Hermann Harry Schmitz
Grotesken
Hermann Harry Schmitz

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O Rom, o Rom!

Aus: Düsseldorfer General-Anzeiger vom 2.4.1911

Auf dem Gymnasium hat man mir, wie so manches andere, auch Rom gründlich verekelt.

Der Mann, der uns Latein und Geschichte gab, hat das besorgt.

Fanatische Archäologen, emsige Architekten und ein praktischer, geschäftstüchtiger Bürgermeister tun fortgesetzt noch ein übriges, um einer sensitiven schönheitshungrigen Seele das heutige Rom vollends ungenießbar zu machen.

Und dann unsere lieben Landsleute.

Die Wunder von Florenz im Herzen, war ich nach Rom geeilt, in gespannter Erwartung auf neue, noch grandiosere Offenbarungen, als wie sie mir am Arno zuteil geworden waren.

Klopfenden Herzens hatte ich im Eisenbahnzuge am Fenster gestanden und hinausgeschaut in die Campagna, und als aus der gelbroten Glut der untergehenden Sonne sich am Horizont die violette Silhouette der Peterskirche abhob, da fühlte ich wohl, wie ein heiliges Schaudern mich durchrann, wie eine große weihevolle Stimmung über mich kam angesichts der ewigen Stadt, unserer germanischen Sonnensehnsucht Ziel von alters her.

Und wie hat mich Rom enttäuscht!

Man soll nach Florenz auf Rom verzichten, oder aber ohne jede Erwartung auf eine außergewöhnliche Sensation an den Tiber kommen.

Ich wünschte, ich wäre in Florenz geblieben und träumte noch den Kindertraum von dem Wunder zu Füßen San Pietros.

Wo waren in Rom die feinen Fluiden, die in Florenz auf Schritt und Tritt auf uns eindrangen, unsere Seelen emporhoben zum Verstehen und Genießen, zum restlosen Erleben jener wunderbaren, schönheitstrunkenen Zeit, die uns in der Stadt der Medici als eine grandiose Hymne auf den Triumph der Schönheit umklangen?

Die Geister des cinque cento leben noch in der Stadt am Arno.

Die Stürme der Jahrhunderte brausten über Florenz, aber la bella siegte, und unverletzt in der jungen Pracht ihres Entstehens wird sie in alle Ewigkeiten den Sieg der Schönheit über die Zeiten künden.

Das alte Florenz lebt noch.

Rom ist der Triumph des Verfalls. Rom ist tot. Die wunderbare Aura des Roms von einst ist zerflattert. Das Rom von heute hat keine Seele, keine Suggestion mehr. Dieser klassische Trümmerhaufen zwischen einer physiognomielosen, modernen Zinsarchitektur, diese Gernegroßstadt, dieser große Friedhof aller Kulturen, dieses zusammenbröckelnde Museum, wie es Zola nennt, dieses Sorgenkind der Konservatoren, diese greatest show of Italy hat unserer Seele nichts zu sagen.

Wie viele junge Künstler pilgern alljährlich nach Rom, um des Wunders willen, um sich zu finden. Und wie viele verlieren sich dort. Rom ist für einen Künstler, dessen Persönlichkeit nicht fest steht wie eine Säule aus Bronze, eine enorme Gefahr.

Ich habe Pech gehabt mit Rom und hatte so an Rom geglaubt. –

Da hatte mir im Zuge ein Mann gegenübergesessen, von dem ich, völlig mit mir und meinen gehobenen Gedanken beschäftigt, lange keine Notiz genommen hatte. Ein unangenehmes zischendes Geräusch hatte mich dann endlich auf mein Gegenüber aufmerksam gemacht. Der Mann hatte einen blonden Vollbart, reichlich mit Frühstücksei garniert, trug einen weichen Filzhut, Jägerhemd mit treuer Troddel am Hals heraus, einen mit Litze eingefaßten Kammgarngehrockanzug, fröhlich ausgelatschte Zugstiefel, über die herzliebe, graue, zweimal rechts und links gestrickte Socken hingen. Das zischende Geräusch, was mich aus meinem Sinnen aufgeschreckt hatte, brachte er durch Lutschen an einem Federkielzahnstocher hervor, den er von Zeit zu Zeit nach intensivem Rumbohren zwischen seinen grünen Zähnen interessiert zu beschauen pflegte.

