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V. Briefe aus Königstein, Lucka, Gotha und Braunschweig

1793–1796

»Meine Existenz in Deutschland ist hin. Es giebt keinen Mann, von dem ich noch abhängig wär, oder ihn genug liebte um ihn schonen zu wollen.«

*

40. An Luise und Friedrich Wilhelm Gotter

Königstein d. 19. Aprill [17]93

Ich danke Ihnen, lieber Gotter, für die Maasregel, sich an den Hrn. Coadjutor zu wenden – es war das, warum ich Sie bitten wollte. Es ist doch das härteste, was einem Weibe begegnen kan, in eine so ernstliche Gefangenschaft zu gerathen – ehe sie das verdient, muß sie sich mehr wie Unbesonnenheiten der Denkart vorzuwerfen haben, und Hr. von Dalberg, der die Menschen kent, wird fühlen, daß diese sogar nicht von ihr, sondern von dem Einfluß ihrer Freunde abhangen – er kan nicht wollen, daß sie darum zu Grunde gerichtet werden soll, wie ichs durch eine lange Gefangenschaft unausbleiblich werden würde. Ich bin nicht Verbrecherin, weder mittelbar noch unmittelbar – aber allerdings hab ich Bekanten gehabt, die es sind, und die mich nun verdächtig machen. Ich hatte mich auf ewig von ihnen zu trennen geglaubt, und es hat nie zwischen ihnen und mir eine solche Verbindung statt gefunden, von der ich mich nun als Märtyrerin betrachten könte.

Man hat mir von einem Ausweg gesagt der mich bald befreyen könte, nehmlich wenn man Caution für mich annehmen wollte. Was halten Sie als Jurist davon? Schrecklich ists, von der Dauer der Belagerung von Mainz abhangen zu sollen – und es heißt doch, daß man nicht eher förmlich untersuchen wird. Können nicht die Franzosen bey dem Mangel an auswärtigen Nachrichten rasend genug seyn, sich lange vertheidigen zu wollen?

Liebe Louise, wenn ich doch in dem Zimmerchen säße, was Du so gütig für mich bereitet hattest! Ich fühle Deine innige Theilnahme – wird es mir wohl so gut werden dir mündlich zu danken? Wird Deine Freundschaft nicht ermüden? Du siehst, ich mache denen, die mich lieben, keine Freude, und werde ihnen vielleicht noch viel Sorgen machen. Gott segne Dich Liebe – freue Dich Deiner Freiheit, und daß Du Deine Kinder selbst spazieren führen kanst. Ich mache mir beynah ein Gewißen daraus Augusten mein Schicksaal theilen zu laßen. Grüß Wilhelmine herzlich.

Dein Mann soll dem Hrn. von Dalberg bezeugen, wie lange ich schon mit ihm wegen meiner Abreise in Unterhandlung gestanden, und ihn, wie er in Frankfurt war, gebeten habe, mir einen Paß vom Herzog von Braunschweig zu verschaffen.

*

41. An Friedrich Wilhelm Gotter

[Königstein] 1. May [1793]

Wenn Sie mir einen offnen Brief schicken, so erwähnen Sie nicht deßen an Humbold, den Sie erhalten haben – der Bericht von hieraus, auf den ich mich berief, war nicht von mir. Haben Sie mir etwas zu sagen, was beßer für mich allein bleibt, so bestellen Sie nur bey Porsch, daß er den Brief zurückbehält, bis ich ihn holen laße. Man läßt von hier weder an Churfürst noch Minister Vorstellungen abgehn – thun Sie Ihr mögliches. Sie haben mehr Wahrheit gesagt, als Sie glaubten – daß mein Leben durch eine lange Gefangenschaft in Gefahr körnt – obgleich in andern Sinn – wie Sie auf jeden Fall von mir erfahren sollen. Theilen Sie dies niemand mit.

Schuldig bin ich übrigens gewiß nicht – ich theile den ausgezeichnet bittern Haß, den man auf Forster geworfen hat. Man irrt sich in dem, was man über meine Verbindung mit ihm glaubt – um seinetwillen allein will man mich als Geißel betrachten. Wenn das helfen kan, so sprechen Sie von meinem Verhältniß mit einem Teutschen, der aber jezt zu entfernt ist, um mir helfen zu können.

*

42. An Friedrich Wilhelm Gotter

Königstein 12. May [1793]

Seit Sie mir die Abschrift von Dalbergs Brief schickten, hab ich nichts von Ihnen gehört – lieber Gotter – Möglich ists, daß bey Porsch etwas liegt, das muß ich diesen Abend erhalten.

Ich sandte Ihnen einen Brief für Humbold – einen zweyten öffentlichen – einen dritten, das nur ein paar Zeilen seyn mochten. Haben Sie das alles?

Noch hat sich nichts aufgeklärt. Wir sind von einer hiesigen Gerichtsperson verhört, über die Umstände der Abreise. Dies Verhör hatte blos Bezug auf jenen Clausius, der zum zweytenmal arretirt gewesen seyn soll – und in so fern auch wohl auf den Gesichtspunkt der Geißelschaft für uns, den nur dieser alberne Mensch durch sein Geschwäz herbeygezogen haben kan. Das scheint doch, daß Clausius Aufträge von Simon hatte, denn Simon ist vor 3 Wochen oder 14 Tagen mit Reubel, dem Comißar der National Convention, beym König im Lager gewesen, um wegen Mainz zu unterhandeln. Man hat nicht einig werden können, und die Franken vertheidigen sich mit so viel Erfolg und Muth, daß die Stadt noch nicht einmal beschoßen werden kan – alles Canonenfeuer geht auf die Schanzen außerhalb, die von beyden Seiten unermüdet aufgeworfen und zerstört werden. Ich höre hier im Schloßgarten den Donner des Geschüzes, und nur ein etwas naher Berg entzieht mir den vollen Anblick des Schauplazes selbst. – Schrecklich ist bey der völligen Dunkelheit über unsre Sache diese langwierige Belagerung, deren Ende uns doch sicher befreyen würde, da wir jezt nicht wißen, was uns befreyen kan, so wenig als was uns hieher bringt.

Unser Loos wurde in so fern leichter, daß der Genuß der freyen Luft in diesem verwüsteten Stück Garten uns zu jeder Zeit zu Gebot stand, und der Commendant menschlich gesinnt war – aber es komt ein andrer und es ist nur zu wahrscheinlich, daß wir dadurch jeden Trost einbüßen. – War ich nicht schon unglücklich genug? – Muß ich nicht sogar fürchten, daß gehäßige Gerüchte meine hülfreichen Freunde von mir abwenden? daß sie an meinem Charakter irre werden, den wüthende Menschen, die nie mich persönlich kannten, darstellen, wie es ihr Gesichtskreis mit sich bringt?

Gotter, Sie wißen die Wahrheit – die Geschichte meines Aufenthalts in Mainz liegt vor Ihnen – so ist sie! Könt Ihr, die Ihr in jenem Zirkel mich liebtet, zweifeln – ich werde kein Wort weiter zu meiner Vertheidigung reden als dieses – könt Ihr zweifeln – nun so mag denn das die Hälfte des Tropfens seyn, von dem der Becher überfließt. –

Ich sagte Ihnen in dem kurzen Blatt, wie dringend meine nahe Rettung für mich sey – Sie werden gethan haben, was Sie konten. Ich versuche selbst alles, denn Mut und Thätigkeit soll mir nichts rauben.

Kent niemand in Gotha Pauli, den Leibarzt des Churfürsten? Er gilt viel. Sollte nicht an ihn zu kommen seyn? Wenn er in Erfurt ist, so sprächen Sie wohl einmal selbst. Es geht nicht, daß ich ihm so abgebrochen schreibe, allein ich wünschte, einen Weg zu ihm zu haben. Er ist Wedekinds Feind – aber wie könt er der meinige seyn? Solte Grimm oder Sulzer ihn kennen? – Leben Sie wohl – ich umarme mit schwererem Herzen wie jemals meine Louise.

Vielleicht erhalt ich noch etwas von Ihnen.

Abends, es ist nichts gekommen.

*

43. An Friedrich Wilhelm Gotter

[Königstein] 16. May [1793]

Vorgestern kam Ihr Brief und die Einlage von Humbold – der sich doch des hofmännischen Tons nicht enthalten kan – vielleicht weil er glaubte, sein Schreiben käme nicht ungesehn zu mir. Sie sehn, daß der Trost gering ist, den er giebt – und meine Lage wird täglicher unleidlicher.

Die wahre Beschaffenheit der Dinge begreift Ihr alle nicht, wies scheint. Hier ist nur von willkührlichen Verfahren, von falschen Gerüchten die Rede. Geißel soll ich seyn darum: Mainzer Bürger sind als Geißeln nach Strasburg geführt – man sucht sie frey zu machen, ehe Mainz übergeht, um nicht da etwa Verbrecher entwischen laßen zu müßen. Man will die Weiber schrecken, denen man genaue Verbindungen, wenn auch nicht avouirte, mit Französischen Bürgern zutraut. Mich soll Forster erlösen. Das kan F. nicht, und ich werds nie von ihm fordern – denn wir stehn nicht in diesem Verhältniß.

