Maximilian Schmidt
's Almstummerl
Maximilian Schmidt

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VII.

An diesem Abend saßen am untern Raueckerhof, nachdem alles spiegelblank gescheuert und für die Christtage zurecht gerichtet war, das stumme Mirdei und die Burgl zusammen an dem großen Ecktisch in der warmen Stube und Burgl betrachtete anscheinend mit großer Freude die vor ihr liegenden Kleidungsstücke, die silberne Halskette und das schöne Geschnür mit alten Schaumünzen. Das Dirndl wurde nicht satt, ihrer Wohlthäterin mit den herzlichsten Worten zu danken, und Mirdei war ganz selig, daß es ihr, wie sie meinte, möglich war, dem Mädchen eine solche Freude zu machen und ihr auf Augenblicke den tiefen Herzenskummer zu verscheuchen, den Burgl über Franzens Schicksal hatte. – In ihrem Leben hatte das Mädchen noch keinen solchen Christabend mit so reichlicher Bescherung gehabt, aber halt die Hauptsache fehlte – der Franzl! Er ward erst vor wenigen Wochen abgeurteilt, der Körperverletzung an dem Finanzwächter für schuldig befunden und mit einem Jahre Kerker bestraft. Nach seiner Verurteilung hatte er nochmals an Burgl geschrieben und sie getröstet; er versicherte ihr nochmals heilig, daß er an dem ihm zur Last gelegten Verbrechen ganz unschuldig sei und er hoffe, daß sein Vater auf dem Wege der Begnadigung für ihn eine Abkürzung der Strafzeit erwirken werde, 251 nachdem er ihm seine erste Bitte über die Erstellung einer Kaution behufs seiner freien Prozessierung unerfüllt gelassen.

Burgl wußte wohl die Ursache von des alten Raueckers Hartherzigkeit. Dieser hatte es einmal dem Geißwastl am Heimwege von der Kirche absichtlich mitgeteilt, damit Burgl über des Alten Gesinnung nicht im unklaren sei, und der »Geißbua« rapportierte alles gewissenhaft wieder.

So hatte Burgl Ursache genug, oft recht traurig zu sein; dann aber nahm sie regelmäßig Franzens Briefe aus ihrem Mieder, und es war ihr, als gewährte ihr das Lesen derselben eine süße Beruhigung und als ob frische Hoffnung und neuer Mut in ihr Herz einzögen. Auch jetzt, angesichts der reichlichen Weihnachtsgeschenke, zog sie jene Schreiben wieder hervor und las sie mit einer Art Andacht vom Anfang bis zum Ende.

Das stumme Mirdei ahnte wohl den Gedankengang des Mädchens, sie streichelte ihm Haar und Wangen und holte dann die Zither herbei, Burgl einladend, etwas zu spielen und zu singen.

»Das lindert den Schmerz und erhebt das Herz!« sagte sie ihr durch Zeichen und Burgl konnte Mirdeis Wunsch nicht widerstehen. Schon oft hatte sie der Stummen an den Feierabenden vorspielen und vorsingen müssen, auch heute konnte sie es nicht verweigern und war sie in ihren Gedanken bei Franzl, so sollten auch ihre Töne ihm geweiht sein, indem sie das Lied sang, welches ihr Franz auf der Elendalm zuerst zugesungen:

»I woaß 's nit und i woaß 's nit,
Was 's heunt mit mir is!«

Mirdei lauschte den sanften Tönen mit Andacht. Ach, so hatte auch ihr einstens der Liebste vorgesungen! Wo 252 wird er sich heute aufhalten? Wird er frieren, hungern? Wenn er doch noch einmal käme! Der Anblick seines Kindes würde ihn vielleicht bessern. Zeigte er denn nicht schon, daß er sanfterer Regungen noch fähig? Die Szene auf der Elendalm schwebte ihr fortwährend vor den Augen. Wieviel der Entschuldigung fand sie für Bartl! Er war ja auch das Opfer seiner habsüchtigen Eltern, die ihn gezwungen, sie, das treue, arme Dirndl zu verlassen und ein Weib zu nehmen, das er nicht liebte. So arbeitete sie sich in ihren Gedanken den so tief gesunkenen Bartl wieder heraus und suchte ihn wieder dem einstigen, so geliebten Manne näher zu bringen.

