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Siebentes Kapitel.
Herzenspflichten

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»Dolly, liebste Dolly, bist du krank?« fragte am nächsten Morgen die tiefe Stimme der Mademoiselle Delaporte vor der verschlossenen Zimmerthüre und weckte Dolly aus ihrem späten, unruhigen Schlummer. Erschreckt sprang sie in die Höhe. Das goldene Morgenlicht drang in reichen Wellen durch die Vorhänge ihres Fensters, zugleich aber strömten mit der Erinnerung an den gestrigen Tag die bitteren Fluten des Jammers jäh und schmerzlich in ihr junges Herz zurück. Aber sie sollten sie heute nicht überwältigen. »Ich komme sogleich, liebe Tante!« rief sie zurück, und dann begann sie sich mit Hast anzukleiden, als gälte es, große Dinge zu thun. Ihr Morgengebet war nur ein wilder Aufschrei zu Gott; denn sie sagte sich, daß die frühzeitige Anwesenheit der alten Dame in der Villa Matilda nichts Gutes bedeute. Man sagt in derber Weise wohl: »Das neue Leid frißt das alte,« und Dolly erfuhr die Wahrheit dieses Wortes an sich, als Mademoiselle Virginie ihr nach dem hastig genossenen Frühstück so zart wie möglich den Inhalt von ihres Vaters gestrigem Schreiben, das die Gattin an sein Krankenlager rief, mitteilte und ihr sagte, daß Vater und Mutter in Santos sehr nach ihr verlangten.

»So ist Papa so schwer erkrankt und Mama schon bei ihm?« fragte Dolly bleich vor Schrecken. Die alte Dame nickte; sie getraute sich im Augenblicke nicht weiter zu sprechen.

»Der Zug nach Santos geht in einer Stunde, liebe Dolly, ich werde dich dahin begleiten,« sagte sie endlich und wandte sich ab, um den kleinen Paul zu liebkosen, der sorglos mit seinem hölzernen Pferdchen spielte.

Die Zeit bis zur Ankunft in der Stadt, wo ihre Lieben weilten, schien Dolly endlos lang. Das Licht der Morgensonne, das blitzend über die blauen Wellen des Golfes dahinfuhr, die königliche Pracht der Wälder, die malerische Schönheit der Fluren, das fröhliche Geplauder der Mitreisenden: alles that ihrem Herzen weh. Sie konnte nicht begreifen, daß die ganze Natur nicht mittrauere um ihren geliebten Kranken.

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Ihr eigenes Leid, ihre grausame Enttäuschung schien ihr jetzt so fernab liegend wie eine traurige Mär aus längst vergangenen Tagen: der heilige Schmerz um den Vater erfüllte ihre ganze Seele. Immer wieder kamen ihr die Schlußstrophen eines englischen Gedichtes in den Sinn, das sie in den sorglosen Jugendtagen einmal hatte auswendig lernen müssen:

For my heart was hot and restless,
And my life was full of care,
And the burden, laid upon me,
Seemed greater, than I could bear.

But now it has fallen from me;
It is buried in the sea,
And only the sorrow of others
Throws its shadow over me.

Ach, heute hatte sie ein so tiefes Verständnis für den Sinn der klagenden Worte!

Endlich stand sie mit ihrer Schützerin vor dem Zimmer, das der Vater in dem ersten Hotel von Santos bewohnte. Eine namenlose Angst lag schwer auf ihrem Herzen. Was würde sie sehen? ...

Da öffnete sich schon die Thüre, und des Onkels gutes, altes Gesicht blickte heraus. Er nahm Dollys Hand zärtlich in die seinige und geleitete sie in das Gemach. Die Mutter trat ihr mit vom Weinen geröteten Augen entgegen, der Vater aber lag bleich wie der Tod im Bette. Er vermochte nicht zu sprechen, – der Schlag hatte ihm die Zunge und die rechte Seite gelähmt, – aber mit der linken Hand winkte er freundlichen Willkomm, und seine Augen ruhten voll Liebe auf der eintretenden Tochter. Dolly vermochte nur mit großer Mühe die Thränen zurückzuhalten, als sie sich jetzt zum Gruße über den Kranken beugte. Sie fand keine Worte; das Herz klopfte ihr zum Zerspringen; aber immer und immer wieder küßte sie voll Inbrunst die abgezehrte Hand des Vaters.

Der Ton eines Glöckleins auf dem Vorplatze unterbrach die wehmütige Stille. Der Priester kam mit der letzten Wegzehrung. Voll Andacht und himmlischer Ruhe empfing der Sterbende das Brot des Lebens. Dolly aber lag thränenüberströmt neben der Mutter auf den Knieen. Sie war in tiefster Seele erschüttert.

»Ich habe so wenig gethan, o Gott, um dem Vater Freude zu machen, verzeih, verzeih mir und stärke mich, daß ich an Mutter und Bruder wieder gut mache, was ich gefehlt und vernachlässigt habe!« ... So rief sie in ihrer Herzensreue.

