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Später geleitete er sie dann nach Hause.

Es geschah dabei, daß er, einer augenblicklichen Aufwallung nachgebend, mit hinaufgehen wollte, um Mama kennenzulernen und ihr von dem Geschehenen gleich Mitteilung zu machen.

Doch Mieze zeigte sich von dieser Absicht nicht angenehm berührt.

Sie schwieg, senkte die Augen, und wenn sie auch lächelte, huschte doch flüchtig ein kleiner ängstlicher Schatten über ihre Stirn.

»Willst du's nicht lieber ein andermal tun?« sagte sie endlich. »Mama würde sich so aufregen. Sie ist gerade jetzt nicht wohl. Sie hat so sehr an ihren nervösen Kopfschmerzen zu leiden.«

Sie dachte daran, daß sie Mama zu dieser Abendstunde sicher wieder mit dem Wolltuch um den Kopf antreffen und sie unangenehm überraschen würden.

»Ich muß Mama erst vorbereiten«, fuhr sie fort. »Ich sage dir schon, wann du einmal kommen kannst ...«

Als sie sich voneinander verabschiedet hatten, huschte sie schnell in den Hausflur hinein, über den gartenähnlichen Hof hin und dann die drei Treppen des Hinterhauses hinauf.

Auf dem von einer Gasflamme erhellten Treppenflur verweilte sie und betrachtete mit leuchtend verlorenen Blicken, an das Geländer gelehnt, das Armband, dessen Diamanten sie mit kleinen Wendungen des Handgelenkes funkeln ließ.

Sie berauschte sich an diesen edlen blitzenden Farbenfeuern und hatte ihre besonderen Gedanken dabei.

Es gefiel ihr von Robert, daß er ihr das Armband von vornherein mitgebracht hatte – auch für den Wert der Bonbonniere mit ihrer schönen Emaillearbeit hatte sie Verständnis –; er hatte das also mit seinem ganzen Willen gewollt, von vornherein gewollt, was er dann auch erreicht hatte und er hatte nicht daran gezweifelt, daß er ihr Jawort gewinnen werde. Obgleich ihm sehr bang gewesen war. Sie hatte das gar wohl gefühlt. – Doch hatte er ihr zuerst nur die Bonbonniere gegeben und sie auf das Armband noch nicht aufmerksam gemacht ...

So lieb hatte er sie also.

Und außerdem hatte er also wirklich gemerkt, daß auch sie ihm gut war ...

Sie schlug plötzlich die Hände vors Gesicht und brach in ein Lachen herzlich tiefsten, jubelnden Glückes aus.

Dann huschte sie schnell, mit hochroten Wangen und freudepochenden Herzens, die letzte Treppe hinauf.

Sie fand Mama wirklich mit ihrem Wolltuch vor.

Mama, die in ihrem Lehnstuhl beim Ofen saß und, da sie durch den Empfang der tausend Mark ihre drückenden Sorgen los war, unter der Belästigung, die ihr ihr Kopfschmerz verursachte, wenigstens innerlich einigermaßen Ruhe hatte, sah mit verwunderter, ein wenig ängstlicher Frage zu Mieze hinüber.

Aber Fanny hatte inzwischen schon entdeckt, weshalb Mieze so fröhlich und gutgestimmt war, und mit Neugier und zugleich Schreck starrte sie von ihrer Schularbeit zu dem Armband hin.

»O Mama!« rief sie. »Sieh mal, was Mieze für ein Armband hat!«

Aber Mieze hatte jetzt schon den Arm in die Höhe gereckt und ließ das herrliche Geschmeide mit all seinen Blitzen funkeln.

»O Herr mein Gott, Mädchen, Mieze! ... Aber ... Um Gottes willen«, stammelte Mama, bleich vor Schreck. »Was ... was hast du denn da?! Wie bist du zu diesem kostbaren Armband gekommen?!« –

»Ein Diamantenarmband, Mammi! Ein schwergoldenes! Ja!« antwortete Mieze unter einem fröhlichen Lachen, die strahlenden Augen auf das Armband gerichtet. »Weißt du, was es kosten wird? Ganz sicher mindestens nochmal die tausend Mark, die ich dir schon gegeben habe. Mindestens! – Und weißt du, von wem ich's habe? Von Robert Voges, dem Sohn des dreißigfachen Millionärs Albrecht Voges. Ich bin heut nachmittag mit ihm im Park zusammengewesen und habe mich mit ihm verlobt!«...

*

Am folgenden Tage machte Robert Voges beim Nachmittagskaffee zunächst seiner Mutter Mitteilung.

Mit Absicht hatte er den Zeitpunkt abgewartet, wo Vater, der nie lange bei den Mahlzeiten zu sitzen pflegte, sich zu seiner Siesta entfernt hatte und er mit Mama allein war.

Der alte Voges war ein eigensinniger Herr, der noch dazu manchen ernstlichen Konflikt mit Robert gehabt hatte, weil er ihn seiner philosophischen Neigungen wegen, die sich für einen Großkaufmannssohn nicht schickten, so halb und halb verachtete.

Es bestand Gefahr, daß er das Verlöbnis sofort als eine von Roberts »Überspanntheiten« aufgefaßt hätte. Robert hielt es daher für das beste, sich zunächst hinter Mama zu stecken, deren Zugeständnis er bestimmt zu erreichen hoffte.

Er war als ihr Jüngster Mamas Lieblingssohn. Und auch für seine »liberalen Ideen« und romantischen Neigungen besaß sie ein gewisses Verständnis.

Frau Voges war eine hochgewachsene, zugleich wohlbeleibte Dame von imposantem Eindruck.

Sie trug eine dunkle Seidenbluse. Ihr aschblondes, schon etwas graumeliertes Haar war um die Stirn herum zu einer hohen Welle aufgebauscht und umrahmte ein längliches, aber fleischiges, rotwangiges Gesicht.

Unter hohen Brauen hatte sie graue, kühle Augen mit gekniffenen Lidern und seinen Fältchen in die Schläfen hinein, die ihren Blick mit einer Schattierung von Humor milderten. Von der langen, etwas gebogenen Nase ging ein Zug um den Mund herab, der ihrem Gesicht einen feudalen Ausdruck verlieh.

In die mittägliche Stille des Zimmers drangen von draußen gedämpft die Klänge der alten Domglocke, die die vierte Stunde angab. Das Haus war ein altes Patrizierhaus aus dem 18. Jahrhundert und lag an der Hauptstraße in der Nähe des Domes.

Auch Frau Voges wollte sich erheben, als Robert sie zurückhielt.

»Hast du nicht noch etwas Zeit für mich übrig, Mama?« fragte er, nicht ohne Erregung. »Ich möchte über etwas – sehr Wichtiges mit dir sprechen.«

»Nun? Etwas gar gleich ›sehr wichtiges‹?« sagte Frau Voges lächelnd, indem sie sich wieder niederließ.

»Ja, Mama, etwas sehr Wichtiges«, wiederholte er in einer Weise, die verriet, daß er seine Gedanken auf das, was er mitteilen wollte, sammelte.

»Nun, nun?« machte Frau Voges, etwas ernstlicher aufmerksam.

Robert erhob sich und begann hin und her zu gehen.

Die Art und Weise, wie er das tat, erinnerte Frau Voges an die Jungemannsart, in der er ihr zuweilen von seinen »Ideen« gesprochen hatte.

Sie lächelte daher, während ihr Blick seinem Auf und Ab folgte, in der Meinung, es werde dennoch nicht etwas so gar sehr Wichtiges sein, was er ihr mitzuteilen habe.

»Es ist ja schon immer eure Sorge gewesen, daß ich mich endlich mal verheiraten soll«, begann Robert endlich.

