Maximilian Schmidt
's Almstummerl
Maximilian Schmidt

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I.

Nahe der bayerisch-tirolischen Grenze, wo die rote mit der weißen Valepp vereinigt brausend durch ungeheure Felsenmassen stürzt, liegt von hohen, zackigen Berggipfeln umgeben eine kleine Ansiedelung, auf welche die kahlen Häupter des Sonnwendjoches und des Schinders ernst herniederschauen. Ein Försterhaus, ein paar von Holzarbeitern bewohnte Hütten und ein hübsches, im gotischen Stile erbautes, dem hl. Bartholomäus geweihtes Kirchlein bilden die unscheinbare Ansiedelung, welche unter dem Namen der »Valepp« weit und breit diesseits und jenseits des Grenzschlagbaumes bekannt ist. Eine kurze Strecke abwärts befindet sich in einer Klamm das großartige Triftwerk, die Kaiserklause, durch welche, sobald die Schleusen geöffnet werden, das Wasser brüllend hindurchstürzt und auf den schäumenden Wogen das Scheitholz mit fortreißt zu dem gewaltigen Innstrome.

Hauptsächlich ist es der Bartholomäustag, der 24. August, welcher in der Valepp eine große Menschenmenge zusammenführt, die es sich in dem gastlichen Försterhause, welches zugleich Wirtshaus ist, beim »Almakirta« wohl 169 gefallen läßt. Da kann man die stämmigen Holzknechte mit den lustigen Almerinnen schuhplatteln sehen und vom fröhlichen Jauchzen hallen die Felswände wieder. Manch schöne Tirolerin pascht ihr Herz bei dieser Gelegenheit ins Bayernland herüber, manch bayerisches Almendirndl lauscht dem schönen Sang des Nachbars mit mehr Interesse, als der erklärte Bua für nötig findet; schnell ist die Eifersucht zur wilden Flamme entfacht, – und – es wird »g'raaft.«

Mehr als je war heute, wohl zunächst der herrlichen Witterung wegen, der Almakirta besucht. Die stämmigen Burschen in grauer Joppe, Kniehösln und Wadenstrümpfen, die Spielhahnfeder keck auf dem grünen Hut, kamen mit ihren frischen Dirndln, die mit dem kleidsamen, goldbeschnürten Hütchen und dem nie fehlenden Sträußchen von Nelken und Alpenrosen im silberverschnürten Mieder recht reizend 170 aussahen, fröhlich herangezogen. Lustiges Jauchzen hallt von den Bergen herab, wo die verschiedenen Almhütten stehen, und helles Jodeln hallt wieder hinaus als grüßende Antwort, zugleich Kunde gebend, daß der Ersehnte unten wartet. Es ist dieses der einzige Tag, an welchem der Sennerin erlaubt ist, ihre Alm zu verlassen und ihre Pflegebefohlenen dem »Hüatabuam« anzuvertrauen, damit auch sie mit ihrem Buam den »Almakirta« mitfeiern kann.

Eine größere Anzahl von Sennerinnen kommen an diesem Tage von den gleich einem Hirtendörfchen umherliegenden Sennhütten im »Totengraben« heran, mit welch schauerlichem Namen man ein gegen den Spitzingsee zur Seite des Sträßchens liegendes, wiesenreiches Thal bezeichnet, welches von den kahlen Wänden der Bodenschneid und des Jägerkamms umgrenzt ist. – Helles Jodeln tönte von diesen Sennhütten, auch von den andern, entfernter gelegenen; nur von einer der letzteren, der sogenannten »Elendalm«, oberhalb des Enzengrabens, in etwas erhöhter, aber einsamer Lage, tönte kein heiteres Jodeln, obwohl eine in schmucke Gebirgstracht gekleidete weibliche Person unter der Thüre stand und nach der Richtung blickte, in der sich der Weg in die Valepp hinzieht. Vor der Sennhütte befand sich ein kleines eingezäuntes Gärtchen, in welchem sich ein bunter Flor von Blumen befand. Spanische Wicken wucherten an dem Zaune und innerhalb desselben blühten vielfarbige Astern, Nelken und Reseda, auf welche einige große Sonnenblumen anmaßend herniederblickten. Die Sennerin, denn als diese mußte man die Frauensperson wohl ansehen, hatte sich aus diesem Gärtchen ein Sträußchen geholt und damit ihre Brust geschmückt, einen zweiten größeren Strauß hielt sie in der Hand. Sie verriet durch keinen Laut, 171 inwieweit sie an der allgemeinen Freude Anteil nahm. Aber sie verriet dies auch durch keine frohe Miene.