Weihnachten und Neujahr waren vorüber, doch die Gedanken, Hoffnungen und Wünsche der beiden Frauen blieben stets dieselben; sie beschäftigten sie am Tage und während der Arbeit und besonders des Abends, wenn sie an dem schnurrenden Rade saßen und um die Wette zu spinnen schienen. Außer ihren beiden Rädern schnurrten noch zwei, eines, welches die alte Hoamdirn und das andere, welches der Geißwastl trieb, der es sich nicht nehmen ließ, mit seinen alten Füßen das Rad zu drehen, während er seinen gekrümmten Rücken möglichst nahe an den großen grünen Kachelofen drückte. Ermüdete ihn das Spinnen, so nahm er das Spanmesser zur Hand und schnitt aus dem getrockneten Fichtenholze »Spo'spreißl« (Späne). Sein Sprachorgan setzte er sehr wenig in Bewegung, man hörte ihn nur in kurzen Zwischenräumen seufzend aber mechanisch: »Jo, jo!« oder »Aa so!« rufen; wenn aber Burgl zu singen begann, dann brummte er auch mit, gleich einer schlaffen Baßsaite, und wenn es ihm so recht gefiel, schlug er mit der flachen Hand auf seinen dürren Schenkel und 253 verzog sein altes Gesicht zu einem eigentümlichen Lächeln. Dann dachte er doch etwas, so sehr er sich auch Frau Ursula gegenüber vor dem Denken verwahrte; denn gewisse Erinnerungen tauchten in seinem Gehirn auf, der arme alte Geißbua dachte an den armen jungen Geißbuam und sein Lächeln zeigte, daß er halt doch auch seine schöne Erinnerung an die Jugendzeit hatte, so einförmig sie ihm auch verflossen sein mochte, und nicht umsonst fiel ihm dann das Schnadahüpfl ein.

»Auf der Alm' is a Leb'n,
'S kann koa freiers nit geb'n,
Und ma' nimmt, was ma' find't
Auf der Alm giebt's koa' Sünd'!«

Sonst waren seine Gedanken nur im Stall und beim Tegernseeer Viehmarkt, der im Frühjahr abgehalten wird und wozu auch vom Unter-Raueckerhof alljährlich mehrere Prachtexemplare von Kalben durch ihn getrieben und verkauft wurden, wobei immer einiges Trinkgeld für ihn abfiel. –

Langsam für ihre Sehnsucht nach dem Geliebten und doch wieder schnell für die rastlos thätige Burgl waren ihr die traurigen Wintermonate hinübergegangen. Heftige Regengüsse und laue Winde schmelzten den Schnee von den Bergen, die verschneiten Holzwege wurden wieder passierbar und der Weg durch die Valepp öffnete sich wieder dem Verkehre mit Tirol. Burgl glaubte sich dadurch dem in Rattenberg gefangenen Franzl wieder näher gerückt und lebhaft beschäftigte sie sich mit dem Gedanken, ihn aufzusuchen und ihm mit ihrer Liebe zugleich Trost und Mut zu bringen, daß er die schlimme Zeit seiner Haft noch gottergeben überdauere. Nach dem Markte in Tegernsee 254 sollte dies ausgeführt werden. Mirdei gab hierzu nicht nur gerne ihre Einwilligung, sondern erbot sich, selbst die Reise mitzumachen, nicht erst durch die noch immerhin schwer passierbare Valepp, sondern mittels der Eisenbahn, wobei sie schneller und bequemer ihr Ziel erreichen konnten.

Alles war zur Reise hergerichtet. Der Tegernseeer Viehmarkt war heute und der Geißwastl hatte vier der schönsten Stücke hin zu treiben, wobei ihm Mirdei und Burgl behilflich waren.

Als sie in Egern am Friedhofe vorüberkamen, sahen sie, wie von einigen Männern gerade von einem mit Ochsen bespannten Wagen ein aus ungehobelten Brettern bestehender Sarg herabgenommen und zur Totenkapelle, oder zum sogenannten Beinhaus, getragen wurde. Viele Leute blieben stehen und fragten, wer hier so armselig ohne allen Sang und Klang begraben würde. Nur der Eigentümer des Ochsenfuhrwerkes konnte Auskunft geben. Er erzählte, daß die Leiche von Holzarbeitern in der Valepp, in der Nähe des Neualpenthales, gestern gefunden worden sei, und nach den Papieren, welche in seiner mit schweren Seidenstoffen beladenen Kraxe sich vorgefunden, sei der Verunglückte ein Pascher von einem nahen, tirolischen Grenzorte, der zu Anfang Dezember ins bayerische herüber schwärzen wollte, von Grenzaufsehern aber durch einen Schuß verwundet und verschlagen worden sei. Wahrscheinlich konnte er sich bei dem plötzlich eingetretenen großartigen Schneefall nicht mehr weiter schleppen und sei am Wege erfroren.

