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Was tun die Suffragettes?

I.

Oktober 1905-Oktober 1908.

Am 13. Oktober 1905 wurden Annie Kenney und Christabel Pankhurst mit Gewalt aus einer Versammlung des liberalen Abgeordneten Sir Edward Grey Heute Minister des Äußeren entfernt, weil sie ihn, nach seiner Rede, gefragt hatten: Was wird die liberale Regierung für die Frauen tun? Dies geschah in Manchester. Beide hielten dann vor dem Saal Es war die berühmte Free Trade Hall, die der Bewegung gegen die Kornzölle diente und auf dem »Schlachtfeld« von Peterloo steht (Wahlrechtsbewegung von 1819) eine Protestversammlung, wurden arretiert, am nächsten Tag zu Gefängnis verurteilt und sofort hinter Schloß und Riegel gesetzt.

Besteuerung ohne Vertretung.
Kandidat: »Da Ihr Mann tot ist und Frauen nicht wählen, brauche ich mich hier nicht aufzuhalten.«
Steuereinnehmer: »Da Ihr Mann tot ist und Frauen Steuern zu zahlen haben, werden Sie für ihn steuern.«
Aus Votes for Women.

Das war der Anfang der Suffragettebewegung und ihrer »militant tactics«. Ihr »Angriff« bestand darin, daß sie hinausgeworfen wurden.

Weshalb gingen diese beiden Mädchen ihre Fragen stellen?

Als die W. S. P. U. 1903 gegründet wurde, waren die Konservativen am Ruder. Herbst 1905 ging ihr Stern unter, und die Liberalen bereiteten sich vor, das neue Ministerium zu bilden. Sir Edward Grey war Ministerkandidat. Die Liberalen sprachen von großen Reformen, daher beschloß die W. S. P. U., deren Sitz ja Manchester, einen der bedeutendsten Parteiführer in Manchester um seine Meinung über Frauenstimmrecht und dessen Aussichten in der liberalen Ära zu befragen. Dies Befragen der Redner nach dem Vortrag ist Usus aller Länder mit öffentlichem Leben. Der englische Usus will, daß diese Fragen in der Versammlung beantwortet werden. Der Fragesteller wird mit Gewalt nur dann entfernt, wenn er die Versammlung gröblich stört.

Der W. S. P. U. lag sehr viel daran, die Aussichten des Frauenstimmrechts unter dem liberalen Ministerium zu kennen. Das »Frauenstimmrecht war damals in einem völlig hoffnungslosen Zustand« (a perfectly hopeless condition). Vor 40 Jahren (1865) war der erste englische Frauenstimmrechtsverein gegründet. Vierzig Jahre hindurch hatten die Frauen, von einer Anzahl Männer unterstützt, durch Wort, Schrift, Organisation, Aufklärung, Petition für ihre Sache gearbeitet. Den ersten Versuch im Parlament machte John Stuart Mill 1867. Die zweite große Kampagne fand unter dem liberalen Ministerium Gladstone statt und endete 1884 mit völliger Niederlage: mit allen Mitteln der Dialektik und parlamentarischen Geschäftsordnung wehrten sich die Liberalen, auch gegen Frauen liberal sein zu müssen. Siehe Helen Blackburn: Women's Suffrage. London 1902 Williams and Norgate. – F. Pethick Lawrence: Women's Fight for the Vote, Kap. VII.

»Damals«, sagt Mr. Pethick Lawrence, »hätten die führenden Stimmrechtlerinnen einsehen sollen, daß die Grenzen der Geduld erreicht waren ... Wollten sie ihre Selbstachtung behalten, so mußten sie sofort die liberale Regierung kraftvoll bekämpfen.« Woman's fight. S. 65. Statt dessen – wurde 1887 der Liberale Frauenbund (Women's Liberal Federation) gegründet, der die Frauen in den Dienst der Partei stellte, die sie soeben verraten hatte. – Eine entsprechende konservative Frauenorganisation (Primrose League) bestand bereits seit 1885, und eine Women's Unionist Association entstand, nachdem die liberale Partei sich über die irische Homerulefrage gespalten hatte (1886).

So besaßen alle politischen Parteien Englands eine Hilfstruppe geschulter, eifriger, opferfähiger Frauen, ohne daß diese Parteien auch nur das geringste für das Frauenstimmrecht getan oder zu tun gedachten. Diese Hingabe ohne jeden Lohn, welche politische Unreife bedeutet, nennt Mrs. Pethick Lawrence »the sin of selfsacrifice«. Die englischen Politiker priesen sie den Frauen als ihre eigentlich weibliche Tugend. Der Mangel des Wahlrechts machte die Frauen wehrlos, daher sind Frauen billig. Die Parteien bekamen sie in diesem Fall sogar umsonst. Und nun wurde von 1885-1905 ein unwürdiges, ein empörendes Spiel mit ihnen getrieben. Jede Legislaturperiode sah eine Frauenstimmrechtsbill auftauchen. Ihre Schicksale teilt uns Helen Blackburn, der Geschichtschreiber des Frauenstimmrechts, mit: Women's Suffrage S. 168. Übersichtskarte. entweder der Entwurf wird zurückgestellt, oder man läßt ihn (dank der Geschäftsordnung) nicht zur Verhandlung kommen (blocked), oder das Haus vertagt sich, oder die Regierung gibt Befehl, in der zweiten Lesung dagegen zu stimmen. Der Hauptkniff war, der Bill nie einen ersten Platz auf der Tagesordnung zu lassen. Dann konnte ein Dauerredner sie stets um das Ihre bringen. Dies geschah 1890 zugunsten einer Bill über Rosinen und Korinthen; 1893 zugunsten einer Bill über Besteuerung von Maschinen; 1897 zugunsten einer Bill über Ungeziefer; 1905 zugunsten einer Bill über Straßenbeleuchtung. Viermal wurde das Frauenstimmrecht, eine Lebensfrage des weiblichen Geschlechts, um solcher untergeordneter Fragen willen, zurückgedrängt. Der Kunstausdruck dafür ist »crowded out« oder »talked out«. Von 1898-1902, während des Burenkrieges, war überhaupt von ihr nicht mehr die Rede. Und dieser Hohn, diese Gleichgültigkeit, diese im Dickicht der Geschäftsordnung lauernde Böswilligkeit – war der Lohn für weibliche Hingabe, weibliche Gläubigkeit, weibliche Geduld und ladylike Methoden.

Die Bill von 1897 war durch eine Petition von 257 000 Frauen gestützt. Sie fiel völlig unter den Tisch. »Von der Zeit an«, sagt Mr. Pethick Lawrence, »verlor die Bewegung an Leben und öffentlicher Schätzung. Die Politiker verlachten, das Publikum vergaß sie, die Frauen schämten sich, ihr anzugehören. Eine Handvoll Leute besuchte die Stimmrechtsversammlungen, und diese Anhänger glaubten selbst nicht mehr an ihre Sache ... Es mußten andere Saiten aufgezogen werden«. Woman's fight, S. 67

Dies geschah durch die W. S. P. U. Sie stand, wie schon gesagt, mit der Labour Party in Verbindung und hatte sich bei Mr. Keir Hardie erkundigt, ob irgend Aussicht wäre, ein Gesetz für allgemeines Stimmrecht durchzubringen. Da dies verneint ward, entschloß Mrs. Pankhurst sich, für die Bill zu arbeiten, die vor dem Parlament stand. Sie ging nach London und erlebte am 12. 5. 1905 dort die Niederlage des Entwurfs: von 12-4½ Uhr wurde über the Roadway lighting Bill diskutiert, eine halbe Stunde blieb noch für das Frauenstimmrecht, und es wurde unter Gelächter »talked out«. Das Parlament setzt bestimmte Tage fest, um Gesetzanträge einzelner Abgeordneter zu diskutieren. Die Zeit für »Private Members Bills« ist sehr beschränkt. Die Abgeordneten losen um die Tage. Nur die ersten 12-14 haben Aussicht ihre Bill zur Verhandlung zu bringen und nur die ersten 3-4 Aussicht auf Durchberatung und Annahme. Gehört zu ihnen kein Freund des Frauenstimmrechts, ist nichts zu machen. Die Verhandlungen schließen ein für allemal um 5 Uhr, gleichviel, was noch auf der Tagesordnung, und was nicht erledigt, ist für die Session verloren.

Während die Abgeordneten der Frauenstimmrechtsbill den Garaus machten, wartete eine große Anzahl Stimmrechtlerinnen gespannt in einem der Wandelgänge (the Stranger's Lobby). »Besonders den Gewerkschaftlerinnen (vor allem die organisierten Textilarbeiterinnen aus York- und Lancashire) schlug das Herz, ersehnten sie doch den Augenblick, der ihnen die Macht gab, mit den Männern zusammen die furchtbaren sozialen Probleme zu lösen, die ihnen auf allen Seiten entgegensprangen«. Siehe Sylvia Pankhurst: The Suffragette, London, 1911, Gay and Hancock, S. 15. Und nun die Haltung dieser Volksvertreter, die angeblich auch die Interessen der Frau vertreten, von denen das Frauenleben gesetzlich geregelt wird. – »Mit Bitterkeit und Empörung vernahmen sie, wie schmählich das Parlament ihnen mitspielte und suchten nach einem sichtbaren Ausdruck ihrer Gefühle«. The Suffragette, S. 15.

So kam es zum erstenmal zu einer Protestversammlung der seit 40 Jahren genarrten Frauen und zwar vor Broad Sanctuary, dicht neben der Westminsterkirche, d. h. in nächster Nähe des Parlaments. Die Polizei selbst führte die Frauen dahin; denn Straßenversammlungen bedürfen in England keiner besonderen Genehmigung, dürfen während der Tagung nur nicht in Parliament Square selbst gehalten werden. Eine Resolution forderte die Regierung auf, selbst eine Frauenstimmrechtsbill einzubringen. Denn nur eine Regierungsbill hat Aussicht.

Die Suffragettes wußten nun: die Volksvertreter nehmen die Fraueninteressen nicht ernst. Sie vertreten sie also nicht. Beide Parteien haben das gleiche Spiel mit uns getrieben. »Ehret die Frauen« wird auch im politischen Leben zur Phrase. Seit 40 Jahren geht dies Satyrspiel. Machen wir jetzt nicht ein Ende, so spielt man es in Ewigkeit fort. Dieses die Vorgeschichte des 13. Oktober 1905. Deshalb bestanden Annie Kenney und Christabel Pankhurst darauf, von Sir Edward Grey eine Antwort zu erhalten. Ich gebe hier die Einzelheiten des Vorgangs, um zu zeigen, von welcher Seite die Gewalt kam. Das hat sich dann immer wiederholt.

Während Sir Edward Grey sprach, unterbrach ihn ein Mann: Was er für die Arbeitslosen tun werde? Er erhielt Gehör und Antwort. Annie Kenney stellte ihre Frage: Was wird die Regierung tun, um den Frauen die politischen Rechte zu geben? erst nachdem der Redner geendet. Gleichzeitig stellten 2, 3 Männer Fragen, die bereitwillig Antwort erhielten. Ihr antwortete Sir E. Grey nicht. Da wiederholte sie ihre Frage. Nun zogen ihre männlichen Nachbarn sie auf den Stuhl zurück, und ein Saalordner hielt ihr seinen Hut über das Gesicht. Das Publikum ergriff für und wider Partei. Als Ruhe geworden, stand Christabel Pankhurst auf und fragte: »Wird die liberale Regierung den Frauen das Stimmrecht geben?« Sir E. Grey antwortete nicht, und der Lärm erhob sich wieder. Da kam der Polizeileutnant von der Tribüne und ersuchte die beiden Frauen, ihre Frage aufzuschreiben. Der Text lautete:

»Wird die liberale Regierung den Arbeiterinnen das Stimmrecht geben?

Im Auftrage der W. S. P. U.
Annie Kenney
Vorstandsmitglied der organisierten
Wollkämmer von Oldham.«

Der Polizeileutnant übergab Sir E. Grey den Zettel; er las ihn, lächelte, reichte ihn den Umsitzenden, legte ihn bei Seite und antwortete nicht. – Die beiden Frauen warteten, bis alles zu Ende war, dann stieg Annie Kenney auf ihren Stuhl und fragte, so laut sie konnte: »Wird die liberale Regierung den Frauen das Wahlrecht geben?« Der Saal raste nun, und eine Anzahl Saalordner stürmten heran, sie hinunterzureißen. Da stellte Christabel Pankhurst sich neben sie, umfaßte sie und wehrte die Hiebe ab, die von allen Seiten kamen. Ihre Hände wurden dabei so zerkratzt und zerrissen, daß das Blut auf Annie Kenneys Hut floß, der auf dem Stuhle lag. – Zuletzt wurden sie von Polizisten und Saalordnern zum Saal hinausgeschleppt, an der liberalen Plattform vorbei. – Draußen hielten sie sofort eine Protestversammlung (indignation meeting), wurden aber nach wenigen Minuten arretiert (wegen Verkehrstörung, obstruction) und mit einem Gefolge von Hunderten nach dem Stadthaus gebracht. Am nächsten Morgen sollten sie sich dem Polizeigericht stellen. The Suffragette. S. 24-30.

Sie wurden verurteilt: Christabel Pankhurst zu 10 Shilling Buße oder 7 Tagen Haft, Annie Kenney zu 5 Shilling oder 3 Tagen. Beide weigerten sich zu zahlen und wurden sofort in ihre Zellen geführt, und zwar in der III. Abteilung, mit den niedrigsten Gefangenen. Sie mußten Gefangenenkleidung tragen und die Gefangenenkost essen.

»Now the whole country rang with the story«, sagt Sylvia Pankhurst. Die Nachricht verbreitete sich allerdings wie Lauffeuer. Frauenstimmrecht galt als eine akademische, eine Doktorfrage, und nun sprang es plötzlich mitten ins Leben, es bekam Blut in die Adern, wurde eine Zeit- und Streitfrage, eine brennende politische Frage. – Gerade das leugneten ja die Politiker, denn, nachdem die beiden Frauen hinausgeschleppt, sagte Sir E. Grey, er habe die Frage nicht beantwortet, weil sie keine Parteifrage sei, und es auch wohl kaum je werde. Aber nun: ein gebildetes Mädchen im Gefängnis, die Tochter eines angesehenen Juristen und Politikers, einer im öffentlichen Leben hochgeschätzten Frau? Was bedeutete das? Mit einem Schlage stand Frauenstimmrecht im Mittelpunkt des Weltinteresses. – Viel Tadel, Mißbilligung, Haß, Empörung, viel Anerkennung, Lob, Bewunderung und Liebe teilten sich die öffentliche Meinung. Am 20. Oktober wurden Annie Kenney und Christabel Pankhurst in derselben Free Trade Hall gefeiert, aus der man sie am 13. Oktober fortgeschleppt, und Lady Grey erklärte privatim, die beiden Frauen hätten ganz richtig gehandelt, um Antwort auf ihre Frage zu erhalten. »Was konnten sie denn sonst tun?« »What else could they do?« The Suffragette. S. 35.

Sir Edward Greys verspätete Antwort bewies der W. S. P. U., daß die Vertretung der Fraueninteressen durch den Mann eine Fiktion. Der Parteipolitiker beachtet nur Parteiinteressen. Da Fraueninteressen keine Parteifragen, fallen sie unter den politischen Tisch. Die liberale Partei, die von der konservativen das Erbe des Burenkrieges übernahm (Problem der Arbeitslosen, hohe Steuern), fand, daß sie mit den Männern gerade genug zu tun hätte. Das finden die Politiker stets, und daher ist nie Zeit noch Raum für die Frauen. In dieser drängenden Zeit noch Kraft, Aufmerksamkeit und Geld auf Frauen verwenden? Ganz ausgeschlossen. Die Frauen konnten warten. So wurde von beiden Parteien mit ihren festen Umrissen, die nur Männerinteressen berücksichtigen, das neue Element, das seine politische Anerkennung forderte nur als ein unbequemer Störenfried (something of a nuisance) betrachtet. The Suffragette. S. 33.

Der einzige zuverlässige Freund war Mr. Keir Hardie. Er telegraphierte: »Dies Vorgehen ist eine Schmach; aber nicht sorgen, der Sache wird es von größtem Nutzen. Kann ich irgendwie helfen?« Daselbst S. 35.

Nun ging die Bewegung, von überlegenen Geistern geleitet, ihren logisch-unerbittlichen Gang. Aus der Überfülle des Materials kann nur das Hauptsächliche herausgehoben werden.

Am 4. 12. 1905 legte der konservative Ministerpräsident (Mr. Balfour) sein Amt nieder, Sir Henry Campbell Bannermann wurde von König Eduard VII mit Bildung eines liberalen Kabinetts betraut und Neuwahlen ausgeschrieben. Die W. S. P. U. suchte vergebens eine Antwort des neuen Ministerpräsidenten zu erhalten. Daselbst S. 40 und ff. Er erklärte bei einer Gelegenheit, nachdem die erste Fragerin hinausgeworfen war: If I might have done so, I could have calmed that lady's nerves by telling her that I am in favour of woman's Suffrage. Bei den Neuwahlen bekämpften sie vor allem Minister Winston Churchill, der in der Nähe kandidierte. Da sie keine Antwort auf ihre nach den Reden gestellte Frage: »Will the Governement give women the vote?« erhielten, griffen sie jetzt zu dem » heckling« bestehend in Fragen, die bei jeder passenden Stelle die Rede selbst unterbrachen. Dies »Hecheln« ist die alte und erlaubte Waffe der politisch Unzufriedenen in England. Jede Unterbrecherin wurde, meist brutal, entfernt. Mr. Churchill erklärte bei einer solchen Gelegenheit, er werde sich nicht durch Hennen in eine so ernste Frage hineinpicken lassen. The Suffragette. S. 46: »I am not going to be henpecked into a question of such grave importance.« – A henpecked husband ist ein Pantoffelheld. – Von Anfang an suchten die Politiker die Frauen herabzusetzen und als etwas Minderwertiges hinzustellen. Während der Wahlen demonstrierten für Frauenstimmrecht in friedlicher Weise die North of England Weaver's Association (100 000 Mitglieder), die British Women's Temperance Association (109 890), die Women's liberal Federation (76 000), die Women's cooperative Guild (20 000), die Independent Labour Party (20 000) die Scottish Women's liberal Federation (15 000) usw.

