Johannes Scherr
Die Pilger der Wildnis
Johannes Scherr

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11. Schreckliches Zeugnis.

Groot Willem, Thorkil und de Lussan waren nun schon den dritten Tag von Providence auf dem Marsche durch die Wälder nach Norden. Die beiden älteren Wanderer hatten in der Morgenfrühe einen Hügel erstiegen, während Thorkil am Rande einer Lichtung mit der Zubereitung eines rechten Waldfrühstücks beschäftigt war. Eine dünne Rauchsäule stieg von der Stelle auf, wo der junge Jäger einen Büffelhöcker, einen Haunch, unter dem Rasen schmoren ließ.

Eine unermeßliche Fernsicht bot sich den Blicken der Männer von der Anhöhe aus dar. Gegen Süden, woher die Wanderer gekommen, gegen Norden und Westen dehnten sich in leichten Wellenschwingungen die ungeheuren Massen des Urwaldes aus. Um die Hunderttausende und aber Hunderttausende von Wipfeln kräuselten sich Schichten des leichten Morgennebels, denen die immer höher steigende Sonne ein weiteres Aussteigen verwehrte. Durch die wundersam sich verschlingenden Nebelschleier hindurch tauchte hier das Auge mit immer neuer Lust in diese Welt von Grün, in die feierliche Stille der sich selbst überlassenen Natur, in den Zauber der Einsamkeit.

» Foi de gentilhomme!« rief der Flibustier bewundernd aus, »ich wollte, meine Herrin wäre hier. Dieses nordische Waldmeer haucht doch einen eigentümlichen Zauber aus. Es heimelt mich an, als atme ich den Harzgeruch der Forsten ein, die daheim in der Normandie grünen. Wie tut es dem Auge wohl, in diese grünen Tiefen sich zu versenken! Freund Willem,« sagte er zu dem alten Trapper gewandt, »es wird mir allmählich klar, daß sich Eure Wälder doch neben dem Meere sehen lassen dürfen. Ein Poet würde sagen, dieses Waldmeer sei in seiner Unendlichkeit ebenso erhaben wie der unendliche Wasserspiegel der See.«

»Ich weiß nicht, wie sich so ein Versmacher ausdrücken würde, Kapitän, aber das weiß ich, daß es auf der Welt nichts Schöneres gibt als die Wälder, in denen ich leben und sterben will. Ach,« setzte der Alte mit Wehmut hinzu, »es wird, fürcht' ich, eine Zeit kommen, und sie mag nicht mehr so fern sein, wo all diese Waldherrlichkeit dem unersättlichen Beile der Kolonisten zum Opfer fallen wird. Aber ich danke meinem Schöpfer, daß meine Augen die Greuel der Verwüstung nicht mehr werden mitansehen müssen, daß ich schon lange unter dem Rasen liegen werde, wenn die Verheerung von der Seeküste her tiefer ins Land vorschreiten wird.«

»Ihr seid selber ein Stück von einem Poeten, Freund, obgleich Euch das Versemachen schlecht von der Hand gehen würde. Doch sprecht nicht vom Sterben, Mann! Noch leben wir, und mein Magen sagt mir, daß wir sehr leben. Seht, da kommt Euer Hund, wahrscheinlich von Thorkil geschickt, uns anzusagen, daß die Mahlzeit bereitet sei.«

»Ja, 's wird wohl so etwas sein,« versetzte der Trapper, seinem Hunde den Hals streichelnd. »Prinslo ist ein kluges Geschöpf, es fehlt ihm nur die Sprache. Und doch seht einmal, Kapitän, ist's nicht, als wollte er uns bedeuten, mitzukommen?«

Der Hund umtanzte mit munteren Sprüngen die beiden und lief dann die Anhöhe hinab, oft stillstehend, zurückblickend und mit dem Schwanze wedelnd.

»Er riecht den Braten ebenfalls,« sagte de Lussan lachend und folgte ohne Säumen dem Tiere. Der Trapper warf noch einen Blick auf die Waldlandschaft und schloß sich dann seinem Begleiter an.