»Der Herr gieb eam die ewi Ruah!« sagten die Leute und gingen kopfschüttelnd von dannen. Andere fragten, ob denn kein Pfarrer den Verunglückten beerdige.

255 »Mit dem macht ma nit viel Umständ!« lautete die Antwort.

»Wie hoaßt denn nacha der Kampl?« fragte der Geißwastl den Fuhrmann.

»I moan, 'n Schönecker Bartl ham s' 'n g'nennt,« erwiderte der Gefragte; »von mir aus, i hon mei' Fuhrlohn kriegt und mach, daß i hoam kimm!«

Damit fuhr er mit dem Wagen weiter. Auch die Leute hatten sich entfernt bis auf zwei Frauen, welche wie angebannt stehen blieben. Es waren Mirdei und Burgl. Beide waren kreideweiß.

»Mei' Voda! Mei' arma Voda!« rief Burgl und Thränen stürzten aus ihren Augen. Mirdei hielt ihr den Mund zu und gab ihr durch Zeichen zu verstehen, sie solle sich nicht verraten. Aber Burgl riß sich los und eilte dem Sarge nach. Mirdei folgte ihr. Mit Thränen in den Augen und ihrer selbst kaum mächtig, hatte sie das Dirndl eingeholt, als es sich soeben vor dem niedergestellten Sarge niederwarf. Burgl ward durch die plötzliche Unglückskunde und das traurige Geschick ihres Vaters so ergriffen, daß sie an dessen Sarg in fast krampfhafter Weise schluchzte. Die Träger des Sarges konnten sich nicht erklären, in welchem Zusammenhange das schön gekleidete Mädchen und die Godl der Raueckerin zu dem Verunglückten stünde. Nur der Geißwastl wußte es und er stillte auch die Neugierde der Männer, indem er sagte: »Mei', dem Dirndl sei' Voda is aa erfrorn und so hat's halt Bedauernis mit an' iäd'n, den a solches Unglück betrifft.«

Das war den Leuten begreiflich und mit Bedauern blickten sie nach der weinenden Burgl. Mirdei lohnte es dem Geißbuben durch einen dankbaren Blick.

256 Im hintersten Winkel nahe der Mauer wurde ein Grab gegraben, in welches ohne jede kirchliche Feier der Sarg gesenkt werden sollte. Mirdei nahm jetzt Burgl unterm Arm, schlug mit ihr den Weg zum Pfarrhause ein und schrieb dort auf ein Papier, daß sie für den Verunglückten eine kirchliche Beerdigung und eine stille Messe wünsche und hiefür die Kosten bestreite.

Der Pfarrer erriet sogleich den Zusammenhang. Er wußte vielleicht allein in der Gegend von Mirdeis einstigem Schicksal und als ihm diese vertraute, daß Burgl die Tochter des Verunglückten sei, suchte er das Mädchen in herzgewinnender Weise zu trösten, riet ihr aber, dieses Geheimnis gegen andere zu bewahren, da ja niemand zu wissen brauche, daß sie die Tochter des verunglückten Paschers sei.

Sobald das Grab fertig, nahm der Pfarrer die Einsegnung und Beerdigung der Leiche vor. Die Glocken läuteten vom Turme und fast aus jedem Hause kamen Leute, um aus christlicher Barmherzigkeit dem Verunglückten das letzte Geleite zu geben. Mirdei und Burgl folgten dem Sarge mit unaussprechlichem Schmerze. Sie begruben ja mit dem Toten so viele Hoffnungen, die ihnen die Zukunft so schön erscheinen ließen, und als der Geistliche sein Gebet mit den Worten schloß. »Herr, gieb ihm die ewige Ruh,« riefen sie unter heißen Thränen: »Amen!«

Traurig schlugen sie dann den Weg nach Hause ein. Da weinten sie wohl den lieben langen Tag. Mirdei hatte den Viehhandel dem Geißwastl allein überlassen, sie dachte gar nicht mehr an ihn, trotzdem er gegen alle Gewohnheit lange ausblieb.