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Als der Priester sich entfernt hatte, lag der Kranke eine kleine Weile still mit geschlossenen Augen da, dann winkte er seiner Frau und Tochter, näher zu kommen, fügte beider Hände in einander und sah Dolly mit flehenden Blicken an. Die Mutter weinte leise; Dolly aber schaute dem Vater fest in die Augen und rief mit thränenerstickter Stimme: »Ich werde alles wieder gut machen, Papa, ich werde sie lieben und schützen, so wahr mir Gott helfe!« ... Der Kranke atmete tief auf, wie von einer großen Last befreit. Dann segnete und küßte er Frau und Kind, lächelte den Freunden zu und wandte sich auf die Seite, wie um auszuruhen. Wahrlich, er hatte die Ruhe verdient nach einem langen arbeitsamen, gottesfürchtigen Leben!

Und der Tod nahte bald sanft und leise, wie ein guter Freund, und geleitete den müden Mann in die Heimat, den Ort der Ruhe und des ewigen Friedens. Für die Lebenden, die dem Gatten und Vater nachweinten, aber sorgten treue irdische Freunde, der Onkel Georges und Mademoiselle Virginie. Die alte Dame hielt Mutter und Tochter zugleich umfaßt und tröstete und hätschelte sie nach ihrer Art, so wie man kleine betrübte Kinder tröstet. Sie brachte sie nach Rio zurück und hielt mit zartsinniger Liebe alles fern, was ihnen den Verlust in grausamer Klarheit wieder vor die Seele hätte führen können. Ach, es gab so manchen Anlaß dazu! Die ganze Größe des Schmerzes erneuerte sich wieder im Herzen der Mutter beim Anblick ihres Kindes, das ahnungslos von dem, was ihm geschehen, lächelnd den Ankömmlingen in die Arme stürzte. Der treue Freund des Hauses hatte für alles gesorgt: er hatte den Toten auf der letzten irdischen Fahrt begleitet und ihn an die Seite der Frau gebettet, die ihm selbst, dem einsamen Mann, einst über alles teuer gewesen; er hatte der jugendlichen Witwe wie ein Vater beigestanden und die schwere Bürde der Vormundschaft über Dolly und den kleinen Paul auf seine Schultern genommen.

Am Abend des Begräbnistages saßen Mutter und Tochter mit dem Kleinen im Wohnzimmer zusammen, wo der Heimgegangene so gerne bei den Seinen geweilt hatte. Da brachte der alte Felix ein Telegramm aus Hamburg, das an Frau Auweiler gerichtet war. Die Mutter entfaltete es, während eine jähe Röte auf ihrem Gesicht aufflammte, und Dolly sah mit Befremden, wie das Blatt in ihrer Hand zitterte, wie sie es hin und herdrehte und schließlich mit qualvoll-hülflosem Ausdruck der Tochter hinreichte.

»Lies, liebe Dolly,« bat sie tonlos, »ich sehe nicht mehr!« ...

Mit lautem Aufschrei stürzte Dolly auf die Mutter zu.

»Mama, liebste Mama, erkennst du auch mich nicht mehr, siehst du Paulchen nicht?«

»Ich sehe euch nur wie in einem dunkeln Nebel, meine armen Kinder,« sagte die Mutter leise und bemühte sich, ihre Fassung zu bewahren.

»Das Leid der letzten Tage ist zuviel für die so geschwächten Augen gewesen.«

»Ach, Mama, so laß uns unverzüglich die besten Aerzte nehmen, das Augenlicht muß dir doch gerettet werden.«

Dolly hatte sich schon der Thüre genähert, um in die Stadt zu eilen, aber die Mutter hielt sie zurück. »Wir können keine kostspieligen Kuren machen, liebe Dolly. Ich habe dir noch etwas Trauriges mitzuteilen: wir sind arm geworden. Nach dem Tode deiner Mutter hatte Papa große Verluste durch Mißernten und Arbeiteraufstände in den Kaffee- und Tabakplantagen. Da auch seine Gesundheit schwankend geworden, rieten die Aerzte ihm zum schleunigen Verkaufe seiner Güter. Die Zeit zum Verkaufen war nicht besonders günstig, indessen ließ der gewissenhafte Mann sich dadurch nicht verleiten, dem dringenden Rate der Aerzte entgegen zu handeln. Der größte Teil des Erlöses wurde auf die National-Bank nach Santos gebracht, das andere Geld liegt in London in der Bank von England. Das in Santos untergebrachte große Kapital ist durch den in der vorigen Woche erfolgten Zusammenbruch der Bank leider ganz verloren, und der Schmerz darüber, seine Lieben so plötzlich dem Schreckgespenst der Armut verfallen zu sehen, hat dem armen Papa den Todesstoß gegeben. – Als wenn wir nicht gerne trockenes Brot äßen, wenn er nur noch in unserer Mitte weilen dürfte!« Die Witwe schwieg, das Leid überwältigte sie, und sie weinte nun, als wenn ihr das Herz brechen wolle.

