Maximilian Schmidt
's Almstummerl
Maximilian Schmidt

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III.

Servazius wurde schon nach kurzer Wanderung infolge des ungewöhnlichen Weingenusses so schläfrig und müde, daß er erklärte, keinen Schritt mehr weiter gehen zu können und in einem Gebüsch zunächst des Steiges ausruhen zu wollen, bis ihn Burgl und ihr Begleiter auf dem Rückwege wieder abholen würden.

So gingen Franzl und Burgl allein zu der Elendalm am sogenannten Enzengraben hinauf. Neben dem Wege stürzt ein Wildbach, der seinen Ursprung auf dem nahen, bewaldeten Kreuzberg hat, über steiniges Geröll herab. Die kahlen Häupter des Sonnwend- und Schönfelderjoches ragten über die niedern Waldberge stolz empor und waren von der schon stark nach Westen sich neigenden Sonne glänzend beleuchtet. Auf den Waldungen des Kreuzberges und des gegenüberliegenden Auerberges lag ein smaragdgrüner Duft. Zwischen beiden leuchtete aus dem Bergthale das frische Grün der Almweiden des Totengrabens, und man sah das schöne, glockenläutende Almenvieh ruhig auf der duftenden Weide.

Burgl sah sich öfters und fast besorgt nach Servazius um, bis der Baum, unter welchem er ruhte, ihren Augen entschwunden war. Dann ging sie stille und in unklare 201 Gedanken versunken, am Hange einer Schlucht und in der Nachbarschaft der Wipfel mehrerer hundert Fuß hohen Tannen und Fichten neben Franzl dahin. Auch dieser wußte nicht, wie er das Gespräch mit dem Dirndl, das es ihm heute »angethan hatte«, nunmehr, da sie allein waren, beginnen sollte. Nach langer Zeit fing er endlich an, über das stumme Mirdei zu sprechen, die es durch ihre Treue und Anhänglichkeit zu etwas gebracht habe.

»O, mei' Gebet hat g'wiß aa dazua beitrag'n,« meinte Burgl, »denn so lang i denk, hon i fürs Mirdei bet' und mei' Muatta, Herr, gieb ihr die ewi Ruah! is mir alleweil in der G'stalt vom Mirdei erschiena.«

»So hast koane Eltern mehr? Is der Schreiber dei' Gerhab?« (Vormund.)

»Na', 'n Schreiber sei' Frau is a Verwandte von meina Ziehmuatta; die is heut krankli worn und desweg'n san die Schreibersleut mit mir ganga. I bin an arm's Woaslkind. Meine Eltern san reiche Bauersleut gwen, aba da Voda war koa' Hauser – mei' Gott, d' Leut sagen's halt – wer woaß 's, was dran schuld war, daß er Haus und Hof verlor'n! Drüber is d' Muatta g'storbn und da Voda is außer Lands. Mei' Ziehmuatta sagt, daß er wahrscheinli längst scho' tot is. Sie und 's Mirdei, mei' Godl, san die oanzigen Menschen aaf der Welt, die si um mi kümmern. I werd heunt 's Mirdei bitten, daß s' mi ganz hernimmt zu ihr, damit i für sie arbeiten und ihr vergelt'n kon', was 's an mir Guats tho hat.«

»Dös is a schön's Vorhab'n,« sagte Franzl, »und mei' Wort gilt was beim Mirdei – i will dir guat red'n. Aba Dirndl, du siehgst nit aus, als wennst zum Ehhalten gebor'n waarst.«

202 »Moanst, weil meine Händ von koana grob'n Arbeit zoagn? Mei' Gott, mei' Schuld is 's nit. Mei' Ziehmuatta is a Näherin und i hilf ihr aus, so guat 's geht. Aba in der letzt'n Zeit hat d' Arbet na'lass'n. Da ziagn an etli um mit Nähmaschinen und mit dene kannst nimmer in gleichen Gang bleib'n, d'rum hon i mir vürgnomma, und der Ziehmuatta is 's aa recht, 's Mirdei z' bitten, daß s' mi in Deanst nimmt. I lern alles und grad waar's mei' Freud, so in der frischen Bergluft außen 'rum z' hantiern, wost d' Vögerln singa hörst und d' Wassa rauschen durch 'n Wald, und 's G'läut vom Almavieh so trauli klingt hoch ob'n am Berg, wost außi über Berg und Thal kannst schaugn und wost nix hörst von der Traurigkeit und Not, die d' Menschen geg'nanand so z'wida macht.«

»Dessel is scho' schö',« versetzte Franzl, »aba halt, nit alloa' därf ma' sei'; da krieget ma' do' aa diermal d' Weillang.«

