Maximilian Schmidt
Der Tranklsimmet
Maximilian Schmidt

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III.

Die Zwieselalm liegt in einer Höhe von mehr als viertausend Fuß und war eine der besten Wackersberger Sennereien und alleiniges Eigentum des Siebererbauern, dessen Viehstand als einer der bedeutendsten im Isarwinkel galt.

Nannei war die Regentin dort oben, und das schöne, kerngesunde, lebensfrische, schwarzäugige Dirndl mit dem runden, vollen Gesichte, dem zopfumwundenen, dunklen Kopfe und der prächtigen, großen Gestalt fühlte sich ganz glücklich in seiner neuen Stellung; ihr frohes Gejodel vermischte sich oft mit dem hellen Glockengeläute des Almviehes und drang über die Waldberge hin zu der majestätischen Benediktenwand und hinab in das schöne Thal der Isar, deren rasch dahinströmenden Fluten sie Grüße auftrug für ihren Buam, den Hansl, draußen in der Münkererstadt. Für sein Eigentum sorgte sie da heroben und keine Mühe und Anstrengung war ihr deshalb zu viel. Noch hatte sie es ihm nicht mitteilen können, da ihr Liebesverhältnis ja das größte Geheimnis bleiben sollte. Es hatte im Frühjahr, während Hans das letzte Mal in Urlaub gewesen, seinen Anfang genommen, als beide eines Sonntags vom Kirchengang heimkehrten, die Wiesen zu grünen begannen und die Schlüsselblümlein aus Millionen Kelchen ihren süßen Duft ausströmten. Mit einem solchen Blümlein schloß sich Hans das Herz des schönen Mädchens 226 auf, es bedurfte nicht vieler Worte, er gab ihr den Strauß, sie steckte ihn errötend ins Mieder, dann drückte er ihr die Hand und sagte:

»Dirndl, i hon di gern!«

Die Antwort hieß: »Mei' liawa Bua!« und die Lerche jubilierte hoch in den Lüften über das lautere Glück zweier junger Leute.

An Hans dachte sie nun freilich ohne Unterlaß, auf ihn hoffte sie, und nichts in der Welt hätte es vermocht, sie von ihm abwendig zu machen. Niemand hatte sie auch nur eine Silbe von ihrem Geheimnisse enthüllt, doch dem Tranklsimmet gegenüber, zu dem sie großes Vertrauen hatte, und der sie öfters auf ihrer Alm besuchte, verriet sie sich, ohne daß sie es wollte, und dem alten Schlaukopf genügte des Mädchens Verlegenheit und sein Erröten, um in der Sache klar zu sehen.

Noch ahnte Nannei nicht, in welche Beziehung ihre Mutter zu dem Vater ihres Geliebten getreten. Auch das ward ja sorgsam geheim gehalten, nur die alte Traudl kam zufällig dahinter, weil sie eine Unterredung der beiden alten Liebesleute erlauschte, worauf sie nichts Eiligeres zu thun hatte, als den Tranklsimmet um Rat zu fragen, wie sie diese Neuigkeit dem Hansl mitteilen könne. Dieser schickte in ihrem Namen sodann einen Brief an den Soldaten ab, worauf dieser von seinem Rittmeister sofort beurlaubt wurde.

Nach einer schlaflosen Nacht, lange vor Sonnenaufgang, war Hans heute schon auf dem Wege nach der Alm zu seinem Dirndl. Er hatte die Uniform mit der grauen Joppe, den Kniehösln und Wadenstrümpfen vertauscht. Das grüne Hütl mit dem Spielhahnstoß saß keck auf seinem 227 Krauskopf. Den Bergstock setzte er sicher und fest ein, als er längs eines im steinigen Bett herabstürzenden Gebirgsbachs rüstig bergauf schritt. Kalte Morgenluft strömte aus den Klüften und dem tiefeingeschnittenen Rinnsal der Bergwasser. Die Blätter der Buchen und Eschen bewegte der leichte Morgenwind; Gräser und Pflanzen waren naß vom Thau. Oft bot sich eine Aussicht ins Flachland hinaus oder über tannendunkle Waldberge zu den felsigen Spitzen und Graten des Hochgebirges, über welchem erst rosige Wölkchen zogen und dann ein weiß rötliches Licht sich ausbreitete, das die Schatten von den Höhen rasch herabdrängte und sich bald auch über die waldigen Vorberge ergoß und sie im dunkelvioletten Dufte erscheinen ließ. Von den Ortschaften im Thale hörte man das Läuten zum Morgen-Ave Maria. Im Osten aber stieg der majestätische Sonnenball herauf.