Sie war kein jugendliches Almendirndl mehr; sie mochte wohl nahe an den Vierzigern sein, gleichwohl war ihr Gesicht noch sehr schön; die pechschwarzen, von keinem Grau gemischten Haare, die tiefdunklen Augen, der ganze Ausdruck ihres regelmäßigen Gesichtes machten immerhin noch einen jugendlichen Eindruck. Die sanften Züge ihres Gesichtes verschärfte jedoch hier und da ein Ausdruck, der die Linien tiefen, langgetragenen Kummers, die Handschrift der Not annahm, wenn sie eine neue Unglücksstunde aufgefrischt hat.

Und war denn heute ein solcher Unglückstag, heute, wo die Berge vom frohen Jauchzen widerhallten, wo alles sich schmückte und freudig hineilte zum Almentanz in der Kaiserklause? Wie, fänden auch die häßlichen Gesellen Gram und Elend den Weg in die schöne Welt der Berge, welche man in schönen Sommermonaten so gerne aufsucht als die Heimstätte friedlichen Glückes? Es muß wohl so sein. Gleich dem Schatten verfolgt den Menschen die Leidenschaft, ob er im Flachlande oder in den freien Bergen, in Palästen oder ärmlichen Hütten wohnt, und wie sich der von so vielen für unempfindsam gehaltene Bauer für das Edle oft ebenso zu begeistern vermag, wie der Gebildete, was durch die geschichtlich bekannte »Sendlinger Bauernschlacht« und manch andere hochherzige That genugsam bewiesen ist, so leidet er auch und fühlt ebenso schmerzlich, oft noch tiefer, als der Städter, wenn die kalte Hand des Unglücks in sein Herz greift. Was er dann vielleicht vor dem Städter voraus hat, das ist der christliche Duldersinn.

172 Dieser war es, welcher auch das stumme Mirdei oder »'s Almstummerl« aufrecht erhielt, denn die Dirn, welche mit dem Blumenstrauß in der Hand soeben in die Sennhütte zurückging, war stumm. Nicht stumm geboren; in einer unglückseligen Stunde hatte sie der Schrecken der Sprache beraubt, es war jene Stunde, in der sie den Geliebten, den Bräutigam verlor, den Bräutigam, dessen Bild sie jetzt aus der Truhe im Schlafgemach herausnahm, im Kaser (Kuchel) auf den Tisch legte und mit den eben gepflückten Blumen, so gut es ging, bekränzte. Dann nahm sie aus einer alten Schachtel einen vergilbten Myrtenkranz und nachdem sie sich auf einen Stuhl niedergelassen, betrachtete sie das gemalte Bildnis, welches einen jungen, hübschen Burschen, mit Joppe und Kniehösln gekleidet, vorstellte.

Mirdei fühlte sich in die Zeit ihrer Jugend zurückversetzt. Sie sah sich im Geiste auf dem Schöneckerhofe, der Heimat des abgebildeten Burschen. Bartl war dessen Name und heute sein Namenstag. Sie feierte diesen, indem sie das Bild des Geliebten mit Blumen schmückte und sich festlich angekleidet hatte. Doch was war es mit dem Originale, wer war der Gefeierte? Wir wollen das in Kürze erzählen.

