Leopold von Sacher-Masoch
Mondnacht
Leopold von Sacher-Masoch

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»Der Leopold darf nicht schlecht von der Olga denken,« begann sie, wieder das Antlitz zum vollen Mond erhoben, »ich bitte ihn,« rief sie, und schon kamen ihr die Thränen, sie kniete nieder und hob die Arme zu mir empor. »Er darf nichts erzählen, Niemandem,« fuhr sie geheimnisvoll, leise fort, »auch der Olga nicht, sie würde sich das Leben nehmen vor Scham.«

»Niemandem,« sagte ich. Meine Stimme zitterte.

»Niemandem,« wiederholte sie feierlich.

Tief bewegt beugte ich mich zu ihr hinab und wollte sie aufheben. Sie schüttelte das schöne geisterhafte Haupt und ließ es dann langsam auf die Brust herabsinken. »Er muß jetzt Alles erfahren, Alles,« murmelte sie vor sich hin. »Alles.«

»Nein,« rief ich, »erzähle nicht, wenn es etwas ist, was dir Pein macht. Ich will dein Geheimniß nicht.«

»Er müßte an der Olga irre werden, ja er zweifelt jetzt schon,« erwiederte sie traurig, »die Olga ist nicht leichtfertig, aber unendlich unglücklich. Ich muß ihm jetzt Alles sagen. Aber er wird dann schwören. Wird er?« Sie fragte ohne aufzublicken.

»Ja,« sagte ich.

Plötzlich kroch der Hund hervor, beroch sie, stieß ein kurzes heiseres Bellen aus und blöckte die Zähne. Sie legte sich zu ihm hinüber und begann ihn zu streicheln. Er zitterte und zog sich scheu unter das Bett zurück.

»Ich muß, ich muß,« seufzte sie dann, »nur so kann es gut enden, nur so. Ich will nicht, daß der Leopold schlecht von der Olga denkt, sie ist ja so arm.« Sie rutschte auf den Knieen bis zu mir und legte den Kopf an die Pfoste. Die Hände hatte sie demüthig wie eine Sklavin auf der Brust gekreuzt. »Ich weiß, er wird die Olga verstehen; darum erzähl' ich ihm.«

Mich schüttelte ein leises Fieber.

»Er kann ruhig sein,« flüsterte sie zutraulich; »es ist von keinem Verbrechen die Rede. Die Olga hat mit Willen Keinem ein Leid gethan. Ihre Geschichte ist einfach traurig, weiter nichts. Er darf nicht weinen.«

Ich lehnte mich an die Wand zurück und sah sie an, meine Augen brannten, mein Gaumen war ganz trocken.

»Ich erzähle ihm gerne,« begann sie mit einer gewissen schwermüthigen Grazie, »er kennt die Natur des Weibes –«

Ich nickte unwillkürlich.

»Die Olga hat keine Sünde auf sich als daß sie ein Weib ist und daß sie erzogen wurde wie man ein Weib erzieht, zum Genuß, nicht zur Arbeit, gleich dem Mann. Die Frau ist ein Geschöpf für sich,« fuhr sie fort, – die Worte flossen ihr vom Munde; »sie hat sich nicht so losgerissen von der Natur und ist um ebensoviel schlechter und auch besser als der Mann. Das heißt was die Menschen so gut und böse nennen.«

Sie lächelte.

»Von Natur aus denkt aber Jeder nur an sich und so kennt das Weib in der Liebe zuerst nur den Nutzen und die Eitelkeit. Sie muß vor Allem leben und kann ohne alle Mühe leben, indem sie dem Vergnügen des Mannes dient, das ist die Macht des Weibes und das ist auch ihr Elend. Nicht? –

»Die Liebe ist ihr ein Luxus, den sich der Mann gestatten kann, für sie ist sie das tägliche Brod. Aber Jeder, wenn er sein Leben fristet, will darin noch etwas mehr, er will dieß zusammengeflickte Selbst, auf das er gar so stolz ist, so weit als möglich über Andere erheben. Die Frau hat ihren Ehrgeiz wie der Mann, aber sie braucht sich nur zu zeigen und sieht Sklaven und Götzendiener zu ihren Füßen, sie braucht nicht erst zu handeln, zu leisten, zu schaffen wie der Mann. Sie braucht auch Nichts zu lernen, sie lernt schön sein; was braucht sie mehr?

