Leopold von Sacher-Masoch
Der Capitulant
Leopold von Sacher-Masoch

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

»Ich nahm zur Zeit meine zweite Capitulation,« sagte Balaban, »und ging zum Regiment. Wir rückten dann in den ungarischen Krieg, im Winter die Karpathen herab, bei Kaschau war eine Schlacht und bei Tarczal, bei Kapulna eine große Schlacht, die wir gewannen und bei Iszeszeg. Dann mußten wir zurück, ein starker Winter kam über uns, die Leute blieben am Wege liegen, erfroren, lagen da lächelnd und schliefen ein. Dann jagten wir wieder die Magyaren bis der Kossuth aus Ungarn floh wie ein Eichkatzel aus dem Walde.

Merkwürdige Zeiten, Herr! Da fielen die Leute, einer nach dem andern, den traf die Kugel, jenen ein Säbel, mancher ertrank oder starb am Wege, nachdem er sein Säckchen mit heimathlicher Erde aus der Brust gezogen und geküßt und Jeder lebte gerne; nur ich nicht und an mir ging Alles vorbei. Da zweifelte ich an Allem so. Wo war da eine Gerechtigkeit? – Dann kam ich zurück als verabschiedeter Soldat, da mein Vater todt war.«

»Nicht ihretwegen?«

»Wie?« entgegnete Balaban, die Achseln zuckend. »Ich ein verabschiedeter Soldat und sie eine Dame! Ich kam also zurück. Mein Vater war todt. Auch meine Mutter. Ich war allein. Der Grund war frei, aber Alles verkauft bis auf die Hütte und ein paar Obstbäume. Nun wie gefällt euch das? – Ach! was war da zu machen!

Ich hatte immer eine Vorliebe für das Thierreich und schöne Zucht, so ging ich denn den Bienen nach, studirte ihre Manieren und legte mir einen schönen Bienengarten an, beim Hause; Ihr kennt ihn ja; zog mir dann zwei große Hunde auf, wahre Wölfe, der Vater war auch ein wirklicher Wolf, ich habe ihn gekannt – schöne Hunde, so grau mit Augen, die Nachts wie Feuerbrände sprühen, nun, ihr kennt sie ja, und übernahm das Amt eines Feldhüters bei der Gemeinde. Auch einen Kater,« der Capitulant lächelte, wie es jeder galizische Bauer zu thun pflegt, wenn er von Katzen spricht; »ich habe das Vieh aus dem Wasser gezogen, nun ihr kennt ja meinen Maciek.«

»Die Hunde solltet Ihr sehen, Herr,« bemerke mit stiller, neidischer Bewunderung der Pappendeckelmann.

»Nun, er verdient sie, der Capitulant,« rief Kolanko. »So ein Feldhüter war noch nicht da wie er. Die Gemeinde kann Gott danken.«

»Ich bitte euch,« sprach der Capitulant ablehnend, »incommodirt den Herrn nicht mit solchen Sachen da.«

»Nein, ich höre Alles gern, was Euch betrifft,« rief ich.

»Zu viel Ehre.«

»Das ist einmal Einer, der seine Schuldigkeit thut,« sagte ernst der Pappendeckelmann und wies auf Balaban. »Ich lobe Niemand, aber das ist die Wahrheit. Die Diebe fürchten ihn, die Trunkenbolde werden nüchtern, wenn sie ihm Nachts begegnen. Wenn er die Steuer eintreibt, so gibt das mehr aus, als eine Execution von zwanzig Mann.«

»Bei der Landtagswahl hören die Bauern mehr auf ihn als auf den Richter und den Commissär,« betheuerte Mongol. »Wenn Sie gewählt werden wollen im Bezirk, so sagen Sie es nur dem Capitulanten, Herr, der kann Alles mit unserem Volke machen was er will.«

»Aber ich bitte euch, Nachbarn,« bat wieder der Capitulant recht demüthig. »Was hat man zuletzt als seine Pflicht.«

»Nun, ich sage gar nichts,« kreischte Kolanko, »aber erst das Weibsvolk! O – jo – joj! aber er ist ein ganzer Moralist. Da haben wir eine Dirne im Dorfe, mit rothem Haar, schön wie ein Stern am Himmel, die eine Gräfin vorstellen könnte, aber ein leichtfertiges Ding, die begegnet er, wie sie im Mondschein aus dem Dorfe schleicht.

