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4

Jetzt schritt der König im Zimmer des Prinzen Cosimo auf und nieder, und während draußen in weiter Ferne die Segel des enteilenden Schiffes nur mehr als ein weißes Pünktchen in der Sonne aufblitzten, sprach er: »Alle kenne ich sie, alle die Mädchen hierzulande! Ich lese ihnen den Schrei der Liebe von den Mienen, und du wirst in ganz Ravellaska keine Frau finden, von der ich nicht voraussagen könnte, wie ihr Liebeston beschaffen ist.«

»Ich auch!« rief Cosimo. Er stimmte begeistert ein und sein ganzes Wesen wurde jugendlich bei diesem Gespräch. »Siehst du, gnädiger Herr, ich habe mein ganzes Leben den Frauen geschenkt. Ach, ich habe sie in meinen Armen gehalten und die wundervollsten Geständnisse vernommen, die unsre Zärtlichkeit ihnen entlockt. Und heute, so alt ich leider Gottes bin, wenn du mir eine Blonde zeigst oder eine Braune oder eine Schwarzhaarige, die üppig ist und sich im Gehen wiegt, oder eine, die scheue und bange Augen hat, oder eine, die den Kopf trotzig zurückwirft, oder eine, die eisig scheint wie frischer Winter, oder eine, die mit Augen und Lippen, mit allen Gliedern ihres Leibes uns herbeilockt und heranwünscht, ich wüßte es dir von jeder beim bloßen Anblick zu sagen ...«

»Das ist es eben,« rief der König mit Eifer, »dessen bin ich müde.«

»O nein!« Prinz Cosimo machte ein erstauntes Gesicht. »Oh!« wiederholte er gefühlvoll. »Wie kannst du nur so reden, gnädiger Herr! Bei deiner Jugend. Sieh – ich alter Mann, ich entzücke mich beständig in der Erinnerung und werde nicht müde, diese lieblichen Melodien zu erraten.« Ganz mit sich selbst beschäftigt, senkte er das Haupt und sprach bekümmert und voll Verwunderung: »Wie ist das nur so schnell geschehen, daß ich alt geworden bin? Ich fasse es nicht. Ich vermag oft gar nicht daran zu glauben und meine immer, ich sei nur einstweilen verzaubert.« Der König wollte reden, aber Cosimo wandte sich lebhafter zu ihm: »Lieber gnädiger Herr, verzeih, ich denke aber immerzu darüber nach und kann es mir nicht erklären. Seit wann denn bin ich alt? Weißt du es vielleicht? Irgendeinmal muß ich doch zum letztenmal ein Mädchen in meinen Armen gehalten haben, und dann nie mehr. Aber an welchem Tage? Wann hat dieses ›nie mehr‹ begonnen? Es ist wie beim Einschlafen, weißt du! Du wachst und bist munter und willst noch dies und das, und dann weißt du nicht, wie du auf einmal in die Stille hinuntergleitest! Ach, mein schöner, frischer König Pescaro! Du sagst, daß du der Frauen müde bist. Jung bist du, und deiner Jugend Übermut spricht aus dir, deiner Jugend Reichtum! Ich alter, arm gewordener Mann, ich bewahre alle die süßen Stimmen, die ich einst gehört, geizig und sorgsam in meinem Ohr, bis auf den heutigen Tag. Ich lausche ihnen morgens und abends und in tiefer Nacht. Ich rufe mir jede einzelne zurück, wenn ich einsam bin, ich höre sie, ich nehme sie mit mir in mein verlassenes Bett; ich trage sie in meine Träume hinüber – o lieber gnädiger Herr, du sollst nicht so sprechen, es ängstigt mich ...«

Der König trat zu ihm und legte sanft die Hand auf seinen Arm: »Nicht also meine ich es«, sagte er milde. »Nur daß ich anderes, Ungeahntes ersehne. Eine Stimme, die ich nie gehört, die ich mir nicht vorzustellen vermag. Was erwartet mich denn, wenn ich unter den Töchtern meines Reiches wähle? Ich kenne ihre Laute. Sie alle haben mir zugeflüstert, zugejubelt, zugesungen, haben mir dargebracht, was nur in ihrer Seele lebt. Und schlimmer: Schau dir die Königsmädchen an, die Prinzessinnen aus den Wahlhäusern. Man weiß von altersher, wie eine Varini schreit und eine Ruspoli; bekannt ist das Stöhnen der Cantaras, und das Jauchzen der Weiber aus dem Stamme der Ferrante ist berühmt – führte ich eine von diesen heim, dann wüßte nicht bloß ich, der König, und unserer ersten Nacht verschwiegener Lauscher Ruspoli um ihre Liebesstimme, nein, einfach jedermann wüßte darum. Hier aber,« der König griff an seine Brust, wo das Bildnis der Lianora ruhte, »hier ist eine, und von der vermag es keiner zu ahnen, wie ihre Seele klingt. Nicht du, Oheim, der du die Frauen kennst wie niemand sonst, und auch ich nicht, der ich mit meinen feinsten Sinnen ihre Züge belausche und die Farbe des Tones ahne, der hinter stummen Lippen ruht. Dieses Angesicht aber! Verschlossen wie ein Geheimnis; diese Augen, die eine unbekannte Sprache reden! Dieser stolze Mund, der so unnahbar ist, daß selbst der frechste Mann es nicht wagen möchte, auch nur das Bildnis dieses Mundes zu küssen – das ist es, was ich in ganz Ravellaska vergebens suche. Mir, mir ganz allein wird das Rufen dieses Mädchens gehören. Und wenn sie an meiner Seite dahinschreitet, wird in meinem Reiche keines Mannes Phantasie, wie hoch sie auch sich emporschwinge, die Königin erreichen. – Ach ja, ich weiß, du meinst das Fest der Bettbeschreitung, und denkst an den Zeremonienmeister Ruspoli, der den ersten Schrei der Königin belauscht ...«

Der König breitete die Arme: »... wer weiß, vielleicht werde ich dies Fest der öffentlichen Bettbeschreitung um Lianoras willen abschaffen.«

Prinz Cosimo fuhr in höchstem Schreck zusammen:

»Abschaffen? Euer Gnaden! Seit es hier Könige gibt, wird die Bettbeschreitung gefeiert! Keine Frau gälte uns als Königin, deren erster Schrei nicht gefeiert worden. Sie würde als deine Buhlerin angesehen, wenn du das tust und dich mit ihr verbirgst. Solche verschwiegene Heimlichkeit ziemt sich in der Favorita! Abschaffen, gnädiger Herr! Das kannst du nicht; und Lianora ist eine Fremde, die erste, die unseren Thron besteigt, du weißt es.«

König Pescaro stand eine Weile sinnend da. Dann zog er die Oberlippe herab, und den Blick in die Ferne gerichtet, sagte er: »Der alte Ruspoli wird bald sterben. Es könnte auch sein, daß ich ihn vergiften lasse, wenn jene Nacht vorbei ist.«


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