Friedrich Schiller
Denkwürdigkeiten aus dem Leben des Marschalls von Vieilleville
Friedrich Schiller

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vieilleville, nachdem er alles in Ordnung gebracht hatte, nahm sich nun vor, den Deutschen Thionville abzunehmen, und ließ sich deßhalb in größter Eile und sehr geheim einen gewissen Hans Klauer von Trier kommen, dem er einmal das Leben geschenkt und als einen tüchtigen Kerl hatte kennen lernen. Diesen beschenkte er sogleich und suchte ihn zu seinen Projekten geschickt zu machen. Er versprach ihm noch überdies eine Compagnie deutscher Reiter in des Königs Sold zu verschaffen, wenn er nach Thionville ging, den ganzen Zustand des Orts und die Stärke der Besatzung bis auf das Maß der Gräben erforschte und ihm in acht Tagen Nachricht gäbe. Nur solle er Morgens vor Tag aus einem, dem Weg nach Thionville entgegengesetzten Thore gehen, an dem er sich selbst befinden wolle, um ihm zu sagen, was ihm allenfalls noch eingefallen wäre.

Hans Klauer brachte ihm auch in acht Tagen einen so umständlichen Bericht von Thionville, daß Vieilleville über seinen Fleiß und Geschicklichkeit ganz erstaunt war und ihm sogleich eine Summe zustellte, mit der er nach Trier zurückgehen und eine Compagnie Reiter aufrichten sollte; doch sollte sie durchgängig nur aus geborenen Deutschen bestehen. Diesen Bericht über Thionville ließ Vieilleville durch seinen Secretär Carloix sehr studieren und gleichsam auswendig lernen und schickte ihn zum König, damit er, wenn er vom Feinde würde aufgefangen werden, desto leichter durchkäme. Dieser traf den König in Amiens und berichtete ihm, daß Vieilleville in sieben Tagen Thionville wegzunehmen sich anheischig mache, und da er wisse, daß alle Truppen nach Italien geschickt seien, so wolle er sechs Regimenter Landsknechte und sieben Compagnieen Reiter in Deutschland werben lassen; auch habe er dazu durch seinen Kredit hunderttausend Livres irgendwo gefunden. Der König genehmigte alles sogleich, lobte Vieillevillen sehr darüber, daß er immer wachsam und in seinem Dienst geschäftig sei, wies ihm die Einnahme der ganzen Provinz Champagne zu dieser Expedition an und ernannte ihn zum Generallieutenant der Armee in Champagne, Lothringen, dem Lande Messin und Luxemburg. Die Werbung in Deutschland ging so gut von Statten, daß in kurzem die verlangten Regimenter marschieren konnten.

Sobald Vieilleville dieses erfuhr, zog er mit seiner Besatzung aus Metz gegen Thionville, ließ die Truppen, welche zu Toul und Verdun in Besatzung lagen, zu ihm stoßen und eröffnete, zu nicht geringem Erstaunen des Grafen von Carebbe, der in Thionville commandierte, die Belagerung dieser Stadt. Gegen Luxemburg schickte er sechs Compagnieen zu Fuß, um von Thionville aus mit dem Grafen von Mesgue die Communication zu verhindern. Jetzt kam auch seine Artillerie an, die er in seinem Arsenal zu Metz hatte zurichten lassen; sie bestand aus zwölf Kanonen von starkem Kaliber, aus zehn Feldschlangen von achtzehn Fuß lang und auf andern leichten Stücken. Kurz darauf trafen auch die fremden Truppen ein, und alles dieses zusammen machte eine gar artige kleine Armee aus, denn es waren nur allein sechs junge deutsche Prinzen aus den Häusern Lüneburg, Simmern, Württemberg u. a. dabei, die sich unter einem so großen Meister in den Waffen versuchen wollten. Die ganze Armee mochte ungefähr aus zwölftausend Mann bestehen.

Unterdessen war der Herzog von Guise aus Italien zurückgekommen und, da der Connetable bei St. Quentin gefangen war, zum Generallieutenant von ganz Frankreich ernannt worden. Dieser bekam Nachricht von der Armee des Vieilleville und schickte sogleich einen Courier an ihn ab, der eben ankam, als die Artillerie anfangen sollte, gegen die Stadt zu spielen. Vieilleville bekam ein Schreiben, des Inhalts: daß er warten möchte, indem der Herzog dabei sein und die Entreprise führen wollte, wie es ihm als Generallieutenant von Frankreich zukäme.

Vieillevillen war diese Dazwischenkunft höchst unangenehm; er ließ sich aber jedoch nichts merken und sagte dem Courier, daß der Herzog von Guise willkommen sein und man ihm wie dem Könige gehorchen würde. Es wäre aber dem Unternehmen auf Thionville nichts so nachtheilig als der Verzug, und er sähe wohl voraus, daß die Verzögerung der Ankunft des Herzogs den Dienst des Königs bei dieser Sache nichts weniger als befördern würde. Der Courier versicherte ihn, daß er in zehn Tagen hier sein würde. »Was,« sagte Vieilleville, »wenn er mir die Hände nicht gebunden hätte durch seinen Titel als Generallieutenant von ganz Frankreich, so stehe ich mit meinem Kopf dafür, ich wäre in zwei Stunden in Thionville und vielleicht in Luxemburg gewesen. Jetzt wird er vielleicht in drei Wochen nicht ankommen, und der Graf von Mesgue hat gute Zeit, sich in Luxemburg festzusetzen.«

Der Herzog von Guise kam auch wirklich erst in zwanzig Tagen an. Voraus schickte er den Großmeister der Artillerie nach Metz, um alles anzusehen. Dieser fand eine solche Ordnung und so hinreichende Maßregeln bei dieser Unternehmung, daß er öffentlich behauptete, der Herzog von Guise hätte wohl wegbleiben können, und es müsse einen Mann von Ehre sehr verdrießen, wenn die Prinzen ihnen kein Glück gönnten und da, wo Ehre einzuernten sei, gleich kämen und ihnen die Frucht ihrer Mühe und Arbeit wegnähmen. Der Herzog hat gut hinunter schlucken, rief er endlich ganz entrüstet aus, denn er findet alles vorgekaut. Als der Herzog die ganze Artillerie musterte, riefen Officiere zum großen Gelächter: »Nur fort, vor Thionville, wo wir alle sterben wollen; es ist schon lange, daß wir Sie erwarten.«

Nun sollte Kriegsrath gehalten werden, wo der Ort am besten anzugreifen sei. Vieilleville sagte, daß er nicht so lange gewartet, um dieses zu erfahren, und er zeigte ein kleines Thürmchen, wo er auf sein Leben versicherte, daß dieses der schwächste Ort der Stadt sei. Allein der Marschall von Strozzy antwortete, daß man vorher die Meinung der andern Befehlshaber hören müsse. Sie versammelten sich daher aufs neue in der Wohnung des Herzogs. Als sie dahin gingen, nahm Herr von La Marc Vieillevillen bei Seite und sagte ihm, daß er in dem Kriegsrath nicht auf seiner Meinung bestehen solle, denn der Herzog und Strozzy hätten schon beschlossen, Thionville an einem andern Ort anzugreifen, damit er die Ehre nicht haben sollte; auch sei der Herzog sehr aufgebracht, daß Vieilleville den Titel eines Generallieutenants über diese Armee ausgewirkt habe, denn er behauptete, es könne nur einen einzigen geben, und dieser sei er selbst.

