Paul Scheerbart
Immer mutig!
Paul Scheerbart

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Meine Tinte ist meine Tinte

Ein Klexosophicum

Eine sehr stille Sommernacht!

Matte Dämmerung mit traumschweren Gardinen und sanften säuselnden Winden.

Ich liege in weichen schneeweißen Betten.

Und die Betten sind so schwer.

Es plätschert was – tropft.

Drüben ist es, am Schreibtisch.

Aber da ist ja so viel Schwarzes auf dem Schreibtisch – so viel Schwarzes.

Sanft säuselnde Winde draußen.

Auf dem Schreibtisch tropft es – sollte das meine Tinte sein?

Meine Tinte ist meine Tinte.

Aber sie ist so lebendig.

Sie geht ja aus dem Tintenfasse raus.

Und es ist viel Tinte, so viel schwarze Tinte.

Jetzt ist sie bei mir und beugt sich über mein Bett – wie eine kleine Milchstraße – wie eine kleine schwarze Milchstraße.

Jetzt tropft es wieder, und schwarze Tropfen fallen auf meine weißen Betten.

Dort in der Ecke über meinem rechten Fuße sitzt ein großer schwarzer Klex.

Und der Klex – ein ganz runder ist es – ist der Stil.

Neben dem runden Klexe entsteht nun ein viereckiger Klex – der heißt Ziel.

Und zwischen den Beiden bewegt sich ein schwarzer Tropfen wie eine Quecksilberkugel auf einer Menschenhand – die Kugel ist das Spiel – das große Spiel.

Bin ich in einer Spielschachtel?

Woher kenne ich alle die klingenden Namen? Sie klingen so gut zusammen wie die guten Reime in alten Gedichten. Am Stil ist das Ziel das Spiel, es dreht sich.

Im Stil sitzt das Spiel hinterm Ziel.

Hinterm Ziel!

Wie stilvoll das Spiel ist!

Auf dem Stil liegt der alte Nil – ein schwarzer Bindfaden. Jetzt weiß ich: der Nil ist der schwarze Faden, an dem spielt das Ziel mit dem Kiel und dem Zuviel – das sind neue Klexe – vieleckige Klexe – mit Raupen.

Schwarze Raupen kriechen über den Nil – wohl Neger. Meine Tinte ist meine Tinte – bei der ist Alles möglich. Mein schöner weißer Kopfkissenbezug bekommt auch was ab – meine Betten sehen aus wie weiße Himmel – mit schwarzen Sternen – viele Himmel – bergige Himmel – Schimmel mit Sterngewimmel.

Es klingt ja so hübsch – ist das Gebimmel von Klexen? Glocken sind's!

Aber da mittendrin ist ein roter Klex – und der nennt sich Ich. Das ist keine Tinte, denn ich habe ja rote Tinte gar nicht zu Hause. Ich wollte mir immer rote Tinte anschaffen. Aber ich hab's vergessen – nur die Namen der Klexe kenne ich sämtlich – die kenne ich ja schon seit Olims Zeiten.

An der Bettkante im dicken Wassermann wackeln drei Sterne – sie heißen Welt, Wild und Wald. Die sind auch so mohrenschwarz und bedrängen jetzt das Ich – umkreisen das rote Ich.

Ich muß mich doch geschnitten haben, denn das rote Ich muß ein Blutstropfen von mir sein. So was kommt wohl mal vor. Jetzt geht der Weltklex über mein Ich hinüber – dem schadet's aber nicht. Die Klexe Lust, Last und List kommen meinem Munde sehr nahe.

Gehen die Klexe in meinen Mund? Sie kommen mit Kuh, Ruh und Schuh auf meinen Mund los.

Brr! schmecken die sauer!

Sanfte Winde wehen – aber die wehen ja die sämtlichen Klexe in meinen Mund.

Ich kann meinen Mund nicht schließen.

Alle meine Klexsterne kullern hinunter in meinen Magen. Wie verschiedenartig die Klexe schmecken. Meine Tinte muß sehr gemischt sein – wohl mit den Giften aller Zeiten.

Welt schmeckt nach Salpeter. Aber ich weiß nicht, wie Salpeter schmeckt – wahrscheinlich wie Bomben. Sehr gut!

