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Sechstes Kapitel. Die Neuromantik und der Liberalismus

Die Universität Jena. – Genesis der Romantik. – Die romantische Schule. – Schelling. – Novalis. – Die Brüder Schlegel. – Tieck. – Brentano. – Achim und Bettina von Arnim. – Die übrigen Romantiker. – Die Berliner Gesellschaft zur Zeit der Romantik. – Prinz Louis und Rahel Levin. – Jena und Tilsit. – Heinrich von Kleist. – Der Wiederaufbau des preußischen Staates. – Die Königin Luise. – Der Freiherr vom Stein. – Die Universität Berlin. – Fichtes Reden an die deutsche Nation. – Der Tugendbund. – Die Befreiungskriegszeit. – Der Wiener Kongreß. – Die heilige Allianz und die Restaurationspolitik. – Gentz und Görres. – Die patriotische Jugend. – Turnerei. – Die Burschenschaft. – Die Altdeutschen. – Das Wartburgsfest. – Der Polizeistaat. – Die Wissenschaften und Künste. – Der Liberalismus: sein Wesen, seine Bestrebungen und sein großes Fiasko. – Der Humor davon.

 

Wo der Vorschritt des geistigen Lebens dem staatlichen so weit vorauseilt, wie es gegen das Ende des 18. Jahrhunderts in Deutschland der Fall gewesen ist, wird er, der Anlehnung an die Wirklichkeit ermangelnd, stets genötigt sein, auf seinem Wege innezuhalten, oder er wird, links und rechts Anknüpfungen an praktische Ziele versuchend, in unersprießlichem Hin- und Hertasten nicht allein seine Zeit, sondern auch seine Richtung verlieren.

Die Regierungsgrundsätze Friedrichs und Josephs hatten die Aussicht eröffnet, daß das öffentliche Leben Deutschlands mit Entschiedenheit die Bahn der Freiheit und Vernunft verfolgen würde, welche ihm unsere Klassik eröffnete; allein diese Aussicht trübte sich sehr bald. In Österreich hemmte der Tod Josephs die begonnene Aufhellung der mittelalterlichen Finsternis, und in Preußen zeigte das berüchtigte, durch den Kultusminister Wöllner 1788 erlassene »Religionsedikt«, welches die sämtliche protestantische Geistlichkeit wieder streng an die sogenannten symbolischen Bücher band, daß es mit der Friedrichschen Toleranz zu Ende wäre. Der Supranaturalismus faßte neuen Mut und trat, auf die Unwissenheit der Massen vertrauend, dem Rationalismus mit bitterster Feindschaft gegenüber. Als dann vollends durch die französische Revolution und durch die mit ihr verknüpften revolutionären Bewegungen im Westen Deutschlands klar wurde, daß mit dem Glauben an das göttliche Recht der Priester auch der an das göttliche Recht der Könige unterginge, da beeilten sich die letzteren, ihr altes, während der Aufklärungsperiode gebrochenes Kompromiß mit den ersteren wieder zu erneuern. Demnach hob eine große Reaktion wider den Geist des 18. Jahrhunderts an, und die Koalitionskriege gegen die französische Republik waren nur die tatsächliche Kundgebung dieser Reaktion, welche auch der geistigen Bewegung Deutschlands eine andere Richtung gab. Anfangs zwar schien es, als ob diese Bewegung, namentlich vermöge des in ihr mächtig werdenden Prinzips der Nationalität, unserer kosmopolitischen Klassik nur eine wesentliche Ergänzung hinzufügen wollte; allein ihr späterer Verlauf ließ die mittelalterlich-romantische Tendenz in einem Grade hervortreten, daß dadurch die Errungenschaften unserer klassischen Bildungsperiode geradezu und aufs höchste gefährdet wurden.

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Nr. 117. Le Bouteux, Illustration zu Delaborde.

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Nr. 118. Moreau, Illustration zu Delaborde »Choix de Chansons«.

Zur selben Zeit, als der Savoyarde de Maistre und der Franzose de Bonald die katholisch-absolutistische Doktrin wieder auffrischten, um dieselbe, der eine mit genialer Sophistik, der andere mit systematischem Fanatismus, der revolutionär-demokratischen Lehre entgegenzustellen, zur selben Zeit auch, wo Chateaubriand drüben in Frankreich sich anschickte, mittels seines »Génie du Christianisme« den Katholizismus ästhetisch-rhetorisch zu restaurieren, hatte sich in der kleinen Universitätsstadt Jena, dem »lieben Nest«, wie Goethe sie nannte, ein Kreis von strebsamen Männern und Jünglingen zusammengefunden. Fichte lehrte da, dann auch Schelling, die Brüder Humboldt kamen ab und zu, die Brüder Schlegel eröffneten hier ihre kritische Laufbahn und sammelten um sich eine Schar von Freunden, in welcher Novalis und Tieck hervorragten. Es war ein äußerst bewegtes Leben in der kleinen Universitätsstadt, ein genialisches Treiben, das vielfach an die Sturm- und Drangperiode erinnerte. Die Gegensätze zwischen dem Idealismus, welchen der Aufschwung unserer Kunst und Wissenschaft erreicht hatte, und der philisterhaft verkommenen Wirklichkeit machten sich der begabten Jugend allzu fühlbar, als daß sie nicht hätte angeregt werden sollen, den Versuch zu wagen, Leben und Poesie, Ideal und Gesellschaft auszugleichen und dadurch eine neue Kulturepoche heraufzuführen. Dieser Versuch ist die romantische Schule, die Neuromantik, die »neualtdeutsch-religiös-patriotische« Kunstgenossenschaft, eine äußerst merkwürdige Phase der deutschen Bildungsgeschichte, rein, lauter, vielversprechend in ihren Anfängen, in ihren Ausgangspunkten überall mit den Bestrebungen der Restaurationspolitik, d. h. mit den Tendenzen des fürstlichen Absolutismus, mit Völkerverdummung, Junkerei und Pfafferei zusammenfallend.

Zweifelsohne muß als die Wurzel der Romantik bezeichnet werden die Verzweiflung über das Mißlingen der französischen Revolution. Die wohltätigen Früchte nämlich dieser großen Umwälzung konnten erst später und nur sehr langsam reifen, ihre unmittelbaren traurigen Folgen dagegen hatten sich der europäischen Gesellschaft sehr schwer und schmerzlich fühlbar gemacht – vollends in der Form des ja schon zur Zeit des Bonaparteschen Konsulats anhebenden Napoleonischen Kaiserwahnsinns. Da lag es nun den Menschen, wie sie einmal sind, nahe, eine Bewegung zu mißbilligen, zu hassen, zu verwünschen, welche soviel Elend herbeigeführt und scheinbar keine ihrer großen Verheißungen erfüllt hatte. Dann wurde weiter gefolgert, wie die Revolution selbst, so sei auch die ganze Geistesrichtung des 18. Jahrhunderts, deren tatsächliche Schlußfolgerung diese Revolution ja gewesen, durchaus verwerflich, demnach abzutun und durch eine andere heilsamere zu ersetzen. Wo wäre aber eine Weltanschauung zu suchen, welche mit Erfolg der alles kritisierenden, alles zersetzenden, alles verneinenden des Zeitalters der Aufklärung entgegengesetzt werden könnte? Wo anders, lautete die Antwort auf diese Frage, als in einer Zeit, wo nicht das schwindelhafte Dogma von der Freiheit, sondern das stetige, feste, unwandelbare Dogma von der Autorität alles bedingt und bestimmt hatte! Welche Zeit war damit gemeint? Natürlich das Mittelalter.

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Nr. 119. Gravelot, Illustration zu Marmontel.

So war eine Losung gegeben, welcher alsbald von allen Ecken und Enden her der lebhafteste Beifall und Widerhall zuteil wurde. So war eine Fahne aufgepflanzt, um welche sich sofort massenhafte Kämpferscharen sammelten. Mit anderen Worten, das Rückwärtsstreben zum Mittelalter wurde in der europäischen Gesellschaft nicht etwa nur eine oberflächliche, rasch vorübergehende Mode, sondern eine tiefgreifende Stimmung, bei vielen, und keineswegs nur bei kleinen Geistern und keineswegs nur bei schlechten Menschen, eine bis zum Fanatismus gehende Überzeugung. Es wäre albern, die Initiatoren der romantischen Restauration und die Systemgeber und Förderer der Romantik samt und sonders entweder für unwissende, geistverlassene Toren oder aber für selbstsüchtige Schelme ausgeben zu wollen. Allerdings schlug diese Zeitrichtung im großen und ganzen zum Unheil aus, allerdings fochten unter dem romantischen Banner später viele ganz gemeine Söldner und Überläufer, allerdings waren zuletzt die Bezeichnungen Romantiker und Rückwärtser vollständig gleichbedeutend. Aber das alles darf den kulturgeschichtlichen Urteiler nicht verkennen machen, daß der Rückstoß der Romantik ursprünglich ebenso naturnotwendig und folglich historisch ebenso berechtigt war, wie der Vorstoß der Revolution es gewesen. Und hieraus ergibt sich der zweite Satz, daß die kritischen, philosophischen, dichterischen und künstlerischen Norm- und Formgeber der Romantik, wie die Systematiker der Restaurationspolitik, anfänglich keine unlauteren Motive hatten, weil sie eben nur dem Gesetze geschichtlicher Notwendigkeit gehorchten.

In allen Kulturstaaten Europas, die republikanische Schweiz so wenig ausgenommen wie das konstitutionelle England, machte sich der romantische Rückstoß fühlbar und geltend. In Deutschland kamen jedoch zu den zeitgeschichtlichen Ursachen, welche die romantische Wirkung hervorbrachten, noch solche hinzu, welche von eigenartig deutscher Natur waren. Unsere »romantische Schule« nahm nämlich ihren Ursprung zunächst aus der Fichteschen und Schellingschen Philosophie. Das souveräne Ich Fichtes, welches auch die Seele von Jean Pauls Humor ausmacht, ist der Vater der romantischen Ironie, die Naturphilosophie Friedrich Wilhelm Joseph Schellings (1775-1854) ist die Mutter des romantischen Universalismus, jener Seite der Romantik, welche die Herder-Goethesche Idee einer Weltliteratur wesentlich weitergebildet und der weltliterarischen Tendenz unserer Bildung feste Unterlagen gegeben hat. Schellings Philosophie beruht auf dem Grundgedanken der Identität des Idealen und des Realen, welcher zufolge die Natur der sichtbare Geist und der Geist die unsichtbare Natur ist. Das Universum ist eine organische Einheit unter dem Prinzip der absoluten Vernunft, welche, alle Stufen des natürlichen Daseins als ebenso viele Vervollkommnungsphasen durchschreitend, endlich im Bewußtsein des Menschen zu ihrer Freiheit und zum Wissen von sich kommt. Im weiteren Verlauf seines Philosophierens zeigt uns Schelling, indem er seinem Welt-Gott eine Mythologie ausfindig machen will, als welche sich dann zuletzt die christliche ergibt, schon den romantischen Abfall von der Vernunft zum Offenbarungsglauben. Dies tut auch Novalis (Friedrich von Hardenberg, 1772-1801), welchen man, wie man Fichte und Schelling die Initiatoren der Romantik genannt hat, ihren Propheten nennen darf. Ihm ward es unheimlich in der Leere des Fichteschen freien Selbstbewußtseins, und er mühte sich in schmerzlichem Ringen ab, eine Vermittelung zwischen dem Gedanken und dem Gefühle zu finden, einen Punkt festzuhalten, in welchem sich Philosophie und Religion, Wissenschaft und Poesie begegnen und ineinander aufgehen könnten. Diesen Punkt glaubte er zuletzt im Christentum und zwar in dessen Erscheinungsform als Katholizismus gefunden zu haben, und in diesem Glauben dichtete er das Vollendetste, das er geschaffen, seine geistlichen Lieder, über deren Glut und Innigkeit unsere religiöse Lyrik wohl schwerlich mehr hinauskommen wird. Umfangreich und mit allen ihren Konsequenzen lehrte Friedrich Schlegel (1772-1828) aus Hannover die romantische Doktrin. Seine Kritik ging von Anfang an darauf aus, Goethe als absoluten Herrscher in unserer Literatur zu proklamieren und Schiller herabzusetzen, weil dessen überall auf die Ziele der Freiheit gerichtetes Streben mit den Tendenzen der Romantik durchaus in Kollision kommen mußte. Schlegel setzte sich der Kotzebueschen und Lafontaineschen Jämmerlichkeit in der Literatur mit Geist entgegen, machte aber zugleich die Befehdung der Aufklärung zu einem Glaubensartikel der romantischen Richtung. Aufklärerisch und platt galt den Romantikern bald für gleichbedeutend, und sie brachten es auf diesem Wege glücklich dahin, daß, wie schon gesagt, heutzutage Romantiker und Reaktionär ebenfalls gleichbedeutend sind. Der Schlegelschen Lehre gemäß sollte durch die Durchdringung der Wirklichkeit mit Idealismus die Gesellschaft von aller Philisterei erlöst werden, sollten Leben und Kunst in der höheren Einheit der Religion sich zusammenschließen. Er schrieb zur Veranschaulichung dieser Doktrin seinen Roman Lucinde (1799), worin das Romantische auf folgendes hinausläuft. Nachdem das Ich des Menschen die Schranken der Persönlichkeit vergebens niederzuwerfen versucht hat, findet es seine wahre Fülle und Einheit keineswegs in einem energischen Handeln, sondern umgekehrt in der »gottähnlichen Kunst der Faulheit«, im Nichtstun. In diesem genießt die Freiheit des genialen Subjekts sich selbst. Je göttlicher der Mensch, desto ähnlicher wird er der Pflanze, welche unter allen Formen der Natur die schönste und sittlichste, und deshalb ist das Leben auf seiner höchsten Stufe reines Vegetieren. Dieses Vegetieren, das höchste Ziel des Ichs, ist Religion, und da unter allen Entwicklungsformen der Religion der römische Katholizismus, zu welchem Schlegel 1805 übertrat, den vegetabilischen Charakter am reinsten darstellt, so ist die Rückkehr zum Katholizismus die notwendige Konsequenz der romantischen Prämissen. In seinen späteren literarhistorischen und philosophischen Büchern führte dann Schlegel diesen Gedanken weiter aus und predigte den Papalismus als vollendetste Zusammenfassung von Kirche und Staat, Volk und Wissenschaft, Kunst und Leben. Sein Bruder August Wilhelm Schlegel (1767-1845) nahm es nicht so ernst mit der affektierten Mittelalterlichkeit, obgleich er sich bereitwillig dazu hergab, ästhetische Vorlesungen zu halten und die Ideen seines Bruders auszubreiten. Als Poeten waren beide Schlegel unbedeutend, und sie haben ihre poetische Impotenz, hinter mechanischer Formvirtuosität zu verstecken gesucht, aber August Wilhelm hat sich als Übersetzungsmeister, als welcher er den Shakespeare verdeutschte und den Dante, Calderon und Camoens bei uns einführte, unvergängliche Verdienste erworben. Gries und nachmals eine ganze Reihe von Übersetzungskünstlern stellte sich ihm auf diesem Felde zur Seite, auf welchem keine andere Literatur mit der deutschen wetteifern kann. Dieser Übersetzungskunst, sowie der von den Schlegeln eigentlich erst begründeten nationalen und universalen Literarhistorik haben wir es vorzugsweise zu danken, daß sich der Gesichtskreis unserer Bildung seither so außerordentlich erweiterte, daß wir befähigt sind, die Schönheitsideale und den Kulturcharakter aller Völker alter und neuer Zeit zu begreifen und zu würdigen und vermöge dieses universellen Verständnisses hinwieder auf den Bildungsprozeß der Menschheit einzuwirken.

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Nr. 120. Gravelot, Illustration zu Marmontel.

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Nr. 121. Gravelot, Illustration zu Corneille.

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Nr. 122. Er kommt. Galanter Kupferstich.

