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II. Briefe aus Clausthal

1784-1788

»...die Liebe giebt mir nichts zu thun als in leichten häuslichen Pflichten ... Auch bin ich keine mystische Religions Enthousiastin – das sind doch die beyden Sphären, in denen sich der Weiber Leidenschaften drehn. Da ich also nichts nahes fand, was mich beschäftigte, so blieb die weite Welt mir offen – und die – machte mich weinen.«

*

12. An Luise Gotter und Wilhelmine Bertuch

Clausthal d. 9. Jul. 1784

Hier siz ich in einer ländlichen Laube meines neuen Gartens, und bin ganz bey Euch, meine Besten. Die Einsamkeit von einigen Stunden, beynah die ersten seit so langer Zeit, sey Euch gewidmet. Wenn ich Euch hier bey mir hätte, und statt des langweiligen Schreibens, bey dem so unendlich viel verlohren geht, erzählen könte! Denn wie ich Euch durch 4 solche Wochen hindurchführen werde, mit der Feder, weis ich nicht. Erspaart mir wenigstens die Geschichte meiner Empfindungen; was sie waren, könt Ihr aus dem Geschehen errathen, und wie – kan ich doch nicht beschreiben. Welch einen Taumel von Liebe, Freundschaft und Glück hab ich durchlebt, und mit welcher süßesten Wehmuth – immer die Gränze, wo Schmerz und Freude sich treffen – mit welchem Dank genoß ich ihrer.

Es war wohl unnatürlich, wenn eine junge Frau nicht beym Hochzeitstag anfienge. Meiner war ganz schön. Böhmer frühstückte bey mir, und diese Morgenstunden waren mit der frohsten Heiterkeit bezeichnet, mit einer Ruhe, die blos aus der vollen Üeberzeugung glücklich zu machen und glücklich zu seyn entstehn konte. Keine hochzeittägliche Furcht – nur die Seelen tauschten sich um. Mein Bruder kam. Wir blieben bis 11 beysammen, und beym Abschied segnete er uns durch Thränen ein. Unter Tisch ließ ich mich friesiren, Friederike und Lotte banden indeß den Brautkranz von natürlichen Myrthen. Dann redte ich noch mit meinem Vater und zog mich an. Während dieser Zeit schickte mir die liebe Meiners schöne selbst gestickte Strumpfbänder nebst einen Billet, verschiedne meiner Freunde schrieben mir, und zulezt bekam ich die Silhouette von Lotte Nieper und Friederike in ganzer Figur auf Glas gemahlt, beschäftigt den Brautkranz zu winden. Wie ich mit meinen Anzug fertig war, war ich eine hübsche Braut. Der Saal war durch meiner Mutter Hände allerliebst zurechtgemacht. Nach 4 Uhr kam Böhmer und die Gesellschaft, die aus 38 Personen bestund. Dem Himmel sey Dank, alte Onkels und Tanten waren nicht dabey, sie war also sehr viel erträglicher, wies bey solchen Gelegenheiten zu seyn pflegt. Ich stand da von meinen Freundinnen umringt und dachte das am lebhaftesten, welch ein Zustand der meinige seyn müste, wenn ich den Mann vor mir nicht liebte. Mein Vater, der noch beyweiten nicht ganz gesund war, führte mich vor den Prediger, und in diesen Augenblick sah ich mich nun neben Böhmer auf mein ganzes Leben, und zitterte nicht! weinte nicht während der Trauung! aber wie sie vorüber war, und Böhmer mich mit aller Gewalt der stärksten Liebe umarmte, und Eltern, Schwestern, Brüder, Freunde mit Wunsch, Seegen und Liebe mich begrüßten, wie noch je eine Braut begrüßt worden, mein Bruder außer sich war vor freudiger Rührung, da schmolz mein Herz und strömte über von Seeligkeit.

Das übrige des Tags sah kaum einer Hochzeit ähnlich, so ungezwungen war alles. Hofrath Feder versezte die Theilnehmung in einen rauschähnlichen Zustand, der wenigstens 8 Tage dauerte. Schlözer, der wirklich mein Freund ist, wie ers von wenig Menschen seyn mag, sah aus wie die Freude, meine Leßen, Niepern und mehrere – Ihr könt Euch die Freundschaft kaum denken, mit der man unsern Tag feyerte. An alberne Ceremonien, nicht einmal Strumpfband, war irgend zu denken. Am folgenden Morgen ward ich durch ein Lied vor der Thür geweckt, und sah mich sogleich von der ganzen Schwesterschaar umgeben. Bis Mittag war Gesellschaft da, und um 4 fuhren unsre beyden Familien zu der Leßen, wo diese und die Meiners uns ein kleines Fest geben wolten. Nach dem Caffee führt mich Leß in den Garten, und hier ward ich so entzückend überrascht, daß ichs jezt noch fühle. Die Leßen stand am Eingang mit ihrem Sohn, der wie Hymen gekleidet, ein Körbchen mit Blumen in der Hand, die er streute, uns zu der entgegenstehnden Laube führte, in der ein Thron von Moos und Blumen mit hohen Stuffen, einem Thronhimmel, Ehrenpforte, und wie nenn ich das alles? errichtet war. Hinter einen kleinen Gebüsch stand ein Harfenspieler und Sänger. Wie wir uns sezten, sangen sie:

Die Liebe, die dies Paar entzündet etc.

Auf einem Thron von Blumen findet
es stets die Kunst beglückt zu seyn etc.

Mit welchen Gefühl ich in Böhmers Arme sank, das weis Gott! Die Liebe dieser vortreflichen Menschen legte mir neue heilige Verbindlichkeit auf, gut zu seyn. Es war ein herrlicher Nachmittag, der mein Herz so erschöpfte, daß ich Abends recht gern in einer unbedeutenden Gesellschaft bey Osann war. Die Meiners und Leß waren die Schöpferinnen des schönen Auftritts. Leß segnete Böhmer und mich – Meiners war bis zu naßen Augen gerührt. Wenn ich Euch alles sagen wollte, Lieben, wie die besten Seelen unsre Verbindung gefeyert haben, wie man so ganz allgemein Theil dran nahm, von allen Seiten sich drängte es uns zu bezeugen, so würdet Ihr glauben, es war zu viel, wie ichs selbst dachte. Böhmer ist sehr beliebt hier – ich interreßirte viele – die Familienfreude war solch ein freudelockender Anblick, und so zogen wir beynah die ganze Stadt mit unsern Glück fort.