»Mama, liebste Mama, du darfst nicht weinen! Deine armen kranken Augen! Du bist ja nicht verlassen, du hast ja noch Paulchen und mich, und wir werden dich auf den Händen tragen! Was liegt am Ende daran, ob wir arm sind. Wir werden uns einschränken, und ich werde für euch beide arbeiten.« ... Dolly sprach mit demütigem Stolze, mit der freudigen und feurigen Zuversicht und dem begeisterten Wagemut der Jugend, die in jedem Hindernis, das das Leben stellt, nur einen Ansporn zur Bethätigung ihrer Kraft sieht.

»Zunächst werde ich dir Tante Berthas Telegramm vorlesen:

»Meine herzlichste Teilnahme an Eurem Schmerze. Rechnet in allen Dingen auf mich. Brief folgt. Bertha.«

»So, das ist ein Rückhalt, der im Notfalle nicht zu verachten ist. Rollo und Pollo, die armen Waisenkinder und die alten Frauen werden wirkungsvoll abgelöst. Tante liebt das »changement de décoration«, warten wir also das große Sendschreiben ab,« sagte Dolly mit einem Versuch, zu scherzen, während ihr ob der Güte der Tante doch die Thränen in die Augen traten.

»Aber nun laß dich zu Bette führen, Mütterchen, du bist ganz erschöpft, und ich werde einmal anfangen, ernstlich für deine Gesundheit zu sorgen. Ein strenges Regiment wird es werden, und Pardon bei Uebertretungen wird nicht gegeben!« und sorglich leitete Dolly die schwankenden Schritte der Mutter zu deren Schlafgemach.

Auch in dieser Nacht schlief Dolly nicht. Aber es war nicht das eigene schattenhafte Leid, das sie wach hielt: tausend Pläne, wie sie der kranken Mutter helfen, für diese und das Brüderchen am besten sorgen könne, gingen durch ihren Kopf. Endlich kam ihr ein guter Gedanke. »Morgen in aller Frühe werde ich zu Onkel Georges laufen; er ist mein Vormund; er muß und wird mir helfen,« dachte sie. »Und der liebe Gott wird meine Pläne gewiß segnen, es sind ja meine Pflichten! Ach, Hilde, nun habe ich auch Pflichten, und ich bin glücklich und stolz, sie zu erfüllen, sind sie gleich anderer Art, als wir uns geträumt haben!« ...

»Onkel Georges und du, liebe Tante,« sagte am anderen Morgen Dolly und erwischte den alten Herrn, wie er gerade vom Frühstückstisch in sein Atelier schlüpfen wollte, »ich habe eine große Neuigkeit und euren Segen dazu nötig. Ich will arbeiten!« platzte sie heraus und streckte beide Hände so rasch und heftig gegen die alte Dame aus, daß diese ganz verblüfft zurückwich.

»Nur fein gemach, Kindchen,« sagte lächelnd der Onkel und geleitete die Adoptivnichte in die Sofaecke, während die Tante ihr zur Beruhigung schleunigst eine Tasse Thee eingoß.

»Also du willst arbeiten?« fragte sie. »Pflügen, graben, waschen oder nähen, wenn das Fragen erlaubt ist?«

»Ich werde Ihnen ins Handwerk pfuschen, Onkelchen, und Sie dürfen mir nicht im Wege stehen. Als mein Vormund von Gottes Gnaden haben Sie die angenehme und süße Pflicht, mein irdisches Fortkommen nach Kräften zu fördern. Ich werde Sie also bitten, dafür Sorge zu tragen, daß Mr. Georges Delaporte, erster Aquarellist der Republik Brazil, Liebling aller neun Musen und Protektor aller aufstrebenden Kunstjünger, Senhorita Dorotea Auweiler als Famulus und Unterlehrerin in seiner Kunstschule anstelle, damit sie in den Stand gesetzt sei, – für sich und die Ihrigen das Brot zu verdienen.« ...

Wie mit Blut übergossen saß Dolly da. Sie hatte es sich so leicht gedacht, das zu sagen, was ihr in der Stille der Nacht so natürlich geschienen, und nun, da sie – zum erstenmale in ihrem Leben – die Hülfe ihrer Mitmenschen angerufen, überwältigte sie die Scham, und sie endete damit, daß sie sich an den breiten Busen der alten Freundin warf und herzbrechend weinte.

