Leopold von Sacher-Masoch
Der Capitulant
Leopold von Sacher-Masoch

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So. Nun gut. Da traf ich den Kolanko, der rutschte euch im Schnee, wie ein angeschossener Hund. Meine Katharina hatte ihn prügeln lassen, weil er sie nicht gegrüßt hatte, ehrerbietig, wie sie's verlangte und da redete er zu mir und erzählte –«

»Denkt euch,« fiel der Greis eifrig ein, »die regierte da wie eine gnädige Frau und noch mehr. Wir wissen, wie so ein Herr damals seine Frau hielt. Zwei Lehrer ließ der Gutsherr für sie aus der Stadt kommen, einer von ihnen war ein Franzose. Die lernte euch Alles, was nur ein Schreiber lernt, oder gar ein Geistlicher; jede Woche kam ein Pack Bücher für sie mit der Post, Alles las sie, auch Zeitungen, die schwere Menge; so ein ganzer Kasten von feinem Holze stand in ihrem Zimmer; da lernte sie euch eine ganze Musik spielen; die Leute standen unter den Fenstern Abends und hörten zu.«

Mongol lachte spitzbübisch und stierte mit einem Scheite im Feuer herum.

»Daß solche Leute nicht an Gottes Gerechtigkeit denken,« murmelte er.

Der Alte hustete heftig und knurrte tief aus der Brust wie ein zorniger Kater.

Der Capitulant blickte mit düsteren Augen vor sich hin; sein Gesicht blieb bei Allem theilnahmlos starr, öde, trostlos.

Der Bube sah den Vetter Mongol an, so unverschämt erstaunt.

»Nun, was siehst du mich so an?« fragte dieser mißtrauisch und zog sein gelbes Gesicht mit der gelben geschlitzten Nase in tiefe Falten.

»Wie fängst du das an, Vetter Mongol,« sagte der Junge, »daß es dir nicht in deine Nase hineinregnet?«

Der ganze Kreis lachte. Mongol aber erwischte den Buben beim Ohr, zog ihn langsam an sich und ließ ihn dann ebenso sachte los.

»War es Euch leid um Eure Geliebte?« fragte ich den verabschiedeten Soldaten. »Hat es Euch damals viel Schmerz bereitet?«

»Nicht daß ich sagen könnte,« antwortete er, an seiner Pfeife schmauchend. »Ich dachte auch nicht an Rache gegen sie, aber wenn ich mit den Herrenleuten zu thun hatte, kam mir jedesmal der Zorn. Ich wollte etwas Besseres vorstellen, lernte euch lesen und schreiben und auch rechnen. Ich war doch zu groß, um in die Schule zu gehen, so lernte ich vom Diak, dem ich dafür ein Hühnchen brachte, oder ein fettes Gänschen, oder Tabak, geschwärzten von Szigeth.Zwischen Galizien und Ungarn bestand damals die Zollschranke und blühte daher auch der Schmuggel. Steckte dann meine Nase überall hinein, las die heilige Schrift, die Legende der Heiligen, die Geschichte vom Czaren Iwan dem Schrecklichen, die Patente von der Kaiserin Maria Theresia, von Kaiser Joseph und von Kaiser Frantischek, las auch manche Gesetze und machte dann den Bauern die Klagen, mit denen sie zum Kreisamte gingen. Da war euch Keiner in der ganzen Gegend weit und breit, der euch das Volk so zu hetzen verstand gegen den Adel, diese Herren, diese Polen, als ich. Im ganzen Galizien gab es nicht so viel Processe, als allenfalls in unserem Dorf, und das Alles schrieb ich.

Wenn der Herr Starosta eine Bereisung machte, da standen schon die Leute am Wege mit Beschwerden, ich hatte überall meine Hand. Wo ich dem Dominium, dem Grundherrn etwas anthun konnte, that ich es. Mein Herz lachte euch dabei fröhlich wie eine Taube. Sie nannten mich freilich einen Winkelschreiber und drohten mir, aber die Furcht war allgemein und Keiner wagte was gegen mich.«

»Er prügelte die herrlichen Kosaken,«Im alten Polen hatte jeder mächtigere Edelmanns eine Soldaten, in der Regel Kosaken und heute noch erscheinen in jedem Herrenhofe einiger der Diener in Kosakentracht. schrie Mongol lachend heraus. »Ohne jeden Grund prügelte er sie, in der Schenke oder unterwegs, wo er sie gerade fand. »Weil ihr solch elende Herrenseelen seid,« rief er dabei.