»Dös kenn i nit,« antwortete Burgl. »Ich bin oft Tag' lang alloa' bei meina Arbet g'sess'n und mit Arbeit'n und Denk'n is mir da Tag recht kurzweili voganga. Da hon i so oft an mein' Voda denkt, wenn er dengerscht nit tot waar und wieder kommet und i eam helf'n kunnt. Gern wollt i mi plag'n für mei' ganz' Leb'n, 's Unglück, dös 'n g'haßt hat, machet eam vogess'n und wenn er aa voracht war von die Leut, weil er arm und vergant' is, i richtet sei' Gmüat scho' wieder z'samm und mei' Liab sollt eam a Kräutl sei' geg'n alle Kümmernis.«

»Dei' Liab?« fragte Franzl. »Ja, ja, 'ßel glaab i gern. Die lasset koa' Kümmernis mehr aufkomma, nit bei dein Vodan, nit bei dem Buam, demst es amal schenkst.«

Burgl schwieg. Sie fühlte des Burschen brennende 203 Blicke auf sich gerichtet, er sagte die letzten Worte mit so bewegter, sanfter Stimme, daß das Mädchen darüber tief erröten mußte.

Auch Franzl sprach nichts mehr. Auf dem Wipfel einer hohen Tanne, an welcher sie eben vorüberschritten, trillerte die Walddrossel ihre einschmeichelnde Weise zum blauen Äther hinauf. Beide lauschten dem Gesange und schwiegen. Jetzt kam ein Wildbach quer über den Weg herab. Ein großer Stein diente als Brücke. Franzl reichte seiner schönen Begleiterin die Hand, um ihr beim Übersteigen behilflich zu sein. Ein rascher Sprung und der Wildbach lag hinter ihnen; aber beide schienen vergessen zu haben, ihre Hände wieder frei zu lassen. Hand in Hand wanderten sie weiter den duftigen Waldespfad entlang. So waren sie an der Alm angelangt.

»Da steht d' Elendalm,« sagte Franzl.

»Scho'?« fragte Burgl verwirrt und zog errötend die Hand aus der seinen.

Franzl rief die Sennerin mit einem kräftigen Juhschrei an, aber weder unter der Thüre, noch am Fenster zeigte sich jemand.

»'s Mirdei wird dengerscht dahoamt sei'!« rief Burgl.

»Aaf koan Fall is 's weit furt,« meinte Franzl; »g'wiß is 's beim Vieh drauß und schaut 'n Hüatabuam nach. 's Mirdei is gar streng. Derweil bis s' kimmt, rast' ma halt aaf der Gred und schau,« dabei drückte er an der Thüre, welche sich sofort öffnete, »da Kaser is offen und d' Zither liegt am Fensterg'sims – da kinna ma uns d' Zeit vertreib'n, bis 's Mirdei kimmt. Setz di nur her, Burgl, i sing dir was vür und du muaßt nachisinga; aba g'wiß, i volaß mi draaf.« Und während er einige Akkorde 204 spielte, dachte er über die Worte nach, welche bestimmt sein sollten, in die Melodie eines Volksgesanges gekleidet, dem schönen Mädchen seine Gedanken zu enthüllen. Dann begann er zu singen:

»I woaß 's nit, und i woaß 's nit,
Was 's heunt mit mir is!
Daß 's nit mit mir richti,
Dessel woaß i g'wiß.

Sunst hat mir dös Drössel
Guat gsunga am Baam,
Heunt war's mir, als singet's
Mi in an' schön' Traam.

Und von dem schön' Traama
Bin i aafgwacht iatz grad,
Weil mi a liabs Engal
So liabli angschaut hat.«

Franzl hatte das Dirndl während des Gesanges nicht aus den Augen gelassen; auch Burgl blickte wie träumend nach ihm. Bei den letzten Worten schien aber auch sie zu erwachen, denn sie senkte errötend ihre Augen.

Franzl schob ihr die Zither hin und Burgl griff sofort nach derselben. Jetzt sang sie:

»I woaß 's nit, i woaß 's nit
Is 's recht, is 's nit recht,
Daß i woana und lacha
Zu gleicher Zeit möcht.

Dös Drössel, dös liawe,
Zwitscht da und zwitscht durt,
Ge, laß 's nit wegfludern
Und traam recht lang furt.«

Aber Franzl schien zum Weiterträumen wenig Lust zu haben. Er rückte den Hut schiefer aufs Ohr, sah Burgl 205 mit einem schneidigen Blicke an und die Zither wieder zu sich nehmend, sang er in froher Weise:

»Deandl, wie moanst ebba,
Wennst ma dei' Herzal ga'st,
So lang i dös nit hon,
Krieg i koa' Ruah, koa' Rast.

