Agnes Sapper
Werden und Wachsen
Agnes Sapper

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Neuntes Kapitel.

Cäcilie!« Der Direktor rief es, daß es durch alle Räume des oberen Stockwerks klang, ja auch im unteren mochte sein Ruf gehört worden sein, denn Herr Pfäffling kam von unten und hatte nicht warten können, bis die obere Treppentüre hinter ihm ins Schloß fiel. »Cäcilie, Großmutter, wo bist du?« Nun stand sie schon neben ihm, nahm ihm das Telegramm aus der Hand, das er ihr fröhlich entgegenstreckte, und las mit strahlenden Augen die Botschaft von der glücklichen Ankunft einer kleinen Enkelin. Verschiedene Türen gingen auf, drei junge Onkel und eine vor Freude ganz ausgelassene Tante eilten herbei, um mit eigenen Augen das Blatt zu sehen, das ihnen solch neue Würde verlieh. Es fehlte nur Marie in dem Geschwisterkreis. Sie war einem längst gegebenen Versprechen gemäß schon vor acht Tagen zu Hannas Hilfe nach Siegfeld gereist und mochte wohl eben das kleine Geschöpf im Arme haben, das nun im Hause 198 Pfäffling als erstes Glied der nächsten Generation gefeiert wurde.

Wilhelm las noch einmal das Telegramm, dann sagte er lachend: »Karl ist unverbesserlich, andere Väter kündigen die Geburt eines Sohnes oder einer Tochter an, aber bei ihm ist's gleich eine Enkelin. Er bezieht alles auf unsere Familie.«

»Aber Wilhelm, das paßt doch ganz gut, wenn er es den Eltern ankündigt,« meinte Else.

»Einerlei, einem andern Vater wäre das gar nicht eingefallen, sollte mich gar nicht wundern, wenn Karl es so in die Zeitung setzte.«

»Ein Bub hätte es sein sollen,« bemerkte nun Otto.

»Wie unhöflich, Otto!« sagte der Direktor, »die Damen sollen immer vorangehen.«

Sie lachten über die kleine Dame im Wickelkissen, fragten sich, wie sie wohl heißen würde, und waren einstimmig der Meinung, daß man die junge Familie jetzt in der Wagnerstraße haben möchte.

Diese selbst dachte jetzt nicht viel an andere, auch Karl nicht. Was in den eigenen vier Wänden vorging, erfüllte sie ganz und gar. Ja, am ersten Tage hatte Karl vielleicht noch am lebhaftesten die Freude empfunden, die sein Telegramm »daheim« machen würde, »daheim«, das war noch immer das Elternhaus in Marstadt. Aber am dritten Tag wurde Hanna krank. Zum erstenmal trat dem jungen Ehemann die Sorge nahe und sie ergriff ihn in tiefster Seele. Wenn er den Arzt bedenklich sah und beobachtete, wie er mehrmals des Tages kam, wenn Marie und die 199 Wärterin leise und behutsam aus und ein gingen, und wenn er seine junge Frau im Fieber liegen sah, dann war es ihm, als stünde sein eigenes Leben auf dem Spiel, als müßten die nächsten Stunden und Tage über sein Leben und Sterben entscheiden. Er hatte nicht gewußt, daß er so innig verwachsen war mit Hanna, erst jetzt wurde es ihm klar, da ihm ein Leben ohne sie ganz undenkbar schien.

Er hatte zuerst die Pflege ganz ruhig den berufenen Pflegerinnen überlassen, es war ihm verständig erschienen, denn was wußte er von Krankenpflege? Aber jetzt wurde er unverständig, er wollte nachts nicht mehr von der Stelle weichen, ja, er bildete sich ein, seine tiefe Liebe und seine unermüdliche Treue müßten sich umsetzen in eine Kraft des Widerstandes, müßten die Kranke stärken im Kampf gegen das Übel. Und dann war ja Hannas Kind da, für dieses konnte doch auch niemand die Liebe empfinden, die er in sich fühlte. Es lag in dem Korbwagen, den er mit Hanna ausgewählt hatte. Unzählige Male sah er nach dem kleinen Geschöpfchen. Am unteren Ende des Korbes stand, vom Bettchen bedeckt, die Wärmflasche, die er auch mit seiner Frau eingekauft hatte. Er wußte noch, wie Hanna ihm gesagt hatte: »Anfangs haben sie noch so wenig eigene Wärme, die Kinderchen, da muß man von außen nachhelfen.«

Einmal, als der junge Vater wieder sorglich nach dem Kindlein sah, fehlte die Wärmflasche. Er fragte danach. Sie war vergessen worden, und die Wärterin meinte, es sei nicht nötig. Allein da erklärte der Herr des Hauses, seine Frau habe es gewünscht und deshalb 200 müsse es so gemacht werden; daraufhin wurde das Versäumte nachgeholt. So geringfügig die Sache war, sie machte doch für einen Augenblick den traurigen Ehemann glücklich, hatte er doch seiner Frau Treue beweisen können.