»Und kommt dann einmal die Zeit, wo sie begreift was ein Mann, was die Liebe eines Mannes ist, dann erfaßt sie eine namenlose Angst zu lieben und geliebt zu werden, dann, wenn es längst zu spät ist, und ihr Schicksal bricht über sie herein.

»O! Elend ohne Hoffnung, ohne Aufschwung, ohne Befreiung!

»Die Olga wäre eine gute Frau geworden, sie hat einen offenen Kopf und ein redliches Herz, aber so! – –

»Man muß das Weib erziehen wie den Mann, dann wird es eine Gefährtin des Mannes sein. Er zweifelt?«

Ich zweifelte wirklich.

»Es bekommt uns nicht gut, wenn wir uns von der Natur entfernen,« sagte ich, indem ich gleichsam laut dachte; »das Weib soll lernen eine gute Mutter zu sein. Alles andere ist Träumerei, oder Betrug und Schwindel.«

»Glaubt er?« entgegnete Olga, ohne ihre Stellung oder den Ausdruck ihrer Rede zu verändern. »Und der Mann wäre dann nur dazu da, Nahrung zu schaffen, sich, seinem Weibe, seinem Kinde?«

»Am Ende läuft doch Alles darauf hinaus,« rief ich.

»Der Mann ist ein Anderer geworden im Lauf der Zeiten,« sprach sie sanft, »er hat das Thier weit hinter sich gelassen, und der Mann, der denkt, ersinnt, erfindet, der Künste, Wissenschaften hat, braucht auch ein anderes Weib als jener, der vor Tausenden von Jahren geerntet hat ohne zu säen, und sein Wild erwürgt hat, wie der Wolf. Aber ich will ihm eine Geschichte erzählen.

»Ich werde ihm Alles sagen, Alles erzählen, wie es kam. Ich sehe Alles so klar vor mir, die Dinge sind mir wie durchsichtig und ich sehe den Menschen in die Brust hinein, und die Olga sehe ich auch vor mir wie eine Fremde, ich liebe sie nicht, und hasse sie auch nicht.«

Sie lächelte wehmüthig.

»Ich sehe sie vor mir als Kind.

Sie war ein hübsches kleines Mädchen mit runden braunen Armen, dunklen Locken, großen fragenden Augen. Der alte Iwan, ein Hofknecht, der immer nach Schnaps roch und rothe Augen hatte wie vom Weinen, ging nie an ihr vorüber, ohne sie auf den Arm zu heben und zärtlich auf die Waden zu klopfen.

Einmal stand sie auf der Freitreppe. Drinnen saß neben der Mutter auf dem verschossenen gelben Divan ein junger Gutsbesitzer aus der Gegend, der von den Frauen sehr gerne gesehen war. Die Fenster waren offen und sie hörte seine Stimme. »Ja, die kleine Venus, Sie können ihren Stolz haben mit dem Kinde. Das wird einmal ein Weib;« und die Olga wußte, daß von ihr die Rede war, wurde über und über roth und lief in den Garten. Dort ging sie still zwischen den Blumen hin, pflückte Rosen, Levkojen und Nelken, befestigte sie in ihrem Haar und betrachtete sich dann aufmerksam und stolz in dem kleinen Bassin. Ueber demselben stand eine Göttin der Liebe aus weißem Stein. Sie blickte zu ihr empor und dachte: »Wenn ich groß bin, werde ich so schön sein wie du.« –

An Winterabenden in der grauen Stunde, bei dem großen grünen flackernden Ofen, erzählte die gute Amme Kajetanowa den Kindern Märchen. Dabei hockte sie tief in den schwarzen Lehnstuhl, in dem die Kinder den Großvater sterben sahen, und welcher für dieselben seitdem etwas Ehrwürdiges und Schauerliches hatte. Je weiter die Dämmerung fortschritt, je mehr das freundliche, rosige Gesicht der Kajetanowa in den Nebel zurücksank und nur ihre blauen Augen geisterhaft leuchteten, um so fester drängten sich die Kinder zusammen, um so leiser wurde der Ton, in dem sie flüsterten. Dann legte Olga ihren Kopf auf den Schooß der Amme, schloß die Augen und sah Alles wirklich geschehen. Sie war dann immer die schöne Czarewna, welche auf dem Rücken des silberweißen Schwans über das schwarze Meer schwamm, oder von dem geflügelten Rosse zu den Wolken emporgetragen wurde, und kein Anderer durfte um sie werben, als der Czarewitsch, und wie sie einmal das Märchen von dem dummen Iwas' hört, dem Bauer, welcher die Königstochter heimführt, da richtet sie sich plötzlich auf und ruft zornig: »Ich bin nicht die Königstochter, Kajetanowa!« –