257 Wastl hatte seine Kalben glücklich an den Mann gebracht und das reichliche Trinkgeld, das er erhielt, ließ es ihn wagen, einen Gang ins Wirtshaus zu machen. Der Ober-Rauecker hatte schon während des Marktes öfters unwillig auf das schöne Vieh geblickt, welches von dem Hofe kam, der von Rechts wegen jetzt ihm gehören sollte und das ein schönes Stück Geld eintrug. Die Neugierde trieb ihn jetzt an, sich zu dem Geißbuben zu setzen und ihn über alles, was im Hofe vorging, »auszufratscheln.« Er hatte auch von weitem gesehen, wie Burgl und Mirdei über den Tod des Paschers traurig thaten und er wollte hierüber von dem alten Buam Auskunft haben. Dieser verhielt sich zurückhaltend; der Rauecker merkte aber gleich, daß ein Geheimnis dahinter stecke, ließ roten Tirolerwein kommen und hieß den Geißwastl mit ihm trinken. Was er erreichen wollte, gelang ihm. Der des Weines ungewohnte Alte wurde alsbald betrunken und teilte nun dem Rauecker unverhohlen mit, daß der heute in Egern Begrabene niemand anders als Burgls Vater und Mirdeis ehemaliger Bräutigam, der Schönecker Bartl sei, wegen dessen Untreue Mirdei ihre Sprache verloren.

»Und die Tochter von an' solchen Lumpen will Bäurin wer'n aaf mein' Hof?« rief der Rauecker unwillkürlich aus. »Da wird nix draus, so lang i meine Aug'n offen hon! Liaba enterb i mein Buam und vermach 'n Hof, wie mei' Bruada, aa r an' fremd'n Menschen, als daß i a solche Schand duldet.«

Aber noch etwas vertraute ihm der betrunkene alte Wastl an, nämlich, daß seine Bäurin morgen in aller Frühe mit Burgl nach Rattenberg fahre, daß Mirdei viel Geld für diese Reise hergerichtet habe und aller 258 Wahrscheinlichkeit nach der Zweck derselben sei, Franzl nicht nur zu besuchen, sondern ihn auch frei zu kaufen von seiner Strafe, wenn das möglich sein sollte.

Diese Nachricht brachte den alten Rauecker erst noch ganz auseinander.

»So wäret die ganz G'schicht abkart'?« rief er, »daß i 's nur woaß! Da is koa' Augenblick zu verliern, dös Pascherdirndl soll's wissen, daß für sie koa' Platz aaf mein' Hof is und daß 's die Roas aaf Rattenberg dasparn ko'. Heunt no', glei iatzet geh i donni zu ihr und sag's ihr brüahwarm, wie r i 's denk.«

Er ging zu gleicher Zeit und in schon vorgerückter Stunde mit dem wackeligen Geißbuben nach Hause. Im untern Raueckerhofe kehrte er zu. Bereits war es Nacht. Er traf die beiden Frauen in der Stube, die von einer hängenden Öllampe beleuchtet war. Mirdei und Burgl waren nicht wenig überrascht, den beleidigten Nachbar bei sich zu sehen. Mirdei gab ihm ein Zeichen, sich zu setzen und war begierig zu hören, was den Bauer noch heute zu ihr führe.

»I bin grad kemma,« begann der Rauecker, »um enk z' sagn, daß i 's woaß, wen 's heut z' Egern begrab'n hab'n. Bislang woaß 's no' neamd, als i, morgn aba soll's rings um an' Tegernsee bekannt wer'n, daß 's 'n Mirdei ihr ehemaliger Schatz und dem Dirndl da sei' Voda gwen is, der als Pascher daschoss'n wor'n is, wennst mir iatz nit glei schwierst,« dabei wandte er sich an Burgl, »daß d' von mein' Franzl nix mehr wissen willst, 'n niermals aafsuachst und für ewi Zeiten abwihrst, wenn er amal hinter di kemma sollt.«

259 Mirdei stand stolz auf und drohte dem Nachbar verächtlich mit der Faust; zu Burgl aber machte sie eine verneinende Bewegung.

Burgl fühlte, wie tief die Beleidigung des alten Raueckers in ihrem Herzen saß, aber auch sie hatte sich erhoben und antwortete jetzt mit fester Stimme. »Rauecker, was d' mir drohst z'weg'n mein' Voda, so hab i mi heunt nit g'scheut, hinter seina Bahr drein z' gehn und scheu mi nit, offenkundi z' mach'n, daß der Verunglückte mei' arma Voda g'wen is, so weni si dei' Franzl scheu'n wird, di als sein' Vodan anz'kenna.«

»Staad bist, du Dirn!« schrie der Rauecker, sich vergessend. »Und extra is 's g'schworn: so weng kimmst du als mei' Schwiegatochter aaf'n Raueckerhof, so weng heunt no' mei' Franzl mit dein ehrlinga Voda für d' Stubenthür einageht.«

Wutentbrannt öffnete er diese, um sich zu entfernen – da prallte er entsetzt zurück in die Stube.