Nachher wird man auf Chicanen zurückkommen – das nimt Zeit weg – und indeßen schmacht ich hier, in der nahen Abhängigkeit elender Menschen, denen jede Gefälligkeit mit Geld abgekauft werden muß. – Wir haben unsern braven Commendanten verlohren, und auf der Stelle die Wirkung davon empfunden.

Ich hoffe dennoch jezt auf eine günstige Wendung und nahe Befreyung. Hoff ich zu viel – so ists auch gut.

Es versteht sich, daß ich in keinem Verhör fremde Dinge einmischen werde noch eingemischt habe. Glauben Sie mir, wir benehmen uns männlicher, wie unglückliche Weiber gewöhnlich thun. Meine Ideen über dies ganze Wesen sind ziemlich klar. – Könt ich nur ein zarteres Gefühl in mir betäuben, und über die Entweihung meines Nahmens hinweg gehn! Hätt ich die Rolle gespielt, die man mir schuld giebt, so würd ich dazu vermuthlich Stirn genug haben.

Ich habe eine große Begierde Meyers Schriften zu lesen – könte Ettinger sie nicht frey nach Frankfurt spediren, an Varrentrap[p] und We[n]ner nehmlich Ihr Exemplar – ich wills Ihnen wieder bringen! Ich weiß nicht, wie ich sie soll aus Frankfurt bekommen, da ich den Titel nicht weiß, ihn auch im Meßkatalog nicht finde. Meyer wird mich seit diesem Abendtheuer detestiren – er hätte recht, wenn ich mirs zugezogen hätte. – Von Schillers Freund hab ich Briefe und schrieb an ihn. Adieu, lieber Gotter und Louise.

(Nachschrift): Lieber Gotter – sie sagen, man wolle mich auf Bedingungen frey geben, das ist also vermuthlich Caution, eine hübsche Freyheit hab ich da zu erwarten – jezt an eisernen, dann an goldnen Ketten. Noch weiß ich nichts officielles.

Expediren Sie doch die Briefe. Man muß nun in Frankreich um mein Schicksaal wißen – im Moniteur steht ja, qu'on a mené, à la forteresse de K. la veuve Böh. amie du Citoyen Forster. – Das ist tröstlich, ich bin seine Freundinn, aber nicht im französischen Sinn des Worts.

*

44. An Friedrich Wilhelm Gotter

Kronenberg d. 15ten [-16.] Jun. [17]93

Dies ist späte Antwort, aber es ist eine – Seit 3 Wochen hab ich das Bett wenig verlaßen können, denn der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Ihr habt mir derweile erzkomisch gedünkt – Louise bildet sich ein, wenn ihr Herzogthum alle seine Canonen abfeuert, so kam es doch wohl einer Mainzer salve gleich, und Sie fertigen mich Gefangne, Bedrängte, Gemishandelte mit einer Galanterie ab! Schöne Werke des Geistes und der Hände! Ja Memoriale, Suppliken und Strümpfe und Hemder für mein Kind! Gehen Sie hin, lieber Gotter, und sehn Sie den schrecklichen Aufenthalt, den ich gestern verlaßen habe – athmen Sie die schneidende Luft ein, die dort herscht – laßen Sie sich von den, durch die schädlichsten Dünste verpesteten Zugwind durchwehn – sehn Sie die traurigen Gestalten, die Stundenweis in das Freye getrieben werden, um das Ungeziefer abzuschütteln, vor dem Sie dann Mühe haben sich selbst zu hüten – denken Sie sich in einem Zimmer mit 7 andern Menschen, ohne einen Augenblick von Ruhe und Stille, und genöthigt, sich stündlich mit der Reinigung deßen was Sie umgiebt, zu beschäftigen, damit Sie im Staube nicht vergehn – und dann ein Herz voll der tiefsten Indignation gegen die gepriesne Gerechtigkeit, die mit jeden Tage durch die Klagen Unglücklicher vermehrt wird, welche ohne Untersuchung dort schmachten, wie sie von ohngefähr aufgegriffen wurden – muß ich nicht über Euch lachen? Sie scheinen den Aufenthalt in Königstein für einen kühlen Sommertraum zu nehmen, und ich habe Tage da gelebt, wo die Schrecken und Angst und Beschwerden eines einzigen hinreichen würden, ein lebhaftes Gemüth zur Raserey zu bringen. Und doch war das Ungemach der Gegenwart nichts gegen die übrigen Folgen meines barbarischen Verhaftes.

Meine Gesundheit ist sehr geschwächt – aber wahrlich die innre Heiterkeit meiner Seele so wenig, daß ich heute den Muth habe mich in einem eignen Zimmer, wo es Stühle giebt (seit dem 8ten Aprill sah ich nur hohe hölzerne Bänke), und an einem Ort, wo ich keine Gefangenwärter und Wache mehr zu sehn brauche, glücklich zu fühlen, so heftig mein Kopf schmerzt und ein unaufhörlicher Husten, der ganz anhaltend geworden ist, mich plagt.

Sie werden vielleicht schon erfahren haben, daß der Churfürst (auf sehr dringende Vorstellungen hin, die ihr Gewicht haben konten) uns die Wahl zwischen zwey kleinen Städtchen ließ, um dort Orts Arrest ohne Bewachung zu haben. Wir wählten dieses Städtchen, das nur eine Stunde von Königstein und 2 von Frankfurt liegt.

Der Gesichtspunkt uns als Geißeln zu behandeln, ist fest gefaßt, und von persönlicher Schuld nicht die Rede. Wir haben uns endlich an unsre Regierung gewandt und ihren Schutz begehrt, auch an den König von Preußen. – Diese bedingte Freyheit kan mir nicht genügen – ich muß vom Schauplatz abtreten können. Ist diese Erleichterung, die das wenigste ist, was man thun konte, wenn Königstein nicht mein Grab werden sollte, Befreyung? Wer giebt mir Ersaz für diese schrecklichen Monate, für öffentliche Beschimpfungen, die ich nie verdienen konte, für den Verlust meiner liebsten Hofnungen? – Sie sprechen von Formalitäten, die sezen Anklage, Vertheidigung, Untersuchung voraus – wo fand dergleichen Statt? Räuberformalitäten übt man an uns – und Sie thun nicht wohl im deutschen Eifer einer Nation ausschließend das Räuberhandwerk zuzueignen. Mir müßen Sie es wenigstens nicht sagen, die ich 160 Gefangne sah, welche durch deutsche Hände gingen, geplündert, bis auf den Tod geprügelt worden waren, und ohngeachtet die wenigsten von ihnen den Franken wirklich angehangen hatten, jezt der deutschen Grosmuth fluchen musten. Königstein bildet eifrige Freyheitssöhne – alles, was sich noch von Kraft in diesen Armen regt, lehnt sich gegen dies Verfahren auf. Ich kan es begreifen, daß man scharf straft, aber daß ganz Unschuldige ohne alles Verhör so lange jammern müßen, da die Mainzer Regierung M. nicht wieder einzunehmen, sondern Muße genug für die Uebung der Gerechtigkeit hat – das ist unverantwortlich und sehr unpolitisch.

Verzeihen Sie meine Lebhaftigkeit um so eher, lieber G., da sie Eurer Freundschaft kein unwillkomner Beweis seyn muß, daß die Härte des Schicksaals mich nicht in den Staub gedrückt hat.

Ich höre von dem guten Porsch gar nichts mehr – unter uns, ich glaube, er wird ein bischen wild seit ihrem Tode. Das thut mir sehr leid.

Wenn man mir schreiben will, so bitt ich eine Adreße an Hrn. Franz Wenner, in der Varrentrapp und Wennerschen Buchhandlung, zu machen – offne Briefe sind forthin eine unnöthige Bemühung.

Ich umarme Louise und Wilhelmine – seyd ja nicht bös auf mich, lieben Leute – ich lache die Großen aus, und verachte sie, wenn ich tief vor ihnen supplicire, aber ich bin wahrhaftig nur eine gute Frau, und keine Heldin. Ein Stück meines Lebens gäb ich jezt darum, wenn ich nicht auf immer, wenigstens in Deutschland, aus der weiblichen Sphäre der Unbekantheit gerißen wäre.

16. Juni

Machen Sie um die Einlage noch ein Couvert an Meyer in Berlin, bey dem Hofbaurath Itzig, und senden Sie sie gleich fort.

Mir ist gar nicht wohl – der Husten ist hartnäckig und quälend. Adieu, lieber Gotter.

*

45. An Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer

Kronenberg d. 15. Jun. [17]93

Im März haben Sie meiner noch gedacht und mir etwas alte Tugend zugetraut – ob Sie gleich viel Albernheit bey mir vermutheten. Wie es jezt mit Ihrer Meinung steht, weiß ich nicht. Ich schrieb Gotter lezthin: »Wenn Meyer hört, was mir wiederfahren ist, so wird er mich detestiren, und er hätte recht, wenn ich es mir wirklich zugezogen haben könte.«

Wie viel hätte ich Ihnen zu sagen, wodurch Sie freylich um nichts weiser werden würden, wenn Sies wüsten, denn Menschen Thorheit und Schlechtigkeit und die wunderbaren Verkettungen unvermeidlicher Zufälle kennen Sie lange. – Ich habe zwey schreckliche Monate durchlebt – meine Gesundheit hat sehr ernstlich gelitten – aber gieb mir morgen Ruhe und Verborgenheit, so vergeße ich alles und bin wieder glücklich.