Gleich nach den Wahlen ging Annie Kenney nach London, mit 2 £ in der Tasche, »um die Hauptstadt aufzurütteln« (to rouse London). So entstand die Londoner Ortsgruppe der W. S. P. U.; so begannen die Versammlungen in Caxton Hall (durch Mr. Keir Hardie besorgt), von wo aus am 19. 2. 1906 die I. Deputation Einlaß im Parlament suchte und nicht fand. Sie versuchten dann den Premierminister in seiner Amtswohnung (10 Downing Street) zu sprechen (2. und 9. 3. 1906) und erreichten dadurch, daß er den Empfang einer Deputation am 19. 5. zusagte. Inzwischen gelang es durch Mr. Keir Hardie einen zweiten Platz für eine Frauenstimmrechtsresolution (keine Bill) im Parlament zu erhalten. Sie wurde am 25. April nach bewährtem Muster »totgeredet«. Die Suffragettes auf der Damentribüne (Ladies gallery, die vergittert ist) manifestierten und wurden hinausgeworfen. – Die Sussex Daily News (2. 5.) bemerkte dann, die weiblichen Pairs des 18. Jahrhunderts hätten das Oberhaus in noch ganz anderer Weise unterbrochen, und Mr. Stead (in der Review of Reviews) sagte: »Geduld ist nun lange genug geübt, was hat es genützt? Weniger als die zehn Minuten Demonstration auf der Damentribüne. Das war unweiblich? Sicher nicht so unweiblich, wie es unmännlich ist, eine anerkannt gerechte Sache einfach zu erdrosseln.«

Am 19. Mai 1906 fand der erste öffentliche Umzug der W. S. P. U. statt (bürgerliche Frauen, Textilarbeiterinnen aus Lancashire, ein starker Trupp aus dem Ostend, Heimarbeiterinnen, Frauen Arbeitsloser mit Säuglingen; die Textilarbeiterinnen trugen ihre Holzschuhe und Tücher). Die Deputation (aus Parlamentariern und aus Delegierten aller Richtungen der Stimmrechtsbewegung) wurde dann von Sir Campbell Bannerman empfangen, die ältesten und verdientesten Frauen sprachen zu ihm, sowie die in der Bewegung neuesten. Als Antwort brachte er im Namen des Kabinetts: »Ich kann Ihnen nur die Tugend der Geduld empfehlen.« Als die Delegierten sich dagegen äußerten, empfahl er ihnen zum Schluß »das Land weiter zu bekehren.« »Sir, entgegnete Annie Kenney, wir sind damit nicht zufrieden, und die Bewegung wird fortgesetzt.« The Suffragette, S. 73 ff.

Die Suffragettes hielten am Nachmittag sofort eine Versammlung in Trafalgar Square, dem Platz, wo 1866 die Männer gegen politische Benachteiligung protestiert, wo 1886 John Burns (jetzt Minister) die Arbeitslosen zum Aufstand aufgerufen, wo 1887 der Protest gegen O'Briens Gefangensetzung tobte. Um 3 Uhr waren 7000 Menschen versammelt. Mrs. Pankhurst leitete alles mit ihrer ruhigen Stimme. Daselbst S. 79 ff.

Da der Premierminister der Delegation gesagt, ein Teil der Minister sei dem Frauenstimmrecht feindlich, nahmen sie Mr. Asquith (damals Finanzminister, heute Ministerpräsident) aufs Korn. Zwei Versuche, ihn in seiner Amtswohnung zu sprechen, waren erfolglos, die Frauen wurden abgewiesen, wegen »Verkehrstörung« arretiert und zu Gefängnis (bis zwei Monate) verurteilt. Als er später in East Fife, seinem Wahlkreis, eine Deputation von Frauen empfing, erklärte er sich außerstande zu helfen: die Frauen müßten sich ihr Heil selbst erringen (Women must work out their own salvation). The Suffragette, S. 97.

Inzwischen hatte die W. S. P. U. 3 Ortsgruppen in London gegründet, Mr. und Mrs. Pethick Lawrence gewonnen, Theresa Billington, Mary Gawthorpe (2 Lehrerinnen) und die Schriftstellerin Elizabeth Robins. – Ein Teil der Presse beschimpfte sie als »mock martyrs« und »martyrettes«, ein Parlamentarier (Mr. Maddison) nannte sie »female hooligans« (weibliche Rüpel), die Suffragists erklärten, sie richteten die Bewegung zugrunde. Der Schriftführer der Labour Party aber schrieb der Presse: »Freilich, als die Männer das Wahlrecht forderten, benahmen sie sich ruhig und verfassungsmäßig (constitutional). In Bristol verbrannten sie nur das Rathaus, Zollhaus, Accisehaus und den Bischofspalast, drei Gefängnisse, 4 Steuerbureaus, 42 Privathäuser und Geschäfte. Alles ganz verfassungsgemäß und respektabel. Eine Menge verfassungsmäßiger Feuersbrünste entstanden bei Bedford, Cambridge, Canterbury ... Vier Männer wurden höchst respektabel in Bristol gehängt, drei in Nottingham. Der Bischof von Lichfield wurde fast totgeschlagen, der Erzbischof von Canterbury beschimpft und angespieen ... Generalausstand wurde angekündigt und in den meisten Mittelpunkten der Chartistenbewegung drillte man heimlich Rekruten. Wales brach in Aufstand aus, 9 Männer wurden zum Tode verurteilt, ... so gaben die Männer den Frauen das glänzende Beispiel friedlicher Mäßigung bei Wahlrechtskämpfen.« The Suffragette, S. 90.

Am 3. Oktober 1906 trat das Parlament wieder zusammen. Nur 20 Frauen wurden in den Wandelgang gelassen (alle Arbeiterinnen ausgeschlossen). Sie vertraten alle Richtungen. Die W. S. P. U. ließ den Ministerpräsidenten fragen, ob die Frauen in dieser Session Aussicht hätten. Da eine runde Absage kam, versuchten sie an Ort und Stelle eine Protestversammlung zu halten. Nacheinander wurden Mary Gawthrope, Mrs. Despard, Mrs. Cobden-Saunderson (Richard Cobdens Tochter) hinausgeworfen. Bei der Verhandlung vor dem Polizeigericht (von der durch List alle Suffragettes ausgeschlossen wurden) erklärte letztere, sie sage mit John Burns (jetzt Minister): »Ich bin ein Rebell, weil ich kein Recht habe.« Weil die Suffragettes gegen den ungesetzlichen Ausschluß von öffentlicher Gerichtsverhandlung protestierten, wurde eine Anzahl von ihnen mitverurteilt. Bis man sie im Gefängniswagen (Black Maria, die schwarze Marie) aus dem Polizeigewahrsam nach Holloway (dem Hauptfrauengefängnis Londons) überführte, las ihnen Mrs. Pethick Lawrence aus Browning vor. – Sylvia Pankhurst, eine der Verurteilten, sagt von ihrer ersten Nacht in Holloway: »Ich aß mein kleines Stück Brot und versuchte dann zu schlafen. Aber der Schlaf ist, was man in Holloway am schwersten findet. Das Lager ist so hart, die Laken und Decken so schmal, das Kopfpolster wie Stein. Das Fenster ist nicht zu öffnen, die Lüftung sehr schlecht, und trotzdem man nachts meist friert, ist der Luftmangel dann doch schrecklich.« Die Suffragettes trugen Gefängniskleid, aßen Gefängniskost, standen unter Gefangenenzucht. Die genaue Beschreibung in The Suffragette, S. 109-122. Sie waren teils in der II., teils in der III. Abteilung. Die Behandlung als politische Gefangene (political offenders oder prisoners), die ihnen gebührte, denn sie handelten aus politischen Beweggründen, wurde verweigert, weil der Regierung daran lag, sie als gewöhnliche Ruhestörer von geringer Bedeutung hinzustellen, die man wie Taschendiebe, Trunkenbolde, Rowdies vor dem Polizeigericht abtun konnte. Die öffentliche Meinung aber regte sich; daß eine liberale Regierung Richard Cobdens Tochter wie einen Dieb oder Trunkenbold behandelte, ging dem Publikum nicht ein: im Parlament erhoben sich Mr. Keir Hardie (Soc), Lord Robert Cecil (Cons.) und forderten für die Suffragettes die Behandlung als politische Gefangene, wie Dr. Jameson nach seinem Einfall in Transvaal und Mr. Stead, nach seiner Kampagne gegen den Mädchenhandel, sie in der I. Abteilung genossen.

Eine Skizze, die Sylvia Pankhurst in Holloway machte.
Aus Votes for Women.

Der Minister des Innern, Herbert Gladstone (Sohn des »Grand old Man«) erklärte zuerst, nichts tun zu können, tat Ende Oktober dann aber doch, was der Druck der öffentlichen Meinung ratsam erscheinen ließ. – Als die Frauen Ende November frei wurden, bereitete die W. S. P. U. ihnen einen prächtigen Empfang im Savoy Hotel. Das geschah seitdem mit allen Ex-Gefangenen, deren es bis 1912 über 1000 gab.

21 Suffragettes, darunter Mrs. Drummond. die am 20. 12. 1906 fast bis in den Sitzungssaal des Parlaments gedrungen war, verbrachten Weihnacht im Kerker. Anfang 1907 (9. Februar) ergriff die Entrüstung auch die Suffragists. Der Landesverband für Frauenstimmrecht hielt seinen ersten öffentlichen Umzug (the Mud March, der Schmutz Marsch genannt, weil er bei strömendem Regen stattfand) und der angesehene Schriftsteller Zangwill sagte bei der Versammlung der Suffragists in Exeter Hall: »Die Suffragettes sind unweiblich, und darin liegt ihr Märtyrertum, sie müssen zu den Männermethoden hinabsteigen, müssen unweiblich sein, um der Weiblichkeit zu helfen ... Dame kann man nur im Verkehr mit Gentlemen sein. Sie aber haben mit Politikern zu tun. In der Politik zählt nur die Macht ... Was das Christentum nicht erreicht, was die Liebe nicht erreicht, was alle Bannstrahlen Carlyles und Ruskins nicht erreichen, ein einfacher Wahlzettel erreicht es. Für die Myriaden müder Frauen, die mit dem ersten Morgengrauen nach ihren Tretmühlen drängen und bei Abendgrauen nicht zur Ruhe, sondern zu trostloser Plackerei nach Hause kehren, all diesen ist das Frauenstimmrecht, das der Durchschnittsmann verlacht, eine Hoffnung und ein Gebet.« The Suffragette, 135 ff.

Da die Thronrede (12. 2.1907) Frauenstimmrecht nicht erwähnte, hielt die W. S. P. U. am 13. in Caxton Hall eine große Versammlung, das I. »Frauenparlament« genannt. Alle Sitze waren verkauft, Hunderte bereit, die II. Deputation zu bilden, die den Beschluß: »Frauenstimmrecht muß behandelt werden«, dem Ministerpräsidenten überbringen sollte. Eine kleine Zahl wurde auserwählt, zog unter Mrs. Despards Führung durch die dicht mit Zuschauern besetzten Straßen nach dem Parlament, wurde von Polizei zu Fuß und zu Pferde zurückgehalten und versuchte durchzudringen; 56 Frauen und 2 Männer wurden arretiert, 15 gelangten bis ins Parlament, eine bis an die Türen des Sitzungsaals. Gegen alle wurde Gewalt gebraucht. Sie aber verlangten nur Ausübung des verfassungsmäßigen Rechts, Petitionen zu überreichen. The Suffragette, S. 149 ff. Dieses war der I. sogenannte »Sturm« (raid) auf das Parlament. – Seine Wirkung: ein liberaler Abgeordneter, Mr. Dickinson, der den ersten Platz für Private Member's Bills (siehe Seite 25) gezogen, war bereit, diesen beneideten Platz dem Frauenstimmrecht abzutreten. Frauen sollten unter den gleichen Bedingungen stimmen wie Männer (Seite 12). Da die liberalen Gegner sich nicht gegen das Frauenstimmrecht an sich erklären mochten (das macht unpopulär), erklärten sie nun: das Gesetz sei undemokratisch, es werde nur einer kleinen Zahl wohlhabender Frauen nützen. Mr. Dickinson bewies das Gegenteil; durch Mißbrauch der Geschäftsordnung wurde die Bill wieder erdrosselt. Siehe Bill of rights: »It is the right of the subject to petition the King and all commitments and prosecutions for such petitioning are illegal.« – Siehe auch 13, Charles II, Kap. 5. – Ausgeführt in Votes for Women 2. 7. 1909: The right to petition. Auch in The Suffragette, S. 197 ff. Am gleichen Abend sammelte die W. S. P. U. die ersten 1400 £ (28 000 M.) für ihren 20 000 £ (400 000 M.) Kriegschatz, und am 20. März 1907 fanden das II. »Frauenparlament« in Caxton Hall und der II. Sturm auf das Parlament statt. Zusammenstoß mit der Polizei, Arretierungen, Verurteilungen zu Gefängnis (2-4 Wochen oder 20-40 Shilling Buße, was die Suffragettes fast immer ablehnten).

In dem einen Jahre waren ihre Zahl und ihre Mittel so gewachsen, daß sie jetzt über 30 Leiterinnen von Ersatzwahlkampagnen hatten und den Liberalen schwere Stimmverluste oder völlige Niederlagen beibringen halfen. The Suffragette, S. 157 ff. Dies wurde von den liberalen Parteifrauen und den Suffragists mißbilligt. Die Suffragettes aber erklärten: keine Gnade für irgend einen Liberalen (mag er selbst sich auch Frauenstimmrechtler nennen), bis nicht die ganze Partei für uns eintritt. – Im September 1907 trennte Mrs. Despard sich von der W. S. P. U. und gründete die Women's Freedom League. Seit Oktober 1907 erschien Votes for Women monatlich, seit Mai 1908 wöchentlich (Herausgeber Mr. und Mrs. Pethick Lawrence). Die Mitglieder (aus allen Ständen) verkauften das Blatt auf der Straße und fuhren mit Reklameomnibussen umher. Diese Gründung war nötig, weil die Presse die Bewegung totzuschweigen begann.

Denn dem Rat des Ministerpräsidenten folgend hatte die W. S. P. U. seit 6 Monaten »das Land weiter bekehrt«: 3000 Propagandaversammlungen, darunter solche von 12 000, 15 000 und 20 000 Personen. – Am 5. Oktober 1907 gab Sir Campbell Bannerman ihnen aber wiederum die Antwort: Sie sollten nur fortfahren »pestering as much as they could«, The Suffragette, S. 175. d. h. belästigen, sich unerträglich machen. Gleichzeitig verhöhnten die Minister die Frauen aber, wenn der Rat befolgt wurde. Mr. Asquith (29. 10. 1907): Das Parlament beruht nicht auf allgemeinem Wahlrecht, und Kinder sind dort nicht vertreten. Mr. Lloyd George (22. 11. 1907): Zusagen der Abgeordneten, für Frauenstimmrecht einzutreten, binden nicht, denn Frauen sind keine Wähler. – Mr. Louis Harcourt erklärte auf die Frage, weshalb er gegen Frauenstimmrecht sei: Weil ich dagegen bin (28.10.1907), Mr. Haldane (8.1.1908) warf ihnen vor, »einen Krieg mit Nadelstichen zu führen« (to fight with pinpricks), und als die zerrauften und zerschlagenen Frauen aus seiner Versammlung geschleppt wurden, sagte er: »Ich bin als Hagestolz gefeit gegen diese Schönen.« The Suffragette, S. 177.

Bei der Ersatzwahl in Newton Abbey trug sich am 29. 11. 1907 folgendes zu: The Suffragette, S. 182 ff. Seit 1885 war der Wahlkreis liberal vertreten; letzte Majorität 1289 Stimmen. Die Bevölkerung, zum Teil Ziegelarbeiter, war als besonders roh bekannt. Zu den Liberalen gehörten ganze Scharen junger Bengel, die politischen Gegner bekämpften sich heftig, die Suffragettes aber kamen meist gut mit den Leuten aus, bis das Wahlresultat bekannt wurde: konservative Mehrheit 559, der liberale Kandidat geschlagen. Der konservative Sieger verließ das Rathaus unter starker Bedeckung. Mrs. Pankhurst und ihrer Kameradin, Mrs. Martel, riet man, sofort die Stadt zu verlassen. »Ich habe nie vor einer Menge Angst gehabt«, sagte Mrs. Pankhurst, da wurden sie von einem Trupp junger lehmbeschmutzter Arbeiter umringt: »Diese Frauen sind schuld«, ein Regen fauler Eier folgte. Beide Frauen traten in einen Laden, dessen Tür man schloß: da die Besitzer aber für ihre Fensterscheiben fürchteten, bat Mrs. Pankhurst, sie durch die Hintertür wieder hinauszulassen, die Bande stürmte nun auch hintenherum und fiel über beide Frauen mit Schlägen her. Die Frau des Ladeninhabers öffnete ihnen wieder die Tür, Mrs. Pankhurst aber, auf den Kopf geschlagen und zurückgerissen, blieb in den Händen der Wütenden, die sie zu Boden warfen, daß sie die Besinnung verlor. Der nasse Schmutz, der ihre Kleider durchdrang, brachte sie wieder zu sich. Um sie ein Kreis untersetzter Burschen, lehmbeschmiert, mit der roten Rosette der Liberalen am Rock; eine leere Tonne stand in der Mitte. Wollen Sie mich da hineinstecken? dachte sie. Für den konservativen Kandidaten hatten sie einen »Käfig«« gezimmert, um ihn einzufangen. Noch zögerten die Burschen. Sie sahen so unausgewachsen aus, daß Mrs. Pankhurst halb unbewußt fragte: Sind denn keine Männer hier? Da trat einer auf sie zu, und irgend etwas Fürchterliches sollte geschehen – als die berittene Polizei zu Hilfe kam. – Die Bande schlug nachher noch alle Fenster im Konservativen Klub entzwei und belagerte ihn. Doch wurde niemand arretiert, denn – sie waren ja Wähler und Regierungsfreunde. Was kann Frauen, die durch solche Feuerproben gingen, wohl noch schrecken?