Das liebe Spiel mit dem Zahnstocher mißfiel mir sehr, und ich schaute indigniert den blonden Mann an.

Der Erfolg war der, daß der Mann sich plötzlich erhob, die Knie und die Brust durchdrückte, den Hut schwenkte, sein Gesicht in beängstigender Weise dem meinigen näherte und unter verschwenderischer Beigabe von feuchtem Gespritz mit sonorem, heroischem Organ sagte: »Doktor Hadubrand Turnreck. Hadubrand Turnreck aus Iserlohn!«

Was blieb mir als wohlerzogenem Menschen anderes übrig, als mich ebenfalls vorzustellen.

Glücklicherweise war Rom bald erreicht, aber trotzdem hatte es Turnreck in der kurzen Zeit vermocht, meinem Romenthusiasmus den ersten Stoß zu versetzen.

»Mein lieber junger Freund (er schlug mir dabei auf die Schulter, daß die linke Niere losging und polternd in die Bauchhöhle fiel), lassen wir uns die erfreuliche und gleicherweise erhebende Tatsache vergegenwärtigen, daß wir einer großen Stunde entgegengehen: wir werden binnen kurzem jene Stadt betreten, die a) in dem denkwürdigen Jahre 753 vor Christi Geburt gegründet wurde, b) von jenen außergewöhnlichen Menschen bewohnt wurde, die schon in ihrer frühesten Jugend das wunderbare Wörtchen ut richtig mit dem Konjunktiv konstruierten.«

Dieser gräßliche Mensch beschwor entsetzliche Bilder vor meinen Augen: Erinnerungen an meine Schulzeit.

Hier haben also die Leute gewohnt, die nicht eher geruht hatten, bis sie die verschiedenen punischen Kriege am Hals hatten, mit denen wir so gequält worden waren, die Kaiser auf Kaiser verschlissen haben, damit wir uns mit den Namen und den Jahreszahlen abmühen konnten. Alles scheußliche Erinnerungen.

Was ging mich ut mit dem Konjunktiv heute an. Ich hatte dieserhalb genügend Ohrfeigen und Arreststunden, als ich auf dem Gymnasium saß, bekommen. Davon wollte ich heute nichts mehr hören. Ich wollte Rom erleben.

Nach vieler Mühe war ich in Rom am Bahnhof in dem Gewirr von Gepäckträgern und Kutschern (alles äußerst liebe Menschen, die einen mit dem gutmütigsten, treuherzigsten Augenaufschlag übers Ohr hauen), endlich Hadubrand Turnreck aus Iserlohn, der für eine Verbrüderung während des gemeinsamen Aufenthaltes in Rom propagandierte, entwischt und saß glücklich in einer Droschke.

Von dem Gefühl des Pilgers, endlich nach langer Lebensfahrt sein Mekka erreicht zu haben, verspürte ich nichts.

Rasselnd ging es durch den von dem Lärm der Autos und Trambahnen angefüllten Tunnel an der Via Milano, der unter den Gärten des Quirinals her in das Herz von Rom führt. Lasciate ogni speranza. Lasset alle Hoffnung hinter euch, sollte über dem Eingang stehen, denn der Rest von Erhebung, der einem noch nach dem Kampf mit den Horden von Fakinos geblieben ist, wird in diesem Tunnel unbedingt erschlagen.

Schulstubenluft kroch mir in die Nase.