»Laufft wieder Einem nach,« fährt mein Balaban sie an. »Was hast du davon? Wie leicht geschieht ein Unglück, dann läßt er dich. Nimm dir lieber einen Mann.«

Sie lacht aber und meint: Sie nehme nicht den ersten Besten, wenn er sie aber zum Weibe wolle, er könne sie auf der Stelle haben.«

»Und er?«

»Er schüttelt den Kopf. Predigt Euch weiter.«

»Er will kein Weib nehmen,« sprach Mrak, der aufmerksam zugehört hatte, und jetzt seine Wache fortsetzte.

»Ah! jaj! er liebt noch die Andere,« rief plötzlich der Jude, der munter geworden war und sich unserem Kreise genähert hatte. Sein dumm arglistiges Gesicht verzerrte sich zu einem abscheulichen Lachen.

»Mein Lieber,« sprach der Capitulant, ohne seine Stellung zu ändern, »dein Kopf ist wie ein Dampfbad, da schwitzt deine Zunge und weiß nicht was sie ausschwitzt.«

Wir lachten Alle herzlich. Mein Jude sah mich ganz besonders gekränkt an, zog seine Rockärmel herab, putzte seine Knie mit der flachen Hand, ging gegen seine Gewohnheit stürmisch zu seinen Pferden und riß diese hin und her, so daß sie ihn mitleidig ansahen.

»Ist das so?« fragte Kolanko ernst den Capitulanten, indem er ihn mit dem Ellenbogen berührte.

»Ist es wahr, daß du sie nicht vergessen kannst?« bemerkte zögernd der Pappendeckelmann.

Der Capitulant schwieg.

Er zeigte uns ruhig sein sanftes ehrliches trauriges Antlitz. Seine Augen hatten wieder jenen feuchten erkenntnißvollen Blick, der Einem so wehe that. Mir wurde so seltsam dabei, das tiefe Schweigen der Natur pflanzte sich in meine Seele fort und wie das einsame Feuer seinen Rauch ruhig aufwärts trieb, so zog langsam eine wehmüthige Erinnerung vor mir herauf. Ein wunderbar schönes bleiches Haupt von dunklen Locken bacchantisch umwallt, mit halb geschlossenen, zärtlich scheuen Augen stieg aus der Asche.

»Eine Dummheit! Eine solche Dummheit!« schrie Mongol und Alles versank und den Schatten, der übrig blieb, verschlang die gierig leckende Flamme.

»Ausspeien sollst du vor der sauberen gnädigen Frau von Zawale,« schrie der Pappendeckelmann.

»So ein Mann, und so eine Bestie zu lieben,« fiel wieder Kolanko ein.

»Nun, ereifert Euch nur nicht so,« sagte der Capitulant kalt, er war sichtlich bleich geworden und seine Brauen hatten sich finster zusammengezogen. »Seht, es war natürlich. Das arme Mädchen mußte sich plagen und dann konnte es eine gnädige Frau sein. Es war ein schöner stattlicher Mann, unser Grundherr, etwa nicht? Ich war gut genug, so lange kein Besserer da war. Es ist gerade so, würde ich einem kleinen Fürsten dienen, wenn ich dem Kaiser dienen kann? Man muß das nicht mit dem Herzen nehmen. Das Herz hat zwischen Mann und Weib das Wenigste zu sagen. Denken wir so verständig darüber nach.

Liebst du mit dem Herzen Kamerad, wenn du ein Weib im Bette haben willst? Willst du nur, daß sie dich liebe, oder willst du, daß sie die Deine sei? Was ist dir lieber, wenn sie mit Sträuben deine Frau ist, oder wenn ihr Herz dir gehört, sie selbst aber einem Andern? – Ich habe auf das Alles gedacht, ich habe Zeit genug dazu gehabt. Da ist immer nur von dem die Rede, was der Mensch mit dem Thier gemein hat. Oder nicht? Geht mir!

