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Fünfzehntes Kapitel

»Huberta, könnt ihr uns heut nachmittag brauchen bei euch daheim?«

»Huberta, kommst morgen zu uns?«

»Tant Hubertl, bitt' schön, zeig' mir den Fichtenbaum, auf den du als Kind immer klettert bist. Zeig' mir die ganz kleinen Waldbäume! Zeig' mir auch den Wald! Erzähl' mir was vom Wald!«

»Hubertl, morgen abend ruderst mit uns, gelt?«

»Huberta, gehst du morgen mit mir schwimmen? Allein ertrink' ich, wenn der Schwimmmeister mich losläßt von der Angel.«

»Hubertl, ich fleh' dich, schaff' mir Modelle! Vor mir reißen sie alle aus! Keiner steht mir still!«

So lauten einige Anliegen der Stadtanverwandten an die Waldanverwandte.

Huberta tut gern ihr möglichstes, um sie alle zu befriedigen. Sie ist dort und hier, zu Haus und am See, viel fröhlicher, als sie vorher selbst geglaubt hat, wenn sie an den Verwandtenbesuch dachte. Sie ist mit den Schwippschwägerinnen ganz gut in Zug gekommen hier draußen; ein viel bessres Verstehn, Einanderdulden ist es hier, als in der Stadt.

Alles durch die eine, durch die Agnes! Huberta macht's so Freud', die unter den anderen zu sehn.

Kein Freundschaftsgetu ist zwischen ihnen beiden vor Zuschauern, kein Umfassen und Küssen. Eher spröd und scheu sind sie, wenn andrer Augen auf ihnen ruhn.

»Du Allergeliebteste«, sagt Huberta der Agnes höchstens manchmal mit einem kleinen Blick, den nur die allein versteht.

Und dann tut's ihnen beiden so tief wohl, das sichre Gefühl des Sichhabens, gerade vor den andern.

Da fühlt die Huberta sich so sicher, so geborgen, so tief daheim. Was die andern nun auch an ihr zu tadeln haben mögen, die Agnes hat sie ja lieb!

Zu tadeln haben die aber eigentlich gar nichts bei diesem Zusammensein. Im Gegenteil. Die Huberta steht jetzt auf einmal ganz anders vor ihnen da, mit einem eignen kleinen Zauber umkleidet.

Sie haben unter sich mit ein paar Worten flüsternd ausgemacht: Huberta habe sich stark verändert seit der Winterszeit. Damals sei sie fast noch ein Kind gewesen. Jetzt nimmer.

Wieso? – Das wissen sie selbst nicht zu sagen. Erwachsener sieht sie wohl aus. Aber das nicht allein.

Es ist etwas Feines geschehn, dessen sie sich nicht bewußt sind. Durch die Freundschaft Hubertas mit der Agnes, die starke, tiefe, die sie mehr ahnen, als sehn, ist Huberta so in ihren Augen gestiegen. Sie begreifen's: dreißig ihrer Stadtfreundinnen wiegen so eine einzige Agnes nicht auf.

Wo eine so besondre, so tiefe Freundschaft plötzlich anderen vor Augen steht, da stocken die Füße, da starren die Blicke, wie vor einer ganz seltenen, feierlichweißen Blume im Waldheiligtum.

Eine der zwei in Freundschaft Verbundenen wird durch die andere wert und erhöht.

»Ist die entzückend!« ist das unter ihnen sofort einige Urteil über Agnes von Rieden. Und ein besonderes Zauberlicht fällt noch außerdem auf diese reizende Agnes.

Der Sollacher macht ihr gar nicht den Hof, zeichnet sie gar nicht aus, ist zu den drei Schwippschwägerinnen eigentlich viel galanter als gegen sie. Und doch leuchtet's durch alle seine Zurückhaltung, durch jedes Grüß Gott und Auf Wiedersehn, durch jedes alltägliche Wort, das er zu ihr spricht, wie teuer das holde Mädchen ihm ist.

Die Stadtdamen haben es bald verstanden, das Feine, Starke.

Besonders freundlich, rücksichtsvoll gehn sie mit Agnes um.

Das belebt und beglückt Huberta mehr, als sie sagen kann.

