Leopold von Sacher-Masoch
Mondnacht
Leopold von Sacher-Masoch

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Bei einem Gewitter geschah es. Die Lichter waren verlöscht, nur rothe Blitze erhellten von außen das Gemach und Olga lag schlaftrunken an seiner Brust. Und auf einmal kamen die Visionen und sie sprach zu Wladimir.

Er verstand es anfangs nicht und rüttelte sie am Arme und rief ihren Namen. Sie erwachte jedoch nicht. Da faßte ihn ein namenloses Entsetzen und er lauschte halb neugierig, halb angstvoll Olga's Reden, bis die Wolken sich verzogen hatten, der Donner nur noch in der Ferne grollte und Olga im vollen Lichte des Mondes wie verklärt dalag.

Da faßte sich Wladimir ein Herz und begann sie zu fragen, und er fragte sie: »Gibt es einen Gott?«

»Ich weiß nichts von ihm,« sagte Olga.

»Und gibt es ein Leben nach dem Tode?«

»Nein!« erwiederte Olga.

Da wurde das Blut zu Eis in seinen Adern und das Herz stand ihm still.

Olga sah es und sprach: »Sie kann nichts sehen über den Dunstkreis dieser Erde hinaus, sie sieht nicht, was aus dem Menschen nach dem Tode wird, aber sie fürchtet sich entsetzlich vor dem Grabe, in der kalten Erde zu liegen, wo sie die Würmer essen, sie möchte lieber unter freiem Himmel liegen, aber da kämen die Raben und würden sie zerhacken. Wladimir muß ihr versprechen, wenn sie todt ist, sie in eine Gruft zu legen.«

Er versprach es.

In nicht langer Zeit gewöhnte er sich an Olga's zweite Seele und lauschte gerne ihrer Stimme, und die andere liebte ihn auch. Olga aber hätte ihr Leben für ihn gegeben, die Stunden mit Wladimir verrannen ihr stets wie ein seliger Traum.

Jetzt haßte Olga die Gesellschaft und, nur damit kein Aufsehen entstand, erschien sie noch von Zeit zu Zeit in derselben.

Wladimir kam oft in ihren Edelhof und blieb nicht selten über Nacht. Er schlief dann hier, in diesem Zimmer, in diesem Bette, und Olga –«

Sie stockte.

Jetzt verstand ich alles.

»Und Wladimir war so gut« erzählte Olga weiter, »er brachte jedesmal Bücher und las der Olga vor, und unterrichtete auch ihre Kinder mit einer Geduld wie ein Engel.

Wie das Frühjahr kam, bebaute er mit Olga den Garten. Da war dann keine Blume, die sie nicht zusammen gepflanzt hatten, und es kam auch kein Kohlkopf, keine Rübe auf den Tisch, die sie nicht selbst gezogen hatten, und die Bienen saßen auf Olga's Händen wie gezähmte Kanarienvögel und krochen in ihrem Haar herum. Sie wußte auch jedes Nest im Garten, die Grasmücken im alten Birnbaume, den kleinen Zeisig, die Nachtigall, denn Wladimir zeigte sie ihr und sie sah oft zu, wie die Alten hin- und herflogen und die flaumigen Jungen fütterten.

Im Sommer gingen sie durch die Felder und saßen dann am Waldrand oder auf der Terrasse, den Himmel voll Sterne über sich, und Wladimir sagte ihr die wunderbarsten Sachen aus den verschiedensten Dichtern so aus dem Kopfe, die Verse flossen nur von seinen Lippen.

Olga zeichnete nun auch mit großem Eifer Landschaften und Scenen nach der Natur, und wenn sie etwas erfand und Wladimir betrachtete es und sie sah an seinen leuchtenden Augen, daß er damit zufrieden war, dann gab es kein Glück auf Erden, das dem ihren gleichkam.

Nach der Ernte durchwanderten sie zusammen die Karpathen. Mihael ritt vorne neben dem Huzulen, der ihnen den Weg wies, und Wladimir führte Olga's Pferd am Zügel. Sie bestiegen den schwarzen Berg, sahen den tiefen, unergründlichen, dunklen See auf seiner Spitze und blickten von den höchsten Kuppen des Gebirges in die endlose heimatliche Fläche.

