Maximilian Schmidt
Der Tranklsimmet
Maximilian Schmidt

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II.

Der Sieberer Bauer von Wackersberg saß auf der Gred seines stolzen Hofes, dessen Haupteingang mit der Front nach Osten gekehrt war, gleich als sollte die Thüröffnung den Weckruf der Morgensonne zur Arbeit aufnehmen.

Das aus Holzbalken zusammengefügte Haus mit einem unteren und oberen Gaden (Stockwerk), um welch letzteren sich rings eine Galerie, die sogenannte Laaben, zog, war auf drei Seiten mit Lehm beworfen und schön geweißt, während die westliche Sturmseite, woselbst sich zunächst der Stall und die Wirtschaftsräume befanden, ein von Scharschindeln gefügter Wettermantel schirmte. Die Fenster waren mit Butzenscheiben verglast und von der Laabe hingen üppige Hängnelkenstöcke und Kapuzinerblüten herab. Das im flachen Winkel über dem Haus gezimmerte, mit großen Steinen beschwerte Legschindeldach ruhte mit seinen Flügeln über dem Heim, wie die Bruthenne über ihrem Neste, und oben am Firste thronte das Glockentürmchen, das sogenannte Singossel, mit welcher Hausglocke auf den Einödhöfen die Gebetstunden des Tages angezeigt und das Gesinde vom Felde zu den Mahlzeiten gerufen wird. An der linken Seite des Hauses befand sich der große Obstgarten und unter der terrassenförmigen Gred lag ein kleines Blumengärtchen und eine sonst üppig grüne, jetzt aber mit Herbstzeitlosen übersäete Wiese, die 218 sogenannte Point, welche sich bis zur Thalsohle der Isar hinabzog, hie und da bestockt mit prächtigen Eichen und Linden von einem Umfange, wie sie anderswo selten vorkommen dürften. Die Blätter färbten sich bereits, aber es wehte trotz des Septembers noch eine warme, sommerliche Luft, welche die Landleute einlud, den Feierabend auf der Gredbank hinzubringen, wo die älteren Männer ihre Pfeifen rauchten und die Mädchen, den Strickstrumpf in der Hand, sich von den zum Hoagast gekommenen Burschen unterhalten und dazwischen auch auf der Mundharmonika ein Stückchen vorspielen ließen, oder mit ihnen um die Wette sangen, daß es weit hinaus hallte in das schöne Isarthal.

So hörte man auch heute von allen Höfen fröhliche Laute, da ein Mädchenduett, dort Zither- und Harmonikaklänge; nur auf dem Sieberer Hofe ging es ruhig zu. Da saß der Bauer mutterseelenallein und blies den Tabaksqualm in die Abendluft hinaus; aber er machte ein gar zufriedenes Gesicht, der einsame Bauer, die grüne Schlegelkappe auf dem Kopfe, mit den dunklen, nur mit Grau untermischten, noch üppigen Haaren, mit dem gesund geröteten, runden Gesicht, gekleidet in Samtjacke, Kniehösln und Wadenstrümpfe mit Schnürschuhen.

Der Sieberer war ein Mann Ende der Fünfziger, aber er fühlte sich noch jung und frisch, kein Bursche that es ihm im Schuhplatteln nach, keiner brachte ihn im Schnadahüpflkampf zum Schweigen, und die vielen bemalten Ehrenscheiben zu beiden Seiten der Thüre zeigten, daß er auch auf dem Scheibenstande seinen Mann stellte. Er war mit einem Worte ein alter Jüngling, und hätte ihn nicht hin und 219 wieder ein verdächtiges Reißen in den Füßen daran gemahnt, daß er große Strapazen nicht mehr ungestraft vollbringen dürfe, er hätte ganz auf seinen Fünfziger vergessen.

Des Sieberers Vorfahren hatten in der Sendlinger Bauernschlacht und später im Kampfe gegen die Trenkschen Panduren Gut und Blut verloren, und der jetzige Besitzer des Hofes hatte im Jahre 1849 als bayerischer Jäger in Schleswig-Holstein die Feuertaufe erhalten. Die Erinnerung daran war der Stolz seines ganzen Lebens, er trug die Denkmünze mit dem rot und grünen Bändchen stets im Knopfloch seiner Joppe oder seines Rockes und er fühlte sich würdig seiner tapferen Urahnen. Den Scheibenstutzen führte er meisterlich, aber ebenso den Maßkrug, und that er sich nicht absichtlich einen Fasttag auf, so konnte man den Sieberer sehr häufig wackelnd und sehr begeistigt vom berühmten Tölzer Bier nach Hause kommen sehen. Er fürchtete sich vor nichts auf der Welt als vor dem Kranksein. Das Leben dünkte ihm »so viel fidei und schö',« daß er sich ein ewiges Leben auf dieser Erde wünschte. Die leiseste Ahnung einer Krankheit versetzte ihn in eine fast kindische Angst. Glücklicherweise blieb eine solche bis auf das verdächtige Reißen in den Füßen von ihm ferne. »Hechtengesund« wollte er schon deshalb sein, weil sein altes junges Witwerherz in jüngster Zeit Feuer gefangen, dessen Brandstifterin die Urtzenkasparin, die schöne Flößerswitwe von Arzberg war.

