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Das Geländer befand sich am Rande einer mit einer massiven Steinmauer steil abfallenden Tiefe. Unten ging, dicht am schräg abfallenden Ufer hin, an dem ein Eisenbahngleis hinführte und Güterstrecken mit aufgestapelten Mauersteinen, Brettern, Balken, Baumstämmen, Ölfässern, Petroleumballonen und Zement- oder Kunstdüngersäcken sich hinzogen, eine gepflasterte Straße entlang, auf der alltags ein lebhafter Lastwagenverkehr, heute aber tiefe Stille herrschte: nur auf dem Trottoir unten an der Mauer hin spazierten in Sonntagskleidern kleine Beamte, Arbeiter mit ihren Familien, junge Leute und Pärchen von der Stadt her nach den Vorstadt-Restaurants hinaus, die am Rande des Parks am Ufer lügen.

Der Strom war hier sehr breit. Das jenseitige Ufer, das nach links hinter hohen, alten deutschen Pappeln eine Reihe von kleinen, bunten Holz- oder Fachwerkhäusern zeigte, die bis zu einer großen Steinbrücke hinführten und sich dort mit den verdunsteten Häusermassen der Stadt einten, nach rechts hin aber die Anlagen eines anderen Parkes zeigte, nahm sich aus wie mit Gegenständen aus einer Spielzeugschachtel bestellt.

Zur Rechten machte der Strom einen Bogen und kam aus den rußigen Häusermassen der Fabrikstadt hervor, nach links aber ging er in gerader Richtung weiter, so daß er einen majestätischen Fernblick gewährte.

Seine mit großen, ruhigen Strudeln dahingleitenden gelbgrünen Wassermassen funkelten unter dem blauen Himmel und den milchweißen Wolken von zahllosen Lichtern. Bunt angestrichene oder frisch geteerte Frachtkähne mit ihren Masten und ein paar große Raddampfer, jeder mit zwei dicken, schwarzen, am Rand bunt gestrichenen Rauchschloten, lagen hüben und drüben dicht an den Ufern hin. Wimpel wie lange, lichtbunte Schlangenzungen wanden sich und flatterten in der frischen Luft und belebten die große, stattliche Schau mit ihren munteren Farben. Nicht weit ab gab es eine Überfahrtstelle, von der aus ein kleiner Motordampfer mit Passagieren hin und her schräg über den Strom fuhr, zwei blitzende Furchen hinter sich herziehend.

Halb unbewußt gab sie sich diesem schönen Ausblick hin, während sie im übrigen ihre letzten Gedankengänge weiter verfolgte.

»Auch Adlige hab ich nun in der letzten Zeit kennengelernt«, dachte sie. »Sie nehmen sich doch noch anders aus als die Großkaufleute und Millionäre in der Stadt. Es ist etwas Feineres.«

Sie hatte jüngst mit der Gemahlin eines hohen Gerichtsbeamten zu tun gehabt, der ein Graf war. Ein hochgewachsener, feiner, blonder Herr, der stets einen spiegelblanken, eleganten Zylinder aufhatte und in stattlich aufrechter Haltung einherging.

Auch die jungen Gräfinnen, hochgewachsene, hübsche, schlanke, blonde Mädchen, die ungefähr in ihrem Alter standen, hatte sie gesehen, als sie im Auftrage der Frau Justizrat draußen im vornehmen Villenviertel der Vorstadt in Frauenbundangelegenheiten in der gräflichen Villa geweilt hatte. Und natürlich auch die Frau Gräfin.

Sie fand, daß die vornehmen Kaufmannsdamen hochmütiger zu einem waren. Auch die Kaufmannsfräulein. Die Gräfinnen aber waren so freundlich und bescheiden gewesen. Und auch die Frau Gräfin war sehr nett zu ihr gewesen. Gar nicht so herablassend begönnernd, wie sich viele von den Damen des Frauenbundes zu ihr benahmen.

»Aber was habe ich von alledem«, dachte sie. »Es ist alles ebenso wie früher. Anschluß habe ich ja auch nicht weiter gewonnen, denn in ihre Kreise lassen sie mich doch nicht hinein.«

Sie ließ ihre Blicke den Strom hinabschweifen. Mit seiner majestätischen, gleißenden Fläche, mit seinen Dampfern, Frachtkähnen. Baggermaschinen, Booten, Werften, Kränen und Güterstrecken verlor er sich weit dort hinten in die sonnendunstige Ferne hinein. Ging über die Häusermassen der großen Stadt hinaus, und immer weiter und weiter, bis zu dem Riesenhafen der großen Handelsstadt am Meere und in das Meer hinein.

Das Meer! ...

Und über das Meer konnte man weiterfahren, durch den Kanal zwischen Frankreich und England hin in den Ozean hinein und nach Amerika oder zu den anderen fremden Erdteilen, von denen ihr Vater erzählt hatte. Und es war Vaters Blut, das sich in ihr regte und diesen großen Fernen mit all ihren Wundern entgegenschwoll.

Dort sollten ja die Menschen freier miteinander verkehren; hier fingen sie, wenn die Frau Justizrat recht hatte, damit erst an.

Sicher konnte man sich dort wohler fühlen und glücklicher leben ...

In der Abenddämmerung kehrte sie wieder heim. Unlustig und von ihren Gedanken und der schweren Frühlingsluft betäubt, schleppte sie sich die drei Treppen zu der kleinen Wohnung hinauf.

Sie bezahlten hier weniger Miete, dafür aber hatten sie in der vorigen Wohnung beträchtlich mehr Raum gehabt. Hier war alles darauf eingerichtet, daß man möglichst viele Mieter im Hause hatte. Außerdem würde es nicht lange dauern, daß man weiter anbaute und ihnen auch noch das bißchen schöne Aussicht auf den Park und den Strom nahm. Dann lebten sie hier ganz und gar wie eingemauert in dem kleinen Käfig von Wohnung.

Sie hatten nur eine, noch dazu ziemlich kleine Wohnstube, außerdem zwei Kammern und eine enge, kleine Küche. Sie hatten noch nicht alle Möbel aufstellen können, die sie besaßen, und Mieze hatte schon daran gedacht, daß sie einen Teil davon verkauften.

Sie fand Mama allein. Fanny war zu Besuch aus bei einer Schulkameradin. Das Zimmer war nicht besonders gut aufgeräumt. Mama litt mal wieder an ihren rheumatischen Schmerzen.

Sie saß am Fenster und blickte wehleidig nach Westen hinüber, wo die rote Abendglut über den dunklen Wipfelmassen des Parkes stand.

Gegen ihren Kopfschmerz hatte sie ein dickes, wollenes Tuch um den Kopf gewickelt, das wie ein riesiger Turban wirkte und in dem sie einfach abscheulich aussah ...

Sie fing sofort an zu wehklagen.

»Oh, gut, daß du wieder da bist«, fing sie weinerlich und seufzend an. »Den ganzen Nachmittag hab' ich hier mit meinen Schmerzen allein dagesessen. Keine Seele hat sich um mich bekümmert. Ach, wozu lebt man in der Welt! Es ist bald zuviel.«

Ihr stubenbleiches Gesicht verzerrte sich zu tiefen, schmerzlichen Falten, und stumm rang sie im Schoß vor Schmerzen ihre welken Hände vor sich hin.