Im Sommer dagegen, wenn die Kinder aus dem Hofe am Abende unter den Pappeln spielten und die Olga dazu kam, spielten sie dann Hochzeit. Einer der Burschen machte den Geistlichen. Die Olga hatte einen Kranz aus Eichenblättern und stellte die Braut vor. »Du mußt mindestens ein Graf sein,« sagte sie zu dem kleinen Bräutigam, »sonst heirathe ich dich nicht, ich bin zu schön für einen Schlachtschitsch

Sie wuchs heran, schoß groß und schlank auf, hüstelte etwas, hielt sich ein wenig vor. Welche schwere Sorge für eine Mutter. »Olga,« sagte diese mehr als einmal, »Olga du wirst schief, du bekommst keinen Mann, wirst vom Nähen leben müssen wie die bucklichte Celesta.« Kamen die Frauen aus der Nachbarschaft zu ihrer Mutter und saßen um den Theetisch, so bediente Olga, trug kaltes Fleisch und Backwerk auf. Sie war ein halbgewachsenes Mädchen mit feinen Spitzen an den Höschen unten und langen dicken Zöpfen über dem Rücken. So oft die Frauen dann von ihren Töchtern oder andern Mädchen sprachen, von ihrer Zukunft und Versorgung, dann war stets nur von Heirath die Rede, wie bei einem Manne von seinem Amte, seiner Anstellung. Die Tochter des Pfarrers bildete sich in der Hauptstadt zur Erzieherin aus.

»Natürlich,« hieß es, »die Arme ist so häßlich, es fehlen ihr auch die vorderen Zähne, was bleibt ihr übrig?« Einmal kam sie im Sommer auf Besuch und man war erstaunt, was sie für Kenntnisse in der Geographie, Geschichte, Naturwissenschaft, in fremden Sprachen hatte; aber die Olga lernte nur tanzen, reiten, singen, Clavier spielen, zeichnen, etwas sticken und französisch, Alles, was so einem Manne Vergnügen machen kann bei einer Frau, Nichts was ein Brod sichert. Dazu kamen die guten Lehren der Mutter. »Wirf mir die Augen nicht so herum, wenn ein Mann zu dir spricht, antworte artig aber kurz und suche des Gespräch bald abzubrechen. Je kostbarer du dich selbst machst, um so höher wird man dich schätzen.« – Spricht man von einer Waare etwa anders? Immer wurde ihr gesagt, sie sei das hübscheste Mädchen in der ganzen Gegend und als die Eltern sie auf den ersten Ball geführt hatten, wurde sie allgemein eine Schönheit genannt, die nicht ihres Gleichen habe. Dann wurde sie jedesmal, wenn man zu Nachbarn fuhr oder Sonntags zur Kirche ging, gehörig herausgeputzt, wie man den Pferden die Mähne mit Bändern durchflicht, wenn man sie auf den Markt führt. Die Mutter sah das Geld nie an, wenn es einen Anzug für ihre schöne Tochter galt. Wenn die Olga in einer Gesellschaft eintrat, bemerkte sie, wie Alles flüsterte, sie sah die leuchtenden Augen der jungen Männer, sie hörte ihre Reden, die von Süßigkeit überflossen, und nach und nach legte sich eine harte frostige Decke um ihr warmes, junges Herz.

Der Schulgehülfe gab Olga Unterricht. Er ließ sie Vorschriften schreiben, Rechnungen machen und laut lesen. Es war das Alles sehr nöthig, denn als sie den ersten Liebesbrief erhielt, konnte sie noch nicht orthographisch schreiben und sie hat es auch nie erlernt. Die Eltern ließen ihn dafür in dem kleinen engen Häuschen, das im Garten stand, wohnen und an ihrem Tische speisen.

Er hieß Tubal. Ich sehe ihn vor mir, einen jungen schüchternen Menschen mit großen, runden, kurzsichtigen, ängstlichen Augen, unendlich langen, dünnen Händen und einer plodernden rothen Weste, die er dem Kammerdiener eines Grafen abgehandelt hatte. Aber er hatte unter der rothen Weste ein edles menschliches Herz voll Liebe und Güte und hätte zu jeder Stunde gerne sein Leben hergegeben, um eine junge Katze aus dem Wasser zu ziehen.