Das unerwartete Ereignis nahm erst vor kurzem einen Anfang. Zu Jakobi verließ des Sieberers langjährige Sennerin den Dienst, um sich im Flachlande zu verheiraten. Die Urtzenkasparin kam deshalb zum Sieberer und bot ihm 220 ihre neunzehnjährjge Tochter als Sennerin an, da sie in dieser Eigenschaft schon einige Jahre gedient. Die Urtzenkasparin war einst ein bildsauberes Mädchen gewesen und der Sieberer hatte als junger Bursche mit keiner so gern getanzt, als mit ihr, sie hatte es verstanden, mit ihm zu singen und zu jodeln, daß alles seine Freude daran hatte, und es soll auch zwischen beiden eine kleine Herzensneigung bestanden haben, welche indes durch den Standesunterschied und die Verhältnisse unterdrückt werden mußte. Daß des Sieberers Sohn mit ihrer Tochter ein zärtliches Verhältnis unterhielt, das ahnten beide nicht, als sie sich etwas zärtlicher, als es notwendig war, in die Augen schauten und die Erinnerung an die Jugendzeit ihre Herzen rührte.

»Dös oa'spanni Lebn gfreut mi scho' lang nimmer,« sagte der Bauer im Verlaufe der Unterredung, »wie moanst, Urtzerin, spann ma z'samm? Aaf a etli fünfazwanzg Jahrln trag i no' an, daß i 's Lebn hon. I bin ja hechtengsund und allweil munter. Und also, magst no' mei' Bäuerin wern?«

Die Urtzenkasparin errötete, besann sich aber nicht lange hin und her, aus einer Häuslerin eine vermögliche Bäurin zu werden, und – schlug ein.

Das schwarzäugige Nannei aber stieg als Sennerin zur Zwieselalm und versah ihren Dienst mit Freude und Eifer.

Inzwischen war das geheim gehaltene Verhältnis zwischen ihrer Mutter und ihrem Dienstherrn so weit gediehen, daß der Tag des Stuhlfestes bereits angesetzt war. Die beiden Alten träumten nur von ihrem baldigen Glücke, und auch jetzt stellte sich der Bauer wieder alles so schön 221 vor, wenn wieder eine Bäuerin neben ihm auf der Gred sitzen und ihm die Zeit verkürzen würde, wenn er mit ihr sein Lieblingslied singen, ihr mit Stolz seine Preistücher von der Schießstätte heimbringen könne, wenn sie ihm dann freudig entgegeneilen werde, ein nettes Kind auf den Armen, ein kleines schwarzäugiges Mädl, oder gar einen Buben, einen sakrischen Buben –

»Vata, grüaß Gott!« Mit diesem Gruße wurde er aus seinen Träumen geweckt und vor ihm stand der Chevauleger, sein Hansl, auf den er ganz vergessen hatte.

»Ja, Hansl, grüaß di Gott!« rief der Bauer, und sprang von seinem Sitze auf, dem Sohne die Hand reichend. »Du kimmst ja ganz unversehens. Kimm nur glei eina in d' Stub'n; na' schau, dös gfreut mi! Kimm nur eina!«

Er ging dem Sohne voran in die Stube, in welcher schon lange die Lampe brannte und die Wirtschafterin, die alte Traudl, einen Strickstrumpf in der Hand, auf der Bank eingeschlummert war. Beim Eintritte der Männer erwachte die alte Matrone und bewillkommte mit sichtlicher Freude den ankommenden Sohn des Hauses.

»Bleibst aaf länger da?« fragte ihn der Sieberer.

»Aaf ganz,« lautete die Antwort. »Mei' Rittmeister hat mi scho' vor der Zeit in ständigen Urlaub lassen, weil i mi halt so guat aufg'führt hon.«

»Der Teixl soll die guat Aufführung holn!« meinte der Bauer für sich. Er hatte nicht gehofft, den Sohn vor der Hochzeit zu Hause zu sehen, aber so unangenehm ihm dies auch war, wollte er den Ankommenden doch nichts merken lassen.

