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Denkgedicht für Léon Deubel

Da ich dir Jonathan war, lief unsre Jugend sanft hin am
einsamen Sehnsuchts-See.
Tag reihte an Tag zu weißen Perlschnüren die Zeit.
Hügel lehnten am Horizont, draus die trunknen Fergen der
Wolkenflotte aufsprangen.
Nachtwind schwang Sternenfahnen über die Welt.
Riesen taumelten mit der goldnen Pflugschar Mond den
Seegrund ackern.
Viel war Hirt in uns, Freunden den Vögeln und allem Getier.
Aber wie erbfeind haben unsre Holzschwerter die
Nesselhecken gemäht.
Abends erlauschten wir in Holunderhainen schluchzend der
Amseln köstliche Kadenz.
Winters saßen wir in Dämmerstuben Schulter an Schulter
verschlungener Herzen über den großen alten Atlanten.
An Regentagen hast du mir das Blau der
Südseeländer geschenkt.
Doch ich wußte dir viel von seltsamen Siriusfahrten zu sagen.
Wenn ich traurig war, kamst du, mein zerrüttet Gesträhn
zu schlichten.
Mein Nachtgebet sandte Engel aus, dein Ohr mit Musik
zu umtun.
Weißflammender Apostelbart und strenger Blick von Vätern
fing nie sich in unsern Traum.

Später war Wandern. Wolkenfetzen hoch um
grellumeist Gefirn...
Das Tal der Wonnen halblaut überstirnt... Brennende Züge
durch Prärien...
Im Rauhreif die hängenden Gärten... Purpurne Mondmelon
im Kobalt kalabrischer Nacht...
Wüsten im Scharlachwind... Schneesteppen, wo Monsune
gläsern aneinanderklangen...
Unsre Stäbe nannten wir Nie-Rast. Meine Geige
hieß Ungeduld.
Und du wußtest die Flöte Wehmut wie keiner zu meistern.
Im aufhorchenden Wald hielten lächelnde Bäche an bei
deinem Lied.

An Birkstämmen blieben schlanke Schäferinnen weinend,
wenn du weiterzogst.
Einmal, auf abendumwehtem Olymp, sangst du so schön, daß
uns zu Füßen
Die Nacht aufwunderte, ein stummes sterngemähntes Tier.
Und Meerfahrt war: Von wolkenüberstür[m]ten Küsten
Am Bug der Schnabelschiffe kühn zu Rosenarchipelen
Auf dunklen Sunden, die Zikadensilbern träumrisch
überschwoll.

Dann schied uns deine Stadt, verführerisch am Weg, Musik:
Grausames Hämmerwerk aus abertausend Menschenherzen,
Lust und Qualen pochend.
Eingang schon war dir Marter. Heimwegs äfften dich
Gespenster, große Fledermäuse,
Wahnsinn an Häuserreihn hinwankend abends,
ohnmachtnahe schwangre Magd.
Die Sterne: Pickel eiternd überm Hurenleib der Nacht.
Der graue Mond kam hämisch, schlimmen
Schlaftrank brauen.
Die Schwermut wucherte in deiner Kammer, irr Gewächs.
Fosforner Schimmel schrieb an deine Wand die
bösen Geisterhände.
Ewig die Fratze Not am Fenster, hohläugig, grinsend,
Nase plattgedrückt.
Würgender Mahr die Sorg, der Trübsinn saugte deine Ruh.
Da wußtest einsam du den Freiheitsschrei der Wolken überm
hohen Giebelfirst.
Armut, die adelte, Armut, die Schande war,
Ertrug dein Herz, aufs Brett des nackten Tischs genagelt,
Wie Golgatha der große Dulderbruder.

Saß der große Gramvogel auf meiner Schulter und sang in
mein Ohr
Lieder, traurige wie nie, von den Flehaugen gepeinigter Tiere?
Oder war es, daß der immer frische Morgenwind
Wimmernd an meine Tür kam, erbärmlicher Hund?
Dein Tod! Ich schrie, als das erschrockene Gestirn
So einsam auslosch über Frankreichs Erde hin, ewig süß
und duftend

Von Frauentum, Burgunderblut und Baume... –
Ich lass die Toten Tote begraben und will mit
Lebendigem leben.
Ich sehe deinen Geist die Fackel schwingen durch
Jahrhundert-Finsternis.
Ich hör dein Lied, das mithallt leis im Wellenschlag
der Zeitenflut.
Ich ritze in den Fels die wunderbaren Zeichen:
Den Stolz. Den ehrenvollen Wandel. Diese makellose Stirn.
Aber in den reinen Nächten laß mich vor dein Bild die Bürde
meiner Tage tragen, träumen,
Daß ich dir Jonathan und Bruder sei am weißen See
der Kindheit.


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