Mit andachtsvollem Herzen begrüßte Nannei das Himmelsgestirn und betete ihr Morgengebet. Sie war damit noch nicht ganz zu Ende, als ein Juhschrei ertönte, ein bekannter Laut.

Rasch eilte sie an den Felsenvorsprung vor ihrer Hütte und mit einem glückseligen Juhu! grüßte sie dem Ankommenden entgegen. Sie hatte ihn sofort erkannt: es war Hansl, ihr Bua.

Wenige Augenblicke später hatten sie sich herzhaft die Hand gedrückt und da der Hüatabua grad nicht anwesend war, einen noch herzhafteren Kuß gegeben.

»So ham dernthalb dö Berg so schö' g'leucht' und is d' Sunn so prächti auffag'stiegn, weil's a rechta Freudentag für mi wern sollt? Du kimmst scho' z'ruck, Hansl? Wem hon i dös z' danken?« rief Nannei überselig.

228 »'n Krieg hast es z' danken, der mi hoamführt, Nannei!« erwiderte Haus, dem Mädchen treuherzig in die feuchten Augen schauend.

»'n Krieg?« fragte Nannei erschrocken. »Wird's do nit wieder Krieg geb'n?«

»Mit die Franzosen nit, aber mit mein' Vatan,« entgegnete Hans, »mit dem giebt's oan und – mit deina Muatta.«

Und er erzählte dem überraschten Mädchen, welche Gefahr ihrer Vereinigung drohe.

Nannei hatte von alledem noch keine Ahnung gehabt. Aber sie kannte ihre Mutter und wußte, daß diese alles durchzuführen vermochte, was sie sich einmal in den Kopf gesetzt. Hans teilte ihr nun mit, daß er seine Hoffnung auf den Tranklsimmet setze und daß dieser sich auch schon bereit erklärt habe, ihm zu helfen.

Aber Nannei fühlte jetzt ihr Herz beschwert, heiße Thränen liefen ihr über die runden Wangen herab, und manch tiefer Seufzer entrang sich ihrer wallenden Brust. Hansl sprach ihr Mut zu und die Zither zur Hand nehmend, sang er, sich damit begleitend:

»Und wann i da b'schaffa bin,
So, wie's ma' schwant (ahnt),
So wern ma' halt do no'
A Paar mitanand.

Du herzig schön's Dirndl,
Wie stellst es denn an,
Daß die Liab aus deine Aeugln
So gruselen kann?«

Nannei war mit Hansls Gsangln und Jodlern bald 229 wieder heiter gesungen, und nachdem sie ihm einen guten Almkaffee gemacht, der ihm in der erquickenden Gebirgsluft da oben an der Seite seines Mädchens nun doppelt mundete, trat er den Rückweg an, um ohne Verzug den Quacksalber in Ellbach aufzusuchen. Es ward ausgemacht, daß Nannei am morgigen Sonntag zu Thal steigen sollte, wo sie das Nähere erfahren würde, denn da schon am Montag das Stuhlfest der beiderseitigen Eltern angesetzt war und so die Sache offenkundig werden mußte, so war eine Hilfe überhaupt nur am morgigen Tage noch möglich.

Und als das Mädchen wieder zu weinen begann, tröstete sie Hans mit den Worten:

»Nit mit G'walt soll die Sach vereitelt wern, sundern im Guaten, verlaß di auf mi. Schnauf no' koa' Wörtl von unserer Liab zu deina Muatta, wie r aa mei' Vata nix woaß, und an' Juchaza drauf, du wirst bald die Mei'!«

Dieses feste Vertrauen des Burschen ermunterte auch Nannei wieder und sie sandte dem Absteigenden einen herzinnigen Abschiedsgruß nach, der von beiden Seiten sich noch oftmals wiederholte. Dann aber eilte die Sennerin zu ihrem Hausaltärchen und empfahl ihr und Hansels Geschick der Pandurenmuttergottes in Wackersberg.

Der junge Sieberer aber begab sich auf dem nächsten Wege nach Ellbach zu dem stets dienstbereiten Quacksalber, dem Tranklsimmet. 230


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