»Ah, sieh'!« rief Frau Voges in angenehmer Überraschung, »Aber das freut mich! Das ist allerdings etwas Wichtiges und, ich denke, zugleich etwas recht Angenehmes, daß du endlich mal auf dies sehr, sehr vernünftige Thema kommst, Rob! – Nun, und? – Wer ist's? Grete Ehlers? Irene Buchwaldt? Oder wer?«

»Weder Grete Ehlers noch Irene Buchwaldt, Mama«, antwortete Robert etwas nervös.

»So! – Na, ich dachte zum wenigsten ganz bestimmt, daß, wenn's schon mal nicht anders sein konnte, es Grete Ehlers wäre«, sagte Mama ein wenig enttäuscht und beunruhigt, aber noch immer mit Humor. »Aber, also wer? Es scheint uns ja also eine ganz besondere Überraschung bevorstehen zu sollen.«

»Ja, allerdings eine – Überraschung! Und zwar allerdings über den Bereich eurer äußersten Vermutungen hinaus, Mama.«

Mama nahm langsam die Hand von der Tischkante fort und lehnte sich schweigend in ihren Stuhl zurück.

Es blieb ein Schweigen.

»Nicht Grete Ehlers, auch nicht Irene Buchwaldt, Cäcilie Dühring heißt – meine Verlobte«, fuhr Robert endlich fort, mit deutlicher Erregung, aber dennoch mit einer für Frau Voges' Erfahrung ungewöhnlichen Entschiedenheit.

»Cäcilie Dühring?« fragte Mama befremdet. »Nun, nun!«

»Ja, Mama! – Das ist ja wohl ein Name, der in der Stadt gar nicht vorkommt, nicht wahr? Aber – draußen in der Vorstadt gibt's Leute, die so heißen, und gibt es eine schlichte, junge Buchhalterin, die so heißt und – mit der ich mich gestern nachmittag verlobt, verlobt habe.«

»Ja, aber, mein Gott, Robert, wie denn?!« rief Frau Voges ganz außer Fassung, mit einem entsetzten Blicke Robert nachsehend, der, ihr gerade den Rücken zugekehrt, mit gesenktem Kopf, die Hände in den Jackettaschen, nach der anderen Seite des Zimmers hin schritt. »Du – sprichst ja doch wohl davon, daß ... daß du dich – verheiraten willst?«

»Ja, Mama, freilich, daß ich mich verheiraten will! Mit Cäcilie Dühring verheiraten will!« betonte er. Er hatte seine Schritte gehemmt, sich gegen Mama umgewandt und sah sie jetzt mit einem entschlossenen Blick an.

»Ja aber, Rob! Aber um Gottes willen, ich bitte dich, was ist denn nun wieder mal das! – Aber mein Gott, du solltest doch wirklich endlich mal ernstlich bedenken, daß du nachgerade schon achtundzwanzig Jahre alt bist!« rief Frau Voges etwas weinerlich und mit wahren Angstaugen, wie beschwörend und zugleich abwehrend die Hand gegen ihn hin erhebend.

»Ja, Mama! Freilich! Schon achtundzwanzig Jahre!« antwortete er, nach wie vor in seiner entschiedenen Haltung, die Frau Voges übrigens etwas in Verwirrung setzte, denn sie fürchtete eine endlose Szene.

»Aber mein Gott, mein Gott! – Ach, Robert, nein, geh'! – Aber es hat mir ja doch immer, immer geahnt, daß es mit deinen liberalen, deinen umstürzlerischen Ideen noch mal zu so etwas führen würde! – Ach, was machst du uns denn da nur wieder für eine schwere, schwere Sorge!«

Die stattliche Frau mit ihren kühlen, grauen Augen, ihren humorvoll ironisch überlegenen, selbstbewußten Fältchen und dem stolzen Zug um die Mundwinkel machte einen geradezu hilflosen Eindruck. Sie war sonst durchaus entschiedenen Charakters und in ihren Bestimmungen selbständig und beharrlich, aber sie hegte eine Schwäche für ihren Lieblingssohn und gerade auch, weil er um seiner »romantischen« Neigungen und der unaufhörlichen Reibereien, die er mit seinem Vater hatte, von jeher ihr Schmerzenskind gewesen.

»Und – ja mein Gott, was denkst du denn, was Papa dazu sagen wird! Aber er wird ja doch außer sich geraten! Wir würden doch geradezu das Schlimmste zu befürchten haben! – Aber mein Gott, nein, nein! Wo du doch nun Papa so genau kennst! –

»Aber, Robert! Nein, das ist ja doch geradezu unmöglich! – Ach, und ich glaubte, daß du nun endlich doch mal von diesen – Ideen da, diesen ›Bundesideen‹ abgekommen wärst! Ich habe mich wirklich so von Herzen darüber gefreut! Es war ja doch jetzt endlich mal ein gutes Verhältnis mit Papa zu erwarten! Und nun – gar das! – Ja, aber wer ist sie denn eigentlich? Hat sie denn überhaupt – Bildung?«

»Papa! Nun, du sollst wissen, daß es mir unter Umständen und ein für allemal gleichgültig ist, wie sich Papa zu meiner Verlobung stellt! Ich bin mündig und erachte mich auch sonst in keiner Weise durch Papas Bestimmungen gebunden, wenn sie in Widerspruch mit etwas stehen, das mir heiligste Herzensangelegenheit ist!«

»Gott, Gott, ›heiligste Herzensangelegenheit‹!« rief Mama, beide Hände abwehrend vorstreckend, durch diesen wunderlich betonten Ausdruck ungeduldig gemacht.

»Mama, ich wiederhole: heiligste Herzensangelegenheit! Und ich wiederhole, es bis auf das Äußerste ankommen zu lassen, falls Papa meine Verlobung mit Cäcilie Dühring nicht billigt!«

»Robert! Um Gottes willen!« rief Frau Voges entsetzt. »Ach, mein Gott, nein, nein, nein, aber auch so was!«

»Übrigens kennst du sie, hast du sie schon gesehen«, sagte er, ohne auf ihren Ausruf zu achten.

»Aber wie denn, gesehen! Aber ich erinnere mich wirklich nicht!«

»Jedenfalls kannst du dir bei der Frau Justizrat jede Auskunft über sie holen, die dich nur befriedigen wird.«

»Wie denn? Von der Frau Justizrat?« fragte Frau Voges, nicht ohne eine gewisse Neugier.

»Ja, von der Frau Justizrat. Cäcilie gehört dem Frauenbund an. Ich weiß übrigens zuverlässig, daß sie in Frauenbundangelegenheiten schon mal bei dir gewesen ist, und ich selber habe sie damals bei dir gesehen. Sie muß dir ja durch ihre ganz ungewöhnliche Schönheit aufgefallen sein. – Übrigens habe ich sie erst in jüngster Zeit kennengelernt. Unsere nähere Bekanntschaft datiert durchaus nicht seit damals.«

Er begann, Mama den Verlauf seiner Bekanntschaft und seiner Verlobung mit Mieze zu erzählen, ließ auch, an solche Vertraulichkeiten Mama gegenüber von jeher gewöhnt und an das Interesse, das gerade Mama ihnen entgegenbrachte, diese und jene Einzelheit aus seinem bisherigen Verkehr mit Mieze mit einfliehen.

»Oh, aber, Robert!« rief Frau Voges, durch diesen Bericht und seine sich anvertrauende Art und Weise schon ein wenig umgestimmt und besänftigt, aber noch immer außer Fassung: »Aber ich bitte dich, das ist doch alles so ganz und gar abenteuerlich! – Ich bitte dich, so eine – Annonce! In die Zeitung bringen!«

»Ja, Mama! Aber die Gesinnung, mit der Cäcilie diese Annonce aufgegeben hat, kann nicht einen Augenblick im Zweifel sein. Gerade: wenn etwas für ihre guten Eigenschaften spricht, so ist es ja die völlige Unschuld, die sie bei dieser Gelegenheit an den Tag gelegt hat. Übrigens bitte ich dich ausdrücklich, selbst wenn du etwa in einer Gesinnung mit der Frau Justizrat über Cäcilie sprechen solltest, die Cäcilie ein für allemal ungünstig wäre, das Inserat der Frau Justigrat gegenüber nicht zu berühren. Ich betone noch einmal, daß ich unter allen Umständen fest entschlossen bin, Cäcilie zu heiraten.«

»Nun ja, ich versprech' es, ich verspreche! – Aber ...« Frau Voges ließ einen ratlosen Seufzer hören.