Und dann sage ich euch, es handelt sich zwischen Mann und Weib wie überall nur um das nackte Leben. Begreift ihr?«

»Nein.«

Ich fing an zu begreifen, wo er hinaus wollte und staunte den Mann an. Er war im Flusse, seine Augen brannten und jetzt sprach er wirklich gut, mit jener natürlichen Beredsamkeit unseres Volkes.

»Seht Ihr, das Einzige, was ich als Soldat gelernt habe, ist den Tod zu verachten. Besser wäre es noch ihn wünschen, ihn lieben zu lernen. Aus der Liebe zum Leben kommt alles Unglück und auch unser Unglück mit dem Weibe. So elend dieses Leben ist, nun, so thut doch jeder Alles, nur um zu leben. Wenn ich ein falsches Wort spreche, erschießt mich. Gut. Und das Weib lebt von der Liebe, ich will sagen von der Liebe des Mannes. Begreift Ihr?«

Kolanko nickte eifrig. Alle horchten auf das Aeußerste gespannt zu, der Hund sogar hob seinen feinen Fuchskopf zu dem Capitulanten.

»Ich glaube, er spricht die Wahrheit,« sagte ich. »Alles beugt sich der Nothwendigkeit, jedes Lebendige fühlt wie traurig das Dasein und doch kämpft Jedes verzweiflungsvoll darum und der Mensch kämpft mit der Natur, mit dem Menschen und der Mann mit dem Weibe und ihre Liebe ist auch nur ein Kampf um das Dasein. Beide wollen fortleben in ihrem Kinde, Jedes will seine Züge, sein Auge, im Auge seine Seele wieder finden, und Jedes will ein besseres, vollkommneres Wesen werden durch das Andere, dessen Vorzüge es an sich zu reißen sucht.

Das Weib will noch außerdem um ihretwillen und ihres Kindes willen leben durch den Mann. – Ich weiß nicht, ob ich mich gut ausgedrückt habe.«

»Vollkommen,« rief der ganze Kreis zuvorkommend.

»Wenn der Herr erlaubt,« nahm der Capitulant das Wort, »will ich sagen, was ich davon denke, so nach meiner Art, wie ich es verstehe.«

»Mich laßt reden,« schrie der Alte und hob drohend seinen Polster. »Ihr sprecht immer fort. Laßt mich zuerst reden.«

»Sprich also.«

»Ja, was wollte ich sagen?«

»Jetzt weiß er nicht, was er sagen will!«

»Also –« der Alte stak wieder.

Wir lachten.

»Lacht nur. Jetzt hab' ich es,« sprach er ganz aufgeräumt. »So ist es. Ein Weib muß doch auch sein Leben fristen wie ein Mann. Wie aber? – Sie leidet Manches, was der Mann nicht leidet. Wie soll sie allenfalls arbeiten, wenn sie ein Kind hat? und dann, wenn sie es aufziehen muß? Und das wiederholt sich vielleicht jedes Jahr. Sie kann nicht arbeiten wie der Mann. Auch so nicht. Sie hat von Natur keine Ausdauer, gewiß, und lernt dazu nichts Rechtes, kein Handwerk, so natürlich sucht sie zu leben vom Manne, oder gar ihr Glück zu machen. Was muß ein Mann thun, um emporzusteigen – und so ein hübsches Ding zeigt sein Gesichtchen her und allenfalls noch was dazu und wird aus der Kuhmagd eine Dame. Hab' ich Recht oder nicht?«

»Recht hast du, Alter!«

»Erlaubt also,« redete wieder der Capitulant. »Ich habe es aufgegeben, so um das nackte Leben zu kämpfen und zu sündigen wie die Andern, ich bin einmal unterlegen, genug damit.

