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Alba. Domingo.
Domingo (nach einer Pause, worin er die Prinzessin mit den Augen begleitet hat).
              Herzog, diese Rosen
      Und Ihre Schlachten –
Alba.         Und dein Gott – so will ich
      Den Blitz erwarten, der uns stürzen soll! (Sie gehen ab.)
In einem Karthäuserkloster.
Don Carlos. Der Prior.
Carlos (zum Prior, indem er hereintritt).
      Schon da gewesen also? – Das beklag' ich.
Prior. Seit heute Morgen schon das dritte Mal.
      Vor einer Stunde ging er weg –
Carlos.         Er will
      Doch wiederkommen? Hinterließ er nicht?
Prior. Vor Mittag noch, versprach er.
Carlos (an ein Fenster und sich in der Gegend umsehend).     Euer Kloster
      Liegt weit ab von der Straße. – Dorthin zu
      Sieht man noch Thürme von Madrid. – Ganz recht,
      Und hier fließt der Manzanares – Die Landschaft
      Ist, wie ich sie mir wünsche. Alles ist
      Hier still, wie ein Geheimniß.
Prior.         Wie der Eintritt
      Ins andre Leben.
Carlos.         Eurer Redlichkeit,
      Hochwürd'ger Herr, hab' ich mein Kostbarstes,
      Mein Heiligstes vertraut. Kein Sterblicher
      Darf wissen oder nur vermuthen, wen
      Ich hier gesprochen und geheim. Ich habe
      Sehr wicht'ge Gründe, vor der ganzen Welt
      Den Mann, den ich erwarte, zu verleugnen:
      Drum wählt' ich dieses Kloster. Vor Verräthern,
      Vor Ueberfall sind wir doch sicher? Ihr
      Besinnt Euch doch, was Ihr mir zugeschworen?
Prior. Vertrauen Sie uns, gnäd'ger Herr. Der Argwohn
      Der Könige wird Gräber nicht durchsuchen.
      Das Ohr der Neugier liegt nur an den Thüren
      Des Glückes und der Leidenschaft. Die Welt
      Hört auf in diesen Mauern.
Carlos.         Denkt Ihr etwa,
      Daß hinter diese Vorsicht, diese Furcht
      Ein schuldiges Gewissen sich verkrieche?
Prior. Ich denke nichts.
Carlos.         Ihr irrt Euch, frommer Vater,
      Ihr irrt Euch wahrlich. Mein Geheimniß zittert
      Vor Menschen, aber nicht vor Gott.
Prior.         Mein Sohn,
      Das kümmert uns sehr wenig. Diese Freistatt
      Steht dem Verbrechen offen, wie der Unschuld.
      Ob, was du vorhast, gut ist oder übel,
      Rechtschaffen oder lasterhaft – das mache
      Mit deinem Herzen aus.
Carlos (mit Wärme).         Was wir
      Verheimlichen, kann Euren Gott nicht schänden.
      Es ist sein eignes, schönstes Werk. – Zwar Euch,
      Euch kann ich's wohl entdecken.
Prior.         Zu was Ende?
      Erlassen Sie mir's lieber, Prinz. Die Welt
      Und ihr Geräthe liegt schon lange Zeit
      Versiegelt da auf jene große Reise.
      Wozu die kurze Frist vor meinem Abschied
      Noch einmal es erbrechen? – Es ist wenig,
      Was man zur Seligkeit bedarf. – Die Glocke
      Zur Hora läutet. Ich muß beten gehn. (Der Prior geht ab.)
Don Carlos. Der Marquis von Posa tritt ein.
Carlos. Ach, endlich einmal, endlich –
Marquis         Welche Prüfung
      Für eines Freundes Ungeduld! Die Sonne
      Ging zweimal auf und zweimal unter, seit
      Das Schicksal meines Carlos sich entschieden,
      Und jetzt, erst jetzt werd' ich es hören. – Sprich,
      Ihr seid versöhnt?
Carlos. Wer?
Marquis.                 Du und König Philipp;
      Und auch mit Flandern ist's entschieden?
Carlos.         Daß
      Der Herzog morgen dahin reist? – Das ist
      Entschieden, ja.
Marquis.         Das kann nicht sein. Das ist nicht.
      Soll ganz Madrid belogen sein? Du hattest
      Geheime Audienz, sagt man. Der König –
Carlos. Blieb unbewegt. Wir sind getrennt auf immer,
      Und mehr, als wir's schon waren –
Marquis.         Du gehst nicht
      Nach Flandern?