» Par exemple!« rief Mademoiselle Virginie, während sie ihrem Bruder, der sich in einem fort räusperte, ohne Worte zu finden, heftige, aber nicht zu deutende Blicke zuwarf, »das wäre ja herrlich und etwas ganz Neues! Da weiß ich noch Besseres! Da hinten in der Bretagne liegt unter alten Bäumen, an einem breiten, rauschenden Wasser ein altes Haus. Es gehört einem alten Mann und einer alten nichtsnutzigen Frau. Aber die sind undankbar und haben dem alten stillen Hause, unter dessen ehrwürdigem Dach Generationen ihrer Familie geboren wurden, und unter dessen uralten Bäumen Scharen von Kindern ihres Namens spielten und junge Herzen aus ihrem Blute träumten, den Rücken gekehrt und sind hinausgewandert in die neue Welt und haben dort aufs neue Wurzel geschlagen in Liebe und Freundschaft. Aber das alte Haus steht noch da so traulich und einladend wie immer, die oeil de boeuf-Fensterlein lugen allmorgendlich über die weiten Wasser, über die grüne Ebene ins Land hinaus bis an das rollende Meer und fragen: Kommen sie nicht wieder? Er, der als hochgemuter Jüngling hinauszog und die nichtsnutzige alte Frau mit der großen Nase und dem ungeheuren Schildpattkamme? Und die alte Jeanneton fragt es, die Wächterin des einsamen Hauses, die steingraue Alte mit dem zahnlosen Munde, der niemals stille steht.

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Sollen wir sagen, wir kämen mit den Schwalben wieder und brächten liebe, liebe Freunde mit? Und wenn alle Stricke reißen, laden wir wieder Scharen von fröhlichen Kindern in das alte, stille Haus und unterrichten sie in allem Guten und in allen schönen Künsten, und die nichtsnutzige alte Frau wird die Tanzmeisterin: sie kennt die alten »Pas« und die schönen alten Gavottes und Menuetts, wovon die neue Zeit keine Ahnung hat.« ...

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Und richtig, da stand die alte Dame mitten im Zimmer, hatte die Falten ihres Kleides von dunkler moirée antique-Seide zwischen den Fingerspitzen und tanzte mit ungewohnter Grazie einen wunderlichen Tanz, während sie mit ihrer tiefen Stimme leise die Begleitweise dazu summte. Es war zu drollig. Dolly mußte auf einmal unbändig lachen, auch der Onkel Georges lachte und schnupfte mit zierlichen Fingern aus seiner silbernen Dose, bis ihm die Thränen in die Augen kamen.

Da hielt Mademoiselle Virginie ganz erschöpft inne, gab ihrem Bruder einen ermutigenden Klaps auf die Schulter und rief:

» C'est votre tour, monsieur! Allez, faites votre jeu!«

»Ja, ja,« sagte der Onkel Georges, »wo soll ich nur anfangen? Die Gedanken wirbeln mir im Kopfe wie die Flocken in einem Schneesturm! ... Also Unterlehrerin beim alten Delaporte wolltest du werden, mein armes tapferes Kind! Ich würde dich mit offenen Armen aufgenommen haben, wenn der liebe Gott es so gefügt hätte! Aber dein guter Vater hat vorgesorgt! Gleich heute wollte ich zu euch kommen, um dir mitzuteilen, was deine Mama schon wußte, nämlich daß du eine reiche Erbin bist. Dein Vater hat in selbstloser Liebe dein mütterliches Erbteil in ganz sicheren europäischen Staatsanleihen angelegt, und obschon er die Nutznießung bis zu deiner Mündigkeit hatte – doch auf jeglichen Zinsgenuß verzichtet. So ist dein Vermögen seit dem Tode deiner Mutter um ein Beträchtliches gewachsen.« ...

»Gott sei gelobt!« rief Dolly, »und mein Vater sei gesegnet über das Grab hinaus! Nun kann ich doch für Mama und das Brüderchen sorgen!«

Und sie umfaßte die umfangreiche alte Dame und begann eine Art Siegestanz mit ihr zu tanzen, daß das Theegeschirr auf dem Frühstückstisch klirrte, und der Onkel Georges sich scheu in seine Sofaecke drückte. Aber mitten im Jubel hielt sie inne. »O Papa, lieber, lieber Papa, daß du nicht mehr bei uns sein kannst!« rief sie, und von neuem traten ihr die Thränen in die Augen.

»Vater und Mutter freuen sich im Himmel über ihr edelmütiges, pflichttreues Kind!« fiel die alte Dame ein, »aber unser altes Stammhaus in der Bretagne wird immerfort weiter fragen: Wann kehren sie wieder?«

»Vielleicht schon bald!« sagte Dolly und sah die Geschwister mit geheimnisvollen Mienen an. »Wenn Mamas Augenleiden nicht bald gehoben wird, reise ich mit ihr und dem Kleinen nach Europa und bringe sie nach Wien, das eine weltberühmte Augenklinik hat.«

»Nun höre einer einmal das Fräulein Uebermeer an! Hast du die Seekrankheit, den Sturm, die Langeweile, die Brillenschlange, den Hummersalat und all die anderen Widerwärtigkeiten deiner Meerfahrt schon vergessen?« fragte Mademoiselle Virginie mit geheucheltem Erstaunen.