Und wie der Winter sie wieder in das kleine warme Haus bannte, da überzog ihnen die Liebe die alten grauen Wände mit Myrthen und Rosen, und die Musen erfüllten die traute Dämmerung desselben mit Licht und Melodie.

Dann saß ihr Mann mit den Kindern auf dem Sopha, Wladimir in einem der kleinen braunen Fauteuils und Olga an dem Piano. Sie spielte die herrlichen Compositionen der großen deutschen Meister oder sang mit Wladimir ein schwermüthiges kleinrussisches Volkslied. Oft brachte er ein Buch und trug etwas vor, dann lasen sie auch zusammen Scenen aus dem Faust, dem Egmont, aus Romeo und Julia. Dann war er immer Faust, Egmont, Romeo und sie das Gretchen, Clärchen und die Julia, die an seinen Augen, seinen Lippen hing.

»Es tagt beinah, ich wollte nun du gingst;
Doch weiter nicht als wie ein tändelnd Mädchen
Ihr Vögelchen der Hand entschlüpfen läßt –«

Fror der kleine Teich fest zu, so liefen sie dort an sonnigen Vormittagen auf Schlittschuhen, und Wladimir lehrte sie die merkwürdigsten Figuren in das Eis schneiden. Wenn sie im Schlitten fuhren, deckte Olga ihren Zobel über seine Kniee und setzte ihre Füße auf die seinen, wie auf einen Schemel. – –

Doch hatte sie auch dunkle schwere Stunden.

Manchmal faßt sie eine tiefe Reue, dann will sie ihrem Manne alles gestehen und ihre wonnevolle Sünde büßen. Manchmal möchte sie wieder mit Wladimir in die Welt hinauslaufen und sein Weib werden, dann halten sie die Kinder zurück und ihre Ehre. Sie schwankt und grübelt und quält sich selbst; aber wenn sie in seinen Armen ruht, an seiner treuen Brust, dann schweigen alle Zweifel, alle Sorgen, alle Gedanken, dann ist sie vollkommen glücklich.

Und doch nicht.

Wladimir schweigt, aber sie liest oft von seiner finstern Stirn die traurige Selbstanklage herab: ich betrüge den Freund, der mir vertraut, ich habe das Weib, das ich erheben wollte, hinabgerissen in Schmach und Sünde.

Sie quält etwas ganz anderes.

Man bemerkt, daß sie schlecht mit ihrem Manne lebt, man bedauert sie, und sie ist so wahnsinnig glücklich, so stolz in ihrem Glück, sie möchte es in alle Welt hinausrufen: ich liebe, ich bin geliebt von ihm, den ihr Alle bewundert, und ich bin die Erste, die den Fuß auf seinen stolzen Nacken gesetzt hat.

Sie hat das Geheimniß verlangt, und eben sie erträgt es nicht. Sie möchte sich beneidet sehen und noch mehr ihn, den sie durch ihre Gunst zum Gotte macht.

So wird sie selbst zur Verrätherin an ihrer Liebe.

Jede Gelegenheit, wo sie Wladimir auf irgend eine Weise auszeichnen kann, kommt ihr erwünscht. Nur er darf ihr den Bügel halten, sie aus dem Schlitten heben, ihr den Pelz abnehmen; ihn wählt sie beim Tanze, von ihm verlangt sie Erfrischungen, ihm befiehlt sie, ihr Glas zu füllen, das Geflügel zu schneiden, das sie auf dem Teller hat. Dann nimmt sie einen Bissen und reicht ihm den nächsten auf ihrer Gabel, oder sie trinkt aus seinem Glase und überläßt ihm das ihre, und sucht mit ihrer Fußspitze die seine. Ihre Augen sind immer auf ihn geheftet, oder auf die Thür, wenn er noch nicht da ist, und sobald er eintritt erbleicht sie und wird gleich darauf blutroth. Wenn von ihm die Rede ist, ergreift sie mit Leidenschaft seine Partei, und spricht von seinem Charakter, seinem Geiste mit einem Enthusiasmus, welcher selbst die Gutmüthigsten und Unachtsamsten aufmerksam macht.

Es entsteht ein Gesumme, ein Gerede, ein Gewebe von Wahrheit, Lüge und Niederträchtigkeit, und zuletzt zweifelt Niemand mehr daran, daß Wladimir Podolew der begünstigte Liebhaber der schönen stolzen Frau ist.