Carlos. Nein! Nein! Nein!
Marquis. O meine Hoffnung!
Carlos. Das nebenbei. O Roderich, seitdem
      Wir uns verließen, was hab' ich erlebt!
      Doch jetzt vor Allem deinen Rath! Ich muß
      Sie sprechen –
Marquis. Deine Mutter? – Nein! – Wozu?
Carlos. Ich habe Hoffnung. – Du wirst blaß? Sei ruhig.
      Ich soll und werde glücklich sein. – Doch davon
      Ein ander Mal. Jetzt schaffe Rath, wie ich
      Sie sprechen kann. –
Marquis.         Was soll das? Worauf gründet
      Sich dieser neue Fiebertraum?
Carlos.         Nicht Traum!
      Beim wundervollen Gotte nicht! – Wahrheit, Wahrheit!
              (den Brief des Königs an die Fürstin von Eboli hervorziehend)
      In diesem wichtigen Papier enthalten!
      Die Königin ist frei, vor Menschenaugen,
      Wie vor des Himmels Augen, frei. Da lies
      Und höre auf, dich zu verwundern.
Marquis (den Brief öffnend).         Was?
      Was seh' ich? Eigenhändig vom Monarchen?
              (Nachdem er es gelesen.)
      An wen ist dieser Brief?
Carlos.         An die Prinzessin
      Von Eboli. – Vorgestern bringt ein Page
      Der Königin von unbekannten Händen
      Mir einen Brief und einen Schlüssel. Man
      Bezeichnet mir im linken Flügel des
      Palastes, den die Königin bewohnet,
      Ein Kabinet, wo eine Dame mich
      Erwarte, die ich längst geliebt. Ich folge
      Sogleich dem Winke –
Marquis. Rasender, du folgst?
Carlos. Ich kenne ja die Handschrift nicht – ich kenne
      Nur eine solche Dame. Wer, als sie,
      Wird sich von Carlos angebetet wähnen?
      Voll süßen Schwindels flieg' ich nach dem Platze;
      Ein göttlicher Gesang, der aus dem Innern
      Des Zimmers mir entgegen schallt, dient mir
      Zum Führer – ich eröffne das Gemach –
      Und wen entdeck' ich? – Fühle mein Entsetzen!
Marquis. O, ich errathe Alles.
Carlos.         Ohne Rettung
      War ich verloren, Roderich, wär' ich
      In eines Engels Hände nicht gefallen.
      Welch unglücksel'ger Zufall! Hintergangen
      Von meiner Blicke unvorsicht'ger Sprache,
      Gab sie der süßen Täuschung sich dahin,
      Sie selber sei der Abgott dieser Blicke.
      Gerührt von meiner Seele stillen Leiden,
      Beredet sich großmüthig-unbesonnen
      Ihr weiches Herz, mir Liebe zu erwiedern.
      Die Ehrfurcht schien mir Schweigen zu gebieten;
      Sie hat die Kühnheit, es zu brechen – offen
      Liegt ihre schöne Seele mir –
Marquis.         So ruhig
      Erzählst du das? – Die Fürstin Eboli
      Durchschaute dich. Kein Zweifel mehr, sie drang
      In deiner Liebe innerstes Geheimniß.
      Du hast sie schwer beleidigt. Sie beherrscht
      Den König.
Carlos (zuversichtlich). Sie ist tugendhaft.
Marquis.                         Sie ist's
      Aus Eigennutz der Liebe. – Diese Tugend,
      Ich fürchte sehr, ich kenne sie – wie wenig
      Reicht sie empor zu jenem Ideale,
      Das aus der Seele mütterlichem Boden,
      In stolzer, schöner Grazie empfangen,
      Freiwillig sproßt und ohne Gärtners Hilfe
      Verschwenderische Blüthen treibt! Es ist
      Ein fremder Zweig, mit nachgeahmtem Süd
      In einem rauhern Himmelsstrich getrieben,
      Erziehung, Grundsatz, nenn' es, wie du willst,
Erworbne Unschuld, dem erhitzten Blut
      Durch List und schwere Kämpfe abgerungen,
      Dem Himmel, der sie fordert und bezahlt,
      Gewissenhaft, sorgfältig angeschrieben.
      Erwäge selbst! Wird sie der Königin
      Es je vergeben können, daß ein Mann
      An ihrer eignen, schwer erkämpften Tugend
      Vorüberging, sich für Don Philipps Frau
      In hoffnungslosen Flammen zu verzehren?