Seit Jänner war ich fest entschloßen Mainz zu verlaßen und nach Gotha zu gehn – auch Sie schloß ich mit in meine Rechnung – in Gotha hofft ich Sie zu sehn. Theilnahme an Forster, der eben um die Zeit erfahren sollte, daß Therese die halbe Gerechtigkeit üben wollte, sich von ihm zu trennen, hielt mich in M. Gänzliche Unbekantheit mit allem, was außerhalb Mainz vorfiel, ließ mich diese Verzögerung als eine gleichgültige Sache betrachten, und mich selbst hielt ich für völlig unbedeutend bey meiner Art zu leben, die durch keine einzige öffentliche Handlung, kein Zeichen des Beyfalls oder eine solche Absurdität, wie Sie nahmhaft machen (sich Mährchen aufbinden zu laßen, dem Schicksaal scheint kein Mann entgehn zu können), unterbrochen oder befleckt wurde. Einer Gemeinschaft mit meinem tollen Schwager, der nie meine Wohnung betreten hat, macht ich mich nicht schuldig. Allein meine Verbindung mit Forster in Abwesenheit seiner Frau, die eigentlich nur das Amt einer moralischen Krankenwärterin zum Grunde hatte, konte von der sittlichen und politischen Seite allerdings ein verdächtiges Licht auf mich werfen, um das ich mich zu wenig bekümmerte, weil ich selten frage, wie kan das andern erscheinen? wenn ich vor mir selbst unbefangen oder gerechtfertigt dastehe. – Der Himmel weis, welche treue Sorge ich für F. trug. Ich wuste nichts von Theresens Planen – Ende Dec. schrieb sie mir: Lieb und pflege F. und denke vor dem Frühling nicht an Aenderung des Aufenthalts, bis dahin läßt sich viel hübsches thun. Das war der einzige und lezte Brief seit ihrer Abreise – seit dem keine Silbe, weder an die Forkel noch mich. Ich errieth indeßen ihre Absicht, und sah, wie vielmehr F. bey jeder Verzögerung leiden würde, da er nichts zu ahnden schien – darum schrieb ich im Jänner an Huber, worauf er mir antwortet: »Sie sind gut und brav mir so entgegen zu kommen, und ich danke Ihnen, daß Sie mir noch fühlbarer machten, daß ein Aufschub unedel sey«. Hierauf folgte auch bald ein Brief von ihm an George, deßen Ueberbringerin ich seyn muste – Therese schrieb zu gleicher Zeit – und die Sache ward ausgemacht, daß Huber Th. und Claren haben und George das älteste Kind behalten sollte. Forsters Stimmung war so schwankend, daß es alle unermüdliche Geduld weiblicher schwesterlicher Freundschaft erforderte ihn zu ertragen, allein Du, der Du alle seine anziehenden Eigenschaften kenst, wirst es leicht begreifen, wie sie eben in der Verbindung mit mitleidenswürdiger Schwäche mich zur allerfreywilligsten uneigennüzigsten Ausdauer bewegten. Hier sind ein paar Zettel von ihm, die ich Sie aufzuheben bitte – es sind die einzigen, die ich noch habe, ich zernichtete alles, was von seiner Hand war, und mag auch diese nicht mehr bey mir führen. In der Mitte des Febr. ging er aufs Land und blieb 3 Wochen aus – ich war indeß so krank an Gicht Anfällen, daß ich zu Bett lag, und nicht reisen konte. – Bis zu Ende März litt ich bald mehr bald weniger so schmerzhaft, daß ich eine Reise noch am 26sten für unmöglich hielt und in Todesangst da lag. Am 24. ging George nach Paris, und ich trennte mich auf immer von ihm. Endlich mach ich mich am 30sten mit Meta und der alten Mutter auf den Weg, um über Mannheim nach Gotha zu gehn, wo Gotter schon seit langer Zeit mein Absteigequartier bereitet hatte. Wir musten umkehren, weil die Preußen schon das Land im Besiz hatten – wir vertrauen uns einem Mann an, um nun grade zu nach Frankfurt zu reisen, der einer von den Leuten ist, die im Geruch der Rechtschaffenheit stehn, aber aus Furchtsamkeit aller möglichen Schurkenstreiche fähig sind – das war dumm, da ich ihn bey dieser Gelegenheit zum erstenmal sah – aber wie kont ich an Verrath denken, da mirs nicht einfiel, mich für verdächtig zu halten? Sobald man uns auf unsre ominösen Nahmen hin anhält, überliefert uns dieser Mensch, um seine Loyalität zu retten – immer ohne Ahndung des schrecklichen Ausgangs bleiben wir 3 Tage in Frankfurt und halten heilig den auferlegten Stadtarrest, indem er ins Hauptquartier geht, auf welche Expedition erst Bewachung im Hause, und dann ein Transport nach Königstein folgt. Ich erzähle Dir nur kurz, ohne die Empfindungen zu schildern, in die Du Dich noch wirst versezen können, so hartherzig Du seyn magst. Ich bin ja niemals eine unnatürliche Heldin, nur immer ein Weib gewesen – ohne zu erliegen fühlt ich alles – weich machte mich nur der Anblick meines Kindes. Nach einem Verhaft von mehreren Wochen erfahren wir, daß man uns als Geißeln gegen Mainzer nüzen will, die nach Frankreich geführt wurden – man erwartete, wir würden in der Verzweiflung alles thun, um eine Auswechslung zu bewürken, und sie durch Forster und W[edekind] zu stand bringen können. Wir haben uns bis diesen Augenblick standhaft dagegen gesezt, und der Schritt war auch nothwendig fruchtlos häufige und dringende Verwendungen habens endlich dahin gebracht, daß man uns hier Orts Arrest gegeben hat, statt des ungesunden, fürchterlichen, unverdienten Gefängnißes in Königstein – Wie man diese Sache zu endigen denkt, weiß ich nicht – wir haben uns jezt an unsre Regierung gewandt – was ich da erlangen kan, ist wenigstens der Beweis nicht als Geißel dienen zu können – dann kan man mich noch mit falschen Anzeigen chikaniren – hätte man mit Untersuchung angefangen, so könt ich schon ganz erlößt seyn – allein man hat vorher gestraft – um eine Erbittrung zu befriedigen, die ich mit Forster theilen muß – wenn etwa nichts zu erweisen war. Noch hab ich kein Faktum erfahren, daß man mir schuld giebt, nichts wie allgemeine schändliche und absurde Gerüchte.

Mir kan nicht genügen an dieser bedingten Freyheit – ich muß bald vom Schauplatz abtreten können, wenn ich nicht zu Grund gehen soll. Wolte Gott, Sie wären in der Nähe, und ich könte Sie sprechen. – Ueber meine Schuld und Unschuld kan ich Ihnen nur das sagen, daß ich seit dem Jänner für alles politische Interreße taub und todt war – im Anfang schwärmte ich herzlich, und Forsters Meinung zog natürlich die meine mit sich fort – aber nie bin ich öffentliche noch geheime Proselytenmacherin gewesen, und in meinem Leben nicht aristokratisch zurückhaltender in meinem Umgang, als bey dieser demokratischen Zeit. Von allem, deßen man mich beschuldigt ist nichts wahr. Bey der strengsten Untersuchung kan nur eine Unvorsichtigkeit gegen mich zeugen, von der ich noch nicht in Erfahrung bringen konte, ob man sie weiß, und die grade nur Mangel an Klugheit ist.

Du mußt mir auf mein Wort glauben – es ist sehr möglich, daß es das lezte ist, was ich zu Dir rede.

Huber schreibt mir noch, von Therese kein Zeichen des Lebens und der Theilnahme. Ich verachte es, jemand mein Unglück schuld zu geben, – sonst könt ich fragen – wer hat mich nach Mainz gelockt? warum blieb ich dort? – Ich denke an Therese nicht. Forster schrieb ich – er konte vielleicht noch nicht antworten. Aber mögen Sie doch alle sich nur mit sich beschäftigen.

Meine Existenz in Deutschland ist hin. Es giebt keinen Mann, von dem ich noch abhängig wär, oder ihn genug liebte um ihn schonen zu wollen. Tatter hätte mich durch etwas mehr männlichen Muth und ein entscheidendes Wort retten können – der einzige Mann, deßen Schuz ich je begehrte, versagte ihn mir. Meine sehr entschiedne instinktmäßige Neigung zur Unabhängigkeit ließ mirs nie zu, meine Gewalt über irgend einen andern nuzen zu wollen. Tatters wird sich quälen – warum konte er nur das für mich? Er wolte nicht glücklich seyn – und für mich verfloß die Zeit auch, wo Entbehrung Genuß ist. Hätte Tatter im December, wie ich ihm ängstlich über meine Zukunft schrieb, gesagt – verlaße Mainz, so hätt ich ihm gehorcht – statt deßen heißts – ich bin in Verzweiflung nichts für Dich thun zu können. Meine Geduld brach, mein Herz wurde frey, und in dieser Lage, bey solcher Bestimmungslosigkeit meinte ich nichts Beßers thun zu können, als einem Freund trübe Stunden erleichtern, und mich übrigens zu zerstreun. – Seit dem Jan. hab ich Tatter nicht geschrieben und werde es auch nicht wieder – außer in einem Fall.