Was sie nur weiß und kann, möchte sie den Verwandten zu liebe tun.

»Ja, ja, kommt nur!« »Freilich, ich komm' zu euch!« – »Ich schwimm' mit dir, Gundel! Ich rudre mit, Gisel! Ich bring' dir Leut zum Abmalen, so viel du willst, Elly!« verspricht sie ihnen.

Dem Giselchen hätte sie auch ohnehin gern ihre kleinen Waldbelehrungen gegeben. Sie tut's aber nun vielleicht noch mit besondrer Freude, besondrem Reiz in der Art und Stimme.

Wenigstens ihr Bruder, der Professor, denkt oft, wenn er sie hört, eigentlich müßte sie Professor sein, wenn es auch nicht gerade Kathedersprache ist, in der sie ihre kleine Hörerin belehrt, ihr die Spuren der Nagezähnchen von all dem kleinen Nage- und Raubgetier, vom Feldmäuslein bis zum Igel, und die Spuren des Käferfraßes, die verschiedenen von Insektenstichen entstandenen Beulen und Auswüchse an den Blättern zeigt, sie mit dem Nestbau der verschiedenen Singvögel bekannt macht, ihr das Wachstum der Waldbäume, mit ihrem eigenen Wachstum verglichen, zeigt.

»Dieses Mutzele,« sagt sie auf einem Waldgang, indem sie auf ein winziges Etwas im Moose, ein stecknadelgroßes Stielchen mit fünf abstehenden grünen Nadeln weist, »das ist ein einjähriges Fichtenkind, ein Jahrbäumle. Schau dir's an, Giselchen, gelt, da warst du mit einem Jahr größer? Und das Strampele da, schau, ist schon zweijährig. Das hat schon einen Schuß getan, einen Jahrschuß und noch vier Nadeln mehr zu den fünf ersten aufgesteckt. In solchen Absätzen geht das Wachsen nun immer weiter; jedes Jahr tut's Bäumel einen ganz kleinen Schuß; wenn's zehn Jahr alt ist, ist's noch ein winziges Ding. Sieh mal, die ganze Schonung hier, das sind lauter zehnjährige! An den Schüssen kannst du's zählen, wie alt sie sind. In jedem Jahr einen Schuß! Da bist du doch dreimal so groß mit deinen fünf Jahren. Aber nach dem zehnten Jahr da geht das Wachsen der Bäume geschwind, dann geht's mit dir um die Wette. Von Jahr zu Jahr machen sie dann größere Schüsse, ordentliche Sprünge. Wenn du zwölf Jahre alt bist, hat das Bäumchen dich eingeholt; vom zwölften bis fünfzehnten Jahr wird's dann ungefähr Schritt halten mit dir, und dann wächst's rasch, rasch über dich weg. Mächtig hoch in die Höhe wächst der Baum, wenn im Wachstum der Menschen längst ein Stillstand eingetreten ist; bis es dann auch bei den Bäumen heißt: ›So, bis hierher und nicht weiter!‹ In den Himmel wachsen, dürfen die Bäume nicht; dafür wachsen sie dann in die Breite! Schau nur hier, bei dem uralten, über hundert Jahre alten, die mächtigen Äste! An den Schüssen zählen kann man das Alter solcher Urgroßväter nicht mehr. Erst wenn der Baum gefällt und durchgesägt wird, kann man's genau bestimmen, wie alt er war. Weißt woran?«

»Nein,« sagt Giselchen.

Da erklärt sie ihr an einem frisch durchgesägten Baumstumpf die sich deutlich abzeichnenden, dunklen Jahresringe im hellen Holz.

Der schöne Waldbestand, durch den sie gehn, ist durchforstet worden in der letzten Zeit; viele herrliche alte Bäume haben fallen müssen, um anderen Raum zu machen; an einer Stelle hat ein Kahlhieb stattgefunden; Baum an Baum wurde da gefällt, wundervoll kräftig und stark riecht's da noch nach Holz, Nadeln, Harz und Moos; große Haufen entrindeter Stämme, die noch nicht verkauft sind, liegen übereinander.

Wie das den Professor, der jeden Baum im Walde von Jugend an kennt, alles interessiert!

