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Der verhängnisvolle Jockey

In der Residenz war ein ebenso großer als frecher Diebstahl verübt worden. Aus dem Schlafgemache des Bankiers H. waren Juwelen, eine kostbare, mit Brillanten besetzte Uhr, das Miniaturbild seiner Frau, in Brillanten gefaßt, und eine bedeutende Summe in barem Gelde, im ganzen Gegenstände im Werte von mehr als hundertfünfzigtausend Gulden, entwendet worden. Der Bankier kam selbst zu dem Polizeidirektor, um den Diebstahl anzuzeigen, bat aber zugleich um ein möglichst rücksichtsvolles und schonendes Vorgehen bei der Untersuchung, da er selbst nicht einmal den geringsten Anhaltspunkt eines Verdachtes zu haben behauptete und niemand Unschuldigen angeklagt sehen wollte.

»Nennen Sie mir vor allem die Personen, welche regelmäßig Ihr Schlafgemach betreten«, begann der Polizeidirektor.

»Außer mir nur meine Gemahlin, meine Kinder und mein Kammerdiener Joseph, ein Mensch, der seit fünfzehn Jahren in meinem Hause ist und für den ich die Hand in das Feuer lege wie für mich selbst.«

»Sie halten denselben also für absolut unfähig, eine solche Tat zu begehen?«

»Gewiß«, erwiderte der Bankier.

»Gut«, sagte der Polizeidirektor, »können Sie sich also erinnern, daß an dem Tage, wo Sie die gestohlenen Gegenstände zuerst vermißt haben, oder an den vorhergehenden Tagen jemand, der nicht zu Ihrem Hause gehört, ausnahmsweise Ihr Schlafgemach betreten hat?«

Der Bankier schien einen Augenblick nachzudenken, dann sagte er rasch: »Niemand, wahrhaftig niemand.«

Dem Polizeidirektor fiel in diesem Augenblicke eine gewisse Verlegenheit des Bankiers auf, welche sich sogar zu einem leichten Erröten steigerte, als er dessen Hand ergriff und, ihn scharf in das Auge fassend, sagte: »Sie sind nicht ganz aufrichtig, es war jemand bei Ihnen, dessen Anwesenheit Sie mir zu verbergen suchen. Mir müssen Sie alles sagen.«

»Nein, nein«, stammelte der Bestohlene, »es war niemand bei mir.«

»Dann bleibt vorläufig nur eine Person, auf die eine Vermutung fallen kann – Ihr Kammerdiener«, sagte der Polizeidirektor.

»Für den stehe ich ja ein«, beeilte sich der Bankier zu sagen.

»Sie können sich täuschen«, erwiderte der Polizeidirektor, »ich werde den Mann doch ins Verhör nehmen müssen.«

»Aber ich bitte, mit der größten Schonung.«

»Überlassen Sie das nur mir.«

Eine Stunde später stand der Kammerdiener des Bankiers in dem Büro des Polizeidirektors, welcher seinen Mann zuerst prüfend ansah und zu dem Resultate kam, daß hinter diesem ehrlichen, unbefangenen Gesicht, diesem ruhigen, festen Auge unmöglich ein Verbrecher verborgen sein könne.

»Wissen Sie, weshalb ich Sie zitiert habe?« begann der Polizeidirektor.

»Nein, Euer Gnaden.«

»Es ist im Hause Ihres Herrn ein großer Diebstahl begangen worden«, fuhr der Polizeidirektor fort, »in seinem Schlafgemach. Haben Sie einen Verdacht? Wer betrat dasselbe in den letzten Tagen?«

»Außer der Familie des Herrn«, sagte der Kammerdiener ruhig, »niemand als ich.«

»Wissen Sie, mein Lieber, daß Sie damit sich selbst verdächtigen …«

»Herr Polizeidirektor«, rief der Kammerdiener, »Sie werden doch nicht glauben …«

»Ich darf nichts glauben, ich habe nur zu untersuchen und den vorhandenen Spuren zu folgen«, entgegnete der Polizeidirektor. »Wenn Sie allein das Zimmer in der letzten Zeit betreten haben, muß ich mich an Sie halten.«