Halbe Worte dringen bis zu ihrem Manne, er wehrt sich lange genug gegen den Zweifel an seinem Weibe, endlich faßt er Argwohn und beginnt sie zu beobachten.

So ist ein Jahr vergangen. –

Der Frühling wirft sein holdes rosiges Licht seine ersten weißen Blüthen auf die Freitreppe und durch die offene Thür in den kleinen Saal, in dem Olga mit ihrem Manne und dem Geliebten bei dem kleinen Theetisch sitzt.

Die Luft ist so seltsam frisch und aromatisch, der weite abendliche Himmel flimmert von zahllosen Sternen, die Wachtel schlägt im grünen Feld, das Herz fühlt ein unerklärliches Bangen und Sehnen, eine süße Wehmuth, ein Glück ohne Ruhe.

Um die Lampe summen kleine grünschimmernde Fliegen und weiße Schmetterlinge flattern um die matt leuchtende Glaskugel. Wladimir hat einen Band von Shakespeare aufgeschlagen, Olga blickt über seine Schulter und liest mit ihm:

»All dies Leiden« – spricht Romeo – »dient
In Zukunft uns zu süßerem Geschwätz.«
»O Gott!« – erwiedert Julia – »ich hab' ein Unglück ahnend Herz.
Mir däucht' ich säh' dich, da du unten bist,
Als lägst du todt in eines Grabes Tiefe.
Mein Auge trügt mich, oder du bist bleich.«

Olga fühlte einen seltsamen Stich im Herzen, eine namenlose Angst faßte sie, und sie blickte auf Wladimir, der in der That entsetzlich bleich geworden war.

»Ich kann nicht weiter lesen,« stammelte sie, »mir droht das Herz zu springen!«

»Es ist die Frühlingsluft,« sagte ihr Mann, »schließen wir die Thür.«

Olga tritt einen Augenblick auf die Freitreppe hinaus, kehrt dann zurück und füllt die Tassen. Sie sitzt jetzt dem Geliebten gegenüber.

Ihr Mann beobachtet sie unaufhörlich, und während er in die Zeitung vertieft scheint, bemerkt er, wie sie mit Wladimir einen Blick voll wahnsinniger Zärtlichkeit wechselt. Zu gleicher Zeit berührt ihr Fuß den seinen.

»Es ist mein Fuß,« sagt Mihael ruhig.

Olga fährt zusammen und beugt sich zitternd über den Tisch, sie sieht das furchtbar entstellte Gesicht ihres Mannes in dem Augenblicke, wo er langsam das Zimmer verläßt.

»Du hast uns verrathen,« sagt Wladimir leise.

»Ich fürchte selbst,« murmelt sie; »nun, er soll alles wissen, dann bin ich ja dein, ganz dein, dein Weib, Wladimir.«

Er sieht sie dankbar an und preßt seine Lippen auf ihre Hand.

»O! wie ich dich liebe! – und jeden Tag und jede Stunde mehr und mehr. Du mußt hier bleiben,« fährt sie fort, »wir haben uns so viel zu sagen...«

»Nur heute nicht,« fleht er erschreckt, »ich habe eine schlimme Ahnung; um Gotteswillen nicht!« –

Mihael hustete ehe er eintrat, nahm seinen Thee und klagte dann über Kopfweh. »Gehen wir zu Bett« sagte er dumpf.

Wladimir drückte ihm und Olga die Hand und ging auf sein Zimmer, wo er sich angekleidet auf das Bett warf.

Nach Mitternacht knisterte ein Frauengewand auf der Terrasse.

Wladimir eilte an das Fenster. Alles war wieder still. Plötzlich sprang Olga aus dem tiefen Schatten hervor und faßte ihn mit ihren Händen.

»Das war deine böse Ahnung!« lachte sie.

Wladimir erwiederte nichts, half ihr herein, blickte mißtrauisch in den Garten hinaus und schloß dann das Fenster.

Indeß hatte sich Olga gesetzt.

»Fürchtest du dich vor mir?« scherzte sie. »Du hast alle Ursache.« Und plötzlich warf sie die weißen Arme wie eine Schlinge um seinen Hals und zog ihn an sich. – – – – – – – – – – –

»Mir ist so heiß,« sprach sie nach einer Weile, »öffne das Fenster.«

Wladimir schüttelte den Kopf.