Die W. S. P. U. machte sich, dem Rate von höchster Stelle folgend, nun weiter »unleidlich«, und die Presse wurde wieder hellhörig. – Um nicht sofort aus Downing Street weggeschleppt zu werden, sondern die Menge erst eine Zeitlang anreden zu können, schlossen zwei Suffragettes sich am 17.1.1908 selbst mit Ketten an die Gitter vor Sir Campbell Bannermans Haus, Mrs. Drummond drang in das Haus selbst ein. Um abzuschrecken, wurden die Suffragettes von nun an wieder zur II. Abteilung verurteilt. Da die Thronrede (29. 1. 1908) Frauenstimmrecht wieder ignorierte und Mr. Asquith am selben Nachmittag erklärte, die Regierung werde in dieser Session keine Bill einbringen, noch eine Private Member's Bill begünstigen (in der Behandlung durch die Geschäftsordnung), versammelte sich am 11. 2. 1908 das III. Frauenparlament in Caxton Hall und sandte die III. Deputation, die von starkem Polizeiaufgebot wiederum angehalten wurde. 50 Frauen wurden arretiert, darunter eine Nichte Joachims und die beiden Nichten des Generals Sir Henry Brackenbury. Gleichzeitig versuchten 21 Suffragettes, die in einem Möbelwagen unbeargwöhnt dicht vor das Parlament gekommen waren, in das Haus einzudringen. S. 194 ff. Sie wurden, um weitere Versuche abzuschrecken, zu sehr harten Strafen verurteilt: 46 zu je 6 Wochen in der II. Abteilung, 2 (als »vorbestraft«) zu 4 Wochen in der III. Abteilung; 2 zahlten die Buße, da Krankheit der Ihren sie unabkömmlich machte. – Die Anklage (vertreten durch Mr. Muskett im Westminster Polizeigericht) hatte mit Anwendung des alten Gesetzes aus der Zeit Karls II.: Tumultuous Petitions either to the Crown or Parliament gedroht. Deshalb sandte die W. S. P. U. am 13. 2. 1908 eine Deputation von 13 Frauen, Führerin Mrs. Pankhurst, alle bereit, sich der Anwendung jenes alten Gesetzes aus Englands Zeit der Unterdrückung auszusetzen. Einst handelte so ein tyrannischer König gegen die ersten Liberalen, jetzt die Liberalen gegen rechtlose Frauen. – Mrs. Pankhurst wurde arretiert, doch wandte man das alte Gesetz nicht an. Wahrscheinlich, weil man sie dadurch als »politische Gefangene« anerkannt hätte. S. 203 ff. Sie und ihre Kameraden erhielten 6 Wochen II. Abteilung.

Während ihrer Gefangenschaft, am 28. 2. 1908, wurde die Women's Enfranchisement Bill, eingebracht von dem Private Member, Mr. Stanger, in zweiter Lesung mit 271: 92 Stimmen angenommen (179 Stimmen Mehrheit, die größte, die je erreicht). Somit schien der Sieg (die Annahme in dritter Lesung) nahe.

Minister Herbert Gladstone hatte nämlich am 28. Februar gesagt, daß hinter der Forderung der Frauen noch nicht Massen ständen, Massen aber die Regierung zu energischerem Handeln bestimmen könnten. The Suffragette, S. 206

Daran soll es nicht fehlen, sagten die Frauen, und alle, Suffragists wie Suffragettes, beeiferten sich, den geforderten Beweis zu erbringen. Eine große Freudigkeit ergriff die Stimmrechtlerinnen. Die W. S. P. U. konnte nun unternehmen, den Riesenbau der Albert Hall (in London) zu füllen, am 19.3.1908 verkündigte Mrs. Pethick Lawrence, die Schatzmeisterin, dort, daß die Mitglieder in der Entsagungswoche Mit Mrs. Pankhursts Gefangenschaft begann die erste »Entsagungswoche« (Self denial Week) der W. S. P. U., um große Mittel aufzubringen. Die Unbemittelten versagten sich Milch, Zucker, Butter, verkauften Blumen, spielten Orgel, bemalten die Trottoirs (Pavement artists) usw. 2382 £ (47 640 Mk.) aufgebracht, daß von zwei Seiten jährlich 1000 £ (20 000 Mk.) versprochen worden, bis das Frauenstimmrecht erlangt. Dann erhoben sich 12 Frauen, und jede versprach 100 £ (2000 Mk.), zuletzt war eine Gesamtsumme von 7000 £ (140 000 Mk.) gesichert. – Während der Versammlung hatte Mrs. Pankhurst plötzlich ihren freigelassenen Platz eingenommen: man hatte sie und ihre Kameraden unvermutet entlassen.

Seit einigen Monaten schon vertrat Mr. Asquith Sir Campbell Bannerman; Ostern 1908 nahm er seine Stelle als Premierminister ein. Die W. S. P. U. hatte damit nur einen mächtigeren Gegner. Er traf einige Änderungen in seinem Ministerium, und die neuen Minister mußten sich (nach der englischen Verfassung) Neuwahlen unterziehen. Die W. S. P. U. griff kräftig mit ein. Mr. Churchill, einer der neuen Minister, stand zur Wahl in Nordwest-Manchester. Er, der 1906 verächtlich von »pickenden Hennen« sprach, erklärte am 15. April 1908, die Frauen hätten jetzt nicht nur die Logik, sondern auch die weiblichen Massen (a great popular demand amongst women) hinter sich. Er glaubte die W. S. P. U. dadurch zu versöhnen. Doch Christabel Pankhurst erklärte in der Manchester Presse: Mr. Churchill wird bekämpft, solange die Regierung nicht geschlossen die sofortige Annahme einer Frauenstimmrechtsbill zusagt. Mr. Churchill unterlag. S. 225 ff. Er wurde dann in Dundee gewählt. Siehe die Einzelheiten beider Kampagnen in The Suffragette, S. 224 ff.

Das Sinken der liberalen Mehrheit bei Neu- und Ersatzwahlen (um 18 Prozent der Stimmen von 1906), ein Sinken, das die Suffragettes mit bewirkt, und der Abfall eines Teils der liberalen Frauen bestimmten Mr. Asquith am 20. Mai 1908, eine Deputation liberaler Abgeordneter zu empfangen, die in ihn drangen, Mr. Stanger's Bill zur dritten Lesung und »zur Annahme zu verhelfen«. Der Ministerpräsident aber erklärte: Nein, er sei gegen Frauenstimmrecht, und die Regierung könne Mr. Stanger's Bill nicht fördern. Hingegen werde sie eine allgemeine Wahlrechtsreform für Männer unternehmen, und wenn dann dazu ein demokratisches S. Seite 36. Amendement, die Frauen betreffend, von einem Private Member eingebracht werde, werde die Regierung es annehmen. Die W. S. P. U. ließ sich durch diese Verklausulierung nicht täuschen und sah deutlich: die Regierung wollte nichts für die Frauen tun. – Um Mr. Gladstone zu zeigen, daß sie die Massen hinter sich hatten (wie die Männer bei den 3 Wahlrechtsreformen 1832, 1867, 1886), wurde eine Riesenversammlung in Hyde Park am 21. Juni 1908 organisiert. Mrs. Drummond war der »General«, eine Riesenreklame fand in London statt (Plakate 13:10 Fuß, Kosten: über 1000 £), 30 Sonderzüge brachten Teilnehmer aus dem ganzen Land, 20 Rednerbühnen waren errichtet, 250 000 Menschen nahmen teil, und eine überwältigende Mehrheit nahm die um 5 Uhr von allen 20 Tribünen gestellte Frauenstimmrechtsresolution an. Damit war der Beweis der Masse erbracht, die größten Männerdemonstrationen in Hyde Park hatten 72 000 Teilnehmer versammelt. – Die Presse war des Lobes voll über die treffliche Organisation, den ästhetischen Anblick (zum ersten Mal erschienen die Farben der W. S. P. U. – lila, weiß, grün – in festlicher Öffentlichkeit) und Christabel Pankhurst schrieb Mr. Asquith den Erfolg mit der Frage: was die Regierung tun werde, um dieser Massenforderung zu genügen? Er antwortete, daß er seinem »Versprechen« vom 20. Mai nichts hinzuzusetzen habe. The Suffragette, S. 240 ff.

Da beschloß die W. S. P. U., die Hilfe des Publikums anzurufen und am 30. Juni 1908 eine Massendemonstration in Parliament Square zu halten. Lange vor 8 Uhr waren 100 000 Menschen beisammen, 5000 Polizisten zu Fuß und 50 zu Pferde. Die Polizei ließ keine der Rednerinnen zu Wort kommen, bis Mitternacht, wo sie Herr des Platzes wurde, waren 29 Frauen arretiert. 1 Suffragette hatte versucht, mit den Kellnerinnen des Parlaments hineinzugelangen, eine bei Dunkelheit im Ruderboot von der Wasserseite, 2 hatten Mr. Asquith die Fenster eingeschlagen.

Am nächsten Morgen erklärten sie dem Westminster Polizeirichter, der sie, wie gewöhnlich, des Widerstandes gegen die Polizei (obstructing the police in the execution of their duty) anklagte, die Regierung habe sie zu diesem Vorgehen getrieben, denn auf friedliche Propaganda höre sie nicht. Der Richter entgegnete, das ginge ihn nichts an und verurteilte 27 zu 1-3 Monaten in der II. Abteilung; 2, die Steine geworfen, zu 2 Monaten in der III. Abteilung.

Währenddessen fanden große Versammlungen in der Provinz (15 000-100 000 Zuhörer) und eine Anzahl Ersatzwahlen statt. – Wo ein Minister sprach, »hechelten« ihn Suffragettes. Da nannte bei einer Gelegenheit Mr. Lloyd George sie »traurige Vertreter der Weiblichkeit« (sorry specimens of womanhood) und riet, ihnen »den Mund mit einem Knebel zu schließen« (a gag ought to be tried); Dies erregte solche Empörung, daß er sich in der Presse entschuldigte. The Suffragette, S. 258/59. bei einer anderen, »man werde bald Säcke für sie bestellen müssen«, man solle sie »rücksichtslos hinauswerfen«, endlich gab er zu verstehen, sie würden hierfür bezahlt (I am sorry to say, this business has become a profession). Daselbst S. 259. Natürlich von den Konservativen (Tories). Mr. Winston Churchill hatte ihnen das schon früher nachgesagt, S. 228. Die Schatzmeisterin antwortete sofort darauf. Daselbst S. 260.

Am 12. Oktober 1908 trat das Parlament wieder zusammen, Mr. Asquith lehnte ab, Mr. Stanger's Bill zu fördern. Da wurde am 13. das V. Frauenparlament berufen, es sollte die V. Deputation abschicken. Um das große Publikum dabei zu haben, wurden Handzettel verteilt: Männer und Frauen, helft den Suffragettes »to rush« das Abgeordnetenhaus. – To rush hat den Doppelsinn von »berennen« und »rasch erledigen«. Die W. S. P. U. meinte die dritte Lesung der Bill. Die Versammlung am 13. wurde auch durch einen Drachen über dem Parlament und ein Dampfschiff auf der Themse angezeigt. Gleichzeitig machten die Arbeitslosen, die in hellen Haufen nach London strömten, den Suffragettes Reklame, ein Redner sagte (am 4. 10): »Wenn ihr etwas berennen wollt, so nicht das Haus, da ist nichts drin, dann lieber die Bäckerläden.«

Diesem Redner geschah damals nichts; am Mittag des 12. Oktober aber erhielten die drei Organisatoren des Plans, Mrs. Pankhurst, Christabel und Mrs. Drummond in Clements Inn eine Vorladung, sich um ½4 Uhr dem Polizeigericht in Bow Street zu stellen, sie antworteten, daß sie um 6 kommen würden. Ein Verhaftsbefehl folgte. Inzwischen hatte Mrs. Drummond sich zu Freunden aufs Land begeben, Mrs. Pankhurst und ihre Tochter waren nur einige Treppen höher, in Mr. und Mrs. Pethick Lawrence's Dachgarten, gestiegen. Ihre Privatwohnung lag gleichfalls 4 Clement's Inn, wo die W. S. P. U. ihre Bureaus hatte. Punkt 6 Uhr fanden alle drei sich im Bureau ein. Dort verlas Polizeiinspektor Jarvis ihnen den Verhaftsbefehl: Schuldig, durch Verteilung des Handzettels zu voraussichtlicher Ruhestörung und zu der ungesetzlichen Handlung der Berennung des Parlaments aufgefordert zu haben. The Suffragette, S. 264. Sie wurden, da das Gericht um diese Zeit nicht mehr verhandelte, für die Nacht in das Polizeigefängnis überführt.

Am 12. abends Zwei Jahre nach Gründung der W. S. P. U. Welcher Fortschritt seitdem. S. 267 ff. bot Parliament Square den Anblick »von Mafeking Nacht, jedoch ohne den Tumult«. Mr. Lloyd George kam sogar mit seiner kleinen Tochter zu Fuß an. Die Deputation von 11 Frauen gelangte mit Hilfe der Zuschauer bis zum Ende von Victoria Street, dann hielt die Polizei sie auf, und als sie durchzudringen versuchten, wurden sie arretiert. Eine zweite Deputation von 30-40 Frauen gleichfalls. Tief ergriffen von dem beispiellosen Heldenmut der Frauen, die sich zwischen die Pferde, in die dichten Reihen der Polizisten stürzten, entschloß Mr. Keir Hardies Privatsekretärin, Mrs. Travers Simons, die im Parlament und wohl Stimmrechtlerin, doch nicht Suffragette war, es jetzt zu werden: sie gelangte bis in den Sitzungsaal, eilte auf den Vorsitzenden zu, rief: »Attend to the women's question« (man solle die Sache der Frauen behandeln), wurde hinausbefördert, aber nicht bestraft. The Suffragette, S. 269 f.

Am 14. Oktober begannen die Verhandlungen in Bow Street. Die genaue Schilderung geben The Suffragette, S. 271-321, und die Broschüre: The Trial of the Suffragette Leaders (4 Clement's Inn, 1 Penny). Hier nur die Hauptpunkte: Richter Mr. Curtis Bennett, Ankläger Mr. Muskett, Verteidiger Christabel Pankhurst. Sie forderte zuerst Verhandlung vor den Geschworenen; beim Befragen der Zeugen (hier der Polizei), das den Angeklagten freisteht, betonte sie, Mr. John Burns hätte 1885 ganz anders aufreizende Reden gehalten, er sei heute Minister; der Redner der Arbeitslosen habe zu viel größerer Gewalt aufgefordert, ihm sei aber nichts geschehen. Am 25. 10. wurde dann gegen diesen Redner vorgegangen. The Suffragette, S. 281. Die Verhandlungen wurden hierauf vertagt und inzwischen die am 13. Oktober arretierten Suffragettes abgeurteilt: 1-3 Monate, II. Abteilung. Am 21. Oktober wurde gegen die Führerinnen weiter verhandelt. Sie hatten die Minister Lloyd George und Herbert Gladstone als Zeugen laden lassen. Mit ersterem hatte Christabel Pankhurst eine glänzende Auseinandersetzung über das Wort »to rush«. Er habe wohl die Sache nicht für gefährlich gehalten, sonst hätte er sein Töchterchen ja nicht mitgebracht. Als sie auf die Aufreizungen und Gewalttaten der Männer bei ihren Wahlrechtskämpfen hinwies, als sie ihm Gladstone's berühmtes Wort zitierte: »Ich muß gestehen, hätte man unserem Volk bei politischen Krisen immer nur Ruhe als die erste Bürgerpflicht gepriesen, dies Land besäße seine Freiheiten nicht« – behauptete er, sich nicht zu entsinnen. – Durch einen anderen Zeugen (Miß Marie Brackenbury) ließ sie feststellen, daß die Urteile gegen die Suffragettes vom Minister des Innern (Mr. H. Gladstone) diktiert würden. »Eine seltsame Bewegung ging durch das Publikum: wo blieb nun der Glaube an die Unabhängigkeit englischer Richter?« The Suffragette, S. 293.