»O Tante, wie böse Sie sein können! Ich werde allen Stürmen trotzen und mich vor keiner Seekrankheit, keinem Hummer und Meerweib fürchten, wenn diese liebe, treue Hand mich pflegt und führt.« Dankbar küßte sie die Hand der alten Dame. »Jetzt aber muß ich nach Hause eilen, um Mama zu beruhigen und ihr meine Pläne mitzuteilen.« ...

Zu Hause traf Dolly den Arzt, einen alten Freund ihres Vaters. Sie begleitete ihn bis in den Flur und fragte unvermittelt:

»Darf Mama in dieser Jahreszeit nach Europa reisen, Herr Doktor?«

»Wenn der Unterschied in der Temperatur nicht gar so groß wäre, würde ich nichts dagegen haben; denn je eher die kranken Augen Ihrer Frau Mutter in die Behandlung eines tüchtigen Specialisten kommen, desto besser, obschon ich Ihnen nicht verhehlen darf, daß die Aussichten auf vollständige Heilung sehr geringe sind. Aber Ihre Mutter ist so zart, daß sie den schnellen Uebergang aus der tropischen Hitze, die wir in den nächsten Wochen haben werden, zu der eisigen Winterkälte Ihres nordischen Vaterlandes nicht ertragen würde. Ich muß Ihnen ernstlich raten, diese Reise bis zum Frühjahre zu verschieben.« ...

»Mama, liebste Mama, nun hat alle Not ein Ende! Du hast gewußt, daß ich reich bin und konntest sagen: Wir sind arm geworden! ... Freilich bin ich durch meine frühere Herzenshärte schuld, daß du eine so geringe Meinung von mir hast,« rief Dolly ein paar Augenblicke später, während sie neben der blinden Mutter, die in Gedanken verloren am Fenster saß, niederkniete. »Aber ich werde dich eines Besseren belehren! Was mein ist, ist dein und dem Brüderchen, und ich sage mit Ruth: Dein Gott ist mein Gott; dein Volk ist mein Volk, wohin du gehest, gehe auch ich hin, wo du bleibest, da bleibe auch ich!«

Die Mutter war zu bewegt, um antworten und danken zu können.

»Du mußt wissen, liebe Mama, daß ich mir selbst damit die allergrößte Freude mache! Wir Leute aus dem neuen Testament können doch hoffentlich, was die alten braven Israeliten konnten! Ach, es ist so herrlich, für jemand sorgen zu können, Pflichten zu haben und Anordnungen machen zu dürfen! Und eine große Umwälzung werde ich machen und habe schon die Genehmigung von Onkel Georges und Doktor Pasquale im voraus.«

»Und das wäre?« fragte die Mutter lächelnd.

»Wir reisen im Frühjahre alle zusammen nach Europa, und was für deine lieben armen Augen gethan werden kann, soll geschehen, und sollte ich alle medizinischen Größen zusammentrommeln müssen!«

»Gutes Kind!« sagte die Mutter gerührt, »wie wird dein Vater sich über seine Tochter freuen!«

»Als wenn ich etwas Besonderes thäte: ich muß doch meines Vaters und meiner Mutter würdig werden! Uebrigens sehe ich immer mehr ein, für welch ein Ungeheuer ihr mich gehalten haben müßt!« rief Dolly lachend und verschwand, ohne den Protest der Mutter abzuwarten, in ihrem Zimmer, um an Hilde und Karen über alles zu schreiben, was ihr junges Herz bewegte.

»Du siehst, meine sehr ehrenwerte und tugendsame Freundin,« schrieb sie am Schlusse des langen Briefes an die einstige Pensionsgefährtin, »daß eine wilde Katze wie ich, ein überseeischer Unnütz, auch Pflichten haben kann. Aber ich habe alle Angst davor verloren; ich liebe sie sogar. Jetzt kann ich durch die That beweisen, wie lieb mir Mutter und Brüderlein sind, und wie dankbar ich dem lieben Gott und meinen toten Eltern bin. Mit den kleinen Pflichten des täglichen Lebens, die mir, als Du sie damals aufzähltest, kaum weniger schrecklich vorkamen, als die zehn Plagen Aegyptens, werde ich mich freilich langsamer befreunden können. Dazu fehlen die Flügel der Begeisterung.

»Auf den kalbledernen Alltagsschuhen der häuslichen Prosa gleitet man nicht durchs Leben wie Elfen und Sylphiden. Das können nur Sonntagskinder wie meine Hilde! Nun, wenn das tägliche Einerlei ein gar zu nüchternes Gesicht hat, setze ich mich ein halbes Stündchen ans Klavier oder versenke mich in die Wundergärten unserer großen deutschen Dichtkunst. Du wirst dich wundern, liebste Hilde, daß ich nach dem unersetzlichen Verlust, den ich Dir vor ein paar Tagen gemeldet, schon solch' weitausschauende Pläne und so hin und herstürmende Gedanken habe. Aber das Leben hat mir keine Zeit gelassen, mich ungestört meinem Schmerze hinzugeben: ich muß sorgen und schaffen und in Liebe thätig sein um der Liebe zu dem teuern Entschlafenen willen.

