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Vierzehntes Kapitel

Die Wabi ist gar nicht mehr narret und albern in ihrem Getu.

Als sie die Agnes zum erstenmal nach deren Heimkehr wiedergesehn hatte, – im Forsthaus am Kaffeetisch unter der großen Tanne, in Gesellschaft Hubertas und der beiden Mannen, da stand sie ganz erstaunt, wie verzückt und doch mit einer rührenden Wehmut und Schüchternheit in den Blicken der alten Schulkameradin gegenüber.

Den ganzen Nachmittag war sie ernst und still, obgleich es gerade unter den jungen Leuten lustig genug zuging. Ernst ist sie heimgegangen, und das stille Wesen, das ihr rührend stand, hat sie seitdem nicht wieder abgelegt

Das ist nun schon ein Vierteljahr her.

Stiller, duftreicher, ernteheißer Sommer ist's.

Die Frau Postwirtin hantiert in der blitzendreinen Küche bis an die Ellbogen ihrer saubren, nackten Arme in einer großen, weißen Mulde voll Kuchenteig, und die Wabi, die ihrer Jugend vermessenen Traum ganz und für immer abgetan hat in einem einzigen, erkenntnisreichen Augenblick, wirtschaftet mit der Kathel, dem fleißigen alten Stubenmädel, um die Wette in den Fremdenstuben im oberen Stock des in Fremdenbüchern als lobenswert bezeichneten Logierhauses, zur Post.

Die ganze nach dem See hinausschauende Zimmerreihe mit den weinbewachsenen Veranden wird neu in stand gesetzt für Sommergäste, für besonders werte: Herr Professor Sollacher hat sie auf sechs Wochen gemietet für sich, seine Frau, sein Kind und seine drei Schwägerinnen. Wie die Wabi in der blütenweißen Schürze über dem fliederfarbenen Waschkleid flink und handfest zugreift beim Staubwischen, beim Gardinenaufstecken, beim Aufklopfen der Betten, deren schöne Einsätze sie alle selbst geklöppelt hat, beim Legen der Teppiche, beim Überbreiten der Decken! In großen, klaren Glaskrügen kommen zuletzt blaue Enziansträuße auf alle Tische.

Nun ist's schön!

Huberta beschaut sich die ganze Pracht rasch noch einmal, ehe sie sich zum Abholen der Verwandten auf den Bahnhof begibt und lobt die Wabi ganz gerührt mit leisen, lieben Worten. Kathi aber meint laut, mit Schwung: So tüchtig wie die Fräuln Wabi letzthin geworden, so gäb's keine mehr unter den Gastwirtstöchtern. »Die müßt einmal den Besitzer von einem ganz großen Hotel heiraten!«

Darauf sagt die Wabi errötend und sanft abwehrend: »Ja, ja, so in zehn Jahren vielleicht, wenn mich dann einer mag. Vorderhand bleib' ich daheim und helf' meiner Mutter. Die braucht mich!«

Damit breitet sie die letzten schneeweißen Decken glatt und grad über die Kommoden und Nachtkastel. Schneerein, glänzend und unberührt, wie neu geschaffen ist alles in den sechs gemütlichen Stuben mit dem feinen, bäuerlichen Häuslichkeitszauber über dem alltäglichen Hotelgerät. Ein paar Stunden später aber ist das alles verwischt. Da sind die Stuben voll Leute, voll Lachen, voll Lärm, voll halbausgeschütteter Taschen, halbentleerter Koffer.

Dreimal mußte der Hotelwagen fahren, um all das Gepäck vom Bahnhofe herbeizuholen.

Nun ist's die gewöhnliche Einzugsunruhe großer Familien in den Sommerfrischen: Möbel sollen verstellt, Änderungen getroffen werden.

Die jungen Damen jammern, ihre schönsten Blusen seien durchs Einpacken zerdrückt.

Giselchen quält, noch ehe ein Koffer ausgepackt ist, eigensinnig: »Ich möchte meine Puppen-Kochmaschine! Ich möchte meine große Puppe! Ich möchte meinen Tuschkasten! Aber geschwind!«

Über all der Unrast aber doch ein Aufatmen, etwas Ausruhendes, Glückseliges in den Angekommenen!

Der See schickt seinen wunderbar erfrischenden, kühlduftigen Gruß in die Stuben, im weichen Licht des beginnenden Abends breitet er sich, zwischen all den Inseln weit draußen, noch in purpurnen Streifen rubinklar auffunkelnd, die unbeleuchteten Stellen zart glänzend wie Wildentenfedern; – Boote schneiden durch den langen, goldschuppigen Widerschein des Abendrots. Die Schwägerinnen, die es zum erstenmal sehen, dies liebe Seebild, sind beruhigt; sie fanden die Gegend beim Ankommen so schrecklich flach. Diese Seelandschaft aber lassen sie jetzt gelten; Elly will sie malen, Gundel will schwimmen lernen und Gisela vor allem sich viel rudern lassen.