Am ersten Tag war das Kind auf dem Standesamt angemeldet worden; über den Namen waren die Eltern längst einig gewesen, eine kleine Cäcilie sollte es werden, »Cilli« wollten sie die Kleine rufen. Aber während seine Frau vom Fieber hingenommen lag, ging der junge Vater noch einmal auf das Amt und verlangte, daß zu dem erst bestimmten noch der Name »Hanna« eingetragen werde. Er tat es, obgleich er früher den Namen nicht schön gefunden, tat es, trotzdem er grundsätzlich gegen die Wiederholung der Namen in der engeren Familie war. All dies schien ihm nun gleichgültig, ihm lag nur daran, den Namen zu erhalten, der ihm das liebste war, und das war nicht der Name seiner Mutter, in dem Namen Hanna lag sein Lebensglück.

Die sorgenvollen Nächte in dem Krankenzimmer waren dem jungen Lehrer in seiner Klasse wohl anzumerken. Er sah blaß aus und hatte nicht seinen gewohnten fröhlichen Ton. Einer der kleinen Lateinschüler sagte dem andern: »Ich weiß, warum er so traurig ist, seine Frau ist krank.« Karl hatte ein Herz für seine Schüler und er durfte jetzt erfahren, daß er damit auch ihre Herzen gewonnen hatte. Sie waren ruhiger als sonst, keiner wollte ihm Ärger bereiten. Und am Sonntag frühe, als Karl auf ein Klingeln öffnete in der Meinung, der Arzt komme, stand ein 201 kleiner Lateiner vor der Türe, zog die Mütze und sprach fest: »Im Namen der Klasse soll ich fragen, ob es der Frau Professor jetzt wieder gut geht?« Dabei sah der Junge so treuherzig zu seinem Lehrer auf, daß dieser ganz ergriffen war von dem Mitgefühl seiner Schulbuben, dieser sonst wenig gefühlvollen, in kindlicher Selbstsucht befangenen Kameraden.

»Ich danke der Klasse für ihre Teilnahme; es geht nicht gut bei meiner Frau.« Mehr konnte er nicht sagen. Unten, vor dem Hause, erwarteten einige Kameraden den Abgesandten. Der richtete die Botschaft aus und fügte ganz leise hinzu: »Ich sage euch, wenn er nicht ein Mann wäre, hätte er geweint.« Da gingen sie still auseinander.

Marie bewährte sich als treue Pflegerin und teilnehmende Schwester. Anscheinend ging sie ganz und gar auf in den Pflichten, die ihr zugefallen waren. Aber das war nur Schein, in Wirklichkeit behielt sie sich doch von ihren Gedanken und Gefühlen etwas frei und pflegte ganz im geheimen, manchmal fast mit bösem Gewissen, ihr Innenleben. Sie konnte sich's selbst kaum verzeihen, daß sie neben dem bekümmerten Bruder und der leidenden Schwägerin im tiefsten Grund doch noch ihr eigenes Glück empfand. Aber wie konnte sie das verhindern? Hatte ihr doch eben in diesen Tagen die Mutter einen Brief von Arnold nachgeschickt, viele Bogen lang. Und dieser Brief mußte doch beantwortet werden. Er enthielt aber ganz merkwürdige Fragen, die sie staunend las. Wollte doch dieser Mann in Afrika ganz genau wissen, wie oft sie an ihn denke, zu welcher Tageszeit und bei welchen 202 Anlässen und was sie dann über ihn denke. Das solle sie alles ganz offen und rückhaltslos schreiben. Nein, das war ja ganz unmöglich, allerlei Gedanken waren ihr gekommen, seit sie bei Karl und Hanna war, die konnte sie ihm nicht mitteilen, er mußte sich's schon gefallen lassen, daß sie erwiderte: »Das alles will ich dir sagen, wenn wir erst Mann und Frau sind, aber bis dahin mußt du noch warten.«

So las und schrieb sie, während die Wärterin sie bei der Kranken ablöste, und das bräutliche Glück, so tief es im Schatten stand, blühte doch weiter.


Eine Woche später und Hanna war außer Gefahr. Nun atmeten sie alle wieder auf und erkannten erst, was für ein schwerer Druck auf ihnen gelegen war. Wie wenn der Barometer von seinem tiefsten Stand hinaufschnellt zu seinem höchsten, so leicht war es allen ums Herz, so glücklich und dankbar fühlten sie sich. Und das um so mehr, als Hannas gesunde Natur sich staunenswert schnell erholte. Der Arzt hatte eine langsame Genesung vorausgesagt. »So bin ich nicht,« hatte ihm Hanna ganz zuversichtlich entgegnet, »bei mir geht immer alles schnell.« Und richtig saß sie nun schon ganz munter im bequemen Stuhl, Karl neben ihr, dazwischen stand der Korbwagen mit dem Kind. Karl schob ihn beiseite und rückte näher zu Hanna.

