Johannes Scherr
Die Pilger der Wildnis
Johannes Scherr

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4. In der Kirchenruine.

Die Nacht verging ruhig, und die Flüchtlinge genossen eines so festen Schlafes, wie er den von Gefahren Umringten seit vielen Nächten nicht mehr zuteil geworden war. Bei Tagesanbruch schiffte sich die ganze Gesellschaft auf dem größeren Boote ein, das seinen Lauf nordöstlich richtete, sobald es aus der Bai hinaus in die offene See gelangt war.

Als die Sonne zur Rüste ging, stand die Küste der Insel Rhode-Island in naher Sicht. Sie hielten darauf zu und landeten kurz nach Sonnenuntergang, um die Nacht am Lande zu verbringen. Am Südgestade der Insel, welche damals noch zum Gebiete der Naragansetts gehörte, jedoch schon an zwei Stellen von Pilgern besiedelt war, in einer schmalen Bucht vor Anker gegangen, folgten sie ihren Führern auf einem wenig betretenen Fußpfade. Wenige Schritte weit rechts an der Küste zog er sich hin und bog dann plötzlich links auf eine Waldlichtung ein, wo er unter Geröll verschwand.

»Wir sind am Ziele und haben unsere Nachtherberge erreicht,« sagte Thorkil und wies, auf ein seltsames Bauwerk mitten auf einer kleinen Lichtung, dessen graue verwitterte Mauern im Scheine des eben aufgegangenen Mondes deutlich sichtbar waren. Der Ort hatte ein einsames, ödes, fast unheimliches Aussehen. Der Wald, den die Erbauer des altertümlichen Rundbaues vorzeiten zurückgedrängt, um für ihr Werk Platz zu erhalten, war seither wieder erobernd vorgedrungen bis in unmittelbare Nähe des halbzertrümmerten Mauerwerks. Das ganze Gebäude war überdies um und um von Efeuranken überwuchert.

Die lautlose Stille wurde nur von dem Gemurmel einer Quelle unterbrochen, welche ihren mächtigen Strahl in ein plumpes und halb geborstenes Becken an der Ostseite des Mauerwerks ergoß.

Thorkil öffnete eine hinter Buschwerk verborgene Tür, verschwand für einige Augenblicke, erschien dann wieder mit einer Kienfackel und forderte die Gäste zum Eintritt auf. Sie folgten ihm und befanden sich nun in einem Raume, welcher an die ältesten Kirchenbauten aus dem elften und zwölften Jahrhundert erinnerte. Eine runde Halle von etwa vierundzwanzig Fuß Durchmesser trug auf acht dicken Rundpfeilern eine rohe Deckplatte, über den Pfeilern wölbten sich Halbkreisbogen, und um den ganzen Raum her lief nach außen zu ein niedriger Umgang, der durch mehrere Türöffnungen mit dem Innern in Verbindung stand. Zwischen zwei Pfeilern einer weiten Nische gegen Osten führten drei Stufen zu einer großen Steinplatte, dem Sockel eines verschwundenen Altars. Jetzt wurde die Steinplatte als Herd benutzt. Der Nische zur Seite und unterhalb der Stufen erhob sich auf einem plumpen Sockel eine Art Schüssel, roh aus Sandstein gemeißelt, der ehemalige Taufstein.

Der junge Jäger hatte die Fackel in eine eiserne Klammer an einem der Pfeiler befestigt und war hinausgegangen, um draußen einige Vorbereitungen zum Abendessen und zur Unterkunft der Gäste zu treffen. Verwundert betrachteten sie das in diesem Lande fremdartige Gebäude. Groot Willem fachte Feuer auf dem Herde an und sagte dann: »Nun laßt euch sagen, wo ihr seid. Wir befinden uns in einem uralten normannischen Kirchbau, welcher einst von den Vorfahren meines jungen Freundes Thorkil errichtet wurde.«

»Von den Vorfahren Eures Freundes?« fragte der ältere Oberst erstaunt.