Es fehlt uns hier der Raum, die verschiedenen Richtungen der romantischen Sekte, die mystisch-katholische, die phantastisch-humoristische, die junkerlich-ritterliche, die patriotische, die ultramontan-fanatische, die politisch-reaktionäre, im einzelnen weiter zu entwickeln. Auch werden wir im Verlaufe des Kapitels auf die meisten dieser Auszweigungen des romantischen Stammes zurückkommen und wollen uns daher jetzt begnügen, an die hervorragendsten poetischen Stimmführer zu erinnern. Ein solcher war vor allen andern Ludwig Tieck (1783-1853) aus Berlin, welcher seine Dichterbegabung, die er insbesondere als Märchendichter erwies, in den Dienst der romantischen Schule gab. In diesem Dienste schrieb er literarisch-polemische Komödien, welche samt den Objekten ihrer Polemik jetzt verschollen sind; dann den mystisch-lüstern-katholisierenden Kunstroman Franz Sternbald, welcher soviele leere Malerschädel innen mit krüdem Katholizismus erfüllte und außen mit langen Haaren ausstaffierte; endlich die Sagen- und Märchendramen Genoveva, Oktavianus und Fortunat. Alle diese Werke wurden mit Enthusiasmus aufgenommen – innerhalb der Schule; denn von einer die Nation berührenden Wirkung, wie sie Lessings, Goethes und Schillers Dichtungen geübt, war hinsichtlich dieser undramatischen Dramen, welche, namentlich die Genoveva, das im romantischen Rezept verordnete Kokettieren mit mittelalterlicher »Naturunmittelbarkeit« bis ins Kindische und Läppische trieben, trotz schöner Einzelnheiten keine Rede. Später trieb Tieck auf der Basis Goetheschen Stils eine lange Reihe von Novellen, eine Art platonischer Dialoge, in welchen sich die romantische Ironie polemisch über Fragen und Probleme der neuen Zeit ausließ. Hiermit hat er denn, wie mit seinen ästhetisierenden und dramaturgischen Bemühungen, auf die Kreise romantischer Geistreichigkeit seine Wirkung gehabt. Innerhalb dieser Kreise verflüchtigte sich auch der Anklang, welchen Klemens Brentano (1777-1842) und Achim von Arnim (1781-1831) fanden. Beide verzettelten wahrhaft geniale Anlagen, indem sie aus den Irrgängen einer romantischen Schemenwelt nicht herauskommen konnten. Es finden sich in ihren Werken Anläufe im ernsten und komischen Drama, im Roman und in der Novelle, welche in bezug auf Reichtum der Phantasie, Fülle des Gemütes und Tiefe des Humors das Höchste verheißen und dennoch nicht leisten, weil die romantische Willkür es nirgends zu einer positiven Gestaltung kommen läßt; gerade wie der überquellende Genius Bettinas, Brentanos Schwester und Arnims Frau, welche man treffend die Sibylle der romantischen Periode genannt hat, es nicht lassen konnte, die in ihren Büchern oft so prächtig hervortretende Sonne der Schönheit und Humanität immer wieder mit der Nebeldraperie kindisch-koketter Phantasie zu verhängen. Brentano und Arnim gaben gemeinschaftlich die berühmte Sammlung alter und neuer deutscher Volkslieder heraus, »Des Knaben Wunderhorn« (1808), welches auf die Gestaltung unserer Lyrik sehr wohltätig eingewirkt hat, und entrichteten damit jener Seite der Romantik ihren Tribut, die sich mit der Wiederbelebung unserer alten Literaturschätze so lebhaft befaßte. Zugleich markiert die Herausgabe des Wunderhorns die starke Betonung, welche die Romantik auf das Volkstümliche legte, sofern es nämlich etwas »Waldursprüngliches« an sich trug oder wenigstens etwas vom Mittelalter, in welchem, behaupteten die Romantiker, »die Poesie das ganze reiche farbenbunte Leben durchtönt hätte.«

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Nr. 123. Der stürmische Liebhaber. Galanter Kupferstich.

Wieviel nun dieser romantische Zug nach der Vergangenheit zur Förderung unserer einheimischen Altertumsstudien beigetragen, so sehr hat er auch jene Narrheit gefördert, welcher selbst der roheste alte Quark und Kram bedeutend erscheint, eben weil er alter Quark und Kram ist. Mehr, als es Novalis, Tieck, Arnim und Brentano, bei welchen allen sich die romantische Eigentümlichkeit findet, daß gerade ihre großartigst angelegten Dichtungen Stückwerk blieben (»Ofterdingen«, »Cevennenaufruhr«, »Kronenwächter«, »Romanzen vom Rosenkranz«), gelingen wollte, auf die Massen zu wirken, gelang dies Zacharias Werner (1768-1823), Friedrich de la Motte Fouqué (1777-1843) und Ernst Theodor Amadeus Hoffmann (1776 bis 1826). Alle drei sind wahrhafte Typen einer Zeit, wo mit dem äußeren Zerfall der deutschen Nation innere Zersetzung und Auflösung Hand in Hand gingen und statt der Denkkraft und Schöpfungsmacht unserer Klassik überall verlogenes, gemachtes, geschraubtes Zeug Platz griff. Man sehe sich z. B. nur das Christentum der Romantiker genauer an. Was war es im Grunde weiter als eine kokett gemalte Larve, um damit auf dem romantischen Maskenball zu paradieren? Und der Ruhm der Romantik, war er mehr als eine buntschillernde Seifenblase, in die Luft getrieben durch eine Kameradschaft, welche sich in gegenseitiger Beweihräucherung der Unzulänglichkeit gefiel? Werner erwies sich als echter Jünger einer Sekte, in welcher ja auch das Weibertauschen und dergleichen Genialitäten mehr an der Tagesordnung waren. Er zeigte den Freudenmädchen von Paris und Rom, wie weit es ein Deutscher in systematischer Liederlichkeit bringen könnte; wahrscheinlich nur, um hinterdrein die gehörige christliche Reue und Zerknirschung fühlen zu können und aus einem Sünder ein Bußprediger zu werden, als welcher er, nachdem er katholisch geworden, zur Zeit des Kongresses in Wien auftrat. Diese Stadt mit ihren Kremnitzer Dukaten und ihrer guten Küche wurde überhaupt der Hafen, nach welchem die Romantiker ihre lecken Lebensschifflein zu steuern liebten, von Friedrich Schlegel, Adam Müller und Friedrich Gentz an bis herab zu Friedrich Hurter, der sich in Schaffhausen als Haupt der protestantischen Landeskirche jahrelang hatte besolden lassen, während er geheimer Katholik war. Von Werner ist man unwillkürlich den gemeinen Ausdruck zu gebrauchen versucht, daß er ein schönstes Talent für dramatische Poesie, wie er es in seinem Drama »Die Söhne des Tals« hatte durchblicken lassen, verluderte, um unsere Bühnen mit Mirakelei und Spektakelei zu erfüllen und auf ihre entweihten Bretter durch sein Schauertrauerspiel »Der vierundzwanzigste Februar« jene Parodie des antiken Fatums zu führen, welche dann in den Schicksalstragödien der Müllner und Houwald die stumpfen Nerven einer unverständigen Menge kitzelte, zur gleichen Zeit, wo Hoffmann seinen tollen Humor zur Hervorbringung von Märchen, Phantasie- und Nachtstücken stachelte, in welchen das Menschenleben als ein hohlspiegelartig verzerrtes, mit bläulichen Spiritusflammen beleuchtetes Fratzen- und Schattenspiel erscheint. Der dritte dieser populären Romantiker, Fouqué, tat sein Mögliches, dem Publikum zu beweisen, daß auch das 19. Jahrhundert seinen Don Quijote de la Mancha haben müßte. Ihm war das mittelalterliche Junkertum zur fixen Idee geworden, und so buhurdierte und tijostete er auf der »lichtbraunen« Rosinante seiner Romane und Schauspiele in den Leihbibliotheken umher, bis ihm endlich das Kopfschütteln der Bibliothekare zeigte, daß sogar die Wachtstuben des mittelalterlichen Mummenschanzes überdrüssig wären.

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Nr. 124. Teniers, Die Puffspieler.

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Nr. 125. Chodowiecki, Chodowiecki im Kreise seiner Familie.

Wir haben vorhin auf die sittliche Zersetzung hingedeutet, welche zugleich mit dem literarischen Zersetzungsprozesse der Romantik auf der Grenzscheide zweier Jahrhunderte in der deutschen Gesellschaft vor sich ging. Versetzen wir uns, um diese Andeutung etwas mehr auszuführen, nach Berlin, so finden wir, daß Friedrich Wilhelm II. seinem im Sittenpunkte durchaus untadelhaften Nachfolger die dortige Gesellschaft in einer furchtbaren Zuchtlosigkeit hinterlassen hatte. Selbst bei Hofe war eine so plumpe Hintansetzung des Anstandes eingerissen, daß der zu Hoffesten geladene junge Offizieradel beim Weggehen ganz ungescheut Tafeln und Kredenztische plünderte. Ein glaubwürdiger Zeitgenosse, welcher die Zustände der preußischen Monarchie in »vertrauten Briefen« geschildert hat, läßt sich über die vornehme Berliner Welt von damals also vernehmen: »In der Residenz hat man die physischen Genüsse zum höchsten Raffinement entwickelt. Der Offizierstand, schon früher ganz dem Müßiggange hingegeben und den Wissenschaften entfremdet, hat es in der Genußfertigkeit am weitesten gebracht. Sie treten alles mit Füßen, diese privilegierten Störenfriede, was sonst heilig genannt wurde: Religion, eheliche Treue, alle Tugenden der Häuslichkeit. Ihre Weiber sind unter ihnen Gemeingut geworden, die sie verkaufen und vertauschen und sich wechselweise verführen. Die Frauen sind so verdorben, daß selbst vornehme adelige Damen sich zu Kupplerinnen herabwürdigen, junge Weiber und Mädchen von Stande an sich zu ziehen, um sie zu verführen. Man findet in den Bordellen noch wahre Vestalinnen gegen manche vornehme Damen, die im Publikum als Tonangeberinnen figurieren. Es gibt vornehme Weiber, die sich nicht schämen, im Theater auf der Bank der öffentlichen Mädchen zu sitzen, sich hier Galane zu verschaffen und mit ihnen nach Hause zu gehen. Mancher Zirkel von ausschweifenden Frauen von Stande vereinigt sich auch wohl und mietet ein möbliertes Quartier in Kompanie, wohin sie ihre Liebhaber bestellen und ohne Zwang Bacchanale und Orgien feiern, die selbst dem Regenten von Frankreich unbekannt und neu gewesen wären. Da Berlin der Zentralpunkt der Monarchie ist, von wo alles Böse und Gute über die Provinzen sich ausgießt, so hat sich die Verdorbenheit auch dort nach und nach ausgebreitet.«

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Nr. 126. Wieland.

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Nr. 127. Kraus, Wieland mit Frau und Kindern.

Das bessere Beispiel, welches Friedrich Wilhelm III. gab, war nicht mächtig genug. Der König, durch seine Ehe mit der schönen und edlen Prinzessin Luise von Mecklenburg beglückt, hatte Sinn für Häuslichkeit. Das königliche Paar las mitsammen die empfindsamen Romane Lafontaines und ergötzte sich an Kinderbällen, welche freilich eine der törichtsten und verwerflichsten Erfindungen vornehmer Langeweile gewesen und noch sind. Die Königin bot ebensowenig als der König der Skandalchronik Stoff, worüber sich diese nicht wenig erboste und weshalb sie es der reizenden jungen Frau nicht verzieh, wenn sie sich der verzeihlichen Eitelkeit hingab, ihre Grazie als Tänzerin gerne bewundern zu lassen. Die romantische Genialität repräsentierte am preußischen Hofe der Prinz Louis, Neffe Friedrichs des Großen, an genialen Anlagen und in Lebensführung nicht unähnlich jenem Athener, dessen Namen man auch auf ihn übertrug, indem man ihn den preußischen Alcibiades nannte. Prinz Louis versammelte mit Vorliebe Männer von Geist um sich, namentlich solche, welche zugleich raffinierte Schlemmer waren wie Johannes von Müller und Gentz. Sein Landhaus Schrike bei Magdeburg war der Hauptschauplatz dieser Geniewirtschaft, und des Prinzen Adjutant, Karl von Nostitz, nachmals russischer General, hat in seinem 1848 veröffentlichten Tagebuch das dortige Leben anmutend genug geschildert. »Wir verbrachten,« erzählt er, »in Schrike sehr frohe Zeit. Um 10 Uhr des Morgens weckte uns Hundegebell zur Jagd. Nach kurzem Frühstück zogen wir aus, begleitet von Jägern und Jagdliebhabern. Wir lancierten Säue und jagten Parforce. Um fünf Uhr zurück und um sechs Uhr Tafel. Hier erwarteten uns die Frauen und die Gesellschaft munterer Männer. Ausgewählte Speisen und guter Wein, besonders Champagner, stillten Hunger und Durst; doch das Mahl, in antikem Stile gefeiert, wurde durch Musik und den Wechsel heiterer Erholung weit über das gewöhnliche Maß verlängert. Neben dem Prinzen stand ein Piano. Eine Wendung, und er fiel in die Unterhaltung mit Ton-Akkorden ein, die dann der Kapellmeister Dussek auf einem andern Instrumente weiter fortführte. Unterdessen wechselten Getränke und Aufsätze, auf der Tafel zur freien Wahl hingestellt. Wer nicht aß und trank, warf mit Karte und Würfeln oder führte ein Gespräch mit dem Nachbar. Die Frauen, auf dem Sofa in antiker Freiheit gelagert, scherzten, entzückten, rissen hin und verliehen dem Symposion jene Zartheit und Weichheit, die einer Gesellschaft von Männern unter sich durch Härte und Einseitigkeit abgeht. Die Stunden verflogen uns an solchen Abenden und die Nächte hindurch ungemessen, und es geschah wohl, daß wir uns erst des Morgens um fünf, sechs, sieben, acht Uhr trennten, viele von demselben Stuhle aufstehend, auf den sie sich den Abend vorher niedergesetzt.« Dem preußischen Alcibiades durfte natürlich auch eine Berlinische Phryne, Lais oder Timandra nicht fehlen, und die Reize wie die Buhlkünste dieser drei hellenischen Hetären fanden sich vereinigt in der Pauline Wiesel, einem Buhlweibe von wunderbarer Schönheit und messalinarischem Temperament. Beim Anblick der wütenden Leidenschaft, welche dieses dämonisch-liederliche Geschöpf dem Prinzen, seinen an Pauline gerichteten, furchtbar unorthographischen Briefen zufolge, eingeflößt hatte, begreift man den Vampirismus der slawischen Mythen- und Sagenwelt. Ganz anderen Schlages und unendlich viel edlerer Art ist das Verhältnis des preußischen Alcibiades zu der Jüdin Rahel Levin gewesen, welche für diesen »menschlichsten Prinzen seiner Zeit«, wie sie ihn nannte, in tiefverschwiegener Brust eine große Liebe hegte, während er in ihr seinen »besten Freund« sah und achtete. Rahel, die später den biographischen Porzellanmaler Varnhagen von Ense heiratete, war mit ihrem durchdringenden Verstand und mit ihrer Seele voll Adel eine der anziehendsten Persönlichkeiten der Restaurationszeit. Ohne als Schriftstellerin aufzutreten, hat sie, die »Gesprächskünstlerin«, durch persönliche Anregung und Briefwechsel höchst bedeutend auf die damalige Kulturphase eingewirkt und namentlich das Verständnis und die Würdigung Goethes gefördert. Mit ihr und Bettina hebt die einflußreiche Stellung an, welche sich die Frauen seither in unserer Literatur zu verschaffen wußten, eine Stellung, die allerdings dem Dilettantismus großen Vorschub leistete, aber zugleich auch mächtig dazu beitrug, die Resultate unserer Bildungsgeschichte dem Leben inniger anzueignen.

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Nr. 128. [Klopstock]

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Nr. 129. Herder.

