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III. Briefe aus Göttingen und Marburg

1789-1792

»Göttern und Menschen zum Troz will ich glücklich seyn – also keiner Bitterkeit Raum gehen, die mich quält – ich will nur meine Gewalt in ihr fühlen.«

*

25. An Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer

Göttingen 1. März 1789

Wenn mir etwas unerwartetes begegnen konnte, in einer Welt, die ich alle Tage wunderbarer finde, und worüber ich mich also immer weniger wundere, denn l'Admiration est la fille de l'Ignorance – sagte mir sonst Mad. Schlegel – so war es Ihr Brief, aber befremdet hat er mich nicht, denn Sie konnten und mußten sehr gut wißen, daß ich Sie gern um Nachrichten von Ihnen befragt hätte? wie ich sehr oft nach Ihnen gefragt habe, wenn ich nur die geringste Veranlaßung dazu gehabt hätte. Ja, meine Schwester und ich haben uns mehr wie einmal mit der abentheuerlichen Idee getragen – abenteuerlich nenne ich sie, weil vieles was natürlich ist so genannt wird – ohne alle Veranlaßung, ein Sendschreiben an Sie ergehen zu laßen, daß Ihnen mein leztes Wort wiederhohlt hätte: Sie würden uns nie fremd werden. In Göttingen mußten Sie es zu seyn scheinen, wo ich Sie aber künftig auch finde und weiß, da sind Sie mir es nicht. An Ihrem Schicksal Theil zu nehmen, das ist vielleicht ein undankbares Werk, doch in so fern Sie und Ihre Laune der Schöpfer desselben sind, muß ich ihm unwillkürlich folgen. Sie sollen sich aber so wenig um das meinige bekümmern und nur mir den Antheil nicht ganz entziehen, den Sie ihm zusagen – ich bekümmere mich selbst nicht sehr darum, ich sorge nicht und mache keine Pläne, nur Einem glaube ich mit festem Schritt nachgehen zu müßen, dem Wohl meiner beiden kleinen Mädchen, alles übrige liegt vor mir da wie die wogende See, schwindelt mich vor dem Anblick, so schließe ich meine Augen, allein ich vertraue mich ihr ohne Furcht. Ich weiß nicht, ob ich je ganz glücklich seyn kan, aber das weiß ich, daß ich nie ganz unglücklich seyn werde; Sie haben mich in einer Lage gekant, wo ich, von allen Seiten eingeschränkt, durch den Druck meines eignen Gewichts niedersank – grausam bin ich herausgerißen, doch fühle ich, daß ich es bin, denn es ist so hell um mich geworden, als wenn ich zum erstenmal lebte, wie der Kranke, der ins Leben zurückkehrt und eine Kraft nach der andern wieder erlangt und neue reine Frühlingsluft athmet, und in nie empfundenem Bewußtseyn schwelgt. Ein Schleier fällt nach dem andern, es ist mir nichts mehr sehr wichtig – Erfahrung mindert den Werth der Dinge, denn es nimmt ihnen die Neuheit – ich schätze nichts mehr als was mir mein Herz giebt, und erwerbe nichts als was ich mir selbst bereite. Sie prahlen ein wenig mit Ihrer Armuth, und meine kränkt mich wenigstens nicht, mir ists, als hätte ich die Menschen nie weniger bedurft und höher herabgeschaut, als seit sie wohl gar meinten, ich würde mich fester an sie anschließen. – Wir sind stolze Bettler, lieber Meyer, und ich kenne noch einige von der Art, laßen Sie uns lieber einmal eine Bande zusammen machen, einen geheimen Orden, der die Ordnung der Dinge umkehrt, und wie die Illuminaten die Klugen an die Stelle der Thoren setzen wollten, so möchten denn die Reichen abtreten und die Armen die Welt regieren. Ich habe Ihre Idee Bürgern zu heirathen vortrefflich gefunden, doch meint Lotte, Sie würden eine schlechte Parthie thun, und das ist gewiß,

Auf Erden weit und breit
Ist kein Altar vorhanden,
Der Eure Liebe weiht.

Er hat mir gesagt, daß Sie wahrscheinlich zusammen nach Berlin gehen – aber wenn ich es nun versuchte, Sie zum Profeßor der Aesthetik in Marburg zu machen, wohin ich vermuthlich gehe, Sie nehmen ja nur Schweinefurt aus, und haben wohl nicht allen Feßeln entsagt. Ich wollte, Sie könnten in London bleiben, denn eine große Stadt, wo Sie sich in der Menge, aber nicht in Ihrem Cirkel verlieren, wo Sie alle Abend die Last, die Sie den Tag über an sich selbst gewogen haben, bei einem Fest oder im Schauspielhause von sich werfen, und sich im Gedränge der Mannichfaltigkeit selbst vergeßen könnten, wäre doch Ihr Element. Sind Sie nicht einer von denen, die sich berauschen müßen um glücklich zu seyn, und wenn nun die schreckliche Lücke zwischen Rausch und Rausch durch keinen äußern Gegenstand gefüllt wird – was fangen Sie dann an? es ist eine traurige alternative, diese Leere ganz zu fühlen, oder sie alltäglich ausfüllen. So leite Sie denn Ihr guter Geist! auf ebener Bahn wird es wohl nicht seyn. Vater und Mutter danken, die Schwestern erwiedern. Lotte ist glücklich, Louise ist glücklich, die eine schreibt eben, die andre ist auf einem Ball. Sie nennen Feder in Ihren Briefen an T[atter], ich habe ihn ganz kürzlich von Ihnen reden hören, und nie hat ein ehrbarer Mann so vortheilhaft über Sie gesprochen wie dieser, ich freute mich es zu hören um beider willen. Nochmahls dem Guten befohlen, und daß kein Böses Ihnen etwas anhaben kan!

Caroline Böhmer.