Moanst nit, daß 's gscheita waar,
Du machst die G'schicht glei goa,
Mei' Herzal hast voneh,
Was thaatst denn iatz mit zwoa.«

Burgl hatte die mit Innigkeit gesungenen Worte in ihr Herz aufgenommen, das sich plötzlich zu öffnen schien. Gleich wie der Wanderer, auf der Spitze eines steilen Berges angelangt, überrascht und überwältigt hinausblickt in die bis jetzt ungeahnte Pracht und Majestät der Schöpfung, so sah auch das arme, bescheidene Dirndl plötzlich ein unermeßliches Glück vor sich, so schön, so bezaubernd, wie es nur der empfindet, dessen Herz sich zum erstenmale der reinen Liebe öffnet. Sie sah den hübschen Burschen mit glückstrahlenden Augen an, sie wollte sprechen, aber der Redeton versagte ihr, sie griff nach der Zither und sang mit glöckelheller Stimme:

»Büawal, i kenn di nit,
Kenn grad' dei' G'schau,
Woaß nit, ob's g'ratn is,
Daß eam vertrau –

Mir geht da Himmi auf,
Nix mehr is trüab,
Funkeln thuat alles,
Moanst nit, dös is d' Liab?«

»Juhu!« rief jetzt Franzl und schlang seinen Arm 206 um das Mädchen, aber in diesem Augenblick stand das stumme Mirdei vor den beiden.

»Mei' Godl!« rief das Dirndl aufspringend und auf dieselbe zueilend, und da sie bemerkte, daß sie nicht gleich erkannt wurde, fuhr sie fort. »Kennst mi glei gar nimmer, d' Burgl, dei' Firmgodl?«

Jetzt reichte die Stumme der Sprechenden beide Hände hin, mit Zeichen zu verstehen gebend, daß Burgl bei ihrem letzten Besuche noch viel kleiner gewesen und sie erstaunt sei, ein so großes und sauberes Dirndl zu sehen. Nochmals schüttelte sie ihr die Hand und drückte ihre Freude aus, von ihr heimgesucht zu werden. Dann aber sah sie ganz verwundert nach dem Rauecker Franzl und konnte sich nicht denken, wie die beiden jungen Leute dazu kamen, sie zu gleicher Zeit auf ihrer einsamen Alm zu besuchen. Noch unerklärlicher war ihr die gegenseitige Vertrautheit der beiden.

Franzl klärte sie hierüber vollkommen auf. Er erzählte ihr Zusammentreffen beim Almentanz in der Valepp und wie er sich erboten habe, Burgl und ihre Begleiter auf die Elendalm zu führen; wie von letzteren eines nach dem andern zum Aufstiege unfähig geworden sei und der Schreiber schlafend ihre Rückkehr erwarte. Da sie die Hütte leer gefunden, hätten sie sich einstweilen durch Gesang die Langeweile vertrieben.

Mirdei drohte lächelnd mit dem Finger, und als sie Burgls Erröten bemerkte, streichelte sie ihr die blühenden Wangen und sah ihr lange in das glückstrahlende Gesicht. Welche Gedanken mochten in diesem Augenblicke Mirdeis Herz durchzittern!

Nach einer Weile nahm sie Franzl bei der Hand und legte die Linke an ihr Herz, als wollte sie fragen: »Moanst es ehrli mit dem arma Dirndl?«

207 Franzl verstand sie.

»So wahr Gott im Himmi lebt,« rief er, »d' Burgl und koa' andere wird mei' Bäurin. Siehg i's aa erst sita heunt, so is 's ma just, als waar 's bei mir gwen, so lang i denk und als waar alle Freud, die i dalebt hon, von ihr ausganga. Und wenn 's iatz für mi a Bild ohne Gnad waar, i wißt fredi nit, was i anfanga müaßt. Ge zua, Mirdei, hilf ma zu dem Dirndl. Laß mir die Feindschaft von mein Vodan nit entgelten.«

Die Stumme betrachtete ihn lange prüfend, dann sah sie in Burgls strahlende Augen. Jetzt nahm sie die stets auf dem Tische liegende Schreibtafel und schrieb mit dem daran hängenden Griffel darauf: Ich nehme die Burgl ganz zu mir an Kindesstatt und werd noch heut mit ihrer Ziehmutter das Nötige ausmachen. Bewährt sich dann die Lieb und Treu, so sorg ich für euer Glück.

Diese Zeilen erregten bei den jungen Leuten lauten Jubel. Franzl jauchzte laut auf und Mirdei wollte es ihm nicht wehren, als er Burgl in seinen Arm nahm und ihr einen herzhaften Kuß auf die brennenden Lippen drückte.

Dann setzte die Stumme ihr Hütchen auf, hing ihre Jacke um und verließ mit dem glücklichen Paare die Elendalm, welche in dieser Stunde diesen Namen gewiß nicht mit Recht führte. Mit den glücklichsten Gefühlen stiegen sie auf dem kürzesten Wege zu Thal, des unter dem Gebüsche ruhenden Servazius ganz vergessend, dessen Erwachen sich weniger süß gestaltete als die genossene Ruhe, wie wir im nächsten Kapitel hören werden. 208


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