»O Mama, hör' auf, hör' auf!« schrie Mieze vor Verzweiflung auf, beide Hände gegen die hämmernde Schläfe pressend. »Tagaus, tagein deine ewigen Wehklagen! Ich arbeite den ganzen Tag auf dem Kontor; mein Gott, man will doch mal ein bißchen spazierengehen, sich Bewegung machen! Ich kann doch nicht dafür, daß du gerade wieder solche Schmerzen hast. Du hättest doch sonst getrost mitkommen können. – Ach, es ist nicht zum Aushalten!«

Sie eilte aus dem Zimmer – hinter in ihr Kämmerchen.

Sie sank auf den Stuhl nieder und saß mit wirbelndem Kopf.

Lange Zeit saß sie so, in die tiefe Abenddämmerung hinein.

Dann kam sie ein wenig zu sich, gedachte zu lesen. Aber sie fand diese trockenen, theoretischen Abhandlungen, Berichte und Zahlentabellen gräßlich.

Sie warf sich lang über ihr Bett hin, drückte das Gesicht in das Kissen und weinte bitterlich ...

Dieser unruhige Zustand steigerte sich, eine je nähere Beziehung sie zu der Frau Justizrat und den Frauenbundkreisen gewann.

Doch äußerte er sich nicht immer in derselben Weise. Dazu war ihr Wesen zu gesund und zu wenig grüblerisch veranlagt.

Der Zwist mit Mama hatte weiter nichts zu bedeuten. Sie war viel zu gutartig und hatte Mama viel zu lieb, als daß sie in dauerndem Unfrieden mit ihr leben oder ihr einen ernstlichen Verdruß hätte machen können.

Ihre Unruhe äußerte sich in anderer Weise als mit solcher Gereiztheit.

Sie war fortgesetzt sehr lebhaft und temperamentvoll, meist fröhlich und bedacht, ihre jetzige Stellung als »Familienvorstand« dazu zu benutzen, um Mama und Fanny – auch wohl sich selbst – das Leben so angenehm wie möglich zu machen.

Aber die Art und Weise, wie dieses Bestreben sich äußerte, verursachte Mama freilich mehr Sorge als Freude.

Es zeigte sich, daß Mieze in ihrer jetzigen Stimmung eine immer bedenklichere Verachtung dem Geld gegenüber an den Tag legte und eine Sorglosigkeit, die Mama manchmal schon ganz schwindlig machte, bisweilen ihr wohl aber auch irgendein unbestimmtes Vertrauen zu Mieze erregte.

Die Aussicht auf die neue, einträglichere Anstellung, die ihr die Frau Justizrat hatte verschaffen können und die sie, sobald ihre noch dazu kurze Kündigungsfrist abgelaufen war, antreten konnte, verführte, wie Mama es beurteilte, Mieze schon jetzt zu Ausgaben, die nach ihrer Meinung direkt unsinnige waren; eigentlich schon »eine wahre Sünde« in Anbetracht der Verhältnisse, in denen sie lebten.

So überredete sie eines Tages Mama, daß Mama ein neues Kleid haben müßte und daß sie die Schneiderin ins Haus nehmen müßten.

»Aber um Gottes willen, Kind, wozu brauch' ich denn wohl ein Kleid, wo ich so wenig aus dem Zimmer komme«, protestierte Mama erschrocken.

»Aber erst recht, ganz gewiß brauchst du ein Kleid«, rief Mieze dagegen. »Deine Leiden sind zur Hälfte bloß eingebildet, Mama! Es ist geradezu unrecht von dir, daß du dies schöne Wetter nicht benutzt und im Park spazierengehst. Dazu hast du aber nachher kein anständiges Ausgehkleid. Vater hat sich ja nie darum bekümmert, ob du ein Kleid hast oder nicht. Unbedingt mußt du für später, für Herbst und Winter, ein Kleid haben!«

»Nun ja, nun ja«, gestand Mama endlich, was das anbetraf, zu.

»Ein Kleid für mich wäre meinetwegen keine Verschwendung weiter. Auch die Schneiderin müssen wir dann ja wohl für ein paar Tage ins Haus nehmen.«

Aber dann erklärte Mieze, daß auch Fanny und sie selbst neue Kleider haben müßten. Sie könne doch jetzt, wo sie fortwährend soviel mit vornehmen Leuten in Berührung käme, nicht immer in demselben Kleide gehen.

Aber dagegen wehrte Mama sich verzweifelt. Mieze hätte ja doch ein Kleid für alltags, auch eins für den Sonntag; und auch noch ein ganz gutes Sommerkleid.

Oh, sie müßte noch ein Sommerkleid haben, bestand Mieze.

Und auch dies Kleid und das für Fanny sollte die Schneiderin gleich mitmachen.

»O mein Gott, was sind das nun alles für Ausgaben!« jammerte Mama. Aber es war nichts gegen Mieze zu machen.

Dann aber begann sie auch auf eine ganz besondere Weise für Mamas Wohlbefinden bedacht zu sein. Nicht nur, wenn sie ihr monatliches Gehalt ausgezahlt bekommen hatte, sondern auch nur zu oft mitten im Monat, wenn kein Geld da war und sie also nur auf Kredit einkaufen konnte, brachte sie aus der Stadt allerlei Leckerbissen, gute Wurst und andere gute Fleischware, Lachs und andere Delikatessen, Orangen, alle Augenblicke auch Feingebäck mit; ja, sie sorgte sogar dafür, daß immer mal eine Flasche guter Rotwein im Hause war, mit dem Mama sich stärken sollte. Und sie ließ nicht ab, bis Mama von alledem genoß, ließ es sich auch, mit einem gewissen Übermut, aus dem Mama nicht recht gescheit werden konnte, schmecken.

Vor allem fürchtete Mama, daß Mieze Fanny, das Kind, mit diesen guten Sachen verwöhnte.

»Aber mein Gott, Kind,« machte Mama eines Tages ihrer äußersten Sorge Luft, »was tust du nur! Was soll denn in aller Welt daraus werden, wenn wir fortwährend in solch einer Weise über unsere Verhältnisse hinaus leben!«

»Aber ich kriege ja doch nun bald mehr Gehalt, Mammi!«

Doch Mama schüttelte bedenklich den Kopf.

»Die zwanzig Mark mehr! Und außerdem kaufst du ja fortwährend auf Kredit. Das muß doch alles nachbezahlt werden!«

»Nun, dann kaufen wir eben auf Kredit!« lachte Mieze. »Es wird schon bezahlt werden, Mammi!«

»Kind, Kind! Was redest du denn!« schalt Mama ungehalten. »Wovon willst du es denn bezahlen?«

»Aber mach' dir doch keine Sorgen, Mammi!« lachte Mieze. »Es ist dir, uns allen wahrhaftig jahrelang schlecht genug gegangen: ich denke, wir haben unter Vater so ziemlich das Gegenteil von guten Zeiten gelebt. Ich sehe nicht ein, warum wir uns nachgerade nicht auch mal ein bißchen was zugute tun sollen.

Was denn?! Denkst du denn, ich habe keinen Verstand?! Aber mir ist doch nicht im mindesten bange. Du brauchst nicht zu denken, daß ich leichtsinnig bin. Ich weiß, daß ich vorwärtskommen werde. Und ich will, will, will vorwärtskommen!