*

26. An Luise Gotter

Göttingen d. 8. März [17]89

Eine Einladung wie die Deinige, meine immer gleich geliebte Freundinn, dürft ich nicht mit leeren Worten des Danks beantworten, deswegen habe ich warten müßen, denn erst jezt kan ich Dir etwas entscheidendes darüber sagen; es wiederspricht zwar meinen Wünschen nur zu sehr, und Dein freundschaftliches Herz wird nicht damit zufrieden seyn, aber ich weiß auch, daß es in der Ursache, die unsre Zusammenkunft verhindert, Gründe auffinden wird, um dem Geschick zu verzeihn. Ich komme nicht zu Dir, ich darf alles, was Du mir so liebreich anbietest, Dein Haus, Deine Gesellschaft, die Freuden der Errinrung der ersten glücklichen Jahre meiner Jugend, die eine so ganz andre Zukunft zu weißagen schien, ich darf sie nicht annehmen, weil ich eine andre Reise zu machen habe, und welche die ist, das erräthst Du leicht. Mein Bruder bot mir sein Haus an, sobald ich meine Heymath verlohren hatte; der Zustand, in dem ich war, und die Wünsche meiner Eltern, denen ich leicht nachgab, weil ich nicht die Kraft haben konte zu überlegen, zu einer Zeit, wo ich sie alle aufbieten muste, um dem Unglück zu wiederstehn, machten, daß ich damals wenig Rücksicht darauf nahm, und es ihm vors erste ganz abschlug. Wie ich aber nach und nach die Verhältniße in einem helleren Licht zu sehn anfing, wie ich in alle diejenigen zurückkehrte, die man mit einem Herzen, das jenseits seines Grams nichts mehr erblickt, so leicht vernachläßigt, und die wiederholten Bitten meines Bruders hinzukamen, da reifte der Entschluß, den ich nun gefaßt habe. Ich glaube, er ist gut, und das muß mir manches Opfer versüßen, daß ich ihm bringe. Dort kan ich nüzlicher und thätiger und freyer seyn für mich, und was mich eigentlich bestimmt, für die Erziehung meiner Kinder. Sie sind das einzige, worauf ich sicher rechnen können muß, sie sind meiner Glückseligkeit nothwendig, und ich fühle, daß sie ein mir anvertrautes Gut sind, das ich also nie nach meinen Convenienzen behandeln darf. Erziehung ist nach meinen Begriff nicht Abrichtung, das ist ein Zweck, den ich durch Strenge allenthalben erhielte – es ist die Entwicklung der angebohrnen Anlage durch die Umstände – und diesen getraue ich mir hier, wo ich meine Kinder nicht allein habe, wo sie unter dem Einfluß des Beyspiels stehn, nicht so entgegen arbeiten zu können, daß sie würden, was ich aus ihnen machen möchte – meine Kunst, die eigentlich keine Kunst ist, sondern nur eine gewiße Unthätigkeit, welche höchstens vor bösen Gewohnheiten zu bewahren und die ersten entscheidenden Eindrücke zu lenken sucht, traut sich das nicht zu, und so will ich lieber den freyen Boden wählen, wo sie gedeihn muß, wenn Kinder ihren Eltern gleichen, als mich der Gefahr aussezen sie misglücken zu sehn. Ich könte doch auch für die Zukunft nicht ruhig daran denken, Töchter, die keinen Schuz haben wie ihre Mutter, auf einer Universität erwachsen zu sehn. Marburg ist zwar auch eine, aber es hängt ganz von mir ab, in wie fern M. es nicht seyn soll, ich erwarte überhaupt nichts von dem Ort, und es ist blos der, wo das Haus meines Bruders liegt, wo ich mehr Einsamkeit, Freyheit und Ruhe finden werde. Die Freude, die ich diesem Bruder mache, selbst der Nuzen, den ich ihm leisten kan, ist ein Bewegungsgrund, der schon hinreichend war, ohngeachtet er mein erster nicht ist. Dir braucht ich vielleicht nur diesen anzuführen, aber hier, wo man nicht ganz begreift, warum ich eine ganz angenehme Situation mit einem offenbar weniger angenehmen Aufenthalt verwechsle, will man ihn nicht gelten laßen, und ich kan doch nicht wohl einen andern nennen. Es wird mir auch schwer von hier zu gehn, das leugne ich nicht, Göttingen ist eine Stadt, von der im Allgemeinen nicht viel tröstliches zu sagen ist, allein in keiner von so geringen Umfang wird man so viel einzelne merkwürdige gescheute Menschen antreffen, und ich konte diese einzelnen genießen, und brauchte mich an den Ton des Allgemeinen nicht zu binden, wenn ich dafür leiden wollte, was sich nach Weltlauf gebührt. Ich hatte ein bequemes Leben, ich mag aber kein bequemes Leben haben, wenn es nicht ewig dauern kan. Kurz, das Loos ist nun geworfen – zwischen Ostern und Pfingsten werde ich abreisen. Was aus unsern Wiedersehn wird, das wißen die Götter! So offen, wie jezt alles vor meinen Sinnen da liegt, so jeder Möglichkeit unterworfen, verzweifle ich an nichts, ich erwarte aber auch nichts – was mein Wille kan, das wird er – und was die Nothwendigkeit fordert, werd ich ihr einräumen, doch niemals mehr ihr geben, als sie wirklich fordert. Es ist mir nicht wahrscheinlich, daß ich Dich nicht bald einmal sehn sollte, und wo und wie und wann es geschieht, wird es uns sehr glücklich machen, und geschah es noch so spät, nicht weniger wie heute.

Dein Mann, meine liebe Louise, könte Dich wohl einmal hierher bringen, und es würd ihn für sich selbst nicht gereun. Ich will zwar keinen schönen Geist und Dichter nach Göttingen einladen, wo eine wahre Auswandrung seit kurzen vorgegangen ist, es muß also nicht ihr gelobtes Land seyn, wie könte man das auch da vermuthen, wo Wißen allein interreßant macht, und sich eine Menge Leute vorbereiten, nicht um interreßant zu werden, sondern um zu eßen zu haben. Bürger, deßen Bekantschaft ich ganz kürzlich gemacht habe, denn ich bin ein Jahr mit ihm hier gewesen ohne ihn nur zu sehn, er führt, wie er selbst sagt, ein Bären Leben, und komt selten aus seiner Höhle hervor, Bürger wird auch wohl weggehn; er und Meyer wißen noch nicht wohin, vielleicht nach Berlin. Meyer hat mir geschrieben, und wie er versichert, weiß er nichts von seinem künftigen Aufenthalt, als daß es nicht Schweinfurt seyn würde. Ich wünschte, daß es ihm wohl ginge, aber das wird der frommen Wünsche einer seyn. Mad. Forkel ist sicher in Berlin, und ein gewißer Herr Seydel ist ihr sodann dahin gefolgt – er ist der Unglückliche unter vielen andern, die gleiches Recht dazu hätten.

Die Genesung unsres Königs ist eine äußerst erwünschte Begebenheit. Prinz August befindet [sich] ebenfals sehr wohl, und es wird nun bald in Hières so warm werden, daß er wieder zurückkommen muß. Könt ich nur einmal die balsamische Luft eines so milden Himmelstrichs einathmen, nur einmal im Regen der Orangenblüthen spazieren gehn, ein muntres Volk sehn, oder das Schauspiel wärmerer Leidenschaften, als unsre gemäßigte Zone aufkommen läßt – auch fromme Wünsche! doch eröfnet mir das Leben mit meinem Bruder eine etwas weitre Außicht, ich komme den Rheingegenden näher. Es ist doch betrübt zu wißen, daß man noch gar nichts schönes gesehn hat.

Lebe wohl meine liebe Freundinn, bis der Zufall günstiger ist. Grüße Deinen Mann und Schwiegerin recht herzlich von ihrer alten Bekantin. Ich möchte wohl wißen, wie Ihr mich fändet, wenn Ihr mich sähet. Eines wird sich immer gleich bleiben – die sanfte Zuneigung, mit der ich die Deinige bin.

Caroline Böhmer.

Ich lege Dir ein Gedicht bey, das meine Kinder ihrem Grosvater an seinem Geburtstag mit einen von mir gestickten Kopf des Aesculap, unter den die unter das Gedicht geschriebne Inschrift stand, überreichten. Beydes von Schlegel.

*

27. An Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer

Marburg d. 24. Oct. [17]89

Nicht als ob ich Ihren Becher spröde von mir gewiesen hätte – nein, mein lieber Freund, ich habe ihn getrunken, gekostet, bis auf den lezten Tropfen – deswegen schwieg ich nicht, allein ich war, ich weiß nicht, vielleicht zu glücklich, um Ihnen aus Bedürfniß zu antworten, und hatte noch immer nicht genug Eigenliebe oder nicht genug Vertrauen, um es Ihretwegen zu thun. Dann wollt ich Ihnen auch sagen, ob Ihre Prophezeyhungen eingetroffen wären – jezt weiß ich schon seit langer Zeit nicht wo Sie sind, auch nicht wo Sie dieß erreicht, zu dem ich aber eine besondere Veranlaßung habe, und mich also nicht durch diese Ungewißheit abhalten laße. Dieser Anlaß ist nur eine Idee, man muß aber so wenig Ideen verschließen wie möglich. Sie kam mir und meinem Bruder zugleich. Der Erbprinz von Caßel lebt hier unter der Führung eines gescheuten Mannes, des Herrn v. Dörnberg, außer diesem und einem Cavalier hat er einen Lehrer, der den Prinzen von Jugend auf gehabt hat, mit dem man indeßen wohl wechseln mögte, wenn sich ein anderer darböte. Der Prinz ist 13 Jahre, wahrscheinlich bleibt er eine sehr kurze Zeit hier, und geht dann nach der Schweiz. Was glauben Sie, würde diese Stelle nicht zu klein für Sie sein? Versteht sich, daß die Besoldung honnet wäre, daß Sie einen Titel bekämen, und Aussicht aufs künftige. Eigennützig bin ich nicht, ich wünschte kaum Sie hier zu sehn, sondern daß sich die Ausführung des Projekts[?] verzögern könnte, bis der Prinz Marburg verläßt, denn wie Meyer hier ausdauern würde, das seh ich nicht ab. Es ist ein kleiner, eingeschränkter und ohne Zweifel sehr langweiliger Fuß, auf dem der Prinz lebt, er selbst noch ein Kind, dem man biblische Geschichten erzählt. Der Ort hat keinen Vorzug als den einer schönen Lage, er war für uns eine wüste Insel, und dahin könnt ich Sie mit mir nicht einladen. Ich höre außerdem, daß Sie den Vorsatz haben, nach Italien zu reisen, und davon will ich Sie nicht abwendig machen, wenn man das vereinigen und Sie bei Ihrer Zurückkunft hierher kommen könnten – das wäre mein Plan. Mein Bruder glaubt, es müße früher etwas daraus werden, wenn es gelingen sollte. Schreiben Sie mir Ihre Meinung, dann redet mein Bruder mit Dörnberg, deßen Ohr er sich auch schon über diesen Punkt geneigt gemacht hat, und wenns möglich wäre, kämen Sie hernach selbst. Das ist der Entwurf des Luftgebäudes, mit dem ich mich gern beschäftige, weil Sie mir werth sind, dem ich aber eben deswegen mistraue, weil man im Lauf der Welt Unglauben aller Art einsaugt. Sie schweigen vors erste darüber, um so mehr wenn Sie die Ausführung wünschen. Dörnberg ist der einzige, durch den die Sache anhängig gemacht werden könnte, und den haben wir hier. Mein Bruder grüßt Sie, er macht sich bei mir ein Verdienst aus seinem guten Willen, Sie können sich vorstellen, daß ich ihm nicht wiederspreche, allein mir aus dem Meinigen – nicht einmal aus der Uneigennützigkeit, mit der ich allem entsage, was Sie nicht glücklich machen würde, wenns mir auch viel Freude gäbe – keins bei Ihnen mehr. Immer wünsch ich, daß Ihnen der Vorschlag bald zu Händen kommen mag.