Während aber die Berliner Gesellschaft in dem oben berührten Stile die schlechteste Erscheinungsform des 18. Jahrhunderts fortsetzte und während die Genialen »antike Symposien« feierten, zog über Preußen jenes Gewitter herauf, dessen Blitze sich bei Auerstädt und Jena (1806) entluden, den faulen Staat zertrümmernd, welcher unter der Leitung des unsauberen Trifoliums Haugwitz, Lombard und Lucchesini planlos in den Wirren der Zeit schwankte. Prinz Louis, welcher seine Jugendgenialitäten durch einen braven Soldatentod bei Saalfeld sühnte, hatte vergebens gewarnt, »Preußen werde von der französischen Macht überstürzt werden, wann dieser der Krieg gerade recht sei, und dann ohne Hilfe, vielleicht auch gar noch ohne Ehre fallen«. So geschah es. Jene unheilvolle Zerklüftung Deutschlands, welche in Preußen Schadenfreude erregt hatte, als die Österreicher bei Austerlitz geschlagen worden waren, fiel jetzt mit ihrer ganzen Wucht auf Preußen zurück. Napoleon konnte sich kaum von seinem Staunen über den unglaublich raschen und leichten Sieg erholen, welchen er im Feldzug von 1806 über die Monarchie Friedrichs des Großen davongetragen. »Die Preußen sind noch dümmer als die Österreicher«, äußerte er. Damals erwies es sich auch durch die niederträchtige Feigheit, mit welcher die hochgebornen preußischen Generale die stärksten Festungen des Königreichs, fast ohne einen Schuß zu tun, dem Feinde überlieferten, welche Stützen in Zeiten der Gefahr die Throne an einem solchen Adel hätten, während das preußische Bürgertum in dem trefflichen Kolberger Bürger Nettelbeck wenigstens ein edles Beispiel aufstellte, daß Ehrgefühl, Mut und Tatkraft noch nicht völlig aus dem Lande verschwunden waren.

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Nr. 130. Johann Georg Hamann.

Mit dem Frieden von Tilsit begann für Preußen und Deutschland überhaupt eine Periode der Herabwürdigung, aber auch der Sammlung und Läuterung. Die Napoleonische Zwangsherrschaft wuchtete, nachdem auch Österreich nach dem unglücklichen Feldzuge von 1809 die Übermacht des großen Schlachtenmeisters hatte anerkennen müssen, mit bleiernem Druck auf Deutschland und ließ die Deutschen auf dem Grunde des Bechers der Schmach und Erbitterung ihr Nationalgefühl wieder finden. Man muß die Briefe, man muß die Werke Heinrichs von Kleist (geb. 1776) lesen, um die ganze Trauer, den ganzen Grimm nachzuempfinden, welche damals vaterländisch gesinnte Herzen peinigten. Kleist, der sich 1811 selbst den Tod gab, vertritt mit höchsten Ehren die patriotische Seite der romantischen Poesie, ein Mann in jeder Fiber, von den katholisierend-lüsternen Spielereien der Romantik unberührt, dabei ein großer dramatischer Dichter, welcher wie im historischen Drama (»Der Prinz von Homburg«) so auch in der Komödie (»Der zerbrochene Krug«) Bleibendes schuf und in seiner »Hermannsschlacht« den patriotischen Gram und Groll, den Widernapoleonismus mit hochgenialer Kraft dramatisch in Szene setzte. Am preußischen Hofe erkannte man endlich die Zeichen der Zeit. Aus dem nördlichsten Winkel des Reiches, wohin sich die königliche Familie hatte zurückziehen müssen, schrieb die Königin Luise an ihren Vater: »Es wird mir immer klarer, daß alles so kommen mußte, wie es gekommen ist. Die göttliche Vorsehung leitet unverkennbar neue Weltzustände ein, und es soll eine andere Ordnung der Dinge werden, da die alte sich überlebt hat und in sich selbst als abgestorben zusammenstürzt. Wir sind eingeschlafen auf den Lorbeeren Friedrichs des Großen, wir sind mit der von ihm geschaffenen neuen Zeit nicht fortgeschritten; deshalb überflügelte sie uns.« Es fanden sich zum Wiederaufbau Preußens, der auf Deutschland zurückwirkte, die passendsten Werkzeuge. An die Spitze des Heerwesens, welches einer durchgreifenden Reform bedurfte, traten Männer wie Scharnhorst, Gneisenau und Boyen. Scharnhorst begann damit, den Zopf abzuschneiden und den Stock abzuschaffen. Das von ihm eingeführte militärische System beruhte auf der allgemeinen Wehrpflicht aller Bürger, er beseitigte das Offiziersvorrecht des Adels, sicherte dem Wissen und der Tapferkeit ohne Unterschied des Standes das Vorrücken und begründete neben dem stehenden Heer die Einrichtung der Landwehr und des Landsturms, welche sich bald genug bewähren sollte. Wie diese militärischen Einrichtungen durchaus von dem liberalen Geiste, welchen die französische Revolution im Gegensatze zu mittelalterlichem Kastenwesen und autokratischer Despotie siegreich gemacht hatte, getragen wurden, wie hier alles darauf angelegt war, das Gefühl der Selbstachtung in der Nation zu wecken, so auch in der Reform der Zivilverwaltung, an deren Spitze der energische Patriot Freiherr vom Stein gestellt wurde.

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Nr. 131. Titelbild zu Klopstocks »Messias«.

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Nr. 132.

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Nr. 133. Lavater, Heß und Fueßli bei Spalding.

Steins Tendenz ergibt sich kurz und schlagend aus einer Äußerung, welche er schon 1796 gegen den Prinzen Louis getan hatte, aus der Äußerung: »Die despotischen Regierungen vernichten den Charakter des Volkes, da sie es von den öffentlichen Geschäften entfernen und deren Verwaltung ausschließlich einem ränkevollen Beamtenheer anvertrauen.« Diese Verachtung der Bureaukratie leitete Stein, der sich von dem wütenden Geschrei der Junker und Bureaukraten nicht irren ließ, bei seinen Reformen, welche in ihren Endabsichten auf eine Verschmelzung der Nation mittels einer allgemeinen Nationalrepräsentation abzielten und unter welchen insbesondere zwei ruhmvoll hervorleuchten: die Aufhebung der adeligen Grundherrlichkeit durch das Edikt vom 9. Oktober 1807, durch welches die bäuerliche Hörigkeit und Erbuntertänigkeit abgeschafft und die Erwerbung von Rittergütern auch Bürgern und Bauern gestattet wurde; sodann die mittels Edikts von 19. November 1808 eingeführte Städteordnung, durch welche den Städten die Selbstverwaltung des bürgerlichen Gemeinwesens gesichert ward. Diese Reformen begründeten erst eine freie Bauerschaft und einen freien Bürgerstand in Preußen. Stein mußte zwar auf Napoleons Andringen aus dem Ministerium entlassen werden, allein der einmal gegebene reformistische Anstoß wirkte fort, und man erkennt schon an der königlichen Kabinettsorder von 1810, welche die Abschaffung des Kurialstils in allen Kanzleien befahl, daß es ernstlich darum zu tun war, Regierung und Regierte einander zu nähern. Steins Rat, »durch Leitung der Literatur und der Erziehung dahin zu wirken, daß die öffentliche Meinung rein und kräftig erhalten werde«, war von seinem Nachfolger Hardenberg nicht unbeachtet gelassen worden. Hardenberg sah ein, wie sehr die Zukunft Preußens von der Hebung des Volksgeistes abhinge. Daher die Liberalität, mit der die neu begründeten Universitäten Berlin und Breslau ausgestattet und geleitet wurden. Nach Berlin – den Plan zur dortigen Universität hatte Wilhelm von Humboldt entworfen – wurde Fichte berufen, und hier hatte schon im Winter von 1807-1808 der tapfere Philosoph, während die Trommeln der französischen Besatzung durch die Straßen wirbelten, seine kühnen »Reden an die deutsche Nation« gehalten, in welchem er den Plan einer großartigen Nationalerziehung entwickelte und das Tiefste und Schönste aussprach, was je über Vaterlandsliebe gesagt worden ist. Zu seiner Stimme gesellte sich von Süddeutschland her die Jean Pauls, der damals in mehreren seiner Schriften das durch Napoleon aufs übermütigste zu Boden getretene, durch die standrechtliche Ermordung des patriotischen Buchhändlers Palm mit kalter Grausamkeit herausgeforderte Nationalgefühl gleich mutvoll als wirksam aufregte.

Merkwürdig ist, daß dieses in seinen jetzigen Bedrängnissen sich wieder lebhaft einer Kulturform des 18. Jahrhunderts erinnerte, der Geheimbündelei. Wie zur Zeit der Aufklärung dieser im Illuminatenorden eine soziale Gestaltung versucht hatte, so organisierte sich nun der Haß gegen die Fremdherrschaft zu einem Bunde, welcher übrigens nur den Franzosen gegenüber als ein geheimer bezeichnet werden konnte. Denn der »Tugendbund«, so war sein Name, zu dessen Begründung zuerst zwanzig Männer in Königsberg zusammengetreten waren und dessen Verzweigungen sich rasch in sämtliche Provinzen Preußens verbreiteten, bestand mit Wissen der Regierung, welcher er seine Statuten vorgelegt hatte. Diese charakterisierten ihn als einen »sittlich-wissenschaftlichen« Verein, was an seiner echtdeutschen Natur nicht zweifeln läßt. Was er wollte und womit er es wollte, sprachen folgende zwei Paragraphen seiner Stiftungsurkunde deutlich genug, wenn auch vorsichtig aus. »Zweck des Vereins ist, eine Verbesserung des sittlichen Zustandes und die Wohlfahrt des preußischen und hiernächst des deutschen Volkes durch Einheit und Gemeinschaft des Strebens tadelloser Männer hervorzubringen. Die Mittel der Gesellschaft sind Wort, Schrift und Beispiel.« Die Franzosen anerkannten auch die Bedeutung dieses Bundes auf der Stelle, sobald sie davon Wind bekommen hatten, und zwangen den König von Preußen, den Tugendbund 1809 aufzulösen, was aber nur der Form nach geschah. Tatsächlich bestand der Verein fort, und seine Wirksamkeit war um so bedeutender, als man mit und ohne Grund Männer von ausgezeichnetster Stellung als seine Mitglieder nannte. Ein sehr tätiges war der Major Schill, welcher 1809 die Befreiung Deutschlands vorzeitig und ziemlich abenteuerlich versuchte, durch seinen Ausgang und seinen Heldentod jedoch der patriotischen Jugend ein entflammendes Beispiel gab. Diese Jugend zeigte, als 1813, nachdem Napoleon seine beste Kraft und den Zauber der Unbesiegbarkeit in Rußland eingebüßt hatte, der große Völkerkampf gegen ihn losbrach, daß die Reformen in Preußen bereits eine Generation herangezogen hatten, welche die Bedeutung der Worte Vaterland und Freiheit verstand. Am 17. März 1813 erließ Friedrich Wilhelm den berühmten Aufruf »An mein Volk«, am 25. März erschien die noch berühmtere Proklamation von Kalisch, welche der deutschen Nation innere und äußere Freiheit, die »Wiederherstellung deutscher Freiheit und Unabhängigkeit und eines ehrwürdigen Reiches aus dem ureigenen Geiste des deutschen Volkes« verhieß, »damit Deutschland verjüngt und lebenskräftig und in Einheit gehalten unter Europas Völkern dastehe« – feierliche, glückverheißende Versprochenschaften, die freilich sehr bald zu traurigen Gebrochenschaften werden sollten.

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Nr. 134. Lips, Johann Kaspar Lavater.

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Nr. 135. Stieler, Goethe.

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Nr. 136. Kolbe, Goethe.

Eine unerhörte Begeisterung ergriff die Bevölkerung des nördlichen und nordöstlichen Deutschlands und teilte sich mählich auch dem Süden und Westen mit. Ernst Moritz Arndt warf seine feurigen, Max von Schenkendorf seine seelenvollen Kriegs- und Sturmlieder in die aufgeregten Massen, Theodor Körner gesellte der Leier das Schwert und besiegelte am 26. August 1813 bei Gadebusch mit seinem Herzblut die Echtheit jener Gefühle, welche der patriotische Gedanke der Romantik, ihr schönster und reinster, in Hunderttausenden von jungen Herzen entzündet hatte. Die Schlachten von Großgörschen, Bautzen, Dresden, von der Katzbach, von Großbeeren, Dennewitz, Leipzig wurden geschlagen, Napoleon zum Rückzug über den Rhein genötigt. Deutschland war frei von den Franzosen. Es ist nachmals zur Zeit des sogenannten »Jungen Deutschlands« Mode gewesen, von den Befreiungskriegen mit Hohn und Verachtung zu sprechen. Daß die Befreiungskriege zunächst hauptsächlich dem Absolutismus dienten, ist wahr; aber an diesem Resultat trugen die deutschen Völker keine Schuld. Die französische Revolution hatte durch Napoleon ihren kosmopolitisch-emanzipativen Charakter verloren und war dem selbstsüchtigsten Eroberungskriege dienstbar geworden. Hätte es da den Deutschen nicht erlaubt sein sollen, auch ihre Kosmopolitik mit einer Nationalpolitik zu vertauschen und den erobernden Übermut, wenn selbst mit Hilfe der Baschkiren, zu Boden zu schmettern? Die unglückseligen Entwicklungen, welche sich aus den Befreiungskriegen zunächst ergaben, konnte man in der Stunde der Begeisterung nicht ahnen. Selbst so feuervolle Patrioten wie Görres, der um der Freiheit willen den Untergang des Deutschen Reiches bejubelt hatte, bliesen jetzt Sturm gegen Frankreich, wie gerade Görres in seinem »Rheinischen Merkur« tat, dessen flammende Sprache ihn zu einer öffentlichen Macht erhob. Ja, selbst der alte Goethe konnte sich der allgemeinen Aufregung nicht ganz entziehen. Er, der noch im Frühjahr 1813 in Dresden zu Körner und Arndt gesagt hatte: »Schüttelt nur eure Ketten, der Mann (Napoleon) ist euch zu groß; ihr werdet sie nicht zerbrechen« – mußte sich jetzt bequemen, wenn auch »auf vornehme Manier«, deutsch-patriotisch sich zu gebaren, wie er in seinem Festspiel »Des Epimenides Erwachen« tat, wo der Chor singt: »Brüder, auf, die Welt zu befreien! Kometen winken, die Stund' ist groß. Alle Gewebe der Tyranneien haut entzwei und reißt euch los!« Und er, der sonst der Ansicht war, daß »die Menge im Zuschlagen respektabel, im Urteilen miserabel sei«, rief jetzt aus: »Es erschallt nun Gottes Stimme, denn des Volkes Stimme, sie erschallt!«

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Nr. 137. Kraus, Gesellschaft bei der Herzogin Amalia von Weimar.

