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Werdende Mutter

Verkündigung

Zu Maria in der Frühe
Trat der Engel in den Raum.
»Blühe,« sprach er, »Süße, blühe,
Gleich dem roten Mandelbaum.«
Eine Nachtigall im Garten
Konnt' den Morgen nicht erwarten,
Rief der Nacht in ihrem Traum.

Will Vesper. Aus: »Zu einer Hochzeit«.

Juli

Klingt im Wind ein Wiegenlied,
Sonne warm herniedersieht,
Seine Aehren senkt das Korn,
Rote Beere schwillt am Dorn,
Schwer von Segen ist die Flur –
Junge Frau, was sinnst du nur?

Theodor Storm.

Mutterahnung

Frühlingsmorgen, voll Glanz und voll Tau,
Voll Vogelgezwitscher und Himmelblau,
Voll herziger Veilchen im schattigen Grün,
Voll süßer Verheißung, voll frohem Erblühn!

Was jauchzest, mein Herz, du so fröhlich drein?
Es kann dieser Frühling dein letzter sein;
Wenn wieder auf Erden er keimen will,
Wohl liegest du unter der Erde still.

Du bist eine Muschel, gering und klein –
Doch schließest vielleicht eine Perle du ein,
Und ruft sie ans Licht ein göttlicher Kuß,
Wer weiß, ob die Muschel nicht sterben muß!

Dein Wille geschehe mir allezeit recht,
O Herr, gib nur eins: die Perle sei echt,
Sei heiligen Schimmers und niemals getrübt,
Vom Himmel begnadet, auf Erden geliebt!

Clotilde von Francois.

Im Sommer

Im Sommer da gibt's Erntezeit,
Heut sind wir noch zu zweien.
Doch wenn man die goldnen Aehren schneid't,
Derweil sind wir zu dreien!

Ders so gelenkt, ders so gelegt,
Wirds fröhlich weiter lenken. –
Wer mags, daß er gern Röslein trägt,
Dem Rosenstrauch verdenken?

Junges Glück

Nein, junge Frau, du hast geträumt,
Im Gartenwinkel da ...
Es pfiff ein Fink, ein brauner Fink,
Und niemand rief »Mama!« –
Der Flieder wirft dir Blüten zu,
Dein Haar ist lichtumsäumt ...
Du junge, frohe Frau, hast du
Am End' doch nicht geträumt?

Dora Stieler.

Ein alter Volksglaube sagt: Wiegt man eine Wiege, in der kein Kind ist, so nimmt man dem Kind, das später hineingelegt wird, die gesunde Ruhe. Ja, unnützes Wiegen ist schädlich, und das gilt noch mehr von dem Schaukeln und Hin- und Herbewegen der Gedanken, in denen kein Leben ruht.

Berthold Auerbach (Luzifer).

Eine blonde Frau geht in Sinnen

Eine blonde Frau geht in Sinnen,
Für ihr Kind geht sie bleichen das Linnen.

Sie fragt sich selig beklommen:
Was für Augen soll es bekommen?

Des Vaters Augen soll's haben,
Der süße Schein soll mich laben.

Was für Haare? Sie lächelt vor sich hin,
Es geht ihr was Blondes durch den Sinn.

Ein Knabe oder ein Mägdlein? Ach ja,
Ein Knabe! Was gibt's zu fragen da!

Doch könnte sie auch nicht böse sein,
Wär' es ein trautes Mägdelein. –

Nun setzt sie sich mit ihrer Last
Und schlummert ein in süßer Rast.

Sie lächelt im Traum. Es lacht die Welt.
Es geht ein Flüstern übers Feld. –

Albert Geiger.

Gutes Beispiel

Wenn irgendwo in der weiten Welt
Ein kleiner Mensch seinen Einzug hält,
Wenn Kinderaugen zum Licht erwachen,
Da sputen sich alle Sächlein und Sachen,
Die nur im Hause stehen und liegen,
Sie wollen auch kleine Kinderchen kriegen.
Das steife Bett kriegt zuerst ein Kindchen,
Dann lacht das Spind auf ein Kinderspindchen,
Die alte Kanne bekommt ein Kännchen,
Die Badewanne ein Badewännchen,
Der Stuhl ein Stühlchen mit dünnen Beinchen,
Sogar der Eßtisch bekommt ein Kleinchen.
Im Flug entsteht so, – es ist zum Lachen, –
Eine ganze Wirtschaft von kleinen Sachen.
Wer nennt sie, wer zählt sie, die Töpfchen, die Söckchen,
Die Schuhchen, die Hemdchen, die Täßchen, die Röckchen?
Sie sind alle zum Küssen niedlich und fein.
So ist's, so war's, so wird's immer sein,
Wo ein kleiner Mensch seinen Einzug hält. –
Es ist doch eine lustige Welt!

Frida Schanz.

Adebar

Seht, o seht, da stehn sie würdevoll,
Stolz und etwas müd von all den Ehren.
Gestern war das Dorf von Liedern voll.
Jedes Kind singt, wenn sie wiederkehren,
Wie der Frühling selbst, so hell und klar:
Adebar, du Langbeen, Adebar!

Fein, weißschwarz, in rotem Schuh und Strumpf,
Kamen sie um zwölf von ihrer Reise.
Aus dem alten Nest im Pappelstumpf
Klang ihr Klappern in der alten Weise.
Wenn sie da sind, ist der Lenz erst wahr!
Adebar, du Langbeen, Adebar!

Jeder Bettler kriegt heut kräftgen Trunk.
Frau und Magd sind flinker auf den Füßen.
Von den Störchen schwatzt heut alt und jung –
Und die Klassenerste muß sie grüßen
Mit dem ersten Veilchenkranz im Haar!
Adebar, du Langbeen, Adebar!

Fliegt ein Storchpaar übers junge Korn,
Grüner, reicher leuchten dann die Saaten.
Ehmals stieß der Turmwart in sein Horn,
Wenn im Lenz die ersten Störche nahten.
Hei, wie lachte mein Urahnenpaar:
Adebar, du Langbeen, Adebar!

Fr. Raimund.

Mütterliche Liebe

Die Mutter trägt im Leibe das Kind drei Vierteljahr.
Die Mutter trägt auf Armen das Kind, weils schwach noch war.
Die Mutter trägt im Herzen die Kinder immerdar.

Friedrich von Lolgau.

Winterabend

Der Schnee deckt leis und linde
Die Welt da draußen ein,
Wir sitzen im warmen Stübchen
Bei trautem Lampenschein.

Du hältst ein Buch in Händen,
Voll Andacht lausch' ich dir,
Des Lebens Höhen und Tiefen
Erschließen sich vor mir.

Ein Kind fast noch an Jahren
Ward ich dein junges Weib,
Der »Faust«, – die Menschengeschichte
Erschüttert mir Seele und Leib.

Ein winz'ges Hemd entgleitet
Den Händen – es blinkt wie Tau –
Du küßt mir vom Aug' die Tränen:
»Nicht weinen, du süße Frau.«

E. E.


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