Huberta kann es ihm alles sagen, was er wissen möchte. Sie ist oft hier gewesen, als der Hieb beendet war, hat dem Vater messen und notieren helfen.

»Wenn die Stämme dann so durch- und übereinander liegen, wie die Streichhölzer,« sagt sie, »das seh ich so gern! Der Freihauserbauer hat's übernommen, sie zu rücken, mit seinem aus einem Ochsen und einem Pferd bestehenden Gespann!«

»Wie die Tiere das gescheit machen!« rühmt sie. »Ich hab's wieder gar so sehr bewundert. Ganz vorsichtig und langsam zog das Gespann an, als der Bauer ›Hü!‹ rief, stat und bedächtig hat sich's Raum gesucht durch die Stämme, daß sich keins der Tiere die Füße verletzte. Der Baum ist dann nausgeschlürft aus dem Gewirrte, wie ein Regenwurm.« – – –

Wer dann die größten Stamme zu Bauholz gekauft hat, wer andre zu Möbelholz, wer die halbdicken Stämme, die Rafferle, zu Grubenholz, das alles weiß sie genau zu sagen und zu berichten.

Es macht ihr so Freude, dem Bruder, den sie immer ein bißchen wie einen aus dem Paradies Verstoßenen betrachtet, auf den gemeinsamen Waldgängen genau Bericht zu erstatten über alles, was seit seinem letzten Besuch vorging, was ihn interessiert aus seinem Heimatreich.

Ein Genuß nur geht ihr noch darüber: Vater und Brüder zu begleiten und zu hören, wie der Vater zu den Söhnen, den männlichen Kameraden, spricht.

Kein Baum im Wald, über den er nicht etwas zu sagen wüßte! Da sind die Patriarchen, die Greise, die dunklen Hundertjahrstannen und Fichten, die sein Vater noch gepflanzt, da sind seine eigenen stattlichen, stolzen Pflänzlinge und Pfleglinge in voller Kraft, mit strotzenden Trieben, und daneben auch schon der Söhne stramme, starke Altersgenossen; viele von ihnen allen mit sichrem Blick von ihm schon ausgewählt zum Schlag, der Axt geweiht. Junge Kulturen mit unabsehbaren Reihen zierlicher Zöglinge aller Altersklassen sichern tüchtigen Nachwuchs. Zwischen den Fichten der jungen Wälder steht hier und da, sich deutlich abhebend, ein Tannenbaum, da Tannen den Stürmen und Schneebrüchen durch ihr festeres Holz tüchtiger Trotz bieten, als die zerbrechlicheren Fichten. Schöne Laubbäume breiten sich vereinzelt zwischen dem Nadelgehölz und an den Waldrändern aus.

Je älter er werde, gesteht der Vater den Söhnen einmal bei einem solchen Reviergang, je mehr sei ihm doch die Forstverwaltung und Wildhege die Hauptsache seines Berufs, die Freude am Jagern träte daneben allmählich zurück.

»Die Jagerei läßt halt dem Maxl,« sagt Huberta lebhaft, »der ist eh Feuer und Flamme dafür!« Sie erzählt dem Professor mit feuriger Begeisterung ein paar besonders große Jagdtaten ihres Sollacher, die der bisher bescheiden verschwieg, nun aber schmunzelnd aus der Schwester Munde mit vernimmt.

Dabei leuchten allen vier Waldgängern, die an Alter und Aussehen so verschieden, an Gang und Haltung, Kraft und Frische einander so gleich sind, die schwarzbraunen Augen.

Aber wie lodern die dann erst in zorniger Leidenschaft, als auf das Schmerzenskapitel aller Förster und Jager, die leidige Wilddiebsangelegenheit, die Rede kommt!

Der Huberta glühn die Wangen wie im Fieber, wenn sie davon spricht und hört.

Sobald dieses Gespräch nur angeschlagen wird, gibt's eine Erregung, die den kerngesunden Waldleuten alle Nerven vibrieren läßt.

Huberta hat noch eine Extraangst dabei! Der Hanker!

* * *

Denn Nerven haben sie eben doch, sehr feinschwingende sogar.

Die Gundel behauptet zwar schmollend, Huberta habe keine.