»Ja, Thorkil hätte guten Grund, auf seine Abkunft stolz zu sein. Aber in den Wäldern legt man dem, was sie drüben und auch hier in den Ansiedlungen Ahnenstolz nennen, keinen Wert bei. Da gilt der Mann bloß, was er selber ist.«

»Ihr sagt, die Vorfahren des jungen Jägers hätten dieses Bauwerk errichtet? Da müßten sie ja schon vor langer Zeit hier gehaust haben.«

»So ist es. Daß normannische Seefahrer von Island und Grönland her diese Gestade betraten, lange bevor der Genuese Kolomb in Amerika landete, beweist dieser Bau, den nur die Hände von Weißen und Christen errichtet haben können. Doch sprecht nicht darüber mit Thorkil. Es macht ihn traurig. Und nicht ohne Grund. Denn seht,« fuhr der Trapper leise fort, indem er auf eine lose Platte des Fußbodens neben dem Taufstein wies, »hier wurde sein Vater erwürgt.«

»Erwürgt? Thorkils Vater?«

»Ja, erwürgt, und zwar in dem Augenblick, als er im Begriffe war, einen Schatz zu heben, den einer seiner Ahnen hier vergraben und um dessentwillen er mit seinem Sohne, der damals noch ein Kind war, aus Island herübergekommen war. Ich fand den Toten und bei ihm den Knaben, der geschlafen hatte, während die Untat geschah. Das Kind hielt den starren Leichnam umklammert, und sein Jammern war herzzerreißend. Seither sind wir Freunde.«

»Und wurde der Mörder entdeckt?«

»Noch nicht, noch nicht. Zwar glaube ich ihn zu kennen, aber nur Gott kennt ihn. Erhalten Thorkil und ich Gewißheit, so soll der Schändliche sterben, hier, auf dem Steine, wo er gemordet und gestohlen. Und wir werden Gewißheit erhalten, wir haben die Spur. Doch still davon, dort kommt der Junge, laßt ihn nichts hören von dieser Sache.«

Mit gutem Vorbedacht verschwieg Groot Willem den Namen des Mannes, den er und Thorkil eines so furchtbaren Verbrechens beschuldigten. Denn die beiden Obersten hätten nimmermehr daran geglaubt, daß gegen den Richter von Swanzey, den die Pilger der Wildnis als eine Säule ihres Glaubens und ihres Gemeinwesens verehrten, den sie selbst als einen Ehrenmann kannten und der ihnen und Lovely Schutz bieten sollte, auch nur ein solcher Verdacht erhoben werden konnte. Aber die von den beiden Trappern aufgefundenen Beweise waren so schwerwiegend, daß Thorkil es für seine Pflicht hielt, Theophilus Eaton als den mutmaßlichen Mörder seines Vaters vor die Geschworenen zu bringen, sobald die Zeit dazu erfüllt war.

In den Räumen neben der inneren Halle war den Gästen von ihren Wirten auf einem weichen Lager von Moos, Büffel- und Bärenfellen die Nachtruhe gerüstet worden.

Mehrere Stunden lag das junge Mädchen in ununterbrochenem Schlafe, bis der Traum sein rätselhaftes Spiel mit ihrer Seele begann. In seiner launenhaften Willkür führte er sie weit hinweg aus der Gegenwart zurück in die Vergangenheit, aus der Neuen Welt zurück in die alte Heimat.

Lovely tummelte sich wieder, ein fröhlich Kind, auf dem Rasen des Parkes von Whalley um ihr großväterliches Haus an den murmelnden Wellen der jungen Themse. Dort auf der Rampe des alten Herrenhauses stand der Großvater und wies einer schönen, bleichen Frau, seiner Tochter, die sich auf seinen Arm lehnte, die munteren Sprünge der Kleinen, welche jubelnd einem Schmetterlinge nachjagte. Indem sie dem farbenprächtigen Flüchtlinge folgte, kam sie an einem uralten Baum vorbei, in dessen Schatten ein Mädchen von strahlender Schönheit saß. Das edelgeformte Haupt mit der einen Hand stützend, hielt die Schöne einen der schwerfälligen Foliobände jener Zeit auf ihren Knien aufgeschlagen und hing mit ihren großen, schwarzen, glutvollen Augen an der Schrift. »Hilf mir ihn fangen, Schwester!« rief die Kleine der Lesenden zu, »hilf mir –«

Sie wollte den Namen der Angerufenen aussprechen, allein eine wunderliche Laune des Traumgottes lähmte ihre Zunge. Vergebens mühte sie sich ab, den geliebten, vertrauten Namen über die Lippen zu bringen. Plötzlich schlug der gesuchte Name von außen her deutlich an ihr Ohr: »Desdemona!«

Ja, war das noch Träumen? War es Wachen? Sie wußte es selbst nicht, aber sie erhob lauschend den Kopf, setzte sich aufrecht und wandte das Ohr nach der Richtung, woher der Name ihrer Schwester erklungen war.