»Ja, aber was tu' ich euch denn nun eigentlich damit an!« rief Robert, durch Mamas immer noch anhaltende Unentschlossenheit gereizt. »Muß es denn wirklich wieder eine ›standesgemäße Heirat‹ sein? Ernst hat eine reiche Frau, Gerhart hat eine reiche Frau: ich dächte, damit wäre dem Standeserfordernis alle Gerechtigkeit widerfahren! – Bildung! Cäcilie stammt aus einer guten, angesehenen, ehemals auch wohlhabenden Familie. Daß sie ins Unglück geraten sind, dafür können sie nickt, das ist keine Schande, kann an der Tatsache, daß sie von Herkunft gutbürgerliche Leute find, doch nichts beeinträchtigen! – Und sie ist in jeder Hinsicht eine Ausnahmenatur. Ich bitte dich, mich hierin nicht mißzuverstehen: ich meine das nicht nach dem Maßstab meiner ehemaligen Bundesideen: im Gegenteil, gerade in einem Sinne ist Cäcilie Ausnahmenatur, der dich und Papa befriedigen müßte. Sie kollidiert hier eher mit mir, soweit ich etwa noch zu meinen damaligen Anschauungen bestimmtere Beziehungen habe. Sie ist eine sonderbar konservative Natur geradezu. Sie hat ganz und gar nichts ›Liberales‹. Ganz im Gegenteil! Ich glaube, auch in religiösen Dingen. Ich halte sie für fromm und durchaus rechtgläubig. – Und dann ihre Schönheit: ihre ganz ungewöhnliche Schönheit! Sie ist ja bestrickend, hinreißend schön! Aber es ist gar kein Zweifel, daß ihr auf alle Fälle eine glänzende Partie, ein Ausnahmeschicksal sicher ist! Sie wäre für einen Baron, einen Grafen, einen Fürsten nicht zu gering. Ihrer Schönheit, wie, wenn ich so sagen soll, ihrer – Rasse nach. Käme denn so etwas zum erstenmal vor? Ja, der Geburtsadel ist in so etwas sogar viel, viel vorurteilsfreier als wir. Er sieht auf Rasse. Und wenn er auf wirklich gute trifft, so gliedert er sie sich ein, ohne weitere Vorurteile. Und darin besteht noch immer sein Vorteil uns gegenüber. Vielleicht sind wir bürgerlichen Patrizier mit unserer starren Exklusivität, die keinen anderen Maßstab kennen will als den Geldbeutel, überhaupt nur eine Dekadenz-, eine Übergangserscheinung, die sich eines Tages noch mal gefallen lassen muß, daß sie durch wertvollere, wichtigere Faktoren ausgeglichen, erledigt wird! –

Na einerlei! Jedenfalls: ich dächte, das Haus Voges könnte sich nachgerade schon mal so ein Stück ›Romantik‹ leisten. Es wird absolut nicht schlecht dabei fahren. Man wird mich um so eine Frau nur beneiden, versichere ich dich. Beneiden! –

Aber wie ihr wollt: Ich schwöre, bei Gott: ich lasse es eher auf das Alleräußerste ankommen, als daß ich Cäcilie nicht heirate!

Mama!«

Er war zu Mama hingegangen, ließ sich neben ihr nieder und legte den Arm um sie. Mama hielt nach einem halben, doch nicht recht aufrichtigen Versuch, sich ihr zu entziehen, dieser Berührung ihres Lieblingssohnes still und zeigte eine gewisse Rührung.

»Nicht wahr, du wirst dich bei Frau Justizrat erkundigen?«

»Nun ja, ich werde mich erkundigen«, versprach sie kleinlaut.

»Mama! Ich weiß ja, daß du mich schließlich verstehst.« »Robert, aber Papa!«

»Wird es nicht auf das Äußerste ankommen lassen.«

»O Gott, sei doch nur still! Das ›Äußerste‹! Wie wäre denn so etwas zu ertragen!«

»Und wenn du dich bei Frau Justizrat nach ihr erkundigt hast, darf ich dir Cäcilie zuführen. Nicht wahr, Mama?«

»Nun ja, nun ja!« seufzte Frau Voges.

Robert hatte es, nachdem er mit Mama gesprochen, dennoch vorgezogen, auch gleich Papa Mitteilung zu machen und nicht erst die Vermittlung Mamas abzuwarten.

Papa würde ihm das nachher zum Vorwurf erheben, und er mußte sich gewärtigen, möglichenfalls einen »Feigling« oder etwas Derartiges an den Kopf zu bekommen.

Ohnehin machte er sich in der gedrückten Stimmung, die ihm jenes Vorkommnis mit Mieze in der Droschke hinterlassen, Vorwürfe, daß er es nicht fertiggebracht hatte, Mama und Papa zugleich Mitteilung zu machen. –

Er hatte Papa über Cäcilie, abgesehen von gewissen vertraulicheren Seiten der Angelegenheit, also dieselben Aufklärungen wie Mama gegeben, auch daß Cäcilie dem Frauenbund angehöre und bei der Frau Justizrat nähere Erkundigungen über sie einziehen könne.

Er hatte Papa gegenüber außerdem eine Festigkeit gezeigt, die er sich anfangs selber nicht zugetraut hatte, die aber auf Papa, zumal er glücklicherweise bei guter Stimmung gewesen war, Eindruck gemacht, wenn er auch dies und jenes über »Romantik« und »Überspanntheit« geäußert hatte.

Robert hatte es aber gerade in diesem Falle für gut befunden, eine gewisse Diplomatie spielen zu lassen.

Papa hatte ja von jeher bei Roberts Weiberangelegenheiten ein Auge zugedrückt. Er selber war ehemals nach einer früheren, noch etwas robusteren Art ein munterer Lebemann gewesen und hatte auch heute, als ein strammer und mobiler Sechziger, immer noch eine gewisse Schwäche für hübsche Weiber, wenn er ihr auch nicht mehr nachgab.

Nicht ohne Berechnung hatte Robert also gerade ihm gegenüber Cäciliens ungewöhnliche Schönheit und ihre Eigenschaft als weibliche Ausnahmenatur hervorgehoben.

Papa hatte sich denn auch sofort interessiert, hatte geschmunzelt und ein »So, so« gebrummelt. Und dann hatte er gesagt:

»Na, jedenfalls mußt du sie uns doch erst mal anbringen.«

Robert durfte also mit dieser Unterredung durchaus zufrieden sein.

In den nächsten Tagen hatte er dann noch öfter mit Mama über Cäcilie gesprochen. Sprechen müssen, denn Frau Voges hatte es nicht eilig, die Frau Justizrat aufzusuchen, woraus er schließen durfte, daß sie verwunderlicherweise dem »Projekte« nach wie vor weniger geneigt war als Papa ...

Doch brachte er es endlich so weit, daß sie sich zu der Frau Justizrat hinbegab und Erkundigungen über Cäcilie einzog, von der sie denn auch wirklich nur das Allerbeste erfuhr.

Und so war denn der Augenblick gekommen, daß Cäcilie Roberts Eltern vorgestellt werden konnte ...

Es war gegen Mittag, als Robert sie bei Mama einführte.

Mama empfing sie in ihrem Zimmer, das auf den schönen, alten Hausgarten hinausblickte.

Es war ein trüber, aber trockener Herbsttag. Die Wipfel des alten Gartens brausten von einem starken Wind.

Sie fanden Mama, die sich im Zimmer umher zu schaffen gemacht hatte, in stehender Haltung, so daß Cäcilie gleich den vollen Eindruck ihrer großen, stattlichen Gestalt empfing.