»Aber bedenk' doch –«

»Bedenkt ihr denn die Sache? Seid ihr vom Hofe oder nicht?«

»Aber –«

»Wollt ihr's läugnen?«

»Nein.«

»Also verdient Ihr –«

»Ja, aber wenn Jeder, der Schläge verdient, sie bekäme, Lieber,« riefen die Kosaken, »da gäbe es über's Jahr keinen Haselstrauch im Reiche, so viel Stöcke möchtest du brauchen, und woher so viel Bänke?«

Der Capitulant lächelte.

»Endlich ließ mich der Mandatar doch zu sich einladen,« fuhr er fort, »schimpfte mich einen Bauernhetzer, Winkelschreiber, Rebellen, Hajdamaken.«

»Auf die Bank mit ihm,« schrie er, daß ihm das Gesicht von Blut schwoll, und zog sich hinter die Leute.

»Was haben wir davon,« sprachen die Kosaken, »er schlägt Einen von uns allenfalls dafür todt. Und Keiner wagte es, Hand an mich zu legen.

Da fährt der Mandatar auf mich los, schnaubend, mit fliegenden Haaren, seine Augen ganz weiß und hebt selbst den Stock. Ich erwische ihn noch gut und drehe ihm die Hand sachte um, das knirscht wie ein Pfeifenkopf, wenn man ihn herumdreht und den Tabaksaft herauslassen will.

Nehme ihm stille den Stock, stelle ihn in die Ecke, Alles artig, das versteht sich, er war ja doch eine Obrigkeit.

Da hatte ich nun vollkommen Ruhe bis ich weiß der Teufel, meiner gnädigen Frau Mentressa auf der Straße begegnen mußte. Ihr Wagen stak im Kothe, der Kutscher saß am Bocke und hieb die Pferde zusammen ohne Nutzen. Als sie mich sah, zog sie sich wie eine Katze in der Ecke zusammen, zitterte euch. Ich sah zu.

»Komm Bursche, hilf,« rief der Kutscher.

Ich half also, hob den kleinen Wagen aus dem Dreck und stieß ihn vorwärts, nahm dann dem Burschen die Peitsche und zog ihm einige hinüber dafür, daß er die »gnädige Frau« so schlecht gefahren.

Von diesem Tage an hatte sie keine Ruhe, ich weiß es, und so ließ sie mich assentiren.«

»Sie hat sich geschämt, ihn so vor Augen zu haben,« bekräftigte Kolanko, »so gab sie ihn zum Soldaten.«

»Zu jener Zeit stellte das Dominium die Recruten, »berichtete der Capitulant. Die Kosaken schleppten mich in den Hof, da stand ein hölzerner Pflock, man zog mich nackt aus, maß mich ab, der Arzt klopfte mir auf die Brust, sah mir mit halben Augen in den Mund, dann schrieben sie mich ein, es war um mich geschehen; meine Mutter lag vor dem Mandatar auf den Knieen, meinem Vater rannen leise die Thränen herab und sie stand oben am Fenster und sah mich da stehen, elend, wie mich Gott erschaffen hat, ohne Erbarmen. Ich weinte vor Wuth. Was half das? Groschen waren keine da. Man ließ mich auf der Stelle schwören und setzte mir eine kaiserliche Mütze auf. Ich war Soldat. Wie wir fortzogen, da weinten uns Alle nach und die Recruten weinten auch; jeder trug ein Kreuz auf der Brust und ein kleines Säckchen, gefüllt mit Erde, die er unter der Schwelle seines Hauses ausgegraben hatte. Die Trommel wirbelte, der Herr Corporal commandirte Marsch, wir gingen wie die Hunde an der Koppel; sie sangen ein Lied alle zusammen, ach! so ein trauriges Lied. Ich ging still und als wir immer weiter kamen und das Dorf versank, und der Wald, die Kirche, ich nichts mehr sah von den Meinen, da hatte ich mir es überlegt und dachte: Gut, du dienst dem Kaiser; du weißt doch, zu wem du gehörst.«

»Und wie ging es Euch als Soldat?« fragte ich gespannt.

»Gut, Herr,« entgegnete der Capitulant und seine Augen blickten mich wunderbar gutmüthig an. »Gut. Man verlangte ja nichts von mir, als was meine Schuldigkeit war, nichts mehr, nichts weniger, und das that ich gerne. Ich wußte doch jetzt, daß ich ein Mensch bin. Zuerst kam ich nach Kolomea, lernte exerciren, zuerst allein, dann mit den Anderen. Wie ich erst mit dem Gewehr umgehen konnte, da war ich euch stolz und dachte, wenn es nur einen Krieg gäbe.