Horch! – Da wurde er abermals genannt in der Halle, von der Lovely nur durch eine Tür aus schlecht gefügtem Flechtwerke getrennt war. Eine tiefe, klangvolle Männerstimme sprach die Worte:

»Ich wiederhole es, Desdemona will nicht, daß ich meine Flagge in dieser Sache wehen lasse, bevor Metakom gelobt und Ihr, Häuptling, sein Gelübde verbürgt.«

Eine andere Männerstimme, deren scharfe Kehllaute nur aus einer indianischen Kehle kommen konnten, versetzte in gebrochenem Englisch:

»Blaßgesichtertorheit! Hat man je gehört, daß die Stimme einer Frau laut werden durfte am Ratfeuer von Häuptlingen?«

»Bah, Häuptling,« erwiderte die vorige Stimme, »es ist hier nicht die Rede von euren Weibern, obgleich ich ihren guten Eigenschaften alle Anerkennung zolle: es ist die Rede von der Königin meines Schiffes, und das macht doch einen Unterschied, sollt' ich meinen.«

»Der Häuptling des Donnerschiffes hat also eine Frau zum Häuptling?«

»Genug davon!« entgegnete der andere mit einem Nachdruck, der nicht mißverstanden werden konnte. »Ihr versteht das nicht.«

»Was will mein Bruder damit sagen?«

»Daß mein Bruder nicht weiß, welche Stellung die Frauen in der Gesellschaft der Weißen einnehmen.«

Lovely war kein Wort dieses seltsamen Gespräches entgangen. Mit verzeihlicher Neugier näherte sie ihre Augen der weiten Ritze der Tür ihres Schlafkämmerchens, durch welche ein starker Lichtstrahl aus der Halle hereindrang. Ihr Herz pochte laut, denn der Name Desdemona ließ eine Flut von Erinnerungen in ihrer Seele aufwogen, von Erinnerungen an die freudehellsten Stunden der Kindheit wie an die trübsten Augenblicke späterer Zeit. Unter den letzteren kehrte besonders ein Erlebnis voll bitterster Qual, ein herzzerreißender Auftritt wieder: ein von Schmerz und Zorn bis zur Raserei getriebener Vater hatte die eine seiner Töchter in Gegenwart der andern verflucht – verflucht am Lager der eben verstorbenen Mutter – und sie Mörderin genannt.

Oft schon hatte Lovely seitdem in schmerzlicher Erinnerung diese unglückselige Stunde wieder durchlebt, aber noch nie war dieser schreckliche Auftritt so belebt und furchtbar vor ihrem Auge erschienen wie jetzt, wo zwischen Traum und Wachen der mit Verwünschung belastete und doch so teure Name der Schwester ihr Ohr unvermutet und plötzlich getroffen hatte. Sie fuhr sich leise mit der Hand über das Gesicht, als wollte sie das peinliche Traumbild verscheuchen. Dann richtete sie ihre Blicke auf die Vorgänge im Innern der alten Kapelle.

In dem grellen Schein des Feuers auf dem zerstörten Altar sah sie auf den Stufen vier Männer sitzen, den alten Trapper und den jungen Thorkil, einen Seemann und einen Indianerhäuptling.

Nach jenen letzten Worten des Seemannes setzte der Indianer die Pfeife an den Mund, und der erstere summte leise die Weise eines französischen Liedes vor sich hin.

