Maximilian Schmidt
Der Tranklsimmet
Maximilian Schmidt

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I.

Am Rande der schönen Bergwelt machen viele Halt, weil sie es vorziehen, den unaussprechlich romantischen Reiz des herrlichen Gebirgspanoramas, wenn auch in nächster Nachbarschaft, so doch immerhin in einer gewissen Entfernung auf sich wirken zu lassen. Die frischgrünen Wälder, über deren Wipfel sich die blauen Berge erheben, täuschen den Beschauer über die Entfernungen und er wähnt sich am Fuße der ausgezackten Riesenmauer, wenn er sich gleichwohl noch auf Stunden vor derselben im Vorlande befindet.

Einen der beliebtesten solcher Punkte, wir möchten sagen, den Schlußpunkt des Landes vor den Bergen, bildet der freundliche, ob der Heilkraft seiner Jodquellen in dem nahen Bad Krankenheil vielbesuchte Markt Tölz, am Eingange in das zauberisch schöne Hochgebirge an der blaugrünen Isar, dem herrlichen Bergstrom, gelegen. Sehnsuchtsvoll blicken viele nach dem einstigen Eldorado des Braunbieres hinauf und kommen immer wieder, sobald die Alpen und Triften grünen und sich mit der sonnigen Jahreszeit auch die Wanderlust wieder regt. Gehört doch der Anblick von dem nahen Kalvarienberge hinab in das zu seinen Füßen ausgebreitete Isarthal zu den vollendetsten 210 und schönsten Landschaftsbildern, welche irgendwo aufgefunden werden können. Der grüne Blomberg, die Benediktenwand mit dem schneeigen Kirchstein, gerade aus der Juifen, dann ein gewaltiges Stück vom Karwendel und Wetterstein, die Gebirge um den Walchensee, der Wendelstein und noch viele andere Spitzen und Höhen der bayerischen und Tiroleralpen machen diesen Punkt zu einer der schönsten Bergansichten in den Voralpen. Diese ist geradezu zauberhaft, wenn ein weiches, warmes Abendrot die dunklen Berge umflort, und das zwischen weißen Kiesinseln lichtblau dahinströmende Wasser der Isar und der sie begleitenden Weidenauen so eigentümliche Bilder zusammenstellt, wie von solcher Grellheit der Farben kein anderer Kalkalpenstrom es vermag.

Und doch lag ein Mann vor der mit Ketten umgebenen, alten Leonhardskapelle zunächst der Kirche am Kalvarienberg, auf welchen der Zauber, den die untergehende Sonne auf die großartige Landschaft ausgoß, keinerlei Eindruck machte. Es war ein junger Bursche in der kleidsamen Uniform der bayerischen Chevaulegers; ein Päckchen mit wenigen Habseligkeiten lag neben ihm. Er hatte einen dunkelblonden Krauskopf, blaue Augen, ein gesund gerötetes, von der Sonne verbranntes Gesicht, und seine Oberlippen zierte ein kleines, blondes Schnurrbärtchen. Seine Dienstzeit war vorüber; er wurde mit ständigem Urlaub in seine Heimat entlassen. Aber nicht, wie es bei andern der Fall, trat er diese Heimreise mit freudigen Gefühlen an, und als er jetzt sein Ziel, das am linken Ufer der Isar hochgelegene Wackersberg erblickte, hemmte er plötzlich seine Schritte, warf sich auf dem Kalvarienberg, über den ihn der Fußweg führte, neben der 211 Leonhardskirche ins Gras nieder und sammelte angesichts seines Heimatdörfchens nochmals seine Gedanken.

Diese waren keine fröhlichen, doch beschäftigten sie den jungen Krieger so sehr, daß er es gar nicht bemerkt hatte, wie sich von der andern Seite ein Mann der Kapelle näherte, um vor der Kirchenthüre einige Vaterunser zum heiligen Leonhard zu beten.

Es war der Tranklsimmet von dem eine halbe Stunde von Tölz entfernten Ellbach, früher Schäfer, jetzt ein Vieh- und Leutpfuscher, der sich des allgemeinen Vertrauens des Bauernvolkes weit und breit erfreute und teils mit selbstbereiteten Kräutertränken und Pulvern, teils mit Sympathie und geheimen Mitteln für alle und jede Krankheit bei Mensch und Vieh mit mehr oder weniger oder gar keinem Erfolge zu helfen verstand. Der Tranklsimmet war ein sehr origineller und aufopfernder Geselle. Man denke sich einen langen, hageren Mann, auf dem kurzgeschorenen grauen Kopfe eine große Tuchmütze, deren Form nur bildlich getreu wiederzugeben, vorne mit Knopf und Quaste versehen, welche auf den großen, eckigen Schirm herabfiel, der ein mit hohen Backenknochen versehenes, ältliches, schlecht rasiertes Gesicht mit grauen Augen, spitzer Nase, und in der Regel fest geschlossenen, dünnen Lippen, beschattete. Er trug einen langen grünen Tuchrock mit stehendem Kragen, ein schwarzes Halstuch, über welchem der weiße Hemdkragen sichtbar war, eine farbige alte Samtweste mit runden Bleiknöpfen, eine lange, dunkle Tuchhose und Schnürschuhe. Ueber die Schulter hatte er an einem ledernen Riemen eine alte Ledertasche hängen, in welcher sich Verbandgegenstände, mehrere mit Trank gefüllte Gläser und andere Arzneien befanden.