Donnerstags gab mein Bruder ein großes Dejeunée von 40-50 Personen in des Onkels Garten. Hier waren Heynens und Blumenbachs. Wieder ungewöhnliche Bezeugungen von jedermann. Die Heynische Familie interreßirt sich so wahrhaftig für mich, sogar der Alte kam expreß mir Glück zu wünschen, Blumenbach nahm Böhmer allein, redte ihm so viel zu meinem Lobe, war so gerührt – die Leute hatte zuverläßig eine Art von Schwindel ergriffen, und dergleichen ist dann ansteckend. Wir tanzten. Mein Bruder macht den Wirth wie sonst niemand; er streut das Vergnügen mit vollen Händen aus.

Bey Böhmers waren wir zum Souper. Eine Gesellschaft an zwey Tischen. Das war ein englischer Abend! Du soltest den alten herrlichen Vater einmal sehn. Bey Tisch ward ich unter dem Vorwand der Hitze hinaus in den Garten complimentirt bis in die Clause des Profeßors, wo eine kleine Illumination brante, mit dem Spruch: wohl dem der ein tugendsam Weib hat, des lebt er noch eins so lang. Eine artige Idee vom Einsiedler. Wie wir zurückkehrten, kam der Punch, und Punch und Freude ließ uns die halbe Nacht im schönsten Rausch hinbringen. Was ist doch das für ein Anblick, eine Familie, die in jedem Glied sich liebt, und gut ist, und nun darinn empfangen zu werden wie eines jeden Braut! Mit meinen Bruder und Böhmer hatt ich auch einige Auftritte, die meine Seele matt machten.

Freytag früh standen wir lezt genannten drey beym zweyten Onkel zu einem neugebohrnen Söhnlein Gevatter. Das muß ein Junge werden, weil die Gevatterschaft so allerliebst ausgedacht war. Er ward genannt Friedrich Wilhelm Theodor. Den lezten Nahmen von dem meinigen Dorothea, weil der älteste Sohn grade schon Carl hieß. Apropos, Ich werde von den meisten Leuten, von Heynens, Spittler etc. Frau oder Madam Caroline genannt. Nachmittag fuhren wir herum Visiten zu geben. Abends bey Gräzels. Hr. Gräzel brachte dem Prinzen einen Pokal zu, unsre Gesundheit zu trinken, und in dem Moment ließ sich Musick hören. Der Prinz führte mich hinauf in seine Etage, alles folgte, und wir tanzten bis nach ein Uhr. Da brachte er uns ein Ständchen. Sonnabend wieder ein Dejeunee. Abend Ball bey Schlözer, der bis aus der Thür des Gartens mir entgegen kam und feyerlich sagte: Sie sind Königinn! Und ich wars auch, und es ist ein Glück, daß meine Vernunft sich bey allen Reizungen der Eitelkeit wie eine Schnecke zurückzieht. Sonntag früh bekamen wir Visieten, Nachmittags machte ich welche und war 3 Stunden bey Theresen allein, bis ich von da zu Feders ging, wo wir soupierten. Montag früh ging mit Abschiednehmen hin – ich ließ mich noch für meine Mutter mit Böhmer und Fritz auf ein Tableau silhouettiren. Mittag reisten wir von beyden Familien begleitet ab, trennten uns in Nörthen, und nun fühlt ich zum erstenmal, daß ich verheirathet war, da ich dem Mann folgen mußte und alles zurückließ. Die Nacht brachten wir in Osterode zu, wo Louise Nieper ist, den andern Nachmittag um 6 Uhr war ich hier.

... Von meinem Glück schweig ich noch. Wer würde die Schilderung nicht auf die ersten 6 Wochen des Ehestands rechnen? Und doch glaub ich, es wird bleibend seyn, weils nicht übertrieben ist. Böhmer mus ein guter Ehemann seyn, so lang ich ihn liebe, und meine Zärtlichkeit für ihn trägt nicht das Gepräge auflodernder Empfindungen.

*

13. An Lotte Michaelis

[Clausthal 1784]

[Anfang fehlt]

... Schlafmüzen sinds nicht, aber ihre Spirits haben keinen seinen Spiritus, und auch das möchte hingehn, wens nur nicht so ein bös Menschengeschlecht in the whole war, doch davon sagt Lottchen niemand etwas. Die Gesellschaften hier sind in 4 Abscheerungen getheilt, eine hölzerne Wand zwischen jedes Part nach den 4 Himmelswinden zu: die Weiber, die Männer, die Mädchen, die Junggesellen. Die ersten West und Nord – das ist der Wetter und Regenwind, wie die Ehe bey ihnen oft solch Fähnlein wehen mag, die lezten Süd und Ost – da brent die Sonne am stärksten und es giebt Ungewitter – ob die reine Sonne brennt, das himlische Feuer, das erwärmt, erhellt, Wachsen und Gedeihn giebt, und das in tiefer Andacht so viel Völker anbeteten, oder eine Aftersonne, die ooo treibt statt Ananas, weiß ich nicht. Wenn doch zwischen der Ballhorn Heyrath ein Schifbruchswind wehte – das Mädchen mus ja unglücklich werden, oder wenigstens nie werth glücklich zu seyn. Die Mutter, die Mutter; schwarze Kleider trägt sie seit dem Tod ihres Mannes, und seine Tochter verschleudert sie – das Kleiderwesen ist doch all mein Lebtag zu nichts nüz. Weißchens Seeligkeit kan ich mir denken, 40 Jahre Hofnung gekrönt von fürstlichen Händeküßchens; ich gönne es dem Käuzchen doch, lieber Gott, so kleine Leutchens erregen immer ein zärtlich Mitleid. Aber Diezens haben ohngeachtet der Corpulenz [Abgebrochen.!

*

14. An Lotte Michaelis

[Clausthal 1784]

[Anfang fehlt]

Und nun Kling Ling! Mit dem Narrenkäpchen hervor! So lang ich die Glocke habe, kömt der Cavaliere Servante immer von selbst. Es ist ein närrischer Junge, dumm nicht, aber er hat so viel Sancta Simplicitas. Diesen Morgen sag ich Böhmer, ob ich wohl mit Meyers aus Osterode nach Hannover reisen könte. Der sagt ja, es war ihm lieb, wenn er allein seyn könt, ich sollte Friedrich mitnehmen. Marie solte ihn friesiren und waschen und kämmen. Friedrich sagt: das solte mich lieb seyn, pakt schon in Gedanken Weste, und Hosen und Tauben ein, und fragt nachher ganz ernsthaft, ob Frau Doktorin von Osterode (wo wir Sonnabend hingehn) wieder heraufkämen.

