Johannes Scherr
Brunhild
Johannes Scherr

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1. Brunhild.

Die Ränder des kleinen Sees liegen im Schattendüster ihrer Weidenumbüschung, aber gegen die Mitte des kaum merkbar gekräuselten Wasserspiegels hin glüht eine rotgoldene Lichtmasse, von der höher und höher über die östlichen Berge emporsteigenden Morgensonne dorthin geworfen. Auf dieser lichten Stelle haftet, kaum weniger strahlend, ein großes dunkles Mädchenaugenpaar, welches unter einer prachtvoll gebauten Stirne träumerisch hervor- und auf den See niederblickt.

Sie ist fast zu bedeutend, zu gedankenmächtig modelliert, diese Stirne. Sie würde das Haupt eines Mannes zieren, während sie die Harmonie der Schönheit ihrer Besitzerin mehr stört als erhöht. Überhaupt ist diese Schönheit eine durch Kontraste wirkende. Das germanische Haar mit seinem Goldschimmer stimmt nicht zu den dunkeln Brauen von orientalisch kühner Schweifung, welche sich mitunter an der Nasenwurzel zu einem Ausdruck des Stolzes und Trotzes zusammenziehen, der mit dem anmutigen Lächeln des reizend geschnittenen Mundes gar nicht zu reimen ist. Auch die schwarzen Augen mit ihrem intensiven Sammetglanz müssen fast wie Fremdlinge erscheinen in einem Antlitz, auf dessen durchsichtiger Weiße das Inkarnat frischester Jugendblüte liegt wie das Morgenrot auf dem Firnschnee. Und doch, trotz alledem, muß die Erscheinung der jungen Schönen, wie sie so dasitzt auf der Bank am Fuße des halbzerfallenen Wartturms der Burgruine, mit von den Schultern geglittener Mantille, die Hände über dem auf ihren Knien ruhenden Strohhut leicht gefaltet, ja, sie muß auf den Betrachter einen fast unwiderstehlichen Zauber üben.

Man merkt, es ist da ein Eigenartiges, eine auf sich gestellte Natur. Es geht von dieser vornehm eleganten, nicht allein in betreff der Toilette vornehm eleganten Mädchengestalt ein Ton und Duft stolzer und herber Jungfräulichkeit aus, etwas Abweisendes, um nicht zu sagen Abstoßendes, das aber auf wahlverwandte Seelen nur um so anziehender wirken wird. Ein über die Jahre der Empfänglichkeit oder wenigstens der Entzündbarkeit hinausgekommener Beobachter dürfte sagen: »Eine ungewöhnliche, eine merkwürdige Erscheinung! Vielleicht eine Schönheit ersten Ranges, vielleicht einer jener weiblichen Dämonen, welche geschaffen sind, die Männer rasend zu machen; jedenfalls aber ein verzogenes Glückskind, welches ›nie sein Brot mit Tränen aß‹ und demnach die himmlischen Mächte nicht kennt.«

Daran mag etwas sein. Nicht allein insofern, als das Freifräulein Brunhild von Hohenauf wirklich ein verzogenes Glückskind ist, sondern auch in dem Betracht, daß, wenn sie im Triumphalpomp ihrer Schönheit durch die Gesellschaftssäle der Residenz schreitet, auf ihrer stolz erhobenen Stirne für sehende Augen in Frakturschrift das Kredo hoch- und übermütigen Selbstbewußtseins zu lesen ist: »Ich glaube an mich!«

In Wahrheit, sie glaubte an sich. Ihr Vater, ein Geburtsbaron und zugleich – rara avis – ein Geldbaron, hatte es durch äffische Zärtlichkeit einerseits und durch Lässigkeit andererseits glücklich dahin gebracht, daß in der schönen Person seiner Tochter, die sein einziges Kind war, der Hochmut des Feudalismus mit dem des Protzentums vollständig sich verschmolz. So war aus Brunhild beim Mangel mütterlicher Erziehung – denn sie hatte ihre Mutter frühzeitig durch den Tod verloren – eine vollkommene Dame der großen Welt geworden, ein Stück von einer Künstlerin, ein Stück von einer »Emanzipierten«, ein Stück auch – behaupteten wenigstens häßliche alte Jungfern – von einer Kokette; ein Wesen, welches, hoch dahinschwebend über der gemeinen Wirklichkeit der Dinge, über des Lebens Arbeit, Not und Sorge, sich einbildete, das Dasein wie einen genialen Scherz nehmen und mit souveräner Virtuosität durchspielen zu können wie irgend ein modisches Brillantbravourklavierstück.