»Ich denke Dir noch mehrmals zu schreiben, ehe wir zu Ende Februar unsere Reise antreten; aber mein Herz jubelt jetzt schon in der Hoffnung auf das Wiedersehen mit meiner einzigen Hilde. ...«

An Karen schrieb Dolly, wie sie sich freue, mit Astrid im März ein Stelldichein in Funchal verabreden zu können, und daß sie hoffe, Karens schwärmerisch verehrte Freundin Nadina dort kennen zu lernen.

»Wenn Du auf Deiner Rückreise von Funchal im Mai mit Nadina unser Deutschland passierst,« schloß Dolly, »würdest Du mich ernstlich böse machen, falls Du nicht in Hamburg die Reise unterbrechen und Dich überzeugen wolltest, ob wir dort wären. Genaues über unsere whereabouts kann ich freilich nicht sagen, da wir zunächst nach Wien reisen, aber vielleicht können wir doch bis April wieder in Hamburg bei Tante Bertha sein. Ich hoffe soviel von der Hülfe des berühmten Augenarztes in Wien für mein armes Mütterchen. Sie ist so lieb und geduldig, und ich kann meine anfänglichen Ungezogenheiten gegen sie, die Du ja leider Gottes aus meinen damaligen Briefen an Dich nur zu gut kennen gelernt hast, niemals ganz gut machen.

»Mein Brüderchen wird täglich reizender. Der kleine Kerl ist zwar erst 17 Monate alt; aber er versteht schon so allerliebst zu plaudern in einem merkwürdigen Mischmasch von Deutsch und Portugiesisch, daß wir alle ganz entzückt von dem lieben Schelmchen sind.

»Heute hörte ich einer einseitigen Unterredung zu, die er mit seinem Lieblingspferdchen »Hotto« führte. »Wenn Hotto bös ist, Hotto nicht mit in »Boba« gehen! ...« Boba ist Europa; das arme Kerlchen freut sich schon mit mir auf die Reise nach Europa, das die alte Nina ihm wie ein Schlaraffenland geschildert hat, und es fragt hundertmal des Tages: »Boba gehen, bitte, Dodo! ...«

»Wenn »Boba« nun auch nicht gerade ein Schlaraffenland ist, so freue ich mich doch außerordentlich, wieder einmal aus dem so gepriesenen Lande der Freiheit in die wohlgeordneten europäischen Zustände zurückzukehren.

»Brasilien ist mir zwar als mein schönes, gesegnetes Heimatland, als das Land, wo meine teuern Eltern der Auferstehung entgegenschlummern, wo ich liebe Freunde gefunden, im tiefsten Herzen lieb und teuer; aber von meinen schwärmerischen Ansichten, als sei alles Licht und Freiheit hier, bin ich schon lange geheilt. Es ist eben nichts vollkommen unter dem Mond und am allerwenigsten

Deine Dolly.«

Mehrere Wochen später sprang Dolly, aus dem Hause der Mme. Saint-Valéry kommend, auf die Trambahn, die aus dem Innern der Stadt in den wunderherrlichen Jardim Publico am Quai da Gloria führt. Seit sie wieder regelmäßig die Malstunden bei Onkel Georges aufgenommen, hatte Dolly sich herzlich an die liebenswürdige Tochter der einstigen Freundin ihrer Mutter angeschlossen, und in dem feinsinnigen und heiteren Kreise des angesehenen Hauses fand sie die ihrer Eigenart und ihrem Alter so nötige Anregung und Zerstreuung.

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Heute am Spätnachmittag sollte sie nach einem Plauderstündchen mit ihrer Mutter und den alten Freunden wieder im Jardim Publico zusammentreffen.

Es war ein ungewöhnlich heißer Tag gewesen – das Ende des Jahres, da die Hitze den Höhepunkt erreicht, stand vor der Thüre, – und wer nicht unbedingt in der Glut der Straßen und Häuser aushalten mußte, hatte sich in den Schatten der öffentlichen Gärten, in den Bereich der kühlen Seeluft geflüchtet.

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Langsam schritt Dolly durch die hohen Palmenhaine, zwischen den in hundertfältiger Farbenpracht leuchtenden Blumenbeeten dahin. Bei jeder Wegbiege sah sie in dem herrlich grünen Rahmen der Bäume und Büsche das blaue Meer im Sonnenschein blitzen, und die Zacken und Schründe des Orgelgebirges geheimnisvoll wie Feenschlösser schimmern, und nie hatte die Heimat so schön geschienen als jetzt, da sie so bald sie verlieren sollte.