Carlos. Kennst du die Fürstin so genau?
Marquis.         Gewiß nicht.
      Kaum daß ich zweimal sie gesehn. Doch nur
      Ein Wort laß mich noch sagen: mir kam vor,
      Daß sie geschickt des Lasters Blößen mied,
      Daß sie sehr gut um ihre Tugend wußte.
      Dann sah ich auch die Königin. O Carl,
      Wie anders Alles, was ich hier bemerkte!
      In angeborner stiller Glorie,
      Mit sorgenlosem Leichtsinn, mit des Anstands
      Schulmäßiger Berechnung unbekannt,
      Gleich ferne von Verwegenheit und Furcht,
      Mit festem Heldenschritte wandelt sie
      Die schmale Mittelbahn des Schicklichen,
      Unwissend, daß sie Anbetung erzwungen,
      Wo sie von eignem Beifall nie geträumt.
      Erkennt mein Carl auch hier in diesem Spiegel,
      Auch jetzt noch seine Eboli? – Die Fürstin
      Blieb standhaft, weil sie liebte; Liebe war
      In ihre Tugend wörtlich einbedungen.
      Du hast sie nicht belohnt – sie fällt.
Carlos (mit einiger Heftigkeit).          Nein! Nein!
              (Nachdem er heftig auf und nieder gegangen.)
      Nein, sag' ich dir. – Ich, wüßte Roderich,
      Wie trefflich es ihn kleidet, seinem Carl
      Der Seligkeiten göttlichste, den Glauben
      An menschliche Vortrefflichkeit, zu stehlen!
Marquis. Verdien' ich das? – Nein, Liebling meiner Seele,
      Das wollt' ich nicht, bei Gott im Himmel nicht! –
      O, diese Eboli – sie wär' ein Engel,
      Und ehrerbietig, wie du selbst, stürzt' ich
      Vor ihrer Glorie mich nieder, hätte
      Sie – dein Geheimniß nicht erfahren.
Carlos.         Sieh,
      Wie eitel deine Furcht ist! Hat sie andre
      Beweise wohl, als die sie selbst beschämen?
      Wird sie der Rache trauriges Vergnügen
      Mit ihrer Ehre kaufen?
Marquis.         Ein Erröthen
      Zurückzunehmen, haben Manche schon
      Der Schande sich geopfert.
Carlos (mit Heftigkeit aufstehend).     Nein, das ist
      Zu hart, zu grausam! Sie ist stolz und edel;
      Ich kenne sie und fürchte nichts. Umsonst
      Versuchst du, meine Hoffnungen zu schrecken.
      Ich spreche meine Mutter.
Marquis. Jetzt? Wozu?
Carlos. Ich habe nun nichts mehr zu schonen – muß
      Mein Schicksal wissen. Sorge nur, wie ich
      Sie sprechen kann.
Marquis.         Und diesen Brief willst du
      Ihr zeigen? Wirklich, willst du das?
Carlos.         Befrage
      Mich darum nicht. Das Mittel jetzt, das Mittel,
      Daß ich sie spreche!
Marquis (mit Bedeutung).         Sagtest du mir nicht,
      Du liebtest deine Mutter? – Du bist Willens,
      Ihr diesen Brief zu zeigen?
              (Carlos sieht zur Erde und schweigt.)
                      Carl, ich lese
      In deinen Mienen etwas – mir ganz neu –
      Ganz fremd bis diesen Augenblick. – Du wendest
      Die Augen von mir? Warum wendest du
      Die Augen von mir? So ist's wahr? – Ob ich
      Denn wirklich recht gelesen? Laß doch sehn –
(Carlos gibt ihm den Brief. Der Marquis zerreißt ihn.)
Carlos. Was? Bist du rasend?
              (Mit gemäßigter Empfindlichkeit.)
                      Wirklich – ich gesteh' es –
      An diesem Briefe lag mir viel.
Marquis.         So schien es.
      Darum zerriß ich ihn.
(Der Marquis ruht mit einem durchdringenden Blick auf dem Prinzen der ihn zweifelhaft ansieht. Langes Stillschweigen.)
        Sprich doch – was haben
      Entweihungen des königlichen Bettes
      Mit deiner – deiner Liebe denn zu schaffen?
      War Philipp dir gefährlich? Welches Band
      Kann die verletzten Pflichten des Gemahls
      Mit deinen kühnern Hoffnungen verknüpfen?
