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Das letzte Rendezvous

In einer großen Stadt Österreichs war ein junger Kaufmann durch seine Vorliebe für Frauen und insbesondere für Frauen von etwas abenteuerlichem und amazonenhaftem Wesen bekannt. Es gab keine elegante Dame der Demimonde, keine Heldin der Bühne dort, mit der er nicht in irgendeiner Beziehung gestanden war, und es kam keine Fremde von halbwegs auffallendem Äußern und Wesen hin, der er sich nicht zu nähern versucht hätte. Wie andere durch einen kleinen Fuß, Geist, Grazie oder Koketterie, so konnte ihn eine Dame am sichersten gewinnen, wenn sie ein Pincenez auf die Nase zu setzen und arrogant zu blicken, wenn sie mit Reitgerte und Pistole umzugehen verstand. Sein Ideal war ein Mannweib.

Eines Tages stand folgendes Inserat in dem gelesensten Journal jener Stadt:

An Robert den Teufel (dies war nämlich der Spitzname unseres Kaufmannes, auf den er stolz war, da ihm darin seine ganze Unwiderstehlichkeit ausgedrückt schien).

»Eine junge Fremde aus einer der besten Familien des Auslandes hat Sie gesehen und – liebt Sie. Die Dame ist jung, schön, reich. Sie wählt diesen nicht ungewöhnlichen Weg, sich Ihnen zu nähern, wäre aber trostlos, wenn Sie ihre Kühnheit mißverstehen würden. Die strengste Diskretion wird erwartet. Im Falle Ihr Herz frei ist, erbittet man Antwort unter: Nadejda.«

Das Inserat verfehlte seine Wirkung nicht, insbesondere die originelle Art und Weise, sich einem Manne anzubieten, welche manchen anderen abgeschreckt hätte, enthusiasmierte unsern Kaufmann, und vollends bezauberte ihn der Name Nadejda. Eine Russin! dachte er, offenbar ein schönes Weib, eine Amazone, eine Fürstin! Denn in den Augen Robert des Teufels waren alle Russinnen Fürstinnen.

Er antwortete in demselben Journal: »Stolze Fremde! Ohne Sie zu kennen, lege ich mich Ihnen zu Füßen als Ihr Leibeigener. Robert.«

Nun folgte wieder ein Inserat der Dame.

»Robert. Willkommen. Brief erwartet unter Nadejda, poste restante.«

Der entflammte Kaufmann schrieb nun einen tollen Brief voll Begeisterung für ukrainische Pferde, sibirische Zobel und russisches Juchten und bat um ein Rendezvous.

Es verging eine Woche, ehe Antwort kam. Offenbar wollte man ihn reizen, und es gelang, er ging mit unglaublicher Naivität auf die Leimrute. Schon ließ er den Kopf hängen, ging im Mondschein spazieren und spielte in seinen freien Stunden Mendelssohnsche »Lieder ohne Worte« auf seinem Klavier oder sang mit seinem Bierbaß:

»Das hat mit ihrem Singen
Die Lorelei getan«,

als endlich unter dem Schutze der Dunkelheit ein Lakai, der durchaus nicht Deutsch verstand oder nicht verstehen wollte, ihm ein kleines Billetdoux einhändigte und sich dann auffallend hastig entfernte.

»Mein Robert«, schrieb die Russin, »du kannst mich noch nicht lieben, denn du hast mich noch nicht gesehen, aber du wirst mich sehen, morgen schon, und du wirst mich dann lieben und in der Tat mein Leibeigener sein, ich aber liebe dich jetzt schon, glühend, ja wahnsinnig, ich kann mir nicht mehr denken, ohne dich zu leben. Ich erwarte dich morgen« – es war nun eine Straße und ein Haus in einer entfernten verrufenen Vorstadt genannt – »um neun Uhr abends. Aber sei vorsichtig, ich bin mit Argusaugen bewacht Es ist mir auch unmöglich, allein zu erscheinen, meine alte Gouvernante, jetzt Gesellschafterin, Frau Michond, begleitet mich, aber sie spricht nur Französisch und ein wenig Russisch, während ich geläufig Deutsch spreche. Deine dir ganz hingegebene Nadejda.«

Robert der Teufel küßte entzückt die Schriftzüge der schönen Russin, träumte die Nacht liebliche Träume von Eisfeldern und Knuten, sang den ganzen andern Tag zum Entsetzen seiner sämtlich »am Rhein wachenden« Kommis: »le jour de la gloire est arrivé« und machte sich bereits eine Stunde vor neun auf den Weg, in hohen Juchtenstiefeln, einem weißen Reitermantel, eine runde Astrachanmütze auf dem Kopf.

Seine Hoffnungen wurden nicht getäuscht. In dem Flur des kleinen Hauses, das ihm als Insel der Seligen bezeichnet worden war, erwartete ihn eine alte Dame in einem Capuchon und einem großen Mantel, welche, ohne ein Wort zu sprechen, seine Hand ergriff und ihn in ein kleines, ziemlich ärmlich eingerichtetes Zimmer führte, das ihm aber ein Prachtsalon dünkte, denn auf dem verschossenen, fettfleckigen Sofa saß ein prachtvoller, verschleierter Zobelpelz, und dieser Zobelpelz war offenbar die Russin, das Götterweib.