Sie kamen auf eine Lichtung, die sich zur Prärie erweiterte. Ihren üppigen, halb mannshohen Graswuchs hatte die Glut der Julisonne schon zum Welken gebracht und zu Boden gedrückt. Hart am Waldsaume, an einer Stelle, wo frisches Grün die Nähe einer Quelle verriet, bemerkten sie Thorkil. Er hatte Waffen und Weidtasche abgelegt und das Jagdhemd ausgezogen, um seine Obliegenheiten als Koch der Wildnis ungehinderter verrichten zu können.

»Ihr bleibt lange aus,« sagte der junge Jäger zu den beiden, »es ist gut, daß Euch Prinslo geholt hat; der Büffelhöcker wäre sonst zu gar geworden.«

Der Alte hatte inzwischen die Weidtasche abgelegt und sich's möglichst bequem gemacht. Der Flibustier aber schaute verwundert umher und sagte dann:

»Sehr werte Kameraden, edle Jäger und geliebte Mitabenteurer! Wo habt ihr denn nun euer köstliches Frühstück? Ich sehe weiter nichts als eine Rasenerhöhung, so ziemlich einem großen Bienenkorbe ähnlich. Selbst das Feuer, dessen Rauch wir doch vorhin sahen, ist verschwunden und nur noch ein Haufen Asche neben besagtem Bienenkorbe übriggeblieben.«

»Bienenkorb oder nicht, Kapitän,« unterbrach Willem die Klage de Lussans, »das Ding hat die rechte Form. Nun, Thorkil, brich den Bratofen auf, damit der Gaumen unseres Freundes einen echten Büffelhöcker zu kosten kriegt.«

Thorkil machte sich sofort ans Werk. Er brach die Rasenerhöhung auf und zog aus der Höhlung darunter eine unförmliche, dampfende Masse hervor. Als die Haut um den in seinem eigenen Fette geschmorten Braten zurückgeschlagen wurde, verbreitete sich ein Duft, den der Flibustier mit weiten Nasenflügeln einsog.

»Das riecht ja ganz verlockend – foi de gentilhomme!« rief er aus. »Entspricht der Geschmack nur einigermaßen dem Geruche, so will ich schwören, daß Eure Wald-Kochkunst die aller Köche der Höfe Europas beschämt, Freund Thorkil.«

Die Männer zogen ihre Messer hervor, und de Lussan ließ sich wirklich nicht erst sagen: Greif zu! so daß der junge Jäger sich nach einer Weile veranlaßt sah, lächelnd zu bemerken:

»Meiner Treu, Kapitän, hättet Ihr Euch Euren Kriegsnamen el Exterminador nicht bereits an den Spaniern verdient, Ihr würdet ihn sicherlich an diesem Büffelhöcker verdienen.«

»Nicht wahr?« versetzte der Flibustier treuherzig und atmete von seiner schweren, aber angenehmen Arbeit auf. »Alle Teufel der siebzehn Höllen, wie die Spanier sagen – die Pest auf sie! – sollen mich holen, wenn ich in meinem Leben jemals besser gefrühstückt habe. Freund Thorkil, wären wir im alten Rom, ich würde beantragen, Euer Haupt mit einer Bürgerkrone zu schmücken; wahrhaftig, so tät' ich.«

»Ihr seid wirklich großartig in der Anerkennung meines Verdienstes,« entgegnete Thorkil lachend. »Aber Ihr müßt Euren Dank meinem Vater Willem abstatten, dessen bescheidener Schüler ich in diesem wie in allen Zweigen des Jägerlebens bin.«

Nachdem Hunger und Durst gestillt waren, saßen die Männer noch eine Weile plaudernd im Schatten. Allmählich aber verstummte das Gespräch, indem sich zuerst de Lussan und dann auch Thorkil dem Schlummer hingaben und selbst der alte Trapper anfing, zu duseln, wie er sich ausdrückte.