Und da sah ich auch in der Kreisstadt, daß es eine Ordnung in der Welt gibt; man hielt uns streng, aber gerecht. Da gab es keine unverdiente Strafe und keinen unverdienten Lohn und die Leute in der Stadt sahen den Soldaten gleichsam mit Respekt an. Und wenn ich Wache stand vor dem Kreisamte und hörte die Bauern, wie sie zusammen redeten und wie sie da Recht und Hülfe fanden gegen die Polaken, da blickte ich zu dem Adler empor, der über dem Thore hing und dachte mir: Du bist nur ein kleiner Vogel und hast kleine Flügel, aber sie sind doch groß genug, um ein ganzes Volk zu schützen.

Wenn wir später zur Parade marschirten, die gelbe Fahne mit dem schwarzen Adler über unseren Köpfen flatterte, durfte ich nur hinsehen und war zufrieden.

Wir hielten euch zusammen im Regimente wie zu Hause in der Gemeinde, alle für einen, einer für alle, dem Rechtlichen halfen wir und solche schlechte Lumpaken straften wir unter uns. Nachts, wenn die Officiere schliefen in den Quartieren und die Herren Feldwebel schliefen auch bei ihren Weibern, da kamen wir dann leise zu Hauf und hielten Gericht über die Diebe, die Betrüger, die falschen Spieler, die Trunkenbolde, die der Compagnie Schaden brachten und Schande, und wir richteten euch mehr aus als der Herr Profoß mit Stock und Eisen.Der galizische Soldat überträgt das Selfgovernment seiner Gemeinde, sowie das Volksgericht (Lynchjustiz) seiner Heimath auf sein Regiment und seine Kompagnie.

So verging wohl ein Jahr, da packten wir eines Tages unsere Tornister und marschirten nach Ungarn. Aus Ungarn nach Böhmen, aus Böhmen nach Steiermark. Man sieht so mit der Zeit als Soldat viele Länder, die alle unserem Kaiser gehören, und verschiedene Menschen, und bekommt ein bescheidenes Herz, man sieht, daß zu Hause nicht alles am besten ist. Ich sah euch dort mehr Wohlstand, mehr Gerechtigkeit und Menschlichkeit und mehr CivilisationDas Wort ist dem galizischen Bauer geläufig und wurde in dem Landtage von 1861 in auffallender Weise von Bauerndeputirten gebraucht, ebenso wie »Humanität«. als bei uns. Ich lernte den Deutschen achten und den Czechen, der eine Sprache spricht in der Weise wie wir.

Ich sah den heiligen Nepomuk in seinem silbernen Sarge liegen und sah auch den Felsen, in den ihn der König gesperrt hatte, und die steinerne Brücke mit den vielen Heiligen, wo sie ihn in das Wasser gestürzt haben und fünf flammende Sterne über seinem Haupte auf den Wellen schwammen. In Steiermark da sah ich Leute, die zwei Hälse haben.«

Ich mußte gegen meinen Willen über die naive Ethnographie des verabschiedeten Soldaten lachen. Er merkte es und wurde still.

»Ich denke noch, wie Ihr als Urlauber zuerst wieder zu uns in das Dorf kamt,« bemerkte Kolanko mit einer gewissen Befriedigung. »Der weiße Rock mit den blauen AufschlägenDie Uniform des Infanterieregiments Parma, welches in Kolomea seinen Werbbezirk hat. stand euch teuflisch gut. Die Weibsbilder folgten Euch mit den Augen und flüsterten. Meine Alte sagte damals, der Balaban ist jetzt der hübscheste Mann auf zehn Meilen in der Runde und die verstand es, das ist bekannt. Aber er wollte von keinem Weibe was wissen.«

»Der Herr weiß ja,« wendete sich der Capitulant zu mir, »damals weinte unser Soldat, wenn er auf Urlaub mußte. Zu Hause verließ er die Unterthänigkeit, die Robot, die Willkür, die Noth und gewöhnte sich an Ordnung, Recht und Anstand und kam zurück wieder in Noth und Gewalt. Wie man die Urlauber aufrief, stand die ganze Cumpagnia still, nur ich – ich weiß nicht, was mir einfiel – trat vor und meldete mich. Alle sahen mich an. Nun gut, so schickte man mich denn auf Urlaub.