Auf einen mißbilligenden Blick des alten Trappers hielt der Sänger inne und sagte:

»Verzeiht, meine Freunde, aber, sacré nom de Dieu, ich kann mich an die steife Feierlichkeit eurer Beratungen nach indianischem Zuschnitt nicht gewöhnen.«

»Hm,« versetzte der alte Jäger achselzuckend, »darüber verwundere ich mich nicht, denn es ist bekannt, daß die Franzosen nichts ohne unnützen Lärm zu tun vermögen.«

»Nicht unrichtig bemerkt, wenn auch nicht sehr höflich, alter Brummbär,« entgegnete der Seemann lachend: »Übrigens müssen wir zum Schluß kommen, weil ich eine gute Strecke Seepfad zwischen dieser Insel und meinem Boote haben will, bevor der Tag anbricht.«

Der Indianer schien von diesem Zwischenspiel gar nichts gehört zu haben. Er bot die Pfeife dem alten Trapper hin und sagte kurz, aber mit einer höflichen Bewegung des Kopfes:

»Was meint mein Vater?«

Groot Willem nahm die dargereichte Pfeife mit würdevoller Ruhe entgegen, tat einige Züge daraus und sagte dann mit Nachdruck:

»Mein Sohn, der Häuptling, weiß, daß der Herr des Donnerschiffs ein großer Krieger?«

»Ja.«

»Ein großer Krieger faßt seine Entschlüsse mit Bedacht.«

»So tut er, mein Vater. Aber er achtet nicht auf das, was eine Frau ihm ins Ohr lispelt.«

»Hat mein Sohn nie vernommen, daß auch der große Häuptling der Wampanogs auf die Stimme seines Weibes Wetamon hört?«

Der Indianer neigte bejahend das Haupt:

»Wetamon ist sehr klug.«

»Ja, Wetamon ist klug. Aber ich kenne ein Weib, das noch klüger als Wetamon.«

»Mein Vater meint Ih-nis-kin, deren Auge leuchtet wie die aufgehende Sonne, und deren Stimme süß tönt wie der Frühlingswind im jungen Laube.«

»Ja, Häuptling, ich meine Ih-nis-kin, wie ihr sie nennt, ich meine das Weib des Häuptlings des Donnerschiffs.«

Der Indianer legte mit einer Gebärde voll natürlicher Anmut seine Rechte auf die Brust, um der Genannten seine Achtung zu beweisen.

»Dank Euch, Häuptling,« sagte der Seemann, seine Hand in die des roten Kriegers legend. »Ih-nis-kin nennt Ihr meine Gebieterin? Darf ich fragen, was dies auf englisch heißt?«

»Kristall.«

»Kristall? Verteufelt hübscher Name das, foi de gentilhomme! Desdemona wird sich freuen, von dieser indianischen Ritterlichkeit zu hören. Hätte kaum geglaubt, daß in den Urwäldern so allerliebste poetische Einfälle ausgeheckt würden.«

Der alte Trapper ließ diesen Ausbruch französischer Lebhaftigkeit ruhig vorübergehen. Dann sagte er, immer dem roten Krieger zugewandt:

»Mein Sohn hat die Meinung des Häuptlings des Donnerschiffes vernommen. Ich teile sie. Wenn der Tomahawk erhoben wird, darf er nicht Schuldlose und Wehrlose treffen. Das ist gegen die Natur und gegen die Gaben unserer Farbe.«

Der Indianer versetzte mit grimmigem Hohn:

»Die Gaben der Blaßgesichter sind veränderlicher als das Frühlingswetter. Wo war ihre Abneigung gegen das Vergießen von unschuldigem Blut, als sie den großen Miantonomo seinem Todfeind Unkas überlieferten, um ihn meuchlerisch zu erschlagen?«

»Ja, das war ein schandbarer Mord, eine grausame, niederträchtige Tat. Der Häuptling mag sie rächen, aber nicht an Wehrlosen. So wahr ich Groot Willem heiße, mein gutes Roer soll nicht auf seiten derer knallen, auf deren Schlachtruf das Wehgeschrei von Weibern und Kindern Antwort gibt.«

»Wenn der Tomahawk der roten Krieger einmal Mut getrunken, ist er berauscht wie die Blaßgesichter von ihrem Feuerwasser. Er schlägt zu, ohne zu achten, wohin oder wen er trifft.«

»Er soll aber darauf achten, Häuptling, ja, er soll. Groot Willem will so wenig mit berauschten Tomahawks zu tun haben als mit berauschten Kolonisten, wie sie jetzt auf Mount Wallaston ihr törichtes Wesen treiben.«

»Und dem großen Häuptling der Wampamogen sagt,« fuhr der Seemann fort, »daß wir zu der Zusammenkunft, die er vorgeschlagen hat, bereit sind. Sagt ihm ferner, daß wir bereit sind, mit ihm und euch unsere gemeinsamen Feinde zu bekämpfen, aber unter Bedingungen, welche festzusetzen uns geziemt und welche nicht gebrochen werden dürfen.«

»Ja, das sagt ihm,« nahm Groot Willem wieder das Wort, »und weiter –«

Ein Geknurr Prinslos, der zu den Füßen seines Herrn lag, unterbrach diesen in seiner Rede. Das Tier mochte von den leisen Bewegungen der lauschenden Lovely Witterung erhalten oder auch das Erwachen der Obersten bemerkt haben, die in einem Gelasse neben dem des Mädchens schliefen.