Ich für mein Theil werfe mich alle Tage mehr in Clausthal herein, ohne mich in die hiesige Form zu gießen. Misgönn doch einem ehrlichen Menschen die Lust nicht sich an 20 bis 30 albernen Menschengesichtern zu amüsiren, und laß lieber in der catholischen Kirche in der kurzen Straße eine Meße dafür lesen, daß ich das Ding von der Seite zu nehmen anfange ... Heut hab ich wieder visitiert, bey Vetter Schichtrupp unter andern; dessen Frau – ein gutes Vieh – wie eine leibhaftige Tellermüze aussieht. Er ist fürchterlich unwißend. Hatte mal von amerikanischen Krieg gehört, wuste [nicht] ob ihn Hänschen oder Gretchen führt. Bey Prauns, wo ich doch, wie ich die langen Buchstaben schrieb, hinging, amusirt ich mich gut. Fr. v. Reden war sehr holdseelig, sie behangen von oben bis unten wie ein fürstlich Wochenbett. bouche close! Sie ist mir gewiß nicht gut von wegen des schwarzen Gürtels, und weil ihr Mann englisch mit mir sprach.

Schick mir mit der Botenfrau Gallisch, hörst Du? Schneider wird besoldet von Böhmer. Die übrigen Theile von Moser allenfals auch und den lezten von Cecilie, oder sonst was auf dem – in der Garderobe zu lesen. Vernünftige Sachen hat mir Therese geschickt ... Vom übrigen nächstens ein mehrers, denn da komt Böhmer und sagt: Du darfst nicht einen Augenblick länger schreiben. Adieu Adieu, Beste. Dank Mutter tausendmal.

C. B.

*

15. An Lotte Michaelis

Sonnabend [Clausthal 1785]

Meisterin brodloser Künste – unholdiger Geist, ich beschwöre Dich, schick mir keine Uhrbänder, sondern diesmal etwas zu lesen in gothischen Buchstaben. Ich bitte Dich um Brod, und Du giebest mir einen Stein. Wie kan ich lachen? Der Spiritus verfliegt, Keine Macht

kan ihn feßeln und gefangen nehmen,
leicht wie Aether schlüpft er fort.

Du must mir andre Kost auftischen. Versteh, Du solst mir was aus dem Buchladen schicken, und künftige Woche komt der ganze Braß mit eins zurück. Bring diesen Brief ja Louisen selbst.

Ich danke Dir dennoch für Deinen gestrigen Wisch, und empfele mich und mein ungebohrnes Kindlein Dir in höchster Eile.

*

16. An Lotte Michaelis

[Clausthal] d. 15ten Junius [1785]

als an der Jahresfeyer des Tages, der mich heut zwischen 4 Wände, bey einem geheizten Ofen, wie eine Mistbeetpflanze, die Sonne und Luft nur durch Glas geniest, verbant.

... [Übelbefinden.] Diese Nachricht ist eigentlich für Mutter, denn ich weiß, daß Dich dergleichen nicht interreßiren. Ach wie gleichgültig hört ich darüber hin, wie ich noch nie krank gewesen war. Noch hab ich seit meiner Niederkunft kein ganz gesundes Gefühl gehabt und ich fürchte nichts mehr wie das Kränkeln, weswegen ich auch alles thun werde, bald wieder hergestellt zu seyn, und wieder gut zu machen, waß ich etwa verdorben – ich muß mir nur selbst predigen, damit ich andern Leuten den Mund zubinde. Meinem guten Mann wolt ichs auch wohl wünschen, daß er eine gesunde Frau hätte ...

Das sind mir hübsche Parthien im Walde und auf der Bibliothek. Ein angenehmes Leben führst Du! – das verdünkt mich. Liebe Lotte, laß die Gewißensruhe, die zum Grunde deßelben liegt, nur fortdauren, sonst wird sich das angenehme Leben bald wieder verwandeln; ein frey und reines Herz, das seine Freuden nicht hinter den Thüren sucht – mögest Du es nicht wieder verscherzen ...

Don Carlos wird gut werden, mein ich, wenn er seine Sprache nur ein wenig vom Schwabenland reinigte. Das Übrige der Rheinischen Thalia hat mir gar nicht gefallen. Für den Kinderfreund dank ich recht sehr ...

Ja, heut ists ein Jahr, seit ich verheyrathet bin. Wie schnell, wie schleichend ist es dahin gegangen. Mädchen und Mutter sind sich nur um einen Glockenschlag auseinander in dieser Stunde.

Bring dies sogleich Mad. Böhmer.

Leb wohl, Liebe. Es thut mir in allen Gliedern weh, ich kan das Genicke nicht beugen, und wo ich mich anrühre, läufts weiß und roth auf. Ich wollte, daß Du schwarz würdest!

Caroline.

*

17. An Luise Gotter

Clausthal den 22. Jun. 1785

Dein Mann ist ein falscher Prophet, meine liebe Louise, und Du hast mich mit Deinen schönen Beyspiel zu trüglichen Hofnungen verleitet. Du weist, Beste, wie froh Du mich durch die glückliche Geburt Deines Gustav und die liebe Gevatterschaft gemacht hattest; aber noch eh die entscheidende Stunde kam, ward die heitre Aussicht durch den unerwarteten Tod zweyer Töchter unsrer Freunde Dahmens, von denen die eine mein Liebling war, schon sehr verdunkelt. Die lezten 14 Tage über, eingeschloßen in meinem Zimmer vom bösen Wetter und der Furcht vor Ansteckung; zwar wohl Freuden, aber auch Leiden der Mutter im Voraus fühlend – so kam endlich der Tag, der mich in tausend langwierigen Schmerzen und Angst selbst zur Mutter machte. Die lezten Augenblicke vorher trieben meine Anstrengung aufs höchste, denn ich fürchtete, das Kind sey todt – diese Vorstellung, vereint mit dem Anblick des lezten gebrochnen Strahls der Sonne, der in das gegenüberstehende Bett fiel, als wolt er es zu Thränen einweihen – o es war Zeit, daß sie unterbrochen ward. Dann folgte ein nur zu kurzer Rausch der Freude, der sich durchs ganze Haus verbreitete – mein Mann, außer sich über das gerettete Leben seiner Frau und seines Kinds, die arme Lotte, die ich einige Tage nicht gesehn, in der Wonne ihres Herzens, kniend vor meinem Bett – ich deßen alles genießend. Ich fiel in einen Schlummer aus den ich ohne Besinnung erwachte, und nun folgten 14 fürchterliche Tage und Nächte, die ich unter einem heftigen Nervenfieber zubrachte, während welcher ich, ohngeachtet einer starken Neigung zum Schlaf, kein Auge schließen durfte, ohne von Zuckungen und schrecklichen Phantasien geweckt zu werden; wo Böhmer oft für mein Leben, und ich für meinen Verstand fürchtete, deßen Zerrüttung ich mir in äußerster Traurigkeit bewust war; wo ich überall Trauer sah, selbst mein liebenswürdiges Kind mir keine Freude machte, außer der betrübten Genugthuung, über daßelbe gebeugt, weinen zu können! Aeußerst schwach an Leib und Seele must ich Ruhe und Bewegung gleich scheuen. Es ist vorbey, und Gott sey Dank, der mich durch die Bemühungen meines Mannes gerettet, für den sich bey dieser Gelegenheit meine Achtung und Zärtlichkeit durch die vielfachen Beweise der seinigen und die Standhaftigkeit, die er nie verläugnete, selbst in der dringendsten Gefahr nicht, noch verdoppelt hat. Ich bin sehr langsam wiederhergestellt, und hab erst seit wenig Tagen das volle Gefühl der Gesundheit wiederbekommen. In dieser Zeit haben mich meine Eltern besucht, und die jungen Meyers auf ihrer Reise nach Hamburg. Es hat der armen Kranken nicht an Aerzten jeder Art gefehlt, und könte Liebe heilen, hätt ich bald, wie durch ein Wunder erschüttert, wieder umher gehn und wandeln müßen. Aus dem Gustav ist nun eine Auguste geworden, und das liebe Geschöpf bittet durch ihre Güte und Schönheit stillschweigend, mit ihr doch zufrieden zu seyn; auch ist mir für mich eine Tochter, bey der das Mutter Herz gewiß sympathetischer schlägt und mit der ich mich früher beschäftigen kan, lieber, und der Vater? – ach er vergaß gern die Wahl.

