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Der Sänger vor dem König.

Für das Hofkonzert waren die Stuhlreihen in dem großen Saale hergerichtet, den man die Blaue-Adler-Kammer nannte.

Der König trat herein, und der Sänger, der schon neben dem Klavier bereit stand, verneigte sich tief.

Der Sänger hatte eine wuchtige Grenadiergestalt mit breiten Schultern. Er war etwa vierzig Jahre alt und im Auslande seit langem berühmt.

Der König war ein Jüngling von zweiundzwanzig Jahren, dünn, schmalschulterig und biegsam. Und er regierte erst seit zehn Monaten.

Voll Aufregung war der Sänger dagestanden und hatte diesen Augenblick erwartet, hatte mit leeren Blicken in den Saal geschaut, in dem die ganze Gesellschaft der Ankunft des Königs harrte. Das leise Rauschen seidener Kleider und geflüsterter Gespräche hatte auf den Sänger wie eine höfliche, aber furchtbare Drohung gewirkt und seine Erregung von Sekunde zu Sekunde gesteigert. Er dachte an gar nichts, denn die Beklommenheit füllte ihn derart aus, daß für Gedanken kein Platz mehr blieb. Er rang mit seinem Herzklopfen, hüstelte hinter geschlossenen Zähnen und befühlte mit kleinen, zaghaften Griffen seinen ausgeschnittenen Hemdkragen, ob der ihn nicht beengen werde, betastete dann heimlich seinen Frack und die Weste, ob da alles in Ordnung sei. Er spürte, wie ihm an der Stirn, dicht unter den Haaren, heiße Tropfen ausbrachen, und es fiel ihm ein: Darf ich mir denn vor dem König das Gesicht abwischen ... mein Taschentuch hervorziehen und mich abtrocknen ... vor dem König? Darüber grübelte er und sagte sich mit einem mutlosen Versuche, sich aufzumuntern: Warum denn nicht ...? wenn ich schwitze! Dann aber überhäufte er sich wegen dieser Eigenschaft, jedesmal in Schweiß zu geraten, mit bitteren Vorwürfen, und war am Rande der Verzweiflung.

Da kam der König herein; er ging wie auf den Zehenspitzen, ganz behutsam, mit einer schonungsvollen Hoheit, als wünsche er dringend, daß niemand vor ihm erschrecke. Sein junges Gesicht war ganz verschlossen, und seine grauen Augen schauten wie verdeckt, als spähten sie hinter einer Schutzwehr nach den Leuten. Um seinen frischen Mund, den der kleine goldblonde Schnurrbart noch nicht beschatten konnte, war Schüchternheit und Uebermut zugleich, und ein studierter Ernst.

Während der König sich setzte und den Sänger aus seiner tiefen Verbeugung emportauchen sah, dachte er: Alle halten sie das Notenblatt mit beiden Händen vor den Magen, die Herren und die Damen, welche singen. Ich erinnere mich, daß schon mein Großvater darüber gesprochen hat; und einmal hat er diese Leute kopiert. Das war im vorletzten Jahr seiner Regierung. Wir haben alle sehr gelacht, wie er das getan und wie er die Augen verdreht und den Mund aufgerissen hat.

Jetzt war das feine Geräusch des achtsamen Niedersetzens der Gesellschaft, des Stuhlrückens und Kleiderraschelns vorbei, und die tiefe Stille des Saales lag jetzt vor dem Sänger wie ein unermeßlicher Abgrund, in den er seine Stimme schleudern, den er mit seiner Stimme ausfüllen mußte. Er verschleierte, heftig blinzelnd, die Angst seiner Blicke, hörte, wie ihm die dünnen, jammernden Klaviertöne voranliefen, riß noch den letzten Atemschluck in seine Brust und warf sich ins Bodenlose. Der König dachte: Richtig, verdreht auch der wieder die Augen. Kann man denn nicht anders singen ...? Und immer die Noten vor dem Magen ...? Vielleicht geht es wirklich nicht anders ... Aber er schaut ja die Noten gar nicht an ... er weiß ja alles auswendig ... wahrscheinlich könnte doch einmal einer was vergessen ... das wär' dann eine schöne Blamage, wenn er keine Noten bei sich hätte.

Der Sänger dachte unter der Arbeit seines Liedes, in einem Denken, das ganz bedeckt und überflutet war vom Singen: ich zittere ja ... das ist entsetzlich ... ich habe keinen rechten Glanz im Ton ... Herrgott, es muß gehen ... mit diesem Lied hab' ich immer noch den meisten Erfolg gehabt ...

Der König dachte: Das hat der Onkel Friedrich Eberhard immer gesungen ... ich grolle nicht ... ein ganz hübsches Lied ist das ... o ja, ... diese Stelle da ist sogar sehr hübsch ... der Onkel Friedrich Eberhard hat bei dieser Stelle immer so getrillert ... wirklich, es ist ganz gut, dieses Lied, aber übertrieben ... alle diese feinen Konzertlieder sind so übertrieben ... Und wie der Mensch die Augen verdreht ...

Der Sänger gewann ein ruhiges Atmen: es war doch nur die große Aufregung, dachte er ... schließlich kein Wunder, zum erstenmal vor dem König ... na ja ...

