Friedrich Schiller
Don Carlos, Infant von Spanien
Friedrich Schiller

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Zehnter Auftritt.

Die Vorigen. Alba, Domingo treten erschrocken herein. Damen folgen.

König.         Man bringe
Die Königin zu Hause. Ihr ist übel.

(Die Königin geht ab, begleitet von den Damen. Alba und Domingo treten näher.)

Alba. Die Königin in Thränen, und auf ihrem
Gesichte Blut –

König.         Das nimmt die Teufel Wunder,
Die mich verleitet haben?

Alba, Domingo.         Wir?

König.                 Die mir
Genug gesagt, zum Rasen mich zu bringen,
Zu meiner Ueberzeugung nichts.

Alba.         Wir gaben,
Was wir gehabt –

König.         Die Hölle dank' es euch.
Ich habe, was mit reut, gethan. War das
Die Sprache eines schuldigen Gewissens?

Marquis von Posa (noch außerhalb der Scene).
Ist der Monarch zu sprechen?

Eilfter Auftritt.

Marquis von Posa. Die Vorigen.

König (bei dieser Stimme lebhaft auffahrend und dem Marquis einige Schritte entgegen gehend).
        Ah, das ist er!
Seit mir willkommen, Marquis – Eurer, Herzog,
Bedarf ich jetzt nicht mehr. Verlaßt uns.

(Alba und Domingo sehen einander mit stummer Verwunderung an und gehen.)

Zwölfter Auftritt.

Der König und Marquis von Posa.

Marquis.         Sire!
Dem alten Manne, der in zwanzig Schlachten
Dem Tod für Sie entgegen ging, fällt es
Doch hart, sich so entfernt zu sehn!

König.         Euch ziemt
Es, so zu denken, so zu handeln, mir.
Was Ihr in wenig Stunden mir gewesen,
War er in einem Menschenalter nicht.
Ich will nicht heimlich thun mit meinem Wohlgefallen;
Das Siegel meiner königlichen Gunst
Soll hell und weit auf Eurer Stirne leuchten.
Ich will den Mann, den ich zum Freund gewählt,
Beneidet sehn.

Marquis.         Und dann auch, wenn die Hülle
Der Dunkelheit allein ihn fähig machte,
Des Namens werth zu sein?

König.         Was bringt
Ihr mir?

Marquis.         Als ich das Vorgemach durchgehe,
Hör' ich von einem schrecklichen Gerüchte,
Das mir unglaublich däucht – Ein heftiger
Wortwechsel – Blut – die Königin –

König.         Ihr kommt von dort?

Marquis.         Entsetzen sollt' es mich,
Wenn das Gerücht nicht Unrecht hätte, wenn
Von Eurer Majestät indeß vielleicht
Etwas geschehen wäre – Wichtige
Entdeckungen, die ich gemacht, verändern
Der Sache ganze Lage.

König.         Nun?

Marquis.                 Ich fand
Gelegenheit, des Prinzen Portefeuille
Mit einigen Papieren wegzunehmen,
Die, wie ich hoffe, ein'ges Licht –
        (Er gibt Carlos' Brieftasche dem König.)

König (durchsieht sie begierig).         Ein Schreiben
Vom Kaiser, meinem Vater – – Wie? Von dem
Ich nie gehört zu haben mich entsinne?
        (Er liest es durch, legt es bei Seite und eilt zu den andern Papieren.)
Der Plan zu einer Festung – Abgerißne
Gedanken aus dem Tacitus – Und was
Denn hier? – Die Hand sollt' ich doch kennen!
Es ist von einer Dame.
        (Er liest aufmerksam, bald laut, bald leise.)
                »Dieser Schlüssel – –
»Die hintern Zimmer im Pavillon
»Der Königin« – Ha! Was wird das? – »Hier darf
»Die Liebe frei – Erhörung – schöner Lohn« –
Satanische Verrätherei! Jetzt kenn' ich's,
Sie ist es. Es ist ihre Hand!

Marquis.         Die Hand
Der Königin? Unmöglich –

König.         Der Prinzessin
Von Eboli –

Marquis.         So wär' es wahr, was mir
Unlängst der Page Henarez gestanden,
Der Brief und Schlüssel überbrachte.

König (Des Marquis Hand fassend, in heftiger Bewegung).
        Marquis,
Ich sehe mich in fürchterlichen Händen!
Dies Weib – ich will es nur gestehen – Marquis,
Dies Weib erbrach der Königin Schatulle,
Die erste Warnung kam von ihr – Wer weiß,
Wie viel der Mönch drum wissen mag – Ich bin
Durch ein verruchtes Bubenstück betrogen.