»Was hast du?« rief sie mit silberhellem Lachen. »Ich glaube, du fürchtest dich vor meinem Mann?« Sie erhob sich, öffnete das Fenster und schmiegte sich dann wieder an ihn.

»Ich bitte dich, geh',« sprach er mit zitternder Stimme.

»Es ist nicht dein Ernst,« erwiederte sie.

»Wenn du mich nur etwas liebst, so geh', ich beschwöre dich!«

Olga schüttelte nur den Kopf und spielte sorglos mit seinem Haar.

Da machte er eine heftige Bewegung gegen das Fenster, sie schrak zusammen und wendete rasch den Kopf.

Es war zu spät.

Ihr Mann stand vor ihnen.

Olga lehnte sich stumm, wie erstarrt, zurück, während Wladimir sich mit einem Sprunge zwischen ihn und sie stellte.

»Es ist nicht nöthig, daß du sie beschützest,« sprach Mihael kalt, »ich thue ihr nichts. Geh' auf dein Zimmer, Olga, wir haben ein paar Worte allein zu sprechen.«

Sie verließ mit einem langen schmerzlichen Blick auf Wladimir, der sie mit übernatürlich leuchtenden Augen ansah, langsam das Zimmer, sperrte sich in ihrem Schlafgemach ein und warf sich dann in dumpfem schweigenden Schmerz auf ihr Lager.

Nach einiger Zeit hörte sie ihren Mann auf sein Zimmer gehen, dann den Hufschlag eines Pferdes, dann war lange Zeit Alles still.

Endlich kam ihr Mann mit festem Schritte über den Corridor, sein Rappe wieherte im Hofe, noch wenige qualvolle Secunden und er sprengte davon.

Es war gegen Morgen. Das Licht sank trübe, fahlgrau herein.

Olga ging hinaus.

»Niemand da?« rief sie.

Alles schwieg. Sie ging bis auf die Freitreppe und rief noch einmal. Da kam der Kosak gähnend mit schläfrigen verklebten Augen aus dem Hofe herauf.

»Wo ist Wladimir?« fragte sie. »Und wo ist der Herr?«

»Der Herr hat einige Briefe geschrieben,« sagte der Kosak gleichgültig, indem er einen Strohhalm zerbiß, »und ist dann weggeritten, und der Herr Wladimir, der ist schon früher fort.«

Sie weiß jetzt, daß sie sich duelliren, sie wankt in ihr Zimmer zurück, bei jedem Schritte drohen ihr die Kniee zu brechen, das Blut wird kalt in ihren Adern, weinen kann sie nicht.

Sie wirft sich vor dem Gekreuzigten nieder, der über ihrem Bette hängt und schlägt sich mit den Fäusten vor die Stirn, sie hofft, daß Wladimir ihren Mann, den Vater ihrer Kinder, tödten wird, sie kniet und betet – – – bis ein Reiter die Straße herauf jagt und vor dem Edelhofe hält.

Sie horcht angstvoll, den Kopf zur Seite geneigt, alle ihre Pulse pochen, sie wagt es nicht, sich zu bewegen.

Schritte – – sie fühlt sich dem Tode nahe.

Es ist ihr Mann.

Er steht jetzt vor ihr.

»Er ist todt,« spricht er – seine Stimme zittert – »hier ist ein Brief an dich – der Ehre ist genug geschehen. Du kannst jetzt gehen, wenn du willst« – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Weiter vernahm sie nichts mehr, es schoß ihr wie Wasser in die Ohren und sie sank um.

Wie sie zu sich kam, lag sie noch auf derselben Stelle, ihr erster Blick fiel auf das Kreuz an der Wand.

Sie erinnerte sich nicht, was geschehen war, nur war es ihr entsetzlich wüst und trübe im Kopfe und das Herz wie wund.

Dann entdeckte sie den Brief, sah ihn an und langsam kamen ihr die Gedanken zurück, aber sie war wie versteinert in ihrem Schmerze, die Thränen stockten ihr, beinahe theilnahmlos öffnete sie den Brief und las:

 

»Mein geliebtes Weib!

»Du warst mir Alles, mein Leben, mein Glück, meine Ehre. Für dich habe ich gefehlt, gesündigt, meine bessere Ueberzeugung verleugnet. Das, was ich that, verlangte eine ernste Sühne.

»Sobald du diese Zeilen lesen wirst ist mein Schicksal erfüllt. Weine nicht um mich. Du hast mir ein Jahr meines Lebens so mit Liebe und Seligkeit erfüllt, daß es ein ganz armes Menschendasein aufwiegt. Ich danke dir.