In dem Kriegsrath stellte Strozzy nun vor, daß die Stadt von der Seite des Flusses und nicht bei dem kleinen Thurm müsse angegriffen werden, welcher Meinung auch alle Anwesenden beipflichteten, da sie Strozzy als einen vortrefflichen und erfahrenen Feldherrn ansahen. Der Herzog fragte jedoch auch Vieillevillen darum, der dann antwortete, wenn er das Gegentheil behauptete, müsse er das ganze Conseil widerlegen, und er wolle sich nur dabei beruhigen, damit er in dem Dienst des Königs keinen Aufenthalt verursache.

Nun wurden die Kanonen aufgepflanzt und so gut bedient, daß in kurzer Zeit über dem Fluß die feindliche Artillerie zerschmettert wurde und eine ansehnliche Bresche entstand; jetzt triumphierte schon der Herzog und Strozzy, und es wurde mit Verachtung von dem Plan Vieillevilles gesprochen. Ein Hauptsturm wurde angestellt, die Soldaten mußten durch den Fluß waten; allein sie wurden bald abgewiesen und konnten nicht einmal handgemein werden; denn es fanden sich Schwierigkeiten mancher Art, die man nicht vorausgesehen hatte. Der Herzog und Strozzy waren sehr verlegen darüber; um aber doch ihren Plan auszuführen, ließen sie mit unendlicher Mühe die Kanonen über den Fluß bringen, und es gelang ihnen, sie bei der Bresche aufzuführen. Jetzt aber entdeckten sie, woran der Marschall nicht gedacht hatte, einen breiten Graben von vierzig Fuß Tiefe; diesen beim Sturmlaufen hinunter und wieder heraufzukommen, war unmöglich, und so geschah es sehr wunderbar, daß unsere Kanonen auf den Mauern standen und wir doch nicht in die Stadt konnten.

Den sechzehnten Tag der Belagerung befahl Strozzy, auch die Feldschlangen über den Fluß zu bringen und die Stadt zusammen zu schießen. Er wagte sich selbst so weit, daß er eine Musketenkugel in den Leib bekam, woran er nach einer halben Stunde starb. Der Herzog stand neben ihm, diesem sagte er: »Beim Henker, mein Herr, der König verliert heute Deinen treuen Diener und Eure Gnaden auch.« Der Herzog erinnerte ihn, an sein Heil zu denken und nannte ihm den Namen Jesus. »Was für einen Jesus führt Ihr mir hier an? Ich weiß nichts von Gott – mein Feuer ist aus« – und als der Prinz seine Ermahnungen verdoppelte und ihm sagte, daß er bald vor Gottes Angesicht sein werde, antwortete er: »Nun beim T—! ich werde da sein, wo alle Anderen sind, die seit sechstausend Jahren gestorben,« und mit diesen Worten verschied er. So endigte sich das Leben eines Mannes, der keine Religion hatte, wie er schon den Abend vorher, da er bei Vieilleville speiste, zu erkennen gab, als er anfing, zu fragen: Und was machte Gott, ehe er die Welt schuf? worauf Vieilleville ganz bescheiden sagte: daß nichts davon in der heiligen Schrift stehe, und da, wo sie nichts sagte, man auch nicht weiter forschen solle. Es ist eine ganz artige Sache, sagte Strozzi darauf, diese heilige Schrift, und sehr wohl erfunden, wenn sie nur wahr wäre; worauf Vieilleville sich stellte, als wenn er die Kolik hätte, und hinaus ging und ein Gelübde that, mit einem solchen Atheisten niemals etwas zu thun zu haben.

Jetzt wendete sich der Herzog an Vieilleville, erinnerte ihn an sein Versprechen, das er dem König gethan, Thionville in sieben Tagen einzunehmen, und bat ihn, alles so auszuführen, wie er es für gut finde; er wolle sich in nichts mehr mengen. Nun fing Vieilleville mit unermüdetem Fleiß auf seiner Seite die Trancheen an, ließ Artillerie von Metz kommen, und schon den dritten Tag wurde das kleine Thürmchen zusammengeschossen, den sechsten wagte man einen Generalsturm, Vieilleville an der Spitze, allein er wurde abgeschlagen, und es blieben viele Leute dabei, unter andern auch Hans Klauer. Vieillevillen wurde der Kamm oben an seinem Helm weggeschossen; nach einer kurzen Erholung aber nahm er neue Truppen und setzte den Sturm so heftig fort, daß er mit dreißig Mann in die Stadt drang; Carebbe erschrak darüber und capitulirte sogleich. Die ganze Garnison und alle Einwohner mußten den andern Morgen aus der Stadt ziehen, und es war erbärmlich anzusehen, wie Greise, Väter und Kinder, Kranke und Verwundete ihre Heimath verließen. Jedermann hatte Bedauern mit ihnen, nur der Herzog von Guise blieb hart dabei. In Thionville wurden nun französische Unterthanen gesetzt, an welche die Häuser verkauft wurden; das daraus gelöste Geld stellte Vieilleville theils dem königlichen Schatzmeister zu, theils belohnte er damit seine Soldaten, die ihm bei der Belagerung gute Dienste geleistet hatten. Er selbst behielt nichts davon, ob er gleich das größte Recht daran hatte.

Er vermuthete immer, der König von Spanien werde vor Thionville kommen, und war fest entschlossen, diese Stadt zu behaupten, indem er es sich zur Ehre rechnete, gegen einen so mächtigen Monarchen, den Sohn Kaiser Karls V., zu fechten. Allein der König von Spanien zog mit einem beträchtlichen Heer gegen Amiens, der König von Frankreich ihm entgegen und schickte Vieillevillen deßwegen den Befehl, ihm so viel Truppen als möglich zuzuschicken. Beide Heere, jedes von sechstausend Mann, standen jetzt gegen einander; beide Könige wünschten den Frieden, aber keiner wollte die ersten Vorschläge thun.

