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Das Käuzlein

Es ist ein lauer und linder Frühlingsabend. Ich habe das Fenster weit aufgemacht, denn ich will nichts von dem verpassen, was da draußen vor sich geht. Es kommt ein fernes Singen zu mir herein, das ist vom Männergesangverein im Rößle und ist gerade weit genug weg, daß man's nicht hört, wenn etliche unsauberen Töne darunter sind; der Nachtwind, der das Lied herträgt, läßt sie neben hinunterfallen, daß nur noch die Melodie weich und verschwommen da ist, ganz wie sie in die weiche Nacht paßt. »Wie die Blümlein draußen zittern.« Die Worte hört man freilich nicht, aber ich kenne sie gut. Wenn man das Lied so oft gesungen hat.

Im Traubenwirtshaus schieben sie Kegel. Man hört das dumpfe Rollen der Kugel und darauf das Umfallen der Kegel. Der Ton paßt auch in die Nacht hinein, heißt das, so von weitem. Dort sind wache Menschen beisammen; ich kenne sie; ich könnte sie aufzählen, wenn ich wollte. Ich könnte auch unter ihnen sein, aber ich will nicht. So ist mir's gerade recht: hören, daß sie da sind, verlorene Laute zu mir Herdringen lassen und doch allein sein. Denn ich habe Gedankenbesuch bei mir heute Abend. Es ist mir eine alte Geschichte eingefallen, die muß ich einmal los werden.

Drüben auf einer der alten Fichten, die eine dunkle Gruppe bilden neben dem Torturm, klagt ein Käuzlein. Immer, wenn ich diesen Schrei höre, dieses klagende Wimmern, das ist wie eine Stimme der Natur selber, die irgend einen Schmerz in die Nacht hinein ruft, den sie bei Tag verschwiegen hat, immer fällt mir dann die Geschichte ein. Und immer zieht es mich dann hinüber zu dem kleinen Bücherbrett, auf dem meine näheren Freunde stehen, daß ich sie geschickt bei der Hand habe, und zu dem kleinen Büchlein in weichem, schwarzem Leder, in dem von der Kreatur steht, die »sehnet sich mit uns und ängstet sich noch immerdar«.

Denn das Käuzlein fliegt immer da herzu und läßt seine klagenden Laute erschallen, wo eins krank ist und sterben will. Da sagt es den Tod an; so weiß es das Volk von lang her. Und darum, weil es sich so zum Vorboten unserer größten Schmerzen und Ängste macht und sie jammernd ausruft, wenn sie erst durch die Nacht daherkommen, darum meint das Volk, die Kreatur wisse mehr von uns als wir denken und sei angewiesen, uns eine Botschaft auszurichten.

Mein Freund, der Doktor von Ödenwaldstetten, regt sich zwar furchtbar auf, wo er solch einem Aberglauben begegnet und sagt, es sei kein Wunder, daß ein Käuzlein nach einem erleuchteten Fenster hinfliege und davor schreie. Das sei seine Art so. Und auf dem Land seien spät in der Nacht alle Fenster dunkel bis auf die, hinter denen ein Licht bei einem Schwerkranken brenne. Vom Schwerkranken bis zum Sterbenden aber sei es nicht weit. Also. Und überhaupt lasse sich alles natürlich erklären. Was soll man da sagen? Er läßt sich seine Ansicht nicht nehmen, und die Rosenwirtin von Krähenbronn läßt sich die ihrige auch nicht nehmen. Was erlebt sei, sei erlebt, sagt sie. Ich weiß nicht mehr, wie wir darauf kamen, als ich einmal bei ihr im Garten saß; ich habe scheint's auch so eine neumodische Ansicht ausgesprochen. Da zog sie das Hannele, ihr jüngstes, sechsjähriges Töchterlein, das neben uns eine Kette aus Löwenzahnstengeln machte, zu sich her und verschob ihm das Halstüchlein. »Do gucket se her,« sagte sie, »wenn se's net so glaubet. Des ist von seller Nacht. Der Herr hot's mit en Wald naufg'nomme, sonst hätt's mi troffe. No wär i jetzt nemme dô.« Das Halstüchlein hatte einen flammendroten Strich verdeckt, der von dem weißen Hälslein des Kindes wie ein Pfeil auf die Brust nach der Herzgegend zuging. Ich sah die Mutter fragend und hungrig an, denn da steckte eine Geschichte drin, das sah ich wohl, eine von der Art, wie sie nicht an jedem Hag wachsen. Das Kind machte sich los und sprang fort, denn es hatte noch nicht genug von den goldenen Löwenzahnblumen, und überm Weg drüben standen noch mehr.