Ich bin nun isoliert in der Welt, aber noch Mutter, und als solche will ich mich zu erhalten und zu retten suchen. Was mich beunruhigt und zuweilen die Fröhlichkeit meines Muthes schwächt, ist der Zustand meiner Gesundheit – und die Leiden meiner Mutter. In derselben Woche, wo ich meine Freyheit verlor, büßte Lotte ihr Leben im Kindbett ein. Die Mutter jammert, aber Lotten ist so beßer – sie war glücklich, da sie starb, und sie hätte noch viel Unheil erfahren können, wenn sie länger gelebt hätte.

Von meiner Zukunft muß ich schweigen, weil ich nicht alles, was die Gegenwart betrift, dem Papier anvertraun kan. Schreiben Sie mir sogleich, wie lange Sie noch in Berlin bleiben. Sie können sich darauf verlaßen, daß Sies mit Sicherheit dürfen, und mir liegt an der Antwort. Machen Sie einen Umschlag an Hrn. Franz Wenner, in der Varrentrapp und Wennerschen Buchhandlung in Frankfurt. Ich bekam Ihren Brief vom 9ten März vor ein paar Tagen durch Huber, dem ihn Amalie geschickt hatte.

Lebe wohl. Was Du von mir hören magst jezt da ich einem gehäßigen Publikum schmälich überantwortet bin – und was für Entschlüße ich ergreifen möge – denk, ich sey dieselbe Frau geblieben, die Du immer in mir kantest, geschaffen um nicht über die Gränzen stiller Häuslichkeit hinweg zu gehn, aber durch ein unbegreifliches Schicksaal aus meiner Sphäre gerißen, ohne die Tugenden derselben eingebüßt zu haben, ohne Abendtheurerin geworden zu seyn. Nochmals lebe wohl.

*

46. An Friedrich Wilhelm Gotter

Frankfurt d. 13. Jul. [1793]

Meine theuren lieben Freunde – ich bin frey durch die unabläßigen und edlen Bemühungen meines jüngsten Bruders – vielleicht wißt Ihr es schon, wenn dies zu Euch komt, aber heiße Dankbarkeit für solche Theilnahme, wie ich bey Euch fand, heißt mich den ersten Augenblick eines wiedergegebnen Lebens Euch widmen. Ohne alle Bedingungen, ohne ein Wort von Untersuchung mußte man mich entlaßen. Philipp schickte dem König eine gut unterstüzte Bittschrift in seinen Nahmen – der mainzische Minister Albini hatte behauptet, nur von dieser Seite würde meine Befreyung verzögert. Aber es zeigte sich wohl anders – ja die Mainzer hatten schon einmal eine Untersuchung von dorther gehindert, und fest bey der Idee beharrt, als Geißel mich zu nüzen und zu quälen. Friedrich Wilhelm hatte bis dahin geglaubt, ich sey Böhmers Frau – er gewann Interreße, und sezte es troz allen Wiedersezlichkeiten der Mainzer Minister, die sich dem Guckguck ergeben wollten, durch drey auf einander folgende Briefe an seinen Commendanten zu Frankfurt durch. Hier sind die Rescripte – wo doch wahrlich im preußischen gütiger [Sinn] und im andern bonne tournure à mauvais jeu sichtbar ist. – Was mir süß ist, ist dies alles dem braven Bruder zu verdanken, und vielleicht in dieser guten That Belohnung für ihn aufblühn zu sehn. Sein Betragen gegen eine unglückliche Schwester hat ihm [dem König] so wohl gefallen, daß etwas für seine Befördrung im preußischen zu hoffen steht – er hat in der Dankschrift seine freywilligen Dienste in den Hospitälern der Armee angeboten.

Aber schwer ists mir geworden, die eben so ungerecht gefangengehaltne Forkel zurük laßen zu müßen – allein ich hoffe hier auch baldige Erledigung.

Du erwartest nun, meine liebe liebe Louise, Deine unglückliche Freundinn wieder aufheitern zu können – Du erwartest mich in Deinen Armen – aber das ist nicht möglich. Ich konte die lezte Zeit nicht viel schreiben – die Verhandlungen, die mich an dies Ziel brachten, sind Dir also unbekant geblieben, und noch läßt sich nicht alles entwickeln – aber der dringende Rath solcher, denen ich hiebey viel zu danken habe, ist, bis alles, was Mainz betrift, geendigt seyn wird, mich verborgen, unter fremden Nahmen aufzuhalten, obgleich im Preußischen. Mein Bruder fordert, daß ich in der nächsten Stunde gehe – ich muß also – ich darf Gotha nicht berühren, und ich brannte vor Begierde euch wenigstens auf kurze Zeit zu sehn – denn Erholung in tiefer Stille hat meine Gesundheit und meine Seele nöthig, und in so fern ist mir jenes Muß lieb. Ich schreibe bald wieder. Sprecht nicht von mir – laßt niemand rathen, in welcher Gegend der Welt ich seyn könte, als Wilhelmine und Mutter Schläger – ja, nicht einmal, daß ich verborgen seyn will. Vors erste heißt es nun, daß ich darüber mit meinen Verwandten erst zu Rath gehe, Gott segne Euch.

Lieber Gotter – ich danke Ihnen jezt noch einmal wörtlich, wie ich im Stillen Ihnen lebenslang für Ihre Freundschaft danken werde.

