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Ein Mord in den Karpaten

Auf einem hohen Felsen, mitten im Urwalde hundertjähriger Tannen, liegt in den galizischen Karpaten das Schloß Tarow, zu der Zeit, wo unsere Geschichte spielt, der Familie der Grafen Tarowski gehörig. Eine eigentümliche melancholische Poesie umwebt das alte Starostennest, in welchem hoch oben in den runden Türmen Raben, Falken und Eulen wohnen und die Luft mit ihrem unmelodischen Geschrei erfüllen, während unten in den weiten Prunkgemächern, wie das Volk behauptet, der alte eifersüchtige Graf seine junge und schöne Gemahlin gefangenhält und durch große Rüden, welche jeden, der dem Schlosse naht, zu zerreißen drohen, bewachen läßt.

Ein Körnlein Wahrheit ist übrigens in der Geschichte. Graf Thadeus Tarowski hat in zweiter Ehe ein Mädchen aus einer verarmten Adelsfamilie Wolhyniens heimgeführt, Lodoiska von Kaminski, eine Schönheit ersten Ranges, zwanzig Jahre alt, während er selbst über sechzig zählt. Der Abstand des Alters mag dem menschenfeindlichen Greise Mißtrauen einflößen, er hat sich bald nach seiner Vermählung aus dem lärmenden Leben der Hauptstadt auf sein einsames Stammschloß zurückgezogen, in eine Gegend, welche außer von Bären und Wölfen nur hie und da von einem Wildschützen und Schmuggler betreten wird. Hier umgibt er sein angebetetes Weib mit allem Luxus der modernen Welt, mit aller Pracht des Orients; Dienern und Dienerinnen, stumm, demütig und folgsam wie türkische Sklaven, bedienen sie, aber niemand als er selbst darf ihr Gesellschaft leisten, das Wort an sie richten.

Nur wenn der alte Graf für einige Tage in Geschäftsangelegenheiten das Schloß verläßt, erweitern sich die Wände ihres Kerkers. Dann besteigt Lodoiska ihren ukrainischen Renner und sprengt hinab in die Ebene, wo hie und da vereinzelte Hütten armer Landleute liegen, und ist zufrieden, wenn sie einem Hirten begegnet, der seine Schafe zur Weide treibt, oder sie wirft, gleich allen Polinnen eine Amazone, die Jagdflinte um die Schulter, durchstreift den wilden Forst und sendet das tödliche Blei hier einem Geier, dort einer Wildkatze zu, und selten fehlt sie, denn sie hat ein Auge wie ein Adler und eine ruhige, feste Hand, jene Hand, welche berufen ist zu leiten, zu herrschen, zu unterjochen.

Auch heute ist sie allein. Der alte Graf ist zur nächsten Eisenbahnstation gefahren, um seinen Sohn aus erster Ehe, Leon, zu erwarten, welcher in Wien studiert und seit der Wiedervermählung seines Vaters dem Elternhause ferne geblieben ist. Lodoiska verläßt, sobald die Staubwolke, welche seinem leichten Wagen folgt, sich zwischen den Wänden grünen Nadelholzes zu beiden Seiten des Weges verloren hat, das Schloß und eilt hinab, wo sie freie Luft atmen, wo sie Menschen sehen kann.

Zu gleicher Zeit schreitet ein junger schöner Mann in polnischer Tracht, nur einen leichten Spazierstock in der Hand, durch den finsteren Hochwald, sich von Zeit zu Zeit an dem Pochen eines Spechtes oder den tollen Sprüngen eines Eichhörnchens ergötzend. Plötzlich schallt wildes Gebelle, die Zweige brechen in der Nähe, und zwei riesige graue Wolfshunde, den borstigen Rücken gleich Hyänen gesträubt, stürzen auf ihn los. Vergebens sucht er sie durch Zuruf, durch die leichten Hiebe seines Stöckchens abzuhalten, im Momente ist er von ihnen zu Boden gerissen – der eine steht auf ihm mit funkelnden Augen und droht ihn zu zerreißen.

Da teilen sich nochmals die Zweige, ein junges, dämonisch schönes Weib tritt hervor und ruft die Hunde zurück, welche der hellen gebietenden Stimme sofort gehorchen. Der junge Mann kann sich aufrichten und hat, während sich die Jägerin bei ihm entschuldigt, Zeit, dieselbe zu betrachten.