Ich war noch sehr krank, wie ich Deinen Brief erhielt, meine beste Louise, allein er hat seines freundschaftlichen Zwecks nicht verfehlt, und war mir durch seinen ganzen Inhalt äußerst angenehm. Möge der Himmel Dir durch Deine übrigen Kinder ersezen, was er in Paulinen Dich leiden ließ und diese arme Kleine bald in eine süße Ruh übergehn laßen. Das Gefühl des Verlusts ist doch um so vieles weniger schmerzhaft, wenn man dahin gebracht ist, ihn für Wohlthat anzusehn, die Errinrung weniger bitter, als wenn in der vollen Blüthe der Gesundheit, im reizendsten Genuß des Lebens der Liebling unsres Herzens dahin stirbt. Wie zerreißend mag die Empfindung seyn, mit der wir dann die Vorsehung fragen – warum? Wie wiederstrebend gesellt sich dann das Bild des Todes zum Andenken des Lebenden. Du bist Stuffenweise zur Ergebung geleitet – sie wird Dir nun nicht schwer werden – der Blick, mit dem Du Dein Auge gegen die Vorsehung [wendest], kan nur Dank für überstandnen Kummer verrathen. Es ist hart zu scheiden, wenn noch die schönsten Hofnungen uns beseelten, sind sie aber schon zu Grabe getragen – wolten wir mehr als eine wehmühtige Thräne über dem Monument vergießen?

Könt ich doch Augusten mit meinem kleinen Patchen zusammenbringen. Mein guter Bruder hat mir zwar auf Michaelis eine Reise nach Gotha vorgeschlagen, allein ich darf nicht dran denken, da ich Böhmern ohnedies bald auf einige Wochen, die ich in Göttingen zubringe, verlaßen werde. Meine Schwiegermutter ist jezt wieder hier in der Nähe im Bad, und mit ihr geh ich dorthin; ich freu mich übermäßig drauf, und man freut sich dort auf mich, und mein Kind. Auf dem Weg, der vor Catlenburg vorbeygeht – so heißt das Feenschloß des Amtmann Reinbolds – denk ich die Sturzen zu sehn. Bis dahin mach ich noch einige Spazierfahrten nach Gittelde zu Mad. Böhmer, Louise B. und dem Hofrath. Der Sommer, der so langsam gekommen ist, wird geschwind und unter manchen Abwechslungen verfliegen. Das Ende deßelben ist mit einer Trennung bezeichnet, deren ich mich kaum zu erwähnen getraue.

Außerordentliche Schicksaale sind für Theresen gemacht – sie haben ihren Grund in ihr selbst. Gott wende sie zum Besten!

Schwachköpfig war ich auch noch, meine gute Louise, wie ich die ausgefüllten Endreime laß, aber dem ohngeachtet stand ich nicht einen Augenblick an zu entscheiden, wer von diesem und jenem Verfaßer sey. Liebchens himmlische Gestalt lies sich in des einen Mund nicht verkennen; und das ziemlich satyrische Gesicht nicht im Auge des andern. Solte die Herzogin wohl sehr gnädig beym Empfang des lezten ausgesehn haben?

Ich muß Abschied von Dir nehmen, meine theuerste Freundinn. Sobald ich kan, bin ich wieder bey Dir. Vergiß indeßen Deine Caroline nicht.

*

18. An Lotte Michaelis

[Clausthal] d. 13 Juli [1785]

Meine liebe Lotte

Morgen sag ich – übermorgen! Übermorgen – morgen und dann – Heute bin ich bey Euch! Sonnabend Mittag eßen wir in Osterode, also kommen wir erst Abends. Ich höre, daß Schlözer seinen Ball bis Sontag verschoben. Das ists nicht, worauf ich mich am meisten freue...

Vor allen Dingen, mein Engel, und darum bitte auch die Mutter fusfälligst, laßt mich im väterlichen Haus ganz und gar nicht fremd seyn, alles wie sonst, in aller Ehrbarkeit; ich komme Z. E. Sonnabend Abend, da wird das Tischzeug zum leztenmal aufgelegt und da soll Mutter nicht etwa schon das sontägige hergeben, sondern nur eine Serviette für mich, und die behalt ich dann auch bis zum nächsten Sontag – und so weiter. Dank Mutter auch im Voraus für das Leinen zum Kleidchen, und es war meiner Treu so wenig so gemeint gewesen, daß ich schon hier indeß was hätte kaufen wollen. Mad. Böhmer hätte mir auch so ein fertig Kleid angeboten. Ich hofte von dieser, sie würde wieder dran denken. Sie hat aus Zärtlichkeit gegen Augusten so fürchterliche Gesichter gemacht, das das liebe Mädchen erschrak. Auf der Fahrt übrigens keine Ungelegenheit, schlafend ganz hin, und her wachend, in den Himmel hinein kuckend, der in ihren Himmels Äugelchen sich spiegelte. Lotte, das Kind ist nach wie vor ein Engel, hat zwar nun ein decidirtes Stumpfnäschen, allein nicht minder allerliebst. Was schwaz ich denn noch lang? Sonnabend mehr! mehr! mehr!