212 Dieser Mann kam mit langen Schritten und den gebogenen Haselnußstock fest auf den Boden setzend, zur Kapelle, betete einige Vaterunser und war soeben im Begriff, seinen Heimweg anzutreten, als er des Soldaten ansichtig wurde.

»Ja, was sehg i – Sieberer Hansl, du bist wieder da? Grüaß di Gott in da Hoamet!« rief er aus.

»Grüaß di Gott aa,« entgegnete Hansl. »Mei' Dienstzeit is um und so probiern ma's halt wieder dahoamt.«

»No', dei' Vata woaß koa' Wörtl davon, daß du heunt kimmst. Was magst di denn da verhalten? Gelt, es g'falln da halt wieder die Berg und 's Wasser? Ja, ja, leicht, daß 's schöner is, als in da Kasern.«

»I bin lauter müad,« erwiderte der Bursche, »und 's is Soldatenbrauch, daß ma kurz vorm Ziel no'mal ausrast, um rüsti an Ort und Stell z' kemma.«

»Ja, ja,« versetzte Simmet. »Und nacha moan i alleweil, es pressiert dir überhaupts nit recht auf hoam.«

»Dessell kann aa sei',« meinte Hansl kurz und verdrossen.

Der Tranklsimmet sah den Burschen eine Weile schweigend an, dann sagte er in vertraulichem Tone:

»I thaat dir gern helfen, Hansl, wenn's d' a Vertrauen zu mir hätt'st.«

Der junge Mann erhob sich jetzt vom Boden und erwiderte lächelnd:

»Für mei' Kranket hast du nix in dein' Ranzen da drin.«

»Dessell kann ma nit wissen,« schmunzelte der Quacksalber. »In dem Ranzen da is viel drin für Leut und Vieh, und dahoam hon i aa no' manch Stückl. Und sag, 213 hat dir der Seg'n geg'n alle G'schoß, den i dir mitgebn hab', eh's d' furt bist zum Militär, an' Schaden bracht? Wia, red! Hast denn gar koa' Vertraun zu mir? I werd dir's erzähl'n, daß d' siehgst, daß i alles woaß. Wia dei' Muatta – es war a brav's Leut! Gott tröst ihre arme Seel! – g'storben is gwest, hat si dei' Vata nimmer viel um di ang'numma, er is alleweil auswärts gwen auf alle Schiaßets weit und breit und hat di, a jungs Bürschl, alloa' auf 'n Hof hampern lassen.«

»No', i denk, i hon auf d' Sach g'schaut,« versetzte Hansl, »und nix hat si g'feit, bis i mi einig'spielt hon zum Militari.«

»Ja, ja, dös Einrucka hat di z'keilt!« versetzte Simmet; »'s war freili nit recht von dein' reichen Vatern, daß er dir koan Ersatzmann g'stellt hat.«

»O, bewahr Gott! Grad dös war recht!« fiel der Soldat ein, »und i dank eam dafür mei' Lebta, denn so waar i a g'scheerta Bauernbua blieb'n nach wie vor, müaßt mi am Leonharditag von mein' Roß hintragn lassen, wohin dös will, derentgegen iatzt i mein' Will'n durchsetzen kann; i kann reiten und 's Pferd warten, kann schiaß'n und hon viel g'lernt, was ma fürs Leben nützli und von Vorteil is. G'wiß schad'ts nit, daß iatz koa' Ersatzleut mehr angnomma wern und a jeder sein' Mann stell'n muaß, und fredi sollt' a jeder stolz drauf sein, wenn er si rechtschaffen stell'n kann.«

»Ja, ja,« pflichtete der Quacksalber bei, »dessell moan i aa! Aber, um wieder auf di z' kemma, so hast dir halt denkt, wenn die Zeit um is, gehst hoam und weil dei' Vata scho' in die Jahr is, so wird's nit lang dauern, daß er dir 'n Hof übergiebt und daß d' dös Dirndl 214 hoamführn kannst, dös dir's scho' lang antho' hat, 's Urtzenkaspar Nannei von Arzbach.«

»Wie woaßt denn du dös?« fragte der Soldat mit großen Augen.

»Mei' kloana Finga hat ma's g'sagt,« lachte der Alte; »der erzählt ma' allerhand, von dem andere nix wissen.«

Hansl errötete flüchtig.

