Maximilian Schmidt
Der Tranklsimmet
Maximilian Schmidt

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V.

Als die alte Traudl am anderm Morgen dem Sieberer die »Kaffeesuppen« hinstellte, blieb sie vor ihm stehen und sah ihm lange ins Gesicht.

»Was schaugst mi denn so an?« fragte der Bauer.

»Is Enk ge nit guat?« fragte die Wirtschafterin dagegen. »Oes kömmt's mir heunt woltern seltsam vür.«

»Was dir nit einfallt!« rief der Bauer. »I bin alleweil hechteng'sund und munter, und morg'n sollst es scho' erfahrn, wie wohl mir is.«

Die Alte entfernte sich kopfschüttelnd. Der Bauer aber machte sich mit großem Appetit über sein Frühstück her. Aber der Kaffee wollte ihm heute nicht wie sonst munden. Er hatte ihn schon zu wiederholten Malen gezuckert, doch das Getränk blieb »hanti und abscheuli«.

Deshalb rief er Traudl in die Stube.

»Was is denn dös heunt für a Brüah?« fragte er. »Dös is a Luadag'süf!«

»Is wie alle Tag,« gab die Alte zurück; »grad hon i 'n frisch g'macht, und 'n Hansl, der bereits marschaus is, hat er g'schmeckt.«

»Nacha woaß i nit, was i heunt für an' G'schmack hon,« versetzte der Sieberer. »Da, i mag koan mehr, i kend (zünd) ma liaba a Pfeiferl an!«

Er hatte aber aus seiner Ulmerpfeife kaum ein paar Züge gethan, so fing er zu husten und zu riechen an.

»Ja, was is denn dös für a Malefiztubak!« rief er.

237 »Den's halt alleweil raucht's,« erklärte Traudl. »Ja, ja, Enk fehlts heunt in dö Sinn – es is Enk nit so, wie 's Enk sei' soll; i hon's glei kennt. Legt's Enk liaba no'mal nieder, Bauer, sunst kaannt's mit 'n Schiaßet heunt in Tölz nix wern.«

Der Sieberer war völlig erschrocken.

»Werd i dengerst nit krank wern?« sagte er verzagt.

»Mei', es is halt so a Uebergangl,« meinte die alte Traudl. »Seid's ja aa koa' heuriger Haas mehr und sit etli Wocha kemmt's ma vür, als wenn's a bißl stürmisch zuagang in Enkan Geblüat.«

»So?« fragte der Sieberer verdutzt. »Hast was gmirkt? Ja, no', es is freili was in Werk – morg'n sollst es hörn. I vermoan aber, du hast es eh scho' dalust und hast es 'n Hansl wissen lassen. Aber dös G'schmackl vom Kaffee und von dem Tubak bring i nimma von da Zunga und inawendi is's ma ganz grausli.«

»I leget mi ins Bett und schwitzet, daß 's bis aaf Namittag wieder gsund awi kinnts aaf Tölz.«

Der Sieberer fand diesen Vorschlag für sehr gescheit. Wenige Minuten später lag er zu Bett, und Traudl sorgte, daß er, mit drei riesigen Bettdecken beschwert, gehörig in Schweiß kam. Später überkam ihn der Schlaf und längst war es Mittag vorüber, als er erwachte.

Das aufgewärmte Mittagessen mundete dem Bauern wieder nicht sonderlich; Traudl hatte schon dafür gesorgt, daß weder Salz noch Gewürz daran war, und der Sieberer stand hungrig und mißvergnügt auf.

Hansl, hieß es, sei gleich nach dem Essen in den Markt hinab gegangen und wollte den Vater auf der Schießstätte erwarten.