Der König betrachtete ihn: ... ein Riesenmensch ist das ... meiner Schätzung nach muß er um zweieinhalb Zentimeter größer sein als mein Türsteher. Mindestens um zweieinhalb ... wenn's nicht drei Zentimeter sind ... Ich glaube nicht, daß ich mich irre ... ich habe ein sicheres Augenmaß ... Er schwitzt ... schrecklich, wie der Mensch schwitzt ... das kann ich nicht leiden ... aber, ich grolle nicht ... Das sollte ich ihm eigentlich nachher sagen: Sie schwitzen, aber ich grolle nicht. Na, das darf ich wohl kaum. Schade.

Der Sänger begann ein Trinklied, und mit dem ersten Ton spürte er: Jetzt hat meine Stimme den rechten Glanz, jetzt los ...!

Der König horchte auf: Ah, das ist ein fröhliches Stück ... das ist recht ... Und eine schöne Stimme hat der Mensch ... eine sehr schöne Stimme ... nun, er ist ja ein großer Künstler, wie es heißt ... Der Graf Marberg hat auch eine schöne Stimme, aber ich glaube, er ist kein Künstler ... genau weiß ich es nicht ... ich weiß eigentlich nicht recht, woran das liegt, und wo da der Unterschied steckt.

Der Sänger schaukelte seine volle Kraft in seiner Stimme, ließ sie emporschnellen und schmetterte den Schluß wie einen Jubelschrei zur Decke, und seine innerste Regung war: Gott sei Dank!

Der König dachte: Er sieht wie ein Leibkutscher aus, wenn man's genau nimmt. Aber das zuletzt hat er sehr brav gemacht ... Und er applaudierte.

Es kam ein Liebeslied, und der Sänger begann seine Leidenschaft zu entfalten. Der König schlug die Augen nieder: Wie peinlich ist das ... diese überspannten Sachen ... und warum tut er denn so, als ob er das alles jetzt wirklich glauben würde, und als ob das sein Ernst wäre, und als ob er jemanden damit meinen möchte, irgendeine Dame ...? wie peinlich ...! Der König sah den Sänger an: Mein Gott ... ganz verliebte Augen macht er, und wackelt mit den Schultern und schneidet Gesichter ... das ist indiskret ... das kommt ja beinahe so heraus, als ob er mir da seine geheimsten Erlebnisse erzählen würde ... er sollte sich schämen ... einfach ekelhaft ...! Der König schlug die Augen nieder, und es schien, als leide er: Ich finde, ein Mensch, der Manieren hat, darf in dieser Art nur vor seiner Geliebten singen ... oder vor seiner Frau ... warum muß ich denn gerade jetzt zu solchen Sentimentalitäten aufgelegt sein ...? und selbst, wenn ich es wäre, und möchte zufällig an eine Dame denken, die ich gern habe, dann würde ich mich doch vor dem Menschen da genieren ... Ich finde, solche übertriebenen Lieder müßte einer ganz einfach heruntersingen ... mit Anstand ... mit Reserve ... »da, meine Herrschaften, ist das Lied, so und so ... und da geb' ich noch die nötige Wärme her in meiner Stimme ... aber sonst bin ich ein Herr im Frack, der in guter Gesellschaft singt ...« Aber was der macht, das ist einfach zudringlich ... eine unpassende Vertraulichkeit ... Wenn das die Kunst sein soll, nun, dann danke ich bestens ...

Zuletzt wurde der Sänger dem König vorgestellt, und während er sich aus seiner tiefen Verbeugung erhob, überlegte der König: Was soll ich ihm denn sagen? Wie er dann dem Sänger in das feiste, glatte Antlitz sah, dachte er: Warum macht er denn jetzt auf einmal diese Komödiantenmiene ...? Und warum spitzt er so süß den Mund ...? Will er denn mit mir kokettieren ...? Und der König stand mit einem Ausdruck von Schüchternheit in den Augen vor dem Sänger. Endlich sagte er: »Sie haben eine sehr schöne Stimme ...«

»O Majestät ...« hauchte der Sänger.

Gequält sprach der König weiter: »Es war ein genußreicher Abend für mich ...«

»Majestät, diese Gnade beglückt mich tief ...« Der Sänger drohte zu zerfließen und der König versuchte schnell abzulenken: »Sie scheinen eine vortreffliche Schule genossen zu haben ...«

Der Sänger verdrehte die Augen: »Majestät, ich vergöttere meinen Lehrer ...«

Der König dachte: Er ist gewiß ein Künstler, aber ich kann mit ihm nicht sprechen ... ich rede Unsinn ... und ich werde noch etwas Taktloses sagen ... genug!

Er nickte kurz. Ein mühsames Lächeln flog über sein junges, befangenes Gesicht: »Ich danke Ihnen.«

Nachher saß der Sänger im Gasthaus und unterhielt sich mit seinen Freunden: »Es war ein großer Triumph ... ja, das war es ... der König, wollt ihr wissen? ... Reizend, sage ich euch, ein reizender junger Mann ... aber schließlich, ein Mensch, wie wir alle, wie ich und du, nicht wahr? ... und von Kunst ...? Wißt ihr, was er mir gesagt hat? ... Unter uns ... Kinder, ganz unter uns: Ich muß eine gute Schule gehabt haben ... Was meint ihr? Und dafür gibt man nun sein Bestes hin ... sein Heiligstes!


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