»No', ja, so hon i mir denkt,« bekannte er dann offenherzig, »dö und koa' andere hon i im Sinn.«

»Dierweilen hat's a si g'schickt, daß da Urtzenkaspar, der nur an' arma Flößer war, g'storb'n is und sei' Wittib, 'n Nannei sei' Muatta, die no' guat g'stellt is, 'n Sieberer, dein Vatan, g'angelt hat,« fuhr der Quacksalber fort, »und – außa meina woaß's no' neamd, nit amal 's Nannei, daß 's damit umgenga, a Paar z'wern. So is's mit der Hofübergab nix und 's Nannei wird halt dei' Stiefschwester –«

»Alle Teufel!« rief Hansl in einem plötzlichen Anfall von Wut. »I hon mit 'n Nannei schon alles ausg'macht, daß i's als Bäuerin auf'n Hof bring, sobal mei' Militärzeit aus is. Und da Vata hat mir's versprocha, daß er mir übergiebt. D' Leut wern mi auslacha. Die G'schicht macht mi ganz damisch, und drum hast mi da rasten sehgn, weil i mi scheu, mein' Vatan unter d' Augen z' treten. I hon fredi grad nachdenkt, ob's nit gscheita waar, wieder umz'kehrn zu mein' Regiment, denn mir schwant, daß's nit guat ausgeht. Ueberhaupts, i vermag's gar nit z' denk'n, daß mei' Vata in seine alten Tag no' a selle 215 Dummheit macht und heirat! I wer mir koa' Blatt fürs Maul nehma, kimm i hoam.«

»Geh nit z' gaach ins Feuer,« sagte der Tranklsimmet beschwichtigend. »Schau Hansl, i hon di von jeher gern g'habt und 's Nannei nit weniger. Bin ja schier alle Tag, so lang ihr Vata krank gwen is, in ihra Häusl kemma und hon g'holfen, so viel z' helfen war, aber halt für'n Tod hat neamd a Kräutl, aa da Tranklsimmet nit.«

»Hätt'st ebba gar a Zaubamittel, dös d' Lieb vertreibt?« fragte Hans. »Woaßt, i hon grad koan schlechten Glaubn an dein' Trank, du verstehst di guat aufs Vieh und unser Veterinär beim Regiment hat oft aa nit besser kuriert, wie du –«

»Siehgst es, siehgst es?« unterbrach ihn der Quacksalber mit leuchtenden Augen. »Sag dös ja nur die Leut im ganzen Isarwinkl, dir wern sie 's glauben. I woaß, was i woaß, und was 's Vieh anbelangt, laß i mi finden – aber aa bei die Leut stell i mein' Mann. Hansl, i helf dir – i richts, daß dei' Vata von der Urtzerin ablaßt; no' kann i nit sagn, wie, aber in etli Tag sollst es hör'n. Du sollst dei' Nannei krieg'n.«

»Dös wenn's d' kaannst!« rief Hans, »nacha solltest –«

»Ghoaß ma nix,« unterbrach ihn der Quacksalber, »i will nix im voraus, und schenkst ma hintnach ebbs, so is 's dei' freia Will'n. Geh hoam iatz, sei freundli mit dein' Vata und suach dei' Nannei auf – ob'n is's als Sennerin auf da Zwieselalm. Juchezts nur mit anand, daß 's a Freud is, ös werds koa' Gschwistert, da Tranklsimmet 216 macht scho' a Paarl aus enk, dazua geb der heili Leonhardi sein' Segn. Amen.«

Der Quacksalber reichte dem jungen Manne die Hand und entfernte sich rasch.

Hans blickte ihm lange nach, ein neuer Hoffnungsstrahl belebte ihn.

»Gott gieb's, daß d' wahr redst!« rief er ihm nach.

Die Sonne war untergegangen. Ein feuriges Abendlicht lag über dem Flachland draußen, die Berge standen bereits in dunklem Schatten und einzelne Sterne stiegen funkelnd über ihnen auf. Die Luft war ruhig, man hörte nichts als die rauschenden Fluten der Isar.

Jetzt hallte ein froher Juhschrei vom Zwieselberg herunter, aus der Richtung, wo Nanneis Almhütte stand. Sollte dies unbewußt ihr Willkommgruß sein? Hansl besann sich nicht lange und schickte ein kräftiges »Juhu!« hinauf zu den tannendunklen Bergen.

»'s Nannei is durt obn?« fragte er für sich. »Hätt i dös ehnda gwußt, waar i nit da liegn bliebn, i waar auffi zu ihr. Mei', sie woaß 's no' nit, daß ihra Muatta an a Heirat mit mein' Vatern denkt. Woher 's nur der Simmet woaß? I machet 'n Nannei gern no' an' Hoa'gast, wenn's aa scho' Nacht is – aber na', i möcht's nit ins G'red bringa; morgn in aller Fruah is's mei' erster Gang. Jatz aber hoamzua zum Vata, 's vierte Gebot in Ehrn, aber 's Nannei muaß dengerst dö mei' wern, geht's, wie da will!« 217


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