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Die Suffragettes und die Ärzte.

Die Mediziner hatten ihr Wort gelegentlich der Anwendung der Zwangsernährung zu sagen. – Als die Gefängnisärzte seit Oktober 1909 auf »höheren Befehl« die Zwangsernährung anwandten, protestierten sofort drei ärztliche Autoritäten Londons: Dr. Forbes Winslow, Dr. Mansell-Moullin, Dr. Forbes Roß. The Suffragette. S. 431 ff. – Dr. Flora Murray organisierte gleichzeitig eine Petition, die von 116 männlichen und weiblichen Ärzten unterschrieben wurde, an der Spitze Sir Victor Horsley. Daselbst S. 434. – Andere Ärzte (darunter Sir Richard Douglas Powell, Vorsitzender des Royal College of Physicians) erklärten die Operation, falls mit aller Vorsicht von geschulten Kräften ausgeübt, als nicht so gefährlich. Daselbst S. 436. Die 5-600 Ärztinnen Großbritanniens i. J. 1909 waren bis auf 15 Stimmrechtlerinnen. Votes for Women, 19. 3. 1909.

Da nun die Ärzte sich einen besonderen Begriff der Weiblichkeit zurechtgemacht, den wir am besten mit Virchows Worten wiedergeben: »Sanftmut, Treue, Hingebung sind nur eine Dependenz des Eierstocks«, so besteht bei den Ärzten eine starke Neigung, die kräftig-selbständige Frau als anormal, die Frau, die dem Manne widersteht, als hysterisch zu bezeichnen. Diese »medizinische« Anschauung ist dann Gemeingut aller Herrenrechtler geworden. Sie fand ihren Ausdruck in zahlreichen Ministerreden und nach den Ereignissen vom 1. und 4. März 1912 in einem Schreiben des Arztes Sir Almroth Wright (28. 3. 1912, Times): die Suffragettes in ihrem hysterischen Fanatismus wären verbitterte alte Jungfern, die nur noch keinen Mann gefunden, der zu ihnen nett wäre (not yet found a man to be kind to them); das ärztliche Studium mache die Frau schamlos, eine Beratung männlicher und weiblicher Ärzte sei unschicklich, verletze das Zartgefühl, dann komme das gefährliche Alter u. a. m. Sir Victor Horsley antwortete darauf (1. 4. 1912, Times): »Gerade die weiblichen Ärzte haben der Welt das wahre Schamgefühl gezeigt und stets die gleiche Moral für beide Geschlechter verlangt. Sir Almroth Wright's Ideen von der Frau und seine ganze Weltanschauung sind für den nationalen Fortschritt viel zu niedrig, ... sein Wutausbruch ist ein kleines Schmutzhäufchen auf dem Weg des Fortschritts, das Zeit und Wahrheit schnell beiseite kehren werden.« Dieselbe Nummer der Times brachte eine Zuschrift von C. S. C., »eine der Gerichteten«: Wenn die Frau wirklich von Jugend an unverständig und haltlos ist, den Mann im täglichen Leben und Beruf nur reizt und ärgert, später jahrelang unzurechnungsfähig ist, wäre es dann nicht besser, die Welt von ihr zu reinigen? Wir erwarten das von den großen Männern der Wissenschaft: ein Geschlecht allein von Männern, auf rein wissenschaftlichem Wege erzeugt. Möge Sir Almroth Wright uns von der schmarotzenden, übergeschnappten und unsittlichen Spezies befreien, die der Welt so lange ein Fluch war.«

Ich schließe mit den Worten Mr. Mansell-Moullin's, Vizepräsidenten des Royal College of Surgeons: »Es gibt keine Kultur ohne Bürgerrecht. Kein Land besitzt Kultur, wenn die Hälfte der Bevölkerung ohne Bürgerrecht dasteht. Unsere Gesetze werden als Kulturerrungenschaften hingestellt. Sie sind nichts desgleichen; es sind Überreste der Barbarei, mit einem Kulturlack darüber; wo die Frau in Frage kommt, ist der Lack äußerst dünn.« Votes for Women, 9. 2. 1909.


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