Es ist eine hohe, schlanke Gestalt, welche vor ihm steht, frei, unerschrocken, gebieterisch, sie trägt einen kurzen Seidenrock, welcher ihre kleinen Füße sehen läßt, und eine Kazabaika von Samt. Ihre Hand schwingt eine Hetzpeitsche, unter der koketten polnischen Mütze quellen reiche blonde Locken hervor und umrahmen das reizende Gesicht, dem ein niedliches Stumpfnäschen den Ausdruck von Trotz und Herrschsucht verleiht, während die halbgeschlossenen blauen Augen milde, hold, ja schwärmerisch blicken.

»Schöne Frau, Fee, wilde Jägerin!« rief der junge Mann, »ich danke Ihnen mein Leben! Ohne zu ahnen, wer Sie sind, werde ich doch kaum irren, wenn ich in Ihnen die Gebieterin dieses Waldgebietes grüße.«

»Ich bin die Gräfin Tarowski«, erwiderte das schöne, stolze Weib, den Jüngling seltsam mit den Augen prüfend.

»Die Gräfin Tarowski … des Grafen Thadeus Frau?« schrie er auf.

»Ja – was ist denn da Entsetzliches dabei?« spottete Lodoiska.

»Sie sind also … ich kann es nicht fassen«, stammelte der junge Mann, »Sie sind … meine Mutter!«

»Leon?«

»Ja, ich bin Leon Graf Tarowski, Ihr Stiefsohn.«

Lodoiska bot ihm nun freundlich die Hand, welche er mehrmals leidenschaftlich küßte.

»Leon … was tun Sie?« flüsterte die schöne Frau, während ihr zugleich das Blut in die Wangen schoß.

»Ich grüße Sie als meine Mutter«, rief Leon, »nun aber führen Sie mich zu meinem Vater. Ich bin auf Seitenwegen hierher geeilt, um ihn zu überraschen, aber Ihre wilden Begleiter haben meinen Plan durchkreuzt.«

»Kommen Sie also«, sprach Lodoiska. Sie legte ihren Arm in den seinen, und sie stiegen langsam zwischen Felsen und düsteren Tannen zum Schlosse empor.

Hier fanden sie den alten Grafen, welcher, nachdem er von dem Diener seines Sohnes erfahren, daß derselbe seinem Gepäcke vorausgeeilt war, auf der Stelle den Heimweg angetreten hatte.

Vater und Sohn begrüßten sich auf das zärtlichste, und der alte Magnat richtete seinen Leon, seinen Einzigen, seinen Heißgeliebten dann in dem linken Flügel des Schlosses ein, während er selbst mit seinem Weibe den rechten bewohnte.

Wie überall, brachte auch auf dem einsamen Karpatenschlosse die Ankunft eines neuen Gastes und Familienmitgliedes für einige Zeit Leben, Bewegung und Frohsinn in den kleinen Kreis. Nur zu bald aber war der Unterhaltungsstoff, den Leon aus der Fremde mitgebracht, erschöpft, und die Stunden, die Tage begannen wieder träge und einförmig dahinzuschleichen.

Aber die schöne Schloßherrin schien diesmal entschlossen, der Langeweile nicht so ohne weiteres das Feld zu räumen. Sie suchte nach irgendeinem Spiele, um sich die Zeit zu vertreiben, und griff nach dem gefährlichsten, nach einem … Roman, und nicht etwa nach einem gedruckten, nein, sie begann selbst einen solchen und machte sich zur Heldin und Leon zum Helden desselben …

Lodoiska, welche bisher gleich einer Nonne gelebt, entpuppte sich plötzlich als vollendete Kokotte, und so fein, so vorsichtig warf sie ihre Schlingen, daß ihr Gemahl dieselben nicht bemerkte und Leon selbst gefangen war, ehe er es ahnte, ja von der Einbildung getäuscht wurde, er habe aus sich selbst eine verzehrende Leidenschaft zu seiner Stiefmutter gefaßt, ohne daß Lodoiska ihn ermuntert habe. Der edle junge Mann wehrte sich tapfer gegen das Gefühl, das ihn stündlich zu übermannen drohte, er begann seiner schönen Mutter auszuweichen – aber es wurde ihr leicht, ihn auf dem kleinen Terrain, das sie alle vereinigte, immer wieder aufzusuchen, ohne daß er nur geahnt hätte, daß in ihrem Benehmen eine Absicht lag. Leon wurde bleich und still, er litt unnennbare Qualen, aber er hatte noch immer volle Gewalt über sich. Da geschah es, daß sein Vater zur Kreisstadt fuhr, für mehrere Tage.