Es ist besser, wenn ich mir sagen kann, mein Auge verlöscht für immer und eine arme Seele kommt zur Ruhe. Ich denke, es ist für den Mann besser ohne Weib. Nicht das Weib sucht den Mann, sondern der Mann das Weib. Darin liegt der ganze Vortheil und so kann ein Weib ruhig seine Rechnung machen mit dem Manne. Was sollte auch ein Weib Anderes denken, als Vortheil zu ziehen aus dieser jammervoll lächerlichen Lage des Mannes?

Wenn Einer bis an den Hals im Wasser steht, mit den Füßen im Schlamme steckt und ertrinken muß, ihr aber könnt ihn retten und er hat einen Beutel mit Gold bei sich, er wird ihn euch gern an das Ufer werfen.

Ein kluges Weib ist aber mit einem Beutel Goldes nicht zufrieden, sie schleppt den Mann vor den Geistlichen.

Versteht ihr mich nun? Darum ist auch so große Feindschaft zwischen den Weibern, wie zwischen Schneidern oder Korbflechtern. Jede sucht ihr Körbchen so gut als möglich an den Mann zu bringen. Und hat sie Unrecht?

Wird nicht die Frau nach dem Manne geschätzt? Ist eine Dirne vom Dorfe, wenn sie einen Grafen zum Manne hat, nicht eine Gräfin? Und umgekehrt? Des Mannes Ehre ist ihre Ehre und deßhalb ist ein Weib immer stolzer auf seine Titulaturen, sein Vermögen als der Mann selbst. Begreift ihr?«

»Da begreife ich noch immer nicht,« erwiederte Mrak ärgerlich, »wie du die gnädige Frau von Zawale, deine saubere Katharina, lieben kannst, die dich so elendlich verrathen hat.«

»Das wirst du nie begreifen,« sagte der Capitulant trocken.

»Und doch ist kein Weib werth, was ein Mann um sie leidet,« sagte ich leise.

»Gewiß, Herr,« antwortete der Capitulant, »kein Weib ist das werth, was ein Mann für sie fühlt, außer einer Mutter. Um aber von meiner gnädigen Herrin zu reden. Was hat sie mir eigentlich gethan? Ich bin in keiner glücklichen Stunde geboren. Und dann – ich habe dem Leben lange genug zugesehen – Der und Jener hat ja auch geliebt und auch geküßt und glücklich geheirathet und jetzt hebt sein Weib die Röcke gegen ihn auf. »Da – küsse mich.« Seht Ihr. Wenn sie mein Weib geworden wäre, hätte ich sie vielleicht in kurzer Zeit geprügelt. Es ist ganz Alles eins, so oder so, ganz Alles eins.

Die Liebe hört dann beim Manne bald auf und ich sage, das Weib hat Recht sich bei Zeiten vorzusehen, so lange es jung und hübsch ist und so lange dem Manne der Kopf brennt; wie bald ist so ein Feuerchen gelöscht und wie rasch wird so ein Weibchen alt.«

Ich schüttelte den Kopf.

»Was befremdet Sie, Herr!«

»Daß Ihr nur von dieser natürlichen Liebe sprecht und doch selbst ein Zeuge seid für eine andere Liebe.«

»Ich habe nichts dagegen gesagt,« rief der Capitulant, »ich gewiß am wenigsten. Ein Mann kann mit dem Herzen lieben, wenn es ihm Vergnügen macht, warum nicht? Aber ein Weib kann das nicht. Ich sage Ihnen, so ein Weib möchte erwiedern, was ein Mann für sie fühlt – erwiedern möchte sie es, aber wo ist die Möglichkeit?