»St!« zischelte der alte Trapper, stand auf, trat von den Altarstufen herunter, winkte seinen Gefährten, ihm zu folgen, und mit leisen Tritten verließen sofort alle vier die Halle.

Von den verschiedenartigsten Empfindungen bewegt, legte sich die Lauscherin auf ihr Lager zurück. Eine düstere Ahnung sagte ihr, daß soeben ein verhängnisvolles Geheimnis halb und halb vor ihr entschleiert worden sei. Ein heftiger Schmerz schnürte ihre Brust zusammen bei dem Gedanken, daß Thorkil in einen unheilvollen, vielleicht verbrecherischen Anschlag verwickelt sei. Doch ihr Herz beschuldigte ihren Verstand sogleich der Voreiligkeit. Thorkil kann nichts Böses tun oder wollen, dachte sie, und während sie die Möglichkeit und Unmöglichkeit ihrer Befürchtungen gegeneinander abwog, überwältigte sie der Schlaf wieder. Als bei Tagesgrauen die Stimme ihres Vaters sie weckte, als ihre beiden Wirte beim Eintritt in die Halle ihr mit unbefangenem Morgengruße entgegentraten, wußte sie in Wahrheit nicht zu sagen, ob das, was sie gesehen und gehört, Traum oder Wirklichkeit gewesen.

Die so geheimnisvoll gehaltene, von Lovely so unfreiwillig belauschte Beratung bildete in der Tat ein bedeutsames Glied in der Kette, welche ein Teil der Ureinwohner zum Untergange der weißen Ansiedler schmiedete. Ihre Vorgeschichte, in großen Zügen entrollt, wird dem Leser den Blick für die weitere Entwickelung klären.

Als der erste Wanderzug der Pilger den Boden der neuen Heimat betrat, war das Land von fünf Völkerbündnissen der roten Männer bewohnt. Den südöstlichen Teil des jetzigen Staates Massachusetts und ein kleines Gebiet von Rhode-Island hatten die Pokanoketen inne, unter denen der Stamm der Wampanogen die führende Stelle einnahm. Westlich von ihnen hatten die Naragansetter ihre Jagdgründe. In Konnektikut traten besonders die Pequoden und die unter ihrer Oberherrschaft stehenden Mohikaner hervor. Dazu kamen noch die Pawtucketter und die Indianer von Massachusetts.

Der Verkehr der eine neue Heimat suchenden Ansiedler mit den Eingeborenen war lange Zeit, abgesehen von kurzen Unterbrechungen, ein friedlicher, da die puritanischen Ansiedler in ihren Beziehungen zu den roten Männern sich strengster Redlichkeit befleißigten. Sie berücksichtigten die Eigentumsrechte der Indianer weit gewissenhafter, als andere Europäer es zu tun pflegten. Es wurde darauf gehalten, daß die Ländereien der Eingeborenen nur auf dem Wege des Kaufs und Tausches in die Hände der Weißen übergingen. Freilich wurden dabei ungeheure Strecken indianischer Jagdgründe von ihren Eigentümern oft um kindisches Spielzeug verhandelt. Aber diese wohlfeil erworbenen Ländereien mußten zum zweiten Male von dem Käufer erworben werden um den Preis seines Schweißes und der anstrengendsten Tätigkeit seiner Hände. So waren die ersten Ansiedlungen von Konnektikut, von Rhode-Island, von Plymouth und andere entstanden.

Die Ansiedler von Plymouth waren zuerst mit dem Häuptling der Wampanogen, Massasoit, in Berührung gekommen, dessen Wohnsitz Montaup – von den Engländern Mount Hope genannt – auf einer weit in einen Nebenarm der Naragansettbai hineinreichenden Landzunge gelegen war. Abgesandte von Ansiedlern hatten den Häuptling von einer Krankheit heilen können, gegen die seine Medizinmänner oder Beschwörer ohnmächtig waren, und von der Zeit an blieb der Indianer sein Leben lang ein dankbarer und standhafter Freund der Weißen.