Sie haben mir Wahrheit gegeben, die für mich einen unwiederstehlichen Zauber hat. Es ist das Einzige, was mich täuschen könte. Der Mensch, welcher sie inniger liebt wie ich, muß ungeheure Fähigkeiten haben – oder steht unter allem Vergleiche. Wißen Sie aber, daß man sie geben kan ohne mehr [wahr?] zu seyn? Ich ziehe Sie nicht in Verdacht, doch gestehe ich – ich ergründete Sie noch nicht, und wollte, daß Sie mir so viel über sich wie über mich sagten. Was liegt denn am tiefsten in Ihrem Wesen gegründet? Herrscht der Leichtsinn Ihres Kopfs, oder der Ernst Ihres Herzens da, wo Ihre heftigste Leidenschaft spricht – wanken Sie zwischen beiden – ich begriff Sie nie ganz und konte auch nicht, denn wie wenig kannt ich Sie durch mich selbst. Wie ich Sie kannte, interreßierten Sie mich aus meinem Geschmack – den viele Leute falsch nennen – und einer seltsamen Uebereinstimmung mit dem, was den leisesten, den halb unverstandnen Bildern meiner Phantasie schmeichelt. Ich hätte Empfindungen erregen mögen, wie Sie sie schilderten, und doch nicht die Ihrigen – denn mein Herz hatte sich von aller Wirklichkeit entwöhnt – ich wußte nicht mehr damit umzugehen. Das gab mir einen Ernst gegen Sie, den Sie nur erwiedern wollten, und so, daß ich ihn nicht für natürlich hielt, zurückgaben. Vertrauen hatte ich für Sie nur durch andere. Daß Sie meine Lage vollkommen richtig beurtheilten, wüßt ich sehr wohl, aber ich konte auch darüber nicht offen seyn, weil ich den lezten Wahn zu retten hatte, der mir mein Schicksal erträglich machte, den lezten Wahn der Liebe: Zärtlichkeit. Zu delikat, zu gut, zu sanft diese wegzuwerfen – vielleicht auch zu sehr eingeengt – behielt ich sie bey, und sie lebt selbst noch in der Errinrung, ob ich gleich mit Schauer und Beben an jene Zeit zurückdenke, und von ihr wie der Gefangene von dem Kerker mir einer schrecklichen Genugthuung rede.

Hier leb ich seit 4 Monaten ohngefähr so, wie Sie es voraus sahn; ich habe den Sommer ganz genoßen und gehe dem Winter mit der Hoffnung der Frühlingsblüthe entgegen. Lotte ist bey mir, denn sie mochte Göttingen nicht mehr von dem zu scheiden mir nichts kostete, so wenig wie Ihnen. Marburg hat wenig – aber doch nicht die tödtende Einförmigkeit und den reichsstädtischen Dünkel. Die Menschen nicht so cultivirt und geschwäziger, allein doch toleranter. Man liebt mich sehr, weil mein Herz ein Gewand über die Vorzüge des Kopfs wirft, daß mir beides Aeußerungen als Verdienst anrechnen läßt. Daß ich gehn kann wann ich will, macht, daß ich alles Ungemachs zum Troz bleibe – das ist die Art von Trägheit, welche der hat, der den Tod nicht fürchtet.

Ich habe mir ein Ziel meines Bleibens gesezt – dann weiter, wohin mein Genie reicht – denn ich fürchte, das Geschick und ich haben keinen Einfluß mehr auf einander – seine gütigen Anerbietungen kan ich nicht brauchen – seine bösen Streiche will ich nicht achten. Wünsche hören auf bescheiden zu seyn, wenn in ihrer Erfüllung unsre höchste und süßte Glückseeligkeit läge – auf Wunder rechnet man nicht, wenn man sich fähig fühlt Wunder zu thun, und ein wiederstrebendes Schicksaal durch ein glühendes, überfülltes, in Schmerz wie in Freuden schweigendes Herz zu bezwingen.

Meine Kinder sind liebe Geschöpfe. Daß Sie kämen, Meyer – mit sanftem und festem Schritt käme Ihnen eine Freundinn entgegen in

Caroline.

Es ist gar nicht hübsch von Ihnen, daß Sie die erhabne französische Nation so bey allen Gelegenheiten herunter machen, wie in dem Aufsaz über eine Staatsschrift des General Loyd. Ich könte Ihnen gram seyn. Auch darüber, daß Sie so viel in Ihrem lezten Brief von Zwecken sprechen und andern Leuten Absichten unterschieben, an welche sie – sonst so toll und verdreht wie Sie wollen – gar nicht die Leute sind zu denken.

Gotter läßt Ihnen sagen, daß er eben in Weimar gewesen ist, und die Herzogin und Einsiedel viel nach Ihnen gefragt haben, und sich sehr huldreich über Sie auszudrücken geruhten. Gotter hat eine stolze Vastha [Vasthi] und eine demüthige Esther gemacht, die er dort vorlas.

*

28. An Lotte Michaelis

[Marburg 1789]

[ Anfang fehlt.]

... Winterabende nach dem Tacitus gegeben hätte.« Bey dem Achill von Ulyßes unter den Weibern entdeckt, erinerte sie, daß der König von Preußen diese Geschichte in einer Gruppe von Statuen besitze. Dann kam ein Stück aus einer englischen Ballade, wo ein Mädchen mit dem schönsten Ausdruck von Schmerz zwischen Vater und Mutter sizt, darunter steht –

My Father urg'd me sear my Mother did nae speak
But she loockd in my face that my heart was like to break.