»Nadejda!« rief der schwärmerische Kaufmann und warf sich dem Zobelpelz zu Füßen. Der letztere lüftete jetzt den Schleier seines Capuchons, und ein im besten Sinne schönes, edles Gesicht mit etwas scharf markierten, aber von dem rosigen Hauche der Jugend verklärten Zügen zeigte sich dem Glücklichen, ein Paar große phantastische blaue Augen lächelten Robert den Teufel an, und ein nicht zu kleiner, aber voller roter Mund neigte sich zu dem seinen. Der erste Kuß brannte auf seinen Lippen und verwirrte vollends seine Sinne. Was er in diesem Zustande der Exaltation sprach, niemand weiß es, er am wenigsten, aber dies ist außer Zweifel, daß ihm die Gesellschaft der guten Madame Michond, welche seitwärts auf einem Stuhle saß, allmählich sehr lästig wurde, denn er verliebte sich rasend wie noch nie in die russische Penthesilea. Sie ließ ihn reden, wie es kluge Frauen überhaupt mit verliebten Männern zu tun pflegen, und flüsterte nur hie und da ein paar Worte mit ihrer süßen tiefen Altstimme. Endlich blickte sie auf ihre Uhr. Es entging dem praktischen Kaufmann, trotz seinem Liebeswahnsinn, nicht, daß dieselbe mit Diamanten besetzt war.

»Es ist Zeit, aufzubrechen«, sprach Nadejda, indem sie sich erhob.

»Du verläßt mich schon, Grausame?« flüsterte Robert der Teufel, noch immer auf seinen Knien.

»Wir sehen uns bald wieder.«

»Wo und wann?«

»Morgen im Theater, ich werde im Theater sein.«

»Und darf ich dich besuchen?«

»Nein, aber du darfst mich nach dem Theater erwarten und begleiten.«

»Ich danke dir, mein Engel, meine Göttin«, rief der Kaufmann und küßte wiederholt die Hände des majestätischen Weibes, denn wie Nadejda jetzt dastand in ihrer langen Seidenschleppe und ihrem großen Pelze, hatte sie die imposante Gestalt einer Herrscherin, ja sie schien ihren Anbeter zu überragen, so hoch und stolz war sie gewachsen.

»Darf ich dich begleiten?« fragte Robert der Teufel.

»Nein, du mußt zuerst das Haus verlassen, und du versprichst mir, dich nicht umzusehen«, gebot Nadejda.

Der Kaufmann gehorchte.

Den nächsten Abend saß er in der gespanntesten Erwartung in seiner Loge, endlich erschien ihm gegenüber die Russin in einem Hermelinpelz, über den die Flut ihrer blonden Locken wie ein Goldstrom floß, aber mit ihr leider die alte Gesellschafterin. Nadejda schien ihren Anbeter gar nicht zu bemerken, offenbar hielt sie sich für beobachtet, sie beschäftigte sich mit der Bühne, sie kokettierte mit den Offizieren im Parterre, ja mit aller Welt, nur mit Robert dem Teufel nicht. Um so seliger war dieser, als er sie nach der Vorstellung traf, als er ihr den Arm geben, sie begleiten durfte.

Nadejda ging mit ihm voran, während ein Lakai in Livree, welcher sie erwartet hatte, die alte Michond führte. Die schöne Russin vertraute ihrem Anbeter, daß sie die einzige Tochter eines enorm reichen Fürsten sei, der niemals seine Einwilligung zu einer Verbindung mit einem Kaufmann und noch dazu einem Deutschen geben werde. Sie aber liebe ihn und könne keinen anderen mehr lieben. Wenn er sie besitzen wolle, müsse er alle seine Energie aufbieten, sie entführen, mit ihr nach Amerika fliehen und sie dort heiraten; wenn dies geschehen sei, zweifle sie nicht, daß der Vater die Tatsache anerkennen und ihnen seinen Segen geben werde.

Robert der Teufel war außer sich über die Aussicht, der Gatte einer schönen Despotin zu werden, der Tausende von Sklaven gehorchten. Er küßte ihr die Hand, schwor ihr ewige Liebe und Treue und erklärte sich zu allem bereit.

»Nun, so bin ich dein«, flüsterte Nadejda, »nimm mich hin. Morgen um sechs Uhr früh will ich dich in der Nähe der Kapelle im Wäldchen bei K. erwarten, aber eines muß ich dir überlassen. Ich kann, ohne Verdacht zu erregen, mich nicht einer so bedeutenden Summe bemächtigen, die wir zur Reise benötigen.«

»Laß dies meine Sorge sein«, unterbrach sie der junge Kaufmann, »für den ersten Augenblick brauchen wir wohl nicht mehr als zehntausend Gulden, und so viel liegen gerade bar in meiner Kasse.«

»Also morgen.«

»Ein Mann, ein Wort.«

Damit trennten sich die Liebenden.