Heute waren es gerade zwanzig Jahre, daß Mirdei und Bartl beim Almentanz in der Kaiserklause ein Liebesbündnis schlossen auf Tod und Leben. Mirdei war eine arme Sennerin auf der Alm, auf welcher sie noch heute regierte, aber das schönste Dirndl in der ganzen Valepper Gegend; Bartl dagegen war der Sohn und Erbe des anscheinend reichen Schöneckers, dessen Hof in erhöhter Lage aus einem gegen den Valeppfluß abfallenden Hange unweit dem 173 tirolischen Brandenberg stand. Schon war der Hochzeitstag gekommen, das Bräutchen geschmückt zum festlichen Gange, harrend des Bräutigams. Doch dieser kam nicht. Die festgesetzte Zeit war längst vorüber; eine trübe Ahnung erfaßte Mirdei. Sie lief in das Haus ihres Bräutigams und sah, in die Stube eingetreten, wie dieser eine schon ältere Witwe aus einem Nachbarhofe umhalste und küßte. Auf dem Tische nebenan lag ein großer Haufen Guldenstücke, eine Weinflasche und mehrere Gläser standen daneben.

»Jesses, 's Mirdei!« rief Bartls Vater beim Anblicke der Eintretenden. »Du hast koa' Geld, Dirndl!« fuhr er fort, »was nutzt 'n Bartl dein saubers G'sicht alloa! Die Sach wird anders g'macht. Der Bartl nimmt die reiche Wittib als Bäurin und du kriegst hundert Gulden als Entschädigung.« Dabei reichte er ihr eine Handvoll Geld hin.

Mirdei, die des Morgens noch so glückliche Braut, wurde weiß wie eine Leiche.

»Dei' Voda will mi tribuliern!« sagte sie in ungewissem Tone zu Bartl, der sie schweigend anstarrte.

»Aus G'spaß gieb i dir koa' Handvoll Geld,« entgegnete roh lachend der alte Schönecker. Und die Wittib und Bartls Mutter lachten mit.

»Du willst mi wirkli verlassen, Bartl?« rief Mirdei, sich an diesen wendend. »Es is koa' G'spaß, es is dei' Ernst?«

»Du siehgst, i konn nit anders,« entgegnete jetzt der Gefragte, »da Voda und d' Muatta wollen's a so hab'n. I brauch a Bäurin mit Geld, daß i 'n Hof wieder schuldenfrei krieg, und da siehgst mei' neue Hochzeiterin. Pfüat di Gott, Mirdei!«

174 Dieses sprechend, bedeckte er sein Gesicht mit beiden Händen, als wollte er die Scham verdecken, welche er über das Gesprochene empfand.

Mirdei erschrak auf den Tod. Das Blut drang ihr zum Herzen, sie erhob die Hand, wollte Bartl antworten, – sie rang nach einem Laute – die Stimme versagte ihr – alle Anstrengung war vergebens. Nur einen unartikulierten Schrei stieß sie aus, dann fiel sie ohnmächtig auf den Stubenboden hin. Man brachte sie in das Haus, in welchem sie in der letzten Zeit gewohnt hatte; man hielt sie für tot. Als sie endlich nach einigen Stunden wieder erwachte, war sie stumm. Kein Wort drang mehr über ihre Lippen. Der Schrecken hatte ihr die Sprache genommen. Ihr Herz war gebrochen. Nachdem sie sich wieder kräftig genug fühlte, um arbeiten zu können, verdingte sie sich neuerdings bei ihrem früheren Dienstherrn als Almdirn. Es war dies der untere Rauecker, ein vermöglicher Bauer aus der Tegernseer Gegend, dem auch die Alm in der Valepp gehörte. Man nannte das stumme Mirdei von nun an »'s Almstummerl« und die Alm wegen des großen Elends ihrer Sennerin »die Elendalm.«

Mirdei suchte durch fortgesetzte Thätigkeit das Unglück, welches sie anfangs nicht überdauern zu können glaubte, wenn auch nicht zu vergessen, so doch zu lindern, und dieses war auch das einzige Mittel, durch welches sich die so tief Gekränkte wieder aufrichtete. Solange der Mensch thätig, verschließt sich die Wunde des Herzens und dieses wird neu gestärkt und erträgt dann leichter die wiederkehrenden Stunden des Elends. Nach und nach weicht dieses dann, oder erblaßt allmählich, und das Herz nimmt 175 neben ihm wieder neue Eindrücke in sich auf, die neuen Verhältnissen entspringen.