*

47. An Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer

[Leipzig] 30. Juli 1793

Sie wißen nicht, welch eine Wirkung Ihr Brief vom 26. Juli auf mich haben muste, vielleicht ahnden Sie es um etwas deutlicher seit meinem lezten. Ihr Rath raubt mir die einzige Zuflucht, die ich mir bestirnt dachte. Ich habe mich gehütet Ihnen in der ersten Stunde zu antworten, nicht als wäre eine unwillige Bewegung gegen Sie in mir gewesen – aber ich fürchtete mich meiner ganzen Bestürzung zu überlaßen und Sie damit zu bestürmen. Ich will ruhig seyn, so viel ich vermag – bedenken Sie nur, daß ich von allen Seiten angegriffen bin, von denen ein Weib leiden kan. Von einer Kleinigkeit, von einer Thorheit, über die ein Mann, der die Welt kent, die Achseln zuckt, ist hier nicht die Rede – so wenig wie von einer unedlen herabwürdigenden That – sondern von einem Unglück, über welches ich mir in einer Rücksicht bittre Vorwürfe zu machen habe, das ich aber zu sehr büße, als daß fremde mich rühren könten. Von Ihnen erwartete ich, daß Sie es ansehn würden, wie ich selbst, da ich mich nicht mit Entschuldigungen verzärtele, allein der Rettung werth halte. – Ich habe vergeßen, was ich meinem Kinde schuldig war – ich habe in einer gespannten Lage meines Gemüths aus leichtsinniger Kühnheit mich hingegeben, und die Folgen rächen sich in dem Nahmen, gegen den ich sündigte. Jezt übersehn Sie die Leiden der vergangnen Monate. Als ich Mainz verließ, war ich unbekant mit meiner Lage, und entdeckte sie in – [Königstein], damals kont ich doch noch mehr Muth haben wie jezt – ich hatte mir eine bestimmte Zeit gesezt; wurde ich innerhalb dieser nicht gerettet, so hätte ich zu leben aufgehört, denn meinem armen Kinde war es ja beßer ganz Waise zu seyn, als eine entehrte Mutter zu haben. Die Mittel dazu waren durch die Hülfe eines Freundes, den ich von der Nothwendigkeit überzeugt hatte, in meinen Händen – sie sollten mir nur im äußersten Fall dienen – ich würde also erst Flucht versucht haben – um mir im Leben oder im Sterben beyzustehn kam er zu mir – wenig Tage nachher wurde ich frey, und er begleitete mich hierher. Weiter kont er nicht, weil sein Dienst ihn zurück forderte – ich wollte nicht jenes Land zu meinem Zufluchtsort wählen, weil mich die Theurung und das Clima schreckten. In Berlin dachte ich Hülfe jeder Art, Geheimniß und einen Mann zu finden, deßen Kopf den meinigen in Zeiten beschäftigt hätte, wo ich mich nicht mit ihm allein trauen kan – einen Mann, auf deßen menschliches Gefühl und Rechtschaffenheit ich rechnen konte. Zugleich hätte dieser Aufenthalt meinen Verwandten mehr Beruhigung wie einer außerhalb Deutschland gewährt, und an politischem Schuz zweifelte ich nicht – oder glaubte vielmehr daran nicht weiter denken zu dürfen, weil der König sich meiner bestimmt angenommen hat, weil Menschen, auf deren Wort er es that, mir den Rath gaben, am ersten nach Berlin zu gehen, weil, wenn ich auf meinem Namen da erscheinen wollte, ich die schüzendsten Empfelungsschreiben hätte bekommen können, weil mein Bruder als freywilliger Arzt in preußischen Diensten steht, und hoffentlich ordentlich angesezt wird – und endlich der Paß des Commendanten in Frankfurt mich vors erste auch in Berlin sicher stellen muste. Ich muß Ihnen sagen, dürfte ich meinen Nahmen führen, so würden mich alle diese Umstände noch gegen Ihren Rath bestimmen, dem ich jezt wohl folgen muß, wenn Sie dabey beharren. Vielleicht ändert sich aber Ihre Ansicht, ich will Ihre Antwort hier abwarten. – Ist denn Berlin nicht groß genug um ein Weib zu verbergen? Ich will von der Idee abgehn auf dem Lande zu seyn. – Läßt sich denn nicht ein Zimmer haben, wo sich eine Frau mit einem Kinde einmiethet, etwas Aufwartung von den Leuten im Haus hat, und übrigens unbemerkt wie tausend andre existirt! Was man von mir sähe, würde keinen Verdacht gegen mich erregen, und mein Ansehn auch nicht. Außer Ihnen besuchte mich niemand – das geschähe nicht täglich – und möchte man davon denken, was man wollte. Für das weitere hätte ich nun Nachrichten von Ihnen gehoft. Gab es Anstalten, so gut, wie die in Göttingen jezt ist, so hätte ich diese genüzt, und vorher dafür gesorgt, das arme Geschöpf gleich bey einer guten Bauerfrau unterbringen zu können. Wenn meine zerrüttete Gesundheit unterlag, so brachten Sie Augusten nach Gotha, und richteten meine übrigen Aufträge aus. Wenn ich es überlebte, so verließ ich dann Berlin um dahin zu gehn, wohin ich anfangs wollte – denn indessen waren alle Verhandlungen [Lücke] betreffend vermuthlich geendigt, und ich brauchte mich um meiner Sicherheit wegen nicht weiter zu verbergen, wie ich es jezt glauben mache, und als Vorwand die einzige Unvorsichtigkeit, die ich wirklich in politischem Betracht beging, angegeben habe. Was hab ich zu thun, wenn das alles fehlschlägt? Gotter kent mich – er ist diskrett – ich habe seine und seiner ganzen Familie Theilnehmung in einem Grade, die meine herzlichste Dankbarkeit auffordert, aber kan ich mich ihm ganz vertraun? Er rieht mir hier den Aufenthalt auf dem Lande ab, denn in der Nähe dieser Stadt ist das Land im Sommer ärger wie die Stadt – man erregt dort mehr Neugierde. Die Befehle sind übrigens so streng, daß man Mauvillon, weil er Mirabeaus Freund war, nicht dulden will, ob er gleich Officier in Diensten des Herzogs von Braunschweig ist. – Bis zur Meße, noch zwei Monat, kan ich in diesem Haus nicht bleiben – man müste mich längst entdeckt haben, wenn man mich je vorher gesehn hätte. Bleiben Sie dabey mir Berlin zu misrathen, so muß ich darauf dringen, daß Göschen mir auf dem Lande einen Aufenthalt verschaft – ich muß ihm etwa daßelbe sagn, was ich meiner Mutter vorwandte, und Sie holen mich dann nach Erledigung Ihres Engagements ab, um, wo wirs dann für gut finden, bis zu Ende Nov. oder Anfang Dec. zu bleiben. Sie sehn, daß ich kein Mistrauen gegen Sie gefaßt habe, und thaten Unrecht sich so stark dagegen zu verwahren. Die Ueberzeugung hab ich einmal, daß Sie ein ehrlicher Mann sind, der eine ernste Sache ernst behandeln kan. Es kan seyn, daß ich daßelbe Zutraun hätte, wenn Sie es auch weniger verdienten, denn Argwohn kan mein Talent nicht seyn, so lange ich aus der Erfahrung meines Herzens weiß, daß Redlichkeit eine mögliche Sache ist. Soll ich jederman für weniger gut halten wie mich selbst? – Ich zweifle nicht daran, daß Sie einen kleinen Embarras überwinden werden um mir zu helfen. Mehr fordre ich nicht – es könte mir nicht einfallen, das Opfer eines gegebenen Worts zu begehren, und ich würde mich überhaupt scheuen Ihnen irgend etwas zu verdanken, wenn Sie mir das mindeste zu verdanken haben könten. Vielleicht ist es diese Denkart, diese unauslöschlich notwendige Handelsweise, die in diesem Augenblick mich alles Schuzes beraubt. Mag es seyn! – Wie ich, von jederman verlaßen, mir allein nicht einmal die Möglichkeit zu sterben hätte verschaffen können, vertraute ich mich einem Mann, den ich von mir gestoßen, aufgeopfert, gekränkt, dem ich keinen Lohn mehr bieten konte, wie es wohl in der Natur meines Vertrauens lag – und er betrog mich nicht. Das sanftere Gefühl, das seine gränzenlos edle Güte in mir wieder aufweckte, ließ mich für die Hofnung aufleben, die Prüfungen, die ich nun nicht mehr gewaltsam endigen kan – dazu ists zu spät – würden erträglich vorübergehn. Daß aber mein Muth nicht dadurch erstickt ist, fühl ich heute, wo ich von neuem wahrnehme, daß die Vernachläßigung einer heiligen Pflicht jeden meiner Schritte mit Mühseeligkeit bezeichnen wird. Ich zürne nicht mit Ihnen – ich verzweifle nicht. Sie werden thun was Sie können – Können Sie nichts, so wird die Hülflosigkeit selbst Rettungsmittel werden. [ Schluß fehlt.]

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48. An Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer

[Lucka] 15 August 1793

Es muste mir sehr erwünscht seyn, meinen Entschluß gefaßt und schon seit 8 Tagen ausgeführt zu haben, da ich vorgestern Ihren Brief erhielt. Ich sah ebenfalls ein, daß Göschen so viel wuste, und er und seine Frau so viel errathen konten, daß es sichrer war, mich ihnen zu vertraun. Sie sind mir so thätig und herzlich entgegengekommen, daß ich mich sehr irren müßte, wenn ich ihnen nicht zulezt wie zuerst zu danken hätte. Göschen scheint so redlich, wie er diensteifrig ist, und sie ist gewiß ein gutes, aus Güte wirkendes [?] Weib. Ich bin durch seine Vermittlung in einem kleinen Grabesstillen Landstädtchen 3 Meilen von Leipzig im Altenburgischen gelegen, im Hause eines ältlichen unverheyratheten kränklichen Arztes, der in dem Fach, worin ich ihn brauche, geschickt seyn soll, und mehrmals Kranke bey sich beherbergt. Göschen kante den Mann vorher nicht – er gab mich für seine Stiefschwester, Verwandte zu versöhnen, der Mann noch nicht im Stande eine Heyrath zu erklären u. s. w. Ich überließ ihm die Fabel. Ihre Rathschläge sind so vortreflich, daß sich der Marchese von G[rosse] ihrer freun, und so vernünftig, daß ich sie befolgt haben würde, wenns nicht zu spät gewesen wär, und ich überhaupt anders als in einen Anfall von Muthwillen Lügen an den Mann zu bringen wüßte. Ich habe nichts gesagt, als es müste jezt Geheimniß bleiben, weil ich mich mit meiner Familie entzweyen, sie betrüben, weil die Welt in der Stimmung, in welche sie meine Gefangenhaltung versezt, die Wahrheit selbst nicht gelten laßen und ich eine Pension verlieren würde, die ich noch nicht aufgeben könte. Das ist denn auch sehr wahr. Göschens rathen vielleicht auf jemand, vermuthen vielleicht eine heimliche oder doch zukünftige Ehe – allein ohne mein Zuthun.

Für mein Kind ist gesorgt, wenn ich selbst nicht sollte sorgen können. Der Vater lebt, und verlangt es, aber wenn ich irgend vermag, so soll es mein bleiben. Ich habe nie geglaubt, daß Auguste durch das, was es ihr entziehn könte, verlieren würde – nur die Überzeugung hatte ich, daß die Schande, der Scandal sogar, der in der Lage, worin ich mich befand, eine Entdeckung begleiten mußte, dem Schicksaal des achtjährigen Mädchens eine nachtheilige Wendung geben, und alles, was fern und nahe theil an mir nahm, unvergeßlich bitter kränken mußte. Darum kont ich den Gedanken faßen, den ich selbst für eben so abscheulich als nothwendig innerhalb der Mauren hielt, die mich umschloßen. Ich fühle ganz, wie wenig Sie von mir wißen, wenn Sie mit einer harten Bemerkung eine Schwärmerey niederschlagen zu müßen glauben, die mir meinen Kopf und mein Herz verächtlich machen würden, wenn sie ihrer fähig wären. Meine Pflichten kenne ich, und ich hoffe, ich übe sie jezt in ihrem ganzen Umfang, indem ich gut zu machen trachte, was ich verbrochen habe, und weder Muth noch Geduld noch Freundlichkeit verliere. – Sie können mich verwunden, denn ich bin weicher wie gewöhnlich, und Sie hätten mir Gutes thun können, aber meine Faßung bleibt die nehmliche, wenn Sie auch den Ton gegen mich ändern. Ich müste nicht argwöhnisch, sondern blind seyn, wenn ich die Aenderung nicht bemerkte. Nur eine einzige Vermuthung habe ich über die Ursache – der Canzleysekretair Br. hat Ihnen geantwortet und Sie über eine Frau zurechtgewiesen, die er durch pöbelhafte Gerüchte genugsam kent. Sie haben Verdacht gefaßt, weil Sie mit dem Weltlauf bekant sind. Worte, Briefe sind nichts. Das ist auch mein Glaube. Seit 4 oder 5 Jahren sahn wir uns nicht, was kan seitdem aus mir geworden seyn?

So viel ist gewiß, daß wir uns von nun an misverstehn müßen, bis uns der Zufall zusammenführt. Ich glaubte lezthin, Sie vielleicht noch innerhalb der 3 nächsten Monate zu sehn, aber Sie kündigen mir ein langes Verweilen in Berlin an. Was nachher geschehn kan, ist wenigstens zweifelhaft.