Vieilleville, der diese Verlegenheit in der Ferne merkte, schickte in der größten Stille und ohne Jemandes Wissen einen sehr kühnen und beredten Mönch zum König von Spanien; dieser mußte ihm, als aus Eingebung Gottes, vom Frieden reden. Er wurde gnädig angehört und ihm aufgetragen, eben diese Eingebungen dem König von Frankreich vorzutragen, und so wurde die Negociation angefangen, wofür der König Vieillevillen den größten Dank schuldig zu sein glaubte, indem er auch hier durch feine Klugheit aus der Ferne hergewirkt und so vieles Blut geschont habe, das durch eine Schlacht würde vergossen worden sein.

Nachdem nun der Friede geschlossen worden, wünschte der König Vieillevillen zu sprechen, und er wurde beordert, an den Hof zu kommen, wo er sehr gut empfangen wurde; besonders gefiel es der Königin sehr wohl, daß er nach der Belagerung von Thionville unter die deutschen Prinzen und Feldherren goldene Medaillen vertheilt habe, auf deren einer Seite des Königs und auf der andern Seite der Königin Brustbild vorgestellt war, und dieses letztere so gleichend, daß auch der berühmteste Künstler im Porträtieren damaliger Zeit, Namens Janet, dieses gestehen mußte. Der König unterhielt sich oft und viel mit Vieilleville und kam selbst darauf zu reden, daß der Herzog von Guise das Unternehmen auf Luxemburg und die schnelle Eroberung von Thionville gehemmt habe. Auch fragte er nach dem kläglichen Ende des Marschalls Strozzy, wo aber Vieilleville als feiner Hofmann antwortete, daß man hier die Gnade Gottes obwalten lassen müsse und es nicht schicklich sein würde, dieses weiter zu verbreiten. Strozzy war nämlich nahe mit der Königin verwandt. Bei dieser Gelegenheit bekam Vieilleville das Brevet als Marschall von Frankreich, und der König machte ihm den Vorwurf, warum er ihm nicht sogleich um diese Charge geschrieben habe, als Strozzy gestorben, wo er sie dann gewiß ihm und nicht dem Herrn von Thermes würde gegeben haben. Vieilleville antwortete darauf: daß er seinem König nicht zugemuthet hätte, so lange der Feldzug dauerte, diese Charge zu besetzen, indem Alle, die darauf Anspruch machten, sich hervorthun würden, um sie zu verdienen, hingegen von der Armee abgehen würden, wenn die Ernennung geschehen sei; wie dies auch wirklich nach der Ernennung des Herrn von Thermes der Fall war, wo zehn bis zwölf Große mit fast zweitausend Pferden die Armee verließen.

Der König wünschte, daß Vieilleville den Friedensunterhandlungen mit Spanien in Chateau Cambresis beiwohnte, welches er auch that und durch seine weisen Rathschläge es in kurzem so weit brachte, daß sie den 7. April 1559 abgeschlossen wurden, mit welcher Nachricht er selbst an den König geschickt wurde. Der König erklärte bei dieser Gelegenheit, daß Frankreich und ganz Europa, nach Gott, diesen Frieden Niemand als ihm schuldig sei, denn durch den Mönch habe er den ersten Anstoß geben lassen. Der Schatzmeister mußte vierzehn Säcke, jeden mit tausend Thalern, bringen, wovon der König ihm zehn und seinem Schwiegersohn und Neffen, Espinay und Thevalles, vier schenkte.

Kurz darauf trafen die spanischen Gesandten in Paris ein; es befanden sich dabei außer dem Herzog von Alba fünfzehn bis zwanzig Prinzen, denen einen ganzen Monat lang große Fêten gegeben wurden. Während derselben suchte der Cardinal von Lothringen den König zu überreden, eine Sitzung im Parlament zu halten und ein Mercuriale daselbst anzustellen. Es hat dies den Namen von dem Mittwoch ( Dies Mercurii) weil an diesem Tag sich alle Präsidenten und Räthe, gegen hundert bis hundert und zwanzig Personen, in einem großen Saal versammeln, um über die Sitten und sowohl öffentliche als Privatlebensart dieses Gerichtshofes Untersuchung anzustellen. Der König sollte bei einer solchen Gelegenheit durch seinen Generalprocurator vortragen lassen, daß unter ihrem Corps Manche sich befänden, deren Glauben verdächtig sei und die der falsche Lehre Luthers anhingen; man könne es schon daraus schließen, daß Alle, die der Ketzerei beschuldigt würden, losgesprochen und kein einziger zum Tod verdammt würde. »Und sollte dieses,« setzte der Cardinal hinzu, »auch nur dazu dienen, dem König von Spanien zu zeigen, daß Ew. Majestät fest am Glauben halten, und daß Sie in Ihrem Königreiche nichts dulden wollen, was Ihrem Titel als Allerchristlichster König entgegen ist. Es würde den Prinzen und Großen Spaniens, die den Herzog von Alba hieher begleitet haben, um die Heirath ihres Königs mit Ew. Majestät Tochter zu feiern, ein sehr erbauliches Schauspiel sein, ein halbes Dutzend Parlamentsräthe auf öffentlichem Platz als lutherische Ketzer verbrennen zu sehen.« Der König verstand sich zu einer solchen Sitzung und bestimmte sie gleich auf den andere Tag.

Vieillevillen, der, als erster Kammerjunker, in des Königs Zimmer schlief, sagte der König, was er vorhabe, worauf jener antwortete, daß der Cardinal und die Bischöfe dieses wohl thun könnten, für Se. Majestät schicke es sich aber nicht; man müsse den Priestern überlassen, was nur eine Priestersache sei. Da der König demungeachtet bei seinem Vorhaben blieb, erzählte ihm Vieilleville, was einsmal zwischen König Ludwig XI. und dem Marschall von Frankreich, Johann Rouault, vorgefallen. Ludwig XI., bei welchem der Bischof von Angiers sehr in Gnaden stand, befahl diesem, nach Lyon zu gehen und die sechstausend Italiener in Empfang zu nehmen, die man ihm als Hilfstruppen zuschickte. Der Marschall, der zugegen war und es übel aufnahm, daß man nicht an ihn dachte, stellte sich gleich darauf dem König mit dreißig bis fünfzig Edelleuten gestiefelt und gespornt vor und fragte ganz trotzig, ob Se. Majestät nichts nach Angiers zu befehlen habe? Der König fragte, was ihn so schnell und so unvermuthet dahin führe? Der Marschall antwortete, daß er dort ein Kapitel zu halten und Priester einzusetzen habe, indem er eben sowohl den Bischof vorstellen könne, als der Bischof den General vorstelle. Der König schämte sich darüber, daß er die Ordnung so umgekehrt, ließ den Bischof, der schon auf der Reise war, wieder zurückrufen und schickte den Marschall nach Lyon. Eben so, fuhr Vieilleville fort, müßte der Cardinal, wenn Ew. Majestät die Geschäfte eines Theologen oder Inquisitors versähen, uns Soldaten lehren, wie man die Lanze bei Turnieren fällt, wie man zu Pferde sitzen muß, wie man salutiert und rechts und links ausbeugt. Ueberdies wollten Ew. Majestät die Freude mit der Traurigkeit paaren? Denn letzteres würde der Fall sein, wenn solche blutige Hinrichtungen während der Hochzeitfeierlichkeiten vorfielen.