238 Dieses Wort elektrisierte den Alten wieder.

»Gehn ma zum Schiaßets!« sagte er. »An' etli Maßln frisch's Bier und a zünftige Schußlisten macha mi glei wieder gsund.«

Er war mit der Kugelbüchse über der Schulter soeben im Begriffe, seinen Hof zu verlassen, als die Urtzenkasparin zur Thüre hereinkam. Sie war ein noch hübsches Weib in Mitte der Vierziger, das grüne Tölzerhütl stand ihr vortrefflich, und herausstaffiert war sie, wie eine Docke. Ihre großen, schwarzen Augen konnten sehr anziehend sein, jetzt aber blickte sie wild darein und in ziemlich barschem Tone sagte sie zum Sieberer:

»Bleib, i hon unter vier Augn mit dir z' red'n!«

Der Sieberer hieß die alte Traudl ins Wirtshaus gehen, um ein Glas Bier zu holen, und als er mit der Urtzerin allein war, fragte er, was denn vorgefallen sei.

Die Urtzerin setzte sich und fing mit vieler Entrüstung ihre Rede an:

»Denk dir nur, dei' Hansl hat gestern dö Zwieselalm bsuacht und hat da mei' Nannei so runterg'setzt, daß 's Deandl 'n ganzen Tag gflennt hat. Nix hat eam taugt, wie's d' es du angfriemt hast, mit da Läutkuah hat's wechseln müassen, kurz, er soll's grausam sekkiert hab'n, sagt da Tranklsimmet.«

»Was d' sagst!« erwiderte überrascht der Bauer. »Mir hat da Hansl g'sagt, er war mit all'm aaf da Alm wohl z'frieden. So viel is g'wiß, er verwoaß unsern Heiratsplan, und daß eam der nit so recht taugt, dessell laßt si denka.«

»Dernthalben braucht er aber nit so grob z'sei' mit mein' Nannei,« versetzte die Witwe. »I bin kemma, um di aufz'fordern, daß d' eam 'n Standpunkt klar machst. 239 I leid's nit, daß mei' Dirndl drunta leid't, wenn wir a Paar wern.«

»Gieb di!« beschwichtigte der Sieberer, »es wird alles recht wern. Glei morgn nach 'n Stuhlfest schaug i mi um, wie wir 'n Hansl auf guate Art a Zeitlang furtbraachten, auf daß ma da alloa' san.«

Die letzten Worte sagte er mit einem so verliebten Blicke, daß die gereizte Witwe plötzlich freundlicher dreinschaute und jetzt sogar teilnahmsvoll fragte:

»Du siehgst heunt so rot aus, liaba Sieberer; is da ebba nit guat?«

»O, i bin hechtengsund,« sagte der Bauer eilig. »A weng gschwitzt hon i, weil ma d' Kaffeesuppen und da Tubak nit gschmeckt hat, aber iatz feit si nix mehr.«

»No', nacha is 's scho' recht!« versetzte die Witwe zärtlich.

In diesem Augenblick kam die alte Traudl mit dem Bier zurück und nachdem die Urtzerin einige Male getrunken, empfahl sie sich.

»Morg'n um zehne beim Pfarra,« sagte sie beim Abgehen leise, aber bedeutungsvoll zum Bauer.

»Feit si nix!« entgegnete dieser ebenso, indem er ihr verständnisvoll, und mit dem ganzen Gesichte lachend die Hand drückte.

Gleich darauf schritt er nach Tölz hinab, aber doch nicht in sonstiger froher Laune, wenn es dem Schießplatze zuging. Es ärgerte ihn, daß sein Hans dem Nannei so unwirsch begegnet, und das ungewohnte Transspirieren hatte ihn auch etwas ermüdet. Doch vergaß er, bei dem Scheibenstande angelangt, bald alles.

240 Da knallte es bereits lustig und herrschte das gewohnte frohe Treiben der wackern Oberländerschützen. Der alte Kamerad ward allseitig begrüßt, er war einer der besten Scheibenschützen und als solcher bei jedermann wohl angesehen.

Aber heute hatte er mit den ersten Schüssen wenig Glück. Er traf niemals ins Schwarze und verwundert zeigte der rotjackige Zieler jedesmal einen Schuß ins Weiße auf.

»Rechtsschuß, alleweil Rechtsschuß!« sagte der Sieberer ärgerlich, »i begreif gar nit, was dös is?« Und zum dritten Male lud er seinen Stutzen.

