Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Kapitel.
Eine Dorfgeschichte

Vor den Fenstern des kleinen Gartenhauses war es grün, sonnig und warm. Inmitten des Rasenplatzes davor plätscherte und stieg ein emsiger Springbrunnen, und aus dem saftigen kurzen Grase hoben sich die auf dunklen Beeten als zierliche Einfassung gezogenen Blumenhäupter so anmuthig jugendlich empor, als machte es ihnen Vergnügen, das ruhelose Lichterspiel und Geräusch der fallenden Tropfen zu belauschen. Von den eben aufblühenden Jasminstauden und Rosenhecken, die den Platz umrahmten, wehte entzückender Wohlgeruch, und die dichten Baumkronen einer Parkanlage stiegen dahinter mit reichem Blätterschmuck in allen Abstufungen des ersten Grüns wie eine Umfriedung empor, welche von dem stillen eingehegten Raume jede Störung abwehren solle.

Der Frühling war da in seiner bezauberndsten Herrlichkeit.

In das Gemach jedoch, aus welchem das Erdgeschoß des Gartenhauses bestand, drang alle die Herrlichkeit nicht ein. Vergebens bemühte sich hier und da ein Luftzug, seine Ladung von Kühle und Duft in dasselbe zu tragen und dort von den Schwingen zu schütteln, er vermochte kaum schwach die grünen Gardinen zu blähen, welche an dem geöffneten Fenster schwer herunterhingen und das volle Sonnenlicht von draußen zu jener Dämmerung brachen, die für ein Krankenzimmer angemessen war.

In der Tiefe des fein und zierlich eingerichteten Gemachs lag der Kranke auf einer niedrigen Ottomane. Trotz der Wärme war er in Decken und Kissen gehüllt, er hatte das Gesicht an die Wand gekehrt und schien zu schlafen. Der Schlaf war aber nicht erquickend und ruhig; von Zeit zu Zeit schütterte ein fieberhaftes Zucken über den verhüllten Körper und verrieth dessen schmerzlichen Zustand.

Im Vorgrunde an einem halbgeschlossenen Fenster saß der alte Windreuter und spähte gedankenvoll durch die Spalten der angelegten Jalousien in das Grün hinaus. Manchmal wandte er den Kopf und horchte, jedes Geräusch vermeidend, ob der Kranke sich nicht rege. »Vielleicht geht's doch besser«, murmelte er vor sich hin, als er immer nur die tiefen Athemzüge des Schlummernden vernahm. »So lang und so ruhig hat er seit Wochen nicht geschlafen. Der entsetzliche Husten, scheint's, läßt auch nach –«

Das Knirschen von nahenden Fußtritten auf dem Kies der Gänge unterbrach das Selbstgespräch. Behutsam erhob sich der Alte und trat dem Kommenden in den Corridor entgegen, nachdem er die Thür vorsichtig geöffnet hatte, daß sie nicht knarren konnte.

Ein kleiner, etwas beleibter Mann stand vor der Thür, hatte den Hut abgenommen und wischte sich den Schweiß mit einem feinen Taschentuch von der Stirn. »Wie steht's?« fragte er.

»Er schläft beinahe seit einer Stunde«, erwiderte Windreuter halblaut.

»Dann lassen wir ihn schlafen«, entgegnete der erstere wieder. »Das ist medicamen naturae. Ich bin nur herein, weil mich meine Abendpromenade eben vorbeigeführt hat. Verdammte Hitze schon, wie mitten im Sommer! Wie steht's mit dem Husten?«

»Auch etwas besser, Herr Doctor«, erwiderte Windreuter, »aber wenn er kommt, kommen auch die Brustschmerzen wieder. Er muß unglaublich ausstehen, und die Schmerzen haben ihn so heruntergebracht, daß er nur noch die Haut über den Knochen hat! Er bleibt dabei, es müsse etwas von dem Schusse zurückgeblieben sein!«

»Phantasien! Nichts als Phantasien!« antwortete der Arzt, mit dem Stockknopf am Munde. »Die Kugel ist heraus, aber was sie zerstört hat, wird eben nicht wieder ganz. Fahren Sie mit dem Pulver fleißig fort, es ist das Einzige, was man thun kann! Wie steht's mit den Hallucinationen? Treten die noch ein?«

»Was meinen Sie, Herr Doctor?« fragte Windreuter.

»Ob das Irrereden sich noch einstellt? Das Erblicken von Gespenstern und Schreckbildern?«

»Seit wir hier im Gartenhause wohnen, ist's auch damit besser«, antwortete der Alte. »Nur ein paar Mal hat er steif und fest behauptet, es schaue ein weiblicher Kopf durch die Läden herein. Er gab nicht nach, bis ich hinging und nachsah, es war aber natürlich nichts.«

»Hm«, brummte der Arzt, »eine der gewöhnlichsten Formen! Er wird es eben nicht mehr lange machen.«

Der Alte wischte sich eine Thräne ab. »Also ist's ausgemacht?« sagte er betrübt. »Es ist keine Hoffnung des Aufkommens?«

»Keine. Es wäre gut, wenn man ihn vielleicht darauf bringen könnte, zu ordnen, was er allenfalls zu ordnen hat. Es können Anfälle eintreten, die ein schnelles Ende machen.«

»Er will nichts hören davon«, antwortete Windreuter, »er will's nicht verstehen, wenn ich's ihm noch so deutlich nahe lege. Er denkt nicht entfernt daran, daß es Gefahr mit ihm hat; aber ich habe mir ein Mittel ausstudirt, das ihn vielleicht doch herumbringt und mürbe macht.«

»Thun Sie das; je eher je lieber«, sagte der Arzt und schritt den Corridor entlang. »Ich komme morgen zur gewohnten Stunde.«

Windreuter stand einige Augenblicke still und bemühte sich, den Thränen Einhalt zu thun, die ihm nun, da er allein war, aus den Augen stürzten. Geräusch vom Krankenlager her zwang ihn, sich zusammenzunehmen, er schluckte die Thränen rasch hinunter und trat zu dem Leidenden. Dieser hatte sich halb emporgerichtet und lag nun auf den Arm gestützt und von schmerzlichen Hustenanfällen erschüttert da. Sein Auge flackerte unheimlich, die aschfahlen Wangen flogen, und die abgemagerte Brust, durch den offenen Hemdkragen sichtbar, bebte wie krampfhaft unter jedem Stoße, mit dem die Krankheit darauf einstürmte. Windreuter bemühte sich, dem Gequälten dadurch eine Erleichterung zu verschaffen, daß er ihm ein Kissen unter den Rücken schob. Erschöpft sank derselbe, nachdem der Anfall nachgelassen, darauf zurück, und der Alte benutzte diesen Augenblick der Ruhe, um an einem Seitentischchen eins der Pulver zurecht zu machen, von denen der Arzt Linderung versprach.

»Wollen Sie nicht das Pulver nehmen, Herr Lieutenant?« sagte er, indem er damit ans Lager trat und es ihm darbot.

Der Kranke fuhr mit einer Hast und Kraft empor, die man seinem schwächlichen Aussehen nicht zugetraut hätte. »Hund«, rief er und schlug nach Windreuter's Hand, daß das Gefäß mit der Arznei klirrend zu Boden fiel, »was soll ich mit der elenden Arznei? Sie hilft mir nicht! Der Doctor ist ein Ignorant! Er soll mir die Kugel aus der Brust nehmen! Ich erwürge ihn, wenn er's nicht thut! Ich fühle es ja, daß sie noch dadrinnen sitzt! O wie das brennt! Und diese Qual komme tausendfach über die Hand des Elenden, der mich so zugerichtet hat!«

Von der Anstrengung erschöpft, sank Bergdorf zurück.