Der König nahm sich hierauf vor, nicht hinzugehen. Der Cardinal erfuhr es sogleich, und da er in der Nacht den König nicht sprechen konnte, versammelte er die ganze Geistlichkeit den andern Morgen mit dem Frühesten bei dem König und machte ihm die Hölle so heiß, daß er glaubte schon verdammt zu sein, wenn er nicht hinginge, und der Zug setzte sich sogleich in Marsch. Bei der Sitzung selbst vertheidigte einer der angeklagten Räthe, Anne du Bourg, seine Religion mit solchem Eifer und Festigkeit, daß der König sehr aufgebracht wurde; auch hörte er, als er durch die Straßen zurückging, vieles Murren, so daß er nachher gestand, wie es ihn sehr gereue, den Rath des Vieilleville nicht befolgt zu haben.

Den ersten Juni 1559 eröffnete der König das große Turnier, mit welchem die Vermählung der Prinzessin Elisabeth mit Philipp II. gefeiert wurde, und die Spanier zeigten sich bei dieser Gelegenheit besonders ungeschickt. Vieilleville hob sogar, was noch nie gehört worden, einen Spanier, der gegen ihn rannte, aus dem Sattel und warf ihn über die Schranken mit einer unglaublichen Leichtigkeit und Geschicklichkeit. Um einigermaßen von diesen körperlichen Anstrengungen in den Turnieren auszuruhen, ging die Hochzeit der Madame Elisabeth mit dem König von Spanien, in dessen Namen der Herzog von Alba sie heirathete, vor. Die friedlichen Feierlichkeiten dauerten gegen acht Tage; der König brach sie ab, weil er leidenschaftlich das Turnieren liebte und dieses wieder anfangen wollte.

Vieilleville rieth dem König davon ab, indem sich die französische Noblesse schon hinreichend gezeigt hätte, es jetzt auch Zeit sei, an die Hochzeit des Herzogs von Savoyen mit Madame Margaretha, seiner Schwester, zu denken. Der König antwortete darauf, daß erst gegen Ende des Julius alles dazu bereit sein könne, indem er Piemont, Savoyen und mehrere andere Besitzungen bei dieser Gelegenheit abtreten wolle. Vieilleville war ganz erstaunt darüber und sagte dem König offenherzig, wie er nicht begreifen könne, wegen einer Heirath Länder wegzugeben, die Frankreich mehr als vierzig Millionen und hunderttausend Menschen gekostet hätten. Einer königlichen Prinzessin gäbe man höchstens hundert und fünfzigtausend Thaler mit, und wenn auch Madame Margaretha ihr Leben in einer Abtei endigte, so würde dieses nicht der erste und letzte Fall bei einer königlichen Prinzessin sein, die ohnedem schon vierzig Jahr alt sei. Der Connetable, der dieses alles statt seiner Ranzion verhandele, übe sein Recht wohl aus, denn man sage gewöhnlich, daß in einer großen Noth ein Connetable den dritten Theil vom Königreich versetzen dürfe.

Auf diese und mehrere Vorstellungen verwünschte der König die Stunde, daß er nicht mit Vieillevillen von dieser Sache gesprochen, und es sei jetzt zu spät; er würde sich aber an den Connetable halten, der ihn zu diesen Schritten verleitet habe. Kurz darauf trat ein Edelmann herein und brachte dem König die abgeschlossenen Artikel, worin bemerkt war, daß Frankreich das Marquisat Saluzzo behielte. Als der König dieses gelesen hatte, theilte er die Nachricht sogleich Vieillevillen mit, mit der Aeußerung, daß sein Vater Unrecht gehabt, einen Fürsten seiner Länder zu berauben, und daß er als guter Christ und um die Seele seines Vaters zu retten, die Länder dem Herzog von Savoyen gerne herausgäbe. Wie Vieilleville sah, daß der König hier die Frömmigkeit und das Christenthum ins Spiel brachte und seinen Vater sogar der Tyrannei beschuldigte, schwieg er, und es reute ihn, nur so viel gesagt zu haben.

Den letzten Junius 1559 wurde des Morgens ein großes Turnier auf den Nachmittag angesagt. Nach der Tafel zog sich der König aus und befahl Vieillevillen, ihm die Waffen anzulegen, obgleich der Oberstallmeister von Frankreich, dem dieses Geschäft zukam, zugegen war. Als Vieilleville ihm den Helm aufsetzte, konnte er sich nicht entbrechen, zu seufzen und zu sagen, daß er nie etwas mit mehr Widerwillen gethan. Der König hatte nicht Zeit, ihn um die Ursache zu fragen, denn indem trat der Herzog von Savoyen herein. Das Turnier fing an. Der König brach die erste Lanze mit dem Herzog. die zweite mit dem Herrn von Guise, endlich kam zum dritten der Graf von Montgomery, ein großer, aber steifer junger Mensch, der seines Vaters, des Grafen von Sorges und Capitäns von der Garde, Lieutenant war. Es war die letzte, die der König zu brechen hatte. Beide trafen mit vieler Geschicklichkeit auf einander, und die Lanzen brechen. Jetzt will Vieilleville des Königs Stelle einnehmen, allein dieser bittet ihn, noch einen Gang mit Montgomery zu machen, denn er behauptete, er müsse Revanche haben, indem er ihn wenigstens aus dem Bügel gebracht habe. Vieilleville suchte den König davon abzubringen, allein er bestand darauf. »Nun, Sire,« rief Vieilleville aus, »ich schwöre bei Gott, daß ich drei Nächte hindurch geträumt habe, daß Eurer Majestät heute ein Unglück zustoßen und dieser letzte Junius Ihnen fatal sein wird.« Auch Montgomery entschuldigte sich, daß es gegen die Regel sei; allein der König befahl es ihm, und nun nahm er eine Lanze. Beide stießen jetzt wieder auf einander und brachen mit großer Geschicklichkeit ihre Lanzen. Montgomery aber warf ungeschickter Weise den gesplitterten Schaft nicht aus der Hand, wie es gewöhnlich ist, und traf damit im Rennen den König an den Kopf gerade in das Visier, so daß der Stoß in die Höhe ging und das Auge traf. Der König ließ die Zügel fallen und hielt sich am Hals des Pferdes; dieses rannte bis auf Ziel, wo die zwei ersten Stallmeister, dem Gebrauch gemäß, hielten und das Pferd auffiengen. Sie nahmen ihm den Helm herunter, und er sagte mit schwacher Stimme, er sei des Todes. Alle Wundärzte kamen zusammen, um den Ort des Gehirns zu treffen, wo die Splitter stecken geblieben, aber sie konnten ihn nicht finden, obgleich vier zum Tode verurteilten Missethätern die Köpfe abgeschlagen wurden, Versuche daran anzustellen, indem man Lanzen daran abstieß.

