Hermann Harry Schmitz
Grotesken
Hermann Harry Schmitz

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Die Geschichte mit Jerobeams Daumen

Aus: Professor Mauzfies und andere Tragödien, München 1941

Jerobeam Hubbah, einem garstigen Neger, fehlte der linke Daumen. Dies verdroß ihn sehr, da er leidenschaftlich gerade gern am linken Daumen gelutscht hätte.

In seiner Not ging er zu Jakob Brösel Muhmengraul, der als ziemlich weiser Mann in der Wüste in einer Höhle dicht bei dem Hauptbahnhofe wohnte und sich äußerst selten wusch. Diesem trug er sein Leid vor.

Nachdem Jerobeam geendet hatte, versank Muhmengraul, was besonders charakteristisch für ihn war, in tiefes Sinnen, er starrte auf seinen linken dicken Zeh, der vorne aus dem kaputten Zugstiefel herausguckte und sich im Verhältnis von drei zu acht neckisch auf und ab bewegte. Dann schaute er auf, räusperte sich achtmal und sprach also: »Jerobeam Hubbah! Möher, selke, prahfe, prahfe, prahfe. Gehe in deine Hütte und rufe, wenn die Sonne beginnt zu sinken, diese Worte dreimal, und du wirst einen herrlichen linken Daumen bekommen!«

»Vergelts Gott«, stieß Jerobeam dankerfüllt hervor und schickte sich an, froh des erhaltenen Rates, zurückzueilen in seine Hütte.

»Heda, heda, ich bekomme einszwanzig für meine Bemühung«, hielt ihn Muhmengraul zurück, »dös geht nimma, nimma, ös Bazi, ös Bürschli, ös Nacketer!«

»Ich habe leider meine Börse zu Hause gelassen, ich bin doch, wie Sie sehen, vollständig nackt, wo soll ich da, weiß Gott, die Börse hinstecken«, erwiderte Jerobeam ein wenig kleinlaut. »Ich will Ihnen aber eine Klavierstunde à einszwanzig geben, ich gebe sonst keine unter einsfünfzig«, schlug er nach kurzem Nachdenken dem weisen Manne vor.

»Topp«, stimmte der dem Vorschlage zu, »aber fatal, ich habe kein Klavier in meiner Wohnung, auch die Leute auf der zweiten Etage haben keins, weil die Höhle nur aus Sutteräng besteht. Dumm, dumm! Was ist da zu tun? Halt, ich hab's!« rief er nach außergewöhnlich kurzem Nachdenken aus. »Ich lasse aus dem Waisenhaus um die Ecke zehn Waisenkinder kommen, fünf weiße und fünf schwarze, dann haben wir fünfundneunzig Zehen (einem Kinde fehlte leider Gottes ein Bein, und ein zweites hatte auch Malör am Fuß gehabt), fünfzig weiße und vierunddreißig schwarze Zehen, das sind alleweil unsere Tasten, wir haben so den schönsten Ersatz für die Klaviatur!«

»Höh, höh, höh, haaah, haah, haaah«, lachte Jerobeam sein schönes silberhelles Lachen, »eine gute Idee, eine gottvolle Idee. Man möchte aus der Hose fahren!«

»Leicht gesagt, leicht gesagt«, brummte der Weise vor sich hin, »hast ja keine Hose an, du Ferkel!«

Muhmengraul schickte Frieda eben nach dem Waisenhaus rüber, und bald kamen auch schon zwölf Waisenkinder im Stechschritt auf Muhmengrauls Höhle zu.

»Zwei sind zuviel«, rief Muhmengraul der nahenden Schar entgegen, nahm schnell seinen Flitzebogen und schoß zwei der herzigen Kinderchen mitten auf die Nase, daß sie flugs schreiend davonliefen.

»Das finde ich, offen gesagt, gemein«, konnte sich Jerobeam nicht enthalten, zu bemerken. Er brummte noch etwas Unverständliches in den Bart, obgleich er frisch rasiert war.

Muhmengraul schickte zuerst Frieda weg, Bier holen. »Die Sache muß begossen werden. Wer gut schmiert, der gut fiehrt«, sagte er mit bedächtiger, fettiger Stimme.

Jedes Kind bekam einen hohen Kontorstuhl, der so hoch, wie es eben ging, heraufgeschraubt wurde. Die Stühle wurden nebeneinander aufgestellt. Die nackten Füße mußten die Kinder auf eine lange Bank stellen, und zwar so, daß immer hintereinander drei weiße Zehen und dann wieder zwei schwarze Zehen kamen, genau wie das so auf dem Klavier ist. Die Erfindung Muhmengrauls bewährte sich aufs glänzendste.

Herr Ibach, der im selben Moment von ohngefähr an der Hütte vorbeikam, sagte zu seinem Begleiter Adamund Schauf. »Schau sell an, schau doch den verflixten Muhmengraul nur an. Gotte neh, Gotte neh, möcht mer weiß Gott spreche.«

»Du redest dir einen rechten Mist daher«, entgegnete ihm sein Begleiter übelgelaunt.