»Sie sollten nicht so reden«, erwiderte Windreuter fest. »Wer's immer gewesen ist, der die Kugel auf Sie abdrückte, er hat's im Kriege gethan, und Sie als Soldat müssen es hinnehmen, als wenn Sie draußen in freier Feldschlacht geblieben wären. Der Soldat weiß, wenn's in den Kugelregen hineingeht, daß sein Leben an einem Zwirnsfaden hängt. Ich bin ja auch mit dabei gewesen, es ist mancher neben mir hingefallen, daß er das Wiederaufstehen vergessen hat; aber keiner hat im letzten Augenblick der Hand gedacht, von der die Kugel kam, keiner hat Zeit gehabt zu einem Fluche!«

Der Kranke athmete schwer. »Hätte er mich besser getroffen«, stöhnte er grimmig, »ich wollt' es ihm danken, obschon es viel anders ist, so, als im offenen Kampfe auf dem Felde der Ehre zu fallen! Aber daß ich so leiden muß, so entsetzlich leiden, daß ich fast um ein Jahr meines Lebens gebracht bin, das – das –«

Er konnte nicht vollenden, der Schmerz erstickte ihm die Sprache.

»Wer weiß«, sagte Windreuter finster, »warum Alles gerade so gekommen ist. Unser Herrgott weiß wohl, warum er Manchen geschwind aus der Welt abholt und manchem Andern Zeit läßt, sein Bündel zu schnüren!«

Trotz seiner Schwäche fuhr Bergdorf auf und sah den Alten fest an. »Dummkopf«, sagte er dann. »Du glaubst doch nicht etwa gar, daß es schlecht mit mir steht? Ich sage Dir, ich bin ganz wohl, und ist erst die verfluchte Kugel weg, werd ich' in ein paar Wochen wieder so gesund und stark sein wie zuvor!«

»Gott geb's!« sagte Windreuter eintönig, »aber schaden könnt' es nicht, mein' ich, wenn Sie daran dächten, daß es auch anders kommen kann. Wenn man fast ein Jahr auf einem Lager liegt, wär's doch immer möglich, daß man darauf liegen bleibt.«

Bergdorf zuckte zusammen. »Was soll das heißen?« rief er trotzig, doch war in seinem Ton eine gewisse Unsicherheit unverkennbar. »Willst Du den Pfaffen spielen, Kerl, und mir eine Predigt halten? Hat der Doctor etwas der Art gesagt oder kommt es aus Deinem eigenen Kalbshirn?«

»Der Doctor hat nur gesagt, daß Sie sehr, sehr krank sind«, antwortete Windreuter. »Das Andere ist meine Meinung und ich schäme mich nicht, daß sie es ist. Drum sag' ich's nochmals, Sie sollten ans Sterben denken und in Ordnung bringen, was Sie zu ordnen haben. Sie sollten, anstatt zu fluchen, lieber daran denken, ob Sie nicht selbst Verzeihung nöthig haben von Jemand, der Ihnen flucht!«

Die schlichte Festigkeit des Alten verfehlte ihren Eindruck auf Bergdorf nicht. Sie machte seine Hoffnung auf Wiedergenesung um so mehr schwanken, als er sich vergeblich bemühte, seine Schwäche und Hinfälligkeit vor sich selbst zu verhehlen. »Ich will aber nicht ans Sterben denken«, rief er in heulendem, verzweiflungsvollem Tone, der trotzig klingen sollte. »Ich will nicht ans Sterben gemahnt sein! Ich will, ich muß wieder gesund werden! Ich habe mir noch nicht genug gelebt! Rede mir nicht vom Sterben, Canaille, oder ich erwürge Dich, so schwach ich bin!«

»Ich wag's auf die Gefahr hin«, rief Windreuter und trat einen Schritt näher an das Bett. »Ich hätte es nicht übernommen, Sie zu warten und die böse Zeit bei Ihnen auszuhalten, wenn ich nicht an Ihren braven Vater gedacht hätte und an Sie selber, wie Sie noch ein kleiner Junge waren. Der Herr Rittmeister war der Teufel im Feld, daheim aber gut und freundlich wie ein Engel. Sie waren damals auch ein lieber, herziger Bursch, von dem alle Welt hoffte, Sie würden ihm ähnlich werden. Sie sind's nicht geworden, und wenn ich bei Ihnen bleibe, ist's nur, weil ich meine, ich sollte noch einmal in Ihnen den Richard von damals wiederfinden, den ich vor mir auf den Gaul nahm und die Zügel führen lehrte. Sie haben ein gutes Herz gehabt; wenn es auch jetzt verwachsen und überwuchert ist von allerhand Unkraut, wie ein verwahrloster Garten, der gute weiche Grund von dazumal, mein' ich, muß doch noch da sein!«

Er schwieg, als erwarte er eine Antwort. Als keine erfolgte, trat er zu Bergdorf hin und sah nun, daß derselbe regungslos dalag, das Gesicht in die Kissen gedrückt. Jetzt richtete er sich auf, sah den Alten wie kleinmüthig an und rief: »Also ist es gewiß, ich muß sterben? Muß jetzt schon, so jung schon sterben? Ich kann aber nicht, ich will nicht! Hilf, Alter, hilf, Du siehst ja, daß ich noch nicht sterben kann!«

»Ich sage ja nicht, daß Sie sterben müssen«, entgegnete Windreuter etwas weicher, »Sie können ja wohl wieder aufkommen, aber daran denken sollen Sie und Ihre Sachen in Ordnung bringen.«

»Ich habe nichts zu ordnen«, erwiderte Bergdorf; »was ich habe, erhält meine Mutter ohnehin. Die wird Dich auch nicht vergessen.«

»Und damit sind Sie schon fertig?« fragte der Alte. »Haben Sie sonst Niemand zu bedenken? Und wenn Sie Niemand hätten, wollen Sie nicht auch für sich selber sorgen, wenn Sie hinüberkommen in die andere Welt?«

Um Bergdorfs Lippen zuckte es wie Hohn. »Ich halte nichts darauf«, sagte er dann. »Ich will leben, weil doch Alles aus ist, wenn das Leben zu Ende geht, und kann ich nicht mehr leben, so soll's auch aus sein. Ich will nicht fragen und nicht wissen, was dann kommt!«

Windreuter schwieg einen Augenblick. »Wenn Sie den Muth dazu haben, halten Sie das, wie Sie wollen«, sagte er dann. »Wollen Sie aber nichts mit hinunternehmen in die Grube, so lassen Sie auch nichts zurück, lassen Sie keinen Fluch zurück und sorgen Sie mindestens, so gut Sie können, daß er nicht auch ohne Ihren Willen in Erfüllung geht!«

»Was willst Du mit Deinen ewigen Anspielungen nur sagen?« rief Bergdorf, dessen augenblickliche Weichheit wieder seinem sonstigen Wesen zu weichen begann. »Was meinst Du? Wenn ich dahin muß, so will ich fluchen! Ich will es dreifach, wenn es ein Jenseits gibt, von dem aus ich die Erfüllung meines Fluchs sehen kann! Verflucht –«

»Halten Sie ein!« rief der Alte abwehrend und rasch. »Reden Sie nicht aus! Sie wissen nicht, wessen Hand es vielleicht war, die Ihnen die Kugel geschickt hat!«

»Also Du weißt es?« rief Bergdorf hastig. »Weißt Du es? Rede!«

»Wer kann das wissen in einem so mörderischen Gefecht!« entgegnete ausweichend der Alte.

»Und Du weißt es doch, Kerl!« rief der Kranke wieder. »Ich les' es Dir in der Seele, daß Du es weißt! Du vermuthest es wenigstens! Was sollte Dein Gerede sonst bedeuten? Antworte«, fuhr er heftiger fort, da Windreuter schwieg. »Du warst wohl gar selber in der Nähe, Du hast gewiß die meisten von den Rebellen gekannt, hast wohl gar selber unter ihnen gestanden! Es waren auch Weiber darunter, nicht?«

Der Alte sah starr vor sich nieder. »Ich habe nur eine gesehen«, antwortete er dann.