Das Almstummerl auf der Elendalm war die ersten Jahre ein Gegenstand des Bedauerns und der Neugierde, späterhin vergaß man die Geschichte und so kam es, daß mit der Zeit nur wenige mehr vom Almstummerl Näheres wußten. Mirdeis Dienstherr, »der untere Rauecker«, war kinderlos und beabsichtigte nach dem Tode seiner Bäuerin das fleißige Mirdei zu heiraten. Aber diese konnte sich nicht dazu entschließen. Sie wenigstens wollte dem Schönecker die Treue bewahren bis zum Tode. Der Rauecker hatte gleichwohl zu seiner Almdirn, die ihm so großen Nutzen einbrachte, eine solche Zuneigung gefaßt, daß er ihr testamentarisch den Bauernhof als Eigentum vermachte, trotzdem er einen Bruder hatte, welcher den oberen Raueckerhof besaß. Er hatte sich mit diesem verfeindet und bevor er sich noch mit ihm aussöhnen konnte, überraschte ihn ein Schlaganfall mit tödlichem Ausgang. Mirdei war nun plötzlich eine vermögliche Bäuerin geworden. Sie war ein elternloses Mädchen, hatte auch sonst keine Verwandten; so mußte sie nur fremde Leute auf ihrem Hofe haben. Gar mancher sah sich jetzt das Almstummerl und den Raueckerhof näher an, mancher klopfte auch an, aber es ward ihm nicht aufgethan.

Mirdei war so an ihr Almenleben gewöhnt, daß sie noch als Hofbesitzerin es übernahm, ihr Vieh selbst dorthin zu geleiten und nach wie vor eine Sennerin zu machen. Den Hof ließ sie einstweilen von einer treuen »Hoamdirn« bewachen. So blieb sie frisch und gesund auf ihrer Elendalm, und gar mancher blickte hinauf und wünschte sich ein solches »Elend«, wie es jetzt dort oben zu Hause war, 176 nämlich die schöne Herde Vieh, die prächtigen Geißen und Schafe, und die herrlichen, honigduftenden Matten zwischen den prächtigen, bewaldeten Bergen.

Der Freuden gab es freilich für das Almstummerl wenig und diese bestanden darin, den Nebenmenschen Gutes zu thun und der Armut von ihrem Überflusse mitzuteilen.

Anderer Art waren die Schicksale Bartls. Nachdem der Treulose die vermögliche Witwe geheiratet, war der Segen von ihm und seinem Hause gewichen. Zwar schenkte ihm sein Weib schon im nächsten Jahre ein Mädchen, die Burgl, aber die ältliche Frau wurde durch ihre fortwährenden Zänkereien ihrem Manne bald zuwider. Es gefiel ihm nicht mehr auf seinem Hofe; sein Hauptaufenthalt war das Wirtshaus. Hier vertrank er seine Sorgen, vertrank die quälende Erinnerung an Mirdei und kümmerte sich weder um Haus, noch Familie. Dazu litt sein Hof Schaden durch Hagelschlag und Seuchen; er mußte viele Schulden machen. Sein Weib wurde krank vor Kümmernis und starb. Bald war es bekannt, daß Bartl auf der Gant sei. Der Hof wurde ihm verkauft, und arm ward er von dem Besitztum seiner Eltern, welche der Tod diesem Unglücke rechtzeitig entrückt hatte, vertrieben.