Marquis. Dann wär' es ja noch glücklich –

König.         Marquis! Marquis!
Ich fange an, zu fürchten, daß ich meiner
Gemahlin doch zu viel gethan –

Marquis.         Wenn zwischen
Dem Prinzen und der Königin geheime
Verständnisse gewesen sind, so waren
Sie sicherlich von weit – weit anderm Inhalt,
Als dessen man sie angeklagt. Ich habe
Gewisse Nachricht, daß des Prinzen Wunsch,
Nach Flandern abzureisen, in dem Kopfe
Der Königin entsprang.

König.         Ich glaubt' es immer.

Marquis. Die Königin hat Ehrgeiz – Darf ich mehr
Noch sagen? – Mit Empfindlichkeit sieht sie
In ihrer stolzen Hoffnung sich getäuscht
Und von des Thrones Antheil ausgeschlossen.
Des Prinzen rasche Jugend bot sich ihren
Weit blickenden Entwürfen dar – ihr Herz –
Ich zweifle, ob sie lieben kann.

König.         Vor ihren
Staatsklugen Planen zittr' ich nicht.

Marquis. Ob sie geliebt wird? – Ob von dem Infanten
Nichts Schlimmeres zu fürchten? Diese Frage
Scheint mir der Untersuchung werth. Hier, glaub' ich,
Ist eine strenge Wachsamkeit vonnöthen –

König. Ihr haftet mir für ihn. –

Marquis (nach einigem Bedenken). Wenn Eure Majestät
Mich fähig halten, dieses Amt zu führen,
So muß ich bitten, es uneingeschränkt
Und ganz in meine Hand zu übergeben.

König. Das soll geschehen.

Marquis.         Wenigstens durch keinen
Gehilfen, welchen Namen er auch habe,
In Unternehmungen, die ich etwa
Für nöthig finden könnte, mich zu stören –

König. Durch keinen. Ich versprech' es Euch. Ihr wart
Mein guter Engel. Wie viel Dank bin ich
Für diesen Wink Euch schuldig!
        (Zu Lerma, der bei den letzten Worten hereintritt.)
                Wie verließt Ihr
Die Königin?

Lerma.         Noch sehr erschöpft von ihrer Ohnmacht.
        (Er sieht den Marquis mit zweideutigen Blicken an und geht.)

Marquis (nach einer Pause zum König).
Noch eine Vorsicht scheint mir nöthig.
Der Prinz, fürcht' ich, kann Warnungen erhalten.
Er hat der guten Freunde viel – vielleicht
Verbindungen in Gent mit den Rebellen.
Die Furcht kann zu verzweifelten Entschlüssen
Ihn führen – Darum rieth' ich an, gleich jetzt
Vorkehrungen zu treffen, diesem Fall
Durch ein geschwindes Mittel zu begegnen.

König. Ihr habt ganz Recht. Wie aber –

Marquis.         Ein geheimer
Verhaftsbefehl, den Eure Majestät
In meine Hände niederlegen, mich
Im Augenblicke der Gefahr sogleich
Desselben zu bedienen – und –
        (Wie sich der König zu bedenken scheint.)
                Es bliebe
Fürs Erste Staatsgeheimniß, bis –

König (zum Schreibepult gehend und den Verhaftsbefehl niederschreibend).
        Das Reich
Ist auf dem Spiele – Außerordentliche Mittel
Erlaubt die dringende Gefahr – Hier, Marquis –
Euch brauch' ich keine Schonung zu empfehlen –

Marquis (empfängt den Verhaftsbefehl).
Es ist aufs Aeußerste, mein König.

König (legt die Hand auf seine Schulter).     Geht,
Geht, lieber Marquis – Ruhe meinem Herzen
Und meinen Nächten Schlaf zurück zu bringen.

(Beide gehen ab zu verschiedenen Seiten.)

 
Galerie.

Dreizehnter Auftritt.

Carlos kommt in der größten Beängstigung. Graf Lerma ihm entgegen.

Carlos. Sie such' ich eben.

Lerma.         Und ich Sie.

Carlos.                 Ist's wahr?
Um Gottes willen, ist es wahr?

Lerma.         Was denn?

Carlos. Daß er den Dolch nach ihr gezückt? daß man
Aus seinem Zimmer blutig sie getragen?
Bei allen Heiligen, antworten Sie!
Was muß ich glauben? was ist wahr?

Lerma.         Sie fiel
Ohnmächtig hin und ritzte sich im Fallen.
Sonst war es nichts.

Carlos.         Sonst hat es nicht Gefahr?
Sonst nicht? Bei Ihrer Ehre, Graf?

Lerma.         Nicht für
Die Königin – doch desto mehr für Sie.