203 »Wie schnöde,« sagte sie, »so siehst du ja die Kleine nicht, freue dich doch an ihr!«

»Ich kann mich jetzt nur an meiner Frau freuen und bin zu gar nichts weiter fähig. Du mußt Nachsicht mit mir haben wie mit einem Bräutigam, denn mir ist's zumute wie damals, wie wenn ich dich eben erst gewonnen hätte.«

Sie legte ihre Hand in die seine und sah ihn glücklich an. »Um solchen Preis mag man wohl leiden,« sagte sie, blickte auf ihn, dann auf die kleine Tochter und kam sich unendlich reich vor.

In der dreifachen Freude, die von der wiedergewonnenen Gesundheit, von dem gedeihlichen Kindlein und dem vertieften ehelichen Glück herrührte, hatte Hanna das dringende Bedürfnis, die Eltern Pfäffling bei sich zu sehen; denn sie wußte, wie innig sich diese mit ihr freuen würden. So ging denn an den Direktor und seine Frau eine Einladung zur Taufe ab, von Hanna stürmisch abgefaßt, von Karl warm befürwortet und von Marie mit zärtlicher Bitte begleitet, so daß nicht zu widerstehen war, die jungen Großeltern mußten sich zu der Reise entschließen.

Es war ihnen etwas Ungewohntes, mitten in der Arbeitszeit, Anfang März, solch eine Reise zusammen zu machen, die immerhin drei Tage in Anspruch nehmen würde. Eine Verschwendung erschien ihnen das und ein unerlaubtes Wohlleben. Aber während sie das feststellten, leuchtete eine solch jugendliche Unternehmungslust aus des Direktors Augen, ein solch verräterisch glückliches Strahlen aus Frau Pfäfflings Gesicht, daß die großen Kinder einstimmig 204 zuredeten und alle Reisevorbereitungen in Gang brachten. Dadurch wurde die Verantwortung auf viele Schultern verteilt, so daß sie niemand mehr bedrückte und die Eltern in großem Geleite mit allem Nötigen bedacht in die Bahn einstiegen.

»Ich glaube wahrhaftig, wir werden alt, Cäcilie,« sagte Herr Pfäffling, als der Zug sich in Bewegung gesetzt hatte, »wenn man von den Kindern versorgt wird und auf dem Weg zum Enkelkind ist, kann's wohl nicht anders sein!«

»Wenn's denn so ist,« meinte Frau Pfäffling und lehnte sich behaglich zurück, »dann lassen wir uns auch mit gutem Gewissen pflegen. Wie werden Hanna und Marie jetzt geschäftig sein, alles behaglich für uns zu richten, und wie wird Karl sich freuen! Es gibt nichts Schöneres als zu den Kindern zu reisen!«

»Ja, und das Reisen an sich ist schon eine Freude. Sieh nur hinaus, es ist noch alles kahl, aber statt der Straßen und Häuser einmal braune Äcker und Felder zu sehen, den weiten Horizont und in der Ferne die Hügel, das tut doch gut.«

Sie sahen beide durch die Scheiben, bis der Wind den Rauch der Lokomotive herunterdrückte, so daß die ganze Landschaft verdeckt wurde. »Ich freue mich auf das Wickelkind,« sagte Frau Pfäffling.

»Dein letztes ist freilich schon achtzehn Jahre alt, höchste Zeit, daß wieder eines in die Familie kommt!«

Ein paar Stunden später standen sie denn wirklich mit den glücklichen jungen Eltern und Marie an dem Bettchen und sahen in die wachen Augen des niedlichen, rundlichen Kindleins. »Ganz allerliebst ist es,« 205 erklärte Frau Pfäffling, »und so kräftig, ich glaube, keines von den meinigen war so.«

»Ich muß es erst einmal auf die Arme nehmen und sehen, ob ich es noch verstehe, mit Wickelkindern umzugehen!« sagte Herr Pfäffling vergnügt, und Hanna hob das Kind heraus. »Ach, das ist ja gar kein richtiges Wickelkind,« rief der Großvater enttäuscht, »Cäcilie, unsere waren ja ganz anders, die hatten so einen festen Halt in ihren Tragkissen, das traue ich mich gar nicht anzufassen.«

»Es geht schon auch so,« versicherte seine Frau, nahm das kleine Wesen, das nur in Tücher gehüllt war, und drückte es an sich.

»Warum hat es denn aber kein Wickelkissen?« beharrte der Direktor.