Leon wollte ihn begleiten, aber die kokette Frau gab es nicht zu, sie verlangte ausdrücklich, er sollte bleiben, um ihr Gesellschaft zu leisten. Der alte Graf war unvorsichtig genug, es ihm förmlich zu befehlen. Nun waren sie beide verloren.

Gleich am ersten Abend, wo Leon mit seiner Stiefmutter beisammen war, sollte das stolze Gebäude seiner Grundsätze zusammenbrechen.

»Wir wollen zusammen lesen«, schlug das schöne, berauschende Weib scheinbar unbefangen vor.

Leon ging, um einen neuen französischen Roman herbeizuholen. Als er wieder bei ihr eintrat, lag Lodoiska in einem reizenden Negligé mit halbaufgelöstem Haare auf einem Diwan. Sie reichte ihm die kleine, kalte, bebende Hand, und er führte sie heftig an seine Lippen, dann faßte er sich wieder und versuchte, sich zu bezwingen, aber sie ließ ihm keine Zeit dazu.

»Du bleibst doch den Winter bei uns, Leon?« begann sie.

»Nein, ich will im Gegenteil so bald als möglich fort«, erwiderte er.

»Fort!« rief Lodoiska. »Du könntest uns verlassen, du kannst dir denken, ohne uns … ohne mich zu sein … Sieh, ich liebe dich also mehr, als du mich liebst, denn ich kann den Gedanken nicht fassen, ohne dich zu sein!«

»Du bist zu gütig«, erwiderte Leon mit einem schmerzlichen Lächeln, »aber ich muß gehen, ich muß; glaube es mir, ich gehe nur, weil ich dich liebe, weil ich dich zu sehr liebe, und mit einer ganz anderen Liebe, als du mich liebst.«

»Leon!« schrie Lodoiska auf. »Du … du liebst mich?«

»Oh, ich bin der unseligste, elendeste Mensch«, stammelte Leon, »ich liebe dich und muß dich fliehen, dich, die ich anbete, ohne die ich nicht mehr leben kann. Laß mich sterben, auf der Stelle, hier zu deinen Füßen!«

Er warf sich vor ihr auf die Knie und preßte seine heißen Lippen auf den Saum ihres Gewandes.

Aber dies schon schien die stolze Frau zu beleidigen. Sie stieß ihn heftig mit dem Fuße von sich, wie man Hunde von sich stößt, und erhob sich. »Du sprichst von Empfindungen, welche mich verletzen, erzürnen«, sagte sie kalt, »verlasse mich auf der Stelle!«

Die Kokotte hätte diesen grausamen Befehl nicht so ruhig ausgesprochen, wenn sie geahnt hätte, daß Leon gehorchen würde; sie erwartete einen neuen, heftigen Sturm, während er, innerlich gebrochen, sich demütig vor ihr verneigte und dann das Gemach verließ.

Sie blieb allein und stampfte zornig mit dem Fuße, dann ging sie mit großen, heftigen Schritten auf und ab, und endlich setzte sie sich an das Klavier und begann zu phantasieren. Nach einer Weile aber, wie von einer Ahnung ergriffen, eilte sie an das Fenster und blickte hinaus in den von Mondsichel und Sternen halb erleuchteten Garten, dann warf sie rasch eine Mantille um und ging hinab.

Leon stand, an eine alte Linde gelehnt, und blickte in den Sturzbach, welcher ruhelos, gleich ihm, zur Ebene hinabtoste. Da legte sich eine kleine Hand sanft auf seine Schulter, er zuckte, wie von einem elektrischen Schlage getroffen, unter der Berührung dieser Hand zusammen und preßte sie im nächsten Augenblicke an seine stummen Lippen, an seine nassen Augen.

Was die beiden zusammen sprachen in jener sternenhellen Nacht in dem schweigenden Schloßgarten, niemand hörte, niemand ahnte es, aber Leon zeigte sich fortan finster, bekümmert, und aus seinem Auge blitzte die Resignation der Verzweiflung.

Der alte Graf kehrte zurück. Leon teilte ihm mit, daß er Schloß Tarow in drei Tagen verlassen wolle. Vergebens suchte ihn sein Vater zurückzuhalten, vergebens vereinigte die schöne Stiefmutter ihre Bitten mit den seinen; der Sohn ließ sich in seinem Entschlusse nicht wankend machen.

»Ehe du gehst«, sagte nun der Vater, »will ich dir mein Testament zeigen; ich bin alt, Gott weiß, ob wir uns noch einmal sehen, ehe ich sterbe.« Er nahm das Dokument hierauf aus seinem Schreibtisch und zeigte es seinem Sohne.