*

19. An Lotte Michaelis

[Clausthal] d. 25 Abends ½ 12 Uhr [Aug. 1785]

Allerliebst müde, heiß, kalt, froh, glücklich hier angelangt, mein Mädchen, vor ¾tel Stunden. Ohne Zufall, mit dem herlichsten sternlichtesten Abend, Mondschein, alle Planeten verschworen aus diesen Tag einen himlischen zu machen! Errinnerung! Errinnerung! Du fülst mein Herz mit Wonne. O wie wahr kan eine plattitude am rechten Ort werden ...

*

20. An Lotte Michaelis

[Clausthal] Mittwoch nach Tisch [Anfang 1786]

Es ist immer ein eigner Gram für mich, wenn ich ohne Plan bin, es sey im Großen oder Kleinen, ich mag keine Nadel abstricken ohn den Eifer und die Aussicht etwas fertig zu bekommen, und hinterher zu denken, ich habe wirklich was gethan – da kan ich ordentlich deliberiren, was ich thun will, das am nöthigsten ist und mit einiger Anstrengung vollendet wird. Bin ich zwecklos, so ist mir wie denen, die gewohnt sind, sich von Sonnenaufgang bis Untergang zu schnüren, und ungeschnürt nicht wißen, wo sie den Leib laßen sollen. Komt nun noch der Pfal im Fleisch dazu, daß ich etwas thun will, was ich nicht mag, und habe doch nicht die Macht es zu forciren – und – Deiner Barmherzigkeit seys zu Gemüth geführt, auch kein angenehmes verzweifeltes Mittel, als lesen, sticken etc. im Haus, so bin ich ein elendes Geschöpf, das mit Gleichgültigkeit das Morgenlicht durch die Vorhänge schimmern sieht, und ohne Satisfaction sich niederlegt. Nachdem ich diesen meinen Trab Euch vorgelegt, kom ich zu der betrübten Application, daß dies alles seit 3 Tagen mein Fall war. Geschäfte waren geendigt, und andre, die Vorbereitungen sind zu einer gewißen Kindtaufe, mocht ich nicht anfangen, weil ich wuste, gestern und heut unterbrochen zu werden. Schreiben wolt ich einen Brief – weh weh weh über Leute, die das wollen; an die Offeney solt er, und mein Herz war ein unwirthbares Eyland. Der Anfang liegt da, ein Ding zum Weglaufen, ich kan ihn nicht schreiben, außer in einem schreibseeligen Rappel, wo ich die Briefe Duzendweis expedire. Zu lesen hatt ich nichts mehr. Auch mein Gustav war rein alle; ich laße ihn ungern von mir, so manche recht vergnügte Stunde hat er mir gemacht. Ich hoffe, Du hast mich bey Meyer nicht vergeßen; ich erwarte viel diesmal. Wenn folgendes Buch auf der Bibliotheck war, so möcht ichs sehr gern. Mémoires de Louise Juliane, Electrice palatine, par Frederic Spanheim. 4to. Leyden 1645. Schreibs doch auf und schicks ihm noch diesen Abend. Von Dir bekomm ich auch wohl etwas. Garve behalt ich und leg einen halben Gulden dafür bey, nicht weils etwa einen Talgfleck bekommen hätte, sondern weil es an guter, wahrhaft philosophischer, nicht zu gespanter, noch dehmühtiger Stimmung des Gemüths zu einer Streitschrift ein Muster ist. Anton Reiser, auf den ich laure, wird wieder ein Herbstnebel seyn.

Möchte Dir dies Jahr in der behäglichen Ruh verfließen, mit der Du es zu beginnen scheinst, und beym Anfang des künftigen lebhaftere Erwartungen, als das Sandwüstenbild verräth, an seinem ersten Morgen Dich ermuntern. Meine Wünsche sind mäßig, aber eben so viel mehr gesagt, wie ein feurigerer, als die Locke in den FJmer Waßer zu tauchen mehr hieß, als in den Ocean.

Du wirst aber bey jeden ernsthafteren gefühlvollem Nachdenken finden, weil es uns ins Allgemeinere leitet, daß die schönsten Farben der Zukunft in dergleichen Bilder übergehn – daß das Gefühl einer gewißen Nichtigkeit sie am Ende alle auflöset. Lotte, wir wären elend – wenn nicht aus Kleinigkeiten unsre Glückseeligkeit zusammen gesezt wär, deren Summe eitel ist, aber die im einzelnen doch fähig sind uns ganz zu beschäftigen. Denn aus jener Stimmung, wo die Seele in sich zurück kehren zu wollen und im Begriff schien, ihre Tiefen und unser Wesen zu ergründen – ruft uns doch so leicht das mindeste zurück, eine Stimme, ein schneller Blick, der auf ein Band fällt, auf ein etwas – und das leitet uns wie ein Blitz zurück auf die Gegenwart, auf Annehmlichkeit und Abwechslung des Lebens. Geschmack und Freude daran leben auf. Es ist so – weiter weis ich nichts davon. Gestern hab ich tracktirt, und da war mir der Braten wichtiger wie Himmel und Erde. Ihr habt auch Fremde gehabt, und zwar Meyer, und da hast Du sicher nicht an dürre Wüsten gedacht. Unter Ilsemann, der bey mir saß, dacht ich mir immer Meyer, weil ichs von Louisen eben erfahren hatte, er war bey Euch. Das war höchst drollicht. Zumal da dieser politische Kannengießer sich jezt Airs giebt, denn denk! es war im Vorschlag ihn zum Profeßor zu machen; auf den wolt er schon einlenken, wolte reformiren in seiner Apothekenschnappsstube, und die jungen Trunkenbolde thaten ihm alles zum Poßen. Hardenberg hatte neulich Musikanten hinbestellt, wie in eine Schenke, da hat er gepustet! In Hannover hat man, wie das Rescript sagt, convenabler gefunden ihn zum Bergchymisten zu machen. Es war auch ein Schimpf für Göttingen, wenn einer, der nie auf einer Universität war, Profeßor geworden war.