Aber mutig unterdrückte sie die Wehmut, die sie beschleichen wollte. »Ich muß für Mütterchen sorgen, – das ist meine Ehrenschuld, und wer weiß? Wenn ich einmal eine so alte Tante geworden bin wie Mademoiselle Virginie, kehre ich zu dir zurück, mein schönes, liebes Vaterland! Und im alten Europa finden wir ja ein zweites Heim bei Tante Bertha, die so sehr nach uns allen verlangt, und meine Hilde lebt da und so manch' andere liebe Freunde ...«

»Dodo, Dodo!« rief da der kleine Paul und stürzte, die alte Nina gewaltsam mit sich ziehend, auf die große Schwester los.

Im Schatten eines dichtbelaubten Lorbeergebüsches auf einem Hügel, der weit über die Bai und die alte Königsstadt Nicterohy ausschaut, saß der Ritter Georges und fächelte als echter galant' uomo die beiden neben ihm sitzenden Damen mit einem riesigen Palmblattfächer.

»Die arme Mama!« dachte Dolly im Näherkommen. »Wie dankbar sie dem Onkel Georges entgegenlächelt, und wie geduldig sie ihr schweres Schicksal trägt! ...«

»Nanna haben, Dodo, bitte, Nanna haben!« unterbrach Paulchen, dem es gar nicht recht war, daß Dolly ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes als auf seine kleine Person richtete, das stille Sinnen der Schwester.

»Wer könnte dir widerstehen, du kleiner Erzschelm!« sagte Dolly, während sie des Kindes Händchen streichelte. »Du sollst eine schöne Banane haben.«

»Nina auch, Nanna!« befahl der kleine Tyrann.

Dolly winkte einem der fliegenden Händler, die mit großen Bambusplatten voll der herrlichsten Früchte des Landes, als Orangen, Pistazien, Guyaven, Pinhas, Bananen und Ananas von einer Gruppe der Spaziergänger zur anderen zogen, und Nina und ihr Schützling durften sich die schönsten goldgelben Früchte aussuchen. Für die Großen aber erstand Dolly die neueste Nummer ihrer Tageszeitung, die arme Kinder mit greller Stimme zum Verkaufe ausboten.

»Wie herrlich kühl ihr hier sitzt auf diesem Gipfel der Glückseligkeit und auf das Jammerthal herabschaut, in dem ich im Schweiße meines Angesichts der Freundschaft gepflegt habe! ...«

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»Uns fehlte zu unserer Glückseligkeit noch die Figur des guten Engels,« erwiderte der Onkel galant auf Dollys Gruß.

»Komplimente von so ritterlich-untadeliger Seite werden dankend angenommen. Jetzt aber werde ich euch mit den Tagesereignissen aus dem zu unseren Füßen liegenden Jammerthal, genannt Rio de Janeiro, bekannt machen.«

Dolly fing an zu lesen, wie sie's alltäglich mehrere Stunden für die liebe Mutter that. Sie wußte mit dem feinen Instinkt, den Mitleid und Liebe eben, bei der Lesung das herauszufinden, was die betrübte Frau interessieren und erheitern konnte. Auf einmal stockte sie, und ein halb unterdrückter Schreckensruf entfuhr ihr.

»Nein, es ist zu schrecklich! Hört nur:

»»Gestern Abend fand man in ihrer Behausung in der Rua Santa Maria de Soledado die schwachsinnige Witwe M. in einem ganz heruntergekommenen, halbverhungerten Zustande. Auf dem Tische lag ein Zettel, den die eigenen Kinder(!) der Unglücklichen zurückgelassen, und worin sie baten, die Hausbewohner möchten sich ihrer Mutter annehmen, da sie nach San Franzisko auswanderten. Die bedauernswerte Mutter, die in früheren Jahren in den aristokratischen Kreisen der Residenz eine Rolle gespielt hat, wurde von den Hausleuten noch in derselben Stunde in das Hospital Espirito Santo gebracht ...«

»Das kann niemand anders sein, als Senhora Morenas, die Mutter von Isabella und Pompeio!« sagte Dolly schaudernd und verbarg wie schutzsuchend ihr Gesichtchen am Arme der Mutter.

Die kleine Gesellschaft saß eine Weile wie versteinert da. Dolly und das alte Fräulein faßten sich zuerst, und vom gleichen Instinkt getrieben, sprangen sie auf und Dolly bat: »Begleiten Sie mich in das Spital, liebe Tante; es muß etwas für die arme Frau geschehen. Du erlaubst doch, Mama?«

»Gott segne dich für deine Liebe, mein Kind!« war die Antwort der Blinden, und der Onkel Georges erklärte sich bereit, Frau Auweiler und das Kind nach Hause zu begleiten, und dann mit dem früheren Vormunde der Geschwister Morenas zu überlegen, wie der Unglücklichen zu helfen sei.

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Zu Dollys unbehaglichem Erstaunen erkannte die Schwachsinnige, die sie doch nur einigemale bei Isabella gesehen, sie sogleich zurück.