Unter bangem Herzklopfen, aber mit Haltung und willig erschlossenem Wesen war Mieze gekommen.

Als sie jetzt aber der eindrucksvollen Erscheinung von Roberts Mutter gegenüberstand, überkam sie ein wunderliches Gefühl von Fremdheit, das sie, die Augen niedergeschlagen, unter einem respektvollen Knicks verbarg.

Der Knicks verriet die ungezwungenste und natürlichste Anmut, war aber nicht viel mehr als höflich. Diese stattliche, ältere Dame mit den gekniffenen, kühlen, grauen Augen und den Fältchen in die Schläfen hinein, das Lächeln dieses Mundes mit seinem hochmütigen Zug, das mehr Neugier als sonst einen Anteil zu verraten schien, machte sie bang.

Auch Robert war nicht recht zufrieden mit Mama.

»Hier bring' ich dir meine Cäcilie, Mama«, sagte er, aber Mama konnte merken, daß er seinen Worten eine besondere Betonung gab.

Darauf gab Mama Mieze die Hand, ließ aber diesen lächelnden Blick musternder Neugier nicht von ihr ab; und endlich äußerte sie, Robert zugewandt, mit einem kleinen Lachen, das Mieze unwillkürlich erröten machte:

»Sieh, was bringst du uns für eine schöne Schwiegertochter ins Haus!«

Das waren ihre ersten Worte.

In dem. worauf es ankam, war an ihnen zwar gewiß nichts auszusetzen, dennoch konnte Robert sich nicht enthalten zu sagen:

»Oh, Cäcilie ist gottlob nicht nur schön, Mama!«

Er hatte zwar in scherzendem Ton gesprochen, aber Mama sah ihn auf seine Worte hin mit einem Blick an, aus dem er zu seiner Befriedigung abnehmen konnte, daß ihr bang war, er könnte ihr in einem Anfall von »Liberalismus« vor Cäcilie so etwas wie eine Szene machen.

»Kommen Sie! Setzen Sie sich, liebes Kind!« lud sie Mieze zwar nicht ohne eine kleine Zurückhaltung, aber im übrigen freundlich ein, während sie sich selbst niederließ.

»Sie gehören dem Frauenbund an?« leitete sie dann ein Gespräch ein. »Ich entsinne mich übrigens, Sie schon einmal bei mir gesehen zu haben.«

»Dem Frauenbund, ja«, bestätigte Mieze. »Ich bin besonders Frau Justizrat Frenzel behilflich.«

»Ja, ich weiß. Sie haben besonderen persönlichen Anschluß an Frau Justizrat. – Sie kamen ja damals auch in ihrem Auftrag zu mir. Aber Sie sind doch Mitglied des Bundes?«

Mieze bejahte.

»Frau Justizrat widmet sich der Frauensache ja noch in besonderer Weise«, setzte Frau Voges das Gespräch fort. »Aber Sie geben, wie ich hörte, in der Blindenanstalt zuweilen Leseunterricht?«

Mieze bejahte.

»Seit wann sind Sie im Frauenbund? Natürlich noch nicht lange.«

»Seit Frühjahr.«

»Aber, haben Sie die Blindenschrift vorher schon gekannt?«

»Nein, ich habe sie erst lernen müssen.«

»Oh, das ist alles mögliche! Da Sie doch den ganzen Tag über durch Ihren Beruf in Anspruch genommen sind.«

»Oh, ich habe immer nebenbei noch gelesen.«

»Ja, es gibt ja verschiedene Richtungen im Frauenbund. Ich kann mich allen Ideen und Reformvorschlägen, um die es sich da handelt, muß ich sagen, nicht gerade anschließen. – Neulich wurde ja auch ein Vortrag über das Wahlrecht der Frau gehalten. Haben Sie ihn gehört?«

»Ja«, bestätigte Mieze. »Aber ich verstehe nicht viel davon. Es interessiert mich auch nicht sehr«, setzte sie hinzu, erfreut, in diesem Punkte sich mit Frau Voges' Standpunkt zu berühren und Beziehung zu ihr zu gewinnen.

Frau Voges sah sie an, sagte aber nichts, sondern nickte nur. Sogar ein paarmal.

Miezes Antwort hatte sie tatsächlich angenehm berührt, und zum erstenmal fühlte sie so etwas wie eine Sympathie für Mieze.

Mieze schien allerdings einen angeborenen guten Takt in diesen Dingen zu besitzen. Frau Voges erinnerte sich, was Robert ihr von den ehemaligen guten Lebensumständen der Familie Dühring mitgeteilt hatte.

»Sie verkehren aber auch außer den Frauenbundangelegenheiten mit Frau Justizrat?« erkundigte sie sich, mit innerer Beteiligung jetzt den Arm etwas gegen die Tischkante stützend und in einer gegen Mieze vorgebeugten Haltung.

»Ja«, bestätigte Mieze. »Ich verkehre persönlich mit Frau Justizrat.«

»Kommen Sie aber nicht manchmal mit ihr in Konflikt?«

»Ach nein! Frau Justizrat läßt ja jede persönliche Auffassung gelten.«

»Auch wenn sie mit ihrer nicht übereinstimmt?«

»O ja.«

Frau Voges Blick, der Mieze beständig im Auge hatte, schien einen wärmeren Ausdruck anzunehmen.

Aber in diesem Augenblick trat Herr Voges ein.

Er war Mieze auf der Stelle angenehm.

Er bot sich als ein großer, stattlicher alter Herr in einem schwarzen Gehrock mit grauen gestreiften Beinkleidern und einer geblümten dunklen Seidenweste. Er trug sich bureaukratisch aufrecht und hatte noch volles, graumeliert dunkles, schlicht gescheiteltes Haar. In seinem ganzen Äußern hatte er eine auffallende Ähnlichkeit mit Bismarck. Und Bismarck hatte Mieze, von Vater her, von jeher leidenschaftlich verehrt.

Er war erst einen Augenblick in der Tür stehengeblieben und hatte sie mit seinen großen, dunklen, jovialen Augen angeblickt, dann aber brach er mit einem Male in ein fröhlich geräuschvolles Lachen aus und rief Robert mit einer wohlklingenden Baßstimme zu:

»Ah! Das ist deine Cäcilie?!«

»Ja, Papa, das ist sie!« bestätigte Robert, auf das äußerste erfreut und gleichfalls lachend.

Sogar Frau Voges lächelte. Alle waren von dem Temperament des alten Herrn angesteckt.

»Na ...«

Mit rüstigem Gang näherte er sich Mieze und reichte ihr eine große, wohlgeformte, kräftige, bleiche, warme Hand, die die ihre behielt.

»... Haha! – ›Ich mag euch drum nicht schelten‹«, fuhr er, offenbar zitierend, fort, Mieze mit seinen dunklen, gemütlich humorvollen Augen anblickend, daß sie, seinen Blick erwidernd, vor Freude bis in die Haare hinein errötete.

»Na? Dann muß dir dein Schwiegerpapa jetzt wohl einen Kuß geben, Döchting?!« fragte er mit allerbestem Humor.

»Also: Schnauzer! hoch!«

Gehorsam hob Cäcilie unter einem tiefen lächelnden Erröten das Gesicht zu ihm auf, und der alte Herr drückte ihr einen herzhaften Kuß auf den kleinen, festen, rosigen Mund.

»Hahaha! – Und da hätten wir denn also,« lachte er, nachdem der Kuß erfolgt war, »und noch dazu ganz ahnungslos, endlich – die dritte Schwiegertochter im Hause Voges! Was sagst du dazu, Mama? Ja, wie lange kennt ihr euch denn nu' eigentlich, sagt mal?«

»Noch nicht ganz vierzehn Tage«, antwortete Robert, in Miezes Anblick verloren.