Carlos. Für meine Mutter nicht! Nun, Gott sei Dank!
Mit kam ein schreckliches Gerücht zu Ohren,
Der König rase gegen Kind und Mutter,
Und ein Geheimniß sei entdeckt.

Lerma.         Das Letzte
Kann auch wohl wahr sein –

Carlos.         Wahr sein! Wie?

Lerma. Prinz, eine Warnung gab ich Ihnen heute,
Die Sie verachtet haben. Nützen Sie
Die zweite besser.

Carlos.         Wie?

Lerma.                 Wenn ich mich anders
Nicht irre, Prinz, sah ich vor wen'gen Tagen
Ein Portefeuille von himmelblauem Sammt,
Mit Gold durchwirkt, in Ihrer Hand –

Carlos (etwas bestürzt).         So eins
Besitz' ich. Ja – Nun? –

Lerma.         Auf der Decke, glaub' ich,
Ein Schattenriß, mit Perlen eingefaßt –

Carlos. Ganz recht.

Lerma.         Als ich vorhin ganz unvermuthet
Ins Kabinet des Königs trag, glaubt' ich
Das nämliche in seiner Hand zu sehen,
Und Marquis Posa stand bei ihm –

Carlos (nach einem kurzen erstarrenden Stillschweigen, heftig).     Das ist
Nicht wahr.

Lerma (empfindlich).     Dann freilich bin ich ein Betrüger.

Carlos (sieht ihn lange an). Der sind Sie. Ja.

Lerma.                 Ach! ich verzeih' es Ihnen.

Carlos (geht in schrecklicher Bewegung auf und nieder und bleibt endlich vor ihm stehen).
Was hat er dir zu Leid gethan? Was haben
Die unschuldsvollen Bande dir gethan,
Die du mit höllischer Geschäftigkeit
Zu reißen dich beeiferst?

Lerma.         Prinz, ich ehre
Den Schmerz, der Sie unbillig macht.

Carlos.                 O Gott!
Gott! – Gott! Bewahre mich vor Argwohn!

Lerma.                 Auch
Erinnr' ich mich des Königs eigner Worte:
Wie vielen Dank, sagt' er, als ich herein trat,
Bin ich für diese Neuigkeit Euch schuldig!

Carlos. O stille! stille!

Lerma.         Herzog Alba soll
Gefallen sein – dem Prinzen Ruy Gomez
Das große Siegel abgenommen und
Dem Marquis übergeben sein –

Carlos (in tiefes Grübeln verloren).         Und mir verschwieg er!
Warum verschwieg er mir?

Lerma.         Der ganze Hof
Staunt ihn schon als allmächtigen Minister,
Als unumschränkten Günstling an –

Carlos.                 Er hat
Mich lieb gehabt, sehr lieb. Ich war ihm theuer,
Wie seine eigne Seele. O, das weiß ich –
Das haben tausend Proben mir erwiesen.
Doch sollen Millionen ihm, soll ihm
Das Vaterland nicht theurer sein als Einer?
Sein Busen war für einen Freund zu groß,
Und Carlos' Glück zu klein für seine Liebe.
Er opferte mich seiner Tugend. Kann
Ich ihn drum schelten? – Ja, es ist gewiß!
Jetzt ist's gewiß. Jetzt hab' ich ihn verloren.
        (Er geht seitwärts und verhüllt das Gesicht.)

Lerma (nach einigem Stillschweigen).
Mein bester Prinz, was kann ich für Sie thun?

Carlos (ohne ihn anzusehen).
Zum König gehen und mich auch verrathen.
Ich habe nichts zu schenken.

Lerma.                 Wollen Sie
Erwarten, was erfolgen mag?

Carlos (stützt sich auf das Geländer und sieht starr vor sich hinaus).
                Ich hab' ihn
Verloren. O, jetzt bin ich ganz verlassen!

Lerma (nähert sich ihm mit theilnehmender Rührung).
Sie wollen nicht auf Ihre Rettung denken?

Carlos. Auf meine Rettung? – Guter Mensch!

Lerma.                 Und sonst,
Sonst haben Sie für Niemand mehr zu zittern?

Carlos (fährt auf).
Gott! Woran mahnen Sie mich! – Meine Mutter!
Der Brief, den ich ihm wieder gab! ihm erst
Nicht lassen wollte und doch ließ!
        (Er geht heftig und die Hände ringend auf und nieder.)
                Womit
Hat sie es denn verdient um ihn? Sie hätt' er
Doch schonen sollen. Lerma, hätt' er nicht?
        (Rasch entschlossen.)
Ich muß zu ihr – ich muß sie warnen, muß
Sie vorbereiten – Lerma, lieber Lerma –
Wen schick' ich denn? Hab' ich denn Niemand mehr?
Gott sei gelobt! Noch einen Freund – und hier
Ist nichts mehr zu verschlimmern. (Schnell ab.)