Da sagte sein alter Freund, der Jaudenbauer von Wackersberg, der soeben einen Vierer geschossen, zu ihm:

»Sieberer, dir feit heunt ebbas, i hon's wohl dakennt; du hast koan ruhin Anschlag heunt, siehgst aa sunst nit am besten aus. I gaang an deina Stell liaba hoam; ma woaß's oft nit, ob nit a hitzige Kranket im Anzug is. Woaßt, wir san koa' Heurige mehr – folg ma, i moan's guat mit dir.«

Der Sieberer sah den Jaudennachbar groß an.

»Werd i dengerst koa' Kranket in mir hab'n?« sagte er. »Siehg i wirkli nit guat aus?«

»Du gfallst mir nit recht heunt,« erwiderte der Nachbar. »Geh hoam, i rat dir's guat, sunsten kunnt's sei', daß 's di auf etli Wochen ins Bett reißt.«

»Dös waar dös Wahre!« rief der Sieberer.

Er dachte an das morgige Stuhlfest und an seine Hochzeit.

»Zum Krankwern giebt's iatz koa' Zeit!« sagte er dann. »Hast recht, ich will vürsorgn, i geh hoam, i druck 241 mi seitwärts furt, daß i nit lang gfragt wer. Pfüat di Gott!«

»I wünsch dir guate Besserung!« versetzte der Jauden mit scheinbar besorgter Miene.

»I dank dir,« sagte der Sieberer und schlich sich mit sehr unbehaglichem Gefühle von der Schießstätte weg. Er vermied es, über den Hauptplatz des Marktes zu gehen, und suchte auf Seitenwegen zur Isarbrücke zu gelangen.

Da lehnte sein anderer Wackersberger Nachbar, der Lerchenbauermelcher, am Geländer und sah anscheinend dem lustig daherfließenden Wasser zu. Doch hatte er rasch den zur Brücke kommenden Sieberer bemerkt.

»Grüaß di Gott, Nachba!« rief er ihm zu. »Ja, wie siehgst denn du aus? Dir is nit guat, gelt?«

»Kennst ma's an?« fragte der Sieberer, in der That die Farbe wechselnd. »Mei' ja, es is mir heunt nit, wie's mir sein soll, drum druck i mi hoamzun.«

»Ja, ja, dessell wird dös best sei',« pflichtete Melcher bei; »heuntin Tags hat ma glei ebbas. Denk nur an Schleglbauer in Saxenkam draus. Vor acht Tag is er no' hechtengsund gwen und gestern hams 'n eingrabn. I wünsch dir a guate Besserung, Sieberer.«

»Gelt's Gott!« erwiderte dieser und wankte schwerfälligen Trittes von dannen. Der Schleglbauer von Saxenkam verursachte ihm ein leises Frösteln. Es war ihm, als käme ihm das Atmen schwerer an, als läge Blei in seinen Gliedern.

So schritt er sehr verstimmt den Wiesensteig hinan gegen sein Dorf zu. Da kam ihm auf der Mitte des Hanges eine Wackersberger Bäuerin entgegen.

»Ja, Sieberer, was hat's denn geb'n?« rief diese 242 schon von weitem. »Du siehgst ja ganz kaasweiß aus. Jeß, Jeß! Du bist krank!«

»I moans selm,« entgegnete der Sieberer. »I wollt, i waar dahoamt, i vermoan, i kann's nimmer damacha.«

»Häng di in mein' Arm ein,« sagte die Bäuerin, »da gehst di nacha leichta.« Damit legte sie des Bauers Arm in den ihrigen und zog ihn vorwärts. Der Bauer ließ es geschehen. Er fühlte sich sterbenskrank. Und hätte er noch daran gezweifelt, die Bäuerin würde ihn noch völlig krank geschwätzt haben.

Vor seinem Hofe angekommen, nahm ihn die alte Traudl im Empfang. Sie jammerte laut über seinen Zustand.