»Was die Schwerter uns erwerben, laßt die Federn nicht verderben!« hat in einem vorahnenden Toast der »Marschall Vorwärts« gesagt, der hellblickende Patriot und echte Befreiungskriegführer Gebhart Lebrecht Blücher, welcher, eine durch und durch demokratische Natur, in seiner Husarenorthographie die Diplomaten als »eine boßhafte Rotte niederer Faullthiere«, als einen »schock Schwerenöther von federfuchsern« bezeichnete. Aber sie verdarben es doch. In Wien trat jener Kongreß von Fürsten und Diplomaten zusammen, welcher die europäischen Verhältnisse regeln sollte, in Wien, dessen Sittenzustände damals so furchtbar gesunken waren, daß in den vornehmen Familien die Söhne im Alter von zwölf und dreizehn Jahren schon ganz öffentlich ihre Mätressen hatten. Einsichtsvolle und wohlgesinnte Männer erkannten bald, daß für Deutschland und die Freiheit von diesem Areopag nichts zu erwarten sei. Am 16. Januar 1815 schrieb der Oberst Nostiz in sein Tagebuch: »Die großen Resultate des Kongresses werden nichts anderes sein als eine Seelenverkäuferei, wie die der Regensburger und Augsburger Versammlung, wo durch Mediatisierung nach dem Lüneviller Frieden die Fetzen rechts und links durcheinander verteilt wurden. Alles, was geschieht, ist um nichts besser als was Napoleon auch getan, weil man sich immer in demselben Dilemma von Eigennutz, Engherzigkeit und Beschränktheit herumdreht. Schlechte, mittelmäßige Minister, die eine demoralisierende Politik handhaben und ohne Rücksicht auf die Persönlichkeit der Völker nach eigener schlechter Persönlichkeit handeln.« Ebenso klagte der patriotische Stein schon am 16. November 1814 in einem Briefe: »Es ist jetzt die Zeit der Kleinheiten, der mittelmäßigen Menschen. Alles das kommt wieder hervor und nimmt seine alte Stelle ein und diejenigen, welche alles aufs Spiel gesetzt haben, werden vergessen und vernachlässigt.« Der Kongreß tanzte und berauschte sich in Vergnügungen. Ein halbes Dutzend verbuhlter und verkaufter Damen der großen Welt zog an den Schleppen ihrer Kleider die diplomatischen Größen hinter sich her und machte die hohe Politik. Mehrmals mußte ja eine wichtige Verhandlung ausgesetzt werden, weil dieser oder jener Staatsretter gerade beschäftigt war, lebende Tableaus anzuordnen oder seiner Herzensgebieterin Rot aufzulegen. An die Völker zu denken hatte man in diesem Strudel von Festen, Liebes- und Geldintrigen nicht Zeit genug: auch brauchte man sie da jetzt nicht mehr, nachdem sie Gut und Blut für die allerhöchsten Herrschaften geopfert hatten. Zwar hatte Kaiser Franz geäußert: »Schauens die Völker sind halt jetzt auch was!« aber wer läßt sich nicht hier und da eine liberale Phrase entwischen, die weiter nichts zu bedeuten hat? Noch zu Anfang des Kongresses hatten die preußischen Bevollmächtigten eröffnet, »daß die Errichtung einer deutschen Verfassung, nicht bloß in Absicht auf die Verhältnisse der Höfe, sondern ebensosehr zur Befriedigung der gerechten Ansprüche der Nation notwendig sei, die in Erinnerung an die alte, nur durch die unglücklichsten Verhältnisse untergegangene Reichsverfassung von dem Gefühle durchdrungen ist, daß ihre Sicherheit, ihr Wohlstand und das Fortblühen echt vaterländischer Bildung größtenteils von ihrer Vereinigung in einen festen Staatskörper abhängt, und die nicht in einzelne Teile zerfallen will.« Allein auch das erwies sich als Phrase. Die Intrigen Frankreichs, des soeben besiegten Frankreichs, Englands und Rußlands, welche kein einiges und starkes Deutschland haben wollten, drangen durch. Der Zar Alexander, der unter der mystisch-christlich parfümierten Maske eines heiligen Allianzlers die ganze Schlauheit und Selbstsucht eines byzantinischen Griechen barg, nahm die Souveränitätsgelüste der deutschen Fürsten gegen den Gedanken der Einheit aufs entschiedenste in Schutz. Mit liebenswürdiger Naivität äußerte er, wie der General Wolzogen in seinen Memoiren erzählt, gegen den Freiherrn vom Stein, er tue dies, »um die russischen Großfürsten und Großfürstinnen ins Künftige mit passenden Mariagen versorgen zu können« – worauf ihm der entrüstete Patriot die derb-wahre Antwort gab: »Das habe ich freilich nicht gewußt, daß Ew. Majestät aus Deutschland eine russische Stuterei zu machen beabsichtigen.«

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Nr. 138. Johann J. W. Heinse.

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Nr. 139. F. M. Klinger.

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Nr. 140. Friedrich Müller (Maler Müller).

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Nr. 141. J. M. R. Lenz.

Statt der dem deutschen Volke verheißenen nationalen Verfassung, die aus seinem »ureigenen Geiste« hätte hervorgehen sollen, erhielt es die deutschen Bundesakte (vom 8. Juni 1815), der zufolge sich der Deutsche Bund konstituierte »als ein völkerrechtlicher Verein der deutschen souveränen Fürsten und freien Städte, an welchem außer dem Kaiser von Österreich und dem Könige von Preußen noch 4 Könige, 8 Großherzoge (davon einer den Titel Kurfürst führt), 9 Herzoge, 11 Fürsten und 4 freie Städte teilnehmen«. Was noch den deutschen Völkern von Pressefreiheit, ständischen Einrichtungen usf. in der Bundesakte versprochen wurde, kam entweder gar nicht zur Ausführung oder ward durch die Beschlüsse späterer Kongresse, namentlich durch die des zu Karlsbad (1819) abgehaltenen, welche Wilhelm von Humboldt »schändlich, unnational, ein denkendes Volk aufregend« nannte, wieder vernichtet oder wenigstens rein illusorisch gemacht. Mochten auch einzelne deutsche Fürsten von Ehre und Gewissen, wie der auch hierin allen andern voranleuchtende Karl August von Sachsen-Weimar, an der nationalen und liberalen Politik festhalten: sie wurden bald gezwungen, davon abzulassen. Der unter dem Präsidium des österreichischen Bevollmächtigten zu Frankfurt a. M. zusammentretende Bundestag war und konnte nichts anders sein als das gefügige Werkzeug der von Rußland diktierten Politik der heiligen Allianz. Wie diese Politik, deren Doktrin der berüchtigte schweizerische Apostat Ludwig von Haller in seinem weitschichtigen, feudal-junkerhaft-bigott-absolutistischen Buch von der »Restauration der Staatswissenschaft« (1816 folg.) entwickelte, mit Hintansetzung aller Gerechtigkeit, aller Ehre und Scham das Mittelalter, die »gute alte fromme Zeit« zu restaurieren strebte; wie sie die Leitung aller Geschäfte in die Hände verknöcherter, einfältiger und feiler Aristokraten legte; wie sie jede leise Mahnung des deutschen Volkes in betreff der ihm gemachten Versprechungen, jede Erinnerung an seine Rechte, jedes vaterländische Gefühl als Verbrechen verfolgte; wie sie unsere Jugend dezimierte; wie sie eine nach oben infam servile, nach unten herzlos brutale Bureaukratie pflanzte; wie sie mit allen Künsten der Verdorbenheit die »deutsche Hundedemut«, über welche schon Schlözer und Moser sich entrüstet hatten, zur Nationaltugend stempeln wollte; wie sie uns daheim zu Knechten, in der Fremde zum Gelächter des Hohnes machte; wie sie es glücklich dahin brachte, daß uns sogar die moskowitischen Sklaven verachten durften, daß uns ein Organ der englischen Regierung die tödliche Beleidigung: »Die Deutschen sind das feigste und niederträchtigste Volk der Erde!« ins Gesicht schleudern konnte – das alles hat sich mit zu schmerzenden Zügen in das Herz jedes redlichen Deutschen eingegraben, als daß es hier weiter ausgeführt zu werden brauchte.

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Nr. 142. Schneller, Goethe in seinem Arbeitszimmer.

»Deutschland ist nur ein geographischer Begriff,« hatte der Präsident des Wiener Kongresses, der Lenker der ersten deutschen Großmacht, Fürst Metternich, gesagt: er bezog von Rußland ein jährliches Fixum von 50 000, später von 75 000 Dukaten, um »die Kosten seiner Korrespondenz mit dem Zar zu decken«. »Uns hält das System wohl noch aus, après nous le déluge!« das war die höchste Weisheit eines Staatsmannes, der sich 1822 gegen den klatschsüchtigen Hormayr über seine häuslichen Verhältnisse in einer Weise ausließ, die hier nicht berührt werden kann, die aber ganz eigene Streiflichter auf die »konservative« Moral wirft. Von dem Herrn wenden wir uns zu dem Diener, zu Friedrich von Gentz, dem Protokollführer des Wiener Kongresses, dem Leibpublizisten der Restaurationspolitik. Wir beschäftigen uns einen Augenblick mit diesem aus preußischen Diensten in österreichische übergetretenen Hofrat, weil sich an diesem Stücke personifizierter Apostasie und Freiheit die politische und sittliche Konsequenz der Romantik am schlagendsten veranschaulichen läßt, weil er uns zeigt, in welchen bodenlosen Schlamm von egoistischem Zynismus und feiger Blasiertheit die ironische Genialität der Romantiker verlief. Die Gentzsche Publizistik trug ursprünglich die Farbe der Kantschen Aufklärung, wie das freisinnige Schreiben zeigte, welches er bei der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms III. an diesen richtete. Später näherte er seine Ansichten der patriotischen Seite der Romantik, und in einer Denkschrift vom Jahre 1804 wies er nach, daß alles Unglück Deutschlands aus seiner Zerstückelung entsprungen sei, und beklagte diese in einem Stile, dessen Meisterschaft unbestritten ist. So wie er nun merkte, in welchem Preise dieser Stil stand, machte er denselben zu einer öffentlichen Ware und »lebte rasend gut«. Er wurde der Großpensionär der europäischen Kabinette oder vielmehr der Vizegroßpensionär, denn jenes war sein Herr und Meister Metternich. Im April 1814 schrieb Gentz an Rahel: »Ich beschäftige mich, sobald ich nur die Feder wegwerfen darf, mit nichts als mit der Einrichtung meiner Zimmer und studiere ohne Unterlaß, wie ich mir nur immer mehr Geld zu Meubles, Parfüms und jedem Raffinement des sogenannten Luxus verschaffen kann. Mein Appetit zum Essen ist leider dahin: in diesem Zweige treibe ich bloß noch das Frühstück mit einigem Interesse.« Und weiterhin: »Was ist doch das Leben für ein abgeschmacktes Ding! Ich bin durch nichts entzückt, vielmehr kalt, blasiert, höhnisch und innerlich quasi teufelisch erfreut, daß die sogenannten großen Sachen zuletzt solch ein lächerliches Ende nehmen. Kein Mensch auf Erden weiß von der Zeitgeschichte, was ich davon weiß. Es ist nur schade, daß es für die Mit- und Nachwelt verloren ist, denn zum Sprechen bin ich zu verschlossen, zu diplomatisch, zu faul, zu blasiert und zu boshaft; zum Schreiben fehlt es mir an Zeit, Mut und besonders Jugend. Ich bin unendlich alt und schlecht geworden.« In anderer Weise als Gentz legt uns Görres die Endziele der Romantik bloß. Wenn sie uns jener als im egoistischen Schwanken zwischen Genußsucht und Blasiertheit endigend zeigt, so dokumentiert dieser, wohin das romantische Kokettieren mit dem Mittelalter zuletzt führte, zum dicksten Papalismus und Obskurantismus nämlich. Nachdem Görres das blutrote Jakobinertum und den romantischen Patriotismus durchgemacht hatte, ging er nach München, welches der Klösterhersteller, Poetaster und Kunstkönig Ludwig zum Hauptquartier der ultramontanen Fanatiker in Deutschland machte. Hier trat der weiland Rotblättler von 1797 und Merkurist von 1813 an die Spitze dieser widernationalen Fanatiker, befürwortete die Wiederherstellung der sinnlosesten mittelalterlichen Possen, der schamlosesten Orgien des Afterglaubens, zeterte als Anwalt des Hexenprozesses, schäumte als Advokat der Inquisition und verdiente sich vollauf die ihm nachmals von Heine gestiftete Grabschrift: »Tot ist Görres, die Hyäne; ob des heiligen Offiz' Umsturz quoll ihm manche Träne aus des Auges rotem Schlitz.« Eine schreiende Ungerechtigkeit aber wäre es, wollte man verschweigen, daß an Eifer in dem Geschäfte der Menschenverdummung und Völkerverknechtung, welches durch die Heilige-Allianz-Politik wieder in Schwung gebracht worden, das norddeutsch-lutherische Bonzentum dem süddeutsch-katholischen Lamaismus durchaus nichts nachgab. Wie im deutschen Süden und Westen die Jesuiten, so arbeiteten im Norden und Osten die Pietisten. In Preußen grassierte das »christlich-germanische« Staatsprinzip, dieser romantische Wechselbalg, vor welchem die »gebildeten« Berliner – getaufte Juden natürlich voran – scharenweise ihre Kniebeugungen machten. Alle von der Romantik angesäuselten Geistlichen, Beamten, Gelehrten und Offiziere taten »christlich-germanisch«. Die Phrase beiseite gelassen, hing Preußen willenlos am Schlepptau der Metternichtigkeit. Aber man konnte ja die Phrase nun und nimmer beiseite lassen, und so nannte man denn die Metternichtige Kirchhofsruhepolitik in Berlin eine »kalmierende«.

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Nr. 143. Schiller.

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Nr. 144. Schiller.

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Nr. 145. Hildebrandt, Alexander von Humboldt in seinem Arbeitszimmer.

Demnach wirkten vom Süden her der katholische, vom Norden her der protestantische Jesuitismus, obgleich sie einander im Grunde spinnefeind waren, dennoch brüderlich zusammen, soweit es galt, das Aufstreben der deutschen Nationalität durch eine Restaurationspolitik niederzuhalten, als deren nacktesten Ausdruck die geheimen Beschlüsse der berüchtigten Wiener Ministerkonferenz vom 12. Juli 1834 sich darstellten. Hier wurde mit dürren Worten gesagt, daß verfassungsmäßige Regierungsformen in Deutschland nie mehr sein sollten als eine leere Komödie, und daß das einzig gültige System jener gute alte Patriarchalismus sein müßte, welcher die Völker nur vom Standpunkte des Schafschurinteresses betrachtete. Selbst das Wort Konstitution war den allerhöchsten Herrschaften schon ein Stein des Anstoßes. Als einmal der Leibarzt des Kaisers Franz der von einer leichten Unpäßlichkeit heimgesuchten Majestät sagte, die Sache habe nichts zu bedeuten, der Kaiser habe ja eine gute Konstitution, versetzte Franz zornig: »Was reden Sie da, Stifft? Dies Wort lassen Sie mich nicht mehr hören. Eine dauerhafte Natur sagen Sie, oder in Gottes Namen eine gute Komplexion, aber es gibt gar keine gute Konstitution. Ich habe keine Konstitution und werde nie eine haben.« In seinen Bedrängnissen war dem Kaiser, wie oben gemeldet worden, das Wort entfahren, daß die Völker jetzt auch was zu bedeuten hätten, später aber sagte er: »Völker? Was ist das? Ich weiß nichts von Völkern, ich kenne nur Untertanen.« In seinem Testamente vermachte dann der Kaiser seinen Völkern seine Liebe – »amorem meum populis meis.«

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Nr. 146. Titelvignette zu Kleists sämtlichen Werken.

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Nr. 147. Chodowiecki, Titelkupfer zu Goethes »Leiden des jungen Werther«.