Und doch hatte dieses Mädchen ursprünglich eine Seele voll Zartheit, Keuschheit und Hoheit besessen, ein Herz voll tiefen Gefühls und inniger Glut. Es lag in ihr, auch jetzt noch, ein Keim der edelsten Weiblichkeit, ein Etwas, das sie gleich sehr befähigte, unter Umständen erhaben-heldisch in die Geschichte hineinzuschreiten wie Jeanne d'Arc oder aber einem geliebten Manne sein Haus zum Himmel zu machen. Sie hatte Stunden oder wenigstens Augenblicke enthusiastischer Träumerei, wie nicht minder einer schwermütigen Nachdenklichkeit, wo die primitive Innigkeit, Frische und Kraft ihrer Empfindung sich Bahn brachen durch alle die an- und eingebildeten Schranken einer grenzenlosen Überhebung und alle die gleißenden Phantasmen eines maßlosen Stolzes. In solchen Momenten empfand Brunhild eine Herzensöde, welche ihr das Gefühl aufzwang, als müßte sie sehnsuchtsvoll die Arme ausstrecken nach der Welt und nach den Menschen, welche sie verachten zu dürfen, verachten zu müssen glaubte. Es war ihr unselig Geschick, daß diese Stimmung immer wieder zurücktreten mußte vor den Eingebungen eines Hochmuts, welchen die Schmeichler Brunhilds den Stolz einer Amazone, einer Heroine nannten, der aber im Grunde doch eben nur die Überhebung verwöhnter Glückspilzigkeit war.

Derartige verschrobene Wesen kommen in unseren Tagen keineswegs so selten vor, wie man sich etwa einbilden möchte. Sie sind naturgemäße Produkte einer Zeit, welche durchweg den Schein dem Sein vorzieht, vergoldeten Schmutz höher schätzt als unpoliertes Erz und ihre Gedanken- und Grundsatzlosigkeit hinter einer weitbauschigen Phrasendraperie verbirgt. Wenn die Yankees vom »allmächtigen Dollar« reden, so könnten wir mit noch mehr Berechtigung von der »allmächtigen Phrase« sprechen. Sie beherrscht, wie alles übrige, auch die weibliche Erziehung, und wenn man die Resultate derselben ins Auge faßt, muß es sehr begreiflich und verzeihlich erscheinen, daß die jungen Männer mehr und mehr scharenweise ins zölibatärische Lager übergehen. Es würde lächerlich sein, falls es nicht so traurig wäre, zu sehen, wie auch der Mittelstand allüberall immer mehr von der allmächtigen Phrase sich verleiten läßt, seine Töchter zu müßiggängerischen Damen »ausbilden« zu lassen. Was sollen daraus für Hausfrauen und für Mütter werden? Gerechter Himmel! Jagt die französischen Parliermeister zum Henker; zerschlagt die ewigen Klimperkasten, die nachgerade jedes Haus zu einer Klavierhölle machen; lehrt die jungen Mädchen zeitig den Wert der Zeit und der Arbeit kennen und woher das Brot komme; laßt sie Hände und Finger statt auf den die Denkfähigkeit abstumpfenden Tasten lieber in der Küche rühren; bringt ihnen bei, daß die wahre Heimat der Frauen nicht der Ball-, Konzert- und Opernsaal sei, sondern das Haus und die Häuslichkeit; lehrt sie denken, klar und folgerichtig denken, und wär' es täglich nur eine Viertelstunde, nur zehn Minuten lang; entwickelt in euren Töchtern statt der Phrase, statt der Sucht, zu scheinen und zu »brillieren«, den Eifer, etwas Besseres zu sein als die Toilettenpuppen an den Schaufenstern der Modenmagazine; gebt ihnen statt des elenden Verbildungskrams gesunden Menschenverstand, Genügsamkeit, Arbeitslust und Sparsamkeit zur Aussteuer und ihr werdet – bei allen Göttern! – endlich wieder eine Generation von Müttern erhalten, welche fähig sind, tüchtige Jungen zu gebären und zu Männern zu erziehen, zu Männern, die das Zeug haben, uns von der Tyrannei der Phrase zu erlösen.