Bartl hatte niemals arbeiten gelernt, im vorgerückten Alter wollte er es noch weniger lernen. Dem Wirtshaus aber konnte er nicht mehr entsagen und er verschaffte sich die Mittel zum Trinken auf unrechtmäßige Weise. Er schlich in den Wald und schabte von den Bäumen das Harz, das er an die Pechhändler verkaufte, oder er paschte kleine Waren über die Grenze, wodurch er sich sein Agio verdiente. Seine Gewissensbisse suchte er durch regelmäßige Räusche zum Schweigen zu bringen. In wenigen lichten 177 Stunden gedachte er wohl seines armen Kindes, um das er sich seit dem Tode seines Weibes nicht mehr gekümmert und das er fremden Leuten überlassen hatte; er dachte auch an Mirdei, er klagte sich und seine Eltern an, er bereute. Aber das geschah nur selten und niemals lange. Er vermied es, in die Nähe des stummen Mirdei zu kommen, späterhin hielt er sich ohnedies entfernt von der Heimat und wäre in dieser fast verschollen, wenn nicht von auswärtigen Gerichten öfters üble Anzeigen dorthin gekommen wären, meistens des Inhalts, daß der Bartholomäus Schönecker auf so und so lange wegen wiederholten Paschens im Gefängnisse versorgt worden sei.

Sein verwaistes Kind hatte seiner Zeit eine arme, brave Näherin im Zillerthale in Kost genommen. Die Gemeinde, in der Bartl heimatberechtigt, war verpflichtet, das Kostgeld zu bestreiten. Dieses wurde jedoch in so unbedeutender Summe und so unregelmäßig, meist gar nicht bezahlt, daß die brave Näherin, welche zu dem Kinde eine aufrichtige Liebe hatte, auf jeden Erziehungsbeitrag verzichtete und es aus eigenen Mitteln auferzog. Sie erhielt jedoch erfreulicherweise recht bald einen Beitrag von Mirdei, dem sogenannten Almstummerl. Als diese den Aufenthalt des Kindes ihres einstigen Bräutigams erfuhr, suchte sie dasselbe auf und machte es sich zur Lebensaufgabe, zur Erziehung des Mädchens nach besten Kräften beizusteuern. Hatte sie ja doch sonst auch keinen Menschen, für den sie zu sorgen hatte, niemanden, der ihrem Herzen nahe stand.

Als Burgl zwölf Jahre alt war, brachte sie ihre Erziehungsmutter, es war am Bartholomäustage, zu der stummen Sennerin in die Elendalm, damit sie sich bei 178 ihrer Wohlthäterin bedanken könne. Der Mirdei gefiel das schöne Mädchen, das seinem Vater Zug für Zug glich, und sie nahm sich vor, sich auch fernerhin der Waise anzunehmen. Sie vertrat bei der Firmung des Mädchens Patenstelle und ließ es demselben an nichts fehlen, und Burgl kam mit ihrer Ziehmutter später noch einigemale zum Almakirta in die Valepp.

Auch heute hoffte Mirdei auf den Besuch des nunmehr achtzehnjährigen Mädchens und es war seit lange ihr Plan, dasselbe jetzt ganz zu sich zu nehmen. Deshalb hatte sie so oft nach dem Wege geblickt, auf welchem die Burgl herankommen mußte.

Bartls Begegnen hatte Mirdei stets sorgsam vermieden, doch flehte sie für ihn zu Gott, daß er sich seiner erbarme und ihn nicht in Sünden zu Grunde gehen lasse. Die Liebe, welche sie einst für ihn empfunden, konnte sie nicht mehr ganz ausrotten aus ihrem Herzen, so sehr sie sich auch dazu zwingen wollte; wälzte sie doch das ganze Unglück auf Bartls Eltern und hierin fand sie einen Funken von Entschuldigung für den Verkommenen. Selbst als Bartl eine für alt und jung verabscheuungswürdige Persönlichkeit, ein gemiedener Mensch wurde, selbst da noch verging kein Tag, an dem sie nicht an den einst so Treulosen und jetzt so Bedauernswürdigen dachte, für ihn betete. – –