»Ins Bett, ins Bett!« sagte der Sieberer fast weinend. »Traudl, i bin krank!«

»Setzt's Enk auf d' Ofenbank,« versetzte die Alte, »i hon eing'hoazt; leicht, daß Enk dö Wärm guat thuat, und grad vorhin hon i 'n Tranklsimmet beim Nachba obn gsehgn, i hol'n glei – der hilft Enk scho'!«

»Ja, ja,« sagte der Bauer, sich auf die Ofenbank niedersetzend, »den holst ohne Verzug.«

Die Alte brachte eine dicke Pferdedecke herbei und legte sie ihm über die Füße, dann warf sie noch einige Holzscheiter in den Ofen, so daß bei dem ohnedies warmen Herbstwetter eine greuliche Hitze in der Stube entstand, und eilte dann fort, den Quacksalber zu holen.

Dieser trat alsbald bei dem Kranken ein.

»Simmet,« rief ihm der Bauer entgegen, »hilf ma', i bitt di um Gotteswilln, hilf ma! Mir is recht letz!«

Der Tranklsimmet nahm seine Brille aus dem Futteral und befestigte sie auf der Nase, dann setzte er sich vor den 243 Kranken und fühlte ihm den Puls. Des Bauern Blick hing an dem Gesichte des Pfuschers. Endlich sagte derselbe mit wichtiger Miene:

»Bauer, da feit's weit!«

»Wer i dengerst nit sterb'n müssen!« preßte es dem Patienten heraus.

»Da feit's weit!« sagte jener wieder und legte sein Ohr an das Herz des Bauers. »Dös Uebel sitzt im Herzen.«

»Im Herzen? O weh!«

»Hm, hm, hm!« machte der Quacksalber; »so a Fall is mir scho' amal vürkemma und i wollt wetten, dös gleiche is bei Enk die Ursach. Traudl laß uns alloa, i muaß unter vier Aug'n mit 'n Bauern was red'n.«

Traudl verließ kopfschüttelnd das Zimmer.

»Also was moanst?« fragte der Sieberer in jämmerlichem Tone.

»I moan, und i werd mi nit irr'n, daß's Enka Herz überanstrengt habt's – is's ebba gar, daß 's Enk in Enkere alten Tag no' verliabt habt's?«

Der Bauer wagte nicht sofort eine Antwort, endlich aber sprach er doch etwas kleinlaut:

»Ja, ja, so is's!«

»No', da ham ma's!« rief der Quacksalber. »Kann an' alter, ausg'musterter Gaul no' ziagn, wia r a jung's, kräftig's Roß? Na', sag i. Kann an' alta Jaga no' so flüchti die Gamsein nach, wia r a frischa, junga? Na', sag i. Und moant's denn, an' alt's Herz kann no' dieselben Sprüng machen, wia r a jung's? Moant's, an' alt's Herz därf ma' no' ung'straft strapleziern? Da schwind 's Leb'n aus 'n Herzen, wie da Butter in der Sunn und 244 wenn ma nit z' rechta Zeit dem Uebel Einhalt thuat, nacha hoaßt's: Tralarum!«

»Tralarum?« seufzte der Bauer.

»Ja, tralarum! I will Enk was sag'n, Bauer, da hon i a Tegerl voll ganz a extrigs Säubl.«

Der Simmet nahm aus seiner Tasche die erwähnte Salbe und hielt sie dem Kranken hin.

»Mit dem Säubl schmiert's Enk die ganze linke Seiten ein, so viel verschreib i Enk für auswendi, aber für einawenda giebt's nur an' oanzigs Mittel, dös hilft und wenn's dös nit thuat's, so – no' so – weiter sag i nix.«

»Was is dös für a Mittel? Mei', i thua ja alles, wenn i nur grad nit sterben därf.«

»Dös einawendige Mittel is, daß 's allsofort Enka Liab aufgebt's und kaam's Enk no' so hart an.«

»Dös kann nit sei'!« wehrte der Kranke. »I hon morg'n mit der Urtzenkasparin 's Stuhlfest, i hon ihr d' Heirat versprocha und dös is nimmer rückgängli z' macha.«

»Nacha gieb i Enk auf!« rief der Quacksalber. »I möcht nit in Enkera Haut stecken.«

»Probier'n ma's z'erst auswendi,« meinte der Bauer.

Die Ofenhitze hatte ihm bereits so heiß gemacht, daß ihm ganz ängstlich wurde.