Wenn Olga zu ihm in das Häuschen kam, saß er oft auf dem Tische und flickte ein altes Hemd oder seine Schuhe, dann wurde er immer feuerroth, stotterte und schoß im Zimmer herum als suche er etwas. Sonst war er recht bleich, etwas grünlich, mit Sommersprossen übersäet. Sobald jedoch Olga neben ihm an dem Tische saß, war er ein anderer Mensch; er hielt das große Lineal in die Seite gestemmt wie ein Cavallerist zu Pferde seinen Säbel hält, seine Stimme klang kräftig und in seinen Augen brannte ein ernstes, stilles Feuer, das der Olga wohl that, sie wußte nicht warum. Und wenn sie sich über ihr Heft bückte, dann fühlte sie, daß seine Augen beinahe zärtlich auf ihr ruhten.

Manchmal, wenn die Dämmerung hereinbrach, zog er ein altes schmutziges Heft unter seinem Kopfpolster heraus und las der Olga Gedichte vor.

Er hatte sie mit Geschmack und Einsicht aus den besten Dichtern gewählt und wenn er sie vortrug, dann kam ein Glanz von Begeisterung, ja von Schönheit über sein abgehärmtes Gesicht und seine Stimme drang bis zum Grunde ihres Herzens.

An Olga's Geburtstage wurde er von den Eltern zur Tafel geladen. Nach dem Essen erwartete man einige Familien aus der Nachbarschaft. Es sollte auch getanzt werden. Olga ging gegen Mittag in den Garten hinab und riß da und dort Blumen aus den vollen Beeten zu einem Bouquet, das auf den Tisch kommen sollte. Plötzlich stand Herr Tubal vor ihr, in weißen Pantalons, weißer Weste, weißer Halsbinde und einem durchsichtigen schwarzen Frack. Sein dünnes braunes Haar war glatt gekämmt, er stand in einer Wolke von Moschus, stammelte ein paar Verse und überreichte Olga, am ganzen Leibe zitternd, ein kleines Packet, das er zögernd aus seiner Brust zog. Olga konnte ihn nicht ansehen, sie dankte verlegen und floh in das Haus, wo sie der Mutter, vor Vergnügen lachend, um den Hals fiel. »Tubal hat mir gratulirt,« rief sie, »er hat mir etwas geschenkt, der arme gute Tubal!« –

»Was wird es sein,« entgegnete die Mutter und zog die Stirn zusammen. Olga erschrak fast. »Ich hoffe Bonbons oder etwas Aehnliches,« fuhr die Mutter fort.

»Bonbons, was sonst?« sagte Olga und hielt das kleine Packet furchtsam von sich. Die Mutter nahm es, wickelte auf und da lagen in dem unschuldigen weißen Papier zwei paar Handschuhe gebettet. »Handschuhe!« schrie die Mutter auf. »Wahrhaftig, Handschuhe!« wiederholte Olga leise, das Blut war ihr in die Wangen gestiegen.

»Sende sie ihm sofort zurück,« – befahl die Mutter, »und schreibe ihm« –

»Ich ihm schreiben,« sprach Olga, und hob das stolze Haupt.

»Du hast Recht. Schreibe ihm keine Zeile, aber sende ihm die Handschuhe sofort zurück. Es ist nicht zu glauben. O! der Esel! was glaubt er denn. Er will meinem Kinde den Hof machen, Geschenke oder gar eine Erklärung! Mir ist der ganze Tag verdorben.«

Olga siegelte die Handschuhe ein und sendete sie dem armen Schulgehülfen zurück.

Er kam nicht zum Essen, er entschuldigte sich durch ein Unwohlsein; und er war wirklich krank, brustkrank seit Jahren schon. Und heute stießen sie im Edelhofe die Gläser fröhlich an und Olga flog im Tanze wie eine Bacchantin durch den Saal, indeß er auf seinem Strohsack lag, bis zum Ersticken hustete und mit den Brodkrumen, die seinen Tisch bedeckten, das Mäuschen fütterte, das bis zu seinem Bette kam, wenn er still war in tiefen Gedanken und seine Thränen leise herabflossen.« –

Das schöne Weib, das wie schlafend vor mir auf der Diele lag, regte sich einen Augenblick. Ihr Busen hob sich.