Und die Rosenwirtin ließ sich erweichen und erzählte mir, was ich wissen mußte. So, wie ich's noch weiß, will ich's jetzt wieder hergeben

Es war ein schwüler Hochsommertag gewesen, jetzt ging es gegen Abend, und hinter dem Wald zog ein Gewitter herauf. Die schwere Wolkenwand, die vor der sinkenden Sonne stand, schuf eine frühe Dämmerung, es wäre sonst noch nicht Zeit zum Dunkelwerden gewesen. Die Rosenwirtin ging ums Haus herum, ein wenig rastlos, wie eins, das nicht stillsitzen kann, weil es von etwas umgetrieben wird. Sie sah nach den Fensterläden und nach der Stalltür, und weil alles in Ordnung war, ging sie wieder ins Haus zurück, aber nicht auf lange. Sie hatte immer eine Unruhe in sich, wenn ein Gewitter heraufkam. Die stammte noch von damals her, wo der Blitz in das alte Rosenwirtshaus geschlagen hatte, das ihr Vaterhaus gewesen war. Das Haus war in wenigen Stunden abgebrannt und mit der Versicherungssumme viel schöner wieder aufgebaut worden. Aber die Rosenwirtin, die damals noch ein ganz junges Mädchen gewesen war, hörte immer noch das große, scharfe Krachen des Donnerschlags, der auf den hellen, lohenden Blitz gefolgt war, und sah die Flamme aus dem Giebel steigen wie eine Säule, weiß wie ein Licht, so oft sich ein Gewitter zusammenzog. Heute war sie noch unruhiger als sonst, denn sie ging der Geburt ihres dritten Kindes entgegen, und der Rosenwirt war nicht daheim, der war mit einer Holzfuhre unterwegs und konnte erst morgen wieder kommen. Es deuchte der Frau, als ob sie etwas knistern höre im Deckengebälk der Wirtsstube, und dann wieder, als sei ein Sausen in der Luft wie von schweren Flügeln, und es ward ihr immer ängster. Die Wolken überzogen nach und nach den ganzen Himmel, aber sie hingen noch still und schwer herunter, als ob sie auf einen Befehl warten müßten, eh' sie regnen dürften, und der Donner grollte noch ganz heimlich und ganz fern. Die Schwalben schossen fast am Boden hin, auf und ab die Dorfgasse, wie gejagt. Das sah die Frau, als sie wieder aus dem Haus trat; es war ihr, als habe sie jemand rufen gehört. Die Kinder, die sie mit ihrer Unruhe angesteckt hatte, hingen ihr am Rock, aber die alte Magd Madel holte sie ins Haus. »Du kannsch halte wie de witt, Rösle,« sagte sie zur Frau, die sie einst helfen aufgezogen hatte, »aber d' Kender g'höret ens Haus, wenn a Wetter kommt. Ond wenn i di wär, no tät i liaber en Wettersege bete, als so romgeistere. Do isch nix mit g'richtet.«