»Nur nit sterb'n, nur nit sterb'n!« wimmerte er.

»I wißt an' Aushilf,« sagte jetzt der Quacksalber mit schelmischer Miene. »Oes fürcht's Enk vor der Urtzenkasparin, daß 's Enk klagt, wenn 's ihr 'n Vospruch nit halt's. Wißt's was? Verheirat's Enkan Hansl mit der Urtzerin ihrer Nannei. So werd's d' Urtzerin los und 's Schwinden von Enkan Herzen hört auf der Stell auf. Oes werd's wieder hechteng'sund und – da heili Geist 245 hat mir den Rat eingeb'n, es giebt koan bessern, Bauer. Folgt's ma, es handelt si um Enker Leb'n«

Wieder horchte er am Herzen des Patienten und sagte kopfschüttelnd:

»Dös Schwinden wird allweil gaacher – es is die höchst' Zeit, daß 's g'stillt wird.«

Der Sieberer fühlte Todesängsten. Immer ward ihm heißer, er glaubte, der Kopf müsse ihm zerspringen und das Atmen fiel ihm von Minute zu Minute schwerer. Jetzt schon sterben müssen, das war ein schrecklicher Gedanke. Er lebte ja so gern und – dem Leben zu Liebe konnte er wohl ein Opfer bringen.

»Simmet,« sagte er, »wenn i aa nach dein' Will'n thaat, mei' Hansl kann ja 's Nannei gar nit leiden, der bringt mir z' Liab dös Opfer nit.«

»Er bringt's!« rief der Quacksalber. »Es is sei' verdammte Pflicht und Schuldigkeit. Da soll er iatz zoagn, ob er a g'horsamer Suhn is, dem am Leb'n von sein' Vatan ebbas liegt. Hoaßt's 'n eina in d' Stub'n, i hör 'n eh draußen, bitt's nit lang, sundern befehlt's. Zoagt's eam Enkan Will'n! I steh Enk guat dafür, er nimmt's 's Nannei. Oes saads von der Urtzerin frei und 's Schwinden hört si auf.«

»No', so in Gottsnam, hol 'n eina!« sagte der Bauer seufzend. »Du wirst aber sehgn, er thuat's nit.«

Der Quacksalber eilte zur Thüre hinaus und kam gleich darauf wieder mit Hans herein, indem er rief:

»Da Hansl is von all'n unterricht. Wie i r g'sagt hon, er thuat nach Enkam Will'n, er nimmt 's Nannei zur Hochzeiterin.«

»Is's wahr?« fragte der Alte.

246 »Wenn Enka G'sundheit und Leb'n davon abhängt, Vata, so soll's a Wort sei! 's Nannei is eh draus auf der Gred bei der Traudl, soll i's einafensterln?«

»Fensterl's eina!« erwiderte der Sieberer mit matter Stimme, aber doch leichter atmend.

Hans ging, das Mädchen herein zu winken.

»Es geht besser, als i denkt hon,« sagte der Quacksalber vergnügt und verschmitzt zu dem Bauer.

»Es wird mir scho' ums Kenna besser,« versicherte dieser, und der Tranklsimmet rieb sich vergnügt die Hände.

Jetzt kam Hans mit Nannei herein. Das freudestrahlende Gesicht der beiden jungen Leute wirkte auf den Kranken wie ein heiterer Sonnenstrahl, aber ehe er noch ein Wort zu ihnen sprechen konnte, erschien in der offenen Thüre das erregte Gesicht der Urtzerin, welches den Kranken wieder schwerer atmen machte.

»Sieberer, is's wahr, bist load?« rief sie besorgt aus. Die alte Traudl war ihr in die Stube gefolgt.

»Es geht mir wieder besser,« beteuerte der Bauer, »und es is guat, daß du aa da bist, Urtzerin, und daß d' es glei hörst. Mei' Hans will dei' Dirndl hab'n und i hon nix dagegn und gieb enk hiermit in Vospruch. Werd's glückli!«

Damit legte er die Hände der beiden jungen Leute ineinander, die ihn glückselig umhalsten und ihm dankten.