Beim Schwimmen nämlich.

Gundel lernt's in der vielbesuchten Badeanstalt am See beim biederen, alten Schwimmeister, Fischer und Tuchweber Brandl, aller Sommergäste gutem, beliebtem Freund.

Huberta kann die frische Kunst von frühester Kindheit an, wo sie sie beim ersten Versuch von selbst gelernt hat. Sie legt sich lachend mit übereinandergeschlagenen Armen auf dem Rücken aufs Wasser, wie auf ein bequemes Sofa, läßt sich tragen und wiegen von der glitzernden Flut, läßt sich weit in den geliebten See hinaustreiben, springt vom höchsten Sprungbrett bald schlank und pfeilgerad, bald kopfunter ins hochaufspritzende Wasser, taucht unter wie ein Schopftaucher und nach einer Weile in einiger Entfernung lachend wieder auf, schwimmt vom Badehaus nach der sechzig Meter entfernten nächsten Insel und mit kräftigen Zügen stracks wieder zurück.

Gundel ist nach sechs Schwimmstunden immer noch ein armer, zappelnder Fisch an der Angel. Sie kann die Angst vorm nassen Element, das sie doch auch wieder so mächtig lockt, nicht überwinden, so dringend Herr Brandl predigt: »Nur Kuraschn! Nur Kuraschn! Sie gehn net unter! Hände fest z'samm vor der Brust! Schaun S' her! A so! Z'samm! Aus! Raus! – Z'samm, – aus, – naus! Füße los vom Erdboden! Nur ruhig! Nur langsam! Sie san koa Schnelldampfer!« –

Bei ihr ist's ein einziges Gezappel und Gegrusel. –

Huberta muß ihr immer wieder die Hand unter die Taille legen, daß sie es wagt, die Füße vom Boden loszulassen, sich vom Wasser tragen zu lassen. Wird sie einen Augenblick losgelassen, haspelt sie in Todesangst auf den nächsten Stützbalken zu.

Sie will's aufgeben. Nach ein paar Tagen ist's dann aber doch geschafft, ist das Zusammenwirken der richtigen Schwimmbewegungen mit Armen und Beinen verstanden, Tempo und Rhythmus erfaßt, ihr in Fleisch und Blut übergegangen.

Huberta hat nicht nachgelassen mit Unterstützen, Vormachen, Halten, Aufmuntern.

Nun ist Gundel von der Angel los, ist Freischwimmerin, schwimmt zum ersten Male unter Hubertas Schutz ein Stückchen aus dem Badehaus hinaus in die unermeßlich scheinende silbrige Weite der Flut, die so blau, so innig blau erscheint, wenn man in sie hineinschaut. Eine ausgelassene Lustigkeit faßt da das Stadtkind, ein Behagen, wie es jeder körperliche Sieg, das Überwinden jeder Schwierigkeit schließlich verleiht.

Demütig bittet Fräulein Gundel dem alten Schwimmeister nun ab, daß sie ihn gar so geplagt, ihm gar so viel Mühe gemacht habe.

»Sein Sie mir, bitte, nicht bös!« schmeichelt sie mit ihrer niedlichsten, kokettesten Miene.

Der Alte versichert vergnügt schmunzelnd: »A noa! I hab Sie recht lieb auch noch! Jetzt habn S' ja g'siegt!«

Tiefer hat das eitle Gundelchen vielleicht im Leben kein Lobwort erquickt!

* * *

Elly, die Malerin, ist in Ekstase.

»Nein, die Schönheit von diesen kleinen, feisten Beinen! Wie gedrechselt sind die!«

»So einen Kindermund hab ich noch nicht gesehn!«

»Und das liebe Stillhalten! Huberta, ich vergeß' dir's nicht, daß du mir das verschafft hast!«

Huberta hat ihr das Roserl, ihr Roserl, als Modell eingefangen. Unbeweglich, wie ein Steinbildchen, stolz, mit gefalteten Händchen sitzt's auf der Bank im Postgarten vor Ellys Skizzenbuch; die läßt voll Feuereifer Zeichenstift und Aquarellpinsel über den Block fliegen.