Sie sah sich noch ein paarmal um, als sie, an jeder Hand eins der Kinder, ins Haus zurückging und schüttelte den grauen Kopf. »Wenn's no wieder amol guet vorbei wär',« sagte sie und meinte jetzt nicht das Wetter. Die Frau aber ging über den Hof hinüber. Dort stand eine alte, zausige Föhre, die bei jenem Brand nur versengt, nicht abgebrannt war, und in deren dunkelgrüner Krone die Stimme saß, die der Rosenwirtin gerufen hatte. Sie stand bei dem Baum und starrte hinauf und nickte schwer und langsam mit dem Kopf, wie eins, das ein Unglück sieht. Da kam die Dorfgasse herauf der einzige Kurgast in der Rose, ein stiller, älterer Herr, der schon den ganzen Sommer da war und droben in der Giebelstube oder hinten in der Laube im Grasgarten an einem Buche schrieb, von dem kein Mensch wußte, was es enthalten werde. Wenigstens sagte er immer, wenn ihn der Rosenwirt oder die Wirtin danach fragte, lächelnd: »Es soll alles das enthalten, was ich nicht mündlich sagen konnte,« oder: »Es soll mein Lebensbuch werden,« und solche Sachen. Aber im Umgang war er ein guter und freundlicher Herr, der wenig Mühe machte, mit den Kindern kindlich sein konnte und immer zarte, feine Sträußchen von unscheinbaren Blumen, die in Krähenbronn sonst kein Mensch angesehen hätte, mit nach Hause brachte. Der Herr nun blieb bei der Rosenwirtin stehen und fragte freundlich, was sie da oben suche auf dem Baum. »Scht,« sagte sie, »horchet Se no, 's wird glei' wieder âfanga z'schreiet. A Käuzle isch, ond des schreit am helle Tag, oder doch schiergar no hell, auf onserem Baum. Was meinet Se, was des z' bedeutet häb? Des schreit mir, sell glaub' i.« Der Herr sah wohl das erregte Gesicht und hörte die Not und Angst aus dem Ton ihrer Stimme, aber mußte doch ein bißchen lächeln, als das Käuzlein auf dem Baum von neuem anhob, seine klagende Stimme zu erheben und das Weib in seiner Angst ihn am Rockärmel faßte und zitternd sagte: »Bet mei'm Vatter hot's g'schriee ond bei meiner Schwieger au, ond jetzt bedeutet's mi. Se werdet sehe, i muß fort von mei'm Mâ ond von meine Kender. Desmôl goht's net guet aus bei mer.«

Er faßte sich aber schnell, denn er dachte wohl, Angst sei Angst, ob sie töricht sei oder nicht, und sagte ihr etwas von Gottes Willen, den so ein Tierlein doch nicht im voraus wissen könne, und von zufälligem Zusammentreffen der Umstände und was ihm sein menschenfreundliches Herz sonst noch Tröstliches eingab. Aber es war in den Wind geredet, oder vielmehr in den Regen, der jetzt anfing, in großen, breiten Tropfen niederzufallen. Da fiel ihm auf einmal noch eine Auskunft ein, eine von der Art, wie sie dem Stärkeren kommt, der den Schwächeren sich mit einer Last schleppen sieht, die für ihn ein Leichtes ist, und der sich damit belädt. »Frau Rosenwirtin,« sagte er, »gesetzt den Fall, daß das Käuzlein etwas wüßte, so könnte das doch auch mir gelten. Ich wohne doch auch in Ihrem Haus und habe es nun auch gehört. Warum wollen Sie es absolut auf sich beziehen?« Er stand da so gelassen und sorglos und ließ sich aufs Haar regnen, und die Rosenwirtin, als sie ihn staunend ansah, fühlte auf einmal die Angst von sich abfallen wie einen schweren Sack und atmete tief auf. »Ha do könntet Sia am End erst no recht han,« sagte sie wie befreit, »'s ist vielleicht wüst von mir, daß i 's ânemm, aber was Gott's Will' ist, 's ist wôhr, i sieh net ei, worom's grad mi treffe soll.«

Dann gingen sie, weil es nun stärker regnete, dem Haus zu und saßen in der Wohnstube beieinander mit dem Hausgesinde und den Kindern, und die Rosenwirtin schob dem Herrn, als ob das so sein müßte, das Abendsegenbuch hin, daß er das Gebet bei einem Gewitter lese. Er las aber aus einem dünnen Büchlein, das er aus der Rocktasche zog, ein anderes, in dem die Rosenwirtin das beruhigende: »Und behüte uns Haus und Hof, Gut und Leben vor Hagel, Blitz und Todesgefahr« vermißte und dagegen Worte fand, die groß und mächtig dahinrollten wie der Donner draußen. »Denn tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist, und wie eine Nachtwache. Du lässest sie dahinfahren wie einen Strom und sind wie ein Schlaf; gleichwie ein Gras, das doch bald welk wird, das da frühe blühet und bald welk wird, und des Abends abgehauen wird und verdorret.«