Wenn man bedenkt, was für ein Überfluß von guten Dingen heut in der Welt ist, wo sie doch so leicht und billig von allen Gegenden der Welt herbeigeschafft werden können; mehr als zuviel. Warum sollen wir hindarben wie die Kirchenmäuse, wo es so vielen Überfluß in der Welt gibt?«

»Aber, Mieze ... Nun, das wär' mir ein Grund! Was du da redest!« schalt Mama. »Die sich das alles zugute kommen lassen, haben auch das Geld dazu. Das ist heute nicht anders als es früher war. Und ich will wahrhaftig lieber ein Stück Schmalzbrot in Ruhe essen, als so viel gute Dinge in ewiger Unruhe genießen.«

»Aber ich habe ja wahrhaftig keine Unruhe, Mammi!«

Und sie machte sich wirklich keine Sorgen, und zwar wirklich, ohne in einem gewöhnlichen Sinne leichtfertig zu sein. Sie hatte nur den ewigen jämmerlichen, alltäglichen Krimskrams, den es zu Hause gegeben hatte, gründlich satt, und hatte sich entschlossen, ganz einfach so zu leben, wie ihr Trieb und Temperament stand, wobei sie aber ein Selbstvertrauen bewahrte, in dem eine förmlich hellseherische Zuversicht auf die Zukunft war, ein vollständig sicheres Gefühl und Vertrauen ihrer Kraft ...

Nun, dachte schließlich auch Mama, von ihrem nutzlosen Widerstand ermüdet, man kann ja nicht wissen: sie ist ein so schönes und im Grunde auch gutartiges und gescheites Mädchen, vielleicht macht sie doch bald mal ihr Glück; jetzt, wo sie mit so vielen vornehmen und reichen Leuten in Berührung kommt.

Als es aber nur immer in der gleichen Weise weiterging und Mieze, die doch sonst vor ihr nie Heimlichkeiten gehabt hatte, ihr nichts anvertraute, das sie endgültig über all diese außerordentlichen Ausgaben hätte beruhigen können, erreichte Mamas Sorge eines Tages ihren Gipfel. Und als sie gelegentlich mit Mieze allein war, sprach sie sich aus.

»Liebe Tochter,« begann sie mit einer ernsteren Haltung, als sie gewöhnlich zu zeigen pflegte, »ich kann meine schweren Sorgen nicht länger zurückhalten. Sage mir, wenn es so ist, alles: Mieze, hast du etwa – einen Liebhaber?«

»Einen Liebhaber?!«

Mieze starrte Mama mit großen, verwunderten Augen, in denen aber schon ein Lachen war, an.

»Aber liebe, liebe Mammi!« rief sie dann, eilte zu Mama hin und umfaßte und drückte sie. »Mammi, wie soll ich denn einen Liebhaber haben! Mammi, Mammi, nein, ach, wie komisch, wie komisch!«

Und vor Lachen barg sie ihr Gesicht an Mamas Brust.

»Liebe, liebe Mammi,« rief sie, noch immer lachend, »aber das weißt du doch, was ich von den Liebhabern halte! Ach Mammi, ist das komisch, ist das komisch!«

»Nun, nun«, sagte Mama, vor innerlichstem Glück jetzt selber ein wenig lachend, während sie mit sanfter Liebkosung über Miezes herrliches, lichtblondes Haar hinstreichelte.

Nein, wahrhaftigen Gott, solch einen Liebhaber hatte ihre Mieze nicht und würde ihn niemals haben ...

Das unruhig wechselnde Wesen Miezes dauerte indessen weiter an.

Bald war sie lieb und gut mit Mama, bald zankte sie mit ihr. Und so verhielt sie sich auch mit Fanny. Es konnte aber auch vorkommen, daß sie mit Fanny ausgelassen wie ein Schulmädchen spielte. Manchmal hörten Mama und Fanny sie auch hinten in ihrem Kämmerchen singen.

Zuweilen strahlte sie geradezu von Schönheit und Gesundheit, dann aber kam es auch wieder vor, daß sie einen gereizten Eindruck machte.

*

Dieses Leben ging, für die häuslichen Verhältnisse der kleinen Familie recht in Hülle und Fülle, bis gegen Ende des Jahres hin so weiter.

Aber da geriet man in eine empfindliche Geldverlegenheit.

Von dem Sparkassengeld war nichts mehr übrig. Begräbnis, Trauerkleider, dann die neuen Kleider für Mama, Mieze und Fanny; das hatte ins Geld gerissen. Im übrigen hatte Mieze unbesorgt auf Kredit gekauft, und nun liefen am Oktobertermin die Rechnungen ein, und man wußte nicht, wovon man sie bezahlen sollte.

Mama war gänzlich fassungslos, und Mieze hatte endlose Lamentos von ihr zu bestehen.

Sie selbst fühlte sich jetzt in arger Bedrängnis, verlor indessen nicht den Kopf.

Irgend etwas mußte ja jetzt kommen. Irgendeine Wendung, eine Entscheidung.

Doch unter allen Umständen mußte irgend etwas getan werden. Und so saß sie hinten in ihrem Kämmerchen und zerbrach sich darüber den Kopf.

Der Frau Justizrat und dem Frauenbund durfte sie natürlich mit so einer Angelegenheit nicht kommen. Irgendeine sonstige persönliche Beziehung, die ihr hätte von Nutzen sein können, besaß sie nicht. Mit den hundert Mark Gehalt war nichts zu machen. Sie war in den Geschäften, wo sie geliehen hatte, mit einer Haltung aufgetreten, daß ihr der Gedanke unmöglich war, endlos in kleinen Raten von ihrem monatlichen Gehalt abzubezahlen.

Unbedingt mußte sie also auf irgendeine Weise eine größere Summe auftreiben, die auch noch ein Weilchen vorhielt, wenn die Rechnungen bezahlt waren.

Aber da kam sie auf einen Einfall.

Sie hatte zuweilen in der Zeitung Inserate gelesen, in denen irgendeine junge Schneiderin oder Buchhalterin oder eine »junge Dame in bedrängten Verhältnissen« ein Darlehen gesucht hatte. So hundert bis zweihundert Mark waren es gewöhnlich gewesen. Sie selbst brauchte ja allerdings gut tausend Mark.

Sie wußte nicht im entferntesten, was es mit solchen Inseraten in der Regel für eine Bewandtnis hat; um so weniger, da sie ja in ihren Berufskreisen nie einen näheren Verkehr gepflegt hatte. Sie wunderte sich zwar, wie es möglich war, daß sie das Geld dann auch wirklich bekamen: aber da ja immer wieder solche Inserate in der Zeitung standen, mußten sie es ja wohl. Man konnte vielleicht in kleinen Raten zurückzahlen. Vielleicht handelte es sich auch um Wohltätigkeiten.

Jedenfalls entschloß sie sich, da sie sonst nicht mehr aus noch ein wußte, solch ein Inserat in die Zeitung zu setzen, in dem eine solide junge Buchhalterin bedrängter Familienverhältnisse wegen um ein Darlehen von tausend Mark bat.

Anfangs dachte sie daran, mit Mama über die Sache zu sprechen. Aber sie scheute die endlosen Bedenklichkeiten, die Mama dann wieder zutage bringen würde, und so entschloß sie sich, ganz auf eigene Faust zu handeln ...