Ein zweifacher Schrei hallte durch das Gemach, von Mirdei ein Schreckens, von Burgl ein Freudenschrei, denn in der offenen Thüre standen zwei Männer: der Schönecker Bartl und der Rauecker Franzl.

»Dei' Voda, 'n Bartl sei' Geist!« schrie Mirdei, entsetzt nach dem vermeintlichen Gespenste des erst heute Begrabenen starrend.

Burgl erschrak weniger über Mirdeis Worte, als darüber, daß diese sprechen konnte, weniger über den Fremden, welchen sie nicht kannte, als über das unerwartete Wiedersehen des Geliebten.

Auch der alte Rauecker stand betroffen. Er konnte vor Erstaunen kein Wort hervorbringen, aber Franzl eilte 260 auf ihn zu und rief: »Grüaß di Gott, Voda und di, Mirdei, und di, mei' liawe Burgl! Dei' Voda hat mir d' Freiheit bracht,« fuhr er zu letzterer gewendet fort, »bei eam kannst di bedanka, wenn's di g'freut, daß d' mi wieder siehgst –«

»Mei' Voda?« rief Burgl den ihr Nahenden erschrocken anstarrend.

»Bartl,« rief jetzt Mirdei, »du bist heunt nit eingrab'n wor'n?«

»Alle guat'n Geister loben Gott den Herrn, sag, was ist dein Begehrn?« stotterte der eben eingetretene Geißwastl und sank so plötzlich auf die Kniee, daß seine alten Knochen laut krachten.

Auch der alte Rauecker lag jetzt auf den Knieen.

»Wenn der Alt a Gspenst is,« rief er, »is da Jung aa oans. Heiliger Wendelin, steh mir bei!« Daß er beide Gespenster durch seinen dummen Schwur herbeigelockt, das stand nun in ihm fest, wie aber sie wieder fortbringen? Er winkte mit abgewandtem Gesichte mit dem Hute nach der Thüre und schrie. »Außi! Außi!«

»Na', na', bleibt's nur da!« sagte jetzt Burgl und schlug in die dargereichte Hand des Mannes, den ihr Franz als ihren Vater bezeichnet hatte. Der Schlag ihres Herzens sagte ihr, daß es wirklich ihr Vater sei, der sie jetzt an sein Herz zog und ihr die Stirne küßte.

»Du bist mir nimmer fremd,« sagte sie. »I moan, wir hätt'n uns vor nit langer Zeit wo g'sehgn?«

»In der Valepp is 's g'wen,« entgegnete Bartl, »wo du di so freundli um mi, den verlumpt'n Mo', ang'nomma hast, – an demseln Tag, wo mi der Finanzwachta am Weg hat z'sammhau'n woll'n und i eam zuvorkomma bin. 261 Leider Gottes! hat da Franzl für mi büaß'n müassen. I hon dös erst vor acht Tag erfahrn, wie r i aus der Valepp, wo 's mi über drei Monat ei'gschneit hat g'habt, furt kinna hon, um di, Burgl, bei deina Ziehmutta aufz'suachen. Da hon i nacha alles erfahr'n. Schnell bin i zum G'richt in Rattenberg und hon die Freilassung vom Franz dawirkt. Sunst hon i ja aa nix, was i dir Freudigs mitbringa kunnt, mei' liabs Kind; i moan aba, i hon dir scho' 's Best bracht.«

»Ja, dei' Voda hat mi frei g'macht,« bestätigte jetzt Franz noch einmal. »An' brav'n, fleißg'n Mo' hat 'n der Herr Oberförster in da Valepp g'hoaßn, wia ma heunt durchi san. »Liaba Freund« hat er 'n g'hoaß'n und bitt hat er 'n fredi, daß er bal wieda z'ruckkemma soll.«

Der alte Rauecker hatte sich jetzt auch wieder gesammelt, ebenso Mirdei, welche die Engel im Himmel singen zu hören glaubte, als Franzl in so lobender Weise von Bartl sprach. Der Mann sah auch ganz anders aus, wie dazumal am Almakirta. Er hatte eine reinliche Joppe an und auch auf sein Äußeres mehr Aufmerksamkeit verwendet, so daß er einem gesetzten, noch rüstigen Manne glich.