Solche großen Worte las der Herr aus dem Büchlein vor, und dazwischen hinein gingen Blitze und Donner ihren Weg, und die Kinder schlüpften eng an die alte Madel hin, die ängstlich zur Frau hinübersah, als das Wort kam: »Lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen, auf daß wir klug werden.« Aber die Frau saß mit zusammengelegten Händen ganz ruhig und aufrecht da. Denn der Herr konnte von ihr aus wohl den Psalm lesen, den man sonst nur am Silvesterabend in der Kirche las. Das konnte er halten wie er wollte, denn er hatte für heut einmal alles, was das Käuzlein mit seinem Schreien gemeint haben konnte, auf sich bezogen, und er mußte schon wissen, was er vertragen konnte.

Auch ging das Gewitter merkwürdig rasch zu Ende, schier während des Lesens schon, oder doch wenigstens zog es über den Wald hin nach der anderen Seite des Bergs. Der Regen rauschte leiser und versiegte bald, und als der Herr aufstand und ein Fenster aufmachte, kam ein erquickender Luftstrom herein und eine milde Abendhelle.

»Ich will noch einen kleinen Gang tun zur Aussichtsbank hinauf,« sagte der Herr; »es gibt noch einen schönen Abend nach dem heißen Tag«; und dann ging er freundlich grüßend und ohne Hut aus dem Haus und den Hang nach dem Wald hinauf. Dort droben, wo unter einer mächtigen uralten Tanne eine Rindenbank stand, war sein Lieblingsplatz. Man sah in drei Täler hinein und auf ferne, bewaldete Bergrücken, und an ganz hellen Tagen sollte man angeblich weit, weit hinten in der Ferne das Hochgebirg von dort aus sehen können. Das war aber dem Herrn noch nie geschehen, er hoffte nur immer noch darauf, und vielleicht, wer weiß, war es heute nach dem Regen zu sehen. »Aber kommet Se bald wieder, Se krieget saure Nierle und Spätzle,« rief ihm die Rosenwirtin nach, als er schon aus dem Haus war, und das war noch lang nachher ihr großer Trost, daß sie ihm das nachgerufen hatte. Denn saure Nierle und Spätzle waren das Leibessen des bescheidenen Herrn und sie hatte an diesem Abend das Gefühl, als ob sie ihm eine besondere Guttat antun müßte. Als sie aber in der Küche stand und mit dem Spatzenteig hantierte, kehrte das Gewitter, das schon hinter dem Berg gewesen war, noch einmal um wie ein schlauer Detektiv, der einen Spitzbuben hat sicher machen wollen und ihn nun jählings erwischt. Es tat ganz sachte und harmlos, so als ob es noch etwas vergessen hätte und es nun mitnehmen wollte, und der Kurgast aus der Rose stand auf der Aussichtsbank und hing mit trunkenen Augen an dem großen Leuchten, das sich in der weiten Ferne vor ihm ausbreitete mit vergoldeten, purpurbesäumten Wolken und – als sie sich langsam hoben – mit Berghäuptern, die herüberschimmerten wie Gefilde der Seligen.

Ein Waldhüter ging an dem Herrn vorbei und grüßte ihn, da nickte der nur wie zerstreut zu ihm hinüber. »Wenn i Sie wär, no tät i net traua,« sagte der Waldschütz, »do henta rauf kommt's nomol schwarz, mer krieget no en Schütter,« aber der Herr sagte nur lächelnd: »Haben Sie das schon einmal so gesehen, so klar wie heute?« und zeigte mit der Hand ins Weite. »Schö isch scho,« gab der Waldschütz zu, »aber 's ist bloß a Regahelle, i gib net viel drom aus,« und er ging mit langen Schritten talwärts, denn er hatte das Reißen und ums Naßwerden gab er gleichfalls nicht viel aus. Aber als er schon unten am Hang war, an den steilen Staffeln, die gerade aufs Rosenwirts Haus zuführen, da geschah ein jähes, grelles Leuchten und in der nächsten Sekunde ein Donnerschlag, so scharf und wuchtig, daß der Mann erschrocken und wie erstaunt stehen blieb, daß es ihn nicht zusammengewettert habe. »Des hot eig'schlage,« sagte er. »I han's jo glei g'sagt, 's ist em net z'trauet.« Einen Gedanken verschwendete er an den Mann am Waldrand droben, dann trat er ins Rosenwirtshaus ein, denn es fing an zu gießen wie mit Kübeln – und wenn man das Reißen hat, das läßt nicht viel anderes neben sich aufkommen.