»Tust mir die Lieb, Roserl, und hältst eine Stunde mucksmäuserlstill?« hat Huberta ihren Schützling nur gefragt. Und die hat mit leuchtenden Augen geantwortet: »Ja freili!« Damit war's abgemacht. Das Reserl kam auch gleich von selbst mit und wollte gemalt sein.

»Gel, Freihauserin, Ihren Buben malen dürfen wir auch?« wirbt Huberta bei der jungen Mutter eines strammen Jahrbuben, den sie mit dem Rosenkranz in dem einen und der Klapper im andern Händchen im Kinderwagen sitzen sieht. Das Anliegen wird stolz gewährt. Und als Huberta nun noch unter den Schulbuben des Orts die prächtigsten und verwegensten Dachse zu Modellen aushebt, drängt sich bald die ganze Rangenschaft eifrigst an Huberta und unter Ellys Malschirm: »Bitt' schön, bitt' schön, i möcht' auch g'moaln sein!«

Da hat das Sollacherfräuln erst wieder Ruhe und Ordnung zu schaffen mit Ernst und gutem Vertrösten: »Wir werden euch schon holen, wenn wir euch brauchen!«

Elly aber hat eifrig zu tun; die Aufgaben, die sie sich selber stellt, gewinnen plötzlich mächtig an Ernst, an Interesse für sie; die wirkliche Liebe für ihre Arbeit geht ihr auf.

Sie lernt so viel, daß sie mit tiefem Seufzer mit einem Mal einsieht, wie wenig, wie fast gar nix sie kann.

Die prachtvolle Runzelschönheit der alten Hablerin, deren Geschichte der Sollacher ihr erzählt, rührt und interessiert sie am meisten. Zehnmal legt sie den Greisinnenkopf neu an, um ihn immer besser zu erfassen. Der Alten macht's nichts, die hat Geduld. Huberta hat sie ja gebeten, dem Stadtfräulein Modell zu sitzen.

Sie sagt mit ernstem Ausdruck: Händefalten und Stillesitzen wolle sie die ganze Ewigkeit durch gern für ihr gutes Sollacherfräuln, wenn's dem was nützen tät.

* * *

So füllt sich Ellys Skizzenbuch mit immer hübscheren Zeichnungen und Bildern.

Die hübschesten kann sie nur leider nicht malen, weil sie zu gestaltenreich und bunt sind, und weil sie selbst darin vorkommt und sie sie also nicht sieht.

Deren gibt's viele.

Zum Beispiel: wenn die vier schlanken, blonden Schwestern, Frau Thea und die drei Mädchen, Alpenrosen an den Bergstöcken, die schneeweißen, weichen Filzhüte mit Edelweiß umkränzt, Bergfrische und Sonnenschein ausatmend, mit dem großen, blonden Herrn Professor abends aus dem Eisenbahnzug steigen, der aus den Bergen kommt.

Sodann: Wenn diese Kraxler zu Fuß und Huberta, Agnes und der Sollacher auf ihren neuen Rädern, der herrlichen Errungenschaft, die so wundervoll rasch die Verbindung zwischen Forsthaus und Seeort herstellt, unter lustigen Zurufen vorm Logierhaus zusammentreffen, vom Giselchen und der Wabi vom Balkon aus mit Rosenblättern bestreut.

Ferner: Wenn die Ruderboote mit all dem jungen Volk abends in den See hinausschwimmen, unter gleichmäßigem Heben und Senken der Ruder, tiefe Furchen ziehend in die zartgerippte, rosig überhauchte Silberscheibe des Sees.

Viele Boote sind's, ein ganzer Schwarm. Denn allerhand Stadtfreunde sind zu Professors in die Sommerfrische gestoßen und tun mit.

Ein einziges Lachen, Singen, Jauchzen ist's von Boot zu Boot durch die hallende Luft! Ein lautes Genießen und Loben, Einander-aufmerksam-machen auf die Schönheit der ineinanderfließenden Himmels- und Wasserfarben.

Weithin durch die klare Luft tönen die Stimmen.