»Hörst du, Mama? Noch nicht ganz vierzehn Tage! Was sagt der Mensch! Das heißt kurzen Prozeß machen! – Hahaha! – Kinder, na sagt: das ist ja der reine Roman! – Offen gestanden: ich hätte dir so viel ›Tempo‹ gar nicht zugetraut, Junge!«

»Wie man's Glück hat, führt man die Braut heim, Papa!« antwortete Robert, ohne den Blick von Mieze zu wenden ...

Mieze mußte zum Mittagessen dableiben.

Frau Voges lud sie nicht ohne Absicht dazu ein. Sie wünschte bei der Gelegenheit ihren Eindruck noch zu vervollständigen.

Auch nach Tische zog sie sich dann noch für einige Zeit mit ihr auf ihr Zimmer zurück ...

Später am Tage hatte Robert noch ein Gespräch mit ihr, denn es drängte ihn, sich des Eindruckes zu vergewissern, den Cäcilie Mama hinterlassen hatte, und er war darüber nach wie vor in einiger Besorgnis.

»Nun und, Mama?« erkundigte er sich.

»Nun, Robert, ja! – An Papa hat sie ja übrigens augenscheinlich eine Eroberung gemacht.«

Sie lächelte.

»Ja, und gerade das ist mir eine so aufrichtige Freude! Aber, Mama, ich bin erst dann ganz beruhigt, wenn ich endgültig hoffen darf, daß die ›Eroberung‹ nicht einseitig bleibt. Bei deinem Sinn für die Wirtschaft muß Cäcilie dir ja gefallen. Sie ist ja nach dieser Richtung so gut erzogen. Außerdem hat sie eine so glückliche Hand in allem, was sie anfaßt und ist so außerordentlich praktisch. Sie ist eben in jeder Hinsicht eine Ausnahmenatur.«

»Ich will hoffen, daß sie sich vor allem in unsere Lebenskreise einfügt. Ich bin ja recht zufrieden mit ihr. Aber sie wird in ihrer äußeren Bildung noch so manches nachzuholen haben.«

»›Äußere Bildung!‹ Pensionatsbildung besitzt sie freilich nicht. Aber ich möchte mich bei Grete Ehlers und Irene Buchwaldt nicht danach erkundigen, wie eine Sonnen- oder eine Mondfinsternis zustande kommt oder in welche Tiergattung der Hummer gehört«, entgegnete Robert nicht ohne einige Ungeduld. »Und ich habe keine Ursache, ihnen zuzutrauen, daß sie auch nur für fünf Minuten eine französische oder englische Konversation durchhalten können. Jedenfalls hat Cäcilie Bildungstrieb. Es ist doch z. B. alles mögliche, daß sie sich seit Jahren noch Freistunden erübrigt, um sich aus eigenem Antrieb Französisch und Englisch beizubringen. Schon der Trieb, die moralische Energie, die sich damit ausspricht, ist, dächt' ich, etwas wert. Und im übrigen wird dir die Frau Justizrat gesagt haben, wie leicht sie sich in allem zurechtfindet und ihre Bildung vervollständigt.«

»Nun, ich meine ja auch nicht gerade das«, erwiderte Mama. »Aber es ist ja doch immerhin ein Unterschied, ob man von Jugend auf in einem Lebenskreis eingelebt, hineingeboren ist oder ob man mit noch so guten Anlagen erst in ihn eintritt. Das Selbstverständliche, das schließlich mehr wert ist als äußere Bildung.«

»Ach, lieber Gott, Mama! – Aber ist es denn nicht die Hauptsache, daß sie mich so glücklich macht?«

Frau Voges bog sich von ihrem Sitz aus hurtig gegen ihn vor und ihm vertraulich begütigend die Hand auf den Unterarm legend, sagte sie, ein etwas seltsames Lächeln um die gekniffenen, kühlen, grauen Augen:

»Aber natürlich, mein Junge! Es ist ja gut!«

*

Robert hatte Cäcilie veranlaßt, ihre Stellung aufzugeben; und in einem Ehrgeiz, der vielleicht vor allem von dem Eindruck, den ihre künftige Schwiegermutter auf sie geübt, einen besonderen Antrieb erfahren hatte, benutzte sie jetzt die viele Zeit, die ihr übrigblieb, dazu, nach der Ollendorff-Methode ihren französischen und englischen Selbstunterricht weiterzutreiben und auch sonst nach Möglichkeit ihre »Bildung« zu vervollständigen.

So sympathisch ihr Roberts Vater war, es blieb etwas in Frau Voges' Wesen oder vielleicht auch nur in ihrer äußeren Erscheinung, das Mieze unzugänglich war und ihr so etwas wie ein Gefühl gab, sie werde niemals auf einen ganz vertrauten Verkehrsfuß mit ihr kommen.

Doch machte sie sich darüber keine besonderen Gedanken, zumal Frau Voges ihr in ihrer Weise freundlich entgegenkam.

Ein Zusammentreffen aber, gelegentlich dessen Mieze der Frau Justizrat Mitteilung von ihrer Verlobung gemacht, hatte bis zu einem gewissen Grad zu einer Entfremdung geführt, was für Mieze gleichbedeutend war mit einem Bruch mit der extremeren Frauenbewegung.

»Ei, seht doch unsere Kleine!« hatte die Frau Justizrat ausgerufen. »Hat sie sich da so über Nacht einen der reichsten Männer der Stadt geholt! Das nenn' ich doch noch Glück haben!«

Sie hatte das sicher im Scherz gemeint, aber sie hatte zugleich während des ganzen Zusammenseins keine weitere, besonders ernstere und anteilnehmendere Auffassung zu erkennen gegeben, und das hatte Mieze befremdet.

Doch auch darüber machte sie sich keine weiteren, tieferen Gedanken.

Sie verkehrte im übrigen im Hause Voges jetzt regelmäßiger, wo sie mit dem Leben im Hause vertraut wurde und, nach Frau Voges' Auffassung, in deren, wenn auch diskret geübten, Schulung stand ...

Dann war die Verlobung öffentlich bekanntgegeben worden. Robert und Cäcilie hatten ihre Besuche gemacht, und zwischen Neujahr und Ostern hatte dann die im engeren Kreise gefeierte Hochzeit stattgefunden.

Das junge Ehepaar wohnte in einer Villa mit schönem Garten, die in der östlichen Vorstadt, auf der anderen Seite des Stromes, gekauft und eingerichtet worden war.

Robert hatte die Absicht gehabt, mit Cäcilie eine Reise nach dem Süden anzutreten, doch sie hatte ihn gebeten, davon Abstand zu nehmen und ihm vorgeschlagen, im Sommer mit ihr eine Nordlandreise zu machen.

Sie hatte dabei eine lebhafte Sehnsucht nach dem Meer und der Natur des Nordens verraten.

Der Umstand, daß sie diese Wahl getroffen und auf eine sofortige Hochzeitsreise verzichtet hatte, ja sie sogar gegen ihr Gefühl gefunden zu haben schien, hatte nicht nur die Schwiegereltern, sondern auch Robert selbst verwundert.

Man hatte geglaubt, daß eine solche Reise nach dem Süden für sie etwas ganz besonders Anziehendes und Verlockendes sein müßte. Dem alten Herrn hatte ihre Entscheidung übrigens gefallen; auch Frau Voges hatte sich von ihr etwas beirrt gefühlt, ohne daß sie allerdings aus einer gewissen Zurückhaltung, die sie der Schwiegertochter gegenüber nach wie vor zeigte, so besonders herausgetreten wäre ...

Während draußen in der Welt der Frühjahrssturm brauste, im Garten den Schnee um die Christrosen und die Schneeglöckchen forttaute und auf dem Strom, der bis zu dem unteren Teil des Gartens heraufgeschwollen war, über die großen treibenden Eisschollen hinfegte, lebten Robert und Cäcilie das warme Gefriede ihres jungen Eheglücks.

Es war ein restloses Glück. Ein Glück, das ihre nächsten Angehörigen fast verwunderte.