»Davon ist man abgekommen, Vater,« belehrte Karl, »es ist viel gesünder für die Kleinen.«

»Ja,« fügte Hanna hinzu, »sie können sich besser bewegen, die Beinchen werden kräftiger.«

»So, so,« sagte der Direktor gutmütig zustimmend, aber als sie ihm nun das Kind in die Arme legen wollten, stellte er sich ungeschickt an und versicherte, er sehe es noch lieber im Bettchen. So wurde die kleine Enkelin wieder in ihren Korbwagen gelegt, und die ganze Familie setzte sich um den gemütlichen Teetisch in dem beglückenden Gefühl trauter Zusammengehörigkeit. Die bangen Tage und Nächte, die sie hinter sich hatten, lagen für das junge Paar noch im Vordergrund der Erinnerung, und als sie davon sprachen und von der Wonne der wiedergeschenkten Gesundheit, sah Frau Pfäffling von einem zum andern, fühlte, daß 206 die beiden inniger miteinander verwachsen waren, und versank darüber in allerlei Gedanken. Sie hörte nicht recht auf die Erzählung von der überstandenen Angst, mit der Marie den Bericht ergänzte, und als diese nun schwieg, ergriff die Mutter Hannas Hand und sagte gedankenvoll: »Wie gut das alles war!« Sie sahen etwas erstaunt auf und Herr Pfäffling lachte: »Nun, du trägst ja recht leicht an der andern Angst und Not!«

Sie wollte sich entschuldigen, aber Hanna fiel ihr ins Wort: »Wir verstehen dich schon, Mutter, und niemand hält dich für hartherzig,« und sie umarmte die Mutter in ihrer herzlichen, lebhaften Weise.

Als man sich getrennt hatte und jedes der Ruhe nachging, zog Marie die Mutter noch zu sich in ihr Stübchen. »Ich möchte dir noch etwas sagen, Mutter, ich reise doch gleich mit euch heim, nicht? Ich war ja sehr gern hier, aber Hanna braucht mich nun wirklich nicht mehr, die drei sind so glücklich miteinander, und ich will nun doch vorwärts machen mit meiner Aussteuer. Wenn ich denke, daß wir auch so beisammen sein könnten wie Karl und Hanna, und so weit getrennt sind, dann werde ich oft ganz sehnsüchtig, Mutter!« Die Tränen wollten ihr in die Augen kommen, aber sie wurden gleich gestillt.

»Gewiß kommst du mit uns heim und dann gehen wir tüchtig an die Arbeit, wer weiß, wie bald Arnold seine Braut kommen heißt!«

»Wie schön wird es sein, wieder mit dir unter einem Dach zu schlafen,« sagte Marie, sie konnte sich gar nicht von der Mutter trennen und dennoch sehnte sie 207 sich in so weite Ferne! Frau Pfäffling dachte noch darüber nach, als sie zu ihrem Manne in das Gastzimmer trat. Er war in fröhlicher Stimmung. »Wirklich nett ist es hier, es muß einem wohl sein in diesem Haus, die zwei verstehen sich immer besser, Karl ist männlicher geworden durch diese Erfahrungen.«

»Und dadurch, daß er fort ist von uns.«

»Ja, es war gut. Sie haben sich lieber gewonnen und ich glaube, auch uns!«

»Gewiß, es ist ja nur natürlich, daß es Hanna lieb ist, wenn wir ihnen nicht mehr täglich dareinreden.«

»Manchmal wäre das aber nicht übel. Was ist denn das zum Beispiel für ein Unsinn, daß sie kein Tragkissen haben? So ein Kind dauert mich, es muß ja frieren, so oft man's aufhebt, und unten fühlt sich's so verdächtig feucht an, ich mochte es nicht tragen, ich hatte auch Angst, daß es zerbricht.«

»Es zerbricht eben doch nicht. Mir kommt es ja auch nicht praktisch vor und ich hatte Hanna ein Wickelkissen geschickt. Aber die jungen Mütter machen es jetzt alle so und – hast du nicht bemerkt – auch Karl findet es gut so. Wären sie bei uns geblieben, so dächte er darüber gewiß so wie wir, und die arme Hanna hätte gleich gegen drei altmodische Leute anzukämpfen.«

»Altmodisch? Cäcilie, du bist anfangs der Fünfziger!«

»Den Jungen kommt das schon alt vor. Aber das macht ja nichts, sie sollen nur nach ihren 208 Anschauungen leben wie wir nach den unseren, und die Liebe ist die Brücke zum gegenseitigen Verständnis. Im großen und ganzen geht es doch wohl vorwärts in der Welt?«

»Gewiß, unsere Ahnen hausten in Höhlen, während wir eine Amtswohnung in der Musikschule haben. Aber manchmal wird auch Altes beseitigt, das gut war, und dazu gehört das Wickelkissen, das lasse ich mir nicht nehmen.«

Am nächsten Morgen, dem Tauftag, saß die Familie fröhlich beisammen, und doch standen Karl und Hanna in heißem Streit. Sie konnten sich nicht einigen über den Rufnamen des kleinen Christenkindes. Die junge Mutter beharrte auf Cäcilie, so sei es längst bestimmt, der Vater aber wollte durchaus seine kleine Hanna haben. Sie waren noch mitten in der Beratung, als sie vor der Türe die Stimme des Dienstmädchens hörten: »Kommt nur selbst herein.« Die Türe ging auf und herein traten, mit den bunten Mützen in der Hand, drei kleine Lateinschüler, der eine trug eine Riesentorte und überreichte sie der jungen Frau im Namen seiner Mitschüler. Auf der Torte standen, zierlich mit Zucker gespritzt, die Worte:

»Es blühe wie eine Lilie
Holdselig die kleine Cäcilie!«

Ganz betroffen las Karl diese Widmung. »Woher wißt ihr denn diesen Namen?« fragte er die Jungen.