Sie gab das Inserat also bei der Zeitungsexpedition auf. Schon am Abend desselben Tages aber, an dem es erschien, wurde es in einem kleinen Kreise von jungen Männern gelesen, die nach Mittemacht noch in einem Nebenraume des »Café Central«, des größten und glänzendsten Cafés der Stadt, beisammen waren.

Doch war Miezes Inserat nicht an die ersten besten gekommen, die sich nach Mitternacht noch in solch einem großen Café aufzuhalten pflegen.

Es waren ihrer nur vier, die da bei Pilsener Bier abseits und ungestört von dem übrigen Verkehr noch beieinander weilten. Und es war in gewisser Hinsicht eine weihevolle und ernstere Stimmung, die unter ihnen vorherrschte.

Der eine von ihnen, ein Student der Rechte, stand im Begriff, nach Berlin abzureisen, wo er jetzt die letzten Schritte für sein Staatsexamen zu tun hatte, und um vor seiner Abreise noch einmal mit ihm zusammen zu sein, hatte man sich hierher ins »Café Central« verabredet.

Vahlen hatte zwar seinen juristischen Doktor gemacht und wollte jetzt auch sein Staatsexamen bestehen – es war vorauszusehen, daß es »summa, cum laude« würde –, doch hatte er nicht die Absicht, in den Staatsdienst zu treten, sondern sich der journalistischen Laufbahn zuzuwenden und womöglich eines Tages als freisinniger Abgeordneter mit im Reichstag zu sitzen. Es hatte aber sogar eine Zeit gegeben, und sie lag noch nicht lange hinter ihm – man war damals noch »idealistischer« gewesen –, wo es sein Ziel war, sozialdemokratischer Abgeordneter zu werden.

Er war der Sohn eines Gerichtssekretärs, der alles drangegeben hatte, seinen sehr begabten Einzigen die Rechte studieren zu lassen.

Georg Vahlen war ein mittelgroßer, sorgfältig gekleideter junger Mann von 24 Jahren, von angenehmer, geschmeidiger Schlankheit, mit sauber gescheiteltem Braunhaar über einer hohen, glatten Stirn mit scharfen, intelligenten Seitenkanten, die sofort eine sehr entwickelte dialektische Verstandesanlage verrieten. Der Blick seiner großen, grauen Augen war klug, beweglich, etwas kühl, zuweilen aber mit einer leichten Sentimentalität versonnen. Seine schmale, scharf gezeichnete Nase zeigte eine leichte Biegung. Unter der einen Spitze seines sorgfältig gepflegten braunen Schnurrbärtchens vor verriet der rotlippige, angenehme Mund, der tadellos gepflegte, etwas große Zähne sehen ließ, einen markant aristokratischen Zug.

Vahlen war der einzige von den vieren, der nicht rauchte.

Sein Nachbar, ein Blonder mit welligem Haar und einer braunen Samtjoppe, ein junger Bildhauer, rauchte dagegen mit Temperament und einer gewissen Nervosität. Auch er entstammte, wie Vahlen, dem mittleren Bürgerstand.

Die beiden anderen aber waren Großkaufmannssöhne, deren Väter, mehrfache Millionäre, zu den angesehensten und einflußreichsten Männern der Stadt gehörten.

Der eine von ihnen, ein Aschblonder von kleiner, muskulös untersetzter Gestalt, bleich von Gesicht, mit einem starken Habyschnurrbart, zeigte kleine, quippe Bewegungen und war ausnehmend schick gekleidet. Doch verrieten seine kleinen Grauaugen eine Intelligenz, deren Interessenkreis in ungewöhnlicher Richtung über seine kaufmännischen Angelegenheiten hinausging.

Er hieß mit Namen Otho Vorberg.

Der andere, der älteste der vier Freunde, der auf sein Achtundzwanzigstes losging, war Robert Voges. Er trug einen eleganten dunklen Jackettanzug und war mit seiner übermittelgroßen Gestalt eine stattliche Erscheinung. Sein reiches dunkles Haar war schlicht auf der rechten Seite gescheitelt, und sein bräunliches Gesicht zeigte einen anziehend männlichen, ruhig verständigen, gehaltenen Ausdruck, der durch einen kräftigen dunklen Schnurrbart und zwei schöne dunkle Augen, unter deren dunklem Rund der weiße Augapfel zu sehen war, einen besonderen Nachdruck erfuhr.

Robert Voges saß, das eine Bein über das andere gelegt, den Ellbogen auf das übergelegte Bein gestützt, in vorgebeugter Haltung und blickte mit dem Ausdruck einer ruhigen Aufmerksamkeit, die übrigens auch auf Phlegma hindeuten konnte, zu Vahlen hinüber.

Die vier hatten miteinander solch einem Jugendbund angehört, in dem man die modernen Probleme erörterte und sich Großes und Besonderes für die Zukunft zugetraut hatte. Nachher aber, als sie Kaufleute, Studenten und Beamte geworden waren und mit der »rauhen Prosa des Lebens« Fühlung genommen, hatten diese Begeisterungen ihren Dämpfer erfahren. Doch hielt man in Erinnerung jenes Verkehrs noch immer zusammen und hatte sich immerhin auch eine vielseitigere geistige Anteilnahme und einen gewissen vorurteilsfreieren Liberalismus bewahrt.

Es mußte nun aber gerade Vahlen sein, der, als er in einer Pause der Unterhaltung zur Zeitung gegriffen hatte, auf Miezes Inserat stieß.

»Hahaha! Hört mal, Kinder,« rief er, seine Tenorstimme forsch, aber nicht ganz natürlich in die Baßlage zwängend, »die hat Selbstbewußtsein, das muß man sagen!«

Er las Miezes Inserat vor.

»Ach was?! Zeig' doch mal!«

Robert Voges, der sofort in Bewegung gekommen war, reckte die Hand über den Tisch hin nach der Zeitung aus. Im übrigen huschte über sein Gesicht ein gemütlich ironisches Lächeln; denn die Baßstimme Vahlens und Vahlens Forschheit vergnügten ihn. Vahlen hatte niemals eine Affäre mit Weibern gehabt.

»Du scheinst die Sache ja gleich von der frivolen Seite aufzufassen«, wandte sich auch Otho Vorberg mit gemütlich unterstrichener Ironie an Vahlen, der Robert Voges die Zeitung überlassen hatte. »Es gab eine Zeit, wo gerade du sehr auf die sittliche Hebung solcher Damen hinaus warst!«

»Nu, was denn, Kinder! Ich bin schließlich auch kein Unmensch!« wehrte Vahlen lachend ab, war aber rot geworden.

»Hm! – Die Sache interessiert mich!« sagte jetzt Robert Voges. In seinen Augen, die noch immer auf dem Inserat hafteten, war ein nachdenkliches Funkeln.

»Immerhin ein psychologisches Rätsel! Nicht wahr?« lachte Vahlen. »Hm? Oder nein?« Seine Augen nahmen einen forschend fixierenden Ausdruck an. Seine letzten Worte schienen anzudeuten, daß man sich gerade von Robert Voges einer anderen Auffassung versehen durfte.

»Psychologisch interessant? – Ja, ja«, ließ Robert Voges, offensichtlich zerstreut, hören.