Im ganzen und großen waren die stolzen Hoffnungen, welche die Romantik der Befreiungskriege für Deutschland erregt hatte, durch den Wiener Kongreß unbarmherzig zu Boden getreten worden. Aber noch lebte die patriotische Begeisterung in den Herzen des besseren Teiles der deutschen Jugend. Diese gab der »christlich-germanischen« Staatsidee eine ganz andere Auslegung als der Herr von Haller und die Diplomaten von der Sorte des Herrn von Gentz. Sie wollte ein einiges, großes, freies Deutschland. Dieser Grundgedanke war ihr vollständig klar, obgleich sich um denselben die unklarsten und verworrensten Nebelhüllen zogen. In diesem Nebel quirlten Vorstellungen von waldursprünglich-teutonischer Freiheit und Roheit, von mittelalterlich-ritterlichem Minnedienst, von antirömischem Luthertum, von Schillerschem Posaismus, Kantischer Aufklärung und jakobinischem Republikanismus in eine wunderliche Mischung zusammen, aus welcher das Phantasiebild einer demokratischen Republik mit einem mittelalterlich-romantischen Kaiser an der Spitze gestaltet wurde. Später schieden sich die widerhaarigen Ideale schärfer voneinander, und es bildete sich dem monarchischen Patriotismus gegenüber allmählich ein republikanischer aus, auf welchen die Ideen des italischen Carbonaritums und der geheimen Gesellschaften Frankreichs nicht ohne Einfluß blieben. Als die gebildete Jugend, welche sich durch den freiwilligen Kriegsdienst fühlen gelernt hatte, aus den Schlachten des Befreiungskrieges wieder in die Hörsäle der Hochschulen zurückkehrte, klang und zitterte die große Bewegung der Zeit lebhaft in ihr fort. Die deutschen Universitäten waren für unser nationales Leben von jeher von tiefgreifendem Einfluß gewesen und wurden jetzt der Lieblingssitz der patriotischen Romantik, in welche die durch Jahn und Gutsmuths eingeführte, auf körperliche Rüstigkeit und geistige Frische zugleich abzweckende Turnerei mit ihrem Wahlspruch: »Frisch, fromm, fröhlich, frei!« ein neues Motiv brachte. Aufgemuntert durch den Rückhalt, welchen sie an patriotischen Lehrern hatte, unternahm die akademische Jugend die Pflege und Fortbildung des vaterländischen Sinnes. Sie griff zum nächstliegenden, in unser Universitätsleben altherkömmlich verflochtenen Mittel, zu dem Verbindungswesen. In Berlin gründete ein Kreis von Studierenden eine Verbindung und gab ihr den Namen »Burschenschaft«. Diese neue Gestaltung des alten studentischen Ordenswesens wurde jedoch erst von größerer Bedeutung, als am 12. Juni 1815 zu Jena, das seit dem vorigen Jahrhundert seinen Rang als Mittelpunkt des deutschen Hochschulwesens dazumal noch behauptete, feierlich eine Burschenschaft gestiftet wurde.

Die Organisation der Burschenschaften, welche sich unter heftigen Anfeindungen von seiten der althergebrachten Landsmannschaften und der neuentstandenen »Korps« ziemlich rasch auf den Universitäten Eingang verschafften, war im Gegensatz zu der monarchischen absolutistischen der Korps demokratisch-konstitutionell. Schon dieser Umstand, der Mikrokosmos eines vernünftigeren Staatslebens, trug dazu bei, der Burschenschaft eine sittlich-ernstere Haltung zu geben, als dem Studententum bisher eigen gewesen war. Der jugendlich-offene Sinn richtete sich auf höhere Ziele, und der Gedanke, dem Vaterlande durch Erwerbung tüchtiger Kenntnisse, durch Ehrenhaftigkeit und Mannhaftigkeit Ehre machen zu müssen, hat ganz unzweifelhaft Früchte gezeitigt, wie sie der wüste Schlendrian des früheren akademischen Treibens nie tragen konnte. Dabei war der heiterste Humor keineswegs ausgeschlossen. Als Zeuge dessen florierte der burleske Bierstaat, das Herzogtum Lichtenhain, welcher in einem Dorfe bei Jena gegründet wurde und dessen monarchischen Formen – Herzog Tus hieß der Herrscher ad infinitum – die Bierrepublik Ziegenhain republikanische zur Seite stellte. Später gewann in der Burschenschaft die Fraktion der Altdeutschen bedenklichen Spielraum. Diese Puritaner gefielen sich in einer mystischen Asketik, welche nur allzu oft die jämmerlichste Heuchelei und Eitelkeit verbarg. Sie betonten überall das Wort »christlich-deutsch«, tanzten nicht, tranken wenig, hielten Kuß und Liebesspiel für Sünde und ebenso die Zulassung von Juden zur Burschenschaft. Von diesen Grüblern gingen die absonderlichsten Narrheiten und Tüfteleien aus, namentlich auch ein lächerlicher Purismus. Da sollte das Menschengeschlecht eingeteilt werden in Vorburschen (Knaben), Burschen (Jünglinge und Männer), Nachburschen (Greise) und Burschinnen (Weiber); das Vaterland sollte heißen Burschenturnplatz, die Universität Vernunftturnplatz, der Professor ein Lehrbursch. Um ihren Gegensatz zu den Landsmannschaften auch äußerlich recht scharf zu markieren, gingen die Burschenschafter, während jene Reitkolletts, Husarendolmans und Ulanenkasketts trugen, in sogenannter altdeutscher Tracht einher, im kurzen schwarzen Waffenrock, den breiten Hemdkragen über den aufrecht stehenden Kragen zurückgelegt, mit langem Haare und bloßem Hals, auf dem Kopf ein schwarzes Barett mit goldener Eichel oder einer Feder, in der Hand den derben Ziegenhainer, aus der Brusttasche auch wohl den Griff eines Dolches hervorragen lassend, über der Brust das schwarzrotgoldene Band. In solchen Äußerlichkeiten, wozu noch die Turnfahrten mit und zu dem »Vater Jahn« kamen, sowie die Stichwörter: »Altdeutsche Treue, Redlichkeit und Gottesfurcht«, »Welsche Tücke«, »Schnöde Franzen«, »Hermann«, »Teutoburger Wald« usw., suchten und fanden viele der jungen Leute die Hauptsache, weshalb sie auch in die kleinlichste, bornierteste Deutschdümmelei verfielen. Anderen freilich lagen ernstere Dinge am Herzen, und der Plan einer politischen Umgestaltung Deutschlands wurde von ihnen eifrigst angefaßt. So besonders von Karl Follen, der hervorragendsten Persönlichkeit in der ganzen Burschenschaft, der mit den Carbonari in Verbindung trat und sich rastlos bemühte, ganz Deutschland mit dem Netz einer großen revolutionären Verbindung zu überziehen, welche in einen Jünglingsbund und in einen Männerbund zerfallen und deren Leitung bei geheimen, mit unbedingter Vollmacht bekleideten Bundesobern sein sollte. Karl Follen wird auch großenteils das sogenannte »Große Lied« zugeschrieben, das freilich mit seiner bombastischen Weitschweifigkeit ein seltsames Stück Marseillaise ist. Eine weit weniger ehrenwerte Erscheinung in dem studentischen Bündlerwesen jener Tage war Witt, genannt von Dörring, der, scheinbar Fanatiker und Verschwörer, wirklich Spion und Denunziant gewesen ist und nachmals in dickleibigen Memoiren, die freilich nur mit großer Vorsicht zu gebrauchen sind, seine Laufbahn geschildert hat.

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Nr. 148. Hollar, Schlittenkorso in Straßburg im 17. Jahrhundert.

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Nr. 149. Berliner Trachten im 18. Jahrhundert.

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Nr. 150. Berliner Trachten im 18. Jahrhundert.

Von Interesse ist die Wahrnehmung, daß in dem burschenschaftlichen Gewebe wieder Fäden zum Vorschein kamen, welche schon der Göttinger Hainbund aufgezogen hatte. Wie in diesem neben urteutonischem Kraftwesen Siegwartische Empfindsamkeit wirksam gewesen, so auch in den burschenschaftlichen Kreisen. Es ist, man weiß nicht, ob rührend, ob komisch, zu hören, wie der Burschenschafter Karl Ludwig Sand von Tübingen nach Erlangen zieht, mit »dankbar freudiger Seele« seine altdeutsche Tracht antut, in der Nähe der Stadt auf einem Hügel mit einigen Gleichgesinnten ein »Rüth« anlegt, bei dessen Einweihung in nächtlicher Stille die Bundesbrüder »ihr Bier in Ruhe und sanftem Kummer trinken«, und wie er dann sich hinsetzt, um folgende »Bundesmatrikel« für die Burschenschaft zu entwerfen, »1. Unsere Sache fällt mit jeder andern bedeutenden Umschwungszeit zusammen; ähnlich besonders der deutschen Reformation. Heut' ist sie aber mehr eine wissenschaftlich-bürgerliche Umwälzung. 2. Der Wahlspruch der deutschen Burschen sei: Tugend, Wissenschaft, Vaterland! 3. Wer diese Ideen bekennt, ist unser geliebter Bruder. Von nun an darf nur auf das neubegonnene Leben gesehen werden. 4. Zur Verwirklichung dieser hohen Sache eine allgemeine freie Burschenschaft in ganz Deutschland. 5. Das Ganze darf nicht durch Eidesband zusammenhängen. Die Idee allein soll alle vereinen. 6. Jedwedem Unreinen, Unehrlichen, Schlechten soll der einzelne auf eigene Faust nach seiner hohen Freiheit zum offenen Kampfe entgegentreten. Das Ganze soll damit verwickelter Kämpfe überhoben bleiben. 7. Für das liebe deutsche Land kein Heil außer durch eine solche allgemeine freie Burschenschaft. In Deutschlands innig verbrüderte edle Jugend wird das Hohe und Herrliche wirklich schon eingelebt. 8. Der Brauch für die Burschenschaft muß allenthalben in seinen Hauptzügen gleich sein. 9. Für Urfeinde des deutschen Volkstums sind erklärt: a) die Römer, b) Möncherei, c) Soldaterei. 10. Von einzelnen hervorleuchtenden Männern und Jünglingen höherer Art geht der neue Geist aus. Die Fürsten wissen dessen wenig zu raten. 11. Die Hauptidee des (Bundes-) Festes ist: ›Wir sind allesamt durch die Taufe zu Priestern geweiht. 1. Petri 2, 9. Ihr seid ein königlich Priestertum und ein priesterlich Königreich.‹« Aus diesem Mischmasch von Sinn und Unsinn geht nur soviel klar hervor, daß die Burschenschaften auf den einzelnen Universitäten dahin strebten, ihre Vereine zu einem großen nationalen Bunde zu erweitern, und daß die Begründung desselben mittels eines gemeinschaftlichen Festes veranstaltet werden sollte.

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Nr. 151. Pater, Badefreuden.

Dieses Fest war die Feier des dreihundertjährigen Jubiläums der Reformation auf der Wartburg, welche zuerst Maßmann, damals Student in Jena und leidenschaftlicher Turner, in Anregung gebracht hatte. Am 18. Oktober 1817 fand dieses Wartburgfest wirklich statt und verlief, ausgestattet mit dem ganzen Pompe burschenschaftlicher Romantik, in Ernst und Würde, in religiös-feierlicher Haltung. Am Abend des Tages ward auf dem der Burg gegenüberliegenden Wartenberg ein großes Feuer angezündet, und unter begeisterten Reden wurden die Symbole der Zopfzeit, Schnürleib, Zopf und Korporalstock, samt unpatriotischen und absolutistischen Büchern von Kotzebue, Kamptz, Haller und anderen den Flammen geopfert, ein sinnbildliches Feuergericht, an welchem sich alsbald der Argwohn, der Haß und die Verfolgungswut der Regierungen entzünden sollte. Die allgemeine deutsche Burschenschaft war gegründet. Auf dem großen Burschentag zu Jena an Ostern 1818 erhielt sie eine festere Einrichtung, durch welche sie befähigt werden sollte, an der Verwirklichung ihres Ideals, Deutschlands Freiheit auf der Grundlage volkstümlich-freier Einrichtungen, zu arbeiten. Aber diese Arbeit ward in ihren Anfängen gehemmt. Im März 1819 fiel Kotzebue, welchem man die Rolle eines russischen Spions und Verleumders seines Vaterlandes schuld gab, in Mannheim dem Mordstahle des überspannten Sand zum Opfer. Als wäre nur eine solche verbrecherische Ausschreitung der patriotischen Romantik erwartet worden, wurde jetzt alsbald das Fangnetz der Riesenspinne, genannt Mainzer Zentraluntersuchungskommission, über der Burschenschaft und allen, welche im entferntesten Verdachte burschenschaftlicher Gesinnung standen, zusammengezogen. Die patriotische Romantik, die man sechs Jahre zuvor mit allerhöchsteigenen Händen gehätschelt hatte, wurde nun zur »fluchwürdigen Demagogie« gestempelt, und es begann durch ganz Deutschland die große Demagogenhatz, welche soviel edle Kraft und edles Wollen zu Tode gejagt hat. Die restaurierende (in Preußen die »kalmierende«) Staatsräson war unerbittlich. Sie trieb die Affektation der Angst vor den Demagogen so weit, daß sie sogar den fanatisch monarchischen »Lehrbursch« Arndt seines romantischen Patriotismus wegen in Untersuchung zog und von seinem Katheder entfernte. Unter den schwermütigen Klängen des von Binzer gedichteten Liedes: »Wir hatten gebauet« – löste sich 1822 in einem Wäldchen bei Jena die Jenenser Burschenschaft feierlich auf; allein die Burschenschaften bestanden trotzdem unter verschiedenen Namen, wie z. B. Arminen und Germanen, heimlich auf den meisten Universitäten fort und kamen bei dem großen Studentenkongresse, welcher an Pfingsten 1848 abermals auf der Wartburg statthatte, plötzlich wieder zum Vorschein. Wie in den Korps das alte Gesetzbuch der gedankenlosen Studentenromantik mit seinen Idiotismen und seinen rein mechanischen Ehrenpunktsbestimmungen in Ansehen und Achtung blieb, der Komment, so pflanzte sich in den burschenschaftlichen Verbindungen die Überlieferung der patriotischen Romantik fort. Doch gingen mit der Zeit konstitutionell-liberale und demokratisch-revolutionäre Ideen in sie ein, und es war ein Symptom von dem Unterschiede zwischen 1817 und 1848, als bei der Studentenversammlung vom letzteren Jahre gegen die im Festprogramm vorgeschriebene Absingung des Lutherischen »Ein' feste Burg« – protestiert wurde, »weil einesteils Genossen aller Religionsparteien, andernteils auch Leute ohne alle Religion in der Versammlung sich befinden möchten.«

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Nr. 152. Illustration zu Lafontaine. Nach einem alten Stich.

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Nr. 153. Eisen, Illustration zu Lafontaine.