So waren einige Stunden vergangen, als Prinslo, der die Überreste des Büffelhöckers verzehrt und sich dann ebenfalls mit Befriedigung ins Gras gestreckt hatte, langsam aufstand, die Ohren spitzte, einen halben Büchsenschuß weit in die Prärie hinaustrabte, dort schnuppernd und schnüffelnd die Schnauze in die Luft reckte und dann ein kurz abgebrochenes Gebell ausstieß.

Groot Willem war schon bei der ersten Bewegung seines Hundes munter geworden; auch Thorkil und der Flibustier hatten sich erhoben. Sie traten von dem Schattenplatz am Waldsaum in die Prärie hinaus und sahen nun eine große Herde Büffel von Süden her die Ebene heraufkommen.

»Dachte mir's gleich, Thorkil,« sagte der alte Trapper, »daß der Stier, den du heute morgen geschossen, sich von einem Trupp verlaufen haben müßte. Aber 's ist nicht gewöhnlich, daß die Tiere um diese Tageszeit wandern, und kann mir auch nicht denken, daß die Indianer jetzt auf Büffel aus sind. 's ist 'ne stattliche Herde.«

Ein dumpfes Gebrüll kam über die Prärie herüber. Dann wurde in der Entfernung von etwa einer englischen Meile eine dunkle Masse sichtbar, die sich allmählich zu einer langen Linie aufrollte. Bald konnte man die Tiere deutlicher unterscheiden, ihr mächtiges Gehörn und ihre schwarzen Rücken über dem Graswuchs sehen.

»Aber was hast du denn, Prinslo?«

Der Hund hatte aufgehört zu bellen, sprang mit mächtigen Sätzen in das Gras, kehrte dann zurück und ließ ein eigentümliches Geheul hören.

»'s ist ein Stück Rothaut um die Wege, gewiß und wahrhaftig!« sagte der alte Trapper. »Seht nach euren Büchsen, Freunde, damit uns nicht irgend etwas unvorbereitet überrascht. – Hei, Thorkil, du hast schärfere Augen als ich – schau' doch einmal dorthin, dort am Ende der Büffelreihe – was siehst du dort?«

»Einen weißen Büffel, meiner Treu. Er kommt auf uns zu, er macht rasende Sprünge, als ob er verwundet wäre, und – ha! – was schleppt er mit sich?«

»Einen armen Teufel von Indianer, kannst dich drauf verlassen, Thorkil. Er hat ihn auf sein Gehörn gespießt. Der Unglückliche ist ausgegangen, um die große Medizin zu erjagen, und diese war stärker als er.«

»Große Medizin?« fragte der Flibustier verwundert. »Ihr sprecht in Rätseln, Freund Willem.«

»Nun, Kapitän, der Ansicht der indianischen Zauberer oder Medizinmänner nach – es sind übrigens lächerliche Gesellen mit all ihren Schnurren – ist die Haut eines weißen Büffels eine sehr große Medizin, die ihren Besitzer bei dem Manitu wohlgefällig machen und ihn vor den Teufeleien des bösen Geistes schützen kann. 's mag daher kommen, daß oft unter vielen Tausenden von Büffeln nicht ein einziger weißer gefunden wird. Hab' ich doch selbst während meines ganzen Jägerlebens erst zwei zu Gesicht bekommen, und der dort ist der dritte.«

Der Büffel, der nach Art verwundeten Wildes das Dickicht des Waldes aufsuchen wollte, kam der Stelle, wo unsere drei Abenteurer standen, mit rasenden Sprüngen immer näher. Seine lange zottige Mähne hing, während er mit gesenktem Haupte dahertobte, bis auf den Boden nieder. Sein Schweif mit dem dicken Haarbüschel am Ende starrte in gleicher Linie mit dem Rückgrat in die Luft. Blutstriemen, die von Pfeilwunden herrührten, bedeckten sein weißes Fell, und in seiner linken Hüfte steckte ein nahe an der Spitze abgebrochener Lanzenschaft. Sein Leib war von Wut zum Bersten aufgeschwollen, seine blutunterlaufenen Augen sprühten Feuer, aus Maul und Nase stieß er Ströme von Dampf und Blut hervor. Auf seinem buschigen Haupte hing, halben Leibes gegen den Fetthöcker der Bestie zurückgelehnt, ein menschlicher Leib, der noch schlimmer zugerichtet war als der des Tieres. Der Büffel hatte dem Angreifer eines seiner gewundenen, spitz zulaufenden Hörner durch den Unterleib gerannt, und an dem andern hielt sich der Gespießte während seines entsetzlichen Rittes im Todeskampf mit beiden Händen fest.