Den vierten Tag kam der König wieder zu sich und ließ die Königin rufen, der er auftrug, die Hochzeit doch sogleich vollführen zu lassen und Vieillevillen, der schon das Brevet als Marschall von Frankreich hatte, wirklich dazu zu machen. Die Hochzeit ging traurig vor sich, der König hatte schon die Sprache verloren, und den Tag darauf, den 10. Julius 1559, gab er den Geist auf. Vieilleville verlor an ihm einen Herrn, der ihn über alles schätzte und ihn sogar zum Connetable einst würde ernannt haben, wie er sich schon hatte verlauten lassen. In den letzten Zeiten hatte er ihm, um ihn immer um sich zu haben, sein Departement von Metz abgenommen und es dem Herrn von Espinay gegeben; Vieilleville aber war Gouverneur von Isle de France geworden.

Die unrechtmäßige Gewalt, deren sich die Guisen nach dem Tod Heinrichs II. anmaßten, verursachte die bekannte Verschwörung von Amboise. Ein gewisser la Renaudie versicherte sich dreißig erfahrner Capitäns und legte um den Aufenthalt des jungen Königs fünfhundert Pferde und vieles Fußvolk herum, in der Absicht, die Guisen gefangen zu nehmen und dem König seine Freiheit zu geben. Es wurde dieses auch klar am Hofe, und die Nachricht beunruhigte den König und die Guisen sehr. Vieilleville sollte an dieses Corps geschickt werden, um sie zu fragen, ob sie die Franzosen um den Ruhm und die Ehre bringen wollten, unter allen Nationen ihrem Fürsten am treusten und gehorsamsten zu sein? Dieser Auftrag setzte Vieillevillen in einige Verlegenheit. Er selbst war von der widerrechtlich angemaßten Gewalt der Guisen überzeugt und wollte sich zu einer Gesandtschaft nicht brauchen lassen, wo er gegen seine Ueberzeugung reden mußte; durch eine feine Wendung überhob er sich derselben, indem er dem König antwortete: »Da der Fehler dieses Corps, an das Ew. Majestät mir die Ehre anthun wollen, mich zu schicken, so groß ist, daß es eine wahre Rebellion genannt werden kann, so würden sie mir nicht glauben, wenn ich ihnen Verzeihung verkündigte. Es muß dieses ein Prinz thun, damit sie versichert sind, es sei dieses ein königliches Wort, das Eure Majestät schon um Dessentwillen, der es überbracht hat, nicht zurücknehmen werden.«

Vieilleville hatte richtig geurtheilt; er wurde mit diesem Auftrag verschont, und der Herzog von Nemours, der an die Rebellen geschickt wurde, hatte den Verdruß, daß die fünfzehn Edelleute, die auf des Königs und sein Wort ihm gefolgt waren, sogleich gefangen und in Fesseln geworfen wurden. Auf alle Beschwerden, welche der Herzog deßhalb vorbrachte, antwortete der Kanzler Olivier immer, daß kein König gehalten sei, sein Wort gegen Rebellen zu halten. Diese fünfzehn Edelleute wurden durch verschiedene Todesarten hingerichtet, und sie beschwerten sich alle nicht sowohl über ihren Tod, als über die Treulosigkeit des Herzogs von Nemours. Einer von ihnen, ein Herr von Castelnau, warf ihm sogar diese Wortbrüchigkeit noch auf dem Schaffot vor, tauchte seine Hände in das rauchende Blut seiner so eben hingerichteten Kameraden, erhob sie gen Himmel und hielt eine Rede, die Alle bewegte und bis zu Thränen rührte. Der Kanzler Olivier selbst, der sie zum Tode verdammt hatte, wurde so sehr dadurch betroffen, daß er krank nach Hause kam und einige Tage darauf starb. Kurz vor seinem Ende besuchte ihn der Cardinal von Lothringen selbst, dem er, als er wegging, nachrief: »Verdammter Cardinal, dich bringst du um die Seligkeit und uns mit dir!«

Hingegen konnte Vieilleville den Auftrag nicht ausschlagen, nach Orleans zu gehen, um hier den Rest der Verschwornen zu zerstreuen. Er that dieses mit so viel Klugheit und Eifer, daß es ihm gelang, sechshundert Mann zu überfallen und so niederzumachen; die Gefangenen, worunter der Capitän war, ließ er aber los, weil es ihm unmenschlich schien, Leute von Ehre, die ihren Dienst als brave Soldaten verrichteten, eines schmählichen Todes sterben zu lassen, welche Strafe ihnen gewiß war, wenn er sie würde eingeliefert haben.

Dieses glücklich ausgeführte Unternehmen setzte Vieilleville in große Gunst bei dem König und den Guisen. Es wurde ihm kurz darauf eine andere Expedition nach Rouen aufgetragen, wo die Reformierten unruhig gewesen waren. Er hatte fürchterliche Instruktionen dabei erhalten, denn ihm stand es frei, nicht nur Die umbringen zu lassen, die bei diesem Aufstand die Waffen genommen, sondern auch sogar Die, die ein Wohlgefallen daran gehabt. Vieilleville, der sieben Compagnieen Gendarmes bei sich hatte, ließ den größten Theil seiner Leute zurück und kam nach Rouen nur mit hundert Edelleuten, entwaffnete sogleich die Bürgerschaft, ließ ohne Ansehen der Religion dreißig der Hauptrebellen greifen und ihnen den Proceß machen, befahl aber ausdrücklich, daß man in dem Urtheil nichts von der Religion sagen, sondern sie nur als Rebellen gegen den König verdammen sollte. Auf diese Art stellte Vieilleville die Ruhe her und schonte den Parteigeist, der ohne Zweifel noch lauter würde erwacht sein, wenn er nur die Reformierten bestraft hätte.