»Und kanntest Du sie? Wie heißt sie? Rede!«

»Cilly«, antwortete der Alte halblaut, allein so leise er sprach, wirkte der Laut doch wie ein Donner auf Bergdorf. Es war, als ob er sich nochmals von der tödtlichen Kugel getroffen fühlte. »So hab' ich doch recht gesehen«, stöhnte er nach einer Weile. »Im Fallen glaubte ich sie durch den Pulverdampf zu erkennen! Sie«, murmelte er dann, stiller werdend, in sich hinein, »Sie – o, o!«

Windreuter überließ ihn einen Augenblick sich selbst. Dann trat er ans Bett, faßte Bergdorfs Hand und sagte: »Wollen Sie jetzt noch fluchen? Wissen Sie jetzt noch nicht, was Sie hier noch zu ordnen haben? Fühlen Sie noch nicht, daß es noth thut, sich für die andere Welt vorzubereiten? Ich will nicht von dem Mädel reden, das Sie sie verführt und um ihr Lebensglück gebracht haben – seit der unglücklichen Nacht ist sie verschwunden und hat sich wohl zum Richter über sich selbst gemacht, und wenn sie auch noch lebt, da ist nicht mehr zu helfen! Ich will nicht davon reden, daß Sie sich von ihr weggeschworen haben; wenn Sie nicht an einen Gott und eine andere Welt glauben, ist Ihnen das ein Leichtes gewesen! Aber das Kind, das Ihnen das Leben verdankt, das jetzt auch mutterlos ist und das auf dieser Welt zurückbleibt, auch wenn Sie dieselbe verlassen, das hat Ansprüche an Sie, und von denen will, von denen muß ich reden. Wollen Sie den armen Buben sich selbst und dem Zufall überlassen? Wollen Sie es dem freistellen, vielleicht einen schlechten Kerl daraus zu machen? Wenn Sie auch nicht glauben, daß Sie es vor Gott verantworten müssen, was aus ihm wird, können Sie es denn übers Herz bringen, ihn so ganz hülflos in die Welt hinauszustoßen? Und es ist Ihr Sohn! Sie kennen seine Mutter zu gut, als daß Sie im Ernst daran zweifeln könnten; mir hat sie eine halbe Stunde vor Ihrer Verwundung erzählt, wer des Buben Vater sei, und ich wette, wer zugehört, wie sie's erzählte, der hätte ihr geglaubt, so gut, als ich ihr glaube.«

Bergdorf schwieg. »Was kann ich thun?« fragte er nach einiger Zeit halblaut und ohne sich nach Windreuter umzusehen.

»Das können Sie unmöglich im Ernst fragen«, antwortete dieser. »Geben Sie ihm so viel, daß er was lernen kann, um sich einmal sein Brod zu verdienen als ein ordentlicher Mensch. Es gibt kein unglücklicheres Geschöpf zwischen Himmel und Erde als so ein verlorenes, älternloses Kind, das wider Willen in die Welt eingeschwärzt worden ist, ich hab' das an mir selber erfahren. Aber wenn Sie wirklich nicht wissen, was Sie für den Buben thun sollen, wie wär's, wenn Sie ihn einmal sähen? Vielleicht, daß Ihnen dann das Herz etwas zuflüsterte! Es ist schon Abend«, fuhr er, nachdem er etwas inne gehalten, fort, da Bergdorf nichts erwiderte. »Um diese Zeit spielen die Kinder aus diesem Stadttheil drüben in der Allee, die vor dem Garten liegt; ohne Zweifel ist der Bube darunter, vielleicht könnte ich ihn gleich bringen! Soll ich?«

Bergdorf antwortete immer noch nichts. Er lag unbeweglich und schien in tiefes Sinnen verloren. Nach einer Weile richtete er sich empor und fragte, das tiefliegende Auge, starr auf Windreuter heftend: »Hast Du mit dem Doctor über meinen Zustand gesprochen? Sage mir als ein ehrlicher Kerl, was er gesagt. Gibt er mir Hoffnung? Sag' es aufrichtig!«

Windreuter bedachte sich einen Augenblick. »Ich mag nicht lügen«, sagte er dann, »also muß ich nein sagen!«

Der Kranke zuckte zusammen. »Gut«, sagte er, »ich danke Dir für Deine Aufrichtigkeit.« Er verbarg das Gesicht in den Kissen, bald aber hob er sich etwas und sagte, anscheinend mit vollster Ruhe: »Bringe mir den Knaben!«

Des Alten Blick glänzte. Rasch eilte er fort und ließ Bergdorf in dem Gartensaale allein, der immer dunkler und dämmeriger zu werden begann. Eine Weile lag Bergdorf in sich gekehrt und ruhig, doch verriethen die raschen und heftigen Athemzüge, daß sein Gemüth sich in ganz entgegengesetzter Stimmung befand. Die Vorstellung des nahen und gewissen Todes, die er bisher mit allem Aufwande von Kraft und Selbsttäuschung von sich fern gehalten, war vernichtend über ihn hereingebrochen und hatte den Trotz und die Wildheit seines Wesens in Muthlosigkeit und feige Furcht verkehrt. Je deutlicher ihm das Ende des Lebens vor die bebende Seele trat, um so entsetzter klammerte er sich an dasselbe und stemmte sich gegen die Vernichtung, die ihm entgegengrauste. Häßliche Bilder der Zerstörung drängten sich fratzenhaft vor seine Augen und die Ecke des Zimmers, gegen die er gewendet lag, gähnte ihn immer schwärzer und schwärzer an, daß er die Grabestiefe vor sich zu haben glaubte. Schaudernd wandte er den Blick weg und kehrte sich mühsam auf die andere Seite, um den Ueberblick über das ganze Gemach zu haben. Beruhigt athmete er auf, denn die Fenster, von außen noch etwas erhellt, erschienen ihm wie Lichtpunkte in der Nacht, die ihn umgab. Mit Vergnügen hingen seine Blicke daran und etwas wie Hoffnungsschimmer wollte durch seine Seele ziehen. Plötzlich aber hielt er den Athem an und lauschte mit gesteigertem Schauder gegen das eine Fenster hin. In dem lichten Viereck desselben hatte eine eigenthümliche Bewegung begonnen, die wie ein Schattenspiel in schwachen Umrissen an den herunterhängenden Gardinen bemerkbar wurde. Es war, als ob eine dunkle, kaum erkennbare Gestalt vor demselben auf und nieder schwebe und einzudringen versuche. Namentlich waren die Contouren des Kopfes nicht undeutlich zu erkennen. Bergdorf erstarrte; er wollte rufen, aber er vermochte es nicht, seine Lippen bewegten sich nur, ohne daß ein Laut hörbar wurde. Jetzt, jetzt war es, als ob eine unsichtbare Hand den Vorhang theilte, und durch die Oeffnung blickte der Kopf herein.

Mit heiserem Aufschrei versuchte Bergdorf, von wildem Schrecken gestachelt, vom Lager emporzuspringen, er vermochte es nicht, doch bei dem ersten Laut war die Erscheinung verschwunden. Zugleich trat Windreuter mit Licht ein. Er bemerkte den aufgeregten Zustand des Kranken und eilte voll Besorgniß zu ihm hin.

»Was haben Sie?« rief er. Was ist Ihnen begegnet?«

»Sie war wieder hier, dort am Fenster«, stammelte Bergdorf verwirrt.

»Nicht doch«, beruhigte Windreuter. »Sie haben sich getäuscht. Wer sollte hier gewesen sein?«

»Sie war's!« entgegnete der Kranke hastig. »Ich erkannte sie nur zu gut – dort am Fenster stand sie und richtete die glühenden Augen auf mich – sie war wieder da!«

»Cilly?« fragte der Alte. »Nicht doch! Wir haben eben viel von ihr gesprochen und da ist sie Ihnen in der Einbildung vorgekommen. Sie ist seit langer Zeit fort, wie verschollen. Wie sollte sie, wenn sie noch lebt, nun auf einmal in den Garten kommen, wie sich ins Fenster wagen? Und wenn sie nicht mehr lebt, wie können Sie glauben, daß sie wiederkomme, und davor erschrecken? Sie sagen, ja, daß es aus ist mit dem Tode!«

Bergdorf schwieg, Windreuter aber fuhr fort: »Ich habe den Buben richtig mitgebracht. Er wartet draußen vor dem Hause. Wollen Sie ihn sehen? Das wird Sie vielleicht zerstreuen.«

Bergdorf nickte kaum merklich, worauf der Alte der Thür zueilte. »Er weiß von nichts«, rief er im Weggehen. »Ich habe ihm nur gesagt, er solle etwas geschenkt bekommen.«

Bald trat er mit Richard an der Hand wieder ein. Der Knabe that scheu nach seiner gewohnten Art und ließ sich von dem Alten fast widerstrebend an das Lager ziehen. »Komm nur näher«, sagte dieser, »das ist der Herr, der Dir ein neues Kleid kaufen will. Du brauchst Dich nicht zu fürchten.«

Jetzt stand der Knabe dicht am Lager und richtete die großen dunklen Augen fest auf Bergdorf, als wollte er sich überzeugen, daß er von demselben nichts zu fürchten habe. Dieser hingegen hing mit scharfen, forschenden Blicken an den Zügen des Kindes. Der Alte stand erwartend mit der Lampe zwischen beiden, sodaß deren voller Schein auf die Gesichter fiel.