Wie gesagt, die Sache mit der Zehenklaviatur ging vorzüglich. Auf den Zehen der Waisenkinder lehrte Jerobeam seinem aufmerksamen Schüler die Fingerstellung und die Anfangsgründe des Klavierspiels. Als sie nun in der Klavierschule von Damm gerade an »Stiefel muß sterben« kamen, schlug die Uhr fünf. Die Stunde war herum.

Jerobeam verabschiedete sich schleunigst und eilte nach Hause.

Sonnenuntergang.

Jetzt war die Stunde gekommen, die Muhmengraul bestimmt hatte zur Vornahme der Beschwörung.

Wie waren nur die Worte, die ihm Muhmengraul genannt hatte? Zu dumm, jetzt hatte er natürlich die Hauptsache vergessen. Kein Wunder, wenn einem immer dazwischen geredet wurde. Pr.... pr.... pr.... pr..... mit p fing es an, das hatte er behalten, pr.. . . pru.... pruhfe! Ja, so hieß das Wort, pruhfe. Daß er darauf nicht sofort gekommen war. Dreimal sollte er es sagen. »Pruhfe, pruhfe, pruhfe –« laut und feierlich klang Jerobeams Stimme in den dämmernden Abend. Schnuck, schnuck, prxxs, prrxxs, ein Ruck in der Hand, und an der linken Hand saß ein Daumen, ein richtiger Daumen.

Aber, Himmel was war das? Ein weißer Daumen! An seiner schwarzen Hand ein weißer Daumen, das war ja einfach unmöglich. Lächerlich würde er sich machen, dafür bedankte er sich schön. Dieser Muhmengraul hatte ihn angeführt. Dieser alte Wajabund. Dem wollte er es aber mal zeigen, einen ehrlichen Neger anzuschmieren. Pfui bah.

Schnell schwang er sich auf eine gerade vorbeikommende Elektrische und war in kurzer Zeit wieder bei Muhmengraul. »Schau her, du Stümpfer, was du kannst«, schrie er dem Weisen entgegen und hielt ihm die Hand mit dem weißen Daumen unter die Nase.

»Es heißt Stümper, ohne f, sprich bitte richtiges Deutsch, du Flegel«, versetzte der Alte gelassen. »Welches Wort hast du gesagt?« Fragend ruhten die Augen des gütigen Mannes auf dem Neger.

»Natürlich, genau wie du gesagt: Pruhfe«, antwortete Jerobeam schnippisch.

»Na, da sieht man es mal wieder so richtig«, brüllte Muhmengraul wütend los: »Pruhfe ist das Zauberwort für weiße Daumen. Das Wort für schwarze Daumen, das ich dir genannt habe, heißt prahfe! Bagasch, hinaus mit dir!«

Erregt ging Muhmengraul in der Höhle auf und ab, blieb dann aber plötzlich vor Jerobeam stehen und boxte ihm mit einer blitzschnellen Handbewegung unter das Kinn.

»Nun ruhen alle Wälder, Vieh, Menschen, Städt' und Felder«, begann Jerobeam mit tiefernster Stimme, mit seinem schönen, ein wenig vor Erregung zitternden Organ, indem er vor Muhmengraul in die Knie sank, die Hände flehend emporgehalten.

»Man kann ihm nicht böse sein«, brummte Muhmengraul, schon halb wieder versöhnt, vor sich hin. »Geh' nach Hause, tunke den Daumen in Tinte, dann wird er ja schwarz, und der Schaden ist geheilt.«

»Dank, edler Vater, würdiger weiser Mann, gütiger heiliger Niklas«, rief Jerobeam schwer atmend aus und rannte, so schnell er konnte, heim. Flugs holte er das Tintenfaß aus dem Schrank links neben der Tür, steckte den Finger hinein und zog ihn schwarz wie Ebenholz hervor. Dann ließ er ihn über der Lampe noch ein wenig trocknen. Kein Mensch hätte sagen können, daß der Daumen jemals weiß gewesen wäre.

»Darauf hätte ich eigentlich auch selbst kommen können«, begann er, »dafür hätte ich nicht extra zu diesem alten Grobian zu laufen brauchen. Was fiel dem überhaupt ein, mich so anzuschnauzen und zu boxen, dieser Lelbeck.«

So murrend, steckte er, ganz in Gedanken, den Daumen in den Mund und begann daran zu lutschen. Wie vom Schlag getroffen, fiel er plötzlich hintenüber, traf mit dem Hinterkopf noch den Kohlenkasten und gab in den Armen des gerade vorbeikommenden Milchmannes Döres Säftling seinen Geist auf; die Tinte war giftig, überaus giftig gewesen.

Der Finger Gottes, wird sofort jeder sagen. Gewiß, so war es auch! –

Die Beerdigung war schön, dagegen läßt sich nichts sagen. Jeder Kutscher bekam ein Paar weiße Handschuhe und drei Mark, nur einer bekam nichts, weil er nicht mit dabei war.

Nur Muhmengraul war nicht bei der Beerdigung. Er sagte, er hätte keine schwarze Hose, aber das war gelogen. Er wollte einfach nicht. Warum? Ja wer weiß das.

 


 


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