Wenn ich mein Pferd liebe, wie sieht es mich an, so menschlich fast und möchte gleichsam sprechen zu mir und kann nichts weiter thun als mich liebkosen. Und scheint traurig darüber und trägt doch morgen einen anderen Herrn ebenso lustig. Kann ich sie Beide deshalb verklagen? und bei wem?« Kolanko lächelte tückisch mit ineinander gekniffenen Lippen. »Ja der Jude weiß wohl,« sprach er, »warum er täglich betet: ich danke dir Herr, daß du mich nicht zum Weibe erschaffen.« »Wer eine Liebe hat, so eine herzliche Liebe,« fuhr der Capitulant fort, muß sich bei Zeiten fügen und entsagen oder er wird auf die lustigste Weise angeführt werden, denn das Weib ist in der Liebe, wie der Jude im Handel.«

»Was sagt Ihr vom Juden?« meckerte mein Kutscher.

Der Capitulant sah ihn an und spuckte aus.

»Ueberhaupt,« sagte er still, »ist zuletzt unsere ganze Weisheit: entsagen, dulden, schweigen.

Und wenn Ihr Euch wundert, daß ich diese Katharina so lange lieb behalten habe, wer sagt Euch denn, daß eine ehrliche Liebe ihren Gegenstand um jeden Preis besitzen muß? Man liebt eine Person nicht, weil sie gut oder schlimm ist oder etwa moralisch. O! Nein! – Ich liebe sie auch nicht, weil sie gut gegen mich handelt oder nicht. Man liebt sie nur, wenn man muß, wenn uns die Natur gleichsam keine Wahl läßt, gleichsam zu einer Person zwingt. Und nur eine solche Liebe erträgt Alles, Spott, Gelächter, Schläge, Mißhandlung, Grausamkeit und fragt oft nicht einmal, ob man sie erwiedert; und nicht einmal die Zeit tödtet sie, die doch Alles tödtet.«

»Ihr wärt ein vortrefflicher Ehemann geworden,« sagte der Alte nach einer Pause. »Warum nehmt ihr kein Weib? Jeder möchte Euch mit Freuden seine Tochter geben und ein Haus und Grund und gute Groschen dazu.«

»Es ist unhöflich abzulehnen,« entgegnete der Capitulant, »aber habe ich Einen von Euch gebeten? – Wie soll ich ein Weib nehmen? Ich habe das erstemal so zu Euch gesprochen, Ihr kennt mich jetzt. Habe ich so aufrichtig mit dem Herzen geliebt, wie soll ich dann eine Andere lieben und gibt es keine solche Liebe – wozu ein Weib? Bin ich ein Thier?«

»Näher betrachtet, habt Ihr Recht,« fügte Kolanko hinzu, »um so mehr, als Alles mit der Zeit vergeht.«

»Alles nicht,« sprach der Capitulant mit seinem schönen leuchtenden Blick.

»Und doch,« seufzte er später, »Ihr habt die Wahrheit gesprochen, Ihr am meisten. Ja, unser Empfinden sogar wird immer schwächer; später macht uns das, was uns weh gethan hat, beinahe eine Freude. Man denkt so an verstorbene Menschen wie an verstorbene Gefühle. Was sagt Ihr dazu, Kameraden? – Es ist so traurig, wenn man endlich weiß, was du da fühlst, dauert nicht. Wie hat mir das Herz weh gethan, als ich meine Eltern begrub und jetzt träume ich manchmal, daß ich z. B. mit meinem Vater Branntwein trinke und er ist ganz besoffen. Wie gefällt euch das? – Oder ich weiß, wenn heute etwas ist, ist es in einem Jahre vielleicht nicht mehr. Alles geht vorüber, wie die Wolken, die gegen Abend ziehen, so auch das Schlechte.

Alles kann der Wille. Nur gegen Krankheit und Tod kann er nichts.

Wenn so der Feldwebel am Samstag beim Rapport gleichmüthig eine Woche aus dem Kalender strich, war ich immer traurig, aber was ist das! – trauriger als die Vergänglichkeit der Zeit, des Lebens, ist die Vergänglichkeit, welche wir an uns selbst, unserem Denken, unserem Fühlen wahrnehmen. Das ist das wahre Sterben. Ist das nicht natürlich? Täglich siehst du etwas Neues, Alles verändert sich um dich, anders ist es, wenn du ein Kind bist, anders, wenn du ein Mann, und so, kannst du derselbe bleiben? und verlangst von Anderen, daß sie sich nicht verändern?«

Einen Augenblick war Alles still, dann hörte man leise ein Glöckchen wimmern, weit, weit, unendlich kläglich.