»Für gewöhnlich sind sie ja mit hundert bis hundertfünfzig Mark zufrieden«, lachte der Bildhauer.

»Hm! Ja!« tauchte Robert Voges aus seinem Nachdenken auf, das aber in seinen Worten noch immer nachklang. »Die Sache ist merkwürdig! Sie muß schon recht hübsch sein. Oder sie hat sonstige besondere Vorzüge.«

»Wißt ihr, Kinder – oder?!« ... rief Vahlen, sofort in seine psychologisierend spitzfindige, dialektisierende Art geratend, »oder – sie ist ein ganz naives Küken!«

»Hm! Ach, sieh mal!« nahm Robert Voges diese Ansicht sofort auf. »Du! Das kann sein! – Aber alsdann: um so besser!«

Er lachte.

»Also?! Demnach?!« fuhr er fort, indessen ohne einen weiteren Affekt, wieder in seiner gelassenen Art. »Kellner!«

Er setzte die Tischglocke in Tätigkeit, und als bald darauf der Kellner erschien, ließ er ihn Briefpapier, Schreibzeug und eine Briefmarke bringen.

»Also: aus Psychologie!« sagte er und schrieb.

Die anderen beobachteten ihn schweigend. Otho Vorberg ließ dabei ein leises Kichern hören und sah still von der Seite zu ihm hin. Vahlen aber war ernst geworden. Ein sonderbares Lächeln um den geschlossenen Mund, starrte er mit weiten Augen unbeweglich zu Robert Voges hinüber.

Sie kannten Roberts Schwäche für hübsche und eigenartige Weiber, die selbst der Einfluß des Jugendbundes nicht hatte unterdrücken können und die ihn, wie die Freunde wußten, bis jetzt dem Wunsch seiner Eltern, daß er sich verheirate, hatte Widerstand leisten lassen.

Es entwickelte sich aus diesem offensichtlich insofern etwas rügenden Schweigen, weil der Entschluß Roberts nicht zu der eigentlichen Weihe der Zusammenkunft paßte, ein lebhaftes, immerhin aber mehr psychologisch angeregtes Gespräch über die Weiber, besonders das moderne, das »freie Weib«; darauf kam man auf Vahlens künftige große politische Laufbahn zu sprechen, und dieser Gegenstand bot dann den ungezwungenen Übergang zu der im alten feierlichen Bundeston bei einer Flasche Sekt gehaltenen Verabschiedung von Vahlen, worauf man etwas nach 1 Uhr aufbrach.

In diesen Kreis war Miezes Inserat hineingeraten, und eine solche Aufnahme hatte es gefunden.

Der Brief von Robert Voges, den Mieze einige Tage darauf von der Expedition der Zeitung abholte – er war der einzige, der eingelaufen war –, hatte folgenden Inhalt:

»Wertes Fräulein! Ich habe mich für Ihr Inserat interessiert und möchte Sie bitten, sich zu weiterer Rücksprache« – es folgte Datum und Angabe einer Abendstunde nach Kontorschluß – ›im Café Central‹ einzufinden. Ich bin dunkelhaarig, trage dunklen kräftigen Schnurrbart und werde als besonderes Kennzeichen eine rote Nelke im Knopfloch tragen.

Robert Voges.«

Mieze geriet, als sie diese Zeilen las, in solche Aufregung, daß sie in ihrer Freude fast auf der Stelle zu Mama gelaufen wäre, ihr den Brief gezeigt und ihr verkündet hätte, daß sie nun aus aller Verlegenheit heraus sein würden.

Doch besann sie sich im letzten Augenblick noch eines andern. Sie mußte ja doch das Geld erst wirklich in Händen haben, bevor sie Mama mitteilen konnte, wie sie dazu gekommen. Daß sie Mama das aber sagen würde, verstand sich von selbst.

Wieder und wieder las sie den Brief. Als sie sich dann aber anschickte, ihn zu beantworten – Robert Voges hatte ihr seine Adresse angegeben –, gefiel ihr plötzlich doch nicht recht, daß sie mit dem Herrn in dem großen öffentlichen Café zusammenkommen sollte. Es war am Ende doch besser, wenn sie ihrerseits ein Lokal angab; eins, das ihr paßte und angenehm war.

So schlug sie denn für das Zusammentreffen eine gute, solide Konditorei in der Hauptstraße vor, in der sie selbst schon hin und wieder einmal eine Tasse Schokolade getrunken oder ein Stück Torte gegessen hatte.

Die Antwort ließ nicht auf sich warten. Robert Voges war mit dem Vorschlag einverstanden ...

Er war zu der Verabredung im übrigen keineswegs so ganz mit den Vorsätzen des Lebemannes eingetroffen; es war für ihn vielmehr zu einem nicht geringen Teil das wirklich menschlich anteilnehmende, psychologische Interesse seines früheren Bundesverkehrs mit im Spiel, das einem gewissen Zug seines Wesens durchaus entsprach.

Als Mieze aber in allem Reiz ihrer ungewöhnlichen und unschuldigen, zugleich haltungsvollen jungen Schönheit in das Lokal eintrat, geriet er sofort in die entschiedenste Verwirrung, und zwar nicht bloß ihres Äußeren wegen, das alle seine Erwartungen übertraf, sondern weil er sich auf der Stelle erinnerte, Mieze schon einmal, wenn auch nur flüchtig, bei seiner Mutter in Frauenbundangelegenheiten gesehen zu haben; eine Bekanntschaft, die ihm damals, so flüchtig sie auch gewesen, noch lange nachgegangen war.

Aber auch sie fühlte sich nicht unbefangen, als sie ihn erblickte. Sie erinnerte sich zwar in keiner Weise, ihn schon einmal gesehen zu haben, doch machte sein Äußeres sofort einen so ungewöhnlich starken Eindruck auf sie, daß sie errötete.

Zum erstenmal in ihrem Leben glaubte sie ein männliches Wesen vor Augen zu sehen, das dem Begriff eines Mannes, wie sie ihn sich von Vater her gebildet, entsprach.

Doch schritt sie mit guter Haltung, die Augen groß, gerade und mit einer gewissen Starrheit auf ihn gerichtet, auf Robert Voges zu.

Er hatte sich mit einer unwillkürlich respektvollen Höflichkeit erhoben und nannte seinen Namen, während er seine Verwirrung, so gut es gehen wollte, verbarg.

»Cäcilie Dühring«, antwortete Mieze. Sie hatte inzwischen die Änderung ihres Rufnamens bewerkstelligt.

Sie ließen sich an dem Marmortischchen nieder.

»Sie haben um ein Darlehen von 1000 Mark nachgesucht, liebes Fräulein«, begann er dann das Gespräch. »Ich möchte auf die Angelegenheit eingehen.«

»Ja«, bestätigte sie, während sie errötend vor sich niederblickte, doch in der eigentlichen Angelegenheit vollständig sachlich und unbefangen. Was sie aber in Verwirrung setzte, war seine schöne, volle Stimme und die ruhige und verständige, fast ein wenig väterlich zutrauenerweckende Art, mit der er sprach.

