz besonders dem Teufel des Hochmuts verfallen. Das Böse weiß nur der zunächst scheinbar Verworfene, und darum kann auch nur er jenseits von Gut und Böse steigen, indem er den Sinn der Verworfenheit durchschaut und dadurch erfährt, warum es Verworfenes geben muß. So steigt sein Selbst über Götter und Engel hinaus. Kein Heiland vermag ihn von seinen Sünden zu erlösen, denn die mußten ja sein, auch keine Gnade vermag aufzuheben, was im Schöpfungsplane als Ungnade, als negative Gnade unerläßlich war. Hier kann nur die Schlange helfen, deren Versprechen sich nicht in dem Durchschnittsmenschen Adam und seiner Rippe, sondern nur in dem Uebermenschen erfüllt, der ebenfalls »sein Kreuz« auf sich nimmt und es allein zu den Füßen Gottes zurückträgt mit den Worten: Ich habe deinen Sinn verstanden; ich bringe dir wieder, was du von dir verworfen hast, nachdem es seinen Zweck in der Gottferne erfüllt hat. Du bist erkannt in mir, und nun laß uns eine bessere Welt schaffen, in der das Leid nicht mehr als Strafe, sondern als Schatten des Lichts erscheint, das Nein nicht mehr als Vernichtung, sondern als das andere Ja. Das wäre die Erlösung von allem Uebel.

Der Gläubige vermag sich dem Willen Gottes zu fügen, ohne ihn zu kennen, eben weil es Gottes Wille ist. Der Ungläubige versucht sich gegen diesen Willen zu empören, ja ihn abzuleugnen als gäbe es nichts dergleichen. Der Erkennende hingegen erfährt den Willen Gottes in seinem Innern als Gesetz der Schöpfung und steht daher dem Gläubigen näher als dem »Aufklärer«, nur mit dem Unterschied, daß er sich nicht blind, sondern sehend dem Gesetz einordnet, und ohne Murren über die unerforschlichen Ratschläge Gottes, wie es selbst bei den Frömmsten nicht selten vorkommt. Der Gläubige stellt das Kindesalter, der Ungläubige die Flegeljahre, der Erkennende die Reife des menschlichen Geistes dar. Er wird zwar keine der einzelnen Flegeleien, wie die Hetze gegen Kirche und Priester, Revolution gegen die Ordnung u. dgl. gutheißen, denn er weiß zu genau, daß die Freiheit niemals! von außen kommt, sondern von innen, aber er wird zugeben, daß als Ganzes die höchst unerfreulichen Flegeljahre durchgemacht werden müssen. Wer nicht mehr gläubig das göttliche Gesetz erfüllen kann, der muß es wissend tun, nur darin kann die Freiheit bestehen, niemals in neuen, vermeintlich besseren Gesetzen, die von außen gegeben werden. Da nun leider nicht die Weisen, sondern die Masse herrscht, so werden die von ihr gewaltsam gemachten Gesetze von den Verhältnissen immer wieder gewaltsam durchbrochen, statt daß sich in organischer Entwicklung Moral und äußeres Gesetz ohne Revolution und Gewalt von selbst jeweilig der inneren Stufe des menschlichen Geistes anpaßt. Dies war der Fall in den mittleren Zeiten, als die staatliche Macht noch im Namen Gottes ausgeübt wurde, und diese Zeiten waren verhältnismäßig harmonisch. Man wußte, was Recht und Unrecht ist, und wer Unrecht tat, wurde bestraft.

In den Flegel-Jahren wird Geist und Gesetz verachtet. Natürlich werden Flegeleien immer mit dem entschuldigt, was an der bekämpften Autorität in der Tat nicht mehr erträglich war, aber durch die Art, wie sich die Flegel dagegen verhalten, haben sie auf jeden Fall unrecht. Wenn ein Sklave seine Ketten zerbricht, wird er noch kein Freier, sondern nur ein Freigelassener. Das Wort Freiheit besagt an sich nichts, solange nicht hinzugefügt ist, wovon, und wozu man frei ist. Wer sich also z. B. von Kirche und Glauben befreit hat, ist zunächst weniger als er war, solange er nicht auch frei ist zur Erkenntnis und Selbstheit.

Um nun zur Astrologie zurückzukehren: Die Gläubigen werden kaum ein Bedürfnis nach ihr haben. Für die Ungläubigen ist sie Gift. Nur dem nach Erkenntnis Strebenden, der sein Selbst bereits von seinem menschlichen Ich zu unterscheiden vermag, kann sie helfen, denn sein Selbst ist auch unter Dämonen sicher, während das mittelpunktlose Ich ihr Spielball wird. Wer Astrologie treibt, ohne eine für ihn geeignete Beziehung zum Ewigen gefunden zu haben, mag dies in den Formen einer Religion, einer Philosophie, einer Weltanschauung oder der eigenen Erkenntnis des Guten und Bösen sein, begibt sich in große Gefahr. Die im vorigen Abschnitt geschilderten Planeten und ihre Tierkreissymbole sind nichts anderes als Genien oder Dämonen. Wer sich mit ihnen in Verbindung setzt, treibt Magie. Darüber soll niemand im Zweifel gelassen werden, der sich eine Ephemeris kauft. Die Kirche verbietet ihren Gläubigen die Magie und zwar mit nur zu guten Gründen, nämlich nicht, weil sie ein Aberglaube ist, sondern weil sie auf Wirklichkeit beruht und die Kunst mit Hexen umzugehen erlernt sein will.