Denn es fehlten ihm ganz jene Trübnisse und Mißverständnisse, unter deren Zerwürfnissen und um so wärmeren Versöhnungen ein junges Ehepaar sich gerade in dieser Zeit erst recht aneinander anzupassen, sich erst ganz zu finden pflegt und die meist gerade eine auf die Dauer glückliche Ehe einzuleiten pflegen.

Wenn man nun auch weiter keinen Anlaß zu einer Besorgnis für die Zukunft nahm – denn es kommen ja auch solche Ehen vor und können sogar einen dauernd ungetrübten Fortgang nehmen –, so geschah es doch, daß man gelegentlich über die so völlige Eintracht des jungen Paares seinen Scherz machte.

Besonders aber auf Kosten Roberts. Während man sich des Gefühls, das einem Cäcilie erweckte, nicht ganz sicher war.

Cäcilie zeigte, eigentlich in einigem Widerspruch zu ihrem sonstigen zu Munterkeit und Mutterwitz geneigten Charakter, ein stilles, in sich selbst ruhendes Wesen.

Doch war dies Wesen keineswegs gleichbedeutend mit Sentimentalität oder einer gewissen Zudringlichkeit von Leidenschaft und Liebe.

Robert hatte nicht zuviel gesagt, wenn er ihr gelegentlich seiner Mutter gegenüber Klugheit, hausfrauliche Tugend und einen ausgeprägt praktischen Sinn nachgerühmt hatte.

Auch der alte Herr äußerte jetzt zuweilen, wenn er ihr Wirken in der jungen Wirtschaft wahrnahm:

»Die Cäcilie ist ein Kerl! Sie wird Robert noch gründlich in den Sack stecken!«

Obgleich es ihn im übrigen nachdenklich stimmen und ganz eigen berühren konnte – er wurde freilich damit nicht recht fertig, hatte kein rechtes Verständnis dafür –, daß Cäciliens Neigung zu Robert eine so schlichte, fast wortlos starke und unbedingte war.

Auch er wurde aus dieser Cäcilie doch nicht so recht gescheit.

Doch meinte er, es würde sich mit den Honigwochen schon noch ändern, und sie würde dann um so munterer und geselliger auslegen und den neuen Lebensverhältnissen, in die sie eingetreten war, und die für sie doch so anziehend sein mußten, um so gründlicher Gerechtigkeit widerfahren lassen.

Vorläufig aber führte das junge Paar, selbst wenn man in Betracht zog, daß sie den Anfang ihrer Ehe lebten, ein zu eingezogenes und mit sich selbst zufriedenes Leben ...

Dessen getröstete sich der alte Herr, der ein für allemal seinen Narren an Cäcilie gefressen, auch sein Teil von ihr hätte haben mögen und eine besondere Neugier darauf hatte, sie sich in dem größeren gesellschaftlichen Verkehr bewegen und entwickeln zu sehen.

Jedenfalls fühlte sich der Junge ja aber glücklich. Wetter! – der alte Herr schmunzelte – sehr glücklich sogar! ...

Tatsächlich bot Robert einen sehr guten Eindruck.

Vor allem – was nicht nur seinen Vater, sondern auch seine Mutter erfreute – zeigte er keine Spur von dem unzufriedenen und oft bis zur nervösen Zerrissenheit unsteten Wesen mehr, das ihm in der Periode seiner »Wolkenkuckucksheimereien« und »Sozialismen«, wie der alte Herr das zu nennen pflegte, angehaftet und das ganz besonders Mama oft recht gründlich auszukosten bekommen hatte ...

»Alles was recht ist: es scheint ja doch, als ob er Mann geworden wäre!« sagte er jetzt manchmal.

Während er für sein Teil aber mehr aus dem allgemeinen Eindruck, den Robert bot, sein Urteil zog, wurden Mama, nach wie vor seiner besonderen Vertrauten, Roberts Aussprachen.

»Mama,« hatte er gelegentlich etwas in der Tonart seiner früheren Periode gesagt, »selbst wenn sich das Unglaubliche ereignen sollte, daß das Glück, das ich jetzt mit Cäcilie lebe, nicht von dauerndem Bestand wäre – fast ist es mir manchmal zu tief, als daß ich es ganz verstehen und erfassen könnte, fast überwältigt es mich manchmal, macht es mich ... macht mich ... Ich weiß nicht, wie ich's sagen soll? – es ist nicht richtig, wenn ich so sage, es ist natürlich noch anders,« fuhr er ein wenig unruhig fort, »... aber fast kann es mich manchmal – bangmachen: – Aber selbst, wenn es also nicht von Bestand wäre, und selbst, wenn das Unerhörte sich ereignen könnte, daß Cäcilie mir, ich ihr fremd würde: ich werde ihr nie, nie, ewig nicht vergessen, was sie mir jetzt ist und was sie mir gibt! Es wäre genug, genug und übergenug, um ein ganzes Leben damit zu fristen.«

»Aber lieber Junge! – Nu, du – Philosoph! – Genug: du bist doch glücklich!«

Wieder hatte sich Frau Voges, wie damals, von ihrem Sitz aus gegen ihn vorgebeugt, ihm mit einem kurzen, vertraulichen Druck die Hand auf den Unterarm gelegt und wieder hatte unter hochgezogenen Brauen um ihre sein gekniffenen, kühlen, grauen Augen mit den vielen Fältchen in die Schläfen hinein jenes etwas seltsame Lächeln gespielt ...

Cäciliens Liebe aber, so ganz reines, so ganz erstes Erlebnis, war anderer Art.

Sie wußte nichts von sich, war nur ganz Hingabe.

Sie hatte niemand, zu dem sie sich aussprach. Doch sie bedurfte auch keiner Aussprache.

Sie bedurfte, dachte, sann, wußte nichts außer Robert und Roberts Glück.

Ihr innerstes Wesen und Schicksal hatte sich aufgetan – von jenem Augenblick an, wo sie Robert damals im Park auf so eine eigene Art geküßt hatte – mit einer Macht, die über jeder Überlegung stand und wahrhaftig nichts so wenig als das Straucheln irgendwelcher intellektuell abwägenden Bewußtheitlichkeit kannte ...

Robert hatte völlig recht gehabt, wenn er sie ein Ausnahmeweib genannt.

Sie entfaltete das wundersame Genie des liebenden Weibes im vollsten Ausmaß. Und das betätigte sich auch darin, daß ihre Liebe schlicht und gehalten war; daß ihr jener Takt eignete, dem jedes Übermaß fremd ist und der die Liebe niemals lästig, trüb, gemein werden läßt.

Sie hatte nichts so wenig als die Eigenschaft des »Frauchens«. Sie war keine Plauderin, wußte nichts von jenen Tändeleien, Liebkosungen und Kosenamen, die sich so bald ins Läppische verlieren.

In ihrer Liebe war keine Spur von Sentimentalität oder Empfindlichkeit, wie sie miteinander Hand in Hand zu gehen pflegen. Und am allerwenigsten haftete ihr auch nur das mindeste von Hysterie an.

Das alles war denn wohl auch der Grund, daß nie ein Mißverständnis oder Zerwürfnis zwischen ihr und Robert aufkam.

Sie hielt auf schlichte Kleidung: aber eine Kleidung, mit der sie, da sie von nichts anderem bestimmt wurde als dem unwillkürlichen Instinkt ihrer ganz auf Robert gerichteten und in ihn eingesenkten Empfindung, Robert täglich von neuem bezauberte, und sein Empfinden, anstatt es aufzureizen und es so durch die Unruhe eines dunkleren Übermaßes zu schwächen, nur vertiefte und festigte.

Auch entwickelte sie all ihre frischen und unmittelbaren Geschicklichkeiten, Robert durch häusliches Behagen, durch persönliche Beaufsichtigung der Küche, für die sie allerlei erfinderische Einfälle hatte, durch kleine persönliche Handreichungen und dergleichen die unauffälligsten, unaufdringlichsten und doch um so nachhaltigeren Annehmlichkeiten zu schaffen.