Dann der Tod von Lord Robert Manners in der Schlacht vom 12ten Aprill. Sie hat sein Monument gesehn. Wir kamen zu Dir – das ist ein liebes Geschöpf sagte sie – es ist das Ebenbild meiner Schwester – Lottchens? Und da sezt ich ihr alle Aehnlichkeiten aus einander. Bey den Wegdwoods bemerkte sie, daß Göthe seinen Kopf in Italien in eine Gemme hat schneiden laßen, Merk hat einen Abdruck davon genommen, ihn nach England geschickt, wo man nun auch mit Göthens Kopf siegelt. Meine Stickerey gefiel ihr sehr, sie wünschte mir Glück zu den Talent. Nach 8 Uhr wurde sie errinert wegzugehn. Ich habe ihr einen Kopf zu sticken versprochen, wenn sie mir die Mannheimer Briefe, die das Beste seyn sollen, was sie geschrieben hat, schenken wollte, da sie Philipp Miss Lony geschenkt hätte. Das war das erstemal, daß ich eines Werks von ihr erwähnte. Sie wollte es mit dem Beding thun, daß ich ihr meine Meinung von Miss Lony sagte – zum Glück hatte ich sie noch nicht gelesen, denn ich muß mich sicher auf etwas wahres, an etwas zu loben besinnen, was mich sicher nicht interreßirt. Ich hätte das Recht freymüthig zu seyn, sagte sie mit viel Feinheit. Sie frug mich einigemal, ob ich ihr auch in der That gut wäre – worauf sie einigen Werth zu legen schien. Freytag Abend nahm ich von ihr Abschied. Es waren Studenten da, Theologen, schlechte Gesellschaft La Roche sagte mir, da sizt nun meine Mutter und zieht sie doch alle an sich, und keiner glaubt weggehn zu dürfen, weil er sich einbildet der favorisirte zu seyn. Morgen komt sie wieder, und bleibt wenigstens, bis Merk zurück komt. Eins fällt mir noch ein, sie hatte sich gescheut Schillern anzugreifen da hatte ihr jemand gesagt, sie schriebe ihm Riesenideen zu, und daraufhin könte sie schon vieles wagen. Ist das nicht sehr wahr?

Wenn sie zurückkomt, muß ich sie allein sprechen, um noch ausführlich über meine Lotte mit ihr zu reden. Ich begreife Dich so ganz, und am besten das, daß ich Dir zu viel seyn würde. Das macht auch, daß ich Dir nicht viel über Dich sagen kan. Wenn ich eine Zeitlang die Größe Deines Verlustes angestaunt habe – so verschwindet sie mir – es ist ein simples Menschenschicksaal, in dem der Mensch nicht versinken muß. Ich erhebe mich aus der Tiefe Deines Grams zu der Möglichkeit, daß Du noch manches durch die Wirksamkeit Deines Kopfes und Deiner Fähigkeit genießen kanst. Wohl ihm, daß er eins über Dich vermocht hat: leben zu wollen – nicht für Dich, aber für unsre Eltern, man muß doch so wenige mit sich unglücklich machen wie möglich, und sind sie es nicht schon genug? Marianne weiß alles, aber Ihr sprecht doch wohl nicht darüber? Mariannens Lage ist sehr sehr unangenehm. In dem einen Fall hielte sie es dort nicht aus, aber ist es möglich, daß er sich ereignen kan? Ein Besuch, aber doch kein Aufenthalt. Wenn er sich nur nicht in Mannheim, der verderbtesten Stadt Deutschlands, etablirt! O daß Therese sich einmal überwände – ich weiß nichts mehr von ihr, wenn sie es nicht thut, und doch wird das nicht ganz zerstört werden können, was ich in ihr anbete. Ihre Laster sind die Ueberspannung ihrer Kräfte.

Ich habe Tatter an diesen Brief verwiesen, weil Du die Geschichte von der Roche vollständig haben solltest. Du nimst es nicht übel, wenn ich Euch beyde vereinige. Er theilt Dir dafür wieder mit, was er will.

Eben laßen mir Schulers sagen, daß sie gekommen sind. Diesen Nachmittag werd ich wohl Kronenbergs besuchen, denn mir ist nach einer ruhigen Nacht etwas beßer wie gestern, wo ich gar nicht wohl war. Bey der Nacht denk ich an die Schlafkammer; auch die hätte La Roche sehn dürfen. Es steht mein und meiner Kinder Betten und ein Nachttisch darinn, und alle Silhouetten – mit dem Schatten meiner Geliebten umringt – über meinem Ruhbett hängt die meines Vaters mit dem Kranz verwelkter Blumen und Lotte bey Werthers Grab, weil das in die Stube nicht gut genug war.

Le mal est fait, denn Schlegel hat seit Dienstag einen Brief – ich würde aber das Uebel doch begangen haben, wenn ich auch Deine Warnung gelesen. Er schrieb mir dreymal, und wie! Da Du am Donnerstag noch nichts von diesem ihn betroffnen Glücksfall erfahren hattest, so hoff ich, er geht ein wenig stiller damit zu Werk. Ich habe sehr über Jetten gelacht – Schlegel und ich! ich lache, indem ich schreibe! Nein, das ist sicher – aus uns wird nichts. Daß doch gleich etwas werden muß. Es ist ein verwünschter Gedanke, den nur die schiefe Jette erzeugen kan. Mit der Post einen Brief von mir zu erhalten, den Triumph vor dem Königl. Großbritt. Postamt und dem wohlbestallten Briefträger soll er nie haben. Und der Inhallt soll die Gabe haben, ihn verschwiegen zu machen.

Cepog ist doch ums Himmels willen nicht in Marianne verliebt? Nach ihr wüste ich keine unglaublichere wie Lotte. Grüße ihn und Launay, wenn Du sonst nichts zu sprechen hast, und wer Dich fragt, dem antworte, daß ich über alle Erwartung vergnügt hier wäre. Frage Du mich nicht – und doch ist es wahr – ich finde, daß ich recht hatte zu gehn, und es ist ganz und gar nicht unangenehm hier zu leben.

Wie die Roche Thee bey mir getrunken hatte, ging ich noch mit Philipp nach Ockershausen, wo die Malzburg uns und Selchows ein kleines Souper gab, von dem wir erst gegen 12 Uhr wiederkamen. Die Selchow hat Verstand, sie sagt mannichmal Dinge, die Sinn haben, dann schwazt sie einmal nur, und macht verdrießliche Schmeicheleyen – et eile n'a pas un brin d'ame. Zwischen dem gnädigen Frl. und mir hat sich eine offenbare Sympathie entdeckt, denn wir lieben beyde die Genealogie und verheirathen die Prinzen und Prinzeßinnen des Calenders mit einander. Da ist ein Candidat, der ami des gnädigen Hauses, ein Mensch von Kopf, aber unerträglich eingebildet, um den sich die Conversation oft dreht, weil er eine Art von Draht ist, an dem man Blumen bindet.

Nun, meine liebe Lotte, das mag genug seyn.

Mittag

Wenn meine Eltern zugeben, so kan ich kaum zweifeln, daß daraus etwas wird.

Ich will Dich nicht weich machen, meine theure liebe Lotte – es ist ein Vorurtheil zu wähnen, der Schmerz müße weh thun, unser Wesen auflösen, in Thränen zerschmelzen. Weine, wenn Du kanst, aber wolle nicht weinen. Ich muß schließen.

*

29. An Philipp Michaelis [?]

[Marburg Dec. 1789]

[ Anfang, ein Doppelblatt, fehlt.]

... sie schien etwas in stillen Phantasien zu sehn, wonach sich dann ihre schönen Arme verlängernd ausstreckten, das selbst ihre Finger sich auszustrecken schienen. Dann faßte sie fest in meine Haare – einmal zog sie meine Hand fest an ihr Herz sie pflückte in leisen Krämpfen am Bettuch – und ich verblendete mich noch über dies Zeichen. Dabey war sie ganz bey Verstande – sie begriff mich noch, wenn ich ihr vom Weinachten sagte, den die Großmutter schicken würde – sie antwortete noch – Gusten auch. Den krampfhaften Zustand zu lindern verordnete Friz ein warmes Bad, worinn ich sie in unaussprechlicher Angst meines Herzens sezte. Ich war entzückt wie es ihr so wohl darinn ward, daß ich es ihr ansah, und sie selbst sagte: gut! Gut! mit der innigen Stimme, mit welcher sie ihr Ja aussprach, und wie ich sie wieder ins Bett gelegt hatte, und sie um so vieles beßer schien – es war gegen 4 Uhr Nachmittags – ich konte nicht an ihrer Rettung verzweifeln ... Gegen 8 Uhr ... ein zweytes warmes Bad – in das ich sie mit einer schrecklichen Anstrengung meiner selbst noch zu sezen die Kraft hatte, indeßen alles zitterte für das Leben des theuren Lieblings, und Lotte in einen heftigen Anfall von Schlucken und convulsivischen Bewegungen sinnlos auf der Erde lag – starke Dosen Moschus – alles wurde gebraucht – von meiner Seite ohne Erwartung – vermuthlich auch von den übrigen. Ihre Krämpfe äußerten sich nicht in Zuckungen, nur in einen leisen Dehnen, auf welches Steifigkeit folgte.