»Lieber Gott,« dachte Robert Voges, »das Kind glaubt wirklich, daß es Wohltäter gibt, die ihm auf so ein Inserat hin gleich so mit 1000 Mark aushelfen.«

»Übrigens,« sagte er laut, »sind Sie nicht Mitglied des Frauenbundes?«

Mieze sah ihn, tief errötend, mit einem unverhohlen erschreckten Blick an. Dessen hatte sie sich nicht versehen. Um Himmels willen durfte doch der Frauenbund nichts von dieser Sache erfahren!

»Oh, seien Sie unbesorgt, liebes Fräulein«, beruhigte er sie mit einem unwillkürlichen Lächeln. »Sie dürfen sich ganz und gar auf meine strengste Verschwiegenheit verlassen.«

»Ja«, flüsterte sie, gänzlich aus der Fassung.

»Ich erwähnte das nur, weil ich sofort sah, daß Sie mir nicht ganz unbekannt sind. Ich habe Sie allerdings damals nur ganz flüchtig gesehen – Sie waren in Frauenbundangelegenheiten bei meiner Mutter – wie Mama mir sagte, als ich sie fragte –; ich durfte daraus schließen, daß Sie dem Frauenbund angehören.«

Oh, nun wußte Mieze, daß sie neben dem Sohne des dreißigfachen Millionärs Voges saß, des reichsten Großkaufmannes der Stadt. –

»Ja, dem Frauenbund – gehör' ich an«, flüsterte sie.

»Sie haben dann ja auch mit der Frau Justizrat Frenzel zu tun«, fuhr Robert Voges fort.

»Ja, ich verkehre mit ihr persönlich; bin – mit ihr befreundet«, bestätigte sie.

»Ach, das ist interessant!« sagte er. »Die Frau Justizrat vertritt im Frauenbund ja eine ganz besondere Richtung. Sie hält die Linke. Die Teilnahme unsrer Damen beschränkt sich ja natürlich mehr auf eine organisierte öffentliche Mildtätigkeit, die ja für eine vornehme Dame sozusagen unumgänglich ist«, setzte er mit Humor hinzu. »Frau Justizrat geht aber weiter. Auf ihrem Programm steht das politische Stimmrecht der Frau, ihr Anteil an den Berufsarten des Mannes, Körper- und Seelenhygiene, Reformkleidung und Vegetarismus und wohl ganz und gar so eine Art von Kommune der Zukunft. Es ist sehr interessant, daß Sie persönlich näher mit ihr verkehren, mit ihr befreundet sind. – Aber zu bloßen Füßen mit Sandalen und zur Reformtracht scheint sie Sie doch noch nicht bekehrt zu haben!«

Er lachte in einer gemütlich zutrauenerregenden Weise.

»Nein!«

Mieze sah ihn schüchtern, nicht ohne eine gewisse Zurückhaltung, an.

Sie begegnete seinen dunklen Augen, die wie große, ernste, schöne, treuherzig kluge Neufundländeraugen wirkten. Sie fühlte, daß sie beständig auf ihr geruht hatten. Das verwirrte sie noch mehr und war ihr doch zugleich wohltuend, machte sie aber auch unruhig und nachdenklich.

»Aber versucht hat sie es doch, nicht wahr?«

»Oh, doch. – Versucht«, bestätigte sie leise, ihren Blick wieder senkend.

»Aber, wie haben Sie es dann fertiggebracht, sich ihrem kategorischen Willen zu entziehen?« erkundigte er sich übrigens nicht ohne eine wirkliche Neugier.

»Ich weiß nicht«, antwortete sie. »Es ist eben so geblieben.«

»Aber hat sie Sie nicht gedrängt?«

»Zuerst, ja. – Aber nachher nicht mehr.«

Mieze war mit einem Male nach weinen zumute.

»Aber Sie verkehren trotzdem mit ihr näher. Das ist alles mögliche. – Ich bekenne übrigens, daß ich nicht ganz ohne Verständnis und Sympathie für ihre Bestrebungen bin. Der Mann bleibt zwar ewig Mann und das Weib Weib, die Natur hat's nun mal schon so eingerichtet: aber im übrigen sind unsere heutigen sozialen Zustände doch so und entwickeln sich immer konsequenter darauf hinaus, daß das Weib z. B. ihr öffentliches Stimmrecht ebensogut haben wie an den Berufsarten des Mannes teilnehmen kann. Warum nicht? Ich bin z. B. auch gar nicht gegen die Sozialdemokratie, und daß die Arbeiter unter Umständen streiken. Warum sollten sie nicht? Und warum sollen sie nicht so gut wie jeder andere selber für ihre Angelegenheiten sorgen? Jeder weiß selber am besten, was er braucht, und vertritt sich am besten selber. Nicht wahr? Wie stellen Sie sich dazu?«

»Oh – meinen Sie das im Ernst?« fragte sie leise.

»Aber gewiß! Vollständig! Obgleich ich Großkaufmann bin, und obgleich mein Vater dreißigfacher Millionär ist!« lachte Robert Voges.

Es blieb ein Schweigen.

»Ach!« unterbrach sie es endlich leise, indem sie aufrecht dasitzend vor sich hin auf den Tisch sah, den Zeigefinger auf dem Tischrand. Ihr Zutrauen zu ihm hatte über die Verwirrung, in die er sie versetzte, gesiegt. »Vater war gegen die Sozialdemokratie. Die Arbeiter hatten ihn aber trotzdem in der Fabrik alle gern.«

»Ja, die Väter!« lachte Robert Voges. »Das ist wieder was andres. Mein Vater ist natürlich auch gegen die Sozialdemokratie. Aber wir sind die Jungen. Heute liegen ja die Verhältnisse schon anders. Auch die Sozialdemokratie hat sich geändert. Sie ist heute ein Faktor, der mit zum Gleichgewicht des Staatswesens gehört. Sie wirkt hier ganz gesund. Außerdem ist ja das politische und wirtschaftliche Gefüge heutzutage ein so kompliziertes und vielseitiges. Sie werden bei Frau Justizrat, obgleich sie natürlich so wenig Sozialdemokratin ist wie ich Sozialdemokrat bin oder Sie Sozialdemokratin, schon ähnlichen Ansichten begegnet sein. Sie diskutiert doch über solche Dinge mit Ihnen?«

»Ja.«

»Dann interessieren Sie sich also für so etwas?«

»O ja.«

Sie errötete. Doch jetzt vor Anteil an diesem Gegenstand. »Eigentlich aber hab' ich nicht viel Talent dazu«, fuhr sie fort. »Ich bin mehr für die praktischen Hilfsarbeiten. Frau Justizrat hat mich ja da auch mit eingestellt.«

Innerlich dachte sie eigentlich aber noch an Vater. Es war ihr trotz allem Zutrauen, das ihr Robert Voges erweckte, und trotz dem tieferen Eindruck, den er auf sie übte und der sie nicht mehr losließ, unverständlich, wie er billigen konnte, daß es Sozialdemokraten gab und daß die Arbeiter streikten. Und sie stand dabei eigentlich mit ihrem Empfinden mehr auf seiten Vaters, obgleich ihrem Verstand von der Frau Justizrat her liberale Anschauungen vertraut waren. »Ah, da sind Sie ja mit unsere Damen mehr für die öffentliche Mildtätigkeit!« lachte Robert Voges.

Mieze sah ihn ungewiß an.