Man erwarte von der Astrologie keinen Aufruhr gegen die Götter; nichts Prometheisches ist in ihr, nichts Revolutionäres, aber ebenso wenig starre Dogmatik. Der Erkennende steht jenseits von Autorität und Revolution. Das Menschliche hat für sich jede Bedeutung verloren, es besitzt nur noch Wert als Hieroglyphe eines göttlichen Sinnes, aber in dem Augenblick, da es all seine Würde verliert, glüht es auf in einer neuen, magischen Lebendigkeit. Kein Übermut, keine Hybris, sondern tiefste Geborgenheit im Weltgrund und als einzige Möglichkeit für Glück und Gelingen das Schwingen im göttlichen Gesetz der Polarität von Ja und Nein, Tag und Nacht, Werden und Vergehen! Kein Turmbau zu Babel, denn der Blitz, der ihn zertrümmern muß, ist von Anfang an in den Bau mit einbezogen, aber eben darum auch kein tatloser Verzicht, nur ist für den aus Erkenntnis Handelnden nicht der Turm das Wesentliche, sondern er selbst, der Erbauer; der aber schafft nur nach dem Gesetz von Verwirklichung und Vernichtung, das er, indem er es kennt, auch beherrscht. Er weiß dann, wo und wie hoch er bauen darf, und hat er sich geirrt und doch den Blitzstrahl herabgezogen, nun so trifft er den Bau, nicht ihn. Nur so ist das astrologische Gesetz zu verstehen, daß der Weise die Sterne beherrscht: nicht indem er ihr Wesen ändert, sondern indem er die in ihm selbst wirkende schöpferische Kraft im Sinne ihres Wesens walten läßt, ohne sie durch menschliche Willkür der Triebe (Mars), des Verstandes (Merkur), der Trägheit (Saturn) oder durch Mißverständnisse ihrer Wirkungsweise zu stören. Diese Fähigkeit kann man auf mehrere Arten erreichen. Eine davon ist die Astrologie, die einem erlaubt, auf einem Stück Papier das Kräfteverhältnis der verschiedenen Einflüsse aufzuzeichnen, das für die Zeit zwischen Geburt und Tod auf alle Fälle gültig bleibt, ob einer zeitlebens ein Kind, ein Unwissender bleibt oder ein Erkennender ist. Die äußere Auswirkung freilich dieser unabänderlichen Formel wird je nach dieser Stufe grundverschieden sein, sowohl in dem was geschieht, als in dessen Rückwirkung auf das Gemüt. Das Horoskop stellt nur das Instrument dar. Wie das Selbst darauf spielen wird, ist nicht vorauszusehen. Was aber leicht aus dem Horoskop erkannt werden kann, ist die Qualität des Instruments. Es gibt edle Instrumente, die mancherlei Schäden haben, dann gibt es geringe, die aber ganz gut im Stand sind. Viele Instrumente sind auch nur schlecht gestimmt, Fehler lassen sich oft ganz oder teilweise wiederherstellen, andere Mängel entstehen durch Mißbrauch des Instrumentes oder werden dadurch erst unheilbar. Einige Vollkommenheiten sind nur möglich auf Kosten von Beschränkungen, und schließlich gibt es geringe Instrumente, die außerdem so schlecht im Stand sind, daß überhaupt kein reiner Ton mehr hervorzubringen ist.

Die Astrologie zeigt uns, wie oben schon einmal gesagt wurde, was für Pferde einer im Stall hat. Der Wille des Eigentümers kann sie in diesem Fall zwar nicht vertauschen, aber er kann sie, indem er ihre Art studiert und sie im Zaum hält, zwingen,, sich untereinander zu vertragen und seinem Sinne zu unterwerfen – wenn nämlich dieser Sinn kein Unsinn ist, sondern die Anpassung an den Weltsinn sucht. In dem Maß, als das gelingt, wird er tatsächlich immer mehr Herr über die Aspekte, die der Wirkung der Planeten durch die Himmelszeichen untergeordnet sind. Wer in seinem Horoskop das Wesen der Gegnerschaft zweier sich schlecht aspektierender Planeten erkennt, kann allmählich lernen, solcher Feindschaft durch eine bestimmte innere Haltung möglichst wenig Nahrung und Gelegenheit zu geben und dadurch die einzelnen planetarischen Kräfte gewissermaßen zu isolieren. So empfängt er ihre an sich immer hilfreiche Wirkungen, ohne daß diese Wirkungen sich gegenseitig befehden, wodurch sie ja erst schlecht werden. Darum kann ich nicht viel Gutes in der Vorausberechnung der Zukunft sehen, nachdem ich dies lange genug selber getrieben habe. Gläubige haben eine instinktive Abneigung dagegen, Ungläubige nur eine spielerische Neugier, die sie immer abhängiger macht, statt sie zu befreien. Je mehr man aber erkennt, desto gleichgültiger werden die Ereignisse. Daniel wurde in der Löwengrube nicht darum verschont, weil er ein guter Tierbändiger gewesen wäre.