»Mein Herr kennt mich …«

Der Polizeidirektor zuckte die Achseln. »Ihr Herr steht für Sie ein, aber das ist mir nicht genug. Sie sind die einzige Person, gegen welche vorderhand Inzichten vorliegen, ich muß also – so leid es mir tut – zu Ihrer Verhaftung schreiten.«

»Wenn es so steht«, stammelte der Kammerdiener, »will ich lieber die Wahrheit sagen, mein ehrlicher Name ist mir mehr wert als mein Dienst. Es war gestern jemand bei meinem Herrn.«

»Und dieser Jemand?«

»Eine Dame.«

»Eine Dame seiner Bekanntschaft?«

Der Kammerdiener schwieg kurze Zeit. »Es muß ja doch heraus«, sagte er endlich, »mein Herr hat ein Frauenzimmer – Sie verstehen mich, Herr Polizeidirektor, so eine schöne blonde Person, der er eine hübsche Wohnung eingerichtet hat und was so dazu gehört, er besucht sie, aber im geheimen natürlich, wenn die gnädige Frau es erführe, es gäbe ein furchtbares Spektakel. Diese Person war gestern bei ihm.«

»Allein?«

»Ich habe sie hineingeführt, sie war mit dem Herrn in seinem Schlafzimmer, nach einer Weile rief ich den Herrn heraus, weil ihn der Buchhalter zu sprechen hatte, und so blieb sie wohl eine Viertelstunde allein in dem Zimmer.«

»Wie heißt diese Person?«

»Cäcilie K., es ist eine Ungarin.« Der Kammerdiener gab auch gleich ihre Wohnung an.

Der Polizeidirektor sandte hierauf um den Bankier, welcher, mit seinem Kammerdiener konfrontiert, die von demselben angegebenen Tatsachen, so peinlich es ihm war, bestätigen mußte.

Der Polizeidirektor befahl hierauf, Cäcilie K. zu verhaften.

Es währte indes keine halbe Stunde, so kehrte der zu diesem Zwecke ausgesandte Beamte mit der Meldung zurück, daß die schöne Ungarin bereits gestern abend ihre Wohnung und, wie die Quartiervergeber vermuteten, auch die Residenz verlassen habe. Der arme Bankier war der Verzweiflung nahe, um hundertfünfzigtausend Gulden bestohlen, hatte er zugleich das schöne Weib verloren, das er mit aller Leidenschaft, deren er fähig war, liebte. Er konnte den Gedanken nicht fassen, von ihr, welche er mit asiatischem Luxus umgeben, der er jede noch so exzentrische Laune erfüllt, deren Tyranneien er geduldig ertragen hatte, in so entsetzlicher Weise getäuscht worden zu sein, und nun bekam er noch einen Konflikt mit seiner Frau, den gestörten häuslichen Frieden mit in den Kauf.

Die Polizei konnte nichts tun, als die Dame, welche sich durch ihre Flucht selbst denunziert hatte, steckbrieflich zu verfolgen. Dies geschah, aber auch ohne Erfolg. Vergebens beschwor der Bankier, in dessen Herz Haß und Rachelust an die Stelle der Liebe getreten waren, den Polizeidirektor, alles aufzubieten, um die schöne Verbrecherin zu entdecken und zur Rechenschaft zu ziehen, vergebens machte er sich anheischig, die Kosten ihrer Verfolgung, auch wenn sie noch so groß wären, zu tragen. Es wurden spezielle Agenten zu ihrer Entdeckung ausgesandt, aber Cäcilie K. war so unartig, sich nicht entdecken zu lassen.

Drei Jahre sind vergangen, die unangenehme Geschichte scheint vergessen. Der Bankier hat die Verzeihung seiner Gattin erlangt und – was ihn noch mehr beruhigt – eine neue reizende Herzdame gefunden. Auch die Polizei machte Miene, sich um die schöne Ungarin nicht weiter zu kümmern.