Fein, fein, fein soll's werden! Darin sind sie sich alle einig. Huberta überkommt's wie ein Schwindel. Sie findet im stillen: feiner könne es nicht werden, als es bis jetzt im Sommer gewesen ist.

Und doch, wenn sie das Gesicht ihres Bruders Professor nur sieht, dieses sonst so ernste, heut so heitere, heimatselige, wie er auf dem Holzausbau draußen mit dem Vater und dem Sollacher steht und in lebhaftem Gespräch mit ihnen nach den Waldungen hinüber und südwärts nach den Bergen schaut, da klopft ihr Herz so froh für ihn!

Sie hört etwas erschreckt, allerlei Bekannte aus der Stadt wollen kommen, bei Gelegenheit von größeren Bergtouren. Herrn von Meitzensteins Name trübt ihr für einen Augenblick die heitere Stimmung. Dann wird die aber gleich wieder hell: ein tiefgoldner Glanz vom letzten Abendlicht fällt auch gerade durch die wehenden Gardinen ins Zimmer, als sie es vernimmt: Oberst Ruffels haben auch für ein paar Wochen Zimmer in der »Post« gemietet.

»Der Sohn, der Herr Kandidat, hat sich ja zu einer Probepredigt in der evangelischen Gemeinde hier bei euch gemeldet, Huberta,« sagt Thea, »eine Hilfsgeistlichenstelle ist ja bei euch ausgeschrieben, um die wollte er sich bewerben. Weißt du davon?«

»Nein!« sagt Huberta.

Sie hat es nicht gewußt. Seit Wochen hat der Freund ihr nicht geschrieben. Das heißt: sie ist ihm die Antwort so lange schuldig geblieben. Die Arbeitsfülle des sommerlichen Lebens hat sie nicht zum Schreiben kommen lassen, nur zu Briefanfängen, die sie immer wieder zerriß. Sein letzter Brief schien ihr anders als die andern, so bewegt; es war ihr nicht so leicht wie sonst gewesen, etwas darauf zu sagen.

Das also war der Grund seiner Erregung gewesen.

Das war für Huberta ein fröhliches Aufatmen, ein herzliches Freuen. Seine Unruhe verstand sie nun: sie wußte ja, daß er sich bangte vorm ersten Predigtversuch. Und sie hätte ja eigentlich mit ihm bangen müssen. Einen Augenblick lang versuchte sie's. Dann aber lachte sie sich auch diesen schwachen Versuch fröhlich vom Herzen weg.

Um den Mann sorgen! Nein, das bekam sie nicht fertig. Sie vertraut ihm so von ganzem Herzen! Der wird's, der muß es recht machen! Der Mann, der ihr in seinen Briefen seine Gedanken über Gott und die Welt so fest und schön auseinander gesetzt hat! Seine guten, frommen, starken Gedanken! Sich um den sorgen, – nicht mit aller Gewalt hätte sie das ins Herz hineingebracht.

»Der macht's schon! der macht's recht!« klang's in ihr, froh und verehrungsvoll, in all das Gelach und Getön und Gerede dieses Abends hinein.

Es wird im lindenduftigen Wirtsgarten der »Post«, in der großen Veranda am Seesrande, von der ganzen Verwandtengemeinschaft zu Abend gespeist: gebratene Hechte aus dem See, dampfende »Röschtkartoffeln«, zarten, grünen Salat zu bernsteinfarbenem Tiroler Wein und zum schäumenden Bräu.

Volkssänger in Tracht fingen zur Zither und Guitarre Koschat'sche Lieder und alte bayrische, jauchzende Alpenlieder.

Sie tänzeln dabei, schuhplatteln schließlich. Jeder Stuhl im Garten ist besetzt, die Kellnerinnen fliegen hin und her mit Maßkrügeln, Tellern, Schüsseln; die weißen Vollmonde der elektrischen Lampen erstrahlen; draußen in den Booten auf dem See werden Rotfeuer abgebrannt, die die Gestalten der Ruderer scharf und deutlich herausheben aus dem weichen Dunkelblau, sogar ein paar Raketen steigert; das ganze eigentümliche Leben, das tue Stadtgäste in den Sommerfrischen wecken und das dann dort so lustig überquillt, nimmt seinen Verlauf.

Dazu fliegt fröhliches Gespräch zwischen den Stadt- und Waldleuten über die lange Abendtafel hin und her.

Die drei Schwippschwägerinnen sehen in ihren weißen Kleidern mit den weißen Hütchen auf den blonden und braunen Haaren reizend aus.

Der Sollacher plänkelt und neckt sich lustig mit ihnen. Es ist Sommer. Immer weicher, blauer, lieblicher kommt die Sommernacht.

Alle Menschen lochen, genießen, freuen sich.

Und Huberta muß in ihrem stillen Herzen mit ihnen allen jubelnd glücklich sein.

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