Ich war thätig, bis ich nichts mehr zu thun fand – dann sezte ich mich neben Lotte aufs Canapee – meine Rose wurde still – die Malsburger und Breidenstein knieten vor ihrem Bett – keins von den Mägden war gegenwärtig – alles wurde still – und ich wünschte sehnlich, daß doch diese Stille nie möchte unterbrochen werden. Ich bebte vor dem Augenblick, wo ich, bewegungslos mit festgehefteter Seele – mich wieder bewegen müßte. Wo bist Du, Geist der Schlummernden? Die Frage trat mir nahe unter Bildern, unter Ideen, von welchen die eingeschränkte Menschheit nur dumpfen Sinn hat – und wenn sich diese Dumpfheit mit Sehnsucht nach deutlichem Wißen mischt – und in denselben Vorstellungen auch das Gefühl des Verlustes erwacht – meine Brust arbeitete entgegen mit der Gewalt – die ich wohl kenne – allein ganz so noch nicht übte – Ich blieb mit Lotten zulezt allein und rief nun die Leute, damit sie des Nachts bey der Entschlafnen wachen sollten. Sie kamen, und wußten noch nicht, daß sie todt war. Ob ich nachher schlief oder wachte, weiß ich nicht. Ich blieb ruhig – Auguste beschäftigte mich sie schien es gar nicht zu merken – sie ging allein in die Stube – kam wieder heraus ohne weitre Äußrung, endlich sagt ich ihr, daß Röschen nun nicht mehr mit ihr spielen könte. Da brach es aus – sie schriee mit einem beynah wiederwärtig heftigen Ausdruck: das solst Du mir nicht sagen, Mutter! als wenn sie es vor sich selbst hätte verbergen wollen bis dahin. Ich kan Dir das eigne davon nicht beschreiben – es schien innre Tiefe mit einer so sonderbaren Gedankenlosigkeit verknüpft – ich konte nicht wahrnehmen, daß etwas in ihr arbeitete – und doch, wenn es auch nachher wieder zu Thränen kam, schien es Ausbruch verhehlter Regung zu seyn. Jezt mischt sie viel kindischen Leichtsinn in ihre Errinrungen, welche sehr häufig kommen. Sie ruft Röschen – sie sagt: ich sehe sie, sie will nicht kommen, sie ist bey ihren Vater.

Ich brachte den übrigen Tag in einer Gleichgültigkeit zu, in welcher ich mir nicht ganz bewußt war, wie viel ich dazu beytrug sie zu erhalten – die Erschöpfung sagte es mir. Ich war am Abend so matt, daß ich nicht gehn konte, und wie [ich] ins Bett kam, wurde mir sehr übel, und ich hustete Blut, welches die ganze Nacht anhielt, und worauf eine große Schwäche folgte. Ich gewann aber meine Kräfte bald wieder, und ward wenigstens nicht unthätig. Meine Gesundheit ist seit dem gewesen, wie Du es Dir bey meiner Constitution denken kanst – nur litt meine Brust und zog sich so zusammen, daß ich nicht grade sizen konte, und mitunter kam immer etwas Blut, welches vermuthlich davon herrührte, daß es sich im Unterleib angehäuft hatte. Es ist mir jezt doch erträglich zu Muth – ich bin zweymal spazieren gegangen – und mein Husten ist nur krampfhaft – die freye Luft stärkt meine Brust wieder ...

Lebe wohl, ich kan nicht mehr schreiben. Die La Roche schreibt mir heute, daß sie Dich erwartete – Du bist also vermutlich da gewesen. Sage Theresen, daß ich ihr wohl mit nächsten Postag schreiben werde – weil ich gern will. Gott erhalte ihr, was ich nicht habe, und was- nicht mehr zu haben, ich nie schwächer fühlen kan, da ich es mit voller Besonnenheit fühle. Nur noch ein Kind – und das holde, das mir so viel süße Erwartungen gab – hin – mit allem, was ich für sie hätte thun können.

*

30. An Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer

Marburg d. 11. Juli [1719]