Der Hof hielt sich in Orleans auf, als er wieder zurückkam, und eben damals war der Prinz von Condé, Bruder des Königs von Navarra, gefangen genommen worden. Um Vieillevillen zu prüfen, was er darüber dächte, befahl ihm der König, den Prinzen zu besuchen. Vieilleville war aber schlau genug, dieses zu merken, und sagte, daß er um das Leben nicht hingehen würde, denn er habe einen natürlichen Abscheu gegen alle Ruhestörer. Zugleich rieth er aber dem König, den Prinzen in die Bastille nur zu schicken, indem es Sr. Majestät zum großen Vorwurf gereichen würde, einen Prinzen von Geblüt, wenn er dem König nicht nach dem Leben gestrebt, hinrichten zu lassen. Der König nahm diesen Rath sehr wohl auf und gestand nachher Vieillevillen selbst, daß er ihn auf die Probe gesetzt habe.

Die Uneinigkeiten zwischen dem König von Navarra auf der einen Seite, und dem König und den Guisen auf der andern, wurden indessen immer größer; der König von Navarra wurde am Hof mit einer Geringschätzung behandelt, die Jedermann, nur die Guisen nicht, bewegte. Vieilleville forderte in diesen Zeiten die Erlaubniß, in sein Gouvernement zurückzukehren; allein besonders die Königin drang darauf, daß er bliebe. Man wollte ihn in diesen kritischen Zeiten am Hof haben, um seine Rathschläge, die immer sehr weise waren, zu benutzen, und dann hatte man ihn auch ausersehen, nach Deutschland zu reisen, um den mit dem König verbündeten Kurfürsten und Fürsten des Reichs die Verhältnisse mit dem König von Navarra und seinem Bruder vorzustellen, damit der Hof nicht im unrechten Licht erschiene.

Allen diesen Uneinigkeiten machte der Tod König Franz' II. ein Ende, der den 5. December 1560 erfolgte. Jetzt wendete sich alles an den König von Navarra, und selbst die Königin, die als Vormünderin des jungen sechzehnjährigen Königs Karls IX. mitregierte, ernannte denselben zum Generallieutenant des Reichs. Eine weise Maßregel, um die verschiedenen Religionsparteien, die sehr unruhig zu werden anfingen, zufrieden zu stellen. Vieilleville hatte sie der Königin angerathen. Beide Guisen entfernten sich bei diesen ihnen ungünstigen Umständen; der Cardinal ging auf seine Abtei und der Herzog nach Paris, wo er viele Anhänger hatte. Hier schmiedete er mit seinen Anhängern, dem Connetable von Montmorency, dem Marschall von St. André und andern, seine Pläne, die Lutheraner zu vertilgen; und dieses ist die Quelle, aus der alle Unruhen entstanden, die hernach das Königreich verwüsteten. Da jetzt Vieilleville sah, daß der König von Navarra und die Königin gut miteinander standen, drang er darauf, in sein Gouvernement zurückzukehren, welches man ihm auch endlich verstattete. Er war aber nicht lange in Metz, so wurde er vor vielen Andern ausersehen, nach Deutschland als außerordentlicher Gesandter zu gehen, um dem Kaiser und den Fürsten die Thronbesteigung des jungen Königs bekannt zu machen.

Vieilleville unternahm sogleich die Reise in Begleitung von sechzig Pferden. Zuerst begab er sich zum Kurfürsten von Bayern nach Heidelberg, von da nach Stuttgart zum Herzog von Württemberg, dann nach Augsburg und von dieser Stadt nach Weimar, wo Vieilleville vom Herzog Johann Friedrich und Johann Wilhelm sehr wohl empfangen wurde. Er überbrachte ihnen ihre Pension, welche Heinrich II. ihnen als Nachkömmlingen Karls des Großen zugesichert hatte, jedem zu viertausend Thalern jährlich. Von Weimar reiste Vieilleville nach Ulm; von da wollte er nach Kassel, allein man widerrieth es ihm, weil die Wege so gar schlecht wären. Von Wien ging es nach Frankfurt, von da nach Prag und von Prag, nach einer seltsamen Reiseroute, nach Mainz, und nun wieder über Koblenz, Trier nach Metz.

Ueberall wurde Vieilleville mit großen Ehrenbezeugungen aufgenommen, und besonders wohl ging es ihm in Wien. Gleich bei der ersten Audienz beim Kaiser Ferdinand I. sagte ihm dieser: »Sein Sie mir willkommen, Herr von Vieilleville, ob Sie mir gleich Ihr Gouvernement von Metz und die übrigen Reichsstädte, welche Frankreich dem deutschen Reich entzogen, nicht überbringen; ich hoffte lange, Sie zu sehen.« Der Kaiser nahm ihn sogleich mit in sein Zimmer, wo sie zwei Stunden ganz allein bei einander waren. Bei dieser Gelegenheit wunderte sich Vieilleville, daß sie ganz allein ins Zimmer kamen, indem es in Frankreich ganz anders war, wo die Franzosen ihrem Herrn fast die Füße abtreten, um überall in Menge hinzukommen, wo er hingeht. Vieilleville bemerkte ferner, und dieses sogar gegen den Kaiser, wie es ihn befremdete, nach Wien gekommen zu sein mit fünfzig bis sechzig Pferden und von Niemand befragt zu werden, woher er käme, oder wer er wäre; wie gefährlich dieses sei, da ein Pascha nur dreißig Stunden von der Stadt liege. Der Kaiser befahl sogleich, an jedes Thor starke Wachen zu legen; doch schränkte er den Befehl, auf Anrathen Vieillevilles, um den Pascha nicht aufmerksam zu machen, darauf ein, auf den höchsten Thurm einen Wächter zu setzen, der immer auf jene Gegend Acht geben und jede Veränderung mit einigen Schlägen an der Glocke anzeigen sollte. Der Kaiser wollte, daß dieses Vieillevilles Wache ihm zu Ehren auf immer heißen sollte. Bei einem großen Diner, welches der Kaiser gab, sah Vieilleville die Prinzessin Elisabeth, des römischen Königs Maximilians Tochter und Nièce des Kaisers. Ihm fiel sogleich der Gedanke bei, daß diese schöne Prinzessin der König sein Herr zur Gemahlin wählen solle, und er nahm es auf seine Gefahr, nach aufgehobener Tafel mit dem Kaiser davon zu sprechen, dem dieser Antrag sehr gefiel, und den auch der König von Frankreich mit vielen Freuden, als Vieilleville bei seiner Rückkehr nach Frankreich davon sprach, annahm.