Bartl hatte jetzt seinen Blick auf Mirdei gerichtet, welche ihm beide Hände entgegenstreckte und sagte: »Bartl! In der unglücklichsten Stund in mein' Leb'n hast mir mei' Sprach g'numma, heut hast mir's wieder verschafft – gelt's Gott dafür. Du sollst koa' Not mehr leid'n, so lang als d' lebst. I sorg für di und für dei' Burgl. Und woaßt, du grandiger Rauecker,« fuhr sie fort, sich zu dem noch ganz verdutzt dastehenden Bauern wendend, »aa dei' Wunsch soll dafüllt wer'n, daß die zwoa Raueckerhöf wieder z'sammkemma, denn d' Burgl irbt amal mei' ganze Sach. I 262 moan, du kaanntst es nacha dengerst als Schwiegatochta aufnehma – wie moanst nacha du?«

»Da hon i nacha weita nix z'sagn, als: Nehmts enk und b'halts enk!« sagte der Bauer.

»Juhu!« schrie Franzl und schloß das errötende Mädchen in seine Arme. »In sechs Wochen is Hozet!«

»Trau dir nit, Burgl!« rief jetzt der Geißwastl, »woaßt, dös is alles nur a Blendwerk der Höll. Du bist heunt dein' Vodan mit der Leich ganga – mirkst denn nit, daß er waizt und der da siehgt aa nur 'n Franzl glei, alle zwoa sans Waizen oder gar Tuifln!«

»Sei staad und mach, daß d' aus der Stub'n kimmst,« sagte Franz und reichte dem Alten ein Geldstück hin.

»Ei wohl,« versetzte dieser, erst das Geldstück, dann den Geber betrachtend, »da müaßt i do selm der Tuifl sei, wollt i dös Geld nit vodean. I mach staubaus, von mir aus kann da Tuifl 'n Bauern holn!« Und er eilte davon.

Nun folgte eine Aufklärung. Der heute Begrabene war niemand anders, als jener von den Grenzjägern versprengte andere Pascher, welcher Bartl damals zugerufen hatte, sich zu wehren. Der Mann hieß Fletzberger. Er hatte die Kraxe mit den Seidenwaren, welche Bartl im Stiche ließ und worin sich eine alte Brieftasche desselben mit einigen auf ihn bezüglichen Papieren befand, sofort gegen seine, weniger wertvolle Gegenstände enthaltende Kraxe umgetauscht und damit den Weg über das Gebirge nach Tegernsee gesucht. Die ihm nachsetzenden Grenzjäger 263 schickten ihm einige Schüsse nach, wovon auch einer getroffen hatte. Er schleppte sich mühsam weiter und schien die Wechselalm erreicht haben zu wollen, mußte aber den Weg verfehlt und seine Wunde ihm nicht mehr erlaubt haben, weiter zu steigen; wahrscheinlich hatte er sich verblutet und ward dann eingeschneit. Da man in seiner Kraxe die Papiere des Schönecker Bartl fand, eine Nachfrage nach demselben ergab, daß er seit Dezember verschollen sei, so nahm man mit Sicherheit an, daß die aufgefundene Leiche nur die des Schönecker Bartl sein könne, und unter diesem Namen erfolgte auch dessen Beerdigung heute zu Egern. –

Für Bartl war die Gefangenschaft in der Kaiserklause das Mittel zur völligen Besserung gewesen. Er erkannte bald, daß der Spruch: »Arbeit ist des Lebens Würze« keine leeren Worte, sondern lautere Wahrheit enthalte. So kam es, daß er bald der fleißigste Arbeiter in der Kaiserklause war, und er konnte dem braven Oberförster gar nicht genug danken, daß er ihn noch in seinem vorgerückten Alter kuriert und aus ihm einen ordentlichen Menschen gemacht habe. So war es, als im Frühjahr der Weg wieder frei wurde, sein erstes, die versäumte Vaterpflicht nachzuholen, sein Mädchen aufzusuchen und ihr das durch seine Arbeit aufgesparte Geld zu bringen. Beim Abgange mußte er dem Förster versprechen, wieder zu ihm zu kommen und Bartl war glücklich, nunmehr einen Platz zu haben, wo er anständige, wenn auch schwere Arbeit fand.