Was geht Dich das an? Laß uns von den Louisen sprechen. Das wenige, was ich bey der einen thun kan, ist bey der besten Gelegenheit geschehn, da sie mir selbst viel von einem Zank mit Busch schreibt, ein Ding, was ich nicht ausstehn kan, und wodurch, wie ich ihr auch sage, Marianne alle Achtung verlohren hat. Sie hat allen Leichtsinn ihres Alters; neben den heimlichen Freuden der Liebe nimt sie auch noch alles an, was Eitelkeit darbietet, und so gar keine Überlegung, daß das eine dem andern nachtheilig ist. Für sie ists gewiß nicht gut in Eurer großen Welt zu leben. Ich fürchte, sie wird auch erst durch bittre Erfahrung gescheut werden, denn hat sie nicht alles Segens ohngeachtet zehn Schritte vor einen gethan, so unbesonnen wie möglich? Noch der lezte, Rudlof zum Vertrauten zu haben – wie wars möglich ihn zu thun? Mutter darf freylich nichts wißen, ich möchte ihr keine Unruhe machen, und könt ich auch Gutes damit bewürken, aber in Ansehung ihrer öffentlichen Aufführung muß sie doch nicht zu sorglos seyn, denn Aufsicht und Warnung vermögen gewiß etwas über Louise. Sie ist so leidenschaftlich nicht, die üblen Folgen aus der Acht zu laßen. Fahr Du auch ja fort, sie zu errinren, vorzüglich indem sie just im Begriff ist etwas albernes zu thun. Unsre andere Louise, fürcht ich, hast Du doch anfangs ein bischen dem Vorurtheil eines Mädchens gegen eine Frau aufgeopfert, und dadurch vielleicht gemacht, daß sie sich ganz in die Frau hinein warf, denn sie hatte außer Dir keine unverheyrathete Freundinn, und da fehlt es ihr an Eigenheit eine Rolle allein zu spielen. Hättest Du den Umgang gleich ganz mit der alten Cordialität fortgesezt, es hätte nicht ganz so kommen müßen, aber ich bemerkte selbst schon damals in Dir etwas wieder sie, was gegen die Hochzeit zunahm. Du schienst Dir vorher einzubilden, es werde nachher nichts mit ihr anzufangen seyn. Ich bitte Dich, suche Dich grade zu oder gradweise wieder mit ihr auf den alten Fuß zu setzen. Was kan auch in der offensten Erklärung liegen, was sie ihrem Manne wieder zu sagen Lust hätte, denn für ihn wärs nicht interreßant. Auch thut man das so leicht nicht, wenig Weiber werden eine Freundinn dem Mann verrathen, und auch Louise nicht. Doch bin ich selbst mehr für ein langsames Näher kommen; Erklärungen machen den einen Theil leicht heftig, und den andern dadurch bitter. Sag ihr manches, was Du denkst, das ist schon ein Schritt. Tadle sie, wenn sie von Cartoffeln spricht, sag ihr, warum sie nicht just auf dem Fuß komt wie sonst, aber ohn ein feyerliches Ganzes draus zu machen. Es wird Louisen selbst wohl seyn, wenn sie mit Dir schwazen kan. Dann beurtheilst Du sie wohl in manchen zu strenge – sieh, es ist und bleibt unmöglich, daß eine Frau ist wie ein Mädchen. Bey dem ausgezeichnetesten Geschöpf wird es einen Unterschied machen, nur auf eine andre Weise, wie soll es nicht bey einem gewöhnlichem seyn, dem der Zwek des Weibs vielleicht Hauptzweck des Menschen wird. Glaubst Du nicht Z. B., daß Therese ganz partheyisch ihres Mannes sich annehmen würde? Daß sie vieles durch ihn gut findet oder schlecht?

Man kan wie Louise im Anfang ein kindisches Interreße für den Haushalt haben, mit Eifer davon reden um sich zu unterrichten, und da er in der That keinen geringen Einfluß auf das Leben hat, so ist der Diskurs auch keines wegs so fade – ach, wie er auch mir ehedem schien! Louise treibt es vielleicht zu weit – Deiner lebhaften Beschreibung nach wenigstens – aber es kan nur Embarras und Schuzwehr seyn, da sie nicht weiß, was sie sagen soll, nachdem Du ihr nichts mehr zu sagen hast. Schwester Louise hat auch mehr an der Verkältung schuld, ohne ihre Schuld – sie ist Dir Gesellschaft, wenn Du außerdem andre gesucht hättest, doch mir ist, als hätt ich das schon verhandelt. Kurz, laß mir Wischen nicht stecken. Von wegen des Prädicats alter Weiber, das sagt nicht viel. Unterhaltung hatte Louise nie in einem hohen Grad, ihr Reiz war der Reiz des Mädchens und des naiven Mädchens, sie hat den einen verlohren, wagt sich nicht mehr an den andern, und so hat sie wenig verlohren, und der Reiz ist doch davon! Von der Sündlichkeit des gesuchten Anzugs ließen sich beyde Meinungen, mit gehörigen Übertreibungen und Einschränkungen unterstüzt, behaupten. Es ist ein bischen Familienart bey ihr, im Guten zu weit zu gehn. Doch halt ich auch für wahr, daß der Anzug der Frau darin unterschieden ist, daß man damit vorzüglich auf den Charakter Rücksicht nimt, den man selbst zu behaupten wünscht, nicht so sehr auf andrer Beyfall.

Thu, was Du kanst, mein liebes Mädchen. Ich muß in einer halben Stunde in den Clubb und bin noch nicht frisirt.

Sag der Schlözern, diesmal könt ich das Geld noch nicht schicken.

Deine Caroline.

*

21. An Lotte Michaelis

Clausthal. Montag Abend [20. März 1786]

Mich deucht, ich sehe hier den Winter mit leichteren Herzen kommen, als den Frühling. Der Winter darf nun einmal rauh seyn, und die Natur im Winter arm und kalt. Auch seh ich die Hälfte des Tages über nichts von ihr, und bin die andre Hälfte ungestört ich, in meiner Stube. Der Frühling macht mir Heimweh; es ist immer die Jahrszeit süßer Schwermuth; but, as there is no occasion for a sweet one, so wird dann eine bittre draus. Doch wer weiß, was das für tausend kleine Ursachen sind, die mich diesen Abend unzufrieden machen und mit denen die wärmere Sonne nichts zu schaffen hat. Ich weiß es selbst nicht. Meine eigne Last drückt mich. Es geht mir immer so, wenn ich einmal lange nicht über mich nachgedacht habe, und halte dann Revué, es findet sich so vieles zu verbeßern, die edle Thätigkeit ist so schlaff geworden, und man merkt dann, wenn man wenigstens unpartheyisch mit sich umgeht, daß beynah alles, was uns Mismuth macht, eigner Mangel derselben war. Hernach wird es wieder beßer – man ist wieder beßer – bis man von neuen sinkt – und sich von neuen erhebt. Ich freue mich, daß ich das erste bald wahr nehme; aber weil ich weiß, wie leicht es ist mit sehenden Augen blind zu seyn, so warne ich Dich so oft, meine liebe Schwester, welches Du mir nicht übel nehmen mußt; das würde nichts helfen, ich laße nicht ab Dich zu errinren, so lange Dein Schicksaal unsicher ist. Quälen will ich Dich nicht, nur möcht ich wohl, daß Dir Deine Freuden dann und wann ein wenig zittrig schmekten, damit die Sicherheit des Genußes Dich nicht zu weit führe. Misfallen habe ich ja weiter gar nicht geäußert. Nimm Dich nur ja immer vor der argen Welt in Acht; ich sehe nicht recht ein, wie das noch geschehn kan, da Ihr so muthwillig seyd, und es kömt doch so viel darauf an.