Nach der amtlichen Beseitigung der patriotischen Romantik war in den 20er Jahren das öffentliche Leben Deutschlands in die Formen des mechanischen Polizeistaates eingesargt, welcher »keine Staatsbürger kennt, sondern nur träge Massen von Spießbürgern, verwaltet nach den Grundsätzen der Stallfütterung, wo Licht und Luft, Futter und Getränk, Lager und Stand, Bewegung und Ruhe den Tieren zugemessen wird; des Polizeistaates, wo der Bürger ein Verbrechen begeht, wenn er sich tätig um die allgemeine Wohlfahrt bekümmert; des Polizeistaates, wo die allgemeine Feigheit als Kette um die krankhafte Selbstsucht, Selbstverachtung und Zerrissenheit der Gemüter sich schlingt, welche durch die gewaltsame Verdrängung vom idealen Staatsleben hervorgerufen wird.« In solchen Lagen verfallen die Nationen gerne einem stumpfsinnigen Hinbrüten, in dessen bleierne Eintönigkeit nur gemeinsinnliche Genußgier einigen Wechsel bringt. Vor derartiger heilloser Erschlaffung bewahrte jedoch der gute Genius unseres Volkes dasselbe wenigstens einigermaßen, indem er die besseren Kräfte der Nation wieder auf das Feld hinwies, dessen Bebauung den Deutschen zu allen Zeiten politischen Unglücks Trost und Ersatz bieten mußte, auf das Feld der ideellen Interessen, der Wissenschaft und Kunst. Für beide war die naturphilosophisch-romantische Bewegung unserer Literatur voll befruchtender Keime, deren fröhliches Aufsprossen die schwül rückwärtsige Atmosphäre der Restaurationspolitik nicht zu verhindern vermochte. In die Theologie brachte Schleiermacher durch seine mehr oder weniger geistreichen Vermittelungsversuche zwischen Vernunft und Gläubigkeit neue Elemente, welche durch de Wette und andere weiter verarbeitet wurden, während die Tholuck, Hengstenberg und Krummacher für die Orthodoxie in die Schranken traten und die Mattherzigkeit des Pietismus zum Fanatismus hispanischen Pfaffentums härteten. Innerhalb der katholischen Kirche schlug die wissenschaftliche Bekämpfung des Hermesianismus, dessen Grundsätze später Ellendorf zu wider jesuitischer Polemik zuspitzte, unter Einwirkung der Romantik der Wiederauffrischung mittelalterlicher Mystik, wie sie in den Schriften von Franz Baader anklingt, und zur Wiedergeltendmachung ultramontaner Ansprüche in ihren schroffsten Formen aus. Der rastlosen Tätigkeit der römischen Propaganda trat die gelehrte Rüstigkeit katholischer Theologen, wie die des Symbolikers Möhler, einflußreich zur Seite. Die philologische Forschung, deren durch Heyne und Wolf eröffnete Bahn so treffliche Sprachkenner und Archäologen wie Buttmann, Hermann, Böckh, O. Müller, Jacobs, Thiersch, Lobeck, Ritschl und andere vielseitigst erweiterten und gedeihlichst fortführten, fand eine bedeutsame Ergänzung durch Herbeiziehung der orientalischen Studien, welche durch die Bemühungen einer Reihe von Orientalisten, an deren Spitze Hammer-Purgstall und in deren Vorderreihe Forscher wie Bohlen, Fleischer, Lassen, Benfey, Ewald, Hitzig, Haug und Schrader standen, so glänzende Resultate geliefert hat. Ein wichtigstes war die Ermöglichung der Begründung einer neuen Wissenschaft, der vergleichenden Sprachenkunde, welche in Franz Bopp ihren Altmeister anerkennt und, durch Pfleger wie Pott, Max Müller und andere gefördert, ein leuchtender Leitstern in den Finsternissen urzeitlicher Menschen- und Völkergeschicke geworden ist. Die sprach- und literaturkundige Eröffnung des Morgenlandes, sowie das Aufblühen der Ägyptologie, welche bei uns durch die Lepsius, Brugsch, Lauth so namhaft gefördert wurde, sie haben es auch möglich gemacht, mit größerer Sicherheit, als es früher geschehen konnte, zu den Quellen unserer religiösen Vorstellungen zurückzugehen und religionsphilosophische Forschungen anzustellen, wie sie von den Versuchen Kreuzers an bis auf die Bemühungen von Spiegel, Roth, Braun und anderen herab für die Entwicklung des wissenschaftlichen Bewußtseins so wichtig geworden sind. Der rückwärts zeigende Finger der Romantik wies den herrlichen Brüdern Jakob und Wilhelm Grimm in dem Dunkel der altdeutschen Wälder und in den Dämmerungen des Mittelalters die Pfade, auf welchen sie, wie nachmals Lachmann, Zeuß, Haupt, Simrock, Bartsch, Müllenhoff und andere, zu den großartigen Ergebnissen ihrer treuen und ausdauernden Sagen-, Mythen-, Rechts- und Sprachforschung gelangten und so unvergängliche Denkmale patriotischer Wissenschaft wie die Grimmsche »Deutsche Grammatik«, die »Geschichte der deutschen Sprache«, die »Deutschen Rechtsaltertümer« und die »Deutsche Mythologie« errichteten, während freilich gerade die hochverdienten Brüder Grimm eine alte Unart der deutschen Gelehrsamkeit, die Formlosigkeit, in bedenklichem Grade übten und förderten und infolgedessen auch ihre letzte Arbeit, das »Deutsche Wörterbuch«, so zyklopisch weitschichtig und schwerfällig anlegten, daß die Vollendung kaum abzusehen ist und es ganz den Anschein hat, als wäre das Werk nicht für die Nation, sondern nur für Fachgelehrte bestimmt. Aus der vaterländischen Altertumskunde, für welche in der sorgsam wiederaufgegrabenen mittelalterlichen Literatur hundert frische Quellen sich erschlossen, erwuchs auch unsere neuere und neueste historische Forschung und Kunst, nach der einen Richtung hin einen energischen Nationalsinn, nach der andern hin weitblickenden Universalismus betätigend und bewahrend. So haben der streng-sittliche, freimütige, mit der mannhaften Philosophie Kants getränkte F. C. Schlosser und der vielseitige, feinspürige, fruchtbare Diplomat-Historiker L. Ranke, nach dem Vorgange von Heeren, und so haben weiterhin Raumer, Dahlmann, Gervinus, Lappenberg, Leo, Wilken, Schmidt, Sybel, Löbell, Herrmann, Pauli, Duncker, Mommsen, Curtius, Neumann, Reumont, Gregorovius mit schönsten Erfolgen ihre Kräfte der Erforschung und Darstellung der antiken, mittelalterlichen und modernen, der universalen und europäischen Geschichte gewidmet, während, seit Luden sein großes nationalhistorisches Werk unternahm, unsere vaterländische Geschichte durch Forscher und Darsteller wie Stenzel, Kopp, Böhmer, Stalin, Waitz, Rommel, Voigt, Barthold, Pertz (»Monumenta Germaniae historica«), Hormayr, Wirth, Arneth, Ficker, Droysen, Dümmler, Giesebrecht und Häusser einen ganz neuen Grund- und Aufbau erfahren hat. Die biographische Kunst wurde durch Varnhagen, Preuß und Guhrauer auf eine hohe Stufe erhoben, das weitschichtige Material der allgemeinen Kulturgeschichte durch Wachsmuths eisernen Fleiß bezwungen, und mit dem ungeheuren Stoff der Kirchengeschichte rangen Neander, Gieseler, Hase, Rettberg, Gfrörer und Hagenbach glücklich. Die Entwicklungsphasen des philosophischen Gedankens fanden sachkundige Darsteller in Heinrich Ritter, Michelet, Fortlage, Zeller, Fischer, und kein anderes Volk hat literarhistorische Werke aufzuweisen, wie sie in bezug auf die vaterländische Literatur Uhland, Gervinus, Koberstein, Hillebrand, Gödeke, Wackernagel, über das griechische und römische Schriftentum Ottfried Müller, Welcker, Bahr, Bode, Bergk und Bernhardy, über die europäische Literatur des 18. Jahrhunderts Hettner, in bezug auf die provenzalische Poesie Diez, auf die spanische Clarus, Wolf, Lemke und Schack, auf die italische Witte und Ruth, auf die englische Ulrici, Elze und ten Brink, auf die germanische und slawische Volkspoesie Talvj, auf die allgemeine Literaturgeschichte Wachler, Bouterwek und Rosenkranz uns geliefert haben. Ebenso tief eindringend und geschmackvoll wurde die Geschichte der bildenden Künste behandelt durch Stieglitz, Schorn, Waagen, Uechtritz, Schnaase, Kugler, Burckhardt, Brunn, Lübke, Springer, Pecht, Woltmann, Riegel, und die der Schauspielkunst durch Alt und Devrient. Wie die Geschichte der Kunst, so wurde auch die Philosophie der Kunst, die Wissenschaft des Schönen, die Ästhetik, in Deutschland durch die Strebungen der romantischen Schule bedeutend gefördert, nachdem sie allerdings schon um 1750 durch Baumgarten in die Reihe der philosophischen Disziplinen eingeführt worden war. Solger, Hegel, Rüge, Vischer, Lotze und andere haben dann den wissenschaftlichen Weiter- und Ausbau der Kunstphilosophie mit schönem Erfolge an die Hand genommen. Es darf aber nicht verschwiegen werden, daß auf den Gebieten der Altertumskunde, der Literaturgeschichte und der ästhetischen Kritik ein alter Schaden der deutschen Wissenschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem geradezu erschrecklichen Umfange gediehen ist: – die geistlose Kleinmeisterei, der armselige Quisquilienkram, die dünkelhafte Wichtigtuerei mit Nichtigkeiten. Eine Unzahl von in dieser oder jener »Schule« dressierten Strebern ging und geht darauf aus, ihren entschiedenen Mangel an Talent hinter breitspurig-anmaßlicher Pedanterei zu verbergen. Diese nicht guten Leute, aber schlechten Musikanten mühen sich im Schweiß ihrer Angesichter jahrein jahraus ab, nach den von dieser historiographischen oder von jener germanistischen Autorität hergestellten Schablonen Abhandlungen und Bücher anzufertigen, deren Makulaturschicksal entschieden ist, noch bevor sie aus der Presse kommen. Auf derartige Leistungen gründen die Verfertiger ihre Ansprüche auf »Wissenschaftlichkeit«, bilden sich alles Ernstes ein, Verdienstliches vollbracht zu haben, und werden in diesem Wahnglauben durch ihre Kollegen im Makulaturfabrizieren bestärkt. Der Aufschwung, welchen die deutsche Altertumskunde und Historik in der Restaurationszeit nahm, teilte sich auch den Rechtsstudien mit. Gegenüber der absolutistisch-hierarchischen Staatsrechtstheorie Hallers, welche nachmals durch Stahl zu einer christlich-germanischen Rechtssophistik ausgebildet wurde, entwickelte Klüber mit kräftigem Freimut das öffentliche Recht des deutschen Bundes. K. F. Eichhorn legte mit seiner deutschen Staats- und Rechtsgeschichte und seinem deutschen Privatrecht das Fundament zu der rechtsgeschichtlichen und rechtstheoretischen Arbeit, in welcher sich seither Gaupp, Heffter, Wächter und viele andere hervorgetan haben. In der Theorie und Geschichte des römischen Rechts leistete das Bedeutendste Savigny, der Stifter der sogenannten historischen Rechtsschule, welche Recht und Gesetz aus dem geschichtlichen Entwicklungsgang des Rechtsbewußtseins hervorgehen lassen will, wogegen die ihr gegenüberstehende, von Thibaut begründete, von Gans nachdrucksam verfochtene philosophische Rechtsansicht den in der Zeit lebendig wirksamen Volksgeist zum Quell der Rechtsschöpfung gemacht wissen will. Der pantheistische Hauch der Schellingschen Naturphilosophie, welche in Schubert, Steffens mehr oder weniger berühmte Jünger fand, wirkte beseelend auf die naturwissenschaftliche Empirie, und auf der Basis des das Naturganze als einen Organismus begreifenden philosophischen Gedankens erhob sich jene großartige und allseitige Naturforschung, deren wundervolle Resultate eine Kette von Entdeckungen bilden, die dem Menschen sein Verhältnis zum Universum von Tag zu Tag klarer machen, alle anempfundenen und angebildeten Illusionen und Fiktionen vernichten und eine ungeheuere, unhemmbare Umwälzung in der Weltanschauung und in den sozialen Verhältnissen der Zukunft herbeiführen werden. Oken führte jene glänzende Reihe von Entdeckern, Sammlern, Ordnern und Dolmetschern, welche in Geologie, Mineralogie, Astronomie, Physiologie, Zoologie, Botanik, Physik, Chemie deutsches Genie und deutschen Beharrungseifer so ruhmreich erwiesen und mit den Resultaten ihrer Forschungen das ganze Dasein in vielfachster und dankenswertester Weise erleichtert, bereichert und verschönert haben – in einer Weise, welche zu kennzeichnen man nur den Namen von Justus Liebig zu nennen braucht. Mit universeller Kraft faßte Alexander von Humboldt die naturwissenschaftlichen Disziplinen in sich zusammen, und in dem Hauptwerke seines Lebens, im »Kosmos«, dieser Weltgeschichte der Natur, gelang es dem Meister, »den Geist der Natur, welcher unter der Decke der Erscheinungen verborgen liegt, zu ergreifen und den rohen Stoff empirischer Anschauung durch die Idee zu beherrschen.« Nicht minder universell als die naturwissenschaftliche Tätigkeit Humboldts ist die geographische Forschung und Kombination Karl Ritters gewesen, des Schöpfers der vergleichenden Erdkunde, welche alles geographische Wissen alter und neuer Zeit sammelte und sichtete und alle Entdeckungen und Erfahrungen einheimischer und fremder Länder- und Völkerforscher zu einem großartigen Gemälde der Erdoberfläche verarbeitete. Von der Schule dieses Meisters gingen die Anregungen aus, welche eine ganze Reihe von deutschen Ländersuchern und Völkerforschern (Schlagintweit, Maltzan, Barth, Vogel, Schweinfurth, Rohlfs, Weyprecht, Nachtigal u. a.) keine Mühsal und Gefahr scheuen ließ, um den physischen und damit auch den geistigen Gesichtskreis ihrer Landsleute zu erweitern. Und in noch umfassenderer, in wahrhaft universeller Weise taten das unsere großen, durch ihr forschendes und findendes Genie die Wunderwirkungen der modernen Technik vorbereitenden Mathematiker und Astronomen, die Gauß, Mädler, Jacobi und Dirichlet.

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Nr. 154. Wiener Dirnen, die nach Abschneiden der Haare zum Straßenkehren verurteilt werden!

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Nr. 155. Eisen, Illustration zu Lafontaine.

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Nr. 156. Der Besuch. Nach einem alten Stich.

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Nr. 157. Jeaurat, Die Behörde hebt ein Bordell aus.

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Nr. 158. Der Kuß. Galanter Kupferstich.

Hinsichtlich der deutschen Dichtung in der Periode von 1810-1830 kommt es der Literaturgeschichte zu, über die Auszweigungen der romantischen Schule des näheren sich zu verbreiten und die Fäden nachzuweisen, welche von der Romantik bis in unsere Tage herein laufen. Uns dagegen liegt nur ob, an einige Dichter zu erinnern, welche sich über den Troß der romantischen Epigonenschaft hinweg zu nationalliterarischer Bedeutung erhoben haben. Hier begegnen uns denn zunächst Ludwig Uhland und Friedrich Rückert, beide von der Befreiungskriegsstimmung zu dichterischem Schaffen angeregt, Uhland mittels seiner trefflichen Balladen und Romanzen den gesunden Elementen der Romantik zu vollendet künstlerischer Gestaltung und zugleich zu höchst volkstümlicher Wirkung verhelfend, Rückert die patriotisch-idyllischen Keime seiner Lyrik zu einem Baume entwickelnd, in dessen krausverschlungenem und immergrünem Gezweige ein hundertstimmiger Singvögelchor das Thema: »Weltpoesie ist Weltversöhnung!« variiert. In der Liederdichtung Justinus Kerners, der die willkürliche Fiktion einer schwäbischen Dichterschule witzig zurückwies, Wilhelm Müllers und Josephs von Eichendorff trieb die Romantik eine Nachblüte voll von lyrischem Duft und elegischem Schmelz. Gustav Schwabs Meisterschaft in der historischen Romanze half dieser Gattung von Poesie jene breitspurige Popularität verschaffen, welcher nur hinter die des historischen Romans zurücktrat. Für letzteren wurde der Vorgang Walter Scotts mustergebend, doch haben selbst unsere besten Leistungen dieser Art, wozu wir Spindlers und Alexis-Härings historische Romane zählen, die des beliebten schottischen Erzählers nicht erreicht. Die strengere Form der Epik suchte Karl Simrock mittels seiner Wiederdichtung unserer alten nationalen Heldenlieder wieder zu Ehren zu bringen und zwar mit Glück. Sein »Heldenbuch« ließ in der greisenhaften Abgestandenheit der Romantik eine mächtige und klarfrische Quelle aufsprudeln, aus welcher sich die vaterländische Muse neue Kraft trinken kann.