»Es sind ihre Züge«, murmelte der Kranke vor sich hin, »die wilden, feurigen Augen, die ich zum letzten Male durch den Pulverdampf blitzen sah.«

Er schauderte unwillkürlich. Auch den Knaben schien bei Bergdorfs Betrachtung etwas Unheimliches anzuwandeln, er schmiegte sich an den Alten. »Nun«, begann dieser, um der peinlichen Spannung ein Ende zu machen, »dieser Herr will Dir eine neue Jacke kaufen. Von welcher Farbe willst Du sie?«

»Schwarz«, sagte der Knabe rasch.

»Warum schwarz? In Deinem Alter sollte Dir eine helle Farbe lieber sein!«

»Der Weber Will meint, die Mutter ist todt und kommt nicht wieder«, erwiderte Richard nach einigem Besinnen. »Ich muß Trauer haben um sie, aber er kann mir keine schwarzen Kleider kaufen.«

Bergdorf wandte sich ab. »Der Weber Will ist wohl Dein Vater?« fragte Windreuter dazwischen, rasch bemüht, den unangenehmen Eindruck obiger Worte zu verwischen.

»Er ist mein Vetter, der mir zu essen gibt«, antwortete Richard zögernd, »meinen Vater kenn' ich nicht.«

»Aber möchtest Du ihn nicht kennen lernen?« fragte Windreuter, der eine bejahende Antwort erwartete und sich davon günstige Wirkung auf Bergdorfs Gemüth versprach.

Der Knabe sah ihn rasch seitwärts mit dem verschlagenen Blicke an, der ihm eigen, war. »Nein«, sagte er dann fest. »Die Mutter sagt, er sei ein schlechter Kerl, der sie unglücklich gemacht hat.«

Windreuter bemerkte, daß Bergdorf in die Kissen zurücksank. »Geh nur jetzt«, sagte er zu dem Knaben, um ihn fortzubringen. »Der Herr ist sehr krank. Komm' morgen früh wieder, dann führ' ich Dich zum Schneider, daß Du die Jacke bekommst.«

Richard ließ sich die Mahnung, gehen zu dürfen, nicht zweimal sagen. Ohne ein Wort zu sagen, huschte er zur Thür hinaus und war schon verschwunden, als Windreuter folgte, ihm den Weg zu zeigen.

Nach seiner Zurückkunft herrschte lange Zeit tiefes Schweigen im Gemach. Da Bergdorf äußerlich ruhig dalag, wollte ihn der Alte in seinen Gedanken und Erwägungen nicht stören und setzte sich so geräuschlos als möglich unfern vom Bette nieder. Als jener sich bewegte, trat er hinzu.

Bergdorf streckte ihm die Hand entgegen. »Du meinst es gut«, sagte er, »aber Du siehst, daß ich dem Buben nicht Vater sein kann, seine Mutter hat dafür gesorgt. Aber ich will für ihn thun, was ich kann, und will Dir das auseinandersetzen.«

»Heute nicht mehr«, erwiderte Windreuter, »heute haben Sie Ruhe nöthig. Morgen sollen Sie mir Alles sagen, aber jetzt schlafen Sie. Das wird Ihnen gut thun.«

»Ich kann nicht schlafen«, antwortete Bergdorf, »ich bin zu erregt; aber Du hast Recht, lassen wir das auf morgen, es würde nur dazu dienen, mir den Schlaf ganz zu verscheuchen. Erzähle mir lieber etwas, damit ich auf andere Gedanken komme, weil ich doch nicht lesen darf.«

»Was sollte ich Ihnen erzählen!« entgegnete Windreuter.

»Hast Du nicht vorhin gesagt, Du wärest auch ein verlorenes, vaterloses Kind gewesen? Erzähle, wie es Dir erging von Jugend auf.«

Der Alte schwieg und sah einen Moment vor sich hin. »Das ist nicht der Mühe werth«, sagte er dann. »Aber wenn es Sie zerstreut, so will ich Ihnen etwas erzählen, was in meiner Heimat geschehen ist in der Zeit, wo ich jung war.«

Er sann eine Weile nach, dann begann er:

»Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, daß ich nicht in diesem Lande daheim bin. Das Dörfchen, in dem ich zu Hause bin, liegt tief in dem Gebirge, dessen vorderste Höhen die Grenzen dieses Landes bilden. Es ist nur ein kleines Oertchen, das aus wenig Häusern besteht und von aller Welt abgeschnitten zwischen ungeheuren waldigen Bergen liegt, die es von drei Seiten einschließen. Nach der vierten Seite senkt sich das Land wie ein breiter Abhang zu einem großen See hinunter, dessen Ende nach allen Richtungen kaum zu erkennen ist, weil sich das Land dahinter in weite Ebenen und Flächen verliert. Ueber den See hin geht drum auch der einzige Weg, wenn man mit andern Leuten und den Uferdörfern in Berührung kommen will; in die Berge hinein führen nur steile, fast unwegsame Pfade zu den Almweiden und Sennhütten hinauf, denn das Dörflein hat nur wenig Ackerbau. Die Leute leben fast alle von der Viehwirthschaft und sind nebenbei Fischer; das macht der nahe See, und es ist fast kein Gütchen, wo nicht ein Kahn schaukelt. Der Fischfang ist auch an guten und seltenen Arten sehr ergiebig, aber was die Leute fingen, mußten sie Alles an das große Prälatenstift liefern, das tiefer im Gebirge liegt und dem der ganze See gehört. Manchmal kamen auch einige von den Stiftsherren heraus, um sich auf ein paar Tage mit Angeln und Netzwerk zu erlustigen und in dem kleinen gemauerten Häuschen zu wohnen, das schier wie ein städtisches Gebäude aussah und darum auch der Herrenstock hieß. Die ganze übrige Zeit durch war der Herrenstock unbewohnt und nur in einem kleinen Stübchen im Erdgeschosse hatte eine alte Frau ihre Herberge, die eine Art Aufsicht führte und sonst bei den Dorfleuten im Taglohn arbeitete. Die Herrnleni, so hieß die Alte, war nicht im Dorf geboren, aber sie hauste schon so lang in dem Häuschen, daß sich fast Niemand mehr der Zeit erinnern konnte, wo sie gekommen war. Vom Herrenstock aus hatte man von vorn eine gar herrliche Aussicht über den ganzen See, nach der Seite aber, nur durch einen schönen Baumgärten getrennt, lag auf einem kleinen offenen Hügel der Riedlhof, wohl das größte Gut im ganzen Dorf. Wenn man über den See herübergefahren kam, war der Riedlhof das Erste, was man sah, denn er lag zwischen den Bäumen fast so schön da wie ein Edelsitz. Rund herum gehörte fast Alles, Land und Wald, zum Riedlhof und in keinem andern Stalle, auf keines Andern Weide war so viel und so schönes Vieh zu sehen. Vom Hofe gerade herunter am See stand eine schön gezimmerte Schiffshütte mit einem großen grünbemalten Nachen, hart neben der unscheinbaren und armseligen Hütte des Fischerbalthes. Das war der Besitzer davon, der ärmste Schlucker im Dorf; er hatte nur ein Fleckchen Land, das kaum für ein paar Geißen ausreichte, und mußte deswegen die Fischerei mit mehr Fleiß treiben, denn die Lieferungen ins Stift wurden nicht schlecht bezahlt.

Der Fischerbalthes war ein hübscher, junger Bursche, den man nur gern ansah, gewachsen wie ein junger Tannenbaum, und wenn er Sonntags seinen Staat anhatte und im Kahn saß, um nach dem nächsten Dorfe in die Kirche zu rudern, hätte man wohl weit suchen müssen, einen schönern Burschen zu sehen. Die Ruder schwangen sich nur so in seinen Händen und gerade so flink ging ihm auch alle andere Arbeit aus der Hand. Zudem war er immer fröhlich und gut aufgelegt, und wenn er anfing ein Liedel zu singen, war es, als wenn ein Sprosser im Wald anfangen thät zu schlagen. Drum war er auch überall gern gesehen, und wo er in eine Stube trat, lachten ihm lauter freundliche Gesichter entgegen. Besonders die Mädels hatten überall die Augen auf ihm.