Mein Bruder schreibt mir, daß er Voß einen Brief für mich, mit einem Couvert an Sie, zugeschickt hat. Er müste schon angekommen seyn – können Sie sich nicht bey Voß erkundigen? Wenn Sie ihn mir schicken, so nehmen Sie ein Couvert an G., denn seine Leute vermuthen mich in B. und würden sich über einen Brief daher wundern. Die Gothaer glauben mich bey B. auf dem Lande. So viel zur Nachricht, damit Sie mir nicht schaden, was Sie nicht wollen.

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49. An Friedrich Schlegel

[Lucka, Ende August 1793]

... Sie fühlen, welch ein Freund mir Wilhelm war. Alles, was ich ihm jemals geben konnte, hat er mir jezt freywillig, uneigennützig, anspruchslos vergolten, durch mehr als hülfreichen Beystand. Es hat mich mit mir ausgesöhnt, daß ich ihn mein nennen konte, ohne daß eine blinde unwiederstehliche Empfindung ihn an mich gefeßelt hielt. – Sollte es zu viel seyn, einen Mann nach seinem Betragen gegen ein Weib beurtheilen zu wollen, so scheint mir doch Wilhelm in dem, was er mir war, alles umfaßt zu haben, was man männlich und zugleich kindlich, vorurtheilslos, edel und liebenswerth heißen kan ...

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50. An Friedrich Schlegel

[Lucka] den 11ten October [1793]

Das köstliche Wetter hat mich gestern herausgelockt, und ich bin bis an die Berndorfer Mühle gegangen – aber dafür muß ich heute im eigentlichsten Verstande kriechen; es würde selbst Ihr Mitleid zum Lachen bringen. Sonst ist alles ganz gut. Schreiben Sie denn wirklich postäglich? Sie sind die Gewißenhaftigkeit selbst – Wilhelm wird sich zulezt nichts mehr aus Ihren Nachrichten machen, die Bulletins bey Seit legen, und in der nächsten Minute so wenig davon wissen, ob wohl oder übel darin gestanden hat, als wenn von einer alten schwindsüchtigen Hofdame die Rede wäre. Seyn Sie doch ein wenig cokett, mit dem, was Sie ihm angedeihen lassen – in meiner Seele. Denn das glauben Sie nur, wir cokettiren mit Leben und Sterben...

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51. An Friedrich Schlegel

[Lucka, 5. Dec. 1793]

Ich bin wohl und gehe aus dem Stübchen ins andre Haus. Julius hat die Augen hell offen – ist hübsch und ruhig. Morgen ist Bustag und ich werde wohl ein Übriges thun, und zu des Herrn Tische gehen... Der Doktor meynt, er könnte mich nun nur noch aufs Heimweh curiren...

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52. An Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer

[Lucka] 9. Dec. [17]93

Lieber M., ich hoffe Sie sind doch nicht ohne einige Besorgnis geblieben, wie es mir möchte ergangen seyn. Es ist alles glücklich, sehr glücklich vorüber – ich bin voll Dank und Freude – sagen Sie mir nun gegen wen und worüber. So zahm sind die Menschen, daß wenn das Schicksaal ihnen recht gräslich mitgespielt hat, sie bey der ersten Erholung sich gleich einen Götzen errichten möchten, um ihm Dankopfer darzubringen. Ich will aber auch mein frohes Gefühl nicht durch solche Reflexionen entweihen. Mir ist sehr wohl. Mein Leben ist mir wieder so lieb. Die glückliche ehrenvolle Mutter kan kein reineres Entzücken fühlen, wenn sie sich ihrer Familie gerettet und sie nun vermehrt sieht, als ich, da mein Kind gebohren war und ich mich gleich wohl genug befand, um doch die Erhaltung meiner Kräfte wahren [?] zu dürfen. Ich habe jedesmal aufs kläglichste gelitten, und diesmal war der erste Anschein gar übel, die Augenblicke selbst gewaltsam, aber schnell geendet – und jezt sind die ersten Wochen vorbey, ohne die mindeste Spur von Zufällen, die ich so sehr fürchtete. Ist das nicht wunderbar und Gnade des Himmels, who did temper the mind! Das Kind ist ausgezeichnet groß, stark, gesund – ruhig wie ein Lamm, und das ich Dir das beste zulezt verkünde – kein Mädgen. Meine erste Frage war das, sagt der Arzt. Der Zufall hatte wenig Tage vorher einen hier etablirt, der mir vortrefliche Dienste geleistet hat. Die zweite Frage soll gewesen seyn, ob er schwarze Augen hätte. Bey der Gelegenheit müßen Sie wißen, daß er mir nicht ähnlich sieht, außer etwa im Mund und Kinn – übrigens kan er mir nie ausgetauscht werden. Beßer hätte ich es nun auch nicht wünschen können, als ichs mit seinen Pflegeeltern getroffen habe. Die Leute sind dem Jungen wahrhaftig gut. Weiß ich aber, ob diese Nachrichten von dem Kind der Glut und Nacht Sie interreßiren? Und nun also! – Gut, ich hab es auch beßer gehabt, wie ich verdiene; eine sorgfältigere und liebevollere Wartung ist mir in ehemaligen Tagen nicht geworden wie jezt. O lieber M., wenn es nur dabey bleibt, daß ich meine nächsten Verwandten nicht kränke und ärgre – (noch steht alles gut) – wie gut ists, daß ich den Ausgang abgewartet habe, und wenn ich die Folge vor mir sehe – kan ich den Ursprung bereun? Eben diese brachte mich in die verzweiflungsvolle Lage, und sie ists nun, warum ich mir verzeihe. Gustel hat eine unmäsige Freude über das Kind, als müste es nur so seyn. Wer hier Schuld finden will, darf nicht in unsre Nähe kommen, nicht in dies Stübchen – hier herscht unschuldiges Vergessen, alles Unrechts und aller Sünden.

Gotter hat mich wieder in sein Haus geladen – ich werde im Januar wohl hingehn, und dann wollen wir weiter sehn.

Ein paar Tage, nachdem ich Sie gesehn hatte, kam ein Brief von Theresen an, ein Manifest der Selbstherscherin der Reußen an die Republik Pohlen. Sie berichtet mir, daß sie nun seit 12 Jahren an der Existenz meines Herzens gezweifelt, und mir ein bloßes Kunstgefübl zugetraut hätte – das soll ihr Unrecht gegen mich erklären. Haben Sie darum gewußt? Mir komt das wie ein rechter Kunstgedanke vor. Auch wären wir Rivalinnen gewesen von Kindsbeinen an. Es will hervorleuchten, als hätte sie mich mehr für die ihrige gehalten, als ich jemals selbst mich dafür hielt, und weiß der Himmel, daß es nie Einfluß auf meine Beurtheilung und meine Liebe hatte. – Ferner hätte sie immer gar viel Böses von mir gehört. Das will nun freylich etwas sagen. Ich hab ihr geantwortet, für eine Frau von Verstand hätt ich mich mein Leben lang erbärmlich betragen, und war also nach ihrer Vorstellung so geist wie herzlos. Eines andern sie zu überführen möchte zu spät seyn. Sie will mich wieder – was ist das nun? Ich könt Ihnen mehr aus dem Brief sagen, aber ich thu es nicht, denn Sie würden Anlaß zum Spott finden, und wir könten ihr beide Unrecht thun, was ich nicht mag.

Ich weiß durch Minchen Bertuch, daß seit dem Mai Amalie nicht mehr mit Theresen in Verbindung ist, und ein Brief, den sie jener damals schrieb, A. sehr choquirt hat, vielleicht auch mit Unrecht. Leben Sie wohl – ich habe viel geschrieben für die unbequeme Lage, in der ich mich befinde. Antworten Sie mir gleich.

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53. An Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer

Gotha d. 20. Febr. [17]94

Lange hab ichs aufgeschoben Ihnen zu schreiben, denn es sollte erst hier geschehn, und so wie ich nun die Feder hinnehme, wünscht ich, daß alles, was ich zu sagen habe, schon stände, und von Ihnen erwogen worden war – dann könt ich mich schon Deines Mitleids trösten. Mitleid, lieber Meyer denn unter Menschen ist die Fröhlichkeit meiner Ruhe von mir gewichen. Ich bin seit 12 Tagen hier. Die drey Familien, die Sie kennen, Gotter, Schläger und Bertuch nahmen mich sehr freundschaftlich auf, aber die Stimme aller Uebrigen ist wieder mich, und so viel ich noch urtheilen kan, in einem Grade, den Sie, der Sie diesen Ort beßer wie ich kennen, nicht erwartet haben. Ich habe niemand besucht von der Menge meiner Bekanten – niemand gesehn, denn die acht Tage über, da ich in Gotters Haus war, vermied man es. Das politische Urtheil, das hier so schneidend ist, wie an irgend einem Ort, gilt als Vorwand, um sich erklärt von mir zu wenden. Für meine Freunde selbst bleibt so vieles im Dunkeln, daß sie vielleicht bald den Muth verlieren, für mich zu streiten. Die Verschuldungen meiner ehemaligen Freunde, die Fehltritte, zu denen ich hingerißen wurde, ja meine Tugenden selbst haben sich gegen mich verschworen – der wunderbare Zufall so gut wie die natürliche Folge meiner Handlungen drückt mich nieder – und ich kan nicht verlangen, daß es anders seyn soll. Wer kent mich, wie ich bin – wer kan mich kennen! Man hält mich für ein verworfnes Geschöpf, und meint, es sey verdienstlich, mich vollends zu Boden zu treten. Die Verwünschungen, die über Therese ausgesprochen werden, treffen mich mit. Um diese Situation zu überwinden, müßt ich wahrhaftig eine Zauberinn seyn – die Natur war wohlthätig gegen mich – sie rettete mir Leben und Gesundheit, und erquickte mich mit süßen Freuden – o hätte ich in meiner Einsamkeit bleiben können! Wißen Sie keine Hütte für mich? Ich bin ja ausgestoßen und muß wenigstens ins Freye blicken können in einen Spiegel, der mich nicht entstellt zurückwirft. Ich fürchte, der Schritt war falsch, unter bekante Menschen zu gehn. Zwar will ich nicht zu früh urtheilen – vielleicht kan ich auch dies noch durch Sanftheit besiegen – die Gefahr lauf ich nicht, es durch Erniedrigung zu thun. Du wirst mich nicht für muthlos halten, weil ich lebhaft gerührt bin – Du kanst nicht von mir erwartet haben, daß ich mit gemachten Heldenmuth dieser Art von Leiden trozen sollte – so wenig als daß es mich mit mir selbst sollte uneins machen. Der gewöhnten Achtung entbehren ist das härteste – ich habe Genügsamkeit, die mich jede Einschränkung tragen lehrt – ich bedarf den Umgang und die Liebe der Menge nicht – aber kan ich gleichgültig bleiben, wenn meine Freunde in Verlegenheit durch meine Gegenwart gerathen? Dürft ich dann nur noch frey bekennen – es ist so, und meine Vertheidigung aus vollen Herzen ohne Lüge führen. Tröste mich, wenn Du kanst. Gotters sind sehr edel gegen mich, aber Du weißt, sein Schuz hilft mir nicht. Die gute Mutter Schläger hält man vermuthlich für verblendet – sie hängt mit mehr wie mütterlicher Liebe an mir. Ich werde mit Fragen gequält, zu denen die Frager gedrängt werden, weil sie gern andern möchten antworten können. Die Hofnung, von hier aus die Familie des Vaters meiner Tochter zu versöhnen und das Bild, was man sich von mir macht, durch mich selbst auszulöschen, führte mich her. Wenn man mich aber nicht einmal sehn will – so weidet man sich nur an meiner Verbannung.

Was Sie mir wegen Augusten schrieben, war längst meine Sorge, aber die glücklichen Anlagen des Kindes besiegen alle Schwierigkeiten. Da ist keine Spur von Heimlichkeit oder Verstocktheit, und doch bin ich überzeugt – sie wird mich nie verrathen. Blos die Gewohnheit nicht zu plaudern, die Anhänglichkeit an ihre Mutter, die Furcht mir zu schaden, läßt auch die Versuchung nicht bey ihr aufkommen, ein Wort von dem zu sagen, was ich ihr ganz einfach zu sagen verbiete, ohne je Drohung oder Verheißung hinzuzusetzen, oder selbst ängstlich zu scheinen. Wenn wir allein sind, sprechen wir von ihren Bruder, den ich sehr sehr wohl, schön und lebendig verlaßen habe. Auguste ist ein glückliches liebes Mädchen – sie gefält sehr durch ihre entschloßnen und graden Antworten und das Leichte in ihrem Thun und Wesen. Ich habe sie gefragt ob Du ihr gefielest, was Du mir auftrugst – sie hat sehr weise erwiedert: ich kenn ihn noch nicht. – Göschens in Leipzig waren außerordentlich freundlich, und aufrichtig darinn – sie wißen alles – aber – ich darf ja wohl sagen – sie sahen mich daneben und verziehen mir. – Louise Gotter behauptet auch, ich war noch die alte C. so vor 16 Jahren und vor zweyen. Mich freut das – ich bin also gewiß nicht verdorben. Wie fandest Du mich denn? Aber was hilft mirs? Bei Forsters Tod, den ich am lezten Tag meines einsamen Aufenthalts erfuhr, war mir – als hätt ich ein Kind in den Schlaf gewiegt. Er hat mir wenig Wochen vor seinem Tod geschrieben – unter andern: ich habe den Schlag verziehn, der mich so schrecklich um allen Genuß bringt, daß er mir auch die Errinnerung an die Vergangenheit vergiftet – die letzten Worte waren: so mag denn des Leidens bis zur Auflösung kein Ende seyn. Von Hubers hab ich seit dem keine Briefe. Therese hat mich mit Rath überschüttet. Du kanst ruhig meinetwegen seyn – Von dem Einfluß dieses Sternes bin ich entzaubert – und was meine Meinung über Dich betrift, so hab ich mich darinn, wie in der über andre, nur immer von eignen Gefühl leiten laßen. Warum bist Du nicht hier! Wegen Berlin schreib ich künftig mehr. Göschen rieth mir dazu, wolte mir auch Empfelungen geben.

Daß ich Amalien nicht sehn würde, wenigstens vors erste nicht, wüßt ich vorher – ich kan Dir aber sagen, daß sie gut von Dir denkt, und Dich wohl gern sehn würde – aber dann werd ich in so fern doch eifersüchtig werden, daß ich in der Zeit Dich nicht sehe. Sie und die Ettinger haben bey Mariannen viel Böses über mich eingesammelt. Schreib mir gleich – die Stimme des Freundes wird mir Wohllaut seyn. Dies republikanische Du ist übrigens um so wunderbarer, da Du mündlich vermuthlich zu viel Ehrfurcht hast, um es zu brauchen.

Mein Bruder ist 2ter Feldarzt der hannoverschen Truppen geworden. – Was ich über die Erlösung zu sagen hätte, will hier nicht mehr Plaz finden – so viel – sie ist zum Entzücken schön geschrieben, aber warum mußtest Du etwas Allegorisches schreiben?

*

54. An Friedrich Schlegel

[Braunschweig, Juni 1795?]

[ Anfang fehlt.]

... fiel dann ein, daß Sie, der Sie doch aus der Schule sind, durchaus müßen das Schöne nicht aus dem moralischen Gebiet verbannt haben – wie könten Sie ihm sonst seine Gränzen im Genuß der Liebe bezeichnen? Darüber geben Sie mir doch Waffen in die Hand, durch die ich meinen angebeteten Gegner auf eignen Grund und Boden niederwerfen kan.

Friz, es giebt 2 Bücher, die Sie lesen müßen, und das Eine derselben knüpft sich in meiner Errinnerung an die Materie vom Wißen an. Das ist Condorcet. Er gehört in Ihr Fach – indem Sie die Stuffe der Cultur eines Volkes, und den Werth dieser Cultur, gegen den Begriff, den wir von frühster menschlicher Vollkommenheit haben können, gehalten, bestimmen wollen. Von Ihrer einzelnen großen Umschwingung weiß Condorcet nichts – aber von den Schwingungen ins Unendliche mehr, wie wir beyde je davon geträumt haben. Er legt sehr großen Accent aufs Wißen – durch Erkentniß baut er uns Brücken in die himmlischen Gefilde. So sehr ich nun selbst jezt das Nöthige und Erfreuliche deßelben einsehe, so kan ich mich denn doch in meiner Dehmuth – wie die Dehmühtigsten oft die Stolzesten sind – nicht enthalten, zu meinen, daß dem, der den kunstreichern Instinkt des Brückenbauens entbehrt, der einfache Instinkt des Fliegens gegeben ist, durch welchen die Lerche an einem schönen Morgen hoch in den Lüften schwebt. Das Gleichniß vom Adler, der zur Sonne dringt, war mir hier doch zu prächtig. Condorcet schreibt mit großen Ansichten, aber vielleicht war sein Geist doch nicht ganz frey – nicht als feßelte ihn der Druck der Lage – ich sehe ein andres Stück Feßeln, und er hält sie für ein Ausmeßungswerkzeug und paßt sie an alles an – mit einem Wort – er wendet die Mathematik und die Berechnung nicht nur auf das Sinnliche, sondern auch auf das Unsinnliche an, das sie erzeugte. Sie werden sehn, wie flüchtig er die Sittlichkeit des Menschen berührt, und wie sie sich aus den Zahlen, als Zahl ergeben soll, und nicht einmal für die Summe der Rechnung gehalten wird. Und wir haben sie doch nicht zu suchen unter den Himmelscörpern, wohin die Leiter der Zahlen reicht – sie ist nicht dort – sie ist hier – ja das Gefühl, mit dem wir von jener Betrachtung anbetend zurückkehren, ist es nicht, worin sie vorzüglich liegt. Die Verhältniße zum Menschen sind dem Menschen wichtiger wie die zum Schöpfer, und mir hat es sogar oft geschienen, als hingen sie nur schwach zusammen. Freylich deutet das darauf hin, wie viel Stuffen wir noch zu durchwandern haben, wozu uns denn die Ewigkeit ihre Zeit gönnen wird. Nur auf der Erde, furcht ich, ist unser Loos begränzt – und der Mangel, den ich im Condorcet, in eines Menschen Übersicht der Menschheit fühle, mahnt mich sehr an die Unvollkommenheit, welche er im Bilde mir entrücken möchte – wenn es auch nicht der Blick auf das Nächste thäte – auf alle die Vorurtheile, die er in seinem Zirkel weniger sah, da er unter den geistreichsten Menschen einer geistreichen Nation in ihrem gespanntesten Moment lebte – auf den bösen Willen, auf die Plattheit, über welche sich immer nur so wenige Einzelne erheben.