      Hat er gesündigt, wo du liebst? Nun freilich
      Lern' ich dich fassen. O, wie schlecht hab' ich
      Bis jetzt auf deine Liebe mich verstanden!
Carlos. Wie, Roderich? Was glaubst du?
Marquis.                 O, ich fühle,
      Wovon ich mich entwöhnen muß. Ja, einst,
      Einst war's ganz anders. Da warst du so reich,
      So warm, so reich! ein ganzes Weltkreis hatte
      In deinem weiten Busen Raum. Das alles
      Ist nun dahin, von einer Leidenschaft,
      Von einem kleinen Eigennutz verschlungen.
      Dein Herz ist ausgestorben. Keine Thräne
      Dem ungeheuren Schicksal der Provinzen,
      Nicht einmal eine Thräne mehr! – O Carl,
      Wie arm bist du, wie bettelarm geworden,
      Seitdem du Niemand liebst, als dich.
Carlos (wirft sich in einen Sessel. – Nach einer Pause mit kaum unterdrücktem Weinen.)
              Ich weiß,
      Daß du mich nicht mehr achtest.
Marquis.         Nicht so, Carl!
      Ich kenne diese Aufwallung. Sie war
      Verirrung lobenswürdiger Gefühle.
      Die Königin gehörte dir, war dir
      Geraubt von dem Monarchen – doch bis jetzt
      Mißtrautest du bescheiden deinen Rechten.
      Vielleicht war Philipp ihrer werth. Du wagtest
      Nur leise noch, das Urtheil ganz zu sprechen.
Der Brief entschied. Der Würdigste warst du.
      Mit stolzer Freude sahst du nun das Schicksal
      Der Tyrannei, des Raubes überwiesen.
      Du jauchztest, der Beleidigte zu sein;
      Denn Unrecht leiden schmeichelt großen Seelen.
      Doch hier verirrte deine Phantasie,
      Dein Stolz empfand Genugthuung – dein Herz
      Versprach sich Hoffnung. Sieh, ich wußt' es wohl,
      Du hattest diesmal selbst dich mißverstanden.
Carlos (gerührt). Nein, Roderich, du irrest sehr. Ich dachte
      So edel nicht, bei Weitem nicht, als du
      Mich gerne glauben machen möchtest.
Marquis.                 Bin
      Ich denn so wenig hier bekannt? Sieh, Carl,
      Wenn du verirrest, such' ich allemal
      Die Tugend unter Hunderten zu rathen,
      Die ich des Fehlers zeihen kann. Doch, nun
      Wir besser uns verstehen, sei's! Du sollst
      Die Königin jetzt sprechen, mußt sie sprechen. –
Carlos (ihm um den Hals fallend). O, wie erröth' ich neben dir!
Marquis.                 Du hast
      Mein Wort. Nun überlaß mir alles Andre.
      Ein wilder, kühner glücklicher Gedanke
      Steigt auf in meiner Phantasie. – Du sollst
      Ihn hören, Carl, aus einem schönen Munde.
      Ich dränge mich zur Königin. Vielleicht,
      Daß morgen schon der Ausgang sich erwiesen.
      Bis dahin, Carl, vergiß nicht, daß »ein Anschlag,
      Den höhere Vernunft gebar, das Leiden
      Der Menschen drängt, zehntausendmal vereitelt,
      Nie aufgegeben werden darf.« – Hörst du?
      Erinnre dich an Flandern!
Carlos.         Alles, Alles,
      Was du und hohe Tugend mir gebieten.
Marquis (geht an ein Fenster). Die Zeit ist um. Ich höre dein Gefolge.
              (Sie umarmen sich.)
      Jetzt wieder Kronprinz und Vasall.
Carlos.         Du fährst
      Sogleich zur Stadt?
Marquis. Sogleich.
Carlos.                 Halt! noch ein Wort!
      Wie leicht war das vergessen! – Eine Nachricht,
      Dir äußerst wichtig: – »Briefe nach Brabant
      Erbricht der König.« Sei auf deiner Hut!
      Die Post des Reichs, ich weiß es, hat geheime
      Befehle –
Marquis. Wie erfuhrst du das?
Carlos.                 Don Raimond
      Von Taxis ist mein guter Freund.
Marquis (nach einigem Stillschweigen).         Auch das!
      So nehmen sie den Umweg über Deutschland.
(Sie gehen ab zu verschiedenen Thüren.)