Er aber that, als sähe er sie alle miteinander nicht, that ruhig seine Arbeit und hielt sich auch nicht viel zu den übrigen Burschen. Ein einziger war's, den er besonders lieb hatte und mit dem er schier jeden Abend, wenn die Feierzeit kam, zusammen war. Das war ein Bursche von gleichem Alter, aber von ganz anderm Aussehen und noch viel ärmer als der Balthes. Die Herrnleni war seine Mutter, da kann man sich das wohl denken. Die hatte ihn, wie sie in das Herrenhaus kam, als ein neugeborenes Kind mitgebracht, und man konnte nicht einmal recht erfahren, ob sie wirklich seine Mutter war, und noch viel weniger, wer sein Vater gewesen. Der Hans, so hieß der Bursche, hat es auch nicht gewußt. Er ist halt in die Höh' gewachsen, wie ein Baum im Wald, und hat sich nicht viel darum gekümmert, wie das zugeht. Er half den Leuten, wenn's gerade recht dringend war, bei der Arbeit, aber das Liebste war ihm, wenn er in den Bergen im Wald herumsteigen, auf die Rehe birschen und den Gemsen nachklettern konnte. Dem Förster vom Stift war's nicht zuwider, einen Helfer zu haben, der nichts kostete, drum nahm er ihn oft mit und ließ ihn wohl auch allein in den Forst hinausgehen. Das war für den Hans immer das größte Vergnügen; er nahm nur ein Stück Brod mit, sich und blieb oft tagelang aus; er war immer gern allein und suchte so wenig die Lustbarkeit auf und die Kameradschaft wie der Fischerbalthes, und das ist's wohl gewesen, was die Zwei die meiste Zeit zusammengeführt hat. Im Winter und Herbst kam der Hans zum Balthes hinunter, setzte sich an den großen eichenen Tisch, der in der Stube unter dem Crucifix stand, und brachte seine Arbeit mit und schnitzelte Tabakspfeifen und allerhand Figuren aus verkrüppelten Hölzern, aus Wurzeln, Masern oder aus dem Kern von Tannzapfen. Dann saß ihm Balthes mit der Zither gegenüber und spielte und sang, daß man was drum gegeben hätte, ihn zu hören, und dabei sind sie seelenvergnügt gewesen alle zwei. Der Hans hatte nichts dagegen, wenn der Balthes die Schnitzerei ansah, eh' sie fertig war, was er sonst in den Tod nicht leiden konnte; dagegen machte sich auch der Balthes nichts draus, wenn der Hans mitunter bei einem Liedel, das ihm besonders gefiel, mitzusingen anfing, und das war viel vom Balthes, denn er hatte gar ein feines Gehör und der Hans hat falsch gesungen und hatte eine rauhe, heisere Stimme wie eine Nebelkrähe. Wenn dann der Auswärts kam, sind sie miteinander auf einem grünen Bühel gesessen oder in den See hinausgerudert und haben es gerade so getrieben.«

Windreuter unterbrach sich hier einen Augenblick und machte sich an der Lampe zu schaffen, als ob sie nicht hell genug brennte; es war aber nicht so.

»Sie werden sich wundern«, begann er dann wieder, »daß ich all die Kleinigkeiten so weitläufig erzähl'. Es gehört aber zu der Geschichte – Sie werden schon sehen später, warum. Sie müssen doch zuerst die Leute kennen, von denen ich Ihnen erzählen soll, und den Ort, wo sie daheim gewesen sind.

Damit ich aber wieder weiterfahre, so ist Hans mit dem Balthes auch in dem Stück gleich gewesen, daß er sich um die Mädels nicht gekümmert hat. Ich weiß aber nicht, ob das nicht blos darum war, weil die Mädels sich nicht um ihn kümmerten, denn er war nichts weniger als schön; er hat's nicht verstanden, den Weibsleuten schön zu thun, wie sie's gern haben, und weil er das selber gar wohl gespürt hat, schnauzte er jede ab, wenn ja einmal eine hätte ein Auge zudrücken und ein gutes Wörtel reden wollen mit dem schwarzen, sonnverbrannten Burschen.

Ueber dem ist ein Jahr ums andere hingegangen, und ohne daß sie's gewußt oder gemerkt hätten, waren die Zwei auch in einem andern Punkt einig geworden und da hat das Unglück angefangen.

Auf dem Riedlhof nämlich, der zwischen dem Herrenhaus und der Fischerhütte so recht in der Mitte gelegen ist, daß man von jedem dahin hat schauen können und daran vorbeigemußt hat, da war ein Mädel, die hatte es den beiden Burschen angethan, ohne daß sie es gewollt oder auch nur gewußt hätte. Das war die Lore, die Tochter von dem Riedlbauer. Der ist aber schon lang todt gewesen, und die Mutter, mit der sie forthauste, hätte ihr den Hof jede Stunde gegeben, denn sie war das einzige Kind, dem früher oder später doch Alles gehörte. Die Lore hat sich aber um das Alles nicht gekümmert; sie hat's gar nicht gewußt, daß sie nur die Hand auszustrecken brauche, um sich den Freier unter fünfzig aussuchen zu können, und wenn sie auch weniger sauber gewesen wäre, der große Reichthum allein hätte schon genug herbeigelockt. Sie hat sich auch viel auf den Reichthum eingebildet und in ihrer stolzen und herrischen Weis wär' es ihr gar nicht im Traum eingefallen, an einen armen Burschen zu denken. Sie hat's auch oft gesagt, sie wolle keinen Mann, der wie ein Bettelbub auf den Hof käm', und wer einmal Riedlbauer werden sollt', der müßt' wenigstens ebenso viel mitbringen, als er bekäme. Das haben die beiden Burschen auch recht gut gewußt und haben sich wohl gehütet, sich was merken zu lassen, denn sie wären doch nur von der Lore stolz zurückgewiesen worden und von den Leuten ausgelacht noch obendrein. Wie das aber meistens geht, sind sie im Stillen desto ärger verliebt gewesen, und war's dabei nur zu verwundern, daß keiner von ihnen gemerkt hat, wie es mit dem andern gestanden ist. Sie haben nie darüber gered't miteinander, aber wenn irgend ein Festtag gekommen ist, zu dem ein Mädel einen Buschen braucht, so hat es Balthes ganz natürlich eingeleuchtet, wenn der Hans tagelang auf den Bergen herumgestiegen ist, bis er das schönste Edelweiß oder Steinräutl zusammengebrockt hat. Dagegen hat auch der Hans nichts darin gefunden, wenn der Balthes seinen Kahn, wenn ihn die Lore einmal zur Kirchenfahrt benutzte, verziert und ausgeputzt hatte wie zu einer Hochzeit. Sie sind ihr miteinander zu Gefallen gegangen, sie haben sich in den Sommernächten miteinander unter die große Linde gesetzt, die dem Riedlhof gegenüber stand, und haben nach ihrem Fenster hinübergeschaut; wenn ihnen dann ein Blick, ein Gruß oder ein Wort zu Theil wurde, so hat's jeder auf sich bezogen, denn jeder hat gemeint, der andere hätt' sein Geheimniß errathen und thät ihn nur deshalb überall begleiten, um ihm behülflich zu sein.

Da hat es sich eines Tags zugetragen, daß die alte Riedlbäuerin einen gefährlichen Fall gethan hat, an dem sie zwar nicht gleich gestorben, von dem sie aber doch nicht mehr aufgestanden ist. Da hat sie der Lore auf alle Weise zugeredet, sie sollte sich einen Mann wählen, solange sie noch die Augen offen hätte; es hat wohl auch bei der Lore nicht viel Zureden gebraucht, sie hat also ja gesagt, und weil just ein entfernter Vetter gekommen ist, der auch einen großen Bauernhof in der Ebene draußen gehabt hat, so ist die Sach' geschwind in Richtigkeit gewesen. Der Vetter hat versprechen müssen, daß er sein Gut verkauft und auf den Riedlhof zieht, und so war Alles in der Stille zwischen Lore, ihrer Mutter und dem Bräutigam richtig gemacht, und nicht einmal die Leute im Hause haben eher was davon erfahren, als bis der Pfarrer das neue Paar von der Kanzel geworfen hat. Da hat es freilich viel Gerede gegeben und die Leute haben sich nicht genug, verwundern können über die Wahl der schönen Riedl-Lore, denn der Auserwählte ist ein wüstes Mannsbild gewesen mit rothen Haaren und blassem Gesicht, aber durch das Verwundern ist die Sach' nicht anders worden, und so ist die Hochzeit bald mit aller Pracht vor sich gegangen und auch bald nicht mehr geredet worden davon.