»Wir haben auf dem Standesamt gefragt,« antworteten sie wie aus einem Munde und waren sichtlich stolz auf ihre Findigkeit.

209 »Ja, ja, so heißt sie auch,« rief Hanna übermütig, und mit Mühe konnte sie ihre Freude so lange zurückhalten, bis ihr Mann seine Schüler mit dem gehörigen Dank entlassen hatte. Er ergab sich und bekam dafür einen Kuß von seiner Frau. »Es bleibt dir doch unvergessen, daß du so an deine Hanna gedacht hast,« sagte sie.

So wurde denn eine kleine Cäcilie getauft. Während Frau Pfäffling die ahnungslos schlummernde kleine Hauptperson dem Geistlichen entgegenhielt, zogen ihr mancherlei Erinnerungen durch die Seele; Marie hingegen mochte durch Zukunftsbilder abgelenkt werden, nur die jungen Eltern waren ganz in der Gegenwart und wurden gepackt durch die Worte des Geistlichen, der ihnen die Verantwortung für die kleine Seele aufs Gewissen legte. Nachdem die Handlung vorbei war, reichte Hanna dem Manne, der ihr Kind getauft hatte, die Hand, sah offen zu ihm auf und sagte: »Wir wollen gewiß dem Kind unser Bestes geben.«

Gegen Abend hatte Hanna dem kleinen Täufling sein schönes gesticktes Taufkleid abgenommen, sie und Marie flüsterten zusammen und trugen die Kleine hinaus. Nach einer Weile kam Hanna mit dem Kind im Tragkissen zurück, ging auf den Direktor zu und sagte mit liebenswürdiger Heiterkeit: »Sieh, Vater, da hast du nun das richtige Wickelkind, es ist ganz echt, denn das Wickelkissen ist noch von Else.«

Da nahm der Großvater ihr mit lautem Beifall seine Enkelin ab, trug sie sicher und stolz mit langen Schritten im Zimmer auf und ab und redete sie mit 210 den zärtlichsten Namen an. Augenscheinlich war erst jetzt ein persönliches Band zwischen ihm und dem Enkelkind geknüpft.

Am folgenden Tag trennten sich die beiden Familien, aber sie fühlten sich durch die ungetrübt harmonischen Tage, die sie miteinander verlebt hatten, noch inniger verbunden als früher.

Ein frischer Märzwind blies, ein strahlend blauer Himmel und heller Sonnenschein lachten über der Gegend, durch die der Direktor mit seiner Frau und Tochter der Heimat zu reisten. Marie hatte träumerisch durch das Fenster gesehen. »Der Frühling kommt,« sagte sie jetzt. Herr Pfäffling blickte auf das Mädchen, ihr blondes Haar leuchtete in der Sonne, ihre blauen Augen, die weichen Züge verrieten tiefe Empfindung, und dies jugendlich anmutige Bild gab ihm die Worte auf die Lippen: »Der Frühling ist schon da.« Da ließ sich eine scharfe Stimme hören. »Der Frühling beginnt erst am 21. und wir haben den 13., solch ein gemeiner Ostwind draußen, ich merke nichts vom Frühling!« Ein Mitreisender hatte in gereiztem Ton diese Bemerkung eingeworfen, ein behäbiger, älterer Herr. Der Direktor sah sich den Unzufriedenen an, frieren konnte der doch nicht in seinem dicken Pelzmantel?

»Manchmal ist man in frostiger Stimmung,« sagte er, »dann strahlt die Sonne umsonst.«

Der Fremde sah sich daraufhin seine Reisegenossen näher an und bemerkte nach einiger Zeit in weniger scharfem Ton: »Na ja, da wird man auch grandig, wenn man immer allein durch die Welt fährt, Sie 211 haben sich schon besser eingerichtet.« Damit drückte er sich mißmutig und schläfrig in die Ecke. Erst in Marstadt machte er die Augen wieder auf, als er merkte, daß seine Reisegefährten ausstiegen, ja er erbot sich sogar, Maries Köfferchen hinaus zu reichen. Es war aber nicht nötig, denn die vier elternlosen Pfäfflinge waren gekommen und streckten hilfsbereite Arme aus. »Na, das reicht!« sagte der alte Junggeselle vor sich hin, sah halb neidisch, halb spöttisch auf die Familienbegrüßung und verfolgte mit seinen Blicken die fröhliche Gesellschaft, bis sie verschwand. Dann empfand er wieder den Ostwind und zog sich verdrießlich in seine Ecke zurück.