»Nein, diese Beleuchtung! Diese Pracht!«

»Diese weichen, schönen Ufer!«

»O, schaut doch, wie die Tannen sich abheben am Rand! Wie aus schwarzem Samt geschnitten! Jede Nadel einzeln zu sehn!«

»Die Berge!«

»Die Kirchturmspitzen!«

»Wie glührot die Sonne sich spiegelt!«

»Wie die Spitzen der gespiegelten Tannen sich im Wasser abdrehen, loslösen und zergehn!«

»Ja, auf dem See ist's halt gar so wunderbar herumstreunen! Zwischen all den Inseln! Immer wieder ein andres Bild!«

»Ist wahr,« sagt der Sollacher, wenn er dabei ist, »da feit si nix, der See ist schön!«

»Halt so verlogen,« lobt ihn in dem einen Boot begeistert der rudernde Fischerbub, womit er meint, daß man ihn der vielen Inseln wegen nirgends ganz übersieht.

»Schaut, schaut,« hallt's dann wiederbewundernd, »da der Mond!«

»O, und jetzt da auf dem Wasser das Silbergeriffel.«

»Ja, 's Wasser ist heut abend recht verdruckt,« bezeichnet dieselbe Sache sachgemäßer das Bübel.

Und Oberst Ruffel neckt dazwischen schmunzelnd die Gisela, die sich aus langen Binsen ein Körbchen für Seerosen flicht, wie die Fischerfrauen und Badfrauen sie herstellen und an die Sommergäste verkaufen.

»Bin bloß neugierig, wie sie da die Verbindung herstellen von dem grünen Zopf! Auf die Verbindung kommt's den jungen Damen doch hauptsächlich an!« meint er schmunzelnd.

Fräulein Gisela belehrt ihn: »O, da steck' ich einfach die Enden hier durch!«

» Durchsteckerei? Die wird nicht gelitten! Jetzt möcht ich bloß wissen, wer den großen Korb voll Seerosen kriegt! Na, der Arme wird schön seekrank werden!«

Schadenfroh blinzelt der Oberst dabei auf den als Salontiroler ausstaffierten Herrn von Meitzenstein, der der schönen Gisela den ganzen Tag über gar so fad den Hof gemacht hat. Er sitzt bei Professors und anderen Bekannten im anderen Boot. Gisela ist ihm im letzten Augenblick entwischt.

Hat der Oberst, der alte Menschenkenner, das etwa bemerkt? Ahnt er's, was doch erst seit gestern in ihr vorgeht, das furchtbar Müdwerden der witzelnden Schlagworte, der öden Schmeichelein?

Sie schließt sich immer herzlicher an Agnes und Huberta. Die sind beide mit in Obersts Ruffels Boot.

Huberta rudert, mit dem alten Freund vereint, im gleichmäßigen Takt, mit sichrer Kraft.

Ihr Lachen über des guten Obersts Witze tönt fröhlich über den See. Strahlend schaut sie die Agnes an.

»Der See, du Agnes! Gelt! Unser See!« flüstert sie in inniger Begeisterung. »Meine Seeliebe wird halt größer von Jahr zu Jahr.«

Und Agnes, die jetzt im dünnen, weißen Kleid mit dem klaren Antlitz unter dem großen, weißen Hut aussieht wie aus lauter Seeschimmer, Seeluft, Seezauber gewoben, sagt nachdenklich: »Meine auch! Überhaupt meine Heimatliebe! Huberta, o unsre liebe, schöne Heimat!«

Immer schwärzer werden indessen die Schatten um die Inseln, immer voller und goldener steigt der Mond hinter den Bergen auf.

Da schwimmen die Boote zum Ufer heim, unter melodischem Gesang. Lachen, Jodeln und Necken sind nach und nach verstummt, das jauchzende Empfinden hat sich in Liedern Luft gemacht, in innigen Volksliedern, fröhlichen Alpengesängen.

Ein Posthorn tönt von Zeit zu Zeit mit eigentümlich herzergreifendem Stange von dem einen Boote, das noch draußen auf dem silbernen Seespiegel treibt.

Der da drin sitzt, ist der Herr Vollhuber, der Herr Lehrer, mit seinem herzigen Schatz, mit seiner feinen Braut, seiner Liebsten, Allerliebsten, – dem vormaligen törichten Geschöpf.

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