Nicht weil die Sterne an meinem Geburtstag so standen, bin ich so geworden, wie ich bin, sondern weil ich so war, konnte ich eine durch diese Konstellation bedingte Menschlichkeit annehmen. Deren Form aber ist sehr allgemein, und vieldeutig. Sie läßt unzählige Möglichkeiten offen. Gäbe es nur eine einzige, wozu wäre dann dieses Leben; nötig gewesen? Es hätte genügt, meine Nativität in die Akashachronik zu verzeichnen, und ewige Augen hätten jederzeit sehen können, was diese Formel als Menschenleben bedeutet. Es handelt sich aber hier nicht um eine mechanische, sondern um eine organische Gesetzmäßigkeit und mehr. Bei Ausführung einer chemischen Formel muß immer dasselbe Ergebnis herauskommen; schon der organischen Welt steht die Mannigfaltigkeit der Formenfülle zur Verfügung, und nun gar der transzendenten Welt der Selbstheit, die sich dieses Organismus bemächtigt und ihn erst zum Ich macht. Hier ist die Zahl der Möglichkeiten, wie ein Horoskop erlebt werden kann, unendlich. Was also für die Astrologie die größte Verlegenheit bedeutet und auch die begründetesten Einwände gegen sie liefert, ihre Vieldeutigkeit, das eben ist das höchste Gnadengeschenk der Gottheit, nämlich die Freiheit, die sie jedem Ich grundsätzlich in all seiner Begrenzung vorbehält. Der Gegensatz zwischen Gnade und Verdienst beruht wohl auf der Freiheit und ihrer Benutzung. Ohne Bemühung (Verdienst) hilft die Freiheit nichts, ohne die Freiheit (Gnade) wäre alle Mühe umsonst. Ob es prädestiniert Unbegnadete gibt? Das scheint mir undenkbar; wohl aber mißraten manche Menschlichkeiten in der Werkstätte der Schöpfung derart, oder anders gesagt: Gott läßt sich versuchsweise in so verworrene Formen ein, daß die Freiheit in der trüben Stofflichkeit oft nicht entdeckt werden kann. Das sind seine Fehlschläge, die Ausschußware ergeben. In wem die Frage auftaucht, ob er vielleicht zu den Verworfenen gehört, der kann schon daraus erkennen, daß dies nicht der Fall ist, denn wer da fragt, das ist schon ein Selbst und nicht das menschliche Ich. Dies aber hat sich bereits dadurch für das Göttliche durchlässig gezeigt, daß diese Frage bewußt werden konnte.

Nur wer Astrologie zum Zwecke der Erkenntnis betreibt, wird Vorteil von ihr haben und ihre Wahrheit sehen. Wer sie vorwiegend aus praktischen Gründen ergreift, der ruft Geister, die er nicht mehr los wird, und die ihn narren. Das Beste, was ihm dann passieren kann, ist, daß er sich enttäuscht abwendet, weil auf sie so wenig Verlaß sei. Die meisten aber verstricken sich durch sie in eine Abhängigkeit vom Fatum, die ärger ist als die der gänzlich Blinden.

Der Sinn der Schöpfung kann nur der sein, daß die Gottheit als blind schaffender Gott nach einem Organ strebt, in dem sie sich selber bewußt zu werden vermag. Dieses Organ ist ihr im Menschen gelungen, aber noch ist es sehr unvollkommen. In jedem Individuum findet immer wieder ein Abstieg Gottes in den Stoff statt, mit der Möglichkeit, daß das Ziel der Bewußtheit erreicht wird, mit der Wahrscheinlichkeit, daß es mißlingt, aber grundsätzlich verworfen, ehe sie noch geschaffen wurde, ist keine Form. Das widerspräche allem Sinn, und an das, was wir als Sinn erleben, müssen, wir uns halten. Der ist: Selbstoffenbarung der Gottheit durch die Vergottung des Stoffes und der Welt im Menschen.

»Wo hast du das genommen?
Wie konnt' es zu dir kommen?
Wie aus dem Lebensplunder
Erwarbst du diesen Zunder,
Der Funken letzte Gluten
Von frischem zu ermuten?

Euch mög' es nicht bedünkeln,
Es sei gemeines Fünkeln;
Auf ungemeßner Ferne,
Im Ozean der Sterne,
Mich hatt' ich nicht verloren,
Ich war wie neu geboren.«

(Goethe, Westöstlicher Diwan.)


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