»Ich kann dem Leopold nicht Alles so in der Ordnung erzählen,« fuhr sie fort, »ich sehe zu viel, die Bilder jagen vorbei wie Wolken im Sturme. Ich erblicke Alles wie es ist, jeden Schatten, jedes Licht, jede Farbe, ich höre jeden Ton. –

Eine reisende Schauspielertruppe kam auf ihrem Wege aus der Moldau nach Polen durch Kolomea und gab in der Kreisstadt Vorstellungen. Die Nachricht davon verbreitete sich rasch in der ganzen Umgebung von Dorf zu Dorf und an dem nächsten Sonntage, wo sie das erstemal spielten, spannte wohl jeder Gutsbesitzer seine kleinen Pferde vor die Britschka und führte Frau und Töchter zu dem seltenen Schauspiel.

Das Theater war in dem großen, aber etwas niedern Saale des Gasthofes aufgeschlagen, so daß die Schauspieler mit ihren Federbüschen an den Himmel stießen. Aber man unterhielt sich trotzdem vortrefflich. Gegeben wurde das Trauerspiel: Barbara Radziwilowna.

Ehe der Vorhang aufgezogen wurde, standen die jungen Herren seitwärts um einen Gutsbesitzer in mittleren Jahren, der ziemlich ungenirt auf dem Fensterbrett saß und mit den Beinen schlenkerte. »Nun, wo ist denn eure gepriesene Schönheit,« sagte dieser, seinen Schnurrbart zupfend, »ich kann Nichts entdecken.« Die Andern hoben sich auf den Fußspitzen und blickten nach der Thür. Endlich trat Olga in den Saal. »Diese muß es sein und keine Andere,« sagte der Gutsbesitzer nach einer Weile. »Das ist ein wunderbares Geschöpf!« Er ging hierauf zu Olga's Eltern und stellte sich vor.

Sein Name hatte im ganzen Kreise einen guten Klang, man nahm ihn vortrefflich auf; die Mutter lächelte auf das freundlichste zu ihm herauf und Olga hörte ihm mit einer gewissen Aufmerksamkeit zu. Sie war im ersten Augenblicke durch die kühle Sicherheit seines Wesens überrascht, aber sie dachte nicht im Entferntesten daran, daß sie ihn lieben könnte, oder daß er ihr Mann werden sollte; und doch war es so, nicht mehr als fünf Wochen später.

Eigentlich gefiel er ihr gar nicht, aber er imponirte ihr und das ist bei einem Weibe weit mehr.

Mihael hatte studirt, große Reisen gemacht und kehrte mit einem gewissen Humor in seine ländlichen Verhältnisse zurück. Er sprach ohne viele Umstände von den Schauspielern, von dem Stücke, von allem Möglichen; er war im Stande, bei den traurigsten Scenen zu lächeln, wo Olga von ganzem Herzen weinte, und sagte nur: »Mich freut es, zu sehen, daß Sie nicht geschminkt sind. Sehen Sie die blutigen Thränen, die unsern Fräuleins über die Backen laufen.« Wirklich rann in der allgemeinen Rührung die rothe Schminke den Damen nur so herab; es war ein jämmerlich komischer Anblick.« –

Olga's Lippen hoben sich schelmisch über den blendenden Zähnen.

»Nach dem Theater,« fuhr sie fort, »begleitete er die Damen zu ihrem Wagen und bat um die Erlaubniß, sie besuchen zu dürfen.

Er kam, und kam immer öfter. Die Mutter hatte dann jedesmal tausend Entschuldigungen vorzubringen, bald hatte sie bei den Spargelbeeten zu thun oder in der Vorrathskammer nachzusehen, so daß Olga mit ihm allein blieb. Mihael sprach dann von fremden Ländern, von Deutschland, Italien; er war in Berlin, in Venedig, in Florenz gewesen, sogar in Paris, und hatte auch den Vesuv bestiegen und eine Seefahrt gemacht. Er wußte viel von den Fortschritten anderer Nationen zu erzählen, ohne die Anlagen oder Leistungen seiner eigenen herabzusetzen. Eine wohlthuende Klarheit und Wärme lag in allem, was er sprach. Und er war voll Aufmerksamkeiten.

Andere Frauen nannten ihn unartig, wenn aber Olga den Strickknäuel fallen ließ, fuhr er blitzschnell herab, ihn aufzuheben, und als er einmal vor ihr kniete, um ihr die Ueberschuhe anzuziehen, stieg der Olga das Blut vor Vergnügen in die Wangen. Es wurde viel von ihm gesprochen. Man nannte ihn einen harten, strengen, stolzen Menschen, aber sein scharfer Verstand, seine große Belesenheit, seine vielfachen Kenntnisse und seine Klinge verschafften ihm im ganzen Kreise ein ungewöhnliches Ansehen. Man wußte, daß seine Besitzungen nach neuem Systeme bewirthschaftet und schuldenfrei waren, er galt allgemein als die beste Partie.