Die Szene wechselt. Wir sind in London. Eine reiche Dame, welche durch ihre Schönheit und ihr emanzipiertes Benehmen gleichmäßig in der eleganten Herrenwelt Aufsehen erregt und Eroberungen macht, sucht einen Jockey. Es meldet sich unter vielen anderen Bewerbern ein junger Mann, welcher durch Schönheit seines Äußeren und Eleganz seines Benehmens den Eindruck macht, die beste Erziehung genossen zu haben. Dies empfiehlt ihn der Kammerfrau, und diese führt ihn in das Boudoir ihrer Gebieterin. Wie er hier eintritt, ruht auf einer Chaiselongue ein Weib von höchstens fünfundzwanzig Jahren, schön, üppig, pikant, mit großen glänzenden Augen und blauschwarzem Haare, das ihren Teint, den wunderbaren Teint einer zarten Blondine, geradezu blendend erscheinen läßt. Sie betrachtet den jungen Mann, dessen Gesicht gleichfalls von reichem schwarzem Haare eingerahmt ist und der seine glühenden schwarzen Augen vor dem prüfenden Blicke der ihren niederschlägt, mit sichtlichem Wohlgefallen, das vorzüglich seinem schlanken und athletischen Bau zu gelten scheint, und fragt dann, halb träge, halb hochmütig: »Wie nennst du dich?«

»Lajos Mariassi.«

»Ein Ungar?« Es zuckte seltsam in dem Auge der Fragerin.

»Ja.«

»Wie kamst du hierher?«

»Ich bin einer jener vielen Emigranten, welche durch die Revolution ihr Vaterland und ihre Existenz eingebüßt haben, aus guter Familie, Offizier bei den Honvéds, muß ich jetzt – dienen und Gott danken, wenn ich eine zugleich so schöne und noble Gebieterin finde wie Sie, Lady.«

Miß Zoe – so nannte sich die schöne Frau – lächelte und zeigte bei dieser Gelegenheit zwei Reihen perlenweißer Zähne. »Sie gefallen mir«, sagte sie, ohne sich zu bewegen, »ich bin geneigt, Sie in meinen Dienst zu nehmen, sobald Sie mit meinen Bedingungen zufrieden sind.«

»Oh, ich will Ihnen unter jeder Bedingung dienen«, rief der junge Mann beinahe begeistert, »ich bin stolz darauf, die Livree einer so schönen Dame zu tragen.«

Man einigte sich leicht, und schon am nächsten Tage begleitete Lajos die reizende Miß Zoe zu Pferde in den Hydepark, wo sich der schimmernden Erscheinung bald ein Troß vornehmer Dandys anschloß und ihr wie der Schweif dem Kometen unermüdlich folgte. Fortan sah man Miß Zoe nie mehr ohne ihren Jockey, wenn sie ritt, ritt er hinter ihr, wenn sie kutschierte, saß er auf dem Rücksitz, besuchte sie das Theater oder eine Gesellschaft, hob er sie aus dem Wagen und nahm ihr den Mantel ab.

Man bezeichnete einen jungen Lord als den Anbeter der Miß Zoe, sie empfing auch in der Tat täglich seinen Besuch, dies hinderte sie jedoch nicht, mit ihrem Jockey zu kokettieren.

Die Laune einer vornehmen Frau, dachte ihre Kammerfrau, wenn sie einen der verlangenden Blicke auffing, welche Miß Zoe ihrem Diener zuwarf, das kommt und geht wieder vorüber. Diesmal irrte sich aber die Welterfahrene.

Miß Zoe war ernstlich verliebt, und der Respekt, mit dem Lajos sie behandelte, versetzte sie in die übelste Laune. Eines Abends – sie hatte projektiert, in die italienische Oper zu fahren – ließ sie ausspannen, wies den Lord, der sich ihr zu Füßen werfen wollte, ab und befahl den Jockey in ihr Boudoir.