»Man merkt das alles kaum; es hat alles so seinen selbstverständlichen Schick«, äußerte Robert sich darüber gelegentlich seinen Eltern gegenüber.

Das Glück aber, das sie erfüllte, verlieh Cäcilie bei alledem in ihren Bewegungen eine Sicherheit und Anmut und ließ eine Schönheit, eine tief in ihr ruhende und doch muntere Zufriedenheit von ihr ausstrahlen, die von Tag zu Tag nur immer liebreizender und intimer erblühte, anstatt Einbuße und Ermattung zu zeigen.

Es hätte wohl schon sein können, daß auch ein anderer, der sie gekannt, wie sie früher gewesen war, gefunden hätte, daß sie, gegen ihr früheres Wesen gehalten, auffallend ruhig und reif geworden war, scheinbar bis zu einer gänzlichen Einbuße ihrer früheren naiv mädchenhaften Munterkeit.

Cäcilie glücklich, Robert beglückt – sein Glück war unbeschreiblich –: so gingen etwa zwei Monate dahin.

Doch da trat eine Änderung ein.

Es fing an, ihm, als der erste Rausch seines jungen Eheglücks gestillt war, zum Bewußtsein zu kommen, daß er die Cäcilie in einem gewissen Betracht verloren hätte, die ihn in der ersten Zeit ihrer Bekanntschaft, besonders gelegentlich jenes Soupers in dem Weinlokal, so sehr entzückt hatte.

»Sie ist doch ein eigentümlicher Charakter! Sie ist ein Charakter mit Hintergründen!«

Es war diese Äußerung Mamas, die das Wesen Cäciliens am wenigsten verstand, gewesen, die in Robert jetzt beständig nachklang.

Es schien ihm jetzt, als ob er an Cäcilie gleichsam hafte.

Es strebte etwas in ihm wieder aus dieser »Haft« heraus, suchte in einen »normaleren« Zustand zu gelangen, wie er es in seinem Versuch, darüber nachzudenken, nannte.

Er kam wieder zum Bewußtsein des weiteren gesellschaftlichen Zusammenhanges, in den er ja doch schließlich eingefügt war – ein Bewußtsein, das übrigens Cäcilie für ihr Teil niemals in einer solchen Weise abhanden gekommen war – und nun erst gelangte ihm die »merkwürdige Umwandlung«, die sich mit ihrem Charakter ereignet zu haben schien, zum vollsten Bewußtsein. Und – er fand ihre Neigung zu ihm, so sehr ihn das auch ergriff oder rührte, in irgendeiner Hinsicht zu »ernst«; sie machte ihn unruhig, ja, setzte ihn in eine gewisse Verlegenheit ...

Nicht daß dies eine Abminderung seiner Liebe zu ihr bedeutet hätte – daran glaubte er nicht einen Augenblick, und es war auch nicht der Fall –: aber er sehnte sich nach der Cäcilie, deren vielleicht weit harmloseres Bild er nun mal von jener ersten Zeit ihrer Begegnung her in sich trug. Er fing an, sich mit dieser Cäcilie in seine von früher und jeher gewohnten gesellschaftlichen Zusammenhänge hineinzusehnen; er sehnte sich danach, nun endlich einmal seine schöne und liebreizende junge Frau auch den Leuten zu zeigen ...

Trivial genommen: er fing an, sich zu langweilen.

Und zwar um so mehr, als eigentlich er selbst es gewesen war, der diese Zurückgezogenheit der beiden ersten Monate bis zu einem zuweilen wohl gar zu behaglichen Darinaufgehen übertrieben hatte, nicht sie! ...

Für sein Gefühl und Urteil freilich war, da ihm die so gänzlich hingegebene Neigung Cäciliens gerade in der schlichten, unauffälligen, unaufdringlichen Weise, in der sie ihm entgegengebracht wurde und ihn umwebte, eigentlich nicht zugänglich, da sie ihm zu »ernst« war, gerade das Umgekehrte der Fall, und war es Cäcilie, die in Gefahr stand, die »selbstverständliche« Zurückgezogenheit der ersten Monate »anormal« werden zu lassen.

Eines Nachmittags kam es zu einer Aussprache.

Sie befanden sich in Cäciliens Zimmer, saßen beieinander am Fenster und blickten in den Garten hinaus.

Draußen lachte die Aprilsonne zwischen den aufgebrochenen Reisern, sangen die Drosseln, prangten die Beete im Schmuck der Hyazinthen, Tulpen, Tazetten und Primeln.

»Ich erfuhr heut in der Stadt, daß bei Waentigs nächste Woche großer Ball ist«, äußerte Robert, nicht ohne ein kleines verlegenes Zaudern. »In der Stadt da drüben herrscht ja noch die Saison«, setzte er mit einem nicht ganz aufrichtigen Versuch, zu scherzen, hinzu.

»Oh, es ist ja so schön bei uns! Sieh mal, wie der Garten immer schöner wird! Das ist wieder etwas Neues. Ich möchte nur immer so weiterleben«, sagte sie fröhlich, in den Anblick des Gartens verloren; ganz in der Annähme, daß sie damit nur Roberts eigenes Empfinden ausspreche.

»Hm! Sieh' mal, Herzchen! Aber das ist eigentlich etwas, das ich nicht recht verstehe«, griff er das Gespräch mit einer etwas übertriebenen Angelegentlichkeit wieder auf.

Sie sah ihn mit einem ungewissen Blick an.

»Ich meine,« fuhr er, von diesem Blick etwas unruhig gemacht, fort, »ich meine etwas, das mich an dir verwundert. – Du bist darin so anders geworden. Ich hätte das nie gedacht. Ich hätte gerade geglaubt, daß dir das etwas wäre, daß dich unser gesellschaftliches Leben angezogen hätte. Und ich muß wahrhaftig auch sagen, daß ich dich leidenschaftlich gern mal auf so einem großen Ball kennenlernen möchte. Statt dessen entwickelst du ein so ganz unvermutetes Talent zum Idyll!«

Er lachte.

»Wie denn?« Sie sah ihn verwundert an. »Aber nein!« Auch sie lachte; augenscheinlich jetzt erst orientiert. »Du hast doch bloß noch nicht von so etwas gesprochen? Du hast es doch noch nicht gewünscht?«

»Ja, aber das ist es ja eben: Warum hast du es denn noch nicht gewünscht? Das ist es ja eben, was mich verwundert, Lieb!«

Im übrigen aber fühlte er sich von ihrer Antwort sehr erleichtert.

»Ich? Ja ...«

Sie schwieg und errötete.

»Na, machst du dir etwa ›im Grunde genommen‹ nichts daraus?«

Er lachte, jetzt in der besten Stimmung.

»Aber ja, mach ich mir was daraus! – Natürlich! – Warum denn nicht? – Aber ... ich dachte nur ... du müßtest doch erst was sagen. – Nun ...« Sie schwieg und sah vor sich nieder. »Nun kommt es plötzlich so ganz mit einem Male.« –

Aber sie gab ihre kleine Nachdenklichkeit auf und lachte. »Ich habe darum eigentlich wirklich noch gar nicht daran gedacht. Nun muß ich mich erst – ein bißchen hineinfinden. – O natürlich: es ist sehr schön ... Ich freue mich darauf. Ich bin sehr neugierig drauf. Ich habe ja noch nie in meinem Leben so einen großen Ball gesehen.«

»Ja, weißt du ... nicht wahr?!«

Vor Freude erhob er sich und fing an, auf und ab zu gehen.