In den bildenden Künsten bemerken wir seit dem Ausgange des vorigen Jahrhunderts eine rastlose Regsamkeit, ein Vorwärtsschreiten zu großen Zielen. Winckelmanns und Lessings Kritik, sowie der Geist unserer klassischen Poesie begannen auf die bildende Kunst zu wirken und leiteten sie auf das Studium der Antike. Hieraus ergab sich die Einsicht in die Decadence des Rokokostils, von der Schinkel unsere Architektur, Karstens unsere Malerei zu emanzipieren unternahmen. Dannecker und Schadow, denen sich Schwanthaler und andere anschlossen, führten den edlen klassizistischen Stil in die deutsche Skulptur zurück, und diese brachte es dann durch das Genie von Rauch und Rietschel zu Meisterschöpfungen, wie die deutsche Bildnerkunst bislang noch keine vollbracht hatte. Einen nicht geringeren, ja sogar einen noch höheren Aufschwung nahm gleichzeitig unsere Baukunst und Malerei; denn die Epoche der Romantik war überhaupt an Anregungen für die bildenden Künste außerordentlich reich. Sie forderte gegenüber der einseitig formalen Auffassungsweise, in welche die antikisierende Richtung zu verfallen drohte, die Geltendmachung der germanischen Gemütsvertiefung, die künstlerische Hervorkehrung der deutschen Innerlichkeit, wobei es freilich nicht fehlen konnte, daß man auch hier zu Einseitigkeiten fortging. Am strengsten vertraten in der Malerei den religiös-spiritualistischen Stil Overbeck und Veit. Bevorzugte Stätte der Kunst wurde vor allen anderen München, wo König Ludwig I. das Mäzenat in weitem Umfange und mit größter Beharrlichkeit übte, freilich sehr, viel zu sehr auf Kosten der übrigen und zwar der begründeteren Interessen des Landes. An der Spitze der Münchener Malerschule, welche sich »durch das Streben nach großartig stilistischer Auffassung« auszeichnet, stand Peter Cornelius, um welchen sich als Meister in den verschiedenen Richtungen der Malerei Schnorr, Neureuther, Genelli, Schwind, Rottmann und andere gruppierten. Eine eigene Stellung hat sich Wilhelm Kaulbach geschaffen, voll Ideenreichtum und außerordentlicher Produktivität. Neben der von München blühte besonders in Düsseldorf eine Malerschule, welche »einen freieren, aber auf gemütlicher Auffassung beruhenden Naturalismus« befolgte. Lessing, Hildebrandt, Sohn, Achenbach, Schirmer stehen unter den Meistern dieser Schule voran. Die neuere deutsche Architektur, auf deren Befreiung aus den Wickelbanden des Zopfstils Weinbrenner und Moller ihre verdienstvollen Bestrebungen richteten, hat sich gleichfalls in München am rüstigsten und mannigfaltigsten entwickelt. Hier schufen Fischer das neue Theater, Gärtner die Ludwigskirche, Ohlmüller die Auer-Kirche, Ziebland die Bonifaziusbasilika, Klenze die Glyptothek, die Pinakothek, den Königsbau, die Walhalla (unweit Regensburg). Die außerordentlichen Vorschritte, welche im Holzschnitt, im Stahlstich und Kupferstich, in der Lithographie, in der Photographie und im Farbendruck, nicht zu vergessen die Typographie, gemacht wurden, beweisen, daß das »génie aussi inventif que patient et laborieux«, welches, wie wir im ersten Buche sahen, die Franzosen den Deutschen schon im Mittelalter nachrühmten, in der neuen Zeit sich noch lebendiger und erfolgreich betätigt hat. Weniger Anspruch auf den Ruhm des Vorschreitens kann dagegen unsere neuere Musik erheben. Allerdings haben uns Schubert, Weber, Mendelssohn-Bartholdy, Spohr, Kreutzer, Lortzing, Meyerbeer, Schumann, Brahms und andere in der ernsten und komischen Oper, im Oratorium, in der Symphonie und im Liede des Schönen viel geschenkt, allein ob ein Vorschritt über Mozart und Beethoven hinaus in alledem liege, dürfte immerhin fraglich sein. Von die Welt überstrahlender Bedeutung ist erst wieder Richard Wagner geworden. Was die neuere deutsche Schauspielkunst angeht, so konnten sich die Seydelmann, Löwe, Devrient, Anschütz, Döring und andere unseren klassischen Meistern auf den Brettern, »welche die Welt bedeuten«, ebenbürtig anreihen.

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Nr. 159. Battoni, Karl Eugen von Württemberg.

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Nr. 160. Lips, Kaiser Joseph II.

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Nr. 161. Kleiner, Paradezimmer im Palais des Prinzen Eugen von Savoyen zu Wien.

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Nr. 162. Charles Eisen, Leben der Mönche. Nach einem alten Stich.

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Nr. 163. Kleiner, Die Gartenanlagen des Prinzen Eugen von Savoyen.

Wir sagten oben, das öffentliche Leben Deutschlands sei während der 20er Jahre in den Mechanismus des Polizeistaates eingesargt gewesen. Zuweilen liebte es dieser, sich mit den Flittern des sogenannten christlich-germanischen Staatsprinzips herauszuputzen, und sprach dann viel von »deutscher Treue und Gottesfurcht« und von »naturwüchsig-historischer Entwicklung des Staates«; namentlich dann, wenn es galt, den Theorien des Liberalismus entgegenzuwirken, welche bekanntlich der Franzose Montesquieu in seinem »Esprit des lois« (1749) so klar und geistvoll entwickelt hatte, wie nach ihm keiner. Die liberale Theorie, ursprünglich abstrahiert aus der englischen Verfassung, war das Evangelium der europäischen Bourgeoisie geworden. Diese Klasse der Gesellschaft war in Frankreich 1789 zur Herrschaft gelangt, und die Charte Ludwigs XVIII. hatte ihr nach den Stürmen der Revolution und dem Sturze Napoleons die einflußreichste Stellung im Staate aufs neue gesichert. Die Regeneration Preußens nach dem Unglücksjahre 1806, dann die »Verfassungen«, welche nach den Befreiungskriegen in den meisten kleineren deutschen Staaten eingeführt wurden, erweiterten auch diesseits des Rheines die Geltung der Bourgeoisie. So »papieren« auch die erwähnten Verfassungen waren, sie wurden in der Hand des höheren Bürgertums dennoch zu einer Waffe, welche den Polizeistaat ängstigte. Schon daß »simple« Bürger in den Ständekammern über die öffentlichen Angelegenheiten, insbesondere über die Verwaltung der öffentlichen Gelder sollten mitsprechen dürfen, mußte ja dem Absolutismus ein Greuel sein. Die Forderungen, welche der Liberalismus an die Regierungen stellte, hatten hauptsächlich zum Vorwurfe die Pressefreiheit im Gegensatz zu einer Zensur, deren Borniertheit und Brutalität oft geradezu ins Fabelhafte ging; ferner das Vereinsrecht, Schutz des Rechtes gegen die Eingriffe der Kabinettsjustiz, größere Autonomie der Gemeindeverwaltung gegenüber der bureaukratischen Willkür, Mündlichkeit und Öffentlichkeit der Strafrechtspflege mit Geschworenen, faktisches Bestehen des ständischen Steuerverwilligungsrechtes, mitunter wohl auch die Emanzipation der Juden und in ihren höchsten Aufschwüngen die Vertretung der Nation beim Deutschen Bunde.

Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß diese und andere Forderungen völlig gerecht und nur zu sehr begründet waren. Werfen wir z. B. einen Blick auf die deutsche Rechtspflege, wie sie noch die ganze erste Hälfte des Jahrhunderts hindurch geübt wurde, so mußte die Notwendigkeit einer Reform derselben jedem in die Augen springen, welcher nicht mit zu den Ausbeutern des Polizeistaates gehörte. Die Folter mit ihren offiziellen Daumschrauben und spanischen Stiefeln, mit ihren Marterbänken und Marterleitern war freilich abgeschafft, nicht aber die Folterung. Das geheime und inquisitorische Verfahren gab den Angeschuldigten dem Untersuchungsrichter auf Gnade und Ungnade preis. Dieser konnte, ganz abgesehen von der Marter unausgesetzten Verhörens und der schändlichen Anwendung von Suggestivfragen, auch ungescheut zu körperlicher Tortur, zu Kantschuhieben, Hunger und Durst, Dunkelarrest, Verhinderung des Schlafes usf. greifen, um die Angeklagten »mürbe zu machen«. Daher die vielen ungeheuerlichen Prozeduren, welche die Annalen unserer Rechtspflege verunehren. Wir wollen einige der hervorstechendsten erwähnen, um auch hier wieder den Beweis zu liefern, daß die »gute alte fromme Zeit« wahrlich weit genug in die Gegenwart hineinreichte. Im Jahre 1800 wurden in der Provinz Südpreußen sieben Personen verhaftet, als verdächtig der Brandstiftung in den beiden Städten Sieraz und Wartha. Das geheime Inquisitionsverfahren machte sie wirklich so »mürbe«, mittels Kantschuhieben u. dgl. m., daß sie ein in allen Hauptsachen übereinstimmendes Geständnis der Schuld ablegten. Sie wurden verurteilt, auf einer Kuhhaut zur Richtstätte geschleift, enthauptet und verbrannt zu werden. Jetzt nun – einer der vermeintlichen Delinquenten hatte schon das Hinrichtungskostüm an und wiederholte, gleich den gefolterten Hexen, auch jetzt noch das Bekenntnis des Verbrechens – ergab sich durch einen wunderbar glücklichen Zufall die Vermutung und bei erneuerter Untersuchung der vollständige Beweis, daß die sieben zum Tode Verurteilten die Städte Wartha und Sieraz ganz unmöglich angezündet haben konnten, weil sie zur Zeit der Brandanlegung von den genannten Orten teils weit entfernt, teils so beobachtet gewesen, daß sie schlechterdings das Verbrechen nicht zu begehen vermocht hatten. Zu Anfang des Jahres 1830 wurde der dänische Gesandte in Oldenburg, Herr von Qualen, in seinem Garten ermordet gefunden. Der Verdacht warf sich ohne alle zulässige Motive auf zwei völlig unbescholtene Diener des Ermordeten. Sie wurden eingezogen und sechs Jahre lang inquiriert und torquiert, bis 6000 Aktenseiten vollgeschrieben waren, aus welchen sich nun ihre Unschuld ergab. Aber dennoch wurden die an Geist und Körper Gebrochenen vor ihrer Freigebung noch allerhand Vexationen unterworfen. Ebenfalls im Jahre 1830 begann die gleichberüchtigte Prozedur gegen den Schreinermeister Wendt in Rostock, welcher von seinem Gesellen Heuser des Giftmordes an seiner Ehefrau und mehreren anderen Personen angeklagt worden war und dessen gänzliche Schuldlosigkeit – der Angeber selber war der Verbrecher – nach neunjährigen Kerkerleiden unwidersprechlich zum Vorschein kam. Ein ebenso schuldlos Angeklagter, den man 1820 als angeblichen Mörder des Malers Kügelgen und des Tischlers Winter in Dresden verhaftet hatte, wurde durch die inquisitorische Kunst des Mürbemachens schon nach vierzehn Tagen zu einem wiederholten falschen Geständnis der ihm zur Last gelegten Mordtaten gebracht und ebenfalls nur dadurch dem Schafott entrissen, daß zufällig noch zu rechter Zeit der wahre Täter entdeckt ward. Man ersieht hieraus, was die in den Verhörsprotokollen sehr oft sich wiederholende Phrase: »Man hat dem Inquisiten nachdrücklich zugesprochen« – eigentlich zu bedeuten hatte. Wie sehr namentlich in politischen Prozessen die Inquirenten, wenn ihnen aus der Ferne verheißungsvoll Orden und Beförderungen vor Augen schwebten, zu solchem »nachdrücklichen Zusprechen« angeeifert werden mußten, ist mit traurigen Zügen in die Verfolgungsgeschichte der deutschen Patrioten der 20er und 30er Jahre eingeschrieben. Wir wollen diese Schmach hier nicht aufrühren, wir wollen nicht einmal die Manen Weidigs beschwören, welcher einem im Säuferwahnsinn rasenden Inquisitor zu langsamer Todesqual überliefert wurde. Und warum? Weil er die Ansicht des Fürsten Metternich, daß Deutschland nur ein geographischer Begriff wäre und sein müßte, nicht zu teilen vermochte. Wahrlich, wenn wir uns auch nur diesen einzigen Fall vergegenwärtigen, werden wir erkennen, was für ein Vorschritt zur Humanität gewonnen sei, wenn die seit 1848 in Deutschland begonnene Wiedereinführung des nationalen, urgermanischen, antirömischen Strafrechtsverfahrens mit Anklageprozeß und Geschworenen einmal überall und in allen Fällen eine feststehende, eingelebte und unangefochtene Tatsache sein wird.

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Nr. 164. Roger, Marie Antoinette.

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Nr. 165. Kleiner, Der Burgplatz zu Wien gegen Süden (1740).

Der Liberalismus hatte für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts gerade die Rolle inne, welche im vorigen der Rationalismus gespielt. Daher das Halbe, das Schwankende, das Achselträgerische, welches ihm anhaftet. Aber wie wir den Rationalismus als eine notwendige Übergangsstufe von der theologischen Verpuppung der Nation zu ihrer Wiedergeburt im Humanismus achten müssen, so den Liberalismus als notwendige Übergangsstufe vom Absolutismus zum Demokratismus. Wo er, die Mission des letzteren vorwegnehmend, wahrhaft tatkräftig auftrat, steigerte er sich zum Radikalismus. So in den zivilisierteren Kantonen der schweizerischen Eidgenossenschaft, welche seit 1830 auf demokratischer Basis umgeformt wurden, im ganzen und großen mit gutem Erfolg hinsichtlich der Volksbildung, der Hebung von Gewerbe und Handel, sowie der Zunahme des Volkswohlstandes. Wenigstens bis zu der späteren Zeit, allwo die Überspannung des demokratischen Prinzips über die kleinen, bislang so glücklichen schweizerischen Republiken die schwere Gefahr verhängte, zu Versuchsfeldern einer freiheit-, recht- und vernunftmörderischen Pöbelherrschaft und Kommunisterei zu werden. In Deutschland war es dazumal, d. h. vor 1830, dem Liberalismus nicht gegönnt, irgendwie im Staatsleben praktisch und positiv sich zu betätigen. Er konnte nur verneinen. Die Julirevolution schaffte ihm etwas Luft und Raum, und nun kam die Zeit, wo in Deutschland die liberal-konstitutionelle Doktrin, wie sie namentlich in Rottecks Weltgeschichte angepriesen und in dem von Rotteck und Welcker redigierten »Staatslexikon« des breitesten dargelegt wurde, die öffentliche Meinung beherrschte. Dieser abstrakte Liberalismus, welcher zu vornehm war, sich um die materiellen, geistigen und sittlichen Zustände des Volkes einläßlich zu kümmern, und durchweg nur als Ausdruck der »Bourgeoisie« (im französisch-sozialistischen Sinne des Wortes) sich darstellte, brachte es da und dort, z. B. in Baden, seinem Hauptquartier, zu momentaner Erfüllung einiger seiner Forderungen und erging sich in den Ständekammern in selbstgefälliger Schwatzschweifigkeit, während der deutsche Absolutismus sich allmählich von dem Julischrecken erholte und gemächlich die Maßregeln vorbereitete, welche den liberalen Phrasenmachern den Mund wieder stopfen sollten. Eine kleine Fraktion zweigte sich von dem Liberalismus aus und verfolgte revolutionäre Zwecke. Sie rekrutierte sich aus der burschenschaftlichen Jugend, welche die romantische Franzosenfresserei mit französischem Republikanismus zu vertauschen bereit war. Es hielten sich aber auch Männer zu ihr, welche, wie Johann Georg August Wirth, dessen Zeitschrift »Die deutsche Tribüne« seine Landsleute wieder die Sprache des patriotischen Zornes lehrte, im Geiste der Befreiungskriege dem Franzosentum abgeneigt blieben und die Idee der Republik nur auf nationaler Basis verwirklicht sehen wollten. Diese Fraktion baute auf die wohlbegründete Unzufriedenheit der deutschen Völker, auf die Aufregung, welche durch die Julitage, die belgische Revolution, den tragischen Heldenkampf Polens in die Zeit gefahren war, ausschweifende Hoffnungen und war des Glaubens, das deutsche Volk, welches, »Männlein und Weiblein« gleichermaßen, in den 20er Jahren so heftig für die Freiheit der »edlen« Griechen und jetzt eben noch nicht minder heftig für die Freiheit der »edlen« Polen geschwärmt hatte, müßte doch wohl ohne große Anstrengungen dazu gebracht werden können, auch einmal für die eigene Freiheit zu schwärmen. Die »Demagogen« – das war ihre offizielle Bezeichnung – täuschten sich grausam und sollten zu ihrem bitteren Schaden erfahren, daß allerdings zuweilen die französische, nie aber die deutsche Geschichte Sprünge mache. Das Volk in seiner ungeheuren Mehrheit blieb für die »demagogischen« Umtriebe völlig gleichgültig, und insbesondere hatte das Landvolk nicht den entferntesten Begriff, um was es sich denn eigentlich handelte. Wir wollen dessen zum Beleg einen Zug anführen, der spaßhaft wäre, wenn er nicht gar so traurig. Einer der württembergischen »Demagogen« hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Bauern für die große deutsche Revolution zu gewinnen. Das Resultat seiner eifrigen Bemühungen war die Anwerbung von zwei, sage zwei bäuerischen Proselyten; aber wohlgemerkt, der eine davon war ein Pietist, welcher sich auf die Sache nur deshalb eingelassen hatte, weil er »des Glaubens war, daß der Erscheinung des Antichrists eine große Revolution vorausgehen müsse«: durch die Revolution wollte er also das Kommen des Antichrists und durch dieses das Kommen des tausendjährigen Reiches der Heiligen beschleunigen. Das Hambacher Fest im Mai 1832 war eine ganz nebelhafte Demonstration der revolutionär gesinnten Partei. Der Bundestag beantwortete dieselbe mit seinen Beschlüssen vom 28. Juni und vom 5. Juli, welche »zur Aufrechthaltung der gesetzlichen Ordnung und Ruhe« die eisernen Fäden des Polizeistaatnetzes wieder strenger anzogen. Die revolutionäre Partei hatte hierauf keine andere Replik als das kläglich mißlungene Frankfurter Attentat (April 1833) und das gar nicht zum Ausbruche gekommene Koseritzsche Militärkomplott in Württemberg, worauf die Reaktion den Trumpf der schon früher erwähnten Wiener Konferenzbeschlüsse setzte und eine umfangreiche Hetzjagd auf »politische Verbrecher« veranstaltete.