Minister Herbert Gladstone kam nun an die Reihe, Christabel Pankhurst nahm eine seiner Reden und sagte, die W. S. P. U. hätte ja nur seinen Rat befolgt, auch den Rat seines Vaters; weshalb er nun die Methoden der Suffragettes mißbillige? Eine Anzahl Zeugen sagten dann aus, die Versammlung am 13. sei ganz ordentlich gewesen und keinerlei Gewalttat geschehen. Die Verhandlungen, die von 10-7 Uhr mit einer halben Stunde Pause gedauert hatten, Christabel Pankhurst war andauernd auf der Bresche gewesen, immer frisch, heiter, witzig, schlagend. wurden nun auf den 25. Oktober vertagt, weil noch 50 Entlastungszeugen zu hören waren. Am 25. erklärte der Richter aber, daß er nur noch 2-3 Zeugen hören werde; Christabel Pankhurst vermochte diesen Widerstand nicht zu erschüttern. Einer der Zeugen, Mr. Murray, liberaler Abgeordneter, sagte noch aus, wenn die Suffragettes Männer wären, ständen sie hier nicht vor dem Richter. Christabel Pankhurst hielt dann eine glänzende Verteidigungsrede, scharf, klar, ironisch, voll Temperament und Hohn. Dann sprach ihre Mutter, fest und ruhig: Das englische Gesetz ist sehr ungerecht gegen die Frau, Sie, Herr Richter, müssen das aus Erfahrung wissen. Seit meiner Jugend gehöre ich zu Vereinen, die das zu ändern suchen. Wir waren, was Sie »weiblich« nennen, wir versuchten es mit Geduld, und wir haben eingesehen, daß das nichts nützt (it is of no use The Suffragette, S. 317.). Aber Männer, die die Geduld verloren, haben jedesmal Reformen erreicht. Ob Sie uns nun aber zu 6 Monaten, 6 Jahren, ja 16 Jahren verurteilen, die Bewegung geht weiter. – Der Spruch des Richters lautete: Mrs. Pankhurst und Mrs. Drummond entweder je 100 £ Kaution, daß sie sich 12 Monate still verhalten würden, oder je 3 Monate II. Abteilung. Christabel Pankhurst, entweder 25 £ Kaution oder 10 Wochen II. Abteilung. Sie gingen ins Gefängnis.

II.

Oktober 1908-Juli 1912.

Nun wuchs die Bewegung »like a living flame«. Die Führer im Gefängnis – das mußte durch besondere Hingabe der Getreuen gut gemacht werden: Menschen und Mittel strömten von allen Seiten herbei.

Da die Minister sich vor den Fragen der Suffragettes schützen wollten, sprachen sie jetzt mit Vorliebe in beschränkter Öffentlichkeit: Versammlungen mit Eintrittskarten, Basaren, Festessen, Empfängen. Dennoch begegneten sie überall Suffragettes. Wenn der Ministerpräsident z. B. in einem vornehmen Hause einer schönen hochgewachsenen Dame in weißem Atlaskleid die Hand schüttelte, fragte sie ihn plötzlich: »Kann ich Sie irgendwie dazu bestimmen, den Frauen das Stimmrecht zu geben?« wiederholte ihm einige Sätze der Magna Charta und wurde hinausbefördert. – Als er am 10.10.1908 in Leeds öffentlich sprechen mußte, rief eine Arbeiterfrau, Mrs. Baines, ihm zu: »Votes for Women, and down with tyranny.« (Den Frauen das Stimmrecht, nieder mit der Tyrannei.) Sie wurde vor die Geschworenen gestellt, was man den Führern verweigert. – In einem anderen Fall lehnte das Gericht ab, zwei Minister zu laden, ein noch nie dagewesener Fall im Strafrecht. Die Minister wurden überall durch Massenaufgebote von Polizei beschützt, die Städte waren wie im Belagerungszustand. – Die Versammlungen der Suffragettes wurden durch Liberale gestört, die Stöcke, tote Mäuse und ähnl. warfen, Stinkgas verbreiteten, schrieen, sangen, sich rauften, Verfahren, welche die Suffragettes nie anwendeten. Siehe The Suffragette S. 348 ff.

Asq-th, Ll-G-rg und Gldst-n (im Chor): Hu, hu, da kommen sie schon wieder. – Väterlicher Schutzmann: Nur keine Angst, meine Herrchen, ich bin ja da.
Aus Votes for Women.

Inzwischen waren die Führerinnen immer noch im Gefängnis. Die öffentliche Meinung erhob sich aber und forderte für sie die Vorrechte politischer Gefangener: eigene Möbel, eigene Nahrung, eigene Kleidung, eigener Arzt; Bücher, Schreibmaterial, Fortsetzung ihrer Berufsarbeit, freier Verkehr mit der Außenwelt, Briefe, Besuche. – Das gleiche forderten die Suffragettes in Holloway selbst. Als Mrs. Drummond, die wegen schlechten Befindens vorher entlassen war, dies der W. S. P. U. mitteilte, beschloß man, den Gefangenen durch einen Straßenumzug den Mut zu stärken. Voran Musik, Mrs. Drummond in einem Wagen, dann ein Kremser mit den Frauen, die schon im Gefängnis gewesen (sie trugen die Gefangenentracht). Eine tausendköpfige Menge erwartete sie rund um Holloway. Nun brachte man Hochs auf die gefangenen Suffragettes aus und umkreiste das Gebäude bei den Klängen der Frauenmarseillaise. Siehe Anhang. Als sie dies am 26. November wiederholen wollten (denn die Gefangenen weigerten sich andauernd, der Gefängniszucht der II. Abteilung zu willfahren The Suffragette, S. 336 ff.) ließ ein Aufgebot von tausend Polizisten sie nur von weitem manifestieren.

Ein Massenaufgebot von Polizei umgab auch am 5. Dezember 1908 die Albert Hall, in der Mr. Lloyd George bei den Liberalen Frauen sprechen sollte. Die Veranstalterinnen waren der Ansicht, da der Redner ein »Freund« des Frauenstimmrechts, dürfe er nicht unterbrochen werden. Die Suffragettes hingegen vertraten die Ansicht: Ist er unser Freund, so soll er es beweisen und aus dem Frauenstimmrecht eine Kabinettsfrage machen. Die Verfassung bedingt die gemeinschaftliche Verantwortlichkeit des Kabinetts; unsere »Freunde« müssen entweder ihre Kollegen bekehren, oder gehen, oder sich wie Gegner behandeln lassen. – Die ganze erste Sitzreihe des Saals füllten Suffragettes in Gefangenentracht (die sie unter ihren Mänteln verborgen hatten). Der erste Zwischenruf kam aus einer Loge, von Miß Ogden, Tochter des Professors Ogden, Bachelor of Science. Auf ihre Bemerkung antworteten die Saalordner mit Schlägen, als Protest gegen diese Brutalitäten (nicht gegen ihre Ausweisung) zog sie eine Hundepeitsche. Eine Stunde lang wurde der Redner unterbrochen und jede Unterbrecherin hinausgeworfen, das Publikum hieb auch auf sie ein. Am Schluß – der Redner sollte eine Botschaft (a message) der Regierung bringen, kam wieder Mr. Asquith's lahmes Versprechen auf neuen Krücken angehinkt. Selbst die liberale Presse gestand, die Suffragettes wären mit ekelerregender Roheit behandelt worden. S. 342 ff. – Die Liberalen Frauen waren über ihre gestörte Versammlung sehr empört, was wohl dazu beitrug, daß von liberaler Seite ein Gesetzentwurf eingebracht wurde (the Public Meeting Bill): Wer durch unordentliches Betragen den Fortgang einer Versammlung stört, erhält Geldstrafe von 100 Mk. oder 1 Monat Gefängnis. – Der Entwurf bedroht eine der ältesten und grundlegenden englischen Freiheiten; man ließ es geschehen, und dieselbe Regierung, die keine Möglichkeit sah, der Frauenstimmrechtsbill zur dritten Lesung und Annahme zu verhelfen, jagte diese Bill noch vor Ende 1908 durch alle drei Stadien. Das war ein Beispiel von »to rush the House«. The Suffragette, S. 352 ff. Sylvia Pankhurst bemerkt hierzu: »Wäre unsere Bewegung eine Bewegung unbemittelter Frauen gewesen, man hätte sie so vernichtet. Aber glücklicherweise fehlte es uns nicht an solchen, die ins Gefängnis gehen konnten« (weil sie und die Ihren nicht auf ihren Erwerb angewiesen waren). S. 356.

Die Entlassungen der Suffragettes aus Holloway wurden seit Monaten immer festlich begangen: Man empfing sie am Tor von Holloway selbst, blumengeschmückt, in weißen Kleidern, mit bekränzten Wagen, spannte ihnen die Pferde aus, zog sie durch die Straßen. Und überall in Kleidung, Bändern, Fahnen, Blumen die Suffragettefarben lila, weiß und grün. Als am 19. Dezember Mrs. Pankhurst und ihre Tochter entlassen wurden, zogen den Wagen weiße Rosse, auf denen Suffragettes ritten. Im Januar 1909 trat das Parlament wieder zusammen. Der Premierminister empfing jede Art von Männerdeputationen, jedoch keine von Frauen, Deshalb schickte die W. S. P. U. ihm drei Frauen als »Expreß Briefe« The Suffragette. S. 362. und die Thronrede überging wieder das Frauenstimmrecht. Ein liberaler Abgeordneter jedoch, Mr. Geoffrey Howard, entwarf mit dem Frauenstimmrechtskomitee der Liberalen (ein parlamentarisches Komitee) eine neue Frauenstimmrechtsbill, eine demokratische, um dem Wunsche des Ministerpräsidenten zu willfahren; es war eine Private Member's Bill: wahlberechtigt jeder Mann und jede Frau, die volljährig und seit 3 Monaten im Wahlkreis ansässig; dadurch 15 Millionen neue Wähler, 12 davon Frauen.

Am 19. März 1909 kam der Entwurf zur zweiten Lesung, Mr. Asquith erklärte, seinen Standpunkt nicht zu ändern, und die Sache verlief erfolglos. Mr. Asquith brachte 1912 eine solche Bill für Männer ein. Am 24. Februar hatte das VII. Frauenparlament vergebens eine Deputation an das Männerparlament geschickt (Führerin Mrs. Pethick Lawrence, die zu zwei Monaten verurteilt wurde); am 30. März ging vom VIII. Frauenparlament die VIII. Deputation ab (Führer Mrs. Saul Solomon, Witwe des Generalgouverneurs von Südafrika). Wieder Verhaftungen und Verurteilungen (1-3 Monate).

Mrs. Pethick Lawrence wurde am 16. April bei ihrer Entlassung mit einem großen Umzug empfangen. An dem Tage wurde die Jungfrau von Orleans selig gesprochen, und so ließ die W. S. P. U. ihrem Zug eine geharnischte Jeanne d'Arc voranreiten. Die befreite Schatzmeisterin erhielt 8000 £ für die Union, diese 160 000 Mark waren das Ergebnis der Entsagungswoche von 1909. In ihrer Rede erzählte sie folgendes: Der Gefängnisprediger sagte zu ihr, er habe viel von ihr gehört, sie habe ja Erholungsheime für Arbeiterinnen gegründet, ob sie nicht auch solche für Gefängniswärterinnen gründen könne, die eine zwölfstündige Arbeitszeit hätten und oft zusammenbrächen. Sie sah ihn vollkommen überwältigt an, daß ein Staatsbeamter, weil der Staat seine Beamtinnen ausbeutete, sich um Abhilfe an eine politisch rechtlose Frau wandte. The Suffragette, S. 369.

Da die Women's Freedom League und zwei Männer im Oktober auf den Parlamentstribünen manifestiert, hatte das Parlament das Publikum ausgeschlossen und sechs Monate so getagt. Der Ausschluß aller Besucher ward aber als sehr lästig empfunden, und wie man eine Public Meeting Bill durchgejagt hatte, sollte nun (April 1909) eine »Brawlingbill« (Schreigesetz) durchgepeitscht werden: wer Störung im Parlament verursacht, sofortige Aburteilung und Gefängnis bis 6 Monate oder Geldstrafe bis 100 £ (2000 Mark). Das Unternehmen schien aber doch bedenklich, und die Bill wurde vertagt. The Suffragette, S. 370 ff.

Um ihre Wertlosigkeit darzutun, demonstrierten fünf Suffragettes am 27. April in der St. Stephen's Hall, dem großen Eingang zum Parlament. Sie ketteten sich an die Bildsäulen fünf englischer Freiheitskämpfer unter den Stuarts und legten den vorbeikommenden Abgeordneten und Besuchern dar, auch sie kämpften für die Freiheit der halben Bevölkerung Englands. Eine Strafverfolgung trat nicht ein, und das Parlament wurde dem Publikum wieder geöffnet. S. 372 f.

Die W. S. P. U. eröffnete am 13. Mai einen Basar in ihren Farben lila, weiß und grün, eine Votes for Women Exhibition; sie hatte schon vorher aus Gaben der Mitglieder Mrs. Pethick Lawrence ein Automobil in den Farben der Union gestiftet. Sylvia Pankhurst war die künstlerische Leitung des Basar übertragen; die Besucher fanden dort u. a. eine Nachbildung der Zellen in Holloway, plastische Darstellungen der Minister und ihrer Begegnungen mit den Suffragettes, ein Musikkorps von Trommlern und Pfeifern (aus jungen Mitgliedern der Union) und täglich eine Abstimmung über eine wichtige Frauenfrage. Die W. S. P. U. gewann dadurch hunderte neuer Mitglieder, und ihr Reingewinn an Geld betrug 5 564 £ (111 280 Mark). S. 373 ff.

Das IX. Frauenparlament sollte sich nun versammeln und die IX. Deputation absenden. Da der Ministerpräsident, vorher befragt, ablehnte, sie zu empfangen, versuchte Miß Wallace Dunlop die Ankündigung der Deputation und ihre verfassungsmäßige Begründung auf die Mauer von St. Stephen's Hall zu bringen. Das zweitemal mit Erfolg. (Urteil: Ein Monat Gefängnis dritte Abteilung.) Die Bill of Rights von 1668 sagt: »Es ist das Recht des Untertanen, Bittschriften an den König zu richten und darf niemand dieserhalb strafrechtlich verfolgt werden.« Dieses Recht – das einzige der Frauen – wollte die W. S. P. U. praktisch durchsetzen. Daher die IX. Deputation. Die aus weniger als 20 Frauen bestand, um auch die Beschränkung des alten Gesetzes von 1661 13 Charles II Kap. 5 zu beobachten. Während sie nahte (29. 6. 1909), drängten Abgeordnete das Kabinett, die Frauen zu empfangen. Die Antwort war, man wisse nicht, was die Polizei tun werde, Befehle des Kabinetts seien nicht an sie ergangen. – Eine Suffragette, Miß Vera Holmes, kündigte zu Pferd die Deputation mit einem Schreiben an Mr. Asquith an. Die Polizei warf den Brief auf die Erde und ließ Miß Holmes nicht durch. Die Deputation wurde weiter vorgelassen als sonst (um sie von der hilfreichen Menge zu trennen). Der Polizeiinspektor überreichte Mrs. Pankhurst eine schriftliche Weigerung des Ministerpräsidenten. Sie las, ließ das Blatt fallen und sagte: »Ich bestehe auf meinem verfassungsmäßigen Recht, dem Ministerpräsidenten eine Bittschrift zu überreichen.« – Keiner der Polizisten wollte ihre Petition übergeben. Umkehren war unmöglich, der Kampf mußte durchgefochten werden. Das hieß stundenlanges Ringen mit der Polizei. In der Deputation aber waren zwei hochbetagte Frauen, die solchem Ringen erlegen wären. Um daher ein rasches Ende zu machen, d. h. um sogleich arretiert zu werden, schlug Mrs. Pankhurst Polizeiinspektor Jarvis mit der offnen Hand leicht ins Gesicht. Er war in den langen Kämpfen sozusagen ein alter Freund der W. S. P. U. geworden. »Ich weiß, weshalb Sie das tun,« sagte er. Da drängte die Polizei auf die Frauen ein. »Muß ich es wiederholen?« fragte Mrs. Pankhurst. »Ja« sagte Inspektor Jarvis: Da schlug sie ihn noch einmal. Darauf wurden alle neun Frauen arretiert. – Jenseits des Polizeikordons aber versuchten Gruppen von Frauen durchzudringen, sie warfen Fenster im Ministerium ein, und 108 Suffragettes wurden verhaftet. – Die Presse, auch die liberale, zeigte unerwartet viel Verständnis für die Stimmrechtlerinnen: es sei doch unweise und unrichtig, sie nicht zu hören. The Suffragette, S. 380 ff.

Da es sich hier um ein politisches Grundrecht handelte, hatte die W. S. P. U. für ihre Verteidigung Lord Robert Cecil gewonnen. Das Polizeigericht erklärte: das Recht der Petition steht jedem zu, wen aber der Ministerpräsident ablehnt, und wen die Polizei nicht durchläßt, der hat sich zu bescheiden. Strafe: entweder 5 £ Buße oder ein Monat II. Abteilung. Doch wurde die Vollstreckung aufgeschoben, um die konstitutionelle Seite der Frage erst im Appell durch eine höhere Instanz entscheiden zu lassen. Nur 14 Frauen, die Sterne geworfen, wurden sofort zu 4-6 Wochen II. Abteilung verurteilt. Das geschah am 12. Juli 1909. S. 389 ff.

Inzwischen hatte die Presse gemeldet, Miß Wallace Dunlop, die am 2. Juli eingekerkert worden, habe freigelassen werden müssen: um die Rechte politischer Gefangener zu erringen, hatte sie jede Nahrung verweigert, Bitten und Drohungen waren umsonst, still und unerschütterlich ließ sie sich hinsterben. Da gab man ihr die Freiheit. – Die 14 Verurteilten vom 12. Juli beschlossen, ihrem Beispiel zu folgen. Da sie bei der schweren Sommerhitze in den schlechtgelüfteten Zellen fast erstickten, schlugen sie zuerst jede eine Scheibe ein. Strafe: 7 bis 10 Tage Einzelhaft. d. h. noch schlechtere Zelle, keine gemeinsame Bewegung im Hof, kein Kirchgang etc. Dort begannen sie den Hungerstrike. »Das Schlimmste«, berichteten sie später, »sind die ersten 24 Stunden«. Sie wiesen jede Nahrung ab, auch Medizin, da sie Nahrung darin vermuteten. Sie stärkten einander, indem sie die Frauenmarseillaise, so weit die Kräfte reichten, sangen. So hungerten sie 5, 6, 6½ Tag. Als man, um sie nicht sterben zu lassen, ihnen die Freiheit gab, sagten sie: »Tut Mr. Gladstone lieber das, als gerecht zu sein?» The Suffragette, S. 392 ff.