Wenn Ihr Weg sich einmal durch meinen Wohnplaz kreuzt – wenn der Pilger, der es so fremd findet, daß ich Theil an ihm nehme, an die Thür klopft, die zwar nicht mein ist – denn ich habe ja so wenig ein Eigenthum wie er – die ich ihm aber doch öffnen kan, und ihn neben mir ausruhen heißen darf dann werd ich ihn über vieles gern hören wollen, und ihm manches zu sagen haben. Ich wünsche das innig, weil ich Sie ganz kennen und nicht eine falsche Vorstellung mit der andern verwechseln möchte. Kan man so getrennt, so entfernt je die richtige faßen? Lieber Meyer, Abwesenheit ist der Tod der engsten Verbindung – man hört auf sich zu verstehn sollte man sich in ihr verstehn lernen können? Es ist möglich, daß der Grund dazu gelegt wird – zumal in unserm Fall, da uns außerdem nie ein ununterbrochner, ungestörter Umgang vergönnt war – ich meine auch davon hier überzeugt zu seyn – eine Ursache, um desto inniger zu wünschen. Sie würden mir nüzlich seyn, denn Sie kennen die Welt, ohne daß Ihre Erfahrungen Sie über die Begriffe, nach denen man sich selbst in ihr zu regieren hat, gleichgültig machten, und ich bedürfte den Rath eines solchen Mannes. – Ich wäre Ihnen wohlthätig – denn Sie würden das Gute überwiegend finden, und in den Abweichungen eine milde Gleichheit wieder erkennen – in der Geschichte Ihres Lebens darf keine Stunde, die Sie so zubrächten, übersehn werden. – Allein darum haben Sie sich schon betrogen, daß Sie meinen Rath einer fremden Eingebung zuschrieben – und wirklich – warum sollte er sich nicht mit mir vereinigen laßen? So lange das Leben Ihnen lästig ist – warum es endigen? Das war ein Muthwillen, der sich nur nach Erschütterung und Veränderung sehnt. Sie werden dann morgen wie heut Menschen finden, mit denen Sie das Vergnügen Ihres Daseyns theilen. Vergnügen ist Nutzen – wer möchte unternehmen die Gränzen zwischen beyden zu bestimmen? Ich halte also nicht das anscheinend unbestimmte Ihrer Lage für das Unglück, welches nur in den Flammen zu ersticken wäre. Aber ich glaubte die Möglichkeit eines Zeitpunkts voraus zu sehn, wo die Fülle der Vergangenheit einen zu schneidenden Contrast mit der Aussicht ins Künftige machen könte – wo eine lange Arbeitslosigkeit Ihren Geschmack an Anstrengung zu sehr geschwächt haben möchte, um neue Welten zu erschaffen, und alsdann war das Ihre Zuflucht, was ich mir unter manchen Umständen, auch für mich, als den lezten glücklichen Augenblick – als das lezte Auflodern jugendlicher Kraft denke. Wenn diese Idee in der Anwendung auf Sie unrichtig war – wohl! so wird mir leichter – denn der Gedanke an Sie lag zu Zeiten schwer auf mir. Ihre Sorglosigkeit war mit zu vielen Rückblicken vermischt, als daß ich sie hätte für so rein halten können, wie meine heitre Ergebung. Und der Ton Ihres lezten Briefs war auch noch nicht der, welcher Ihre Freunde beruhigen durfte. – Ich tadle Sie nicht – Sie fühlen mit männlichem Wiederstand, wo sich der weibliche Geist hingiebt, und im Hingeben neuen Genuß entdeckt, und oft Beschäftigung statt herber Kränkung findet. – Mancher scheint bestimmt vom Zufall nichts zu hoffen und alles zu fürchten zu haben – und ich habe Ihnen längst gesagt, da geb ich Ihnen als Bruder die Hand. Muß aber nicht die Folge unsers eignen Wesens vom Zufall unterschieden werden? Wer da fordert, daß die Menschen von ihrem eigenthümlichen Weg abweichen sollen, begehrt nicht die Gunst des Geschicks, sondern Wunder vom Himmel. Ihnen ists Prinzip, das zwar nicht von der Gerechtigkeit eingegeben ist, allein dennoch auf eine weise Vertheilung abzweckt, für den unbedeutenden immer mehr wie für den bedeutenden zu thun. Mit dem besten Willen wißen Sies nicht beßer einzurichten – Sie sezen sich leichter an die Stelle des ersten, und der lezte scheucht Sie zurück – ja Sie vergeßen nicht selten über den Antheil an ihm, daß etwas für ihn zu thun ist, und über die Unabhängigkeit, die Sie in ihm entdekken, daß er etwas bedürfe. – Ich will nicht predigen – nicht trösten – Ihnen nur sagen, wie ichs ansehe. Es giebt viel andre Seiten, die ich nicht falsch zu nennen wagte – wenn sie nicht das Uebel vermehrten; der Veranlaßungen manche, wo es mir auch kostet diese zu behaupten. Doch bleibt der feste Wille Sieger – er hat ja das Begehren nach Freude mit in sein Intereße gezogen. Göttern und Menschen zum Troz will ich glücklich seyn – also keiner Bitterkeit Raum geben, die mich quält – ich will nur meine Gewalt in ihr fühlen. Wenn es gelingt, dann ergreift sich das kindische Herz wohl noch auf einer süßen Regung des Danks gegen die Mächte, denen es Troz bot. Das ist eine täglich wiederkehrende Geschichte. Ich habe Gelegenheit mich zu üben – die Zeit der Ruhe ist die der höchsten Unruhe für mich, weil sie statt des Ungemachs mir die Furcht desselben giebt. Das Detail davon ist nicht zu geben, auch wenn ich wollte und möchte, nur das glauben Sie: unter den tausenderley Mischungen von Menschenschicksaal kan nicht leicht eine peinlicher seyn – es ist so, daß ich mir kein Verdienst daraus mache sie zu ertragen – das wahre liegt darinn, sich ihr zu entreißen – und binnen eines Jahres muß das auch geschehn. Bis dahin nehm ich, wie bisher, die nächsten Verhältniße für die fremdesten, da ich nicht mit Liebe in sie eingehn kan – und was ich in Rücksicht auf sie thun muß, ist der Gegenstand meines Spottes – freylich eine ermüdende Zeitkürzung. Sie umzuändern ist nicht möglich, ich entziehe mich ihnen also, so oft ich kan – indeßen halten mich meine kleinen Beschäftigungen, die Frohheit meines Kindes und meine Erinnerungen hin – die beständig gegenwärtige Uebersicht des Ganzen hütet mich vor Ermattung – und dann und wann begeistert mich ein Projekt für die Zukunft, das mich mit schönen Erwartungen für den Augenblick täuscht, ohne den Mismuth fehlgeschlagener Erwartungen in seinem Gefolge zu haben – mit lächelndem Sinn entdeck ich den Betrug, eh er sich festsezen konnte. Das Unmögliche bleibt Vorstellung – das Mögliche wird Entschluß. So bin ich mit beklemmter Brust, und mit freyeren Athemzügen – War ich immer so? nein, ich habe manchen Pfad des Schauens und Glaubens und Unglaubens betreten, eh ich zu diesem reineren Gottesdienst zurückkehrte – zurück – denn gegründet lag er immer in dem sanften Muth meines Herzens – meine Handlungen folgten diesem Zuge, wenn auch meine Denkart wechselte – und wenn gleich nicht stark genug, stets die Feßeln eines wiedersprechenden Emflußes zu brechen, fand ich doch mir selbst überlaßen den Weg bald, den ich nach einmal erlangter Freyheit unverrückt gehn werde. – Entsagungen waren und bleiben nothwendig, um so zu genießen also werd ich nicht weichlich werden. Aber Genügsamkeit allein kan mich nicht befriedigen – sie wäre nur Begränztheit, wenn nicht die Quellen nur vertauscht würden, aus welchen der Beßre am unersättlichsten zu schöpfen trachtet.