Lerma (folgt ihm und ruft ihm nach).         Prinz! Wohin? (Geht ab.)

Vierzehnter Auftritt.

Die Königin. Alba. Domingo.

Alba. Wenn uns vergönnt ist, große Königin –

Königin. Was steht zu Ihren Diensten?

Domingo.                 Redliche Besorgniß
Für Ihre königliche Majestät
Erhabene Person erlaubt uns nicht,
Bei einem Vorfall müßig still zu schweigen,
Der Ihre Sicherheit bedroht.

Alba.         Wir eilen,
Durch unsre zeit'ge Warnung ein Komplott,
Das wider Sie gespielt wird, zu entkräften –

Domingo. Und unsern Eifer – unsre Dienste zu
Den Füßen Ihrer Majestät zu legen.

Königin (sieht sie verwundernd an).
Hochwürd'ger Herr, und Sie, mein edler Herzog,
Sie überraschen mich wahrhaftig. Solcher
Ergebenheit war ich mir von Domingo
Und Herzog Alba wirklich nicht vermuthend.
Ich weiß, wie ich sie schätzen muß – Sie nennen
Mir ein Komplott, das mich bedrohen soll.
Darf ich erfahren, wer – –

Alba.                 Wir bitten Sie,
Vor einem Marquis Posa sich zu hüten,
Der für des Königs Majestät geheime
Geschäfte führt.

Königin.         Ich höre mit Vergnügen,
Daß der Monarch so gut gewählt. Den Marquis
Hat man mir längst als einen guten Menschen,
Als einen großen Mann gerühmt. Nie ward
Die höchste Gunst gerechter ausgetheilt –

Domingo. Gerechter ausgetheilt? Wir wissen's besser.

Alba. Es ist längst kein Geheimniß mehr, wozu
Sich dieser Mensch gebrauchen lassen.

Königin.                 Wie?
Was wär' denn das? Sie spannen meine ganze
Erwartung.

Domingo.     Ist es schon von lange,
Daß Ihre Majestät zum letzten Mal in Ihrer
Schatulle nachgesehen?

Königin.         Wie?

Domingo.                 Und haben
Sie nichts darin vermißt von Kostbarkeiten?

Königin. Wie so? Warum? Was ich vermisse, weiß
Mein ganzer Hof – Doch Marquis Posa? Wie
Kommt Marquis Posa damit in Verbindung?

Alba. Sehr nahe, Ihre Majestät – dann auch
Dem Prinzen fehlen wichtige Papiere,
Die in des Königs Händen diesen Morgen
Gesehen worden – als der Chevalier
Geheime Audienz gehabt.

Königin (nach einigem Nachdenken).     Seltsam,
Bei Gott! und äußerst sonderbar! – Ich finde
Hier einen Feind, von dem mir nie geträumt,
Und wiederum zwei Freunde, die ich nie besessen
Zu haben mich entsinnen kann – Denn wirklich
        (indem sie einen durchdringenden Blick auf beide heftet.)
Muß ich gestehn, ich war schon in Gefahr,
Den schlimmen Dienst, den mir bei meinem Herrn
Geleistet worden – Ihnen zu vergeben.

Alba. Uns?

Königin.     Ihnen.

Domingo.         Herzog Alba! Uns!

Königin (noch immer die Augen fest auf sie gerichtet).     Wie lieb
Ist es mir also, meiner Uebereilung
So bald gewahr zu werden – ohnehin
Hatt' ich beschlossen, Seine Majestät
Noch heut zu bitten, meinen Kläger mir
Zu stellen. Um so besser nun! So kann ich
Auf Herzog Albas Zeugniß mich berufen.

Alba. Auf mich? Das wollten Sie im Ernst?

Königin.                 Warum nicht?

Domingo. Um alle Dienste zu entkräften, die
Wir Ihnen im Verborgnen –

Königin.                 Im Verborgnen?
        (Mit Stolz und Ernst.)
Ich wünschte doch zu wissen, Herzog Alba,
Was Ihres Königs Frau mit Ihnen, oder
Mit Ihnen, Priester, abzureden hätte,
Das ihr Gemahl nicht wissen darf – – Bin ich
Unschuldig oder schuldig?

Domingo.         Welche Frage!

Alba. Doch, wenn der König so gerecht nicht wäre?
Es jetzt zum Mindesten nicht wäre?

Königin.                 Dann
Muß ich erwarten, bis er's wird – Wohl Dem,
Der zu gewinnen hat, wenn er's geworden!

(Sie macht ihnen eine Verbeugung und geht ab; jene entfernen sich nach einer andern Seite.)


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