Daß Sie mir nicht versäumen dies und die Werke eines gewißen Fulda zu lesen, der ein Magister mit recht ächten originellen Menschengefühl gewesen seyn muß. Manches an ihm hat uns an Sie errinret.

*

55. An Friedrich Schlegel

[Braunschweig, August? 1795]

[ Anfang fehlt.]

... mit Klarheit und Wärme, ohne Heftigkeit und doch fortreißend zu reden. Darinn ist er [Wilhelm] verändert, daß er die französische Sprache den übrigen vorzieht, daß sie ihn fortreißt, und daß er allerliebste französische Briefe schreibt, die ich denn doch nicht mit den deutschen, die er mir geschrieben, eintauschen möchte. Auch denkt er etwas anders über meine Freunde, die Republikaner, und ist gar nicht mehr Aristokrat. Seine Partheylosigkeit über diesen Gegenstand ist ein Reiz mehr seiner Unterhaltung. Ach ich werde ihm noch Leidenschaftlosigkeit ablernen – und dann ist meine Erziehung vollendet.

Wahrlich, lieber Friz, ich werde zulezt wohl auf die Idee gerathen mich zu bilden und zu meistern, um alles was da geschieht ruhig mit ansehn zu können. Sie werden es kaum glauben, daß ich in diesem Betracht aus dem Aufsaz über den französischen Nationalcharakter Nuzanwendungen gezogen habe. Diesen Aufsaz, den Wilhelm unreif nennt, in welchen er Ursache und Wirkung mit einander verwechselt und die Thatsachen selbst nicht treu dargestellt findet. Mir fiel die Richtigkeit der Ansicht auf, daß Leidenschaft, aus welcher die höchste Kraft und Genuß hervorgehn, gemäßigt und abgeleitet werden muß, um Tugend und Glück zu erzeugen. Ist es nicht so, daß der wesentliche Unterschied zwischen Ihren alten Griechen und meinen Neufranken in dem Grade der Leidenschaft besteht? Geben Sie diesen etwas weniger heißes Blut, so müsten alle Völker der Erde sie beneiden und lieben. Woher komt es ihnen aber und wie sollen sie es vertilgen? Das Clima und seine Produkte bleiben dieselben – die Phantasie hat eine Richtung genommen, welche die Revolution noch nicht dadurch anders gelenkt hat, daß sie ihr andre Begriffe unterschob. Mir scheint sie mehr durch den Zufall verstimt zu seyn, der Gallien einem Eroberer unterwarf, als durch jeden sonstigen Einfluß. Früh legte ihnen dies ein Joch auf, das sie mit Glanz zu bekleiden... [ Schluß fehlt.]

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56. Friedrich Schlegel an Caroline

Dreßden den 2ten Oktober [1795]

Mein Manuscript ist zwar noch nicht fort, doch muß ich mein Gelübde brechen, weil Ihr Brief es mir unmöglich macht es zu halten. Ich kann es auch mit gutem Gewissen; denn ich bin sehr weit, und heute ist das Mscr. ohnehin bey Körner, der einmal wieder ungeschickt ist, weil ich Schiller nicht genug gelobt habe. – Ich härmte und grämte mich schon über Ihr Stillschweigen. Ich dachte, ich wäre Ihnen zu rauh, und [Sie] hätten Sich entschlossen es bey einem Schlegel bewenden zu lassen. Gestern morgen wurde ich auch zornig über Eure Nachläßigkeit, denn von ohngefähr fielen mir meine Gränzen gedruckt in die Hände. Ich dachte mir schon, ich würde Verdrießlichkeit haben und mich prostituiren, wenn Ihr es noch einmal drucken ließt. Da kam Ihr Brief und machte mir eine doppelte Ueberraschung. – Ich bin sehr entzückt von Ihrer Güte, aber nun sagen Sie mir auch, warum Sie mir so wohl wollen? Ich weiß es wahrhaftig nicht. Vielleicht würde sichs aufklären, wenn ich bey Euch wäre. Der grosse Schulmeister des Universums könnte mich dann in die Lehre nehmen, und mich die Kunst richtig zu schreiben und vollkommen zu lieben lehren. Ich meyne seine süßen Verbindungen –

Doch ehe ich ins Schwätzen komme, zuvor das Langweilige, und das Nützliche.

Ich danke Euch für die Bereitwilligkeit mir einen Verleger zu schaffen. Eine Brochüre, die eben in Paris die Presse verlassen hat, kann ich unmöglich schon gesehn haben.

Im Journal de Paris nro 341. steht eine weitläuftige Rezension des Essai sur la vie de Barthelemy par Mancini. 69 p.8° chez Debûre l'ainée rûe Serpente nro 6.

Was ich leisten will, habe ich schon geschrieben. Ich verlange

  1. Das französische Exemplar frey. Diß muß eiligst verschrieben werden.
  2. 1 Ldr. Honorar für den Bogen.
  3. 8 Frey-Exemplare.

Die beyden lezten Artikel können Sie nach Gutdünken modifiziren.

Entweder behalten Sie sich, wenn er einwilligt, vor die letzte entscheidende Antwort von mir erst zu geben, wenn Sie mir geschrieben: oder wenn es Ihnen so gut scheint, akzeptiren Sie sogleich, und schreiben sogleich an Göschen, daß Sie es gethan. Denn dieser hat für mich bey jemand gefragt. Da er es nicht selbst ist, so bin ich für das letzte, wenn der Mann gut und bereit ist. Die Brochüre braucht nicht gerade in der Messe zu erscheinen. Wenn ich das französische Exemplar in der Mitte des Novembers habe, so kann das vollständige Mscr. vor Ende Dezembers in den Händen des Verlegers seyn.

Ich wohne im Schooß Abrahams, d. h. bey meiner Schwester. Ich habe alle mögliche Ursache, dankbar gegen sie zu seyn, und wenn kein unverhofftes Unglück begegnet, so kann ich den Winter ruhiger und froher arbeiten als je.

Ich habe mir gestern die Hand fast lahm geschrieben an Mscr. und heute muß ich noch eben so viel schreiben. Ich fühle in vollem Ernst Schmerz in der Hand, wenn ich den ganzen Tag geschrieben. Das wird noch eine Zeit lang anhalten. Uebermorgen geht die erste Sendung fort: dann alle acht Tage die Fortsetzung. In drey Wochen wird es zuverläßig weit über ein Alphabet betragen. Sie müssen mir also im voraus verzeihen, wenn ich Ihre interessanten Briefe fürs erste nicht mehr beantworte als ich kann.

Von meiner Oekonomie kann ich noch gar nichts sagen. Es kommt alles auf Michaelis an.

Noch ein Wort über den Buchhändler. Ist er es zufrieden, so läßt er gleich eine Ankündigung in der Litteratur Zeitung mit meinem Namen einrücken.

Die Hoffnung den liebenswürdigen Schulmeister zu sehen ist entzückend. Auch Charlotte freut sich sehr darauf. Für sein Arrangement hier darf er unbesorgt seyn. Wenn er hat bey mir wohnen wollen können, so wird er es noch eher bey Ernsts, wo er nur nicht gar zu viel Raum fordern darf, doch so viel als für seine Bedürfnisse, so weit ich und Charlotte sie überlegen können, hinreicht. Einen eignen Tisch für die süßen Verbindungen, ich meyne zum Briefschreiben, findet er auch. Wir wünschen bald das Nähere zu wißen, recht sehr bald. Er wird doch nicht über Leipzig gehn? Dieß wäre mir sehr unlieb.

Geben Sie mir doch auch nur einige Nachricht über Euer Amerikanisches Projekt. Ist es ein Landeigenthum, ein öffentliches Amt, oder eine Privatverbindung, was Ihr vorhabt? – Das war doch hoffentlich nur eine flüchtige Phantasie, daß Ihr, um zwey Müttern zu entfliehn, Euch dem Revolutions Riesen in den Rachen stürzen wolltet? Wer über den Rhein gegangen, dem ist die Rückkehr doch wenigstens sehr beschränkt. Auch könnte der Riese leicht einmal wieder Krämpfe bekommen, nach Hubers Ausdruck zusammenfließen, und Ihr dabey eben in die Presse kommen. Schreiben Sie mir nur ganz kurz wie Sie vom deux tiers denken, ob ministeriell oder oppositionell?

Auch schreiben Sie mir, wie sich Ihre Mutter aufführt. Heitzt Ihr nur recht ein, wenn Sie's verdient.

Was nun folgt, ist für Ihren Gott, selbstständige Diotima. Ich habe nicht Zeit ihm besseres zu geben. Es sind mehr Warnungen wieder falsche Vorstellungsart und Vermuthungen. Zu großen Recherchen habe ich jetzt weder Zeit noch Bücher. Was hier steht habe ich schon ohnehin auf meinem Wege gefunden.

Einige Worte über griechische Improvisatoren...

Leben Sie wohl, Selbstständige, und umarmen Sie den göttlichen Schulmeister.

Fr. Schl.

Verzeiht die Druckfehler, ich kann den Brief nicht wieder durchlesen.


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