Ut mit dem Konjunktiv. Wie waren die Regeln darüber in der Grammatik von Ellendt-Seyffert? nagte es in mir. Dieser verfluchte Mensch aus Iserlohn!

»Ecco i thermi Diocletiani«, riß mich der Kutscher aus meinem Grübeln und wies mit der Peitsche auf das berühmte Bauwerk.

Diokletian! Wann hatte der regiert? war mein erster Gedanke. Päng, päng, glaubte ich schon ein paar Ohrfeigen auf meiner Backe zu fühlen und die Stimme meines früheren Ordinarius zu vernehmen: Pursche, Pursche, wüdder nücht präpariert. Wüdder Narreteidinge getrieben, wörde dir helfen, Pursche!«

Ich wurde immer mehr von der fixen Idee besessen, im nächsten Augenblick das Gesicht meines früheren Lehrers vor mir auftauchen zu sehen, der uns höhnisch grinsend seine Ohrfeigen zu versetzen pflegte.

Die römischen Kaiser! Gott, ich brachte keine drei mehr mit den Jahreszahlen zusammen.

Und immer wieder klang wie von ferne die Stimme des Kutschers an mein Ohr, der nicht müde wurde, die Sehenswürdigkeiten, an denen wir vorbeifuhren und die immer im Zusammenhang standen mit einem Kaiser oder einem Namen, von dem ich auch nicht das geringste mehr wußte, aufzuzählen.

Das war eine entsetzliche Fahrt, und ich fühlte mich erst einigermaßen geborgen, als ich die Decke über den Kopf gezogen im Hotel im Bett lag. Die Hoffnung gab mir endlich einigen Trost, daß wohl ein neuer Tag mir das tiefe Geheimnis der Tiberstadt enthüllen und erfassen lehren würde.

Von der Höhe der Peterskirche wollte ich auf Rom hinunterschauen.

Mit ziemlicher, ein wenig forcierter Andacht war ich hinübergepilgert zu dem Wunderbau Bramantes, hatte mich, ein unerwünschter Auftakt, am Tiber über die verfehlten Brücken und die geschmacklosen Uferanlagen geärgert, war sofort nach Betreten des Doms in den Bann dieser gigantischen Säulen und Wölbungen geraten, hatte den wunderbaren Sphärengesang des Knabenchores auf mich wirken lassen und war dann weltentrückt, in erhabener Weihestimmung nach oben auf die Kuppel gestiegen.

Meine Seele war bereit zur rastlosen Hingabe an diesen großen Augenblick, aus blauen Höhen hinabzuschauen auf die vielgepriesene Stadt.

Selbst die fortwährenden Trinkgeldanzapfungen der überall an jedem Treppenabsatz aufgestellten Aufseher vermochten nicht, meine schönen, lauteren Seelenschwingungen zu erschüttern.

Es hatte mich wirklich gepackt, als ich die äußere Galerie der Kuppel betrat, vor dem grandiosen Bild, das sich mir bot. Ich hatte hineingelauscht in das Häusermeer unter mir, und es wollte mich bedünken, als vernähme ich die göttlichen Klänge Beethovenscher Musik.

»Und das will ich Ihnen sagen, wenn mich das interessiert, wieviele Statuen an der Peterskirche angebracht sind, so sehe ich das nach. Das geht Sie absolut nichts an. Und das will ich Ihnen sagen, das ist das letzte Mal, daß ich mit Ihnen reise.«

Wie eine schrille Dissonanz riß mich eine keifende Stimme aus meinen Träumen.

Ich schaute mich wütend um.

Hinter mir standen zwei weibliche Geschöpfe, die eine im ausgefransten Eigenkleid, der unglückliche, geschmacklose Typ eines Reformweibes mit einem dicken Lexikonband in der Hand, die andere das Urbild einer deutschen Kleinstädterin (etwa aus Sangershausen oder Detmold oder so ähnlich) in grauem Staubmantel, umgehangenem Ledertäschchen, verbeultem Reisehut mit wehendem Schleier, Regenschirm mit Elfenbeinkrücke und einem Schinkenbrot in der Hand.