»Traudl,« sagte er, »bring 'n Hansl a Stückl Gselchts und a Flaschen Bier; er wird hungri und dursti sei'.«

222 »Es is mir grad nit drum z' thuan,« versetzte Hansl; »sag mir vor alln, wie steht's z' Haus?«

»Moanst, mit mir, oder mit'n Vieh und da Wirtschaft?«

»No', daß 's dir guat geht, dös siehg i mit Freuden. Is aber aa natürli; waar nit aus, wenn ma' an' Hochzeiter nit d' Freud vom G'sicht awalesen kaannt.«

Der ältere Sieberer konnte den spöttischen Blick des jüngeren nicht aushalten, und verlegen sagte er:

»Ah so – ah so moanst? – Du woaßt es scho'? – Magst dir koa' Pfeiferl stopfen? I hon an' kaiserlichen, an' guaten, so was habt's im Land draus nit.«

»Bin scho' dabei,« antwortete der Bursche, »aber alles nachanand; z'erst essen, und nacha raucha und trinka. Wie geht's denn da roten Stuaten?«

»Dera geht's guat, hat an' Prachthei'ßen kriegt, da wirst schaugn! Und obn auf der Alm feit si aa nix, sitta die neu Sennerin obn is, 's Urtzerkasparn Nannei.«

»'s Urtzer Nannei?« fragte Hans, sich überrascht stellend, »dei' zuakünftige Stiaftochta und mei' Schwesta?«

»Dö wird di mit ihra Schwesterschaft nit viel scheniern. Woaßt, sie geht, so bald 's von der Alm z'ruck is, aaf Wean in an' Deanst, da bleibt's nacha, bis's amal ihren Stand ändert (heiratet). Und daß d' nacha aa glei woaßt, wie r i's im Sinn hon, so hon i mir die Sach so zammdividiert: Du sollst z'weg'n meiner Heiraterei koan bsundern Nachteil hab'n. So a fünf Jahrl möcht i no' auf'n Hof regier'n. Du kannst no' so lang warten, bis i dir übergieb. Was moanst?«

»Ja no', Vata, i muaß nach dein' Willn thoa'; liaba 223 waar mir freili, weilst mir 's halt versprochen hast – aber über dös laßt si no' red'n. Da kimmt d' Traudl mit 'n Essen. I mach mi glei drüber und nacha möcht i ins Bett. I bin müad und schläfri.«

»I richt scho' all's her in deina Kammer obn,« sagte Traudl; »bis d' gessen hast, bin i scho' firti. Gsegn dir's Gott, Hansl, und morgn in da Früah mach i dir scho' a extrige Kaffeesuppen und back dir z' Mittag weiße Topfanudel; i laß dir nix abgeh'n.«

»Dös woaß i scho',« entgegnete Hansl lachend, »und i laß mir alles gern gfalln.«

Der Vater war froh, als Hans, sobald er seinen Imbiß eingenommen, aufstand, um sein Schlafgemach aufzusuchen. Es kam zu keinem herzlichen Worte zwischen beiden, während sie sonst, sozusagen, ein Herz und ein Sinn waren.

»I werd mi ge morgn in aller Fruah nach 'n Almvieh umschaugn,« sagte Hans. »Für iatz guat Nacht, Vata!«

»Schlaf gsund,« entgegnete dieser, »und laß dir's dahoamt gfalln!«

Die alte Traudl harrte schon des jungen Burschen, und als er in die Kammer eingetreten und die Thür hinter sich zugemacht, nahm sie ihn bei der Hand und sagte leise, aber dringend zu ihm:

»Hansl, du därfst es nit leiden, daß dei' Vata die Dummheit macht und no' a Bäurin aaf'n Hof bringt.«

»Was kann i dagegn machen?« fragte Hans. »Daß 's mir nit paßt, dessell kannst dir leicht denken, und mi werd's nimmer lang da sehgn.«

»I hon no' allweil aaf di g'hofft,« sagte Traudl, 224 »drum hon i dir aa Botschaft thoa' lassen, du sollst kemma, so gschwind als mögli. Woaßt, fei' muaß ma's angeh'n, nacha kaants ja sei', daß ma'n Siebererhof dös Unglück ersparet, daß da oagne Suhn furt sollt und a neue Hoamet suachn – na', na', dös därf nit sei'! Da heili Geist wird uns scho' was einfalln lassen, ebbas Guts. Und iatz ruahsame Nacht! I bet scho' für dei' Glück.«

»Guat Nacht, Traudl!« sagte der Bursche, ihr die Hand reichend. »Wenn ma's no' verhindern wolln, hoaßt's aber rasch zuagreifen, denn übermorgn is's Stuhlfest und am Sunnta solln's verkünd't wern. Leicht fallt ma im Schlaf was ein! So viel is g'wiß, morgn in aller Fruah steig i aaf d' Alm zum Nannei.«

»Zu deina künftigen Stiafschwesta?« fragte die Alte im gereizten Ton.

»Na', zu mein' Schatz!« entgegnete der Bursche trocken.

»Heilige Muatta Gottes!« rief die Alte, vor Verwunderung die Hände zusammenschlagend, »'s Nannei is dei' Dirndl?«

»Ja, und wird mei' Wei', so wahr i da Sieberer Hans bin,« beteuerte dieser feierlich.

»Geb 's Gott, daß alles guat abgeht,« sagte die Alte, »aber i glaub's nit! Sinn auf koa' G'waltthat, Hansl, denk an dei' brave Muatta seli und bet dazua, daß 's alles no' zum Guaten richt, und somit no'mal a recht a ruahsame Nacht!« 225


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