Einige Wochen später hätte kein Mensch mehr leugnen können, daß der Frühling ins Land gezogen war, ein köstlicher Maitag lockte ins Freie. Es war Samstag-Nachmittag, in der Musikschule herrschte Stille, und die Putzfrau trieb ihr Wesen in den Räumen. Oben in der Direktorswohnung rüsteten sich die besten Fußgänger zu einem großen Marsch. Frau Pfäffling und die Töchter, eifrig mit Aussteuerarbeiten beschäftigt, wollten sich diesmal nicht anschließen, morgen versprachen sie mitzugehen. Ja, morgen! Wer kann denn wissen, was der morgende Tag bringt?

212 Sie zogen fröhlich miteinander aus, der Direktar mit den drei Söhnen. Sie genossen die schöne Gegenwart, während sie zwischen den blühenden Hecken und Bäumen dahin gingen, aber sie sprachen dabei von der Zukunft. Das brachte die Jugend der Söhne so mit sich. Wilhelm war gegenwärtig der fleißigste Studierende, den man sich denken konnte. Ihn trieb es gewaltig um, daß er noch immer nicht seine Prüfung gemacht hatte, die er doch brauchte für seine nächsten Pläne. Er wollte als Geologe nach Afrika; dort war für diesen Beruf viel Arbeit. Die deutschen Kolonien in Südwest bedurften der Männer, die den Boden nach seinen verborgenen Schätzen durchforschten, die Metalle, die Steine, die Kohlen und vor allem das Gewöhnlichste und doch Kostbarste – das Wasser – mußte durch sachverständige Leute aufgesucht werden. Heute, nach Rücksprache mit einem seiner Professoren war Wilhelm ganz von diesem Gedanken erfüllt. »Es wird gehen, Vater, es wird gelingen. Der Professor hat sich schon für mich verwendet, und er meinte, wenn ich das Examen diesen Sommer bestehe, so werde ich gleich ausgeschickt werden. Es gibt nicht so viele, die sich darum bewerben, denn die Sache ist mühsam. Auch die Bezahlung ist anfangs nicht glänzend; aber mir ist das ja alles nur recht, je schlechter es ist, um so sicherer komme ich daran. Und ihr wißt ja, warum mir's so eilt.«

»Wegen Marie.«

»Ja. Nun hat sie drei Brüder daheim und keiner sollte sie begleiten? Das geht nicht. Ganz allein lassen wir sie nicht ziehen. Wie würde nur die Mutter sich 213 sorgen! Einer muß mit, daß ihr auch der Abschied nicht zu schwer wird.«

Sie stimmten alle zu, und Wilhelm entwickelte genauer seine Pläne, als ihn Frieder, der darauf nicht gehört hatte, sondern noch mit den Gedanken bei Maries Abschied war, durch die Frage unterbrach: »Kann nicht die Liebe zu einem Menschen so groß sein, daß man alle anderen ohne Schmerz verlassen kann?«

»Unsinn!« entgegnete Otto, »das kann nicht sein!«

»Du Jurist,« rief Wilhelm dagegen. »Du bist schnell fertig mit deinem Urteil. Wenn du einmal Richter bist, möchte ich nicht vor deinem Forum stehen.«

»Warum nicht?« entgegnete Otto. »Ich treffe immer schnell das Richtige und darauf bin ich stolz. Was Frieder meint, ist falsch, das sagt mir gleich mein Verstand, da brauche ich keine Überlegung.«

»Ich kann mir aber doch eine Liebe denken,« beharrte Frieder, »die das ganze Herz so ausfüllt, daß kein Abschiedsschmerz aufkommen kann.«

»Die gibt es nicht,« entschied der Jurist, »du bist ein Schwärmer, Frieder, und denkst dir die Liebe zu groß.«

»Das glaube ich nicht,« sagte nun Herr Pfäffling, »die Liebe kann er sich gar nicht groß genug vorstellen, aber du denkst dir das Menschenherz zu klein, Frieder. Wenn es auch glüht vor Liebe zu einem Menschen, so verdrängt das doch nicht die Liebe, die vorher da war, das ist herrlich eingerichtet. Darum kommen wir Eltern auch nicht zu kurz an Liebe, wenn die Kinder 214 heiraten; neben der neuen Liebe, mag sie noch so groß sein, hält das Herz ganz treu die alte fest.« Und mit einem freundlichen Blick auf seinen Jüngsten schloß er: »Der Frieder Pfäffling behält ewig seine Mutter lieb.«

»Und seinen Vater,« hätte Frieder gerne gesagt, aber er ließ die Worte nicht über seine Lippen kommen, eine gewisse Scheu hielt ihn oft zurück, seine Gefühle auszusprechen, besonders wenn Otto dabei war, aber er warf sich nachher Feigheit vor. Warum aus Furcht vor Ottos nüchternen Bemerkungen nicht sagen, was er dachte? Die Liebe zur Mutter hatte er schon oft ausgesprochen, ob aber der Vater ahnte, daß Frieder auch an ihm von ganzem Herzen hing, das wußte er nicht. Diese Gedanken gingen dem jungen Manne nach, während er mit den anderen den allmählich immer anstrengender werdenden Weg stillschweigend fortsetzte. Es gab eine schattenlose Anhöhe zu ersteigen, und die Luft war schwül, wie wenn das erste Gewitter im Anzug wäre. Der Direktor wischte sich die Stirne. »Sind wir denn auf dem richtigen Weg?« fragte er, »ich könnte mir einbilden, er sei früher nicht so steil gewesen.«