»Weißt du, Herz! Cecil! Weißt du: so fröhlich, so recht fröhlich möcht' ich dich mal sehen! Weißt du: so recht hingegeben, ausgelassen und doch ... ah! doch – so ganz du – möcht' ich dich mal sehen! So ungefähr wie damals, als du zum erstenmal in deinem Leben mit mir Sekt getrunken hast! Hahaha! Heidsick-Monopol! Erste Nummer! – Weißt du noch? Du wünschtest, so ganz aus der Tiefe deines angeborenen guten Instinktes heraus, so ... so – aus ganz unbewußtem Geschmack – o herrlich! herrlich!« – Er küßte sich, sie mit lachenden, feurigen Augen anblickend, auf die Fingerspitzen. – »Die Kelche, die französischen Kelche, diese seinen schlanken Kelche – es war übrigens die edelste Qualität, die das Lokal zur Verfügung hatte. – Weißt du? Oh, das war so fein! Sehr fein war das! – Etwas, das heute so ganz apart ist, wo man den Sekt sozusagen aus Wassergläsern, aus diesen stumpfsinnigen, plumpen Dingern da trinkt!«

Cäcilie war ihm, wie er so auf und ab ging und in seinem freudigen Eifer seine Rede mit allerlei lebhaften Handbewegungen begleitete, unverwandt mit großen, stillen, leuchtenden, sonderbar vertieften Augen gefolgt.

Dann aber kam ein Augenblick, wo sie errötete und wie in irgendeinem stillen Nachdenken vor sich niederblickte.

»Na, nicht wahr? Sag'!« wandte er sich gegen sie hin und lachte.

Sie schwieg, noch immer so vor sich niederblickend.

Dann aber sagte sie, ihn anblickend, mit einem Lächeln:

»Ja, ich mag Rokoko sehr gern.«

»Ja, ja! Ganz recht! Sehr fein ist das!« bestätigte er eifrig und lachte.

Wieder blickte sie ihn an. Wieder mit diesem großen, dunkel vertieften, leuchtenden Blick ...

Er glaubte ihrem Verhalten immer noch ein Zaudern abzumerken, auf den Hauptgegenstand in bestimmterer Weise zu antworten.

»Oder fürchtest du dich etwa vor deinem Debüt?« fragte er lustig.

Sie schüttelte langsam verneinend den Kopf.

Dann aber sagte sie plötzlich, als wäre sie mit ihrem Nachdenken fertig geworden, fast ein wenig trivial, und lächelte:

»Zu Waentigs Ball können wir ja aber wohl noch nicht hingehen.«

»Na, das wohl nicht mehr gut. Er ist schon nächste Woche. – Aber, die Hauptsache: nun kenn' ich dich doch erst wieder ganz, Cecil!«

Lachend kam er zu ihr hin, neigte sich zu ihr nieder und gab ihr einen herzhaften Kuß.

Sie hatte diesen Kuß erwidert, sagt dann aber weiter nichts, sondern blickte, von Robert abgewandt, in den Garten hinaus.

Endlich aber äußerte sie, ohne sich ganz gegen ihn herumzuwenden – er ging wieder auf und ab und summte sogar ein Liedchen vor sich hin – ganz sachlich:

»Weißt du? Wir können es dann ja so machen: Die Saison dauert ja doch nicht mehr lange: wir machen jetzt nichts Größeres mehr mit. Wir können uns ja deshalb, wenn du willst, trotzdem hier und da sehen lassen. Aber dann treten wir unsere Reise an. – Ich freue mich so drauf. Und nachher, in der neuen Saison, wenn wir wieder zurück sind, dann – können wir ja alles um so frischer und lustiger mitmachen und nachholen.«

»Bravo! Die Hauptsache, daß es dir gefällt! – Mama und Papa werden sich übrigens auch darauf freuen!« ...

*

Aber Ende Mai erfreute Cäcilie Robert mit einer Mitteilung über ihren körperlichen Zustand, die keinen Zweifel daran ließ, daß sie guter Hoffnung war.

Mit Rücksicht auf diesen Umstand wurde die auf die Dauer von zwei Monaten festgesetzte Nordlandreise, die sie sich gewünscht hatte, vorläufig aufgegeben, und Robert ging mit ihr, da sie jedenfalls ein Verlangen danach bekundet, das Meer zu sehen, in ein Nordseebad.

Anfang Juli reisten sie ab.

Mit dieser Reise war Cäcilie ein Wunsch erfüllt, der keine bloße Grille bedeutete, sondern mit einer tief in ihr Blut eingesenkten Vorstellungs- und Triebwelt in Zusammenhang stand.

All diese tiefe und vielseitige Erinnerung an ihren verstorbenen Vater, ihre Anhänglichkeit an Vater und ihre Teilnahme, ihr seltsam erschlossenes Verständnis für das Schicksal seines unglücklichen, verkümmerten Lebens, hingen ja mit diesem Wunsche von jeher zusammen, hatten ihn geboren.

Die Abreise hatte wieder eine neue Änderung in ihr Wesen gebracht.

Sie war, in Erwartung des großen, neuen, so ersehnten Eindruckes, dem sie entgegenging, in einem gewissen Sinne wieder ganz das naiv muntere Mädchen geworden, als das sie Robert damals kennengelernt und ihm so gefallen hatte.

Robert war in höchstem Grade erfreut. Er war der Überzeugung, daß sie durch diese Reise ein für allemal wieder ganz die geworden sei, die sie gewesen war ...

Doch darin täuschte er sich.

Denn zum erstenmal seit den letzten Monaten, in denen nur er Cäciliens Welt gewesen, erwachte in ihr neben dieser Welt eine andere und eine selbständigere, triebmächtigere, als sie selbst es nur im entferntesten ahnen konnte.

Und diese neue, mächtig aufpulsende Innenwelt, diese Innenwelt, die aus dem Vereich der Träume und Sehnsüchte und gewisser innerlichst bestimmender Triebe ihres Blutes hervor setzt Wirklichkeit wurde, ließ sie zum erstenmal ein besonderes Leben außer und neben Robert führen ...

Sie war unersättlich, sich am Strand aufzuhalten und das Meer zu betrachten, wie seine unermeßliche, purpurdunkle Masse mit ihren weißen Wellenkämmen gegen diesen flachen weißen Strandstrich herandrängte, daß es den Anschein haben konnte, als sinke er einem unter den Füßen immer tiefer und als müßte das gewaltige stahlblaue Wesen da mit seiner ewigen, endlosen Beweglichkeit starr über einen herstürzen und einen ganz in sich aufgehen lassen.

Das große eintönige Gedröhn der Brandung, das sich anhörte, als ob fortwährend tausend Kanonen losdonnerten, und der frische Luftzug, der hier herrschte mit seinem salzigen Odem und seiner wildfreien Witterung von Fischgeruch, straffte ihre Gestalt und weitete ihr die Augen mit einem Leuchten, in dem es wie eine verhaltene, auf dem Sprung stehende, stumm jauchzende Wildheit war ...

»Was sie doch für ein kleiner, rassiger Teufel ist! Wahrhaftig, sie geht also doch noch aus sich heraus!« dachte Robert, wenn er sie so sah.

Die Bäder, die sie nahm, die innige, freie Berührung, in die sie sie zu dem großen, herrlich machtvollen Element brachten, waren ihr eine unaussprechliche Freude.

»Ach, Robert!« rief sie immer wieder. »Wie schade, daß ich noch nicht schwimmen kann! Ach, es muß so herrlich sein, so wie die anderen frei hinausschwimmen zu können!«

»Na, jetzt ginge das ja wohl sowieso nicht«, lachte Robert.

»Nein, nein! Jetzt ja nicht! Ich weiß!« rief sie mit vor Eifer roten Wangen. »Natürlich! Aber wenn wir wieder zu Hause sind, dann muß ich unbedingt noch schwimmen lernen.«

Es war zum erstenmal, seit er sie überhaupt kannte, daß sie in so entschiedener und unmittelbarer Weise einen selbständigen Wunsch geäußert hatte.

»Aber selbstverständlich, Herzchen!« lachte er, der sich nicht enthalten konnte, sie an sich zu ziehen und zu küssen, was sie in ihrer strahlenden Vergessenheit zum erstenmal mehr duldete als erwiderte und vielleicht kaum wahrnahm ...

*


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