»Da stirbt Einer,« sagte der Greis und bekreuzte sich.

»Was fällt Euch ein,« rief Mrak. »Das ist die Schlachta, die heimkehrt von der Verschwörung in Tulawa. Paßt auf!«

Der Capitulant erhob sich, verlöschte bedächtig seine Pfeife und schob sie in den Stiefel; dann ging er langsam in das Freie hinaus, blieb stehen, nahm die Mütze ab, zog Luft durch Mund und Nase und hielt die Hand flach hin.

Das Glöckchen kam näher und näher.

Der Capitulant setzte die Mütze wieder auf.

»Die Kälte läßt nach. Der Wind hat umgeschlagen.«

Er kehrte hierauf zum Feuer zurück und ergriff seine Flinte.

»Nun. Leute, thut Eure Schuldigkeit.«

Alle waren sofort auf den Beinen und umgaben mit ihren Sensen und Dreschflegeln den Capitulanten.

»Ein Schlitten. Habt Acht!« rief Mrak von der Waldecke herüber.

Das verzweifelte Geläute ertönte schon ganz nahe, wir hörten die Peitsche des Kutschers wie einen Pistolenschuß knallen, die Pferde schnauben.

Jetzt tönte das »Halt!« der Bauernwache.

»Halt! Halt!« schrieen die Anderen und liefen hin.

Da stand jetzt der Schlitten und aus den Bärenfellen, die denselben bedeckten, erhob sich eine schlanke schöne Dame in einem kostbaren Pelze. Wie sie den Schleier von ihrem Capuchon zurückschlug, war sie noch schöner, aber furchtbar bleich. Ihre blauen Augen fieberten vor Zorn.

»Was wollt ihr,« rief sie mit wutherstickter Stimme.

»Paß,« antwortete die Bauernwache lakonisch.

»Ich habe keinen.«

»Legitimation.«

»Ich habe keine.«

»Dann seid Ihr arretirt,« rief Mrak und fiel den Pferden in die Zügel.

Da trat der Capitulant vor, die Flinte auf der Schulter und nahm Mrak bei Seite.

Die Andern steckten schnell die Köpfe dazu.

»Lassen wir sie fahren,« sagte der Capitulant halblaut.

»Lassen – ohne Paß – weßhalb?«

»Ich kenne Sie,« entgegnete er. »Laßt sie fahren.«

»Ich glaube dir gerne, daß du sie kennst,« sagte jetzt bedeutsam der Alte. »Laßt sie nur fahren.«

Der Capitulant war an das Feuer zurückgekehrt und schürte die Flammen desselben.

Die Andern folgten langsam.

»Fahr zu,« rief die Bauernwache spöttisch.

Die Dame sank in ihre Pelze zurück, der Kutscher knallte mit der Peitsche, der Schlitten flog auf der Schneebahn dahin.

Der Jude lachte.

»Wer war es?« fragte ich bei Seite.

»Sie.«

»Sie?«

Der Pappendeckelmann nickte und arbeitete dann in dem Feuer herum.

»Das war die Herrin von Zawale,« flüsterte der Alte. »Sie, die er geliebt hat und die er jetzt noch liebt.«

Wir schwiegen lange Zeit.

Dann sagte der Pappendeckelmann: »Sie soll auch nicht glücklich sein mit ihm, sie hat immer Hofschneider und habt ihr gesehen, wie bleich sie war?«

»Ah! seht mir den Schlitten an und die Pferde,« rief der Capitulant. »Hat sie nicht KrakusenKrakauer. Kutscher und Reitknecht tragen in den polnischen adelig Häusern in der Regel die kleidsam Tracht der Krakauer Bauern. und Kosaken? Die großen Herren küssen ihr die Hand – und den schönen Pelz, den sie hat. Warum soll sie denn nicht glücklich sein?«


 << zurück