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(1936)
Der Maler Hermann W. Schäfer – an dessen Sarg wir stehen – war kein Wunderkind, aber eine früh sichtbare Begabung. Bereits als Neunjähriger gelang es ihm, mit drei Bildern durch die Jury in eine Kunstausstellung zu kommen. Die kleinen Blätter zeigten jene naive Gegenständlichkeit, wie sie durch die Mode der Kinderzeichnungen seitdem geläufig wurde, fielen aber auf durch ihre Farbigkeit und das sichere Bildgefühl.
Mit siebzehn Jahren auf Grund der vorgewiesenen Arbeiten in die Karlsruher Akademie aufgenommen, wo ihn Spötter um seiner noch nicht abgelegten Knabenhaftigkeit willen den »Setzling« hießen, war er Schüler des jüngst verstorbenen Malers August Babberger. Trotz persönlicher Freundschaft konnte er nicht sein Liebling werden, weil er sich gegen die dekorative Vergewaltigung der Erscheinungen sträubte.
Auch seinem zweiten Lehrer, dem Maler Heinrich Altherr an der Stuttgarter Akademie, konnte er sich nicht angleichen; hier hinderte ihn seine Vorliebe für den modernen Alltag. Bilderscheinungen aus Ideen zu entwickeln lag ihm nicht; er war ein moderner Mensch, den Bahnhofshallen mit rauchenden Lokomotiven, Asphaltarbeiter und Kirmestrubel zur Darstellung reizten, und dafür fand er die Mittel bei Altherr so wenig wie bei Babberger, trotzdem er die künstlerischen Leistungen seiner Lehrer achtete. Er wollte sich nicht abrichten lassen und war kein gelehriger Schüler.
Seiner Begabung lag die im Pinselschlag blühende Farbe, also was man im modernen Sinn malen nennt. Malen nach seiner Neigung konnte der Kölner Maler Johann Greferath; so kam er in dessen Atelier als Geselle im Sinn des alten Meisterbetriebs; so weit ging diese Gesellenschaft, daß zeichnerische Aufträge unter dem Namen des Meisters gingen, an denen er reichlich beteiligt war.
Die zeichnerische Begabung wurde bei Hermann W. Schäfer immer mehr zur Leidenschaft, die Malerei verdrängend. Seine hundert hinterlassenen Skizzenbücher sind voll von zeichnerischen Notizen schärfster Beobachtung. Er konnte in keinem Wartesaal, in keinem Wirtshaus, in keiner Straßenbahn sitzen, ohne seine Mitmenschen zeichnerisch einzufangen, was natürlich nicht ohne Kritik geschah.
Die Verdrängung der Malerei durch die Zeichnung war merkwürdig, weil er in seinen wenigen Bildern die ursprüngliche Begabung für die Farbe zeigte und über die anfängliche Schülerschaft zu dem von ihm geliebten Greferath bald hinaus kam. Sein »Christophorus« oder sein »Picknick bei Regen« sind Dinge nicht mehr gesellenhafter, sondern schon meisterlicher Art, die ganz gewiß sein junges Leben überdauern werden.
Als er vor einem Jahr aus seinem Nest in Vallendar einen eigenen Horst zu finden suchte, ging er nicht in eine Kunststadt, weil er die Künstleransammlungen haßte, sondern nach Essen in den »Kohlenpott«, wo das moderne Leben seiner Neigung die Räume und Menschen prägt. Dorthin nahm er freilich ahnungslos die Krankheit mit, an der er mit dreißig Jahren sterben sollte: ein dämonisches Leiden, das er nach Aussage der Ärzte schon seit seiner Jugend unerkannt mit sich trug. Eine Geschwulst im Gehirn, die durch eine zu späte Operation zwar noch entfernt werden konnte, die aber in einem vierwöchentlichen Krankenlager seinen Körper vom Gehirn aus so geschwächt hatte, daß er den Kampf der Heilung nicht mehr aufzunehmen vermochte, war die grausame Kralle des Schicksals, die seinen Lebensmut lähmte, ehe sie ihn in vier Leidenswochen zerstörte.