Ich schließe die Augen, denn ich kann dieses fortwährende Heranrollen der schwarzen Sterne nicht vertragen.

Das Rollen tönt wie Donnern und bricht plötzlich ab.

Es hört Alles auf – ich muß schon Alles runter haben.

Ein guter Magen ist ein guter Magen.

Doch da rollt ja schon wieder was!

Die Augen kann ich nicht aufmachen.

Ach so!

Ich weiß ja!

Das ist ja mein rotes Ich – das kann ich nicht runterschlucken. Das Ich kann ich nicht verdauen.

Sanfte Winde wehen um meine Stirn – da wird's aber naß.

Ich meine: auf meiner Stirn wird's ganz naß.

Ist das Angstschweiß?

Nein – ich fühle jetzt ganz deutlich – es sind nur die schwarzen Sterne, die allmählich aus meiner Stirne wieder rausperlen – wie Alkohol – wenn man ihn literweise getrunken hat – aus der Stirne rausperlt – so perlen auch die schwarzen Sterne aus der Stirne heraus.

Die Winde draußen vorm Fenster müssen sehr kühl sein – oder sind die Sterne meiner Stirne so kühl?

Sind sie so kühl wie eine Birne?

Mein Ich fällt gleich vom Bette runter.

Mein Ich fällt und platzt entzwei – auf dem Teppich. Jetzt ist Alles wieder gut.

Bloß auf dem Teppich wird ein roter Klex sein.

Das Schwarze verdunstet.

Nachdem ich das gelesen hatte, umzuckten mich grüne Blitze, und ich hörte einen furchtbaren Donner.

»Erschrick nicht,« rief da die Baßstimme des alten Necho, »wir klatschen Dir nur Beifall – daher die Blitze.«

Ich war ganz verwirrt und mußte sehr lachen, obschon ich nicht wußte, ob das Hohn oder Huldigung bedeuten sollte. »Wenn wir gut gelaunt sind,« sagte da der Oberpriester Lapapi, »so kann uns eigentlich die Bedeutung einer Sache ganz gleichgültig sein. Da Du aber augenscheinlich etwas eitel bist, so kannst du ja mal den unsichtbaren Geistern was vorlesen. Wir wollen Dich verlassen, verpflichten Dich aber, mindestens sieben Sachen hinter einander vorzulesen. Tust Du das nicht, so lassen wir Dich hier für alle Ewigkeit allein.«

Mir wurde bei diesen Worten so zu Mute – wie einem Menschen in der Hand eines Zahnziehers zu Mute wird. Ich rief ängstlich:

»Ich will ja gern Alles tun. Gebt mir bloß eine Lampe; im Dunkeln könnte mir's schwer fallen, was vorzulesen.«

»Hast ja,« brummte da der Necho, »bei Deiner Tinte auch keine von unsern Lampen gebraucht.«

Ich zog meine Papiere aus der Tasche und sah, daß die Papiere selber leuchteten.

»Verzeihen Sie, meine Herren!« rief ich nun lachend, »die Unsichtbaren haben meine Manuskripte leuchtend gemacht. Das hatte ich gar nicht bemerkt. Das ist ja riesig schmeichelhaft für mich. Verzeihen Sie, daß ich all die Wunder immer erst nachher bemerkte. Und verzeihen Sie mir, daß ich noch immer nicht für all die Wunder gedankt habe. Aber – Worte scheinen mir in allen diesen Fällen nicht zu genügen. Ich werde gleich lesen. Selbstverständlich! Das tu ich ja so gern. Verzeihen Sie mir alle meine Taktlosigkeiten – doch ich bin so berauscht – von all dem Glück.«

Da blitzte es abermals grünlich vor meinen Augen – zu hören war jedoch nichts.

Die alten Ägypter sah ich nicht mehr.

Und das Blitzen hielt an, so daß ich dabei lesen konnte. »Oho!« sagte ich da zu mir selbst, »Du hast Dir vorhin eingebildet, Deine Manuskripte hätten Leuchtkraft – das war wohl wieder bloß eine große Einbildung von Dir.« Das Blitzen hielt an, und ich las bei dem grünlichen Blitzlicht die sieben folgenden Geschichten.

Wieder donnerte meine Stimme oben in den Gewölben machtvoll und schauerlich – aber meine Ohren hatten sich schon daran gewöhnt.


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