Je mehr ihn alle mit einer gewissen Scheu betrachteten, um so süßer war es für Olga, den starken, thätigen Mann Tag und Nacht mit ihr beschäftigt, ihn durch sie leiden zu sehen. Sie sättigte ihren ganzen Stolz, ihre jungfräuliche Grausamkeit an ihm. Erst wenn sie die Thränen in seinen Augen sah, dann war sie befriedigt, reichte ihm die Hand und sagte: »Küssen Sie, ich erlaube es Ihnen.«

Im Hofe war ein böser bissiger Hund, der immer mit der Olga spielen wollte und dann wie ein Wüthender an ihren Kleidern riß. Sie stieß ihn mit dem Fuße, wo er ihr nur in Weg kam, und prügelte ihn so lange, bis sie ihn lieb gewann. So war es mit ihrem Manne. Sie mißhandelte ihn so lange, bis sie einmal an seiner Brust lag und der erste Kuß auf ihren Lippen zitterte.

Den nächsten Tag fuhr Mihael mit vier Pferden vor, er trug einen schwarzen Frack und war etwas bleich. In wenig Minuten war alles in Ordnung und Olga seine Braut. Sie glaubte, es müsse so sein, sie war glänzend versorgt, man beneidete sie, das war ihr genug.

Eines Abends saß sie mit Mihael im Erdgeschoß am offenen Fenster und nähte an ihrer Ausstattung, während er von der Zukunft des slawischen Stammes sprach. Da stand plötzlich Tubal vor ihnen, geisterbleich, die Augen waren ihm aus den Höhlen herausgetreten und das Blut strömte ihm aus dem Munde über Hemd und Kleider bis auf den Boden. Er rang nach Athem.

»Salz! Salz!« stieß er heraus, – er konnte nicht mehr hervorbringen.

Olga riß den Credenzkasten auf und reichte ihm Salz. Mihael sprang aus dem Fenster und eilte dem armen Schullehrer zu Hülfe; er umfaßte ihn und schob ihm immer wieder Salz in den Mund. Tubal schlang es mühsam, gierig hinab, noch immer kam Blut, Mihael schleppte ihn zu der nächsten Bank, Olga brachte Wasser; allmälig stillte sich das Blut.

Tubal lag da, mit geschlossenen Augen, wie ein Todter.

»Bringen Sie ihn zu Bett,« sagte Mihael, »hier brauchen wir einen Arzt.«

Er setzte sich selbst zu Pferde und ritt nach dem Städtchen. In der Nacht kehrte er mit einem Doctor zurück. Man hatte Tubal in sein Gartenhäuschen gebracht, dort starb er wenige Tage darnach. Erst wie er sich dem Tode nahe fühlte, verlangte er nach Olga.

Sie kam; aber er war nicht mehr im Stande zu sprechen, nur seine Lippen bewegten sich und in seiner Brust rasselte es seltsam. Der Gärtner, der ihn gepflegt hatte, saß draußen auf den hölzernen Stufen und versuchte bereits mit einigem Behagen, ob die weißen Pantalons des Sterbenden ihm wohl passen würden.

Es war Niemand bei ihm als Olga, und sie sah sich noch einmal um, und dann beugte sie sich über ihn und küßte ihn auf die Stirn, auf welcher der letzte Schweiß in kalten Tropfen stand. Da begannen seine Augen zu leuchten, seine Hände streckten sich über die Decke und ein seliges Lächeln lag auf einmal auf seinem abgezehrten fahlen Antlitz. Mit diesem Lächeln starb er.

Unter seinem Kopfpolster fand man das gelbe Heft mit den Gedichten und zwei Paar feine Damenhandschuhe in einem halbzerfetzten Papier.

Olga nahm beides zu sich. Sie hat die Handschuhe noch. Ein Paar hat sie an ihrem Hochzeitstag getragen.

Tubal wurde begraben, bedauert und vergessen. Die Erde war ihm leicht. Nicht lange darnach verließ Olga das Elternhaus als die Gemahlin Mihaels, welcher sie stolz mit vier Pferden hierher, auf seinen Herrensitz, führte.


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