Erst der Ausbruch dieser grausamen Krankheit, die ihm sein klares Bewußtsein bis zuletzt ließ, erklärte uns die merkwürdige Lähmung, die sich seit langem auf ihn gelegt hatte, sodaß seine ungewöhnliche Begabung sich nicht vollenden konnte. Die Kunstgeschichte wird den Namen Hermann W. Schäfer vorläufig kaum kennen; der Kunst wird er mit einzelnen ausgereiften Stücken trotzdem angehören.
Was den Künstler bestimmte, war auch seine Eigenschaft als Mensch: wie er sich gegen die »Bananenleiber« moderner Kompositionskünste wehrte, wie er sich durch keine Malmode in seinem Naturgefühl beirren ließ – er wollte die Kunst wahrhaftig nach dem Dürerwort aus der Natur reißen, nicht durch Spekulation gewinnen –, so war er auch sonst voll Wahrhaftigkeit. Er haßte jedes Getue, jede Pose und Verstellung und war sich darin bis zum Ärgernis treu. Niemand wird sagen können, daß ihm Hermann W. Schäfer geschmeichelt habe.
Wie er sich selber treu war, so auch andern; wo er anerkennen konnte, war er bis zur Liebe dazu bereit, ohne freilich von jener spöttischen Kühle abzulassen, die sein Charakterbild bestimmte. Darin konnte er bis zum Sarkasmus gehen, der jedoch niemals ins Zynische absank; dafür war sein Menschengrund zu warm und sein Verstand zu klug. Seine Geistigkeit war nicht in den Hallen humanistischer Bildung zu Hause, gegen die er seine Abneigung nie verhehlte, aber sie wußte sich mit seinem Lebensgefühl in Einklang zu halten. Hermann W. Schäfer liebte die Welt, in der er lebte.
Über diesen Dreißigjährigen ist nun der grausame Abschluß einer Krankheit gekommen, die seine Entwicklung schon vorher gelähmt hatte. So hat er sich als Künstler nicht zur Gestalt dessen auswachsen können, was in ihm beschlossen lag; wohl aber hat er sich als Mensch zur Gestalt gebracht. Die wir ihn auf seiner Bahre liegen sahen mit dem schönen, durchgebildeten Kopf, mit den starken und edlen Händen, nahmen das Bild einer vollendeten Menschlichkeit mit.
Die Krankheit hat ihn hingenommen, ehe er sich im modernen Existenzkampf bewähren konnte, aber auch ehe der an ihm seine bösen Spuren ließ. Das Dasein eines Menschen seiner Art, der zu keiner Beugung bereit ist, hat seit dem Weltkrieg an Schwierigkeiten zugenommen. Er wollte nichts sein als durch sich selber und sein Können, auch durch seinen Vater nicht, den er gleichwohl liebte und verstand; mit diesem Nurselbersein hätte er auf robusteren Füßen stehen müssen als den seinen, die merkwürdig schüchtern waren. Es sei die »Antriebsschwäche« seiner Krankheit gewesen, haben die Ärzte gesagt, die für sein Schicksal ihre Formel fanden.
In einem war die Antriebsschwäche nie über ihn Herr: in seiner Liebenswürdigkeit, die ihm die Herzen zuwandte. Aber auch diese Liebenswürdigkeit ist in unserer harten Zeit kaum eine Waffe, das Leben zu bestehen, wenn sie um ihrer selber, nicht um eines Zweckes willen geübt wird. Um eines Zweckes willen konnte Hermann W. Schäfer auch in den kleinsten Dingen keine gute Miene zum bösen Spiel machen. Das hat ihm die Freunde eingebracht, die nun über seinen frühen Tod ergriffen sind und ihn nicht vergessen werden. In ihrem, in eurem Namen rufe ich, Dein Vater, Dir, Hermann W. Schäfer, den letzten Abschiedsgruß zu.