Mit dem Beginne unserer Erzählung kam Bartl eben wieder aus dem Gefängnisse zurück und ward in die Heimat geschubt. Himmel und Hölle schienen ihn verlassen zu haben; man wies ihn aus den Wirtshäusern aus, weil er nicht bezahlen konnte, man ging ihm, als einem Lumpen, aus dem Wege. Niemand erwiderte seinen Gruß, und 179 wo er um Arbeit bat, jagte man ihn mit Hunden aus den Häusern. Und er hatte nicht einen Kreuzer Geld in der Tasche. Er getraute sich nicht in den Wald hinaus, um Harz zu stehlen, denn er wußte, daß man ihn sogleich attrapieren würde, daß er von Spionen umgeben sei. Die Lage des einst so reichen Bartl war also geradezu eine verzweifelte. Er fühlte, daß er fort müsse aus der Gegend, daß er unter fremde Menschen müsse. Aber dazu brauchte er Geld! Woher nehmen? Er dachte lange darüber nach. Endlich tauchte ein Gedanke in ihm auf. Er dachte an das stumme Mirdei. Es war ihm nicht unbekannt geblieben, daß sie eine reiche Erbschaft gemacht, und ebenso, daß sie sich noch immer auf der Alm in der Nähe der Valepp aufhalte. Fast zwanzig Jahre waren verflossen, seit er sie nicht mehr gesehen; er hoffte, daß sein Besuch ihm irgend einen Vorteil bringe.

Es war am Tage des hl. Bartholomäus, als er sich auf den Weg zur Kaiserklause machte. Auf dem Wege zur Elendalm begegnete er einem Viehtreiber, der zwei schöne Kalben führte. Ein des Wegs kommender Bursche fragte den Treiber, woher er die schönen Kalben hätte und dieser erzählte ihm, er hätte die Tiere vom Almstummerl auf der Elendalm gekauft und ihr dafür das schönste Silbergeld hingelegt.

»No',« meinte der Bursche, »da kann sie si' heut am Almakirta an' guatn Tag aafthoa'.«

Der Händler meinte, das würde sicher geschehen, denn die stumme Sennerin habe sich heute aufs festlichste gekleidet und sie würde gewiß schon auf dem Wege zum Kirchlein in der Valepp sein.

In Bartls Gehirn zuckte ein teuflischer Gedanke auf. 180 Es zog ihn hinauf zur verlassenen Elendalm. Vor seinem wirren Sinn schwebte das klingende Silbergeld. Weit ab vom Wege schlich er hin zu der Behausung des einst von ihm so schnöde behandelten Mädchens, welches gerade in dieser Stunde lebhaft seiner gedachte. –

Es war auf der Elendalm recht still geworden. Die Bewohnerinnen der umliegenden Sennhütten waren längst zu Thal gestiegen, die Hüterbuben trieben ihr Vieh auf entferntere Weideplätze, und so war weit und breit kein menschliches Wesen zu erblicken; heilige Stille herrschte in diesen erhabenen Regionen.

Mirdei hatte ihr Vieh gleichfalls dem Hüterbuben zur Bewachung anvertraut, auch sie hielt heute Feiertag, aber nicht, um wie die andern zum Almentanz zu gehen, sondern hier oben in dieser Einsamkeit in Ruhe die schönsten und zugleich bittersten Tage ihres Lebens an ihrem Geiste vorüberziehen zu lassen, noch einmal alle Freude und alles Elend durchzufühlen, das sie damals empfand. Lange hatte sie das Bild des Geliebten betrachtet, dann ging sie in die Kammer, ihren Rosenkranz zu holen, denn er bildete gleichfalls einen Bestandteil ihres einstigen Brautschmuckes, er war Zeuge der Freude und des Schmerzes jenes unglückseligen Tages, er durfte auch heute auf dem Tische, auf welchem die Erinnerungsstücke ausgebreitet lagen, nicht fehlen.