»Lajos«, begann sie, »ich bin sehr unzufrieden mit Ihnen.«

»Wie, gnädige Frau?«

»Ich will Sie nicht länger um mich sehen, hier ist Ihr Gehalt für drei Monate im vorhinein. Verlassen Sie auf der Stelle mein Haus.« Sie ging mit großen Schritten auf und ab.

»Ich gehorche, gnädige Frau«, entgegnete der Jockey, »das Gehalt nehme ich jedoch nicht.«

»Warum nicht?« fragte sie mit seltsamer Heftigkeit.

»Weil ich dann noch für drei Monate unter Ihrer Botmäßigkeit stände«, sprach Lajos, »und ich frei sein will, und zwar noch in diesem Augenblicke, um Ihnen zu sagen, daß ich Ihnen nicht um Ihres Geldes willen gedient habe, sondern weil ich das schöne Weib in Ihnen liebe und anbete.«

»Sie lieben mich!« rief Zoe. »Weshalb haben Sie das nicht früher gesagt? Ich wollte Sie ja nur aus meiner Nähe verbannen, weil ich Sie liebe und mich von Ihnen nicht geliebt glaubte. Aber Sie sollen es mir büßen, daß Sie mich so sehr gequält haben. Auf der Stelle hierher zu meinen Füßen!«

Der Jockey beugte sein Knie vor dem schönen Weibe, dessen feuchte Lippen in demselben Augenblicke die seinen suchten.

Fortan war Lajos ihr Günstling. Freilich eifersüchtig durfte er nicht sein, der offizielle Verehrer blieb nach wie vor der junge Lord, welcher außerdem das Vergnügen hatte, den ganzen Aufwand der lockeren Schönen zu bestreiten, und dann war noch ein kleines Heer von sogenannten »guten Bekannten«, welche das Glück genossen, hie und da ein Lächeln und manchmal etwas mehr zu erobern, und dafür die Erlaubnis bekamen, Miß Zoe mit seltenen Blumen, einem Papagei oder Diamanten zu überraschen.

Je vertraulicher Zoe mit Lajos wurde, um so unheimlicher wurde ihr sein Blick, welcher manchmal mit einer Art Verachtung auf ihr ruhte. Sie stand bald vollkommen unter seinem Einflusse, und sie fürchtete ihn. Eines Tages, während er mit ihren dunklen Locken spielte, sagte er spöttisch: »Man sagt sonst, die Gegensätze ziehen sich an, und du bist doch ebenso schwarz wie ich.«

Miß Zoe lächelte und riß mit einem kühnen Griff ihre schwarzen Locken herab, in demselben Moment saß die reizendste Blondine neben Lajos, welcher sie aufmerksam, aber durchaus nicht erstaunt betrachtete.

Der Jockey verließ seine Gebieterin gegen Mitternacht, um, wie er sagte, nach den Pferden zu sehen. Sie machte eine reizende Nachttoilette und ging dann zu Bette. Vergebens erwartete sie den Geliebten durch eine volle Stunde, dann schlief sie ein. Zwei Stunden nach Mitternacht wurde sie geweckt.

Ein Polizeibeamter, von Konstablern begleitet, stand an ihrem prächtigen Lager.

»Wen suchen Sie?« schrie sie auf.

»Cäcilie K.«, erwiderte der Beamte.

»Ich bin Miß Zoe.«

»Oh, ich kenne Sie«, sprach der Beamte lächelnd, »aber nehmen Sie gütigst Ihre schwarzen Locken herab, und Sie sind Cäcilie K. Ich verhafte Sie im Namen des Gesetzes.«

»Mein Gott!« stammelte die Unglückliche. »Lajos hat mich verraten.«

»Sie irren, Madame«, sprach der Beamte, »er hat seine Pflicht getan.«

»Wie? Lajos – mein Geliebter.«

»Nein, Lajos, der Polizeiagent.«

Cäcilie erhob sich von ihrem Lager, um im nächsten Augenblicke ohnmächtig zu Boden zu sinken.


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