Der Balthes aber und der Hans, die sind alle zwei in der Kirch' gestanden, wie die Verkündigung geschehen ist, und haben alle zwei fast nicht gewußt, wie sie aus der Kirch' weg und über den See zurückgekommen waren. Drüben endlich, in ihrem heimatlichen Dorfe, wie sie nach ihrer Gewohnheit sich unter der großen Linde getroffen haben, da sind ihnen die Herzen auf- und übergegangen. Dann sind sie bis spät in die Nacht beisammen gesessen, und wie sie auseinander gingen, haben sie einander die Hände gegeben, wie zum Zeichen einer Verlobniß. Und so ist's auch gewesen! Wenige Wochen sind ins Land kommen, da hat der Balthes seine Hütte verkauft gehabt und ist mit dem Hans, der nichts zu verkaufen gehabt hat, in der Früh, wie's noch ganz grau war, in den Tannenwald an den Bergen hinanmarschirt. Der Balthes ist fort ans Meer und wollt' sich auf einem Schiffe verdingen als Matrose; der Hans hat einen Kasten voll Schnitzereien auf dem Rücken gehabt, mit denen er hat handeln wollen. Wie sie draußen waren in der Eben', haben sie einander wieder die Hand gegeben und sind links und rechts auseinander gegangen. Um dieselbige Zeit ist es aber überall gar unruhig geworden; es ist Krieg gewesen an allen Ecken und Enden, und so hat es nicht lange gedauert, bis der Hans auch statt seines Kastens ein Gewehr auf dem Buckel gehabt hat. Er hat Vieles erlebt und mitgemacht, und wäre ihm besser gewesen, eine von den vielen Kugeln, die er um sich pfeifen hörte, hätte ihm das Lebenslicht ausgeblasen; es hat ihn aber keine getroffen zum Sterben.«

Windreuter hielt inne und schob dem Kranken die Kissen zurecht. Dieser hatte aufmerksam zugehört und schien etwas beruhigt.

»Nun«, sagte er dann, »das kann doch das Ende Deiner Geschichte nicht sein?«

Der Alte schüttelte traurig den Kopf und fuhr fort:

»So ist eine lange Zeit hingegangen; es war Friede geworden, und in der Unthätigkeit hat es den Hans nicht ruhen lassen, bis er mit seinem Abschied seiner Heimat hat zuwandern können. Er hat jetzt in der Still' gelacht über das, was ihn damals fortgetrieben hatte; er war ja um ein schönes Bündel Jahre älter geworden und meinte, nun hätt' es keine Gefahr mehr und er könne die Lore wiedersehen, ohne in die alte Krankheit zurückzufallen. Wie er an den See gekommen ist, war eben der Fischer, der nach Balthes auf das Geschäft gekommen war, herübergefahren, und so hatte er Gelegenheit, bald in das liebe Dörfel hinüber zu kommen und während des Fahrens von dem Fischer zu erfahren, was in der langen Zeit seiner Abwesenheit in dem Dorf Alles geschehen sein mochte.

»Ihr müßt wissen«, sagte er zu dem Fischer, der die Ruder ein wenig einzog, um bequemer erzählen zu können, »ich habe vor zwanzig Jahren da drüben gedient, da freut mich's doch, zu hören, wie es seither da drüben zugegangen ist.«

»Nun, wie wird es zugegangen sein«, antwortete der Fischer. »Wie's eben überall zugeht! Ihr werdet Manchen nicht mehr finden, der unterdessen die große Reis' gemacht hat. Wo seid Ihr im Dienst gewesen, Landsmann?«

»Auf dem Riedlhof«, erwiderte Hans unbefangen.

»Auf dem Riedlhof!« begann der Fischer wieder. »Da hat sich just am meisten geändert. Das werdet Ihr wohl schon wissen, daß dort eingeheirathet ist?«

»Ich habe die schöne Lore zur Kirche fahren sehen«, sagte Hans verwirrt, denn er fühlte, wie noch bei der Erinnerung ihm das Blut zum Herzen stürzte.

»Nun also! Die Heirath ist gerade nicht zum Besten ausgeschlagen. Der neue Riedlbauer war ein bösartiger, giftiger Mensch, der keinem Menschen was vergönnt hat und der sein Weib ohne Ursach' auf alle Art gequält und gepeinigt hat. Da war Unfrieden, Zank und Streit alle Tage, und wie die Alte, die ein paar Jahre hingesiecht hatte, gestorben gewesen ist, da war dem Faß vollends der Boden aus. Es ist nichts Seltenes gewesen, daß die reiche Riedlbäuerin manchen Sonntag nicht hat zur Kirche gehen können, so zerschlagen war sie. Zum Glück hat's nur ein drei Jahre gedauert, da ist der Wildfang gestorben, sonst hätte er sie gewiß zu Tode gemartert. Seitdem ist nun in den schweren Kriegsläufen viel Leid über die Bäuerin gekommen, aber sie hat sich tapfer durchgeschlagen und regiert den Hof noch wie ein Mann.«

»Und ist Wittwe und hat keine Kinder?« fragte Hans.

»Sie ist Wittib und will's bleiben. Kinder hat sie nur eins, einen Sohn, der ist schon ein gestandener junger Mensch und hat studirt. Jetzt ist er drüben an unserm Gericht als Praktikant.«

Der Hans hat nichts geantwortet und nur in einem fort auf das Gestade hingeschaut, das mit jedem Ruderschlage näher gekommen ist und wo der Riedlhof so schön und stattlich wie sonst aus den Wiesen und Bäumen herausgeschaut hat, und wie der Nachen angefahren ist, hat er den Ruck bis ins Herz hinein gespürt.

Er hat an dem Riedlhofe vorbei in den Herrenstock gehen wollen, um nach seiner Mutter zu fragen; wie er aber nur noch ein paar Schritte von dem Hof weg war, ist er auf einmal stehen geblieben, wie wenn er einwurzeln wollt', denn unter der Thür ist die Riedlbäurin gestanden und hat gerade den Knechten, die ins Heu gefahren sind, angeschafft. Natürlich war sie in den zwanzig Jahren nicht jünger geworden, aber sie ist doch noch wohl ein sauberes Weib gewesen, und dem Hans hat's wieder einen Ruck gegeben, noch stärker als wie der von dem Schiff. Er hat sich aber zusammengenommen und hat vorbei gewollt, weil er gemeint hat, die Bäurin thät ihn doch nimmer kennen. Da hat er auf einmal ihre bekannte Stimm' rufen hören: »Ja, wie ist denn das? Herrnhans, Du bist wieder da und willst bei mir vorbeigehn wie ein Fremdes?«

Es versteht sich, daß der Hans nicht weiter gegangen ist; er hat auch bald erfahren, daß die Herrnleni nicht mehr im Herrenstock logirt, sondern hinter der Kirche unter dem Hollundergesträuch, hat also dort nichts mehr zu suchen gehabt! Der Grüß-Gott war von beiden Seiten recht herzlich, und in einer Stunde war ausgemacht, daß der Hans auf dem Riedlhofe bleiben solle; sie brauchte eben einen Knecht, er einen Dienst und so ist beiden Theilen geholfen gewesen.