Sie nennen unter den Orten, die Sie auf Ihrer Reise nach Hamburg berühren werden, einige, die meinem verwünschten Schloß so nah liegen, daß Sie es kaum vermeiden können – und sagen mir nicht, daß ich Sie sehn soll? Ich soll also bitten, denn warum Sie mir aus dem Weg gehn wollten, das wüßt ich nicht. Wenn dies Blatt, mit welchem ich mich wieder verspätet habe, nicht der rechten Zeit verfehlt, so rechne ich auf Ihre Erscheinung. Finden Sie die Verspätung nicht wunderbar – es kostet mir Ueberwindung zu schreiben, wo es nicht so ganz in den täglichen Faden meines Lebens verflochten ist – es macht mich ungeduldig, deutliche, lange gefaßte, stündlich ausgeübte Ueberzeugungen hinzuwerfen, oder von einem herzlich innigen Gefühl zu erzählen. Allein laßen Sie sich darum nicht abschrecken – das Geschäft wird mir, Ihnen gegenüber, immer leichter werden. – Jezt arbeiten manche Ideen in meinem Kopfe, die ich Ihnen mittheilen würde, um die Ihrigen dafür zu hören – ich denke ernstlich an eine Veränderung meines Aufenthalts – aber das wie und wo liegt noch in Dämmerung. Eingeschränkt wie ichs bin, muß irgend eine Spekulation der Ausführung vorhergehn, nur abendtheuerlich darf sie nicht seyn. Der Muthwillen meines Geschmaks würde mich leicht dazu hinneigen – die späteren Folgen und Rücksichten für andre, für mein Kind, halten mich zurück. – Meine Weltkentniß reicht nur hin, mich über nichts erstaunen zu laßen, und in alles mich zu finden – nicht um vorherzusehn. – Meine Menschenkentniß betrügt mich noch oft – und leider um so öfter, je näher mir der Gegenstand meines Unheils steht – ich bin allein – ohne schüzende forthelfende Verbindungen – meine Freunde fordern Rath von mir – es fällt ihnen nicht ein, mir welchen zu geben – dem sich selbst überlaßnen Weibe. Sie haben in so fern recht, daß ich mich von jeher gewöhnt habe, nicht auf Hülfsmittel zu bauen, die ich nicht in mir selbst fand. – An einen völlig unbekanten Ort kan ich mich nicht wagen – ich habe etwa zwischen Gotha, Weimar und Mainz zu wählen – und dann da meiner Existenz, die ich eignen Bemühungen verdanke, den möglichst anständigen und anziehendsten Anstrich zu geben – das erste für andre – das lezte für meine eigne Fantasie. – Mainz hätte zwey große Anlockungen – die Gegend und Forsters, aber es ist auch weniger geschickt, weil es der Veranlaßungen zu Depensen und Prätensionen zu viel hat und weil ich – nicht aus Ehrgeiz, sondern weil ich fühle, daß es so am besten für mich ist – meinen eignen Weg gehn muß. Kan man das – und Therese lieben – kan mans, und sie sich erhalten wollen? – Damit verdamme ich sie nicht – was von ihrer Gewalt zeugt, zeugt nicht gegen sie – auch Ihre Aussage nicht, mein lieber Meyer! Sie können recht in manchem haben und sie ist nicht verdammenswerth – Sie sind aber in vielem ungerecht – und wer ists dann? – Sie sind ungerecht wie ein Mann! ich höre nicht auf Sie. Therese kan dem Bild gleichen – das Bild ist doch nicht sie – warum zeichnen Sie aus dem Hohlspiegel, der den erlauchten Fremden auf der Göttinger Bibliothek vorgewiesen wird? Einige Beschuldigungen können gegründet seyn – als wüßten Sie nicht, daß bey vielem Licht starker Schatten ist! Ich möchte sie einzeln durchnehmen – wenns nicht zu weitläuftig wäre. Beurtheilten Sie sie immer so, oder kennen Sie sie nicht mehr? Vielleicht ist sie verändert – genug, sie ist so wenig, was Sie aus ihr machen, daß sie vielmehr Ihren Umgang genuzt zu haben scheint. Ihre Unglückssucht – in der Sie die convulsivischen Bewegungen einer großen Seele nicht verkennen werden – hat sich in Liebe zu häuslichem Frieden verwandelt – sucht sie sich durch den sanfteren Hang nur über die innere Unruhe ihres Herzens zu täuschen – was kan sie dafür? aber liebenswürdig, wohlthätig ist sie in dieser Erhohlungsstunde. Wo sie das lezte nicht ist, da steht ihr ein Grad von Energie im Weg, der ihr verbietet tolerant zu seyn. Wo sie drückt [?], da ist sie mehr wie andre. Es ist keine Vereinigung mit ihr möglich, außer wo Wahn und aller Trug der Liebe hinzukommt – was ihre Zusammensezung darinn den Menschen entzieht, giebt sie in sonst nie gekanntem Maaß dem einzelnen wieder, der die individuelle Stimmung hat, sich ihr hinzugeben. Sie ist wenigen alles – soll sie lieber vielen etwas seyn? Mir ist sie das interreßanteste Schauspiel, und es wiedersteht mir zu denken, daß ich ihre freyen Wirkungen hemmen wollte – nur das wäre bey der Cur gewonnen, die Sie vorschlagen – ein Mann, wie Sie ihn beschreiben – aber freylich unrichtig bezeichnen – denn die Vereinigung zwischen diesen beyden müßte fürchterliche Folgen haben, oder in drey Tagen aufgehoben werden. Wie werden Sie einst über seine Stumpfheit erstaunen! – Könt es Ihnen Freude machen ein außerordentliches Geschöpf von kleinen Leidenschaften geneckt zu sehn? Das hätte ein solcher Mann in seiner Gewalt – mehr nicht. Therese ist ihrer fähig, wie der erhabenste Mensch, weil er Mensch ist, dem Loos der Unvollkommenheit nicht entgeht – ein mittelmäßig gutes und solides Weib wird vielleicht die Klippe der Eitelkeit vermeiden, wo sie es nicht thut. Ihre Kühnheit dabey löscht die Schwäche darinn aus. – Mit wenigen Gaben kan der verdienstloseste unter euch die vorzügliche unter uns feßeln, durch Ungewißheit, durch Beweggründe, die man um ihrer Geringfügigkeit willen zu überwinden nicht der Mühe werth achtet, deren Aufopferung in der Seele kein Gleichgewicht, im Bewußtseyn der dabey angewendeten Stärke, findet. Der denkende Mann wird ohne Anstrengung erobert – der Thor durch Reize, denen wir, weil sie uns fremd sind, weil sie einer gewißen Verdorbenheit der Einbildungskraft, die in unserer Kühnheit gegründet ist, schmeicheln, nachstreben. Das alles liegt im Umfang unserer Empfänglichkeit – diese in unserer weichen Organisation – o was wolt Ihr doch? – Gestehn Sie mir – Sie haben aus dépit so gesprochen – ich würde es an Ihnen lieben – wer des dépits noch fähig ist, deßen Gefühle sind nicht abgeschliffen und können noch reich an Freude für ihn werden. – Sie schreibt nicht mehr – darum hat sie Unrecht gegen Sie. – Uebrigens ist sie wohl und ihr Wochenbett glücklich vorüber – wahrlich jedes derselben ist auf alte weise eine Selbstverläugnung, die ihr nicht vorgeworfen werden müßte. Sie hat ein Mädchen, das Luise heißt. – Wenn ich gleich Bedenken trage, neben ihr zu leben, so wird sie doch ihre Vertheidigerin an mir nicht verlieren – und wenn ich auch wüßte, daß sie die meinige nicht in gleichem Fall wäre, so muß ich sie doch lieben. Eben weil ich so an sie gezaubert bin, komt es mir in den Sinn, sie zu fliehn. – In Gotha herschen noch alle gute Vorurtheile für mich, und ich kan mir einen Ruf geben, wie ich ihn zu meinen Absichten brauche. Weimar ist in der Nähe, wo es allerley industrieuse Leute giebt, die meine Hand- und Kopfarbeiten brauchen können. Schreiben Sie mir etwas darüber. – Ich wollte, Sie wären in Paris und könten mir sagen, wie es dort seit der verunglückten Flucht des Königs aussieht, welche Häupter das Volk leiten, das sich von Freyheit begeistert dünkt, und ob sich die würzenden Wellen verhaßter Uebertreibungen bald legen werden. – Hätt ich noch Plaz, so schrieb ich Ihnen litterarische Dinge – von Schiller, der Bürgern um alle menschliche Ehre recennsirt hat, und Bürgern, der sich nur durch Ironie zu helfen weiß – eine Waffe, die in den Händen der meisten Schriftsteller, weil sie meistens Männer sind, verunglückt, und à plus forte raison in der seinigen – auch von Bürger dem Ehemann, an dem sich die Schatten seiner seeligen Frauen in der lebendigen rächen – von Schlegel, der in Amsterdam gut ißt und trinkt und Hofmeister ist – aber Sie sehn, ich muß enden. Leben Sie wohl.