Vieilleville war jetzt wieder in Metz angelangt und gedachte einige Tage auszuruhen, als ein Courier vom Hof kam, der ihm Nachricht brachte, daß er nach England als Gesandter würde gehen müssen. Er reiste sogleich nach Paris ab, und hier erhielt er bald seine Abfertigung, um übers Meer zu gehen. Die Absicht seiner Reise war hauptsächlich, dem Cardinal von Chatillon entgegen zu arbeiten, der bei der Königin Elisabeth für die Hugenotten unterhandeln wollte. Vieilleville wußte es bei der Königin, die im Anfang sehr gegen seinen Auftrag war, so gut einzuleiten, daß, als der Cardinal von Chatillon nach London kam, er zu keiner Audienz bei der Königin vorgelassen wurde. Indessen wurden die Unruhen in Frankreich immer größer, der Prinz von Condé belagerte Paris, er mußte jedoch diese Belagerung bald aufgeben, und bald darauf fiel die Schlacht von Dreux vor, wo der Herzog von Guise den schon siegenden Prinzen völlig aufs Haupt schlug. Der Marschall von St. André hatte die Avantgarde des Königs commandiert, war zu dem Herzog von Guise gestoßen und verfolgte nur mit vierzig oder fünfzig Pferden die Flüchtlinge. St. André stößt auf einen Capitän der leichten Cavallerie, Namens Bobigny, der mit einem Trupp davon floh. Man ruft sich einander an, der Marschall antwortet zuerst und nennt sich. Bobigny fällt über seine Truppen her, macht sie nieder und nimmt den Marschall gefangen. Dieser Capitän war ehedem in des Marschalls Diensten gewesen, hatte aber einen Stallmeister erstochen. St. André ließ ihm den Proceß machen und, da er nach Deutschland ausgewichen war, im Bildniß aufhängen. Jetzt bat der Marschall, ihn nach Kriegsgebrauch zu behandeln und das Vergangene zu vergessen. Indessen entwaffnete Bobigny den Marschall und ließ sich sein Wort geben, bei ihm als Gefangener zu bleiben. So ritten sie fort, als der Prinz von Porcian von der Condéschen Partei kam, diesen Gefangenen sah und ihm die Hand gab. Der Marschall bot sich ihm sogleich als Gefangener an, und der Prinz suchte ihn den Händen Bobignys zu entziehen. Allein dieser setzte sich zur Wehr, und da alles darüber schrie, wie dies ungerecht sei, daß ein Prinz einem Geringern seinen Vortheil rauben wollte, ließ Porcian davon ab. Kaum war Bobigny tausend oder zwölfhundert Schritte vom Prinzen entfernt, so wendete er sich zu dem Marschall mit den Worten: »Du hast mir durch deine schlechte Denkungsart zu erkennen gegeben, wie ich dir nicht trauen kann; du hast dein Wort gebrochen. Du wirst mich ruinieren, wenn du wieder los kommst. Du hast mich im Bild hängen lassen, mein Vermögen eingezogen und es deinen Bedienten gegeben; du hast mein ganzes Haus ruiniert. Die Stunde ist gekommen, wo dich Gottes Urtheil trifft,« und hiemit schoß er dem Marschall eine Kugel vor den Kopf. Die Nachricht vom Tod eines Marschalls von Frankreich trübte in Paris den Sieg der Katholiken ein wenig, besonders war Vieilleville untröstlich darüber. Es wurde ihm sogleich das Brevet eines Marschalls von Frankreich überbracht, er wies es aber ab. Der Kanzler von Frankreich selbst begab sich zu ihm; mehrere Prinzen baten ihn, die Stelle anzunehmen, er schlug es aus. Er wollte nicht einer Person in ihrer Stelle folgen, die er so über alles geliebt hatte. Der König, entrüstet über dieses Ausschlagen, ging selbst zu Vieilleville; er fand ihn trostlos auf dem Bette liegen und befahl ihm, den Marschallsstab anzunehmen. Vieilleville, gerührt über diese Gnade, konnte sich nicht länger weigern; er fiel seinem König zu Füßen und empfing aus seinen Händen das Brevet.

Einige Zeit nachher wurde Vieilleville nach Rouen geschickt, weil man nicht genug Zutrauen in die Fähigkeiten des dortigen Commandanten, Herrn von Villebon, setzte und doch zu besorgen war, daß der Admiral Coligny auf diese Stadt losgehen möchte. Dieser Villebon war zwar ein Verwandter von Vieilleville; allein er führte sich sehr unfreundschaftlich gegen ihn auf und unterließ bei jeder Gelegenheit, seine Schuldigkeit zu thun. Folgende Gelegenheit gab zu ernsten Auftritten Anlaß.

Man hatte in Rouen eine Magistratsperson, reformierter Religion, entdeckt, die sich heimlich in die Stadt zu schleichen und vergrabenes Geld wegzubringen gewußt hatte. Dieses wurde entdeckt, und der Gouverneur Villebon ließ diesen Mann auf öffentlicher Straße niedermachen und seinen Körper zum allgemeinen Aergerniß mißhandelt da liegen. Niemand traute sich, ihn, als einen Ketzer, anzurühren. Vieilleville erfuhr dieses, war sehr darüber aufgebracht und befahl sogleich, ihn zur Erde zu bestatten. Das Geld, welches Boisgyraud bei sich gehabt hatte, war bei dem Gouverneur verschwunden; Villebon, dem nicht wohl zu Muthe war, schickte eine seiner Kreaturen, einen Parlamentsrath, zu dem Marschall, um zu erforschen, was Vieilleville wohl wegen des Geldes im Sinn hätte. Kaum war dieser aber vor den Marschall gekommen, als er ihn so hart anließ, daß er vor Bosheit weinte, und als er sich auf seine Parlamentsstelle berief, wollte ihn Vieilleville sogar zum Fenster hinaus werfen lassen. Dieser Rath ging darauf zu Villebon und sagte ihm, daß der Marschall von ihm gesagt habe, wie er unwürdig wäre, Commandant der Stadt zu sein. Villebon, aufgebracht über diese falsche Nachricht, ging fünf oder sechs Tage nicht zu Vieilleville. Sie sehen sich endlich in der Kirche, grüßen einander, und der Marschall nimmt ihn zum Essen mit nach Hause. Nach Tische fängt Villebon von der Sache an; der Marschall saß noch und bat ihn, die Sache ruhen zu lassen. Villebon aber wird hitzig, sagt, daß alle Die, welche behauptet, er sei seiner Stelle unwürdig, in ihren Hals hineingelogen. Der Marschall springt darüber auf und gibt ihm einen Stoß, daß er ohne den Tisch zur Erde gestürzt wäre. Villebon zieht den Degen, der Marschall den seinigen. In dem Augenblick fliegt die Hand von Villebon und ein Stück des Arms zu Boden. Alles war erstaunt; Villebon fiel zur Erde nieder, man brachte ihn fort. Vieilleville erlaubte nicht, daß man die Hand fort trug. »Hier soll sie liegen bleiben, denn sie hat mir in den Bart gegriffen.«