»Aber Sieberer,« rief die Urtzerin, »denkst denn gar nit an unser Sach?«

»Ja no',« entgegnete der Bauer, »'s Nannei wird halt statt meina Stieftochter mei' Schwiegertochter und da Hans statt dei' Stiefsohn dei' Schwiegersohn – moanst nit, daß 's a so g'scheita is? Schau 's an, alle zwoa – 247 i vomoan schier, dö ham so was scho' länger im Kopf g'habt.«

»So is's aa!« sagte Hansl jetzt aufrichtig. »Nur dös oane is heunt wahr, daß i und 's Nannei uns gern ham fürs Leb'n; alles andere is verlog'n, so aa dei' ganze Kranket, Vata.«

Der Quacksalber stieß ihn mit dem Ellenbogen.

»Wer sagt Enk denn, daß der Bauer no' krank is? I find', daß sei' Herzschlag völli in Ordnung is, und 's Aussehgn is aa richti.«

»Hat 's Herzschwinden scho' nachlassen?« fragte ihn der Bauer leise.

»Aus is's!« sagte der Tranklsimmet.

»Nacha Viktoria!« rief der Sieberer, sprang auf, und warf die Decke von sich. »Jatz genga ma nur glei ins Wirtshaus und trink ma auf den Schrecka an' Tiroler, der macht mi wieder völli gsund.«

Und so war es auch. Die Urtzerin gab sich angesichts des Glückes ihrer Tochter auch zufrieden und nach sechs Wochen gingen statt der Alten die Jungen zum Traualtar.

Der Tranklsimmet war von dem Brautpaar mit einem nagelneuen Festanzug beschenkt und als Hochzeitsgast geladen worden. Daß ihm die ausbedungenen drei Küsse von Nannei redlich und gern ausgefolgt wurden, ist selbstverständlich, und der alte Quacksalber meinte, es wäre Pflicht eines jeden ordentlichen Christen, sich darüber nicht erst im Alter, sondern im Lanks (Lenz) des Lebens das richtige Urteil zu verschaffen.

»I siehgs z' spät ein,« sagte er, »wer so oa'spanni dahin lebt aaf da Welt, der lebt nur halbet. Aber was nutzt mi d' Reu – i bleib an' oa'schichtiger Tropf!«

248 Während des fröhlichen Hochzeitsmahles entdeckte er dem glücklichen Siebererbauern die ganze Geschichte seiner Krankheit. Der Sieberer war anfangs verblüfft, sagte aber, die Sache von der heiteren Seite nehmend:

»Du bist ja dengerst a rechta Spitzbua! Hon i alleweil glaubt, ös Doktapack seids nur aaf da Welt, um d' Leut gsund z' macha!«

»O, wir machas aa zur rechta Zeit krank!« entgegnete der Tranklsimmet. »Verzeiht's den Gspoaß und verkehrt's mi nit, falls Enk wieder amal ebbas feihln sollt.«

»Na', na',« entgegnete der Sieberer, »i glaub iatz an koa' Herzschwinden mehr, und sunsten bin i und bleib i aa, so Gott will, hechtengsund.«

Hansl, welcher mit seinem Bräutchen dem Zwiegespräch vergnügt zugehört, ergriff jetzt das Weinglas und rief: »Auf mein' Vatan sei' Wohl! Vivat, er lebe hoch!«

Alles stimmte freudig in den Ruf mit ein. Dem tiefgerührten Sieberer rannen die Thränen über die Wangen, er fühlte in seinem Herzen eine lebhafte Bewegung, aber es war kein Schwinden, sondern lautere Freude, die ihn nicht nur in jener Stunde über das Glück des jungen Brautpaares überkam, sondern ihm auch treu blieb bis zum heutigen Tage.

Der Tranklsimmet aber genießt seitdem das ganz besondere Vertrauen der Liebesleute, ihm wird stets die Aufgabe, die im Wege stehenden Hindernisse wegzuräumen, und man erwartet dabei mehr von seinem oft bewährten Witz und seinem schalkhaften Humor, als von seinen Trankeln und seinen Quacksalbereien.

 

München 1884.

 

 


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