Am Mittwochen hatten wir noch eine große Schlittenfahrt, zu der uns Fr. von Reden einladen ließ. Wir fuhren vor dem Amthause weg, es waren 17 Schlitten, aber der Aufzug freylich nicht so glänzend, als wenn Vorreuter Fahnen tragen. Die Wahrheit ist, daß wir gar keine Vorreuter hatten, und die Schlittenéquipage hier, dafür daß man so viel fährt, überhaupt sehr unhonorig ist; es sind Z. B. nie Federquäste auf den Pferden, und wie neulich ein solches paßirte mit einem Fremden, erzählten sichs die Damen wie die Geschichte vom grünen Esel. Dafür war unser Weg der reizendste, den man sich denken kan; er ging in einem Thal hin, und durch eine Allee von grünen Tannen, die in der Nähe immer sehr grün aussehen, die Ferne schwärzt sie nur. Dazu war das Wetter sehr gut, und wir kamen in [3/4]tel Stunden in einem neu gebauten Hause mitten im Walde an. Da fanden wir Musik und eine prächtige Bewirthung, alles was man verlangte, ja wir blieben sogar des Abends, und Fr. von Reden hatte alles mit hinausgenommen bis auf silberne Leuchter und Wachslichter. Gegen Abend wurde ving-tun mitunter sehr hoch gespielt, die Reden hat gewiß 3-4 Louisd'ors verlohren. Ich brach ab, weil ich nicht hoch spielen mochte, und das niedrige ennuyirt neben jenem. Wir brachten unsre Zeit ganz erträglich hin; ich sprach lange mit Ußlar von Göttingen. Er ist kein übler Mensch. Die Reden machte, und wollte machen, eine sehr gute Wirthin. Er war verreißt ...

 

d. 22sten März

Hätte nicht brauchen in Vorrath zu schreiben, da die Donna erst Morgen weggeht. Sie wird hinunter geregnet werden; wir haben heut ordentliche Gewitterschauer gehabt; und bey Sonnenuntergang die prächtigste Erleuchtung, auf die die Sonne traktiren kan. Aber ich für mein Theil bin nicht wohl, ich stäche die Feder lieber unter die Nachtmütze als daß ich sie zwischen Fingern halte – ja diese Begierde wird so leidenschaftlich bey mir, daß ich ihr nachgeben – Abschied von Dir nehmen muß. Nur das noch, ob Du nichts zu lesen für mich hast? Ich vertrockne seit einiger Zeit, weil alle meine Bücherquellen sich verstopfen. Marianne schickt nichts – Blumenbach ist ein Gevatter Johannes – Mad. Volborth hab ich den Kauf aufgesagt – Du? und so gehts mir wie dem, der Gäste laden wollte, und alle entschuldigten sich. Sans comparaison mit den Blinden und Krüppeln, nun bitt ich Meyern, erstlich um etwas amüsantes gut zu lesen, wenn man auf dem Sopha liegt. Das muß kein Foliant seyn, sondern was man mit einer Hand hält. Wohl möcht ich neuere französische Trauerspiele, kleine Romane, Memoires oder auch etwas ernsthafters. Gott! er muß es ja wißen. Mir ist alles willkommen, waß ich noch nicht gelesen habe. Zweytens möcht ich etwas zu lesen, wenn man auf dem Sopha sizt und einen Tisch vor sich hat, als ältere englische Geschichte aus Alfreds Zeiten; und den 4ten Theil von Plutarch (die andern hab ich gelesen). Alles auf einmal will ichs nicht. Bey der nächsten Gelegenheit kömt auch Winkelmann und Oßian wieder. Betreib dies ein bischen für Deine Schwester; es ist unverantwortlich, daß man mich so gleichgültig zum Aschenbrödel werden läßt. Mach es Meyern wichtig. Bekomm ich nichts, so glaub ich nicht an Deine Gewalt über ihn. Die Drohung zeigt Dir wenigstens, daß es mir mit meinem Wunsch ein Ernst ist.

Mir ist wirklich übel zu Muth. Ich muß mich ausziehn. Leb wohl, meine Liebe, liebe mich, folge mir, und sorg für mich.

Caroline.

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22. An Lotte Michaelis

[Clausthal] d. 28 May [1786]

Du bist ein Unglücksvogel mit Deinen Frisuren! Gewiß, sie stehn unter dem Einfluß eines bösen Gestirns, der meinen armen Geldbeutel nicht wohl will. Aber Du bist doch unschuldig, meine Seele, nur ein Werkzeug in der Hand des unerbittlichen Schicksaals – nur um den Gram zu versüßen oder zu verbittern. Wie kontest Du wißen, ich hätte in diesem Lumpennest Crep gekauft ... Und nun wolt ich, daß die Fee Cocombre allen Puz holte!

Wohin reißt denn Meyer eigentlich? wie ich verstehe, komt er so spät zurück, daß er Dich noch hier treffen könte. Anfangs sagtest Du von 3 Wochen, so müstens wenigstens 7 seyn. Innig freu ich mich auf Dein Kommen. Dann gut Wetter! und wir wollen den Harz durchlaufen. Diese Gegenden fangen an mir zu gefallen, da ich sie näher kennen lerne. Clausthal sieht von vielen Seiten äußerst hübsch aus – meine Sinnen freuen sich, auch diese Fluren, die mich sonst so schwarz dünkten, wie unsre Tannenwälder und der Schiefer, der unsre Häuser deckt im Regen – fangen an zu lächeln. Aber Sonnenschein wird dazu erfordert, und vom ersten Eindruck bleibt genug zurück, um dem Ganzen einen Anstrich von Schwermuth zu geben, den ich gern verwischen möchte. Was Meyer übrigens einst sagte, ist thöricht. Ich bin nicht unglücklich, wenigstens nicht durch meine Lage, ja was sag ich wenigstens? Bin ichs denn überall? Nennt ers ein Unglück eine Seele zu haben? So scheints mir beynah. Es war eine Zeit, wo Therese sich alle die unglücklich dachte, die sie liebte, daher schreibt sich das. Sie ist von dieser Grille zurückgekommen. Sie glaubt an Glückseeligkeit. Die meinige ist nicht überspannt, aber ich bin ihre Schöpferin, fiel mir auch in den ersten Zeiten wohl der Gedanke ein – warum must Du hier Deine Jugend verleben, warum Du hier vor so vielen andern; und vor manchen doch fähig eine größre Rolle zu spielen, zu höhern Hofnungen berechtigt? Das war aber Eitelkeit. Jezt sagt mir mein Stolz, was ich habe ist mir gegeben, diese Situation zu tragen, mich selbst zu tragen. Ich bin sehr zufrieden. Ich leugne es nicht, es im Anfang nicht gewesen zu seyn. Das klagte ich freylich Theresen. Viel kam mit daher, daß ich nicht gesund war, nie so sehr wie jezt, und das schwächt meinen Kopf, und Schwäche erzeugt bey mir immer glühende Phantasien. Die können nicht anders wie sich zur Traurigkeit neigen mit meinen sonstigen von entzückter Schwärmerey entfernten Gefühlen. Wie wenig Gegenstände giebts, wo die halbweg vernünftige Einbildungskraft sich an Freuden übt. Ich bin nicht mehr Mädchen, die Liebe giebt mir nichts zu thun als in leichten häuslichen Pflichten – ich erwarte nichts mehr von einer rosenfarbnen Zukunft – mein Loos ist geworfen. Auch bin ich keine mystische Religions Enthousiastin – das sind doch die beyden Sphären, in denen sich der Weiber Leidenschaften drehn. Da ich also nichts nahes fand, was mich beschäftigte, so blieb die weite Welt mir offen – und die – machte mich weinen. Da ist immer die Rede von schwachen Stunden. Weh mir, wenn in guten es mir an Freuden mangelte. So eingeschränkt bin ich nicht. Durch Interreße an Dingen außer mir, durch Betrachtung, durch Mutterschaft, durch alles waß ich thu, genieß ich mein Daseyn.