Auf Fräulein Brunhild freilich würde diese Philippika kaum anwendbar sein. Sie gehörte ja durch Geburt und Reichtum zu den Erdengöttern, welche nicht wissen, daß das Menschenleben »Sorg' und viel Arbeit« ist, sondern vielmehr vom Dasein nur die Ambrosia naschen und den Nektar schlürfen. Trotzdem ist mit gutem Grund anzunehmen, daß der Herr Baron von Hohenauf, welcher, sagte man, mittels seines spekulativen Genies Millionen auf Millionen gehäuft hatte, für das Glück seiner Tochter besser gesorgt haben würde, so er sie bedeutend viel weniger zu einer »Göttin« und bedeutend viel mehr zu einer verständigen Frau hätte erziehen lassen. Das Sprichwort vom »Müßiggang, welcher alles Verkehrten und Schlechten Anfang«, ist freilich eine sehr triviale Wahrheit; aber im Grunde sind ja alle die Wahrheiten, auf denen die Gesellschaft als auf ihren Fundamenten ruht, nichts als Trivialitäten. Allerdings hat einer gesagt: »Den Vornehmen ist der Genuß Arbeit, den Armen die Arbeit Genuß«; aber der das sagte, war notorisch einer der ärgsten Wirr-, Schwirr- und Schwarbelköpfe, die jemals »philosophischen« Nonsens von sich gaben. Die junge Schöne hatte in der heutigen Sommermorgenfrühe eine ihrer nachdenklichen, träumerischen Stunden. Die Einsamkeit der Stelle, wo sie saß, der balsamische Morgenlufthauch, der Blick in die wunderbare Alpenschönheit hinein, hatten sie gut und weich gestimmt. Mit etwas vorgeneigtem Oberkörper saß sie da, und nie vielleicht war ihr Antlitz schöner gewesen als jetzt, da sie ihre Augen von dem lichthellen Fleck inmitten des kleinen Hochsees erhob und wie selbstverloren mit klangvoller Altstimme sagte: »Ein Lichtstrahl auf trügerischer Flut – das soll ja das Glück sein.« Aber als wollte sie sich dafür bestrafen, daß sie einer »altfränkisch empfindsamen« Stimmung sich überlassen habe, fügte sie mit leicht zusammengezogenen Brauen laut hinzu: »Bah, das Glück ist, was man selbst daraus macht!«

Sie fiel aber doch wieder in den Gedankengang oder besser in die Gefühlsschwingung von vorhin zurück. Wieder haftete ihr Blick auf dem Lichtpunkt im See drunten, und nach einer Weile murmelte sie: »Es ist recht eigen, recht wunderlich! Das Wasser da sieht mich an wie ein lockendes Auge, das bittend sagt: Komm' her!« Dann machte sie eine rasche, anmutige Bewegung, als fühlte sie sich plötzlich angefröstelt, zog ihre Mantille hinauf und erhob sich, als wollte sie weggehen; aber sie tat es nicht. Ihr weitbauschendes Seidenkleid rauschte heftig, als stampfte sie mit dem zierlichen Fuß auf den Rasen, und mit den wie im Zorn gesprochenen Worten: »Was das für Albernheiten sind!« nahm sie ihren Platz auf der Bank wieder ein.

Sie ahnte nicht, daß sie ihr Schicksal erwartete. Aber wenn die Stolze es geahnt, ja gewußt hätte, würde sie, wie sie nun einmal war, kaum davor geflohen sein, sondern es nur um so trotziger erwartet haben.


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