Als Antwort auf diesen Heldenmut brachte Mr. Gladstone am 21. Juli im Parlament die Anklage vor: die Suffragettes hätten die Wärterinnen gebissen und mit Füßen gestoßen. S. 397 ff.

Diese Ereignisse gewannen der W. S. P. U. große Sympathie. Die Geistlichkeit protestierte gegen die Behandlung der Gefangenen, die Mitglieder des Männervereins (Men's Political Union) protestierten, das große Publikum half den Suffragettes, wo es nur konnte. Wo irgend ein Minister sprach, traf er Frauen und jetzt auch Männer, die ihn »hechelten«. Oft gelangten die Frauen nur durch List, zähe Ausdauer und großen Mut überhaupt in die Säle: in Bristol versteckten sie sich zwischen den Orgelpfeifen, in Liverpool 24 Stunden unter der Orgel; in Leigh, in Edinburg, in Nothingham suchten sie die Saaltüren von außen zu berennen. Redete ein Minister, so mußten jetzt Pallisaden gebaut werden, um seinen Saal zu schützen, die Hörer wurden nur gegen Karten, von Schranke zu Schranke eingelassen. Polizei begleitete die Minister überall, in ihren Autos suchten sie schleunigst zu entkommen, sie kamen und entwischten durch Hintertüren, ja sie benutzten die Gepäckaufzüge der Bahnstationen. Und all das war ihnen noch kein Beweis, daß sie vor einer Volksbewegung standen.

Die Behandlung der Suffragettes im Gefängnis war in dieser Zeit äußerst roh: da sie sich weigerten, Gefangenentracht zu tragen (der politische Gefangene behält seine eigne Kleidung), wurden ihnen die Kleider mit Gewalt vom Leibe gerissen. The Suffragette, S. 409 ff. Wenn sie, um Luft zu haben, Fensterscheiben einschlugen, wurden sie in die Strafzellen überführt, und dort, toteneinsam, im Halbdunkel, in schlechter Luft, zornigen Wärterinnen ausgeliefert, ohne Hilfe von außen, führten sie den Hungerstrike durch. In Manchester wandte man sogar die Zwangsjacke an, ihren Willen zu brechen. – Auf einem liberalen Fest in Canford Park (2. 8. 1909) und in Saltburn by the Sea (8. 8. 1909) wurden die Suffragettes geradezu mißhandelt, die Polizei schützte sie nicht. S. 413 ff.

Am 17. September 1909 sprach der Premierminister in Birmingham. Es sollte eine glänzende liberale Versammlung werden, daher suchte man die Suffragettes auf jede Weise »unschädlich« zu machen. Die Bahnstation wurde mit 9 Fuß hohen Planken umgeben, die Straßen mit eben solchen Pallisaden gesperrt. Polizisten und Geheimpolizisten umgaben den Redner, die Inhaber von Karten für die Versammlung (nur Männer wurden zugelassen) mußten durch 4 Barrieren. 13 Männer, die das Wahlrecht forderten, wurden brutal hinausgeworfen. Indessen belagerten die Frauen den Saal von außen. Denn Minister John Burns hatte gehöhnt: »Die Arbeiter haben die Tür des Wahlrechts aufgerissen, die Damen kratzen nur daran.« So begann nun der Kampf. Das Publikum half den Frauen, die erste Barrikade vor dem Saal niederwerfen und entriß der Polizei alle Frauen, die sie arretierte. Suffragettes warfen aus benachbarten Häusern, von umliegenden Dächern Steine und Schiefer in die Fenster, auf das Glasdach von Bingley Hall, die Polizei ließ die Feuerspritze auf sie los, warf sie mit Ziegeln und Steinen (während sie wohl acht gegeben hatten, niemand zu verletzen). Siehe die Einzelheiten der Szene in The Suffragette, S. 426 ff. Mrs. Leigh, eine Arbeiterin, und Miß Charlotte Marsh, eine Akademikerin, die Führerinnen dieses Angriffs, wurden zu 3 und 4 Monaten III. Abteilung (mit Zwangsarbeit) verurteilt. Um die Rechte politischer Gefangener zu erlangen, begannen die 10 Suffragettes im Birminghamer Gefängnis den Hungerstrike. Am 24. 9. 1909 erfuhr man durch die Presse, daß die Regierung, um die Suffragettes nicht wieder freilassen zu müssen, sie zwangsweise ernähren ließ (forcible feeding). Die W. S. P. U. fragte sofort im Ministerium des Innern, ob diese Nachricht wahr sei. Jede Auskunft wurde verweigert. Die W. S. P. U. erbat nun ärztliche Gutachten über dies Vorgehen. Die künstliche Ernährung mittelst eines Gummischlauchs, der dem Widerstrebenden gewaltsam in die Nase eingeführt und durch den dann flüssige Nahrung gegossen wird, wurde als eine widerliche, gefährliche, ja, bei Herzschwäche lebensgefährliche Prozedur erklärt (Verletzungen der Nase, des Mundes, des Schlundes, Nervenerschütterung, Gefahr des Herzschlags). The Suffragette, S. 432, 434 ff. Mr. Keir Hardie brachte die Frage vor das Parlament: der letzte Gefangene, den man so ernährt, sagte er, sei gestorben. Das Haus antwortete ihm mit Gelächter. Die ärztliche Meinung aber stand ihm bei, 116 berühmte und bekannte Ärzte richteten einen Protest gegen dies Verfahren an Mr. Asquith. Das Verfahren ist schon gefährlich, wenn Ärzte und geschulte Pflegerinnen es in Ruhe und Sorgfalt ausführen. Man stelle sich's vor, geübt von ärgerlichen Doktoren und ungeschulten Gefängniswärterinnen. Die liberale Parteipresse verteidigte es; deshalb legten zwei der Redakteure der Daily News ihre Posten dort nieder und viele Liberale (Männer und Frauen) die Leitung liberaler Vereine. The Suffragette, S. 437, 438. Der Minister des Innern gestattete direkten Verkehr mit den Gefangenen (durch deren eigene Ärzte oder Anwälte) erst, als er erfuhr, daß gegen ihn, den Gefängnisdirektor und den Gefängnisdoktor von Birmingham Prison Klage erhoben sei wegen »assault« (gewalttätiger Angriff).

Auf diese Barbarei antwortete die W. S. P. U. nur mit neuen Taten und neuen Opfern: während der ersten drei Tage der Zwangsernährung waren 1200 £ (24 000 Mk.) gesammelt worden. Bei der großen Demonstration in Albert Hall am 7. Oktober weitere 2300 £ (46 000 Mk.), und da der Kriegsfonds von 50 000 £ zusammengekommen, begann die Sammlung zu einem 100 000 £-Fonds (2 Millionen Mark). An jenem Abend nahm Mrs. Pankhurst von ihren Getreuen für einige Zeit Abschied (eine Vortragstour rief sie nach den Vereinigten Staaten). Alle Frauen, die den Hungerstrike durchgemacht, saßen oben auf der Tribüne und erhielten ein Erinnerungszeichen an ihre Gefangenschaft.

Die Not der Kameraden in den englischen Gefängnissen ließ immer mehr gebildete Frauen, die ein bequemes Leben führten, zu Kämpfern werden. Mary Gawthorpe und die beiden Akademikerinnen Rona Robinson (Master of Science) und Dora Marsden (Bachelor of Arts) erinnerten Lord Morley, den Kanzler der Universität Manchester: »My Lord, our women are in prison,« und wurden von Studenten und Polizei brutalisiert (4. 10. 1909). The Suffragette, S. 446. Am 9. Oktober 1909 wurden Mrs. Brailsford (die Frau des früheren Redakteurs der Daily News) und Lady Constance Lytton (Tochter und Schwester eines englischen Pairs) in Newcastle arretiert. Weil man eine Frau des Volkes, Mrs. Leigh, im Gefängnis durch wochenlange Zwangsernährung marterte, war die Frau von Adel bereit, das gleiche Schicksal zu erdulden. Minister Lloyd George, der sich »der Sohn des Volks« nannte, sprach an jenem Tage (unter üblichem Aufgebot von Polizei und Barrikaden) in Newcastle, da warf Lady Constance Lytton eine Laterne seines (leeren) Automobils ein. Da sie und Mrs. Brailsford einflußreiche »liberale« Frauen, wurden sie, es ließ sich nicht umgehen, wohl zu 1 Monat zweiter Abteilung verurteilt, aber nach 2½ Tag Hungerstrike »aus Gesundheitsrücksichten« entlassen, während 8 Suffragettes, deren Stellung und Einfluß man weniger fürchtete, bis zum Ende ihrer Gefangenschaft zwangsweise ernährt wurden. The Suffragette, S. 447 ff. – Miß E. Wilding Davison, im Manchester Gefängnis, verbarrikadierte, da sie die Qual nicht mehr ertragen konnte, ihre Zellentür, darauf ließ man durch ihr Zellenfenster den eiskalten Strahl der Feuerspritze auf sie los. Hierüber war die öffentliche Meinung so empört, daß selbst der Minister des Innern zugab, man sei zu weit gegangen. S. 454 ff.

In jeder Stadt, in der Minister sprachen, bei jeder Ersatzwahl, waren die Suffragettes. Keine Brutalität der Regierung vermochte, sie ihrer Taktik untreu zu machen. Minister Winston Churchill wurde besonders aufs Korn genommen, weil er erklärte (im Gegensatz zu seinen Worten in Dundee), die Bewegung sei seit 4 Jahren zurückgegangen, und solange die Suffragettetaktik andauere, werde er nichts für die Sache tun. Eine der Frauen, Miß T. Garnet, die er fälschlich beschuldigt, sie habe die Wärterin gebissen, schlug ihn (13. 10. 1909) in Bristol dreimal mit der Reitpeitsche: »Take that in the name of the insulted women of England.« S. 460. – Bei diesen Unternehmungen riskierten die Frauen oft ihr Leben. S. 463.

Am 1. Dezember kam im Divisional Court, London, die Frage nach dem Recht der Petition zur Entscheidung. Siehe S. 55. Lord Robert Cecil führte die Sache für Mrs. Pankhurst und Mrs. Haverfield: der Ausdruck »to deliver a petition« (eine Petition überreichen), gebraucht bei der Verhandlung gegen die 7 Bischöfe (1688), Verhandlung, die sie freisprach, habe den klaren Sinn persönlicher Übergabe; deshalb sei der Fall vom 29. und 30. Juni 1909 gleich dem der 7 Bischöfe zu behandeln, die beiden Frauen hätten ihr verfassungsmäßiges Recht gefordert. So lange sie ohne Wahlrecht, stände ihnen kein anderes zur Verfügung. Der Richter aber entschied: die beiden Frauen hätten nicht nur eine Petition überreichen, sondern als Deputation empfangen werden wollen; hätten dadurch Verkehrsstörung bewirkt und wären rechtmäßig arretirt worden. Ihr Appell wurde abgewiesen und damit das alte Recht der Petition vernichtet. The Suffragette, S. 467 ff. Die Geldstrafe, die beiden Beklagten auferlegt, sollte erhoben oder sie eingekerkert werden. Für beide wurde sie von Ungenannt gezahlt. – Die Verfolgung der 94 anderen Beklagten vom 29. 6. ließ die Regierung fallen.

Am 9. Dezember 1909 begann die Verhandlung gegen den Minister des Innern, den Direktor und Doktor von Birmingham Prison, um zu entscheiden, ob die künstliche Ernährung zurechnungsfähiger Gefangener gesetzlich oder ungesetzlich sei. Der Fall kam vor die Geschworenen. Die Verteidigung stellte fest, daß eine Gefängnisregel über diesen Punkt nicht bestände, daß Mrs. Leigh zwei Monate lang so ernährt, dann in sehr schlechter Gesundheit plötzlich (sie war zu vier Monaten verurteilt) entlassen worden. Vier der ärztlichen Zeugen der Verteidigung verurteilten die Anwendung der Zwangsernährung als gefährlich, einer nannte sie »eine durchschnittlich einfache Operation«. Der Richter erklärte, der Gefängnisarzt dürfe den Gefangenen nicht Selbstmord begehen lassen, ob er in diesem Falle die richtigen Schritte dazu getan, habe er nicht zu unterscheiden. Da er in seiner Schlußrede den Geschworenen aber darlegte, sie hätten zu verurteilen, entschieden sie gegen Mrs. Leigh. Siehe The Suffragette, S. 472 f.

Hingegen gewann (19. 1. 1910) Miß Davison ihren Prozeß gegen die Gefängnisleitung in Manchester, die ihre Zelle hatte unter Wasser setzen lassen. S. 478.

Über das ganze Land war der Kampf entfesselt: überall Polizeiaufgebote, Barrikaden, eine Art kleiner Belagerungszustand, Premierminister und Minister vor den Suffragettes fliehend, überall Proteste, von Frauen und Männern, die aufs roheste, ja mit wilder Rachsucht behandelt, eingekerkert, zwangsweise ernährt, mit Handschellen gefesselt, in Strafzellen gesteckt wurden. Man glaubte, im tiefsten Mittelalter zu sein. War denn keine Versöhnung möglich? Konnte den Frauen ihr Recht nicht werden?

Die Legislaturperiode war zu Ende. Neuwahlen fanden im Januar 1910 statt. Die W. S. P. U. war in vierzig Wahlkreisen an der Arbeit, sie trug das ihre dazu bei, den Liberalen achtzehn Sitze zu rauben und ihre frühere Mehrheit so zu verringern, daß sie jetzt auf die Hilfe der Irländer und der Sozialisten angewiesen waren, um weiter zu herrschen. Da riet man der W. S. P. U. das Kriegsbeil zu begraben: die Regierung habe die Macht und Popularität der Suffragettes deutlich genug gefühlt, sie sei geneigt, einzulenken, wolle aber nicht der Gewalt zu weichen scheinen. S. 488 ff. – Am 14. Februar 1910 verkündete die W. S. P. U. daher einen Waffenstillstand. S. 489 ff. Sie wußte, daß eine Conciliation Bill (Versöhnungsbill, ein Kompromißentwurf) in Vorbereitung war. Durch Mr. Brailsford war ein »Conciliation Committee« im Parlament gebildet, bestehend aus 25 Liberalen, 17 Konservativen, 6 Irländern, 6 Sozialisten. Vorsitzender Lord Lytton, Lady Constance Lyttons Bruder, Schriftführer Mr. Brailsford. Die Stimmrechtlerinnen hatten bisher stets verlangt: Gleiches Stimmrecht für beide Geschlechter. Da die Conciliationbill ein Kompromiß, waren sie gezwungen, diesen Grundsatz aufzugeben, um des, wie sie nun hoffen durften, raschen praktischen Erfolgs willen. Die Konservativen nämlich forderten eine »gemäßigte« Bill, die Liberalen eine »demokratische«. Die Frauen bezahlten wieder die Kosten. Denn die Liberalen, diese eigentümlichen »Demokraten«, die gegen Frauen, die ihr politisches Recht forderten, barbarische Gewalt brauchten, fanden das bestehende Parlamentswahlrecht undemokratisch, weil es z. B. die akademische Qualifikation zuließ. So einigte man sich dahin: die Bill sollte den Frauen das politische Wahlrecht geben, die schon Kommunalwähler wären, d. h. den householders und den occupiers; erstere brauchen nur einen Raum selbstständig zu bewohnen, letztere Geschäftsräume innehaben, die jährlich 10 £ (200 Mark) Miete kosten. Man schätzte, daß 80 Prozent der wahlberechtigten Frauen erwerbende Frauen und überhaupt nur eine Million Frauen derart politische Wähler sein würden. – Da die Bill den alten Grundsatz der Gleichheit der Geschlechter verletzte, begegnete sie bei Suffragists und Suffragettes zuerst lebhaftem Tadel, fand aber zuletzt die Unterstützung aller Richtungen, unter der Bedingung, daß sie in dieser Session Gesetz würde. Am 18. Juni 1910 unterstützte eine Demonstration der W. S. P. U., Demonstration von unerreichter Größe und Schönheit, diese Forderung. 617 mal waren Frauen für ihre Sache im Gefängnis gewesen, und 617 Frauen in weißen Kleidern mit den Farben, der Union zogen dem Hauptzug voran, jede einen silbernen Stab mit breitem Pfeil haltend, der Pfeil war das eingewirkte Zeichen der Gefängniskleidung von Holloway.