»Sei glücklich, und kannst du es nicht sein, so sei rechtschaffen und erfülle deine Pflicht.

»Laß mich fortleben in deinem Angedenken. Leb' wohl.

Für immer

Dein

Wladimir.«

 

Olga legte den Brief schweigend zusammen, stand auf, kleidete sich an und begann ihre Sachen zu packen. Sie wollte das Haus ihres Mannes sofort verlassen.

Da hörte sie ihre Kinder im Corridor, riß die Thür auf und wie sie jubelnd an ihrem Hals hingen, fiel sie schluchzend vor ihnen nieder und – die Koffer blieben offen stehen. – –

Man fand Wladimir im Birkenwäldchen von Tulawa. Dort ist der stillste Ort auf zehn Meilen in der Runde. Der Feldhüter der Gemeinde – der Leopold kennt ihn ja – der Capitulant stieß auf ihn, wie er das Gehölz durchstreifte.

Er lag auf dem Rücken, die Kugel in der Brust, die Pistole in der Hand.

Man fand bei ihm einen Brief, wie ihn Jeder schreibt, der sich auf Tod und Leben duellirt. So war es eine ausgemachte Sache, daß er sich selbst erschossen hatte, und man begrub ihn außer der Mauer des Friedhofes. –

Was jetzt noch kommt, ist das Alltägliche, das Gemeine, doch es gehört dazu.

Olga verabscheute ihren Mann von ganzer Seele und sie blieb doch bei ihm; sie wurde vor Kummer fast toll, oft faßte sie ein dämonischer Haß, sie hatte schon die Pistole geladen, mit der er Wladimir getödtet, um ihn zu erschießen, und – sie blieb doch bei ihm, denn sie erträgt es nicht, nicht geliebt zu werden, und es thut ihr wohl, daß er sie liebt, daß er leidet, in dem furchtbaren Gefühl, daß sie sein ist und doch nicht sein.

Das Leben wird ihr oft recht schwer.

Eine tiefe Blässe lagerte sich seit jener Zeit auf ihrem Antlitz; ihr Herz ist krank und in der Mondnacht muß sie wandern, ruhelos! – –

Sie schwieg.

»Jetzt weiß der Leopold Alles,« sagte sie dann mit stiller rührender Ergebung, »jetzt wird er die Olga verstehen und – schweigen.«

Ich hob die Hand wie zum Schwure.

»Er wird sie nicht verrathen, ich weiß es,« sagte sie, »gute Nacht. – Der Hahn hat das zweitemal gekräht, im Osten liegt ein Streifen Licht wie Milch. Ich muß nun fort.«

Sie ging langsam, ihre prächtigen Glieder dehnend, und fuhr mit beiden Händen durch das Haar, das unter ihren Fingern knisterte und Funken gab. Im Fenster wendete sie sich noch einmal und legte den Finger auf den Mund.

Dann war sie verschwunden. –

Ich horchte lange, stand dann auf und ging an das Fenster. Ringsum war nichts als das niederfließende Silber des Mondes und die tiefe dämmernde Nachtstille.

Als ich am Morgen in den kleinen Speisesaal kam, lud mich der Gutsherr ein, mit ihm das Frühstück zu nehmen. »Dann werde ich Ihnen selbst den Weg zeigen,« sagte er zuvorkommend.

»Wo bleibt unsere Herrin?« fragte ich zögernd.

»Meine Frau ist unwohl,« entgegnete er ziemlich nachlässig, »sie leidet stark an der Migraine, besonders bei Vollmond. Wissen Sie kein Mittel dagegen, mein Lieber? Ein altes Weib hat mir saure Gurken gerathen, was halten Sie davon?«

Wir verabschiedeten uns erst jenseits des Waldes.

Trotz seiner freundlichen Einladung vermied ich es, ihn zu besuchen, und jedesmal, wenn ich Nachts an dem einsamen Edelhofe mit den düsteren Pappeln vorbeifahre, kömmt noch ein wehmüthiger Schauer über mich.

Ich habe Olga nie mehr gesehen, aber im Traume erscheint mir noch oft ihre liebliche Gestalt mit dem edlen bleichen Haupte, den geschlossenen Augen, dem offenen wollüstigen Haare.


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