In diesem Momente öffnete sich die Thüre, welche von außen in die Hütte führte, ein Mann schob sich herein in den Kaser, sah sich vorsichtig um, und als er jemanden in der Kammer auf- und abgehen hörte, eilte er nach dem jetzt leeren Stalle, um sich dort zu verstecken. Unwillkürlich hatte er das Messer aus der Hosentasche gezogen. 181 Noch hatte er die Thüre nicht ganz geschlossen, als Mirdei wieder aus ihrer Kammer trat und so blieb er ruhig hinter der Stallthüre stehen, um sich nicht durch eine unvorsichtige Bewegung zu verraten. Der Mann war Bartl. Er hatte sich einen künstlichen Höcker gemacht und den Kopf verbunden, um von niemandem erkannt zu werden, denn sein Besuch auf der Alm sollte in einem Verbrechen gipfeln. Er stand dicht an der nur angelehnten Thüre, den Kopf an die Spalte gedrückt und verfolgte mit Aufmerksamkeit alle Bewegungen Mirdeis. Zwei Geister stritten sich in ihm. Er war wie angebannt an der Stelle. Mirdei hatte den Rosenkranz zu dem andern auf den Tisch gelegt und hielt nun wieder das bekränzte Bild in der Hand, das sie unter Thränen küßte und dann seufzend auf den Tisch stellte. Bartl hatte es sofort als sein Bild erkannt. Sie sah es mit einer Miene an, als wollte sie sagen. »Du bist heunt mei' liawa Gast!« Dann nahm sie den Brautkranz und hing ihn an das Bild und setzte sich neben hin, sich wieder ganz ihren Eindrücken überlassend.

Bartl hatte die Hand vom Mordstahl, den er in der Brusttasche verbarg, genommen. Träumte er? War das Wirklichkeit? Die von ihm so schmählich Betrogene ehrte noch heute sein Bild? Heute – war denn heute nicht sein Namenstag? War nicht der Jahrestag, der unglückselige, des einst bestimmten Hochzeitstages? Und Mirdei feierte diesen Tag! Sie fluchte ihm nicht, sie betete für ihn, sie küßte sein Bild! Also gab es doch noch einen Menschen auf der Welt, der ein Mitgefühl für ihn hatte? Er war nicht ganz ausgestoßen von der Menschheit? Eine Person fühlte noch für ihn und gerade diese wollte er jetzt – –

Es schauderte ihn. Schnell riß er das Tuch vom Kopfe, sprang zu Mirdei hin, stürzte auf seine Kniee und rief: »Mirdei! Mirdei!«

Die so Angerufene erschrak heftig und wandte sich nach der Stelle, von welcher der Ruf kam. Ihr Schrecken erhöhte sich noch, als sie Bartl erblickte. Sie wollte zur Thüre hinaus – entfliehen.

»Bleib, Mirdei!« rief jetzt Bartl. »I thua dir nix! Glei geh i wieder. I hon gsegn, daß d' mi no' nit ganz veracht'st, daß d' dös Bild von dem arma Bartl no' wert haltst, anz'schaugn.«

Mirdei war jetzt wieder gefaßt. Sie blickte nach dem Bilde und grüßte es mit der Hand, dann wandte sie sich Bartl zu mit einer Bewegung, die anzeigte, daß es ihr vor ihm, dem jetzigen Bartl, graue. Sie faltete die Hände zusammen und wies dann nach der Thüre.

Bartl stand auf. Er starrte sein Bild an. »Durt hon i freili nit g'wußt, daß 's no' an' Namenstag für mi giebt, an dem i betteln und hungern muaß,« sagte er für sich. Und er bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen.