Der Ministerpräsident erklärte darauf, die II. Lesung der Bill fördern zu wollen (to give facilities for the II reading). Doch konnte das Datum, 11. und 12. Juli 1910, nur durch Drohung, die Suffragettes würden sonst wieder vorgehen, errungen werden. – Dies machte die W. S. P. U. schon sehr skeptisch. Das Kabinet selbst war betreffs des Frauenstimmrechts uneinig: die Gegner, unter Führung des Ministerpräsidenten, gaben den Ton an, und die angeblichen Freunde ließen jede Gewalttat geschehen. Mr. Churchill, der als »Freund« galt, ritt am 12. Juli eine scharfe Attacke auf die Conciliationbill: den besitzenden Frauen, denen die Bill das Wahlrecht entzog, um »demokratisch« zu sein, wollte er nun gerade das Wahlrecht geben, »damit der Wahlkörper nicht ungeheuer vergrößert würde.« Denn das Parlament war durch den Konflikt mit dem Oberhaus in seiner anderen Arbeit behindert. Mr. Asquith sprach gegen die Bill, der »Freund«, Mr. Lloyd George, desgleichen: die Bill sei das Werk eines Komitees von Frauen, außerhalb des Parlaments, die damit ihren Willen zu diktieren glaubten, kein Parlament, das auf sich hielte, könne sie annehmen. – Nach 39 Reden für und gegen wurde die Bill in II. Lesung mit 299:190 Stimmen angenommen, einer Mehrheit von 109 Stimmen, größer als die Majoritäten der Liberalen beim Budget, bei der Parliament Bill gegen das Oberhaus. Eine zweite Abstimmung überwies die Bill aber nicht einer der ständigen Parlamentskommissionen, sondern, auf Mr. Asquith' Wunsch, dem ganzen Haus, als Kommission betrachtet. (320:175). Wenn die Regierung wollte, konnte sie nun die wenigen Tage freigeben Denn das Parlament war durch den Konflikt mit dem Oberhaus in seiner anderen Arbeit behindert. die zur Annahme der Bill in III. Lesung nötig waren. S. 493 ff. Suffragists und Suffragettes organisierten daher im Verein mit der Men's Political Union for Women's Suffrage, der Men's League for Women's Suffrage, und dem Conciliation Committee eine Reihe großer und imposanter öffentlicher Versammlungen und Umzüge, als am 23. Juli 1910 Mr. Asquith Lord Lytton mitteilte, es sei in der Sommersession keine Aussicht für die III. Lesung. Die Gutgläubigen hofften nun auf den Herbst, um so mehr als eine Reihe von Stadtverwaltungen (Manchester, Liverpool, Glasgow, Dublin und 34 andere) die Regierung ersucht hatten, die Bill zur Annahme zu bringen. Das Ministerium aber lehnte jede feste Zusage ab. »Wait and see« (abwarten) sagte Mr. Asquith am 27. 10. 1910. S. 500. Der Waffenstillstand war zum Ausbau der Organisation benützt. Es waren 1909 20 000 Versammlungen im ganzen Lande gehalten. Am Jahresschluß von 1910 besaß die W. S. P. U. 105 Ortsgruppen; die Einnahmen des Hauptvereins in London betrugen 34 500 Pfund (690 000 Mk.). Das Bureau in Clement's Inn nahm 23 Räume ein. Ein Laden und 13 Räume gehörten der Woman's Preß (Frauenpresse, Verlag der W. S. P. U.) mit 9000 £ (180 000 Mk.) Jahreseinnahme. Die W. S. P. U. hatte einen Stab von 110 besoldeten Arbeitskräften. Der Zweimillionenfonds war zusammengebracht. Deshalb erklärte die W. S. P. U. am 10. November 1910 in Albert Hall wieder den Krieg. 9000 £ (180 000 M.) wurden gesammelt, hunderte von Frauen meldeten sich zur Teilnahme an der Deputation, die unter Mrs. Pankhursts Führung am 18. November das X. Frauenparlament verließ. In Gruppen von weniger als zwölf begaben 450 Suffragettes sich zum Parlament. Die erste Gruppe (Mrs. Pankhurst, Dr. Garrett Anderson, Gründer der Frauenuniversität Girton, eine der ersten englischen Ärztinnen und Exbürgermeister von Aldeburgh, Mrs. Ayrton, eine anerkannte Frau der Wissenschaft, Mrs. Cobden Saunderson, die Generalin Brackenbury, zumeist würdige alte Frauen über 70 Jahre) wurde bis vor die Tür, aber nicht eingelassen. – Die übrigen Gruppen schlug die Polizei wütend hin und her, 150 Frauen wurden verhaftet. Die Polizei und organisierte Banden von Rowdies gingen mit einer ganz beispiellosen Roheit vor (wie man später erfuhr, waren auch Polizisten der äußeren Londoner Distrikte herangezogen). Die Frauen wurden mit der Faust zu Boden geschlagen, an die Geländer und Mauern gedrängt, an beiden Armen gehalten, von der Polizei beschimpft, gepackt und wie Bälle in die teils freundliche, teils feindliche Menge zurückgeworfen. Sechs Stunden dauerte der Kampf gegen die Fäuste der Männer, die Hufe der Pferde. Dieser Tag, Freitag der 18. November 1910, wird »Black Friday« (der schwarze Freitag The Suffragette, S. 502. Die Deputation stand von ½2 bis ½4 Uhr vor dem St. Stephens Eingang, dann wurden drei Frauen eingelassen und Mr. Asquith' Sekretär teilte ihnen mit, der Premierminister könne sie nicht empfangen. – Die W. S. P. U. gab in Votes for Women (25. 11. 1910) einen kühlen, sachlichen Bericht der Vorgänge. Einen Begriff der oft schamlosen Gewalttat, die an vielen Frauen verübt, gab erst das amerikanische Woman's Journal vom 10. 12. 1910 und die Januarnummern 1911. Die Frauen halfen einander mit höchster Ritterlichkeit, keine verließ die andere. Ebenso halfen Männer und Frauen aus der Menge. Viele wurden dadurch Anhänger des Stimmrechts. Andererseits brachen aber auch alle rohen und gemeinen Triebe der Männer durch.) genannt.

Keine Zeit für die Frauenstimmrechtsbill.
Parlamentsbericht: »Das Haus halbleer und alles verschlafen.«
Aus Votes for Women.

Während dieser Szenen erhielt Mr. Keir Hardie, der im Parlament Förderung der Conciliation Bill verlangt hatte, die Antwort: »Ist die Regierung noch am Ruder, so wird sie im nächsten Parlament die nötigen Erleichterungen geben, damit eine Bill, die ein Frauenstimmrechtsamendement zuläßt, tatsächlich durchgeht.« Das Versprechen lautete jedoch nicht für das erste Jahr des neuen Parlaments The Suffragette, S. 503.( 1911). Die W. S. P. U. fragte sich, was dieser Orakelspruch besage. – Neuwahlen standen bevor (das Parlament hatte ein Jahr getagt, sollte aber aufgelöst und neugewählt werden, um den Wählern zu gestatten, sich über die Verkürzung der Vorrechte des Oberhauses zu äußern), ein neues Parlament trat also zusammen. Von der Conciliation Bill, nach der man ihn gefragt, sagte Mr. Asquith nichts, aber er kündete eine neue Bill an, die den Frauen von vornherein nichts geben, jedoch ein Private Member's Amendement zulassen werde, freilich nicht im ersten Jahre der neuen Legislaturperiode. Also wieder eine Zusage aus dem alten offiziellen Gallert. – Was blieb da, als loszuschlagen. Die W. S. P. U. sandte nun drei Tage lang Deputationen nach Downing Street, hunderte von Frauen wurden dabei arretiert, 75 zu 2-4 Wochen verurteilt. Durch den Hungerstreik hatten sie eine bessere Behandlung im Gefängnis erreicht: eigene Kleidung und Nahrung, gemeinsame Bewegung im Freien, dabei Unterhaltung, Annahme von Sendungen (Blumen, Früchte) erlaubt. Die meisten der am 18.11. Verhafteten waren auf Geheiß des Ministers Churchill, jetzt Minister des Innern, entlassen, der sonst behauptete, er habe keinen Einfluß auf die Richter. Aber während der Wahlen Suffragettes gefangen halten, erschien ihm schlechte Wahltaktik. Die Wahlen begannen am 3. Dezember 1910. Die Regierung hatte fast die gleiche Mehrheit wie 1909, war also weiter auf Unterstützung der Irländer und Sozialisten angewiesen. Wo die W. S. P. U. ihre Kraft einsetzte, wurden die Liberalen geschlagen oder ihre Majoritäten geschmälert. Die Liberalen Frauen verweigerten z. T. die Wahlhilfe. Votes for Women, 16. 12. 1910. Die Thronrede vom 6. Februar 1911 schwieg jedoch wiederum vom Frauenstimmrecht, hingegen sollte das Parlament beraten: die Parlamentsbill (Verringerung der Vorrechte des »undemokratischen« Oberhauses, House of Lords), Novelle zur Altersversicherung, Reichskrankenversicherung, Diäten für die Parlamentarier. Mr. Asquith erklärte außerdem, vor Ostern keine Zeit für die Conciliation Bill (die wieder eingebracht war) zu haben. Votes for Women, 29. 12. 1911.

Anfang Januar begann Sylvia Pankhurst eine Vortragsreise in Amerika, wo ihre Mutter schon die größte Sympathie gewonnen. Fast gleichzeitig starben zwei der am 18. November mißhandelten und dann zu Gefängnis verurteilten Frauen, Mrs. Clarke und Henria Williams. Votes for Women, 6. 1. 1911. Erstere war Mrs. Pankhurst's Schwester.

Gleich nach dem Zusammentritt des neuen Parlaments hatte das Conciliation Committee unter Vorsitz von Lord Lytton Siehe Lady Lyttons Erfahrungen im Gefängnis, S. 10. eine amtliche Untersuchung der Vorgänge des Black Friday verlangt, gestützt auf eine Denkschrift, die die Aussagen von 100 Frauen enthielt. Mr. Churchill (März 1911) verteidigte die Polizei, erklärte, er habe ihr keine Befehle gegeben, dann, sie haben seine Befehle mißverstanden, die vorgebrachten Beweise wies er ab, sie entstammten dem »reichen Lügenborn«, der W. S. P. U. (that copious fountain of mendacity, the W. S. P. U.). Votes for Women, 29. 12. 1911. Mr. Churchill war Mr. Herbert Gladstones Nachfolger als Minister des Innern. Er gewährte Gefangenen, die keiner sittlich tadelnswerten Handlungen schuldig, gewisse Vergünstigungen, entzog ihnen aber dafür die Verkürzung der Strafzeit.

Die W. S. P. U. beschloß nun der Regierung, welche die Frauen weiter als politische Null behandelte, die Macht organisierten Handelns zu zeigen: sie forderte daher zur Enthaltung von der Volkszählung am 2. April auf (Census Protest). Der Schritt wurde durch Versammlungen, Artikel, gedruckte Anleitung gründlich vorbereitet. Votes for Women, 3. und 24. 3. 1911. Es war ein neues Mittel derer, die im Staat nicht zählten, zu protestieren. Die amtliche Statistik wurde dadurch ganz wertlos, und die Berechnungen für die Krankenversicherung (die die Frauen benachteiligte) hinfällig. Stand Gefängnis auf dem Widerstand – nun, die Suffragettes kannten den Weg und fanden jetzt »the only place of a selfrespecting woman is in prison«. Denen, die ihre Freiheit nicht opfern konnten, gab die Entsagungswoche (9.-16.3.1911) Gelegenheit zu anderen Opfern. – Der Census Protest gelang: die einen gaben die Formulare unausgefüllt zurück, die anderen verbrachten die Nacht an Orten, wo sie der Zählung entgingen (ein großes Fest der W. S. P. U. z. B. fand in the Aldwych Skating Rink statt). Die Volkszählungstriker waren so zahlreich, daß der zuständige Minister (John Burns) erklärte, gnädig und großmütig die strafrechtliche Verfolgung zu unterlassen. Die W. S. P. U. wußte, diese Gnade und Großmut (mercy and magnanimity) sei Unfähigkeit, wirksam vorzugehen und der Wunsch, die große Zahl der Striker zu verschweigen. Der Zweck aber war erreicht: es gab nun keine »wissenschaftliche« Basis mehr für weitere Gesetzgebung gegen die Frauen. – Nach diesem Erfolg richtete die Aufmerksamkeit sich auf die II. Lesung der wieder eingebrachten Conciliation Bill. Sie fand am 5. Mai 1911 statt und ging mit 255:88 Stimmen durch, Majorität 167. Um ihre schleunige Annahme in III. Lesung zu sichern, erschien der Lord Mayor von Dublin vor versammeltem Unterhause und überreichte eine Petition der Stadtverwaltung von Dublin um Einführung des Frauenstimmrechts in dieser Session. Votes for Women, 19. 5. 1911. Nur die Lord Mayor von London und Dublin haben das Recht, »at the bar of the House« zu erscheinen, und 23 Jahre war es nicht ausgeübt. Am 29. Mai erklärte aber Mr. Lloyd George, daß eine III. Lesung der Conciliation Bill im Jahre 1911 nicht mehr stattfinden könne; die Regierung sei jedoch bereit, 1912 eine Woche für die Diskussion festzusetzen. Ein Versprechen, daß die Diskussion zu einer Abstimmung führen werde (III. Lesung der Conciliation Bill), war nicht zu erreichen. Das Conciliation Committee, mit dieser Erklärung ebenso unzufrieden wie die W. S. P. U., richtete daher ein Schreiben an Mr. Asquith, Förderung der Bill im Laufe des Jahres 1911 erbittend.

Inzwischen war ein Krankenkassenentwurf erschienen und machte den Frauen noch klarer, wie dringend sie das Wahlrecht brauchten, um die drohenden Benachteiligungen abwenden zu können: Votes for Women, 2., 16., 23.6., 21. 7. 1911 und S. 17. Hausfrauen überhaupt nicht versichert; Verlust der obligatorischen Beiträge bei Heirat, keine Weiterversicherung gestattet; gleiche Beiträge der Frauen und geringere Bezüge, die Versorgung der Witwen, Waisen und unehlichen Kinder aus den Beiträgen der Frauen. Der Entwurf wurde (Mai 1911) im Parlament von Lord Beresford, Mr. Ramsay Macdonald, Mr. Austen Chamberlain u. a. scharf getadelt, auch betont, die deutsche Krankenversicherung werde den Frauen viel gerechter. – Mr. Bonar Law sprach es aus: ein so ungerechtes Gesetz hätte man weiblichen Wählern nicht zu bieten gewagt.

Diese Vorgänge und die vielen trügerischen Versprechen, die Winkelzüge und Kniffe der Regierung bestimmten die W. S. P. U. dazu, ihr Pulver trocken zu halten. Sie beschloß, durch eine neue große Demonstration den nötigen Druck auszuüben. Der 17. Juni war dazu festgesetzt. Und am 16. Juni schon erschien eine Antwort des Ministerpräsidenten an Lord Lytton: das Jahr 1912 sollte die parlamentarische Frauenstimmrechtsdebatte von einer Woche bringen, mit Abstimmung (closure facilities) und »Erfüllung der Zusage im Geist wie im Buchstaben«. Diese Erklärung wurde am 21. Juni 1911 von Sir Edward Grey, Minister des Äußeren, bestätigt: es sei der Regierung und dem Hause gleich ernst und dieses Anerbieten keinerlei Finte (bogus offer).

Der Sieg schien wiederum nah. Der Riesenzug vom 17. Juni umfaßte alle Stimmrechtsorganisationen, gemäßigte und radikale, Frauen- und Männervereine, alle Berufstände. Da er auch die Krönung des Königspaares feiern sollte, waren auch die englischen Kolonien darin vertreten und eine Anzahl von Königinnen in historischer Tracht. An der Spitze ritt Mrs. Drummond, ein historischer Zug zeigte die Frauen, die einst (bis 1832) in England politische Rechte besaßen. Auch die internationale Stimmrechtsbewegung war vertreten, und so bewegte sich die wohlgeordnete, festlich gekleidete, gut marschierende Frauenmasse (40 000), fünf nebeneinander, durch die Straßen: drei Stunden brauchte der Zug, um in seiner ganzen Länge an einem gegebenen Punkte vorbeizuziehen. Es war der größte Frauenumzug der Welt; es war die verlangte »great popular demand«. Teil nahmen: W. S. P. U. Conservative and Unionist Association. New Constitutional Society, Actresses' Franchise League. Women's Freedom League. National Industrial and Professional Women's Suffrage Society, Lancashire and Cheshire Women Worker's Representation Committee. Manchester Women's Trade Council. Church League for Women's Suffrage. Church Socialist League. Catholic Women's Suffrage Society. National Union of Women's Suffrage Societies. Scottish University Women's Suffrage Union. Cambridge University Men's League. Women Writers' League, Artists Suffrage League, Women's Tax Resistance League, Fabian Women's Group, Order of Universal Co-Freemasonry, Pharmacists, Women Sanitary Inspectors, Nurses, Gardeners, Gymnastic Teachers, Kindergartenteachers, Teachers, Civil Servants, Clerks, Business Women, W. S. P. U. London. Men's Political Union for Women's Enfranchisement, Men's League for Women's Suffrage, Men's Committee for Justice to Women. – Votes for Women, 16. 6. 1911. Die Zuschauer waren »durchweg freundlich, ja begeistert; der Hohn der ersten Zeiten verstummt, auch nicht mehr das Schweigen von vor 1 oder 2 Jahren, überall fröhliche Hochs.« Votes for Women, 23. 6. 1911. Die Sammlung in Albert Hall und in Empreß Rooms ergab 4000 £ (80 000 M.) für den Kriegsschatz.