Bei Burgls Ziehmutter im Zillerthale erfuhr er nun zu seiner Freude, daß sich Mirdei seines Mädchens angenommen habe, zugleich aber auch, daß der Rauecker Franzl, 264 welcher seiner Burgl Lieb' und Treue geschworen, an jenem Kirchweihtage verhaftet worden sei, weil er den Finanzwächter zu Boden geschlagen. Dieses genügte, daß Bartl sich sofort auf den Weg zum Gerichte machte, wo er Franzens Unschuld konstatierte und sich selbst als Thäter angab. Er bewies durch den Hieb über seinen Arm, daß er von dem betrunkenen Finanzwächter angegriffen worden sei und demselben nur aus Notwehr den Schlag über den Kopf versetzt habe. Bartls Aussage wurde um so wahrer befunden, als der Finanzwächter neuerdings wegen eines ähnlichen Falles in Untersuchung war und dessen Hang zur Trunkenheit auch seine Entlassung aus dem Dienst zur Folge hatte. Man gab deshalb Franz frei, ohne gegen Bartl eine neue Untersuchung anhängig zu machen. So schlugen beide den Weg zum Raueckerhofe ein, und glückliche Menschen saßen Hand in Hand um den großen Tisch in der Ecke. –

Außen schienen zitternde Lichtfunken zahlloser Sterne vom stahlblauen Himmel hernieder zu flocken auf die schweigende Gegend. Der alte Rauecker mahnte zum Aufbruch. Franz umfing das Mädchen, das sich mit selig verklärtem Liebesblicke umfangen ließ von den Armen des Geliebten. So traurig der Morgen, so selig war der Abend. Spät erst trennten sich die Wiedergefundenen, die Versöhnten.

Mirdei richtete für Bartl ein gutes Lager zurecht, und er fühlte sich unter dem friedlichen Dache wie neugeboren. Tiefe Rührung hatte sich seiner bemächtigt, sein letzter Gedanke vor dem Einschlafen war ein Dankgebet für all das unverdiente Glück.

* * *

265 Der Frühling hatte bereits die ganze Vollglut seiner Farbenpracht über die herrliche Gegend ausgegossen und die Strahlen der Sonne lagen gleich einem goldenen Netze über dem dunkelgrünen Spiegel des Tegernsees ausgespannt, auf welchen die stattlichen, nunmehr fast ganz von Schnee befreiten Berge freundlich herniedergrüßten. Die Wiesen leuchteten in bunter Blumenpracht, grüne Matten schimmerten, Waldschatten dunkelten, Quellen und Bäche rauschten und der Gesang der Vögel klang darein, so reizend und wonnig, als wäre er verwebt mit dem duftenden Wallen und Wehen des holden Frühlingszaubers.

Vor dem Hofe des obern Raueckers stand ein junges Paar. Es war Franzl und Burgl. Gestern hatten sie Hochzeit gehalten; es war der erste Morgen des vereinigten Ehepaares. Schweigend sahen sie hinaus in die paradiesische Gegend. Auf einer hohen Esche zunächst des Hofes begann eine Drossel ihr Morgenlied. Beide gedachten des Weges nach der Elendalm, wo der Gesang einer Drossel das Aufkeimen ihrer Liebe begleitete, heute sang sie ihnen vielleicht Glück und Freude zum Ehestand. Vom untern Raueckerhofe schritten langsam zwei Personen heran, Mirdei und Bartl. Sie kamen, dem jungen Paare den ersten Morgengruß zu bringen. Franz und Burgl gingen ihnen entgegen und führten sie dann in ihr prächtiges Haus.

Nachdem sich Bartl hinlänglich von dem Glücke überzeugt, das seiner Tochter zu teil geworden, stand er auf und nahm von allen herzlichen Abschied. Den darob Überraschten teilte er mit, daß nunmehr seines Bleibens nicht länger hier sei, sondern daß er, wie er dem Oberförster versprochen, in die Valepp wolle, um dort die 266 unterbrochene Arbeit wieder aufzunehmen. Vergebens suchten ihn die Anwesenden von diesem Vorhaben abzubringen.

»I hon iatz wieda g'nua g'feiert,« sagte er, »i siehgs aba scho', i kaannts nimmer damacha, daß i mi no' länger aaf di faul' Haut leget. Mir schmeckt koa' Essen mehr und koa' Trinka, dös i mir nit vodeant hon, drum laßt's mi wieda eini in d' Valepp. Zum Almakirta kommt's nacha in Hoa'gast zu mir, nacha kann i mit Ehrn aaf oan Tisch mit enk Platz nehma und fidei wolln ma sei', daß si die ganz Welt über uns g'freut!«

Aber Bartl stieß bei diesem Vorhaben auf großen Widerspruch von seiten seines Schwiegersohnes, der sich nicht wollte nachsagen lassen, daß sein Schwiegervater als Holzarbeiter in der Valepp diene, sondern ihn aufforderte, bei ihm auf dem Hofe zu bleiben.

»I bin no' z' kräfti, um scho' an' Pfründner z' mach'n,« meinte Bartl.