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Nr. 166. Hochamt unter Maria Theresia im Stephansdom.

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Nr. 167. Pavillon des Zwingers in Dresden.

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Nr. 168. Lehenssiegel des Fürstprimas von Dalberg.

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Nr. 169. Dampfmaschine vom Jahre 1727.

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Nr. 170. Der Pantoffelheld. Deutscher Stich um 1720.

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Nr. 171. Küsell, Jahrmarkt in einer Stadt.

Nun wurde es sehr ruhig in Deutschland, und der Liberalismus wagte seine Opposition selbst in den Ständekammern, deren Verhandlungen zu einer erbarmungswürdigen Komödie herabsanken, nur noch in zahmster Weise verlauten zu lassen. Der passive Widerstand des Hannoverschen Volkes gegen den schnöden Verfassungsbruch von Seiten des Königs Ernst August (1837); die Opposition, welche das deutsche Nationalgefühl der Dänisierung von Schleswig-Holstein entgegensetzte; ferner die Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. von Preußen; endlich die Emanzipationsversuche auf dem religiösen Gebiete ermutigten jedoch die Hoffnungen des Liberalismus wieder. Zu seiner eigenen nicht geringen Überraschung sah er dieselben in den Märztagen 1848 plötzlich erfüllt. Der gleichfalls überraschte Absolutismus zeigte in seinem ersten Schrecken offiziell an, daß er bereit sei, im Liberalismus »aufzugehen«. Das Staatsruder kam allenthalben in die Hände der bisherigen liberalen Opposition, welche ein deutsches Parlament berief, den scheintoten Bundestag mit allen Ehren bestattete und die politische Weisheit unzähliger, mit einmal in Staatsmänner umgewandelter Professoren in Requisition setzte, um Reichs- und andere Verfassungen zu machen, die in der Tat sehr »papieren«, recht makulaturpapieren waren. Man hat den Liberalismus um der Art und Weise willen, womit er die revolutionären Geschäfte von 1848-1849 führte, des Verrats, der Feigheit und Käuflichkeit beschuldigt, und wirklich sind auch Tatsachen genug zum Vorschein gekommen, die nicht gerade für seine Unbestechlichkeit und Selbstverleugnung sprachen. Ich erinnere in Beziehung auf den Geldpunkt nur an jenen liberalen Matador, welcher vordem in der badischen Deputiertenkammer so manche donnernde Rede gegen die Ämterkumulation gehalten, so manchen polternden Staatslexikonsartikel gegen die Verschleuderung der öffentlichen Gelder geschrieben hatte, trotzdem aber als Bevollmächtigter bei der neuen »Zentralgewalt« die herkömmliche Besoldung eines Bundestagsgesandten im Betrag von 16 000 Gulden unweigerlich einstrich; ferner an jenen andern, von Haus aus reichen liberalen Führer, der, zum Reichsunterstaatssekretär erhoben, als solcher eine Besoldung von 4000-6000 Gulden keineswegs zu hoch fand, wohl aber dazu noch seine Diäten als Reichstagsabgeordneter sich gefallen ließ, ja sogar bei alledem auf seinen Reisen als »Reichskommissär«, die jeder Postbote ebenso gut hätte machen können, noch 40 Gulden extra für den Tag verrechnete. Es wird sich auch wenig oder nichts dagegen einwenden lassen, wenn man behauptet, der Name »Märzminister« sei im besseren Falle gleichbedeutend mit Schwachkopf, im schlimmeren mit Verräter. Feststeht, daß die liberalen Herren Oppositionsführer, kaum wahrnehmbare Ausnahmen abgerechnet, durch Begabung mit Ministerportefeuilles, Bundestagsgesandtschafts- und Reichsstaatssekretariatsposten wie mit Zauberschlägen in treuergebene Verteidiger von Thron und Altar umgewandelt wurden. Und wie würden sie noch kurz zuvor gewütet haben, falls man ihnen diese Verwandelung prophezeit hätte! Hatten doch dieselben Herren, welche sich in den Jahren 1848-1849 so dienstbeflissen als »Schilde vor die Throne« stellten, in den Jahren 1844-1845, zur Zeit der deutschkatholischen Bewegung, ganz dunkelrotrevolutionär sich gebärdet und aufgetan. Damals, als ja auch der gedunsene Bunsen dem romantischen König von Preußen die Möglichkeit vorgaukelte, den Deutschkatholizismus zur Herstellung einer deutschen Hochkirche zu benützen, machte sich der nachmalige »Gestaltenseher« Bassermann eine Ehre daraus, den Triumpheinzug Ronges in Mannheim mit seiner oppositionsmännischen Person zu zieren, und ließ in seinem Garten, wohin er das »Volk« eingeladen, eine schäumende Philippika gegen die deutschen Fürsten los, während zu Heidelberg Herr Welcker »mit zuckenden Fäusten und rotglühendem Angesicht« den Aposteln des Deutschkatholizismus zugeschrien hatte: »Herunter müssen die Kerle von ihren Thronen, herunter jetzt gleich! Wir können jetzt alles mit dem Volke ausrichten!« Acht Tage früher hatte ich selber Gelegenheit, in Stuttgart den nachmaligen Chef des württembergischen Märzministeriums den Leitern der daselbst tagenden deutschkatholischen Synode zurufen zu hören: »Warum länger warten, um loszuschlagen? Kann das Volk jemals mehr in Aufruhr gebracht werden, als es jetzt ist? Anstatt morgen eure zwanzigtausend Menschen nach Kannstatt zu einer duseligen Predigt zu leiten, führt sie ins Schloß, und der König ist im Handumdrehen zum Teufel gejagt.« Mit demselben Herrn hab' ich noch am Vorabende seiner Märzministerschaft die Marseillaise gesungen. Zwei Tage darauf aber fand er bereits die allerhöchsten Herrschaften im Schlosse »ungemein scharmant«, und ein Jahr später versagte ihm die Hand nicht, als er sich hinsetzte, für seine ehemaligen Parteigenossen Steckbriefe auszufertigen.

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Nr. 172. Chodowiecki, Radierungen zu Lessings Minna von Barnhelm.

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Nr. 173. Öffentliche Auspeitschung in Danzig im 17. Jahrhundert.

Trotz alledem ist es nur gerecht, zu sagen, daß man dem Liberalismus ein großes Unrecht antat, wenn man ihm zumutete, er hätte aus der deutschen Bewegung von 1848 etwas Rechtes machen sollen. Er handelte in allem, was er tat und nicht tat, vollständig seinem eigensten Wesen gemäß. Sobald er seine Forderungen in den einzelnen Staaten zu »Errungenschaften« geworden sah, war er, der schlechterdings nur etwelche Mitbeteiligung des dritten Standes am Staatsregiment im Auge hatte, ganz und gar befriedigt. Das Illusorische dieser Errungenschaften zu erkennen, war er viel zu borniert, viel zu ertrunken in der Glückseligkeit seiner Eintagsfliegenmitregiererei. Richtete er seine Blicke aus den »engeren Vaterländern« hinaus auf das weitere, so erschien es ihm als das Nonplusultra der Staatsweisheit, die Formen der englischen Verfassung auf das zu gründende Deutsche Reich zu übertragen. Vom Volke wollte er schlechterdings nur als Substrat der parlamentarischen Macht wissen, welche so zwischen der Aristokratie und der Bourgeoisie geteilt werden sollte, daß jene zu einer Oberhaus-Nobility, diese zu einer Unterhaus-Gentry zu organisieren wäre. Diese Idee war dem Liberalismus förmlich zur fixen geworden. Der Absolutismus ließ ihn damit spielen und nebenbei als Polizeidiener gegen die auftauchende Demokratie amtieren, bis seine Rüstungen vollendet waren. Dann schloß man das parlamentarische Puppentheater, warf die Marionetten der Reichstagsprofessoren und Märzminister beiseite und schlug ein vollständig gerechtfertigtes Hohngelächter auf, als die einander gegenseitig als die »besten und edelsten Männer Deutschlands« lobhudelnden Vertrauensduselinge diese Behandlung »unmenschlich« fanden. Im übrigen ist gar nicht zu leugnen, daß der Liberalismus wirklich die unzweifelhafte Mehrheit der Bewohner Deutschlands vertrat, welche überhaupt für die Teilnahme am öffentlichen Leben empfänglich und einiger politischer Bildung teilhaftig waren. So konnte denn eine bleibende »Märzerrungenschaft« nur die Erfahrung sein, daß die vielbelobte politische Mündigkeit der Massen der politischen Einsicht und Ehrenhaftigkeit ihrer liberalen Führer vollkommen entsprach. Allerdings hatte in der kurzen Frist eines Jahres mittels der Hebel der freien Presse und des Vereinswesens die öffentliche Meinung eine gute Schule gemacht; aber als die Nation die wahre Natur ihrer »edelsten und besten Männer« zu erkennen begann, war es schon zu spät. Eine demokratische Partei hatte sich zwar gebildet; allein das immerhin sehr Zweifelhafte, daß sie den deutschen Geschicken eine bessere Wendung hätte geben können, als unzweifelhaft vorausgesetzt – ihre Organisation war noch lange nicht bis zur Möglichkeit verständigen und einmütigen Handelns gediehen, als im Herbste von 1848 und im Hochsommer von 1849 allenthalben die zerschmetternden Schläge sie trafen und die Standrechtsmordschüsse von Wien, Mannheim, Rastatt und Freiburg den Triumph des Absolutismus verkündigten. Angedonnert, ließ sich das deutsche Volk in seiner kläglichen politischen Unreife, in seines beschränkten Untertanenverstandes durchbohrendem Gefühle eine der vielgepriesenen »Errungenschaften« von 1848 nach der andern lässig-feig wieder entreißen. Am 2. September 1850 bezog der wiedererstandene Bundestag, welchem soviele pathetische Leichenreden gehalten worden waren, abermals das Haus in der Eschenheimer Gasse zu Frankfurt, auf dessen First anderthalb Jahre lang die schwarz-rot-goldene Fahne geflattert hatte, und der Rest würde Schweigen sein, so es nicht eine patriotische Pflicht des Geschichtschreibers wäre, bei jeder Gelegenheit auf die im sogenannten »tollen Jahre« von allen Parteien begangenen Verfehlungen warnend hinzuweisen. Die deutsche Revolution ist übrigens dazumal noch lange nicht so reif gewesen, wie sie später, 1866 und mehr noch 1870 war, und doch hat auch der große Wurf von 1866 und der größere von 1870 noch nicht bis zum Ziele gereicht. Will man also billig sein, so darf man den 48er Revolutionsversuch von unten nicht zu herbe tadeln, weil ihm nicht gelungen, was später der Revolution von oben auch nicht völlig gelang ... Kulturgeschichtlich mag noch angemerkt werden, daß wie bei allen Haupt- und Staatsaktionen der sogenannten Weltgeschichte auch bei der von 1848 der Hanswurst nicht gefehlt hat. In Wahrheit, es ist in diesem tragikomischen Stücke fast mehr Spaß als Ernst entwickelt worden, und seit dem 16. Jahrhundert hatte der politische Humor in Deutschland seine Schellenkappe nicht mehr so klingend und klirrend geschüttelt, wie er im Jahre 1848-1849 tat. Die beiden aus der Paulskirche gekommenen Satiren »Epistolae novorum virorum obscurorum« und die darauf getrumpften »Epistolae virorum dextrorum« durften sich neben den dreihundertunddreißig Jahre älteren »Dunkelmännerbriefen« wohl sehen lassen. Aber der beste im Jahre 1848 geschehene Witz war kein geschriebener und kein gemalter, sondern ein in Katzenmusik gesetzter. Im April ließ man in Frankfurt eine Beisteuerliste für Schleswig-Holstein umgehen und schickte dieselbe zuerst dem »Juden der Könige und dem Könige der Juden« Herrn Meyer Amschel von Rothschild zu, natürlich in der bestimmten Erwartung einer glanzvollsten Eröffnung der Liste von Seiten des Herrn Baron, in dessen Kassen und in die seiner Sippschaft das deutsche Volk in Form von Prozenten, Provisionen und sonstigen Profiten Hunderte und wieder Hunderte von Millionen gezahlt hatte. Herrn Amschels Patriotismus verstieg sich zur Opferung von ganzen 10 Gulden auf dem Altar des Vaterlandes. Das mißfiel – so erzählt der Augen- und Ohrenzeuge Duckwitz in seinen »Denkwürdigkeiten« (1877) – »das mißfiel dem Frankfurter Volke. Es tat sich zusammen, wechselte die 10 Gulden in Kupfergeld um, tat das Kupfergeld in zwei Säcke, die man auf einen Esel legte, und zog nun mit diesem Esel, Tausende von Menschen vorauf und Tausende hinterher, nach Rothschilds Hause, um ihm in solcher Weise seine 10 Gulden zurückzubringen. Gegen 10 Uhr vernahm ich zuerst in der Ferne eine schreckliche Musik von verstimmten Blasinstrumenten, Trommeln und Pfeifen. Dann wälzte sich die Zeil herab ein großer Volkshaufe, welcher neben der erwähnten Musik ein furchtbares Geheul, Gequiek, Katzenmiauen und Hundegebell ertönen ließ und vor dem Rothschildschen Hause tobend Halt machte. Da erschien der Esel, derselbe wurde vor die Türe geführt, diese eingeschlagen, und nun das Tier ins Haus geführt, um seine Schätze abzuladen.« Der Humor hat sich bei dieser Gelegenheit allerdings etwas grobschlächtig-hanswurstig aufgeführt, mehr im Sinne des 16. als des 19. Jahrhunderts. Alles in allem aber entbehrte dieser deutsche Lynchjustizakt doch nicht ganz der Gemütlichkeit, und wohlverdient war er jedenfalls.

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Nr. 174. Hollar, Der Schützenplatz in Straßburg im 17. Jahrhundert.

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Nr. 175. Gravelot, Im Nonnenkloster. Nach einem alten Stich.

 


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