Als dieser das Zimmer seines Vaters verließ, traf er Lodoiska, und es war kein Zufall, daß er sie traf. »Hast du ihn bestimmt, ein Testament zu machen?« fragte sie rasch.

»Es hat meiner Aufforderung nicht bedurft«, entgegnete Leon, »es ist fertig.«

»Und …?«

»Wir sind seine Erben.«

Es zuckte seltsam im Auge des jungen schönen Weibes auf, aber Leon, der dieses Weib anbetete, dem es bald ein Engel, bald wie ein Dämon erschien, bemerkte es nicht.

Ehe der Sohn abreiste, wünschte der Vater ihn einmal auf die Treibjagd zu führen. Der erste Schnee war gefallen, Bär und Wolf kamen aus dem Hochgebirge herab und versprachen die höchste Waidmannslust. An einem hellen Wintermorgen brachen sie auf. Lodoiska begleitete sie. Als die Jäger angestellt wurden, wünschte die kühne Amazone für sich allein einen Stand einzunehmen, aber der alte Graf gab es nicht zu und wollte an ihrer Seite bleiben, während Leon etwa zweihundert Schritte weit von ihnen Posto fassen sollte. Die drei gingen, sich von dem übrigen Gefolge sondernd, vom Wege ab durch das Dickicht.

Die Jagd begann. Man hörte schon das Geheul der Treiber – da fiel etwas vorzeitig ein Schuß, und bald darauf ertönten aus der Richtung, in welcher das gräfliche Paar sich aufgestellt hatte, Hilferufe. Der Förster eilte hin, andere Jäger folgten, sie fanden den alten Grafen mit einer Wunde von der rechten Seite her mitten durch die Brust, tot in seinem Blute schwimmend, die Gräfin verzweifelt, halb ohnmächtig auf seiner Leiche zusammengesunken. Noch war sie unfähig zu sprechen, zu erklären, was geschehen war. Jetzt kam auch Leon herbei, bleich, verstört, keines Wortes mächtig, blickte er auf den Toten.

Erst im Schlosse, wohin man Lodoiska halb mit Gewalt brachte, erfuhr man aus ihrem Munde, daß dem Grafen, als er, die Büchse in der Hand, sich durch das Gebüsch Bahn gebrochen habe, das Gewehr dadurch losgegangen sei, daß der Hahn sich an einem Zweige fing und auf- und zurückschnappte; der Graf sei auf der Stelle tot zusammengestürzt. Anfangs schien der Vorfall allen nichts weiter als ein furchtbares Unglück; als aber Leon, nachdem er die Nacht in dem Gemach der Gräfin zugebracht und, wie die Dienstleute behaupteten, eifrig mit ihr gestritten habe, am nächsten Morgen plötzlich abreiste, begannen sich Mißtrauen und Verdacht zu regen und steigerten sich noch, als man erfuhr, daß der Sohn über den gewaltsamen plötzlichen Tod des Vaters in Tiefsinn verfallen und in ein Kloster getreten sei. Lodoiska dagegen tröstete sich auffallend rasch. Leon hatte dem väterlichen Erbe entsagt. Sie war jetzt die Herrin der ausgedehnten Güter der Familie Tarowski und im Besitze eines imposanten Vermögens. Ehe noch das Trauerjahr zu Ende war, reiste sie nach Paris und stürzte sich dort in den vollen wilden Strom des Lebens.

Aber nicht zu lange war es ihr gegönnt, die Frucht ihrer Tat zu genießen. Aus dem Tiefsinn Leons wurde bald vollkommener Wahnsinn. Er starb etwa ein Jahr nach dem blutigen Ende des alten Grafen; ehe er starb, kam er jedoch für wenige Stunden zu sich und klagte sich offen als den Mörder seines Vaters an. Lodoiska hatte ihn zu der Tat verführt, ihre Hand als den Preis derselben verheißen – aber schon in der Nacht nach dem Morde war sein Gewissen erwacht, und er haßte das schreckliche Weib, das ihn zu dem Frevel getrieben.

Lodoiska Gräfin Tarowski wurde auf jene Enthüllung hin in Paris verhaftet. Aber sie war auf diese Katastrophe gefaßt, denn in dem Augenblicke, wo der Polizeibeamte ihr Schlafgemach betrat, stieß sie ein gellendes dämonisches Lachen, das Lachen der Verdammten, aus und stürzte dann zu Boden. Sie hatte Gift genommen.


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