»Rasten wir ein wenig,« schlug Wilhelm vor. Aber der Direktor wollte nicht. »Nur vorwärts,« sagte er, »wir sind ohnedies spät daran, ein andermal gehen wir frühzeitiger von Hause fort.« So stiegen sie weiter, erreichten glücklich die Höhe, sahen sich um und fanden, daß sie tatsächlich den Weg verfehlt hatten und von dem Aussichtspunkt, der das Ziel ihrer Wanderung war, noch durch eine Talsenkung getrennt 215 waren. Also hieß es auf der anderen Seite hinunter und den zweiten Hügel hinauf. Die Sonne stach zwischen den Wolken hervor, und auf der ganzen Natur lag ein Druck, eine Gewitterschwüle, die der Mensch, kaum dem Winter entgangen, schwer ertrug.

Der Direktor hielt plötzlich inne: »Mir wird es zu viel,« sagte er, »geht ihr allein hinüber und ich erwarte euch hier oder kehre um.« Sie trennten sich. Frieder blieb bei dem Vater und lagerte sich mit ihm im Schatten. Sie sprachen kein Wort und die große Stille der Natur wirkte wohltuend auf die erhitzten Wanderer. Nach kurzer Rast erhob sich der Direktor wieder. »Nun wäre ich schon ausgeruht,« sagte er, »so nah am Ziel umzukehren, ist eigentlich eine Schande. Laufen wir den Brüdern nach, was meinst du?«

»Du siehst doch noch müde aus,« antwortete Frieder, und da er gar wohl die rastlose Art seines Vaters kannte, schlug er vor: »Gehen wir langsam heimwärts, vielleicht kommt doch ein Gewitter, dann ist's der Mutter recht, wenn wir geborgen sind.«

Das war das richtige Wort, sie stiegen die Anhöhe hinab, wenn auch nicht wie Frieder vorgeschlagen hatte, langsam. Der Vater war immer ein Stück voran. Aber unten im Tal hielt er an. »Nun gehen wir ganz langsam, daß uns die Brüder einholen, ich glaube, das Wetter verzieht sich.« So taten sie und gingen schweigend, jeder in seinen Gedanken, bis sie an die Stelle kamen, an der sie im Herweg über Liebe und Abschiedsschmerz gesprochen hatten. Da knüpfte 216 Frieder wieder an. »Du mußt nicht denken, Vater, daß ich einmal leichten Herzens von zu Hause fortginge; ich habe nur unter dem Eindruck von Maries Sehnsucht nach Arnold gesprochen. Aber ich fühle selbst, nichts auf der Welt könnte mich so locken, daß mir nicht doch die Trennung von dir wehe täte.«

Herr Pfäffling hielt einen Augenblick inne, ganz gewiß, er war überrascht von dieser Liebeserklärung, er sah dem Sohn in die Augen, aus denen das tiefe Gemüt leuchtete. Fast wie eine Entschuldigung fügte Frieder hinzu: »Es versteht sich ja von selbst, aber man darf es doch einmal aussprechen, wenn man es gerade so deutlich fühlt.«

»Ja, wahrhaftig darf man das,« sagte Herr Pfäffling mit herzlichem Ton, »es war ja auch zwischen uns nicht immer so leicht. Wie du noch ein Kind warst, habe ich dir manchmal entgegentreten müssen. Aber weil es doch bei mir nicht aus Eigenwillen geschah, sondern in guter Absicht, so hat es auch der Liebe nicht dauernd schaden können. Und jetzt verstehen wir uns um so besser.« Einen Augenblick fand sich die Hand des Vaters und die des Sohnes in festem Druck zusammen. »Daß ich dich nun nach Leipzig schicken kann und du dort deine musikalische Ausbildung vollendest, freut mich gewiß nicht weniger als dich selbst.«

»Ja, das wird eine wunderbare Zeit werden,« sagte Frieder mit leuchtenden Augen, und nun fanden sich die beiden Musiker in dem Gespräch über das, was von Leipzig zu erwarten war, bis Herr Pfäffling plötzlich bei einer Bank innehielt und vorschlug, noch 217 einmal zu rasten. »Diesen Weg mache ich nie mehr,« sagte er.

»Wir sind gar zu rasch in der Hitze den Berg hinauf gestiegen,« meinte Frieder.

»Ja, ja, immer zu rasch, mein alter Fehler,« sagte Herr Pfäffling vor sich hin.

Nach einer Weile wurden die beiden von Wilhelm und Otto eingeholt, und die vier Wanderer kehrten zusammen heim.

»Zum Schluß noch einmal ein Berg,« sagte der Direktor, während er die Treppen hinaufstieg. Oben angekommen, wurden sie mit dem erstaunten Ausruf empfangen: »Ihr kommt schon? Wir rechneten, daß ihr frühestens in einer Stunde zurück sein könntet.«

»Warum habt ihr denn so geeilt?« fragte Frau Pfäffling, als ihr Mann sich ganz erschöpft auf dem Sofa niederließ, das in seinem Zimmer stand.