Am nächsten Morgen erschien unter dem Schutze eines dichten Nebels Robert der Teufel in seinen großen Juchten bei der Kapelle im Wäldchen von K. Die Geliebte ließ ihn nicht lange warten. Bald sah er sie, von der alten Französin und ihrem Bedienten begleitet, herankommen, sie sah in ihrem prächtigen Pelz gar majestätisch aus, und ihre großen, beinahe männlichen Schritte dienten nur dazu, diesen Eindruck zu erhöhen.

In der Ferne hielt ein Schlitten.

Robert der Teufel ging der Fürstin entgegen, und galant, wie er immer war, ließ er sich im Schnee auf ein Knie nieder, um sie zu begrüßen. Nadejda reichte ihm, gnädig lächelnd, die Hand zum Kusse und hob ihn dann auf. Sie nahm seinen Arm und schritt mit ihm tiefer in das Wäldchen hinein, wo die Bäume dichter wurden. Es war ein einsamer Ort, an dem sie sich jetzt befanden, ein Ort, den selten ein Mensch betrat, hie und da ein Jäger, der die Spur eines Fuchses verfolgte.

Plötzlich blieb Nadejda stehen, die Französin und der Bediente waren ihr gefolgt.

»Hast du das Geld?« fragte sie.

»Ja.«

»Wirklich zehntausend Gulden?«

»Ja.«

»Wo hast du sie?«

»Hier.« Der Kaufmann deutete auf seine Brusttasche.

In diesem Augenblicke fühlte er sich von rückwärts gepackt und zu Boden gerissen, zugleich setzte Nadejda eine Pistole auf seine Brust.

»Keinen Laut!« rief sie. »Sonst sind Sie verloren.«

Die Französin hatte Mantel und Weiberrock abgeworfen und band mit Hilfe des falschen Bedienten dem jungen Kaufmanne erst die Hände auf den Rücken und dann die Füße. Als dies geschehen war, riß ihm Nadejda den Rock auf, zog seine Brieftasche heraus und begann das Geld zu zählen.

»Wirklich zehntausend Gulden«, sagte sie dann, »es ist Ihr Glück. Nun hören Sie weiter. Dieses Geld gehört uns. Sie aber werden wir an den erstbesten Baum hier binden und knebeln. Wehe Ihnen, wenn Sie versuchen, sich zu befreien, den Knebel hinauszustoßen und um Hilfe zu rufen. Einer von uns wird in der Nähe bleiben und Sie bei dem ersten Zeichen des Verrates töten.«

»Grausame!« murmelte der Gefangene Amors.

»Knebelt ihn«, gebot Nadejda, unbekümmert um seine vorwurfsvollen Blicke.

Es geschah, dann schleppten ihn alle drei zu dem nächsten Baume und banden ihn an denselben fest.

»So«, sprach Nadejda, »nun amüsieren Sie sich gut, und falls Sie nicht erfrieren, dies zu Ihrem Troste: Ich bin keine Fürstin, keine Russin und überhaupt kein Weib, sondern ein Mann.«

Alle drei schlugen hierauf ein rohes Gelächter an.

»Willst du vielleicht noch einen Kuß zum Abschied?« spottete der, welcher die Gouvernante vorgestellt hatte. Dann entfernten sie sich rasch.

Es verging eine Viertelstunde.

Plötzlich stand der im Pelz unerwartet wieder vor dem Gebundenen. »Sie haben sich ruhig verhalten«, sagte er, »ich habe Sie beobachtet, aber ich denke, es ist doch besser, ich erschieße Sie auf der Stelle.«

Dem armen Geknebelten trat trotz der russischen Kälte der Angstschweiß auf die Stirne, und er begann am ganzen Leibe zu zittern, aber sein Peiniger schien ihn nur nochmals einschüchtern zu wollen, denn er begann zu lachen und verschwand dann im Dickicht, um nicht wiederzukehren.

Es war das Glück Robert des Teufels, daß, nach einer Stunde etwa, ein Förster des Weges kam und ihn befreite, er wäre sonst gewiß erfroren.

Selbstverständlich eilte der so listig und kühn zugleich Beraubte sogleich auf die Polizei, und diese bot alles auf, um die raffinierte Gaunerbande, der er offenbar zum Opfer gefallen war, zu entdecken. Aber vergebens.

Ein Jahr später machte ein ähnlicher Fall in Odessa großes Aufsehen und die Runde durch die Zeitungen. Die russische Polizei war glücklicher gewesen, und es war ihr gelungen, die Täter zu verhaften. Eine Nachfrage ergab, daß es dieselbe Bande war, welche unseren verliebten Kaufmann beraubt, eine Reihe ähnlicher Verbrechen begangen hatte und jetzt endlich zur Strafe gezogen werden konnte.

Die interessanteste Persönlichkeit unter diesen gefährlichen Gaunern war der junge Mann, welcher die Rolle der Russin und in Odessa jene einer Amerikanerin gespielt hatte. Er besaß eine Gestalt und einen Kopf von beinahe weiblicher Schönheit und hatte mehr als einen Mann liebeflehend zu seinen Füßen liegen gesehen.


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