Groot Willem brachte sein Roer leicht an die rechte Wange.

»Achtung, Thorkil, wenn ich fehlen sollte!«

Aber der junge Jäger hatte nicht nötig, seine Büchse zu erheben. Der Büffel brach, getroffen von der sicheren Kugel, in einer Entfernung von etwa fünfzig Schritten lautlos zusammen, in seinem Falle den unglücklichen Reiter weit von sich schleudernd.

Die Männer eilten zu seiner Hilfe herbei. Willem erkannte ihn als einen Wampanogen, er war entsetzlich zugerichtet und hatte wohl nur noch wenige Minuten zu leben. Er öffnete die schon halb erloschenen und verglasten Augen und stöhnte: »Wasser! Wasser!«

Thorkil eilte zur Quelle, füllte seine Ledermütze und hielt sie, zurückgekommen, dem Indianer an die lechzenden Lippen, indem er seinen Oberkörper mit dem rechten Arm aufrecht hielt.

»Weißer Bruder, guter Bruder,« ächzte der Gelabte und ließ seine Augen im Kreise umhergehen. Der Anblick des toten Büffels rief ihm die Gedanken, die seine Seele in den letzten Tagen erfüllt hatten, noch einmal zurück.

»Große Medizin tot,« sagte er in abgebrochenen Lauten, »große Medizin stärker als roter Mann, hatte den bösen Geist im Leibe.«

Die Todesangst bemächtigte sich seiner. Er versuchte aufzustehen, schwenkte die Arme und sprach verworren durcheinander.

»Roter Krieger gehen in glückliche Jagdgründe – der große Jäger.«

»Der große Jäger,« schrie Thorkil auf, wie von einer Natter gebissen.

»Großer Jäger,« murmelte der Wilde wieder, »großer Krieger – nehmen Skalp von Pequoden und Mohikanern, viel zu sagen im Rat der Häuptlinge.«

»Er singt seinen Todesgesang, Kapitän,« bemerkte der alte Trapper. »Es ist merkwürdig, welche Prahler die Rothäute in ihren letzten Augenblicken werden. Höre, Bruder,« wandte er sich dann an den Wilden, »du hast Pequoden und Mohikaner getötet, aber wie ist's mit den Blaßgesichtern?«

»Blaßgesichter gierige Hunde, Metakom sie alle vertilgen von den Jagdgründen der roten Männer.«

»Wo ist der Häuptling der Wampanogen?«

»Metakom auf Kriegspfad. Metakom großer Häuptling, viele Krieger, viel Donnerrohre, gelbes Metall Donner und Blitz kaufen.«

»Gelbes Metall? Woher sollte Metakom gelbes Metall haben?«

»O, Metakom sehr weise, sehr. Gelbes Metall holen auf Insel in Salzsee –«

Die Spannung sprengte Thorkil fast die Adern an den Schläfen.

»Metakom mit großem Jäger gehen in altes Steinwigwam, Blaßgesicht mit Knaben schlafen, Häuptling und großer Jäger Blaßgesicht töten, aber nicht nehmen Skalp.«

»Nicht nehmen Skalp?«

»Nicht nehmen Skalp – Häuptling mit großem Jäger kommen in Blaßgesichts Mokassins – mit Blaßgesichts Messer –«

Hier brach die Stimme des Wilden plötzlich ab. Der Tod griff ihm ans Herz.

»Ein schreckliches Zeugnis,« sagte der alte Trapper tiefbewegt, »in der Verwirrung des Todeskampfes. Thorkil, als ich in Providence Hih-lah-dih sprechen hörte, begann ich zu ahnen, daß Metakom der Mörder deines Vaters sei; aber jetzt erst haben wir Gewißheit.«


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