»Bist du auch verlassen, Kind des Reichtums?« fragte sie mit hohler, eintöniger Stimme, als sie Dollys Trauerkleidung gewahrte. »Mich haben meine Kinder verlassen. Meine eigenen Kinder! Ich bin aber auch alt und arm und hungrig, und sie sind jung und schön und lieben den Glanz und das gute Leben.« Und leise und geheimnisvoll fuhr sie fort: »Sie sind in das Land gezogen, wo das Gold auf der Straße liegt. Ich konnte nicht mitgehen, ich kann mich nicht bücken, um es aufzulesen ... Nun habe ich keine Kinder mehr: ich bin ganz allein, ganz allein! Nur der Hunger und der Schatten besuchen mich. Aber sie sind nicht glänzend und schön wie meine Kinder; sie sind gräßlich und düster, und ich fürchte mich vor ihnen. Sie nagen mir am Herzen und kriechen in meine Augen und in meinen armen Kopf, und es wird immer dunkler darin, immer dunkler ...!«

Die arme Frau strich mit der zitternden Knochenhand über den in ewigen Zuckungen sich bewegenden Kopf, als wolle sie die schweren, gespenstigen Schatten, die ihn drückten, verjagen.

»So spricht sie den ganzen Tag. In einemfort dasselbe, in einemfort!« flüsterte die Barmherzige Schwester Dolly und der Mademoiselle Virginie zu, die in tiefer Betrübnis an dem Bette der verlassenen Frau standen.

»Lassen Sie sie auf meine Kosten aus diesem allgemeinen Saale in ein besonderes Zimmer betten und auf das beste versorgen, liebe Schwester,« bat Dolly. »Ich werde mit Padre Paulo, der, wie ich weiß, die Familie gekannt hat, sprechen und ihn bitten, die Kranke zu besuchen und zu trösten. Wenn wir beide nicht mehr kommen können, werden Mme. de Saint-Valéry und Stéphanie die Kranke nicht verlassen.«

»Vorab werde ich hingehen,« sagte Mademoiselle Virginie, während sie mit Dolly durch die langen, fliesenbelegten Gänge dem Ausgange zuschritt.

»Aber, Täntchen, ich denke doch, daß ihr mit nach Europa geht?«

»Du scherzest, liebe Dolly!«

»Ja, was sollen wir dann anfangen, und das alte Haus in der Bretagne, wenn es niemals eine Antwort bekommt?« »Die Antwort wird schon kommen, höre nur: In dem alten Hause lebten vier einsame Geschwister. Der Jüngste allein, ein Seeoffizier, war verheiratet. Es war mein Vater. Nach seinem und der Mutter frühem Tode fanden Georges und ich ein Heim in dem alten Hause bei dem Oheim und den drei Tanten. Während Georges im Jugend- und Künstlerdrange in die Welt hinauszog, um sein schönes Talent auszubilden, blieb ich bei den alten Leutchen und durfte sie pflegen und ihnen beistehen in Krankheit und Alter. Georges bekam schon bald, wie du weißt, eine ehrenvolle Anstellung an der Akademie der schönen Künste in Rio. Obschon ich ihn einmal in unserer Jugendzeit dort besucht habe – es war, als er das Leid um deine Mutter hatte – konnte ich doch erst im vergangenen Frühjahre, als die letzte Tante im hohen Alter gestorben war, den lang gehegten Herzenswunsch verwirklichen und ganz zu meinem Bruder ziehen. Meine und der Verwandten Einladung, zu uns in die Bretagne zu kommen, hatte er stets abgelehnt. »Ich habe Freunde hier, denen ich nötiger bin, als ich euch sein könnte; ich habe meine Schülerinnen und meinen Arbeitskreis.« Nun sind wir die Erben des großen, alten Hauses und eines beträchtlichen Vermögens und haben uns entschlossen, nach dem Tode der alten, getreuen Jeanneton das ganze Anwesen in ein Waisenhaus für arme Seemannskinder zu verwandeln. Also wird das alte Haus nicht gar lange mehr auf Antwort warten müssen; der Wind braucht keine Klagelieder mehr in den kalten, öden Schornsteinen zu singen, bald genug werden muntere Rauchringel in die Luft steigen von dem Herde, an dem fröhliche Kinder ihr tägliches Brot finden, und die weiten grünen Gründe an dem rauschenden Strome und unter den alten Bäumen werden wiederhallen von vielen lustigen Kinderstimmen gerade wie in der alten Zeit ...«

»Wie gut sie sind, die alten, schlichten Menschen, wie glücklich sie ihre Umgebung und weite Kreise der Bedürftigen machen, und welch' wahre Freiheit, welch' tiefen Frieden sie genießen!« dachte Dolly, während sie gedankenvoll durch die Rua d'Ajuda nach Hause ging.

»Und Isabella und Pompejus, die stets mit ihrer Freiheit geprahlt und das Glück in schrankenloser Befriedigung ihrer Neigungen gesucht, was war aus ihnen geworden?«

Welke Blätter, vom tödlichen Eishauche selbstverschuldeten Elendes in den Schmutz gewirbelt, verachtet und zertreten, spurlos verloren für die, aus deren Mitte sie hervorgegangen!

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