Von der Stund an hat der Hans ein Leben gehabt wie im Himmel; er hat gearbeitet wie ein Feind, nichts ist ihm zu mühsam gewesen, nichts zu hart, er hat die Bäurin jeden Tag sehen können und ist schon zufrieden gewesen, wenn sie mit ihm freundlich gewesen ist, über die Wirthschaft mit ihm gered't und manchmal gar ein Viertelstündel von alten Zeiten mit ihm geplaudert hat. Der Bäurin war's auch recht, daß er da war, und eh' ein Jahr verging, war er Oberknecht oder Baumeister auf dem Hofe geworden und genoß das vollste Zutrauen der Bäurin. Das ist noch besser geworden, wie der Sohn auf Besuch vom Amt herübergekommen ist, denn die Bäurin hat's bald merken müssen, daß der Hans zu dem jungen Menschen eine besondere Vorlieb' gefaßt hat. Das Warum hat sie freilich nicht errathen können; das ist kein anderes gewesen, als daß der junge Mann, der übrigens seinem Vater gleichgesehen hat und just nicht sauber war, ein paar Augen im Kopfe gehabt hat, die man mit denen seiner Mutter hätte verwechseln können. Auch der Sohn ist dem fleißigen, aufmerksamen Oberknecht in kurzer Zeit gut geworden, und so war auf dem Riedlhof ein Leben wie im Paradies.

Die Schlang' ist aber nicht ausgeblieben.

Manchmal schon ist hier und da die Rede auf den Fischerbalthes gekommen, aber Niemand hat von ihm was gehört gehabt und Alles hat ihn wohl für todt gehalten. Drum hat's keine kleine Verwunderung gegeben, wie er auf einmal doch zurückgekommen ist und obendrein so, daß ihn kein Mensch schier wiedererkannt hat! Er ist städtisch gekleidet gewesen, hat goldne Ringe an allen Fingern getragen und auf der Brust eine Nadel mit kostbaren Steinen. Mit einem Worte, er war ein reicher Mann geworden und nun heimgekommen, um das allen Leuten zu zeigen, die ihn früher als den armen Fischer gekannt hatten. Er ist, so hat er überall erzählt, mit dem Schiffe, auf das er sich verdingt gehabt hat, die halbe Welt ausgefahren und hat zuletzt im Holländischen eine kleine Handelschaft angefangen. Die ist über alle Erwartung gut gegangen und hat ihn zum reichen Mann gemacht. Es versteht sich von selbst, daß es gar nicht lang angestanden hat, so ist er auch auf den Riedlhof gekommen, denn er ist gar nicht mehr schüchtern gewesen wie ehemals, sondern hat ein freies, keckes Wesen gehabt, wie es die Art des Schiffsvolks sein soll. Die Riedlbäurin empfing den wegen seines Reichthums allgemein gefeierten und besprochenen Gast mit unverhehlter Freude und auch ihm ist es wie dem Hans gegangen. Er hat zuerst nur ein paar Tage bleiben wollen, dann aber hat er sich vorgenommen, den ganzen Sommer zu verweilen, hat sich in dem leerstehenden Herrenstock eingemiethet und ist jeden lieben Tag auf den Riedlhof zu Besuch gekommen. Das war der Bäurin nicht unangenehm, denn es hat ihr geschmeichelt, daß ein so feiner Mann ihr solche Aufmerksamkeit anthat; auch hat sie ihm gern zugehört, wenn er von seinen Reisen erzählte, oder vom Meere und all den Seltenheiten, die er in den fremden Ländern gesehen hatte.

Im Riedlhofe haben auch die beiden Kameraden sich wiedergesehen. Wenn sie sich zuvor an einem andern Orte getroffen, hätte es wohl sein können, daß sie einander freudig begrüßt und die alte Freundschaft wieder erneuert hätten. Auf dem Riedlhofe aber ist jedem beim ersten Blick die ganze Vergangenheit eingefallen, jeder hat an die letzte Zwiesprach unter der Linde gedacht und hat geglaubt, er könnt' den Grund errathen, der den andern hergebracht hätte. So ist es geschehen, daß sie sich nur frostig und zurückhaltend gegrüßt haben und einander in der Still' bald abgeneigt und zuletzt völlig feindlich geworden sind. Das ist aber wie ein Unkraut; das wächst zehnmal schneller als ein gedeihliches Pflänzel und überwuchert Alles, und so ist auch bald von der alten Freundschaft kein Faserchen mehr übrig geblieben. Der Herr Balthasar Eglinger, so hat er sich jetzt genannt, hat sehr bald gemerkt, was der Hans auf dem Hof gegolten hat, er ist ihm neidig gewesen darum und gleich darauf ausgewesen, ihn wegzudrücken. Der Hans hat das wohl merken müssen, er hat es auch ohne das nicht gleichgültig ertragen können, daß der reich gewordene Fischer stundenlang bei der Bäurin in der Stube gesessen ist, während er im Hofe und der Scheune die schwersten Arbeiten hat verrichten müssen. Da ist oft über ihn ein wilder Neid gekommen, eine grimmige Eifersucht und zugleich eine bittere Wuth, denn er hat sich wider Willen eingestehen müssen, daß er sich in nichts mit ihm hat messen können, als in seiner grenzenlosen Liebe. Er hat sich vor sich selbst wegen dessen geschämt, er hat sich Vorwürfe gemacht über eine Leidenschaft, die zu seinem Alter nicht mehr passe, aber es ist umsonst gewesen; wenn das Herz brennt, steigt der Rauch allemal über den Kopf!

So ist es schier wie ein Trost für ihn gewesen, wie er von dem jetzigen Aufseher des Herrenstocks erfahren hat, der Herr Balthasar sei dem Laster des Trunks ergeben. Er hat sich auf dem Schiffe an den Branntwein gewöhnt gehabt, daß er ohne denselben gar nicht mehr hat leben können. Hier und da hat er sich wohl zusammengenommen und hat sich einige Tage enthalten, dann aber ist er immer wieder zurückgefallen und hat nachts und allein in seinem Zimmer so lange getrunken, bis er völlig berauscht war. Dadurch war mit einem Mal Alles geändert; jetzt, hat der Hans gemeint, braucht er sich vor dem Vergleiche nicht mehr zu scheuen, jetzt war er im Vortheil; ein solcher Mann konnte Lore nur neuerdings unglücklich machen. Er nahm sich drum vor, sie zu warnen, aber so oft er den Mund dazu hat aufmachen wollen, hat ihn immer wieder was zurückgehalten. Einmal ist er gerade vom Felde heim gekommen, zu einer Zeit, wo er gewußt hat, daß Balthes nicht da sei; da hat er sich ein Herz gefaßt und ist ins Haus gegangen, um der Bäurin Alles zu sagen. Wie er aber vor die Thür gekommen ist, hat er drinnen sprechen gehört; es war sein Feind, der die Lore mit Liebesanträgen bestürmte. Er hörte mit an, wie er erzählte, daß er sie schon in der Jugend geliebt habe, wie er ihr den Antrag machte, das Gut zu verkaufen und mit ihm nach Holland zu ziehen, wie er ihr das Leben, das sie dort als reiche, angesehene Kaufmannsfrau erwarte, mit allem Glanze ausmalte, und ist lang halbtodt vor der Thür gestanden und hat nicht vermocht, sich zu rühren. Er hat zugehört, wie die Lore wohl zuerst gegen den Antrag Einwendungen machte; sie berief sich auf ihr Alter, das nicht mehr zum Freien stimme, auf ihren bereits erwachsenen Sohn, aber es ist diesen Weigerungen wohl anzuhören gewesen, daß sie nicht ernstlich gemeint waren, daß sie nur die Einwilligung etwas verzögern sollten.

Endlich hat sich der Hans doch losgerissen und ist in der Scheune auf das höchste Heulager hinaufgestiegen, dort hat er sich hingeworfen und ist bis zum Abend in einem Herzleid liegen geblieben, das nur unser Herrgott kennt!

Wie es ruhig geworden im Hause, ist er herabgekommen, in die Stube getreten und hat seinen Abschied verlangt. Die Bäurin hat ihn einen Augenblick verwundert angeschaut, dann hat sie die Augen niedergeschlagen und hat ihn ausgezahlt, ohne weiter ein Wort darüber zu verlieren. Sie hat es wohl gespürt, vielleicht zum ersten Mal, was ihn fortgetrieben hat.

Am andern Morgen vor Tagesanbruch ist der Hans verschwunden gewesen, ohne seine Warnung angebracht zu haben. Sie hat dich und deine Treu', hat er sich gedacht, über dem Reichthum übersehn, jetzt soll sie nur ihren Weg gehn und soll erfahren, daß sie schlecht gewählt hat! Bereuen muß sie und den Hans zurückwünschen, und das zu erleben soll dann meine Rache sein!