»Nein, ich weiß nicht«, antwortete sie dann. »Aber den blinden Kindern manchmal etwas vorlesen oder sie lesen lehren – das mach' ich ganz gern.«

»Mögen Sie Kinder so gern?«

»O ja!«

»Aber dazu gehört doch so viel Geduld? Blinde Kinder lesen lehren?«

»Oh!«

»Aber an den Versammlungen, Vorträgen, Diskussionszusammenkünften nehmen Sie doch wohl auch teil?«

Sie bejahte, wenn diese Frage auch mehr nebenbei.

»Lesen Sie auch Bücher über die Frauenfrage?«

»O ja.«

»Haben Sie Bebels Buch über die Frau gelesen?«

»Ja. – Aber ich verstehe davon nicht viel.«

»Haben Sie auch schon moderne Dichter gelesen? Ibsen, Tolstoi, Björnson? Nach Zola darf ich wohl nicht fragen.«

»Nein, noch nicht richtig.«

»Aber Sie machen sich was draus?«

»Ja, ich möchte sie lesen.«

»Oh, dann können Sie sie von mir bekommen! Ich habe alles, was davon in Betracht kommen kann. Frau Justizrat wird Ihnen wahrscheinlich vorwiegend theoretische Bücher geben. – Wenn Sie also wünschen?«

»Oh, ich danke!«

Sie errötete. Der Gedanke, daß sie auf solche Weise in einen näheren Verkehr mit ihm kommen würde, machte sie unruhig.

»Nein, nein, aber wenn Sie wünschen: Sie brauchen's nur zu sagen! Sie dürfen mir schon vertrauen. Ich nehme aufrichtigen Anteil an Ihnen. Und an Ihrer Lage, um endlich auf den Gegenstand unseres Zusammenseins zu kommen.–Ich will Ihnen also gleich sagen, daß ich Ihnen die gewünschte Summe gern vorstrecke. Fürchten Sie nichts, die Sache bleibt völlig unter uns! Sie dürfen sich, noch mal, ganz und gar auf meine Verschwiegenheit verlassen.

Leider hab' ich momentan nicht soviel Geld bei mir. Wir haben heut Sonnabend. Ich bitte Sie also, sich übermorgen um dieselbe Zeit wieder hier einfinden zu wollen. Dann sollen Sie das Geld haben. Und wenn ich Ihnen – dann gleich was zu lesen mitbringen darf? Etwa Ibsen? Wie?«

»Oh, wenn – Sie wollen«, flüsterte sie ungewiß; im übrigen lebhaft erfreut und erregt, daß sie nun also die 1000 Mark wirklich bekam.

»Also abgemacht! übermorgen sollen Sie das Geld haben, und ich bringe Ibsen mit! Wir diskutieren dann, wenn Sie gelesen haben.«

»Ich sage Ihnen–für das Geld meinen herzlichsten Dank«, sagte sie, während sie errötend, aber mit guter und sachlicher Haltung sich ihm zuwandte und ihn voll ansah und ihm die ein klein wenig bebende, in ihrem Glacéhandschuh feste kleine Hand hinhielt.

»Oh, ich tue es gern! Glauben Sie mir: ich nehme herzlichen Anteil an Ihrer Lage!« sagte er mit etwas gepreßter Stimme, während er ihre Hand ergriff und, sie in der seinen behaltend, mehrmals warm drückte und ihr in die Augen sah.

»Ich kann es Ihnen – freilich – nur nach und nach zurückgeben«, sagte sie leise und bei diesem Punkt der Angelegenheit sehr in Verlegenheit.

»Aber das soll doch gar nichts auf sich haben! Machen Sie sich doch darüber keine Sorge! Sie richten das ganz ein, wie Sie können!« beruhigte er sie eifrig, ihre Hand noch einmal drückend ...

Als sie dann aufbrachen, bat er sie, sie noch bis zum Gabelungsplatz begleiten zu dürfen, der als Abschluß der Hauptstraße gegen die Vorstadt hin lag und von dem aus sie die elektrische Bahn nach Hause benutzen wollte.

Es war inzwischen dunkel geworden.

Die lange Zeile der breiten stattlichen Straße hinab brannten die Gaslaternen und verloren sich mit ihren gelben, lichtsplitternden Reihen im fernen rotbraungrauen Dunst. Am klaren Himmel flimmerten die Sterne. Hier und da reihten sich, vor einem Café, den großen Restaurants, Kaufhäusern und Läden, die elektrischen Kugeln mit ihrem magisch weißen Licht; und aus den vielen Läden legte sich das elektrische Licht fast ununterbrochen die ganze Straße hinab auf das saubere Grau des asphaltierten Trottoirs.

Fahrdamm und Trottoirs wimmelten von einem fast schon weltstädtischen Verkehr. Beständig rollten die großen Wagen der elektrischen Straßenbahn aneinander vorbei die Straße hinauf und hinab zwischen Fuhrwerken, Geschäftswagen, Droschken und Equipagen, Automobilen und Motordroschken hin. Auf dem Trottoir herrschte ein Flaneurpublikum vor.

Mieze hatte ihre Gedanken, als sie, dicht an den herrlichen Schauläden hin, in dem bummelnden Schritt, den Robert Voges geflissentlich angegeben hatte, die Straße hinabschritten. Hin und wieder blieb er mit ihr, um die Dauer des Zusammenseins möglichst zu verlängern, vor einem Schaufenster stehen, zeigte ihr die ausliegenden Gegenstände, führte mit ihr ein Gespräch darüber und fragte sie, wie ihr dies oder jenes gefiel.

So ganz mit einemmal mit dem Sohn des fast reichsten Mannes der großen Stadt und einem jungen Mann, der ihr ein so starkes Zutrauen und auf den ersten Blick eine tiefere Neigung abgewonnen hatte, an all dieser Pracht hinzuschlendern und sie mit ihm zu betrachten, mit ihm darüber zu sprechen, das war ein so ganz außerordentliches Erlebnis.

Die herrlichen Roben in den Schaufenstern der großen Konfektionsgeschäfte, die Kostbarkeiten der Juwelierläden, der Läden für Toilettengegenstände versetzten sie in einen Rausch, der ihre Augen blitzen machte und ihre Brust mit erregten Atemzügen hob und senkte; und es war auf dem Grund dieses Rausches eine sonderbar würgende, kleine, nachdenkliche Traurigkeit ...

Daß er sie auf dieses oder jenes besonders aufmerksam machte und sie fragte, wie es ihr gefiele, etwa auf einen besonders schicken Hut, der, wie sie meinte, wohl mehr als 100 Mark kosten mochte, oder auf ein Brillantarmband, ein Perlenkollier und dergleichen, fand sie aber nicht weiter auffallend. Sie war viel zu naiv und unschuldig, um darunter etwas vorzuahnen und einen Begriff zu bekommen, in was für eine Situation sie sich begeben hatte.

Robert Voges fügte übrigens dem scheinbar ganz harmlosen Gespräch über diese Gegenstände auch weiter nichts Besonderes hinzu. Vielmehr führte er eine im allgemeinen durchaus verständige Unterhaltung, die sogar eine gewisse Nachdenklichkeit verriet, aus der heraus er ganz offenherzig zu Mieze von seinen eigenen Angelegenheiten sprach, ohne weitere Berechnung und ohne eigentliche Lebemannsabsichten.

Sie hatte ihn tatsächlich in einen seltsamen inneren Widerstreit versetzt.