Mit weniger günstigen Augen betrachtete der Häuptling der Naragansetter das Vordringen der Weißen. Aber seine kriegerischen Absichten wurden durch das entschiedene Auftreten des damaligen Gouverneurs der Ansiedlungen in Schach gehalten. Auf die Kriegserklärung der Indianer in Form eines mit Klapperschlangenhaut zusammengebundenen Pfeilbündels schickte er die Schlangenhaut mit Pulver und Blei gefüllt zurück. Das wirkte auf längere Zeit abschreckend.

Dagegen brach ein höchst blutiger Krieg zwischen den Ansiedlern von Konnektikut und den ursprünglichen Besitzern des Landes, den Pequoden, aus und erfüllte die junge Kolonie mit Schrecken und Trauer. Nur die Uneinigkeit der einzelnen Stämme untereinander begünstigte den endlichen Sieg der Weißen. Denn die Mohikaner unter Unkas, die unversöhnlichen Feinde der Pequoden, und ein Teil der Naragansetter unter Miantonomo leisteten den Weißen in diesem Kriege große Hilfe. Die Gefahr, welche den Ansiedlern im Pequodenkriege gedroht hatte, beschleunigte den Zusammenschluß der Kolonien von Neu-England, indem die einzelnen Gemeinwesen ein Schutz- und Trutzbündnis gegen alle äußeren Feinde abschlossen. Die rastlosen Fortschritte der Eindringlinge ließen dem stolzen und klugen Miantonoma keine Ruhe, und Begünstigungen, welche der Mohikaner Unkas von den Weißen erfuhr, stachelten noch seinen Haß und Groll. Er suchte die Mohikaner insgeheim gegen die Ansiedler aufzureizen, und als alle seine Versuche, seinen Nebenbuhler für seine Verschwörungspläne zu gewinnen, scheiterten, wollte er ihn aus dem Wege räumen. Da ihm auch das nicht gelang, erhob Miantonomo offene Fehde gegen Unkas, fiel aber im ersten Treffen durch Verrat in die Hände seines Gegners, der ihn den Ansiedlern von Konnektikut auslieferte. Der Rat der Ansiedlungen beschloß den Tod Miantonomos und übergab ihn, weil sein Blut die Kolonie nicht beflecken sollte, seinem Todfeinde, der ihn auf einer Ebene mit einer Keule erschlug. Grenzenlose Wut erfüllte die Naragansetter beim Empfange der Todesbotschaft. Allein die Stunde der Rache mußte noch aufgeschoben werden: der Sohn des Gemordeten, Kanonchet, war noch zu jung.

Am unabhängigsten von der Überlegenheit der Weißen hielten sich von allen Indianerstämmen Neu-Englands die Völkerschaften der Pokanoketen, an deren Spitze noch immer der Stamm der Wampanogen stand. Aber das freundschaftliche Verhältnis zwischen diesen Indianern und den Weißen, das sich unter ihrem früheren Führer Massasoit angebahnt hatte, schien unter seinen Nachfolgern immer mehr ins Wanken zu geraten. Und als sein Sohn Metakom, den die Ansiedler auf sein Begehren nach einem englischen Namen »Philipp« nannten, Oberhaupt der Wampanogen und Bundeshäuptling der Pokanoketen geworden war, sollte die trügerische Ruhe in schrecklicher Weise unterbrochen werden. Der schlaue Indianer wußte seinen glühenden Haß gegen die weißen Eindringlinge und seinen Plan, die Jagdgründe seiner Väter von den Blaßgesichtern zu befreien, lange Zeit in seiner Brust zu verbergen. Zur Zeit, in der unsere Geschichte sich abspielt, schien ihm die günstige Gelegenheit zum Losschlagen gekommen zu sein, und in dem Flibustier »el Exterminador« glaubte er einen willkommenen Bundesgenossen zu finden. Die Vermittelung des Bündnisses hatte er zunächst dem jetzigen Häuptling der Naragansetter, Kanonchet, übertragen, und in der Ruine hatten in Gegenwart der beiden Trapper die ersten Verhandlungen stattgefunden.


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