»Warum?« wiederholte er, »wahrscheinlich aus Unverstand.«

»Ihr seid nirgends eingekehrt? Da müßt ihr gehörig Hunger und Durst haben.«

»Ja, die Jungen jedenfalls, fangt nur einstweilen mit dem Essen an, ich komme gleich nach.«

Frau Pfäffling versorgte ihre hungrigen Fußgänger; als sie aber bei Tische saßen, ging sie in ihres Mannes Zimmer zurück. Es beunruhigte sie, daß er so ungewöhnlich ermattet war. Er saß noch an derselben Stelle. »Du kommst,« sagte er, und fuhr fort: »Ja, du bist immer gekommen, wenn ich dich brauchte.« Er griff nach ihrer Hand, sie setzte sich 218 neben ihn. »Du hast dich überanstrengt,« sagte sie besorgt.

»Es wird schnell vorübergehen.«

»Du darfst jetzt nicht mehr so rennen wie in jungen Jahren, es paßt nicht mehr für einen Großvater. Nach Tisch besonders solltest du auch wie andere Leute ruhen, statt hin und her zu laufen. Wie viele unnötige Schritte machst du und verbrauchst deine Kräfte!«

»Ja, ja, das Rennen ist nichts nutz, ich habe es in der letzten Zeit manchmal gespürt. Wilhelm soll sich's bei Zeiten abgewöhnen.«

»Lege dich lieber zu Bett oder ich lasse dir vorher ein Glas Wein herüber bringen.«

Er hielt sie zurück. »Laß nur, es wird schon besser. So still mit dir zusammensitzen tut mir am wohlsten. Künftig gehst du immer mit mir und wir führen einander und du wirst immer mehr eine rundliche Matrone, dann geht es von selbst in langsamerem Tempo.«

Er lächelte heiter, sie aber war beunruhigt. »Ich meine, du atmest ein wenig schwer, laß mich den Arzt rufen, du bekommst sonst eine unruhige Nacht.«

»Wenn es dich beruhigt, aber komme wieder zu mir.«

»Dem Vater ist's nicht gut,« sagte Frau Pfäffling, als sie in das Eßzimmer zu ihren Kindern trat, »Resi soll gleich den Arzt holen.«

»Nein, da laufe ich schon selbst,« rief Wilhelm und war im Nu zur Türe hinaus.

»Was ist's denn, Mutter?« fragten die 219 Geschwister, eine große Angst legte sich allen schwer aufs Herz.

»Ich weiß nicht,« sagte Frau Pfäffling, »eine Überanstrengung, ich habe den Vater noch nie so erschöpft gesehen; bringt ein Glas Wein herüber.« Sie kehrte leise zu ihrem Manne zurück.

»Es ist schon wieder besser,« meinte er und nahm zu sich, was Marie ihm brachte. »Es hat mir gut getan,« sagte er dann zu ihr, »den andern kannst du ausrichten, ich käme gleich hinüber.«

Der Direktor lehnte sich zurück und hielt die Hand seiner Frau, es schien ihm behaglich zu sein. »Anmutig ist Marie,« begann er, »wie wird's dem Afrikaner wohlig sein, wenn er sie erst um sich hat. Man muß sie ziehen lassen, je eher, je besser, nicht an die Trennung denken.«

»Nein, ihr Herz ist doch geteilt, ihr Streben geht nach ihm.«

»Cäcilie, heute hat mich ein Wort von Frieder bewegt, ein Wort der Liebe war's. Ich erzähle dir's einmal.«

»Ja, später; ruhe jetzt und sprich nicht so viel!«

»Es macht mir nichts. Ich rede leise, du verstehst mich doch, wir haben uns immer verstanden.«

»Ja, auch ohne Worte. Sei still, Liebster, du atmest wieder schwer.«

Er schwieg eine Weile. Frau Pfäffling sah ängstlich in seine Züge und sehnte sich nach dem Arzt.

»Eines muß ich doch noch sagen,« begann der Direktor nach kurzer Pause. »Wenn ich an unsere Sechs denke, reine, gute Menschen sind sie doch alle 220 geworden, so dürfen wir zufrieden sein mit unserem Lebenswerk. Und die Musikschule ist auch kein mißratenes Kind. Es wäre alles gut – – aber für dich, Cäcilie, für dich kommen schwere Zeiten!«

Dies war das letzte Wort, das Frau Pfäffling von ihrem Manne hörte, und kaum ausgesprochen, sollte es sich schon erfüllen. Als in diesem Augenblick der Arzt, von Wilhelm begleitet, eintrat, erhob sich Herr Pfäffling in seiner gewohnten Lebhaftigkeit und diese Anstrengung nahm ihm die letzte Kraft, – ein Herzschlag machte seinem Leben ein plötzliches Ende. 221

 


 


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