Droben aber, am Wald, flammte die alte Tanne hell auf, und dem Mann unter ihr, dem es eigentlich gegolten hatte, hatte das grelle Blitzlicht die Aussicht in die Gefilde der Seligen über den Schwarzwaldbergen drüben verlöscht und der Schlag hatte ihn der Länge nach ins Heidekraut gelegt, das hier den Boden bedeckte.

Dort fanden ihn, als der Regen aufgehört hatte und die sauren Nierle der Rosenwirtin längst wieder kalt geworden waren, der Waldschütz und der Knecht aus der Rose, denen er auf kein Pfeifen und Jodeln Antwort gegeben hatte. Die Abendschatten lagen jetzt auch auf der Höhe, im Tal brannten die Lichter, da trugen sie den stillen Mann, der sein Lebensbuch noch nicht ausgeschrieben hatte, hinunter.

Das Käuzlein schrie nicht mehr in der alten Föhre, oben am Wald hatte es der Knecht noch zu hören geglaubt, aber der Waldschütz hatte ihn still sein geheißen, weil »so Dengs nex zum Schwätza« sei. In der Nacht wurde das Hannele geboren und hatte das rote Blitzzeichen vom Hals an abwärts.

»Das sei alles ganz begreiflich,« sagte der Doktor von Ödenwaldstetten, den man hatte holen müssen, als er es sah. Er fuhr im Morgengrauen heim und hatte zuvor noch den Totenschein für den stillen Mann, der in der Kegelbahn lag, geschrieben. Und darin waren sie einig, die Rosenwirtin und der Doktor, nur meinte es jedes anders. Man kann zwei ganz verschiedene Weltanschauungen ganz gut mit dem gleichen Satz ausdrücken, warum denn nicht?

Es war dann ein Freund gekommen und hatte den Toten abgeholt, um drunten in der Hauptstadt seinen Leib zu einem kleinen Aschenhäuflein zusammenbrennen zu lassen. Die Krähenbronner meinten, das hätte der Blitz am Waldrand droben leichter und einfacher besorgen können, wenn er es für recht gehalten hätte, und man habe es schon gemerkt, daß der Herr, der Kurgast nämlich, anders sei als andere Christenmenschen.

Der Freund aber sagte, er sei einer von denen gewesen, die immer und überall der Welt Leid auf sich nehmen, wo es ihnen entgegentrete, er habe schon als dreizehnjähriger Bub einmal schwere Prügel für einen andern ausgehalten, dem sie seiner Ansicht nach mehr geschadet als genutzt hätten. Und so weiterhin. Solche Naturen verbrennen schon lebender Weise, da sei das Feuer im Krematorium bloß noch das Tüpfelein auf dem I. Das verstanden aber die Krähenbronner nicht. Das unausgeschriebene Lebensbuch hat der Freund auch mitgenommen. Vielleicht wenn er ihnen aus dem hätte vorlesen können. – – –

Es ist spät geworden und ich habe das Fenster zugemacht. Es ist mir zu viel kleines Nachtgetier um die Lampe geflogen, das leichte Mückengeziefer verbrennt sich bloß die Flügel daran, und hat nichts dafür als einen kleinen Augenblick der Lichtnähe. Das Käuzlein aber ist schreiend gegen den Wald hinübergeflogen und dann verstummt. Wenn jemand so eine Sprache verstände, dann ließe sich feststellen, was es in die Menschenhäuser hineinzuschreien hat. Auch die Menschenlaute sind still geworden. Draußen aber geht der Nachtwind vorbei und rauscht leise in den Bäumen, und droben wandern die Sterne und unten die Kinzigwellen. Mich dünkt, sie haben alle eine Botschaft an uns, wer nur wachen Sinnes wäre und sie verstünde.


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