Genug, mein Schaz. Hör, ich lese noch in der Valiska, aber schick mir doch ja Archenholz das nächstemal. Ich sterbe, wenn ich ihn nicht kriege. Ist er denn in keinen Buchladen? keiner Leihbibliothek? Lichtenberg hat ihn recensirt, der muß ihn Z. E. haben, Heyne gewiß auch. Es muß sehr amüsant seyn.

Schreib mir doch den Verfolg von Luthers und Mariannens Liebe – es ist so interreßant. Vielleicht verführt er sie, wird abgesezt, sie flüchtet mit ihm, gehn nach Rom, werden katholikisch, die Priesterehe wird eingeführt, er wird Cardinal – Pabst – Himmelsfürst – Leb wohl – leb wohl. Der Wind bläßt schrecklich. Hattet Ihr auch gestern Sonnabend Abends zwisehen 7-8 Uhr auf einmal durch einen Windstoß einen plötzlichen Heyderauch, der stank? Böhmer wolts gern wißen.

Caroline.

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23. An Lotte Michaelis

[Clausthal 1787]

... Auguste ist reizend lieblich, ich bete sie an, das zu hoffende Kind ist nur ein Unkepunz in meiner Einbildungskraft, ich lieb es nicht vorher, wie ich jene liebte ...

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24. An Philipp Michaelis

[Clausthal] Freytag d. 25. 8. [1788]

Wie das Jünglein pipset, das eben aus Mutters Schoos entlief – hudder hudder es ist kalt – ach wo sind meine weichen Decklein und meine weichen Läkelein – es schauert mich so – laß mich lieber wieder unterkriechen, Mütterchen. Die Häuser nickten sich entgegen wie ein paar alte Basen mit langen Nasen – muß meine langen Beine so hoch heben um die alten Perücken zu ersteigen. Weh weh wo ist mein Freund blieben, mit dem ich die Fluren durchstrich? Wo find ich eine Liebschaft wieder? Kluge Damen sind nicht für mich. Sonne der Eleganz, du bist untergegangen. Ihr seyd zu Ende, meine wählichen Tage.

So wehklagt Bruder Neuling. Ich wolte von ganzen Herzen, es gefiele Dir recht gut, denn das machte mir auch Muth, allein bedauren kan ich Dich nicht. Man muß ja so was in der Welt gewohnt werden, man muß früh lernen sich jeden Aufenthalt erträglich zu machen, und ich denke, auch dieser wird Dirs bald werden, wenn Du nur ein Menschenkind gefunden, daß halbwegs mit Dir simpathisirt und mit Dir spazieren läuft. Immer allein spazieren gehn, davon halt ich nicht viel, so viel Freude mir es dann und wann machen würde – es isolirt das Daseyn.

Bei Gelegenheit wird sich die Mutter wohl erbarmen, und Dich beßer betten. Was Friz mir sagen läßt, das rapportirst Du mir entweder nicht, oder er hat Dir nichts aufgetragen. Mein Gott, Ihr habt doch wohl nicht gleich einreißen und bauen laßen? Denn mit dem armseeligen Heerd ists doch nicht gethan. Da ist ja Z. B. kein Winkelchen, wo die Domestiken schlafen könten – nicht ein Örtchen, wo man Dinge bergen könte, die man nicht alle Tage braucht. Die Küche so nah am Vorsaal wie würde da Bruder Friz oft gestört werden. Kein Boden, kein Fleckchen, wo sich waschen läßt, kein Plaz die nöthigsten Schränke zu placiren. Kurz, ein ordentlicher Haushalt ist da gar nicht zu führen. Es wäre nichts halbes und nichts ganzes, es wäre nichts. Weist Du, was ich wollte? Entweder, daß sich mein lieber Friz geduldete, bis er ein ander Haus hätte, oder daß es möglich wäre ohne Haushalt bey ihm zu wohnen, sich speisen zu laßen, und nicht so für Ewigkeiten zu bauen. Da braucht ich nichts wie Raum für mich und meine Kinder. Da ließen wir, Du und ich, uns das Eßen holen, und er ginge an seinen Tisch. Wo ißest Du denn jezt? Es werden ja doch eßbare Dinge gekocht werden – Ihr werdet ja doch in Marburg keine Gaumen haben wie ein Rhinoceros? Du mußt mir das noch weitläuftig vorschwögen, eine Sache, in der Du Dich bey so bewandten Umständen anlernen laßen kanst.

Spricht Friz noch von Weynachten? Ich frage nicht hinter seinen Rücken, denn Du magst ihm diesen Brief getrost zeigen. Das ist einmal gewiß meine Pension muß erst entschieden seyn, eh ich gehe, dazu räth mir Trebra, und die Bergrechnung ist erst im December, da mögen die Kobolde wißen, wann etwas bestimmt wird! Ja ich gesteh frey, den Winter über bleib ich gern noch hier. Trebra räth ferner Fritzen, sich ja zu verheyrathen, wenn er dächte an Leib und Geist je recht gesund zu werden....

Mein guter Bruder wird meinen Brief bekommen haben, den der Pastor für ihn in Verwahrung hatte. Wenn er die Umstände bedenkt, die Leidenschaft, mit der ich damals den Entschluß faßte mich in seine Arme zu werfen – so wird er mich doch etwas entschuldigen, daß ich ihn auch wieder änderte.

[Ende fehlt.]


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