Nach seiner Entfernung vergingen einige Monate, ohne daß etwas Besonderes vorfiel. Er hatte einen Dienst am andern Seeufer gefunden und hörte nur manchmal von weitem, daß der Herr Balthasar der erklärte Bräutigam der Riedlbäurin war und daß im Spätherbst die Hochzeit sein solle. Doch hat auch schon das Gerede angefangen von seiner Trunksucht zu munkeln, die sich immer öfter bemerklich machte und die Leute zu sonderbaren Gedanken veranlaßte.

Eines Tags war der Balthes in dem Ort, in welchem Hans bei einem Fischer diente. Er ist bis gegen Abend im Wirthshause sitzen geblieben, hat in seiner Lustigkeit Alles, was tractirt sein wollte, tractirt und zuletzt in völlig betrunkenem Zustande verlangt, noch über den See geführt zu werden. Vergebens hat ihm der Wirth gerathen, bis zum andern Morgen zu warten, er ist mit aller Hartnäckigkeit des Rausches auf seinem Willen bestanden und dem Gestade zugetaumelt, wo die Kähne lagen. Es dämmerte bereits. Der Hans ist eben in dem einen Kahne gesessen und hat sich auf den Befehl seines Dienstherrn bereit gemacht, den Betrunkenen, der ihn gar nicht beachtete, überzufahren. Der Fischer ermahnte ihn, ruhig sitzen zu bleiben, und der Kahn stieß ab.

Eine Weile ging's ganz ruhig dahin, keiner der beiden Männer hat ein Wort gesprochen; der Hans hat den Andern nicht angeschaut, der aber hat in seinem Zustande zwischen Schlaf und Taumel vor sich hingenickt. Wie sie gegen die Mitte des Sees gekommen sind, hat die Nachtluft, die ziemlich kühl hingestrichen ist übers Wasser, angefangen, ihn nüchtern zu machen; er hat sich aufgerichtet, um sich geschaut und angefangen, mit dem Fährmann zu reden. Der Hans hat es nicht vermeiden können, ihm zu antworten, und trotz des Rausches hat ihn der Balthes beim ersten Worte erkannt.

»Was«, rief er mit spöttischer Lustigkeit, »Du bist's, Hans? Du selber mußt mich überfahren zu meinem Schatz?« Dabei lachte er, daß es über den schweigenden See hallte.

Dem Hans hat jeder Laut wie ein Messer ins Herz geschnitten, aber er hat sich in die Lippen gebissen und ist still gewesen.

»Geschieht Dir auch recht«, fuhr der Andere lachend fort. »Wie kann's so ein armer Teufel wie Du mit unsereinem aufnehmen! Hast Dich ja schon ganz hübsch eingenistet gehabt auf dem Hof, aber gelt, der Fischerbalthes hat Dich doch ausgestochen!«

Der Hans athmete immer tiefer, aber er hat geschwiegen und seinen Zorn an den Rudern ausgelassen.

»Warum antwortest Du nicht?« schrie Balthes wieder. »Bist Du bös auf mich? Laß es gut sein, Hans! Dableiben kannst Du doch nicht, drum geh wieder fort, ich will Dir Geld geben, Geld, soviel Du brauchst – ich habe genug Geld!«

»Ich brauche kein Geld von Dir«, erwiderte Hans barsch.

»Nichts da, Du mußt es nehmen«, sagte Balthes. »Wenn wir hinüberkommen, geb' ich Dir noch viel mehr. Ich habe Geld genug – da nimm!« Damit zog er einen schweren Beutel hervor und wollte sich taumelnd erheben, um ihn Hans hinzureichen.

»Bleibt mir mit Eurem Gelde vom Leib, Herr Balthes Eglinger«, rief Hans, »setzt Euch nieder und haltet Euch ruhig, sonst fallt Ihr mit all Eurem Gelde in den See!«

Der Betrunkene achtete nicht darauf und machte fortwährend Versuche, aufzustehen, der Nachen ist drüber in heftiges Schwanken gekommen.

»So bleibt ins Teufels Namen sitzen«, schrie Hans ärgerlich, »der Kahn schlägt sonst wahrhaftig um!«

»Meinst Du, ich fürchte mich vor Deinem elenden See?« rief der Andere entgegen und stand nun wirklich aufrecht im Kahne. »Meinst Du, ein alter Matrose, der das Meer kennen gelernt hat, werde in einem solchen lumpigen Nachen nicht stehen können?«

»Nun, so sieh, ob Du's kannst«, hat der Hans zornig vor sich hingebrummt und mit beiden gleichzeitig ausgehobenen Rudern einen mächtigen Zug gemacht. Von dem Ruck ist der Betrunkene aus dem Gleichgewicht gekommen, hat ein bissel geschwankt – dann ist er über Bord gefallen und im nächsten Augenblick versunken gewesen.

Eh' er wieder aufgetaucht ist, war der Kahn, von dem starken Zuge getrieben, schon eine gute Strecke von der Stelle entfernt.

Dem Hans ist es einen Augenblick durchs Gemüth gegangen, daß er seinen Nebenbuhler los sei; er hat sich über das, was geschehen war, nicht besonnen und ist, statt zu wenden, weiter gerudert, um nicht hinsehen zu müssen.

Da tönte der Ruf des Ertrinkenden: »Hilf, Hans! hilf!« im Tone der entsetzlichsten Angst an sein Ohr, und plötzlich waren alle finstern Gedanken von seiner Seele; pfeilschnell hat er den Nachen umgedreht und ist zu dem Unglücklichen zurückgerudert, der nur noch matt gegen das Untersinken kämpfte. Schon war er nahe, in der nächsten Sekunde konnte er ihn fassen – da ist's geschehen gewesen. Der Körper ist in die fast bodenlose Tiefe versunken, aus der's keine Rettung mehr gibt; ein paar Luftblasen sind noch auf die Oberfläche gestiegen, dann ist Alles still gewesen, droben wie drunten in der Tiefe.

Inzwischen war der Mond aufgegangen und hat hell auf den Riedlhof geschienen und auf die Bäume um denselben.

Langsam ruderte Hans mit der Nachricht nach Hause, der Kaufmann sei in seiner Trunkenheit in den See gefallen.

So viel das auch für sich hatte, so ist doch bald der Verdacht laut geworden, der Hans habe ihn hineingestürzt. Das gespannte und feindselige Verhältniß der frühern Freunde war nicht unbemerkt geblieben und hatte zu allerlei Muthmaßungen geführt; es war bald genug, um Hans in den Kerker zu stecken. Sein junger Freund, der Sohn der Riedlbäurin, aber hat sich seiner angenommen und behauptet, der Hans sei einer solchen That gar nicht fähig, er hat Alles für ihn gethan und hat ihn vertheidigt, und das Ende war, daß Hans wieder frei gelassen wurde. Darauf ist er fort in ein anderes Land, wo man von der Geschichte nichts gewußt hat. Auch der junge Riedl ist dahin gekommen, nachdem er sein älterliches Gut verkauft gehabt hat, denn seine Mutter, die schöne Lore vom Riedlhof, ist bald darauf aus Schrecken und Alteration gestorben.«

Der Alte schwieg.

»Nun«, sagte Bergdorf, »und was ist aus Hans geworden?«

»Er lebt noch«, sagte der Alte nach einer augenblicklichen Pause. »Es geht ihm leidlich gut, aber eine frohe Stunde hab' ich seit dem Augenblick nicht mehr gehabt!«

»Wie, Du selbst?« rief Bergdorf staunend. »Du –«

»Nicht doch«, erwiderte der Alte aufstehend. »Ich habe nur erzählen wollen, was er zu mir sagte, als er um die Zeit zu mir kam, wo ich bei Ihrem Vater als Reitknecht eintrat. Aber es ist spät in der Nacht! Lassen Sie nun den armen Hans, denken Sie nicht mehr an ihn und schlafen Sie, die Ruhe wird Ihnen gut thun!«

Damit dämpfte er die Lampe bis zur schwächsten Dämmerung, der Kranke wendete sich der Wand zu und schien bald entschlummert zu sein.

Der Alte saß aber noch lange einsam im dunklen Zimmer Und kein Schlaf kam in seine Augen.


 << zurück weiter >>