*

31. An Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer

Göttingen d. 6 Dec. [17]91

Es war eine Unbesonnenheit von mir, lieber Meyer, Hrn. von Launay diesen Brief zu geben, und ihm überall einen für Sie zu geben; aber – ich hoffe in meinem 80sten Jahr noch welche zu begehn, wenn ich nicht so glücklich bin vor dem 40sten zu sterben. – Das kan ich nun gar nicht leugnen, daß der Ton Ihres Briefs ein wenig verdroßen ist – allein Sie zu bekehren, ist meine Absicht nicht. Ich weiß wohl, daß man dies nicht in Briefen thut – ich werde mir nur eine warnende Lehre aus Ihrem Beyspiel nehmen. Könt ich Sie sehn – wohl – meine Heiterkeit würde Sie nicht berauschen – es war also etwas davon zu hoffen. Sagen Sie mir, ist es denn gar nicht möglich, ehe ich dahin gehe, wohin Sie nicht kommen? – Das ist für diesmal weder der Himmel noch die Hölle, sondern Mainz, ein Ort, wo Menschen wohnen, also ein Mittelding zwischen beyden. Ich wage mich mit getrostem Muth dahin, denn eine kleine Neigung hab ich doch zu Unternehmungen, die wie eine Aufgabe aussehn, und wenn ich nicht viel ausrichtete, wenn ich nichts besonders zum Fortgang brachte, so bewirkte ich doch wohl einen kleinen Stillstand, und blieb selbst ganz unverändert. Vielleicht werd ich Theresen nüzlich, und das wird mir viel Freude machen, denn ich weiß sehr gewiß, daß ich ihr nur edle Dienste leisten werde, und die Unabhängigkeit, welche ein Bedürfniß für mich geworden ist – nicht als Meubel des Luxus, sondern des Gebrauchs – nicht dabey leiden kan. Ihre Gesundheit leidet, das ist nur zu wahr – Forster ist unerträglich – das ists nicht minder. Sie haben ihr jüngstes Kind an den inokulirten Blattern verlohren. – F. sorgt indeß für Ersatz, und das ist zehnfach ärger – und wenn Sie das nicht für ein Leiden halten, wenn Sie F. billigen können, der doch wißen muß, daß er seines Weibes Herz nicht besizt, – nun so sind Sie ungerecht – wie die Männer alle. Aber was streite ich noch mit Ihnen darüber – ist es nicht einerley, was Sie glauben, wenn Ihr Herz sich wohl dabey befindet? Ich will Ihnen nicht einmal verhehlen, daß ich von Ihrem Glauben genommen, was mir dienen konte, und der lezte Götze, den ich mir nicht freywillig dazu erkohr, gestürzt ist. Auf ihre Freundschaft hab ich nie gerechnet – es giebt keine unter Weibern – ich zweifle selbst daran, daß sie mir recht aufrichtig gut ist – doch muß sie mich achten, und das thut das nehmliche – ich bin eine Art von Nebenbuhlerin, ohne meine Rechte geltend zu machen – das ist heilsam – und ich liebe sie, weil sie mir merkwürdig ist, und es bleiben wird, wenn sie mir auch nicht mehr neu ist. Außerdem ist Mainz eine Stadt, wo ich unbekant leben, und neben einer gewißen Einsamkeit Vergnügungen des Geistes und der Sinne genießen kan. In Gotha hab ich unausstehlich viel Verbindungen, die mir viel Zeit rauben würden, und haben die Lieben nicht gezeigt, daß sie sich schlecht genug auf mein Glück verstehn, um mich in der mir nothwendigen Lebensweise allenfalls zu hindern? – Da geb ich Ihnen Rechenschaft wie über den Mann Gottes! Ich thu es gern, weil ich wünsche Ihnen nicht fremd zu werden. Es kan seyn, daß wir immer getrennt bleiben, und die Blüthe eines wohlthätigen Zutrauens nie Früchte bringt, aber sie ist mir doch lieb – jeder angenehme Augenblick hat Werth für mich – Glückseligkeit besteht nur in Augenblicken – ich wurde glücklich, da ich das lernte. Darum, wenn ich Sie auch nur auf kurze Zeit sehn sollte wie gern würd ich es! Ist denn kein Mittel? Sie kommen nicht an diesen verhaßten Ort – Sie gehn nach keinem, der auf meinem Wege liegt? Wenn nun die Anschläge glückten, welche man für Sie gemacht hat – wär es denn nicht thunlich? Ich weiß ohngefähr, wohin es dann geht, und wünsche herzlicher wie Sie, daß es gelinge. Es ist Ihnen gleichgültig, weil Sie es entbehren können – es würd es weniger seyn, wenn Sie es besizen. Auch darüber hilft das Reden nichts – aber glauben Sie mir, mein lieber Meyer – die Zeit wird mir bis zur Entscheidung so lange dauern, wie sie Ihnen verdrießlich ist. Ich würde Theil daran genommen haben, wenn wir uns auch nicht näher gekommen wären, wie wirs vor 8 Jahren waren und werde fortfahren es zu thun, wenn ich in langer Zeit nichts von Ihnen vernehme. Wenn das Sie wundert, so möcht ich wohl fragen, wo die Geseze geschrieben stehn, die Sie dazu berechtigen. – Ich verlaße Göttingen in diesem Jahr noch nicht, vermuthlich erst im Februar des künftigen, so ungern ich hier – das heißt doch noch mehr, so ungern ich in diesem Haus bin – aber die Mutter glaubt, ich könne meinen Schwestern nüzlich seyn – und so lange ich ohne Nachtheil für meine Kleine und mich kan, will ich ihren Glauben ehren. Lottens Schicksaal ist in einer Krisis, wo ich etwas thun konte – gebe der Himmel einen guten Ausgang, jenseits reichen meine Augen nicht, wie es auch seyn möge. Die Folgen einer unrichtigen Erziehung liegen traurig am Tag – alle Anlagen, die da waren, zeigen sich nur in verkehrten Wirkungen – das bischen Verstand mehr ist Eigenliebe und Thorheit, und die Vorurtheilslosigkeit – Schlaffheit geworden. – Ein genauer Umgang mit einer gewißen Madam Bürger ist den beyden Mädchen jezt wieder sehr unvortheilhaft gewesen! Frau Menschenschreck! Du kenst die Menschen, Du hast wahr prophezeiht! Es ist ein kleines niedliches Figürchen, mit einem artigen Gesicht und Gabe zu schwazen – empfindsam wo es noth thut, intriguensüchtig im höchsten Grad – und die gehaltloseste Coquetterie – der es nicht um einen Liebhaber so wohl – ohngeachtet sie auch da so weit geht, wie man gehn kan – sondern um den Schwarm unbedeutender Anbeter zu thun ist, die ihre ganze Zeit damit verdirbt, und den Kopf dabey verliert. Mir thuts sehr weh für Bürger – eine vernünftige Frau, seinen Jahren angemeßen, hätte ihn noch zum ordentlichen Mann gemacht – aber jezt droht seiner Haushaltung ein völliger Untergang, weil sie sich um nichts bekümmert nicht einmal um ihr Kind – den kleinen Agathon, der, seit die Leute sich nicht mehr über den Nahmen wundern, von aller Welt und von der Mutter vergeßen ist. Nicht ein Funken mütterlich Gefühl in ihr! Sehn Sie, Meyer – darum müßen Weiber keine Liebhaber haben, weil sie so leicht Kind und Wirthschaft darüber vernachläßigen. Ich könte Ihnen hiervon Anekdoten erzählen, die mir die Thränen in die Augen gebracht haben – mein innerster Unwille wird reg, wenn ein Weib so wenig Weib ist, das Kind vergeßen zu können, und wär ich Mann, ich möchte sie nicht in meine Arme schließen. Bürger fühlt alles und weiß sich nicht zu helfen – ist es denn so schwer Mann neben euch zu seyn? sagte mir Tatter. – Er wird eigentlich stupide neben ihr – ist still – und starrt mit abgestorbnen Augen in das Wesen hinein. Neulich klagte ers mir bitterlich, daß er so gar keinen Geist mehr habe – kommen Sie doch ihn wieder aufzuwecken – vor ihrem Nez sind Sie sicher – ein gescheuter Mann war bis jezt noch nicht darinn. Ach dann wärs ja zu verzeihn – denn daß ich nicht aus Intoleranz so urtheile, versteht sich wohl. Mein Liebesmantel ist so weit, als Herz und Sinn des Schönen gehn.

Nun sagen Sie mir noch, was ich für einen Brief geschrieben habe, der nicht an Sie war, und den Sie lasen, und der Bezug auf Sie und wiederum Bezug auf »die Liebliche« hatte (meine Grüße nach Gotha lauten immer an die Stattliche, die Liebliche und die Gute). Ich errinre mich nichts dergleichen, aber wißen muß ich es, denn ich möchte gern »falschen Scharfsinn« verlernen. Amalie ist sehr liebenswürdig – wir sind was wir einem Manne scheinen – ich sah sie mit Wohlgefallen, weiß aber sonst wenig von ihr – mit solchen Menschen muß man eine Weile leben, um ihrer froh zu werden. Ich sagte Wilhelminen eine Stelle aus dem Schauspiel Juliane in Schillers Thalia – über welches ich Ihr Urtheil wißen möchte. – »Gieb dieser Blume Liebe, und so wie sie heute sich meiner Freude an ihrer Pracht erfreut, so wird sie morgen sich ihrer blühenden Nachbarin freuen«. Liebe! es braucht nicht eben die zu diesem und jenem Mann zu seyn. Zwar, lieber Meyer, denken Sie nicht, daß ich diese verleugne – ich habe die Furcht nicht – denn wär mein Gefühl schon weniger frey – die Eifersucht es zu verbergen könt ich wohl haben, wenn ich fürchten müste es zu entweihn – aber Ihnen hab ich nichts verhelen wollen – ich habe nur nicht erzählt – und damit leben Sie wohl.

Launay hat mir einen Brief über das Theater geschrieben, wollen Sie das nicht auch thun?

 

8. Dec.

Dies blieb wieder meinen guten Willen noch einen Postag liegen, und so hab ich noch Gelegenheit Sie erstlich zu bitten, daß Sie Launay nicht etwa gesprächsweis etwas von meinem Urtheil über die Bürger sagen sollen – car il est un des amateurs – und zweytens – Sie möchten mir oder einem Ihrer Freunde, die ich auch kenne, als Gotter oder Bürger, eine Erläuterung des lezten Seufzers des Opfers ihrer Kunst geben – denn ob ich gleich fest behaupte, daß in den lezten Zeilen von der Dreyfaltigkeit die Rede ist – so verdünkt es mich doch, als wäre der Commentar nicht so grade zu einem sittsamen Frauenzimmer vor Augen zu legen – und jene sind auch im Dunkeln darüber. Ein andres Ihrer Gedichte – wer nicht kan was er will – verstehe ich sehr gut, und habe es sehr lieb. Was halten Sie aber überhaupt vom 92ger Allmanach?


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