»So kannst ja bei mir bleib'n,« mischte sich Mirdei ein; »bei mir giebt's Arbet g'nua, wenn i in Summa ob'n aaf der Alm bin. Der alt Wastl taugt ja dengerst zu nix mehr.«

»Na', na',« erwiderte Bartl. »I woaß guat, daß ma's scho' überall 'rum woaß, daß i dei' ehemaliga lumpiga Bräutigam g'wesen bin, z'wegn mir sollst in koa' übels G'schwaatz kemma, Mirdei. I hon dir scho' Kümmernis gnua g'macht in dein Leb'n; Gott b'hüt mi, daß i no' 's G'ringste gen di voschulden möcht.«

»Ja no', wie 's d' moanst,« erwiderte Mirdei, »aber i kann nimmer sei' ohne an' Herrn im Haus und krieg i 267 koan in Deanst, so heirat i no', trotz meine vierz'g Jahr. I woaß mir aa scho' oan, der mir taugt.«

Dabei blickte sie Bartl lachend an. Auch das junge Ehepaar lachte. Nur Bartl wurde kreideweiß. Auch das Glück will gewöhnt sein, es überwältigt mit seinen unerwarteten Gaben ebenso, wie das Unglück.

»Mirdei, du denkst dengerscht nit an den liederlichen, verachten Schönecker Bartl?« sagte er leise zu ihr.

»An den denk i nit. Dem liederlichen Schönecker Bartl bin i in Egern mit der Leich gangen, aba den braven, wieder z'sammg'richten Bartl, den nehmet i just no' zu mein Mo', wenn er mi möcht.«

»Wie, du thaatst di nit schaama?«

»Schaama?« fragte Mirdei. »Schaamt si denn unsa Herrgott, wenn er dem reuigen Sünder verzeiht und wieder zu sich aufnimmt. Was frag i nach die Leut, thua i do' nix Unrechts und also – du woaßt, wie i g'stimmt bin.«

»Mirdei!« rief Bartl, »dös Glück druckt mi z'samm. I kann so ebbas gar nit fassen! Dös hon i nit vodeant! Dös waar der Himmi aaf der Welt.«

»Du hast d' Höll aaf dera Welt scho' g'nua empfunden,« sagte Mirdei. »Arbet giebt's aaf 'n Hof nach der Auswahl und du sollst mi ja nur heirat'n, daß die Leut nix z' schwaatzn hab'n; verstanden? D' Hauptsach is, daß der Hof in guat'n Stand bleibt, wenn's amal is, für die Kinda von der Burgl.« – –

Als wenige Wochen darauf das ältliche Ehepaar nach 268 Egern zur Trauung hinabstieg und vom Turme die Glocken feierlich zum Amte läuteten, fürchtete Bartl, wieder zu träumen, wie damals auf der Wildfeldalm, wo auch die Glocken läuteten und er mit dem versöhnten Mirdei zur Trauung schritt.

»Woaßt g'wiß, daß 's koa' Traam is?« fragte er mit unsicherem Tone das neben ihm schreitende Mirdei.

»Wieso moanst dös?«

»Scho' amal bin i im Traam mit dir aaf d' Hochzet ganga, 's war aaf der Wildfeldalm, d' Glock'n hab'n g'läut und wier i an' Juchaza tho' hon, bin i aafg'wacht.«

»So probiers halt und juchez no' amal,« sagte Mirdei lächelnd.

Und Bartl juchzte, daß es weit hinaus hallte bis zum Wallberg und hin über den dunkelgrünen See. – Alles blieb, wie es war; nichts verschwand, als das Echo des freudigen Rufes.

So schritt er mit dem Almstummerl zum Altare. –

Wagte sich auch anfangs das üble Gerede bis zur Schwelle des Raueckerhofes, bald verstummte dasselbe angesichts der unermüdlichen Thätigkeit des neuen Bauern. Nach wenigen Jahren galt sein Hof für den bestbewirtschafteten weit und breit. Rasch flohen ihm die Jahre dahin im Bewußtsein seines eigenen und Mirdeis Glück und desjenigen seiner Tochter, deren Kinder er in den Feierstunden mit Freuden auf seinen Knieen schaukelte. 269

»Arbeit würzt das Leben!«

Diesen Spruch hatte er mit großen Buchstaben über die Thüre seines Hofes malen lassen und dies war es hauptsächlich, was er seinen Enkeln schon von Kindheit auf mit Erfolg einprägte. Ihn aber sah man noch im hohen Alter rastlos schaffen an der Seite seiner Raueckerin, dem glücklichen Mirdei, dem unentwegt getreuen »Almstummerl.«

 

 


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