Die W. S. P. U. ließ sich aber nicht in Sicherheit wiegen: es schwirrten zu viel beunruhigende Gerüchte in der Luft. Wohl hatte Lord Lytton, der Vorsitzende des Conciliation Committee, erklärt (26. 6. 1911), er werde seine ganze Zeit der Conciliation Bill widmen (die ja für 1912 wieder eingebracht werden mußte). Votes for Women, 30. 6. 1911, schildert die sehr mühsame, zeitraubende Prozedur. Wohl hatte Mr. Philip Snowden (3. 7. 1911), Mitglied der Labour Party, erklärt, er sei eigentlich für allgemeines Wahlrecht, das Wahlrecht jedes Mannes und jeder Frau, doch das Parlament sei dafür nicht zu haben (there is no support in Parliament for Adult Suffrage) und die Frauenforderung könne nicht warten (and the Women's claim cannot wait). Votes for Women, 7.7.1911. Aber schon begann Mr. Lloyd George, der Mr. Asquith' Hauptstütze war, die Erschütterung der Zusagen vom 16. und 21. Juni: er riet dem Parlamentarischen Stimmrechtskomitee (liberal), sie sollten 1912 doch eine »weitere Bill« einbringen, was Mr. Asquith dann erlaubt hätte, sein Versprechen zurückzunehmen. Die Frauenstimmrechtsache stand daher auf sehr schwankendem Boden. Die parlamentarischen Aussichten wurden im allgemeinen durch Annahme der Parliament Bill verschlechtert; Die Parliament Bill nahm dem Oberhaus das ungeschriebene Gewohnheitsrecht des Veto (wodurch Gesetze, die das Unterhaus angenommen, hinfällig wurden), gab ihm aber das geschriebene Recht, Gesetze, die im 3. bis 5. Jahre der (5jährigen) Legislaturperiode beraten werden, bis zu den Neuwahlen zurückzustellen. Somit blieben nur 2 Jahre für wirksame Gesetzgebung, die Aussichten der Frauen sanken daher beträchtlich, da für Fraueninteressen ja nie Zeit ist. das Kohlengrubengesetz (Coal Mines Bill) drohte 5000 Kohlensortiererinnen brotlos zu machen, Votes for Women, 11. 8. 1911. das Gesetz über die Diäten der Abgeordneten legte neue Lasten auf die Schultern der recht- und machtlosen Steuerzahlerinnen, Votes for Women, 18.8. 1911. Bild: Ein politischer Taschendieb, Mr. Lloyd George, Finanzminister, nimmt der Frau Geld aus der Tasche und reicht es dem antistimmrechtlerischen Abgeordneten: »Ich weiß, Sie wollen nicht, daß sie für Sie stimmt, sie kann aber für Sie bezahlen.« und die Erbitterung stieg. Am 16. August gab Mr. Lloyd George nun die Versicherung, Mr. Asquith' Zusage beziehe sich auf jede Frauenstimmrechtsbill, d. h. es konnte nun irgend eine Phantasiebill, mit ganz unmöglichen Forderungen, eingebracht und die zugesagte Diskussionswoche i. J. 1912 darauf verschwendet werden. Dagegen erhob sich das Conciliation Commitee und erhielt einen Brief von Mr. Asquith (23 8.1911): sein Versprechen gelte nur der Conciliation Bill.

Die schleunige Annahme der Conciliation Bill forderten auch mehr als 100 Stadtvertretungen (darunter Manchester, Liverpool, Edinburg, Dublin). Aber schon erfolgte ein neuer Schachzug: 124 Abgeordnete, Gegner des Frauenstimmrechts, sandten der Regierung eine Denkschrift: ehe sie entscheidende Schritte tue, solle sie ein Referendum, eine Volksabstimmung über das Frauenstimmrecht in Szene setzen. Nun ist das Referendum dem englischen Parlamentarismus ganz fremd; die Unionisten wünschen seine Einführung und gehörten zu den 124 Unterzeichnern, es waren aber auch 22 Liberale – sonst Gegner des Referendums – darunter, ebenso 5 Irländer. Die W. S. P. U. sagte darauf: die Liberalen sind geschworene Gegner des Referendum; wollen sie es auf uns anwenden, so müssen sie es z. B. auch auf die Home rule Bill anwenden. Mr. Lloyd George hat das Referendum eine »kostspielige Methode, Gerechtigkeit zu verweigern«, genannt. Deshalb wünschen unsere Gegner wohl, sie auf uns anzuwenden. Votes for Women, 25. 8. 1911.

Eine praktische Lehre zogen die Suffragettes aus dem Eisenbahnerstreik des Sommers 1911: Die Männer, die doch Wähler, also fähig, auf friedlichem Wege bessere Arbeitsbedingungen zu erringen, brauchten schwere Gewalt, erschütterten das ganze Land, brachten es an den Rand des Bürgerkriegs. Der Streik kostete Millionen, große Entbehrungen, ja Menschenleben. Und sobald die Streiker Ernst machten, war die Regierung bereit, zu vermitteln. Kämpfend erreichten sie alles: »Militancy gives bargaining power.« (Wehrhaftigkeit gibt Kaufkraft.) Votes for Women, 25. 8. 1911.

Da die Regierung jetzt immerhin eine bindende Zusage gegeben, war bei den Ersatzwahlen wieder Waffenstillstand eingetreten. Doch stellten die Suffragettes nicht ihre »tax resistance« ein. So bezeichnet man die Steuerverweigerung der Frauen, die erklären: verfassungsmäßiger Grundsatz ist: no taxation without representation (keine Besteuerung ohne Vertretung). Die Regierung (Inland Revenue Department) drohte mit sofortiger Verhaftung, führte aber die Drohung nicht aus, sie drohte mit Beschlagnahme, schob sie aber möglichst hinaus. Fand eine Zwangsversteigerung statt, so diente sie den Frauen als Anlaß einer öffentlichen Demonstration. Diese wird organisiert von der Women's Tax Resistance League. Votes for Women, 11. 8. 1911, 24. 3. 1911. Am 29. September 1911 wurde so Miß Clemence Housman (die Schwester des Kunstkritikers Housman, der gleichzeitig eine der besten Frauenstimmenrechtsfedern führt) nach einem Briefwechsel (Juli – September) mit der Steuerbehörde verhaftet und nach Holloway überführt. Da das Gesetz keine Zeitgrenze solcher Haft festsetzt, war man gespannt, wie lange Miß Housman zu »sitzen« habe. Nach acht Tagen war sie frei. Denn die Regierung muß die Kosten des Unterhalts zahlen. Die Regierung machte bei diesem Widerstand ein sehr schlechtes Geschäft: sie trägt alle Kosten und erhält keine Steuern. – Am 13. Oktober zeigten sich die ersten Anzeichen des nahenden Sturmes. Die irische Home rule Bill (Selbstverwaltung Irlands) stand in Aussicht, und die Irish Women's Franchise League faßte eine Resolution, die Einführung der gleichen politischen Rechte für die Frauen fordernd. Eine offiziöse Antwort erschien in der Daily News: die Bill werde voraussichtlich das allgemeine Männerstimmrecht fordern, Berücksichtigung der Frauen sei sehr unwahrscheinlich. – Die W. S. P. U. sah nun, was zu erwarten war. Nach dem Zusammentritt des Parlaments, am 7. November 1911, führte die Regierung den Schlag gegen die Stimmenrechtlerinnen: Mr. Asquith erklärte, die Regierung werde im Jahre 1912 eine allgemeine Männerstimmrechtsbill ein- und sogleich zur Annahme bringen, ein Antrag auf Frauenstimmrecht könne dazu von einem Private Member gestellt werden. – Der eigentliche Vater dieser Vorlage war Mr. Lloyd George, der angebliche Frauenstimmrechtsfreund, der sich dann auch rühmte, »to have torpedoed the Conciliation Bill« (die C. B. zerstört zu haben). Die war nun freilich »fertig«. Als eine Bill, die von allen Parteien unterstützt wurde, hätte sie diesmal wohl Aussicht auf III. Lesung und Annahme gehabt. Wurde aber das allgemeine Männerwahlrecht gefordert, so mußten die Frauen grundsätzlich das allgemeine Frauenwahlrecht fordern. Mr. Lloyd George wußte ganz genau, daß dies eine Parteiforderung war, die die Frauenstimmrechtler im Parlament entzweien und jedes Amendement für Frauenstimmrecht hinfällig machen würde. Selbst wenn die Conciliation Bill durchging, war sie, die eine Million Frauen befreite, durch das Wahlrecht von vier Millionen Männern stark entwertet. Vor allem aber – die Männer hatten gar keine Erweiterung des Wahlrechts verlangt, das Parlament sie gar nicht gefordert, es war absolut keine »great popular demand« hinter dieser Manhood Suffrage Bill, aber die liberale Regierung war entschlossen, »demokratisch« zu sein, »liberal« gegen alle, außer den Frauen, »demokratisch« gegen ein »Volk«, das nur aus Männern bestand.

Die W. S. P. U. schrieb sofort an Mr. Asquith, sie habe beschlossen, ihm und Mr. Lloyd George am 21. November eine Deputation zu schicken, welche Zurückziehung der Manhood Suffrage Bill und Einbringung eines Regierungsentwurfs, der Männern und Frauen politische Gleichberechtigung gebe, fordern werde. Zum ersten Male seit er Ministerpräsident, antwortete Mr. Asquith bejahend: er habe bereits versprochen, am 12. November mehrere Frauenrechtsdeputationen zu empfangen, die W. S. P. U. möge sich auch dabei vertreten lassen. – Am Vorabend (16. 11. 1911) hielt die W. S. P. U. eine Versammlung in der Albert Hall, faßte eine Resolution in obigem Sinne und sammelte 4000 £ (80 000 Mk.) für den Kriegsschatz. Am 17. November vertraten Mrs. Pethick Lawrence und Christabel Pankhurst die Resolution. Da Mr. Asquith bei seiner ursprünglichen Erklärung blieb, beschloß die W. S. P. U. ihrerseits einen Schritt weiter zu gehen. Sie rief ihre Getreuen am 21. November nach Caxton Hall »zu den Waffen« (a call to arms). Die XI. Deputation begab sich unter Mrs. Pethick Lawrence's Führung vor das Parlament, wo sie, wie üblich, durch Polizeikordon aufgehalten wurde und sich durchzukämpfen suchte. Gleichzeitig zerbrachen hunderte von Frauen mit Steinen und Hämmern die Fenster von Ministerien und benachbarten Geschäften. Zum ersten Male seit 1905 griffen die Frauen zu einer Gewalt, die anderen schadete, bis dahin hatten sie Gewalt erduldet. Aber »die Verweigerung der Gerechtigkeit hat ihre unausbleibliche Folge gehabt, Empörung. Geduld, Diskussion, Kompromiß, alles haben die Frauen versucht, und alles hat versagt. Der Forderung nach Stimmrecht für Frauen antwortet die Regierung mit mehr Stimmrecht für Männer. Das ist eine Beleidigung. Da die Regierung für Ehre und Gerechtigkeit taub, müssen schärfere Mittel ergriffen werden, wer nicht hören will, muß fühlen.« Votes for Women, 24. 11. 1911. Die Schaufenster wurden gewählt, weil die Geschäftsinhaber Wähler sind, die die Regierung beeinflussen können. – Das Fenstereinwerfen war 1832 von den um Wahlrecht kämpfenden Männern angewendet und ein historisches Schulbeispiel. 220 Frauen und 3 Männer wurden verhaftet, 114 der Sachbeschädigung angeklagt, die übrigen anderer Vergehen. Sie wurden zu fünf Tagen bis zwei Monaten Gefängnis verurteilt; 21 Frauen, die für über 5 £ (100 Mk.) Fensterscheiben zerschlagen hatten, kamen vor die Geschworenen, zwei wurden freigesprochen, 19 zu zwei Monaten verurteilt.

In allen Versammlungen, in denen Minister sprachen, wurden sie fortwährend, teils von Frauen, teils von Männern, unterbrochen. Am 29. November 1911, im City Temple, London, mußte Mr. Asquith das Feld räumen. Votes for Women, 8. 12. 1911. Die Public Meeting Bill blieb unangewendet. Daneben fand die W. S. P. U. noch Zeit und Kräfte, um einen wohlgelungenen Basar zu veranstalten (erste Dezemberwoche, Portman Rooms), 7000 Besucher kamen, der Reingewinn betrug 3500 £ (70 000 M.).

Im Laufe des Monats wurde der Zwiespalt des Kabinetts, das Frauenstimmrecht betreffend, immer deutlicher. Am 14. Dezember empfing Mr. Asquith eine Deputation von Antistimmrechtlern, denen er sagte, persönlich halte er das Frauenstimmrecht für »einen sehr verhängnisvollen politischen Fehler« (a political mistake of a very disastrous kind); als Ministerpräsident aber habe er sich mit seinen Kollegen über ein bestimmtes Vorgehen geeinigt und werde loyal daran festhalten. Votes for Women, 29. 12. 1911. Am 16. Dezember erklärten Sir Edward Grey und Mr. Lloyd George wieder ihre Sympathie, gaben jedoch keine praktischen Mittel der Durchführung an. Ein ähnlich zwiespältiges Kabinett hätte in jedem anderen Falle längst abtreten müssen. Auch die liberale Partei bildete in dieser Frage drei verschiedene Gruppen. Votes for Women, 22. 12. 1911. Diese Widersprüche, dieser Hohn ließen die W. S. P. U. ein Wort wiederholen, das Mrs. Pankhurst 1908 gesprochen: fahre die Regierung mit solcher Schikane fort, so werde die Empörung vieler Männer und Frauen sich durch die Führer nicht mehr zügeln lassen. Mr. Lloyd George, dessen Unaufrichtigkeit wohl am meisten empörte, wurde am 16. 12. 1911 von einem jungen Mann angefallen.

Die politischen Möglichkeiten waren nun: die Stimmrechtsgegner geben nach; die Stimmrechtsfreunde geben nach; keiner gibt nach und – das Kabinett fällt über die Frage; endlich das Parlament wird aufgelöst. Auf alles antwortete die W. S. P. U. nur: Be ready! (seid bereit.) Die Presse (auch die liberale) erklärte die Haltung des Kabinetts für unlogisch und unhaltbar. Die Minister äußerten sich während der nächsten Wochen sehr verschiedenartig, und die Stimmrechtlerinnen erwarteten die Regierungsvorlage des Manhood Suffrage.

Am 14.Februar 1912 erwähnte die Thronrede »Anträge, eine Wahlreform betreffend«. Da Mr. Asquith erklärt, nur die Männer zu berücksichtigen, blieb das Tor der Freiheit den Frauen also weiter verschlossen. Mrs. Pankhurst's Botschaft aber lautete nun: »Ich fordere die Frauen auf, sich gegen weiteren Verrat der Regierung in Empörung zu erheben. Sind die Frauen tapfer und einig, so kann nichts sie brechen. Ist das Wahlrecht wert, daß man es besitzt, so ist es auch wert, daß man dafür kämpft.« Ein Aufruf: Come! erging am 16. Februar 1912 in Votes for Women an die Frauen. Am 4. März sollte die große Demonstration stattfinden.

Die uneinigen Zwillinge.
Mr. Lloyd George: »Stimmrecht für Frauen. Hören Sie nicht auf meinen verehrten Kollegen.«
Mr. Harcourt: »Kein Stimmrecht für Frauen. Mein verehrter Kollege redet Unsinn.«
Aus Votes for Women.

Es war ganz klar: alles drängte zu einer Krisis. Der letzte Tropfen, der das Maß zum Überfließen brachte, wurde von dem Minister Hobhouse hinzugefügt, der am 16. Februar erklärte, die Frauenstimmrechtsbewegung sei nicht ernst zu nehmen, denn sie habe noch keine große Gewalttat gezeitigt, wie z. B. den Brand von Nottingham Castle, bei der Wahlrechtsbewegung von 1832.

Schon am 1. März 1912 begaben Mrs. Pankhurst und Mrs. Tuke sich nach Downing Street und warfen mit ruhiger Überlegung dem Ministerpräsidenten und anderen Ministern Fenster ein. Auch wurden von anderen Frauen Schaufenster eingeschlagen. Die Polizei verhaftete dementsprechend. Am 4. März wurde dann der wohlorganisierte Hauptschlag ausgeführt: hunderte von Frauen, teils mit Hämmern, teils mit Steinen bewaffnet, zertrümmerten zwischen ¾6 und ¼7 Uhr abends für 100 000 M. Schaufenster in City und Westend. Alles geschah überlegt, schnell, ruhig. Die Polizei verhaftete, Publikum und Geschäftsinhaber waren teils außer sich, teils verblüfft; die Glaser machten gute, die Versicherungsgesellschaften schlechte Geschäfte. Eine Welle wütender Empörung und glühender Sympathie ergoß sich über England. Votes for Women, 8. 3. 1912. Am 1. und 4. März waren über 200 Frauen verhaftet; sie wurden, wenn der angerichtete Schaden unter 5 £ war, von dem Polizeigericht zu 1 bis 6 Monaten Gefängnis verurteilt; war der Schaden über 5 £, so urteilten die Geschworenen darüber und diktierten gleichfalls 1 bis 6 Monate. Beide Kategorien erhielten z. T. noch »hard labour« (Zwangsarbeit). Ein kleiner Teil der erstmalig Verhafteten, die durch Gefangenschaft ihr oder der Ihren Brot riskierten, zahlten Geldstrafen oder versprachen Enthaltung von weiteren Feindseligkeiten. Eine Anzahl Suffragettes, die sonst mit ihren Angehörigen hätten brechen müssen, demonstrierten unter falschem Namen. Votes for Women, 8., 15., 22., 29. 3.; 5. 4. 1912. Siehe auch Schirmacher: Sind das noch Damen? München, Reichardt, 1912.