Es verstand sich, daß seine Sinne, daß der Lebemann in ihm sie vom ersten Anblick an begehrt hatte, zugleich aber hatte sie ihm sofort auch eine tiefgehende Sympathie erweckt und ernstere Gedankengänge, wie er sie von seinem früheren Bundesverkehr her gewohnt war, Gedanken, welche jede Lebemannsanwandlung einem jungen Mädchen gegenüber auf das strengste verpönt hatten.

Miezes Gesundheit, ihre so ganz ungewöhnliche, liebreizende, unschuldige, junge Schönheit – die, er empfand das mit einem seltsamen Herzklopfen, einer Art von Neid auf jeden, den diese Schönheit einstmals erfreuen sollte, ganz gewiß einer der allerseltensten »Glücksfälle« für einen Mann bedeutete –, auch ihr entschieden charaktervolles und eigenartiges Wesen und ihre Intelligenz hatten es ihm angetan.

Und aus diesem Empfinden heraus sprach er zu ihr jetzt auch von seinen persönlichen Verhältnissen, unwillkürlich in einer fast kameradschaftlichen Weise, als gehöre sie mit zu seinem Bundeskreise.

»Ich bin also der Sohn des schwerreichen Voges, nicht wahr, Fräulein Cäcilie?« sagte er. »Es muß mir ja doch wohl herrlich gut gehen; ich muß mir ja wohl leisten können, was ich will; nicht wahr? Denn mein Vater setzt mir dabei nichts in den Weg. Aus verschiedenen Gründen. Weil ich die Welt kennenlernen soll, weil er früher in seiner Jugend genau so gelebt hat und Großvater ihn genau so hat leben lassen, weil es bei anderen auch so gehalten wird, schließlich vielleicht sogar, weil es so eine Art von Reklame ist usw.

Aber ich bin damit weder jemals so recht zufrieden gewesen, noch hat es mich blasiert gemacht. Das ist im Grunde alles gar nicht soviel wert. Es ist sogar, genau genommen, ziemlich fad, wenn nicht ganz und gar lächerlich; immer nach derselben Schablone. Ich bin also von jeher daneben meine eignen und besonderen Wege gegangen, und sie sind ja denn wohl auch meine Hauptwege gewesen. – Ich habe von jeher eine Neigung, ein Bestreben gepflegt, auch andere und wichtigere Lebensprobleme kennenzulernen.

Ich will Ihnen erzählen, daß wir damals nach Mitternacht im ›Cafe Central‹, wohin Sie übrigens nicht zum Rendezvous kommen wollten – Sie wählten selbständig und bestimmten die Konditorei: und das ist mir etwas wert gewesen –, so eine Gruppe von Freunden Ihr Inserat gelesen haben. Alles Menschen von ernsteren Lebensinteressen und Bestrebungen. Und wir haben darüber diskutiert, was für ein Charakter die Urheberin des Inserats wohl sein könnte. Es stehen ja oft solche Inserate in der Zeitung. Wenn auch meistens nicht so viel Geld gesucht wird. Und es finden sich sicher auch immer welche, die darauf reagieren. – Aber wir hatten ein Interesse daran, was wohl die Urheberin dieses Inserates für ein Charakter sein könnte. Es kann ja verschiedene Charaktere geben; nicht wahr? Einer wird's leichter, so ein Inserat zu veröffentlichen, der anderen schwerer. Aber es war in Ihrem Inserat so eine Nuance, die mich bewog, Ihre Bekanntschaft zu machen. Und – nun hat es mich so sehr gefreut, Sie kennenzulernen. Das ist für mich geradezu ein Erlebnis. Man kommt ja durch so etwas auf alle Fälle zueinander in eine nähere Beziehung; nicht wahr? Ganz von selbst. Es handelt sich doch nicht bloß darum, daß man sich Geld leiht, sondern auch darum, wer leiht und wem er leiht und wie man sich menschlich und persönlich zueinander stellt. Sie wollen mir das Geld ja doch mal wieder zurückgeben; nicht wahr? Es hat um Himmels willen damit gar keine Eile; Sie können das Ganze halten, wie Sie wollen.« – Er lachte. – »Na, aber: es hat sich doch unter allen Umständen eine Beziehung von Mensch zu Mensch geknüpft. Nicht wahr?

Hm! Sagen Sie aber, Fräulein Cäcilie!« fragte er plötzlich. »Haben Sie daran gedacht, als Sie das Inserat in die Zeitung setzten?«

Sie schwieg. Er setzte sie in große Verlegenheit. Nein, sie hatte nicht daran gedacht.

Er überging, nachdem er ein Weilchen auf Antwort gewartet hatte, ihr Schweigen und fuhr mit seiner »psychologischen Sonde« fort:

»Sagen Sie, wie sind Sie übrigens dazu gekommen, sich auf diesem Wege Geld zu verschaffen?« Er lächelte. »Haben Sie vielleicht – Freundinnen, die Ihnen das geraten haben?« setzte er ernster, mit gepreßter Stimme hinzu.

»Nein! Ich habe gar keinen Verkehr«, antwortete sie leise. »Außer dem Frauenbund. – Gar keinen. – Aber – ich habe niemand, an den ich mich wenden konnte. Und ich dachte – weil doch oft solche Inserate – in der Zeitung stehen – man könnte so Geld bekommen.«

Er lachte herzlich auf.

»Sie haben sich also nicht danach erkundigt«, sagte er dann mit einer Art von wunderlich gespannter und erregter Zerstreutheit. »Von selber sind Sie darauf gekommen. – Hm! – Na, aber jedenfalls stehen wir jetzt zueinander im Verhältnis von Schuldner und Gläubiger, nicht wahr?« Er lachte, »Aber, das ist natürlich Nebensache. Die Hauptsache ist, daß dieses Verhältnis auch ein angenehmes ist und bleibt. Nicht wahr? Nun, das wird's schon! Ganz gewiß und sicher!

Sagen Sie aber mal – Fräulein Cäcilie! Sie wissen ja eigentlich doch gar nicht, was ich für ein Mensch bin? Wenn ich nun ein ekliger Kerl und ein böser Gläubiger wäre, hm! – sagen wir mal – ein Wucherer? Ja, na, was denken Sie denn, was ich für ein Mensch bin? Wie?«

Sie schwieg, sah ihn mit einem ungewissen Blick an.

Er errötete unter diesem Blick.

»Na, dummes Zeug!« lachte er und begann ein Gespräch über gleichgültige Dinge, unter dem sie zu dem Gabelungsplatz gelangten, wo sie die Elektrische besteigen mußte.

Sie bedankte sich noch einmal ehrlich und sachlich für seine Bereitwilligkeit, ihr das Darlehen zu geben, und gab ihm die Hand.

»Also auf Wiedersehen, übermorgen abend!« sagte er.

Doch begleitete er sie noch bis zum Wagen hin.

Als sie aber schon mit dem Fuß auf dem Trittbrett stand, schickte sie ihm noch einmal einen Blick zu; einen wunderbar errötend, lächelnden kurzen Mädchenblick.

Fast wäre er noch einmal zu ihr hingegangen, hätte fast eine Dummheit gemacht, als er diesen Blick sah, doch war Mieze im nächsten Augenblick schon in den Wagen hinein verschwunden.

*


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