»Meinen Sie denn, ich würde noch mal mit Ihnen reisen?« versetzte die in dem Staubmantel auf die Bemerkung des Reformweibes, »außerdem haben Sie mir noch nicht das Geld für den Gulasch von gestern abend wiedergegeben!« fügte sie mit wutverzerrter Stimme als besonderen Triumph hinzu.

»So, den Gulasch! Wer hat die Droschke eben bezahlt? Hä? – Wer hat gestern die Ansichtskarten bezahlt? Lassen Sie mich ungeschoren mit dem Gulasch!« bekam sie prompt zur Antwort.

Mir aber grauste es, eine Säule barst in mir, und ich stieg wankend nach unten.

Und als ich am gleichen Tage versuchte, wieder zu genesen von diesem schrecklichen Intermezzo und mich vor die herrlichen Fresken von Boticelli in der Sixtinischen Kapelle, für die ich übrigens das ganze Rom hingeben würde, geflüchtet hatte, füllte urplötzlich das Gekeif dieser unglücklichen Wesen den geheiligten Raum.

»Und Sie haben meinen Schirm in der Elektrischen stehen lassen«, schimpfte die mit dem Eigenkleid, »mit Ihnen ist es wirklich kein Vergnügen, zu reisen. Außerdem haben Sie mir das Geld für das Wurstbrot in Florenz auch nicht wiedergegeben!«

»Was, das Wurstbrot, die paar Pfennige! Dafür haben Sie immer meine Freimarken benutzt!« war die giftige Antwort.

Armer Boticelli.

Ich floh mit Grausen und habe mich mit einem lieben Menschen, einem Düsseldorfer Maler, dem ich, als ich verzweifelt aus der Sixtina herausstürzte, in die Hände lief und der mir die einzige angenehme Erinnerung an Rom ist, in einer dunklen Osteria furchtbar betrunken.

»Wissen Sie, Hermann Harry, nehmen Sie Rom nicht als Erlebnis, als letzte Offenbarung. Nehmen Sie Rom als Museum und erfreuen sich am Detail.«

Und am folgenden Tag sind wir aufs Forum gegangen. Da trafen wir den Doktor Hadubrand Turnreck, und er hat uns alle Säulen und jeden Mörtelbrocken erklärt und hat gesagt, der Ablativus absolutus sei doch etwas Fabelhaftes.

Ich habe nur an Ohrfeigen gedacht und verständnislos all die Steinbrocken angestiert und zur Erholung die langweilige Rückwand des Senatspalastes angeschaut und die grauen Mietskasernen, die das Forum einfassen. Und als ich dann von weitem die beiden entsetzlichen deutschen Damen vom Petersdom auftauchen sah, habe ich meinen Freund unter den Armen gepackt, und wir sind in großen Sprüngen zur Verwunderung Doktor Hadubrand Turnrecks geflüchtet, dem eine gute Regel über cum im Halse stecken blieb.

Und am Abend haben wir im Gambrinus gesessen, wo sich die Germanen mit der Romsehnsucht zu treffen pflegen, und inmitten eines Kreises gleichgesinnter Jägerhemdler saß unser Doktor aus Iserlohn und schimpfte auf die schlechten italienischen Zigarren und auf das Bier, und daß er schon wieder falsche Lirestücke bekommen habe, und daß sein Koffer aus Versehen nach Brindisi gegangen sei, und als sie alle schon aufstoßen mußten, umschlangen sich die deutschen Männer stehend und sangen »Deutschland, Deutschland über alles«.

Wir aber sind in die Nacht hinausgegangen und haben uns im Kintop den Film angesehen: Lehmann kauft sich ein Rad!

O Rom, o Rom!

 


 


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