Indessen verbreitete sich das Gerücht, der Gouverneur sei so zurichtet worden, weil er ein Feind der Hugenotten sei; das Volk läuft zu den Waffen und belagerte den Ort, wo Vieilleville wohnte. Dieser hatte aber schon vorläufig Anstalten getroffen. Alle, die hereinbrechen wollten, wurden gut empfangen und ihrer viele getödtet. Und da endlich auch ein großer Theil der Soldaten in Rouen auf die Seite des Marschalls trat und zur Hilfe herbeimarschierte, zerstreute sich bald alles, obgleich noch viele Versuche gemacht wurden, die Belagerung aufs neue anzufangen. Nach und nach kam die Cavallerie an, die vor Rouen auf den Dörfern lag, und so wurde alles ruhig. Jedermann fürchtete sich jetzt vor dem Zorn und der Rache des Marschalls. Er verzieh aber Allen und stellte die Ruhe vollkommen wieder her.

Der König erhielt Nachricht, daß die deutschen Fürsten auf Metz losgehen wollten, und beorderte daher den Marschall, sich in sein Gouvernement zu begeben. Als er dahin kam, fand er diese Nachricht auch wirklich in so weit bestätigt, daß die Fürsten, als sie gehört, Vieilleville sei in der Unruhe von Rouen getödtet worden, beschlossen, vierzigtausend zu Fuß und zwanzigtausend Reiter aufzubringen und die Städte Toul, Verdun und Metz, die unter Karl V. vom Reich abgerissen worden, wieder zu erobern. Dieser Plan sei aber aufgegeben worden, als sie gehört, daß Vieilleville noch am Leben sei und in sein Gouvernement zurückkehren werde.

Vieilleville fand sich einige Zeit nachher auf Befehl des Königs bei der Belagerung von Havre de Grace ein, die der alte Connetable von Montmorency commandierte, und auch hier, ob er gleich von der Familie Montmorency mit neidischen Augen angesehen wurde, leistete er so gute Dienste, daß diese Stadt in etlichen Wochen überging. Bei den neuen unruhigen Projekten, die der Connetable schmiedete, und die des Königs Gegenwart in Paris erforderten, um sie zu dämpfen, betrug Vieilleville sich mit so viel Muth, Standhaftigkeit und Klugheit, daß ihn der König nicht mehr von sich lassen wollte, ja sogar ihm, als der Connetable in der Schlacht von St. Denis gegen den Prinzen von Condé geblieben war, diese hohe Stelle übertrug; dieses geschah im großen Rath. Vieilleville stand von seinem Stuhl auf, ließ sich auf ein Knie vor dem König nieder und – schlug diese Gnade auf eine so uneigennützige, kluge und feine Art aus, so daß er alle Herzen gewann. Kurz darauf wurde Vieilleville, nachdem er St. Jean d'Angely, welches ein Capitän vom Prinzen Condé sehr tapfer vertheidigt, eingenommen und wobei der Gouverneur von Bretagne geblieben war, mit diesem Gouvernement belehnt, eine Stelle, die ihm sehr viel Freude machte, da er zugleich die Erlaubniß erhielt, den einen seiner Schwiegersöhne, d'Espinay, zu seinem Generallieutenant in Bretagne, und den andern, Duilly, als Gouverneur von Metz zu ernennen. Kaum war alles Dieses vor sich gegangen und der König zurückgekehrt, als der Herzog von Montpensier mit großem Ungestüm als Prinz von Geblüt das Gouvernement von Bretagne forderte. Der König schlug es ihm ab, der Herzog forderte noch ungestümer und weinte endlich sogar, welches ihm als einem Mann von Stande von vierzig bis fünfzig Jahren gar wunderlich stand. Der König weiß sich nicht mehr zu helfen und schickt an Vieilleville eine vertraute Person ab, die Sache vorzulegen, wie sie ist. Vieilleville war sogleich geneigt, seine Stelle in die Hände des Königs niederzulegen. »Es ist mir nur leid,« sagte er bloß, »daß ein so tapferer Prinz sich der Waffen eines Weibes bedient hat, um zu seinem Zweck zu gelangen und mir mein Glück zu rauben.« Zugleich schickte ihm der König zehntausend Thaler als Geschenk, die er aber durchaus nicht annehmen wollte, und als ihm endlich ein Billet des Königs vorgezeigt wurde, worin ihm mit Ungnade gedroht wurde, wenn er es nicht thun wollte, theilte er die Summe unter seine beiden Schwiegersöhne, die auch ihre Hoffnungen verloren.

Der beste Staatsdienst, den Vieilleville seinem König leistete, war bei Gelegenheit einer Gesandtschaft an die Schweizer Kantons, mit welchen er ein Bündniß schloß, das vorteilhafter war, als alle vorhergehenden. In seinem Schloß Durestal, wo er sich in den letzten Zeiten seines Lebens aufhielt, besuchte ihn oft Karl IX., der einmal einen ganzen Monat da blieb und sich mit der Jagd bei ihm belustigte. Dieses Verhältniß mit dem König und die ausgezeichnete Gnade, deren er genoß, erregten ihm Feinde und Neider.

Er bekam eines Tages Gift, und dieses wirkte so heftig, daß er in zwölf Stunden todt war. Der König mit seiner Mutter war eben in Vieillevilles Schloß und sehr betreten über diesen Todesfall.

So starb den letzten November 1571 ein Mann, der ein wahrer Vater des Volks, eine Stütze der Gerechtigkeit und Gesetzgeber in der Kriegskunst war. Nach ihm brachen Unruhen jeder Art erst aus. Den Ruhestörern war er durch seinen Muth, durch seine Klugheit und seine Gerechtigkeitsliebe und durch sein Ansehen in dem Weg gestanden; darum brachten sie ihn aus der Welt.


 << zurück