Um die Bewegung ins Herz zu treffen, ließ die Regierung am Tage nach der Demonstration, am 5. März 1912, die Herausgeber von Votes for Women, Mr. und Mrs. Pethick Lawrence, in Clement's Inn verhaften. Christabel Pankhurst entging ihnen, ist bisher auch nicht aufgefunden; niemand verrät sie. – Die Anklage gegen Mr. und Mrs. Pethick Lawrence, sowie gegen Christabel Pankhurst, ihre Mutter und Mrs. Tuke lautete auf Verschwörung (conspiracy), zum Zwecke böswilliger Sachbeschädigung, zufolge dem Malicious damage to property act von 1861 (Gesetz über böswillige Eigentumsbeschädigung). Die Regierung erwog sogar, ob sie nicht die Fonds der W. S. P. U. beschlagnahmen könne; es unterblieb – aus Rücksicht auf die Fonds der Gewerkschaften. Nachdem die Angeklagten drei Wochen, voneinander getrennt, in sehr harter und unfreundlicher Untersuchungshaft gehalten (schlechte Zellen, kein freier Verkehr miteinander, noch mit Anwalt oder Privatsekretär), wurden sie Ende März gegen hohe Kaution freigelassen, um ihre Verteidigung vorzubereiten. Die Verhandlungen fanden vom 15. bis 22. Mai 1912 im Central Criminal Court, London, statt. Mr. Pethick Lawrence und Mrs. Pankhurst führten ihre Sache selbst, Mrs. Pethick Lawrence wurde von dem Anwalt und irischen Abgeordneten Mr. Tim Healy verteidigt. Die Anklage legte die organisierte Verschwörung des 21. November 1911, des 1. und 4. März 1912 dar, ließ sich auf die politischen Beweggründe gar nicht ein, sondern forderte die Geschworenen auf, nur die Schuldfrage in der vorliegenden Sachbeschädigung zu betrachten. Die drei Angeklagten, sowie die vorher abgeurteilten Suffragettes erklärten bei den Verhören: Votes for Women, 17. und 24. 5. 1912. Minister Hobhouse sei der eigentliche Verschwörer, ihn lasse man aber auf freiem Fuß; ebenso Sir Edward Carson, den Führer der Anti-Home rule-Bewegung in der irischen Provinz Ulster. (If the Gouvernment treat us with fraud, we will reply with force); Votes for Women, 19. 4. 1912. niemand habe die Führer der streikenden Kohlenarbeiter verhaftet, die ganz andere Gewalttaten und ganz anderen Schaden verursacht; freilich, die Kohlenarbeiter hätten 1 Million Stimmzettel zu vergeben, die Suffragettes keinen einzigen; Votes for Women, 15. 3. 1912. in 4 Tagen habe das Parlament ein Gesetz fertig gemacht, das den Kohlenarbeitern Genüge tue (Minimallohn), die Frauen warteten seit 40 Jahren, daß ihre Forderung erfüllt werde. Die geringe Gewalt schon, die sie aufgewendet, sei ihnen widerwärtig und verhaßt; keine von ihnen wünsche, das Gesetz zu übertreten; aber sie sähen keine andere Möglichkeit mehr, seit alle friedlichen Mittel fehlgeschlagen. Daher hätten sie aus politischen Gründen ihre Taten getan, sie seien bereit, die Strafen zu tragen, aber als politische Gefangene, in custodia honesta, in ehrenvoller Haft. In einem Flugblatt, das schon im Dezember 1911 erschien und März 1912 neu aufgelegt wurde, erklärte Christabel Pankhurst: »Die Botschaft der zerbrochenen Fensterscheiben besagt, die Frauen wollen nicht mehr dulden, daß mit Frauenleben gespielt wird, und wer dem Gesetz gehorchen muß, soll es auch machen.« Broken Windows.

Die Geschworenen sprachen schuldig. Die Haltung und die Reden der drei Angeklagten hatten ihnen aber so tiefen Eindruck gemacht, daß sie sofort einstimmig in einer Resolution den Wunsch ausdrückten: in Anbetracht der unstreitig reinen Beweggründe der Bewegung hofften sie, der Richter werde das Strafmaß mit äußerster Milde festsetzen. Richter Colridge aber verurteilte zu je 9 Monaten II. Abteilung, Mr. und Mrs. Pethick Lawrence außerdem noch zu den Kosten.

Während dieser Wochen war die W. S. P. U. »führerlos«. Die Regierung hatte gehofft, den Kampf damit zu beenden. Aber neue Führer traten an die Stelle der Verhafteten oder Verschwundenen. Obgleich Polizei in Zivil und Uniform jeden, jede beobachtete, der in Clement's Inn aus- und einging, alle Reden aufschrieb, alle Versammlungen überwachte, obgleich Suffragettes, die ihre Abzeichen trugen, auf der Straße mißhandelt, die Fenster des Stimmrechtsladens zertrümmert wurden, ohne daß die Polizei eingriff – gingen Versammlungen, Propaganda, Veröffentlichung des Blatts, Straßenverkauf, alles in alter Weise vor sich. Mrs. Lansbury, Annie Kenney, Israël Zangwill, Elizabeth Robins, Annie Besant u. a.m. traten in die Breschen, es war, als sei nichts verändert: »the fight goes on« (der Kampf geht fort).

So ergab die Sammlung der Protestversammlung vom 28. Mai 1912 die Summe von 10 000 £ (200 000 M.), und dies gerade am Tag der Ablehnung der Conciliation Bill, die die gemäßigten Stimmrechtlerinnen mit Trauer erfüllte. Weswegen wurde die Conciliation Bill in II. Lesung abgelehnt? War jetzt nicht der Zeitpunkt da, Mr. Asquith' feierliches Versprechen einzulösen, eine Woche lang das Frauenstimmrecht zu diskutieren? Gewiß, der Zeitpunkt war gekommen; aber – die irischen Nationalisten, die auf ihre Home rule Bill warteten, und die dem Bestand des Kabinetts nicht sehr trauten, konnten diese Woche Parlamentzeit weit besser für ihre Bill brauchen Wäre die Conciliation Bill angenommen, so hätte auch die Home rule Bill das Frauenstimmrecht aufnehmen müssen, und auch das wollte man nicht., und da man mit den Forderungen wahlrechtloser Frauen Fangball spielt, stimmten die Nationalisten gegen die Bill, die mit 257:242 Stimmen abgelehnt wurde. Votes for Women, 5. 4. und 19. 4. 1912. Die W. S. P. U. weinte ihr keine Träne nach. Was hätte den Frauen die Conciliation Bill geholfen, sollten doch unter der Manhood Suffrage Bill neue 4 Millionen Männer das Recht erhalten, über die Lebensbedingungen der Frauen zu beschließen. Wäre die Conciliation Bill aber eine Regierungsbill gewesen, die Irländer hätten dafür gestimmt, allein schon, um das Kabinett zu halten. Die W. S. P. U. hatte also völlig recht: uns hilft nur ein Regierungsentwurf.

Inzwischen kämpften die gefangenen Suffragettes um die Rechte politischer Gefangener. Mr. Churchill's Bestimmung (Rule 243a), die einen Teil dieser Rechte gewährte, wurde durch seinen Nachfolger, Mr. Mac Kenna, sehr unzuverlässig angewendet, den Fragen im Parlament entzog er sich mit ungewöhnlichen Ausflüchten und Unwahrheiten. Votes for Women, 19. 4. und 26. 4. 1912. Hungerstreik, Zwangsernährung waren wieder an der Tagesordnung. – Da die irische Home rule Bill jetzt zur Verhandlung kam und kein Wahlrecht für Frauen enthielt, griff die Suffragettebewegung nach Irland über. Die Irish Women's Franchise League verlangte, daß bei der Home rule Convention, am 23. April 1912 in Dublin, ihre Deputation empfangen werde und die Zusage erhalte: die Gemeindewählerliste solle auch den politischen Wahlen zugrunde gelegt werden; da die Frauen in Irland Gemeindewähler, hätte das die politische Stimmrechtsfrage gelöst. Man ließ die Deputation nicht vor. Votes for Women, 3. 5. 1912.

Am 22. Mai wurde eine Frauenstimmrechtsbill von Mr. George Lansbury (Sozialist) eingebracht (politische Gleichberechtigung) und vom Vorsitzenden als »out of order« (gegen die Geschäftsordnung verstoßend) abgelehnt. Am Tage vorher wurden die drei Führer verurteilt. Und nun begann deren Kampf um die Rechte politischer Gefangener. Sie hatten vorher erklärt, sie würden dem Parlament 7 Tage Zeit geben, den Minister des Innern dazu zu bestimmen. Mr. Mac Kenna antwortete nun auf die Fragen der Parlamentarier: die Beklagten hätten dem Richter nicht versprechen wollen, sich weiterer Feindseligkeiten zu enthalten, Regel 243a könne daher nicht auf sie angewendet werden. Unter weiterem Druck begnügte er sich aber mit der Erklärung der drei Führer, keiner von ihnen werde während der Haft die Bewegung durch Ratschlag zu beeinflussen suchen, da solches vom Gefängnis aus zu schwierig, und ließ am 11. 5. 1912 Mrs. Pankhurst, Mrs. Lawrence und Mr. Pethick Lawrence in die I. Abteilung überführen. In Holloway und in Brixton Prison. Jedoch nur als besondere Begünstigung, nicht als Recht. – Von allen Seiten waren dem Minister des Innern Proteste gegen die Verurteilung der drei Führer zugegangen (Denkschriften der Oxford-Cambridger Professoren; von einer Anzahl internationaler Berühmtheiten; von einer Anzahl bekannter Franzosen und Französinnen). Protestversammlungen wurden gehalten von der W. S. P. U., den British Socialists, den Church Socialists, den weiblichen kaufmännischen Angestellten, dem englischen Landesverein usw.

Was den Führern recht, war nun den 81 gefangenen Suffragettes billig: auch sie mußten in die I. Abteilung überführt werden. Diese Forderung richtete die W. S. P. U. sofort an den »Home Secretary«. Denkschriften, Versammlungen, Presse unterstützten die Forderung. Doch Mr. Mac Kenna wollte nicht hören. Zu dieser Ungerechtigkeit kam das Einbringen der Manhood Suffrage Bill im Parlament: Politisches Stimmrecht jedem Mann, der 21 Jahre ist. »Da ist kein Mann, reich oder arm, alt oder jung, Trinker oder Nichttrinker, gebildet oder ungebildet, weise oder töricht, laster- oder tugendhaft, dem die Regierung das Stimmrecht nicht gibt. Aber eine Frau zu sein, das ist von nun der einzige untilgbare Makel«. Votes for Women, 21. 6. 1912. Und Votes for Women nennt die Bill: »an insult to womanhood« (eine Beleidigung des Frauengeschlechts). Sofort (15. 6. 1912) protestierte die W. S. P. U. in der Albert Hall und forderte eine unverzügliche Regierungsmaßregel, beiden Geschlechtern die gleichen politischen Rechte gebend. Votes for Women, 21. 6. 1912. Siehe die Rede von Tim Healy.

Inzwischen war der Hungerstreik von neuem begonnen, es streikten die Suffragettes in der II. Abteilung, es streikten die Führer in der I. Abteilung, denn sie wollten es nicht besser haben als ihre Getreuen. In der W. S. P. U. stehen alle zusammen. Und wieder griff der Minister zur Tortur der künstlichen Ernährung. Szenen scheußlichster Brutalität trugen sich, meist in Holloway, zu. Eine der Frauen, Miß Davison, stürzte sich, um dem Quäler – einen Arzt kann man ihn nicht mehr nennen, zu entgehen, über das Treppengeländer, verletzte sich schwer und wurde in diesem Zustande noch zwangsweise ernährt. Eine Schar von Teufeln schien auf die Gefangenen losgelassen. – Mrs. Pankhurst hat man nicht anzurühren gewagt, sie erschien wohl zu hinfällig, aber an Mrs. Pethick Lawrence wurde die Marter einmal verübt. Mrs. Pankhurst wurde, fast sterbend, am Morgen des 24. Juni entlassen, Mrs. Pethick Lawrence am 25. Juni, ihr Mann am 28. Juni; in derselben Woche wurden 43 Suffragettes entlassen (teils Ablauf der Strafzeit, teils Hungerstreik). Votes for Women, 28. 6. und 5. 7. 1912. Die irländischen Suffragettes aber, die am 13. Juni in Dublin 50 Fenster öffentlicher Gebäude einwarfen, wurden als politische Gefangene in der I. Abteilung behandelt. Votes for Women, 21. 6. 1912. Was Mrs. Pankhurst vorhergesagt, trat nun ein: auf allen Seiten, ohne Losungswort, ohne Befehl, überall brach empörter Protest aus. Wo ein Minister zu erblicken, ward er erinnert, daß die Suffragettes gemartert und das Frauengeschlecht verhöhnt wurde. Männer und Frauen – die einen im Frack, die anderen im Gesellschaftskleid und juwelengeschmückt, sprachen die rächenden Worte, stellten die Fragen, ruhig, besonnen, unerschütterlich und ließen alle Gewalt über sich ergehen. Den Höhepunkt bildete der Protest des Abgeordneten George Lansbury, Sozialist, im Unterhaus (26. 6. 1912). Als auf Befragen über die Mißhandlung der Suffragettes Mr. Asquith erklärte: »Ich muß darauf hinweisen, daß jede dieser Gefangenen heute nachmittag das Gefängnis verlassen kann, sie braucht nur Enthaltung von weiteren Feindseligkeiten zu versprechen« – sprang Mr. Lansbury Ein alter Freund der W. S. P. U. Seine Bill wurde am 21. 5. 1912 als »out of order« abgewiesen. Seine Frau übernahm einen Teil der Führerschaft, nach Verhaftung von Mrs. Pankhurst, Mr. und Mrs. Pethick Lawrence. auf und rief: »Sie wissen, daß sie das nicht können, es ist geradezu schmachvoll, den englischen Premierminister derlei behaupten zu hören,« und da Mr. Asquith, ohne zu antworten, in seinen Sitz zurücksank, schritt Mr. Lansbury zu ihm hin, stellte sich vor ihn und sagte: »Sir, das war ein schmachvoller Ausspruch ... Warum forderte denn seinerzeit die liberale Partei von O' Brien kein solches Versprechen? Verachtung ist noch zu gut für Sie. Sie nennen sich Gentlemen, und Sie vergewaltigen und töten derart Frauen im Gefängnis? Aus Ihrem Amt sollte man Sie jagen. Es ist eine Schmach ... Es ist das schmachvollste Ereignis in der Geschichte Englands. Sie werden der Nachwelt überliefert als der Mann, der unschuldige Frauen marterte. So werden Sie vor der Nachwelt dastehen.« Votes for Women, 28. 6. 1912.

Bei der II. Lesung der Manhood Suffrage Bill (8. 7. 1912) erklärte Mr. Harcourt: das Haus könne unmöglich 10½ Millionen Frauen das Stimmrecht geben; doch auch ein censitäres Frauenstimmrecht erschien ihm undurchführbar.

Mr. Pretyman: Das obengenannte Amendement (10½ Millionen Frauen) kann gestellt werden. Warum äußert die Regierung sich nicht dazu. Versäumt sie nicht ihre Pflicht in einer großen nationalen Frage?

Mr. Dickinson: Die Regierung läßt das Haus frei zu wählen, das ist höchst dankenswert und eine treffliche Gelegenheit für die Stimmrechtler.

Lord Robert Cecil: Wie kann, wenn jeder Mann wählt, jede Frau ausgeschlossen bleiben? Der Gelegenheitsarbeiter stimmt und die gebildete Frau nicht? Ich bin gegen die plötzliche Zulassung von 10 Millionen Wählern (ob Männer, ob Frauen). Aber deshalb alle Frauen ausschließen? Die Haltung der Regierung ist weder klar noch unzweideutig ... Warum gleich in der ersten Zeile das Wort »male«? Warum sind es zwei Frauenstimmrechtsgegner, die die Bill in I. und II. Lesung vertreten? Diese Frage erregt einen Teil der Bevölkerung aufs tiefste. Sie müssen ihnen gerecht werden, Sie dürfen nicht mit ihnen spielen.

Sir Markham: Die Bill gibt 3 Millionen Männern das Stimmrecht, das sie nie verlangt, und läßt eine sehr viel größere Zahl gebildeter Frauen, unberücksichtigt, die es fordern. Das ist nicht gerecht. – Daß die Regierung das Haus in dieser Sache ganz sich selber überläßt, ist völlig beispiellos. Bleibt es beim Männerstimmrecht, so stimme ich dagegen.

Mr. S. Wilson: Wer könnte die Haltung des Ministerpräsidenten verteidigen? Ich halte ihn in dieser Sache für einen Feigling. Er erklärt das Frauenstimmrecht für ein großes nationales Unglück und wird doch für die Bill eintreten, wenn sie, mit diesem Amendement, eine Mehrheit findet.

Mr. C. Roberts: Wir Suffragettes (!) wollen der Regierung für ihre Neutralität dankbar sein.

Mr. Duke: Unser Ideal ist Stimmrecht jedes Erwachsenen, und wir werden für jedes solches Amendement eintreten.

Sir F. Banbury: Die Frauen haben erst seit 20 Jahren irgend ein Stimmrecht. (Dies ist unrichtig. D. V.)

Mr. Fell: Das Frauenstimmrecht ist ein Sprung ins Dunkle; ich bin aber bereit, es vorurteilsfrei zu prüfen.

Mr. Hogge: Ich bin für das Stimmrecht Erwachsener und werde gegen alleiniges Männerstimmrecht stimmen.

Sir R. Finlay: Hat je ein Premierminister eine ähnliche Haltung beobachtet? Hat je eine Regierung sich ähnlich gedemütigt und in einer großen Frage gesagt: wir sind so unschlüssig, so uneins, daß wir unseren Premierminister erklären lassen, findet diese Maßregel, die er für eine Kalamität hält, eine Mehrheit, so wird er sie mit allen Regierungsmitteln zur Annahme bringen. So etwas ist noch niemals dagewesen.


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