Als die Stumme das hörte, stellte sie ihm schnell eine Schüssel Milch und Brot hin und gab durch Zeichen zu verstehen, daß er sich's schmecken lassen solle. Dann bot sie ihm Geld an, damit er sich einen besseren Anzug und Schuhe kaufen könnte. Bartl konnte nicht essen, und wollte das Geld nicht nehmen, aber Mirdei steckte es ihm in die Brusttasche. Da fühlte sie das Messer. Da es in keiner Scheide war, zog sie es heraus und schien durch Gebärden sagen zu wollen: »Verlier dei' Messer nit!«

»Was wolltest du mit dem Messer?« glaubte sich Bartl jetzt fragen zu hören. Es überlief ihn eiskalt; eine 183 fürchterliche Scham überkam ihn. Er warf das Messer nach seinem Bilde, daß es in demselben stecken blieb und mit dem Ausruf: »Mirdei, verzeih mir's! Pfüat di Gott!« stürzte er aus der Hütte.

Mirdei stand lange erschrocken da. Mit eigentümlichen Gefühlen betrachtete sie das Bild Bartls, welches er selbst durchbohrt hatte.

»Es is d' Reu,« dachte sie bei sich, »die eam dös hat thuan lass'n, es is der Ärger über si selber, daß er durtmals, wie er no' ausgschaut hat wie dös Bild, sei' Glück mit Füaß'n tret'n hat, daß er sei' Geld verpraßt und mi, sei' arm's treu's Dirndl verstoß'n hat. Armer Bartl, du sollst von mir iatz öfter was kriegn! Verhungern sollst nit. Bist ja iatz arm und elend – i will dir rechter Zeit Hilf bringa.«

Unter solchen Gedanken räumte sie die verschiedenen Sachen wieder zusammen; diesesmal legte sie das lange Messer Bartls zu den andern.

»I werd eam dafür a neu's kaafa, wenn i wieder abtrieb'n hab,« dachte sie bei sich.

Bald nachher kam der »Hüatabua« mit den Kühen heim und Mirdei verrichtete nun, nachdem sie auch ihren Sonntagsstaat abgelegt, ihre gewöhnlichen Geschäfte. Aber es wollte ihr heute nicht recht von der Hand. Das Wiedersehen kam ihr zu unverhofft. Und erwartete sie denn nicht auch heute Bartls Tochter, die Burgl? Sie setzte sich auf die Bank vor der Gred und sah hinunter auf den Weg, auf welchem die Erwartete kommen mußte. Welch ein Zusammentreffen, wenn Vater und Tochter sich bei ihr gefunden hätten? Sie legte die Hände in den Schoß und ihr Geist führte sie zurück in längst vergangene Tage. Sie 184 sah sich wieder als glückliche Braut, sie konnte singen und sprechen, wie damals, bevor die reiche Witwe sich zwischen sie und ihren Bartl gedrängt hatte; es war ja dies die schönste Zeit ihres einfachen Lebens!

Indessen war Bartl gleich einem Flüchtling zu Thal gestiegen. Als er entsetzt über sich selbst von der Stummen floh, glaubte er nicht anders, als diese müßte es ihm angesehen haben, zu welch verächtlicher That er in ihre stille Hütte kam. Er nahm sich vor, ihr nie mehr unter die Augen zu treten. Ihr Anblick mußte ihn an die Schuld erinnern, die seiner Meinung nach schon durch den bloßen Willen, den er hatte, auf ihm haftete. Um sich zu betäuben, wollte er ins Wirtshaus gehen. Er hatte ja jetzt Geld, Mirdei hatte es ihm selbst in die Tasche gesteckt, das Scheppern mit demselben mußte ihn bei den Wirten in Respekt setzen.

»Für mi is koa' Hilf mehr,« sagte er zu sich selbst, »'s is nimmer der Müh wert, daß i no' an ordentlicher Mensch werd. Ma' glaubt mir's do' nit. Dös Geld von Mirdei wird ausreicha, bis mi d' Jaga nimmer so stark auf der Muck hab'n, bis i wieder Pech schab'n oder paschen kann, und nacha soll's fortscheppern in meiner Taschen.«

Für heute aber hoffte er, würde ihm der Wein behilflich sein, sich über die Erbärmlichkeit der Welt und über die seinige hinwegzusetzen, und so schritt er hastig an der wildbrausenden Valepp hinab zum Almentanz in der Kaiserklause. 185


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