Ich kam nach Hause, zu meinem Vater. Wie ich eintrat im grauen Soldatenmantel mit der Holzmütze auf dem Kopfe, sah er mich starr an und fuhr mit der zitternden Hand zu seinen grauen Haaren empor. Ich küßte ihm die Hand.

»Es ist gut, daß du da bist,« sagte er.

Dann kam die Mutter, schrie und lachte, daß ihr die lichten Thränen herabflossen. Ich erzählte ihnen vom Regimente und den Ländern, wo ich als Garnison lag, und sie berichteten mir von den Leuten im Dorfe. Die Nachbarn kamen, viel Branntwein wurde euch damals getrunken.

Mir war Alles recht. Ich ging herum wie ein Kranker. Keiner sagte mir was. Ich blieb auch stille, aber meinte, der Grundherr müsse Katharina fortgejagt haben, weil Alles so stille war. Anderwärts dachte ich mir: ist sie noch bei ihm, so wird es bald geschehen. Ich wünschte es, ich wußte nicht warum. Was wollte ich noch mit ihr!

Oft hätte ich sie in einer großen Noth, in Elend und Schande sehen mögen und hätte ihr dann doch geholfen.

Niemand nannte nur ihren Namen und ich wagte nicht zu fragen. Sonntag, während der großen Messe, sehe ich euch einmal in den Chor hinauf. Wer sitzt da – meine Katharina als gnädige Frau. So schön war sie, weit schöner noch als zu jener Zeit, aber so bleich, so krank, so müde und hatte so große dunkle kreisende Augen wie eine Sterbende.«

Ein seltsames stilles Licht lag auf dem ruhigen Antlitz des Capitulanten.

»Das Blut gerann in mir,« fuhr er fort.

»Wer ist diese schöne Dame?« fragte ich einen Burschen, der mich nicht kannte.

Der sah mich dumm an und sagte: »Das ist die Herrin, die Frau des Grundherren.«

»Er hatte sie wirklich geheirathet, ganz ordentlich vor dem Altar, nun er hatte Recht und jetzt war sie meine gnädige Herrin.«

Der Capitulant lächelte.

»Ich konnte jeden Tag ihr begegnen,« sprach er dann. »Wozu war das gut! Ich gehe also in ein anderes Dorf arbeiten. Es war so Alles aus

Der Capitulant schwieg, die Arme waren ihm herabgesunken, er blickte mit vorgeneigtem Kopfe in das Feuer, seine bronzenen Züge hatten wieder ihren tiefen gleichmüthigen Ernst angenommen und seine Augen brannten wieder wie große ruhige Feuer. Alle schwiegen. Die Landschaft dämmerte in tiefer heiliger Stille.

»Eure Geschichte ist wohl zu Ende?« sagte ich nach einer Pause.

»Ja,« entgegnete schamhaft der Capitulant.

»Nun, es ist wirklich nichts Besonderes an Eurer Geschichte,« sprach ich. »Das geschieht alle Tage und geschieht einem Jeden, aber das Besondere an Eurer Geschichte seid Ihr selbst. Habt Ihr nie an Rache, an Vergeltung gedacht?«

»Nein,« erwiederte er still vor sich hin. »Wofür auch? Es lag in der Natur. An wem sollte ich dafür Rache nehmen, daß ich ein Mensch bin, daß sie ein Weib ist?«

Seine Antwort überraschte mich und steigerte meine Theilnahme auf das Lebhafteste.

»Du hast also nie eine Genugthuung empfangen,« sagte ich.

»Doch,« erwiederte er nach einigem Nachdenken. »Es war im sechsundvierzigsten Jahre,1846, das Jahr der polnischen Revolution und Gegenrevolution der galizischen Bauern. als ich auf Urlaub war und damals kam das große Elend über unser Land durch die polnische Revolution.

Es war also in den letzten Tagen, im Februar,Der 18. Februar war in ganz Polen als Tag des Losbruches von der Pariser Nationalregierung festgesetzt. ein furchtbar strenger Winter. In dieser Nacht war besonders viel Schnee gefallen und hatte alle Straßen und Wege verweht. Warten Sie. Das kommt später. Mir geht jetzt in diesem Augenblicke Alles so kuriös im Kopfe herum, ich muß dem Herren früher noch etwas Anderes berichten. So war es. Lange schon herrschte eine gewisse Unruhe, die Grundherren kutschirten hin und her, man hörte von verborgenen Waffen.

Nicht wenige Bauern waren in der Schenke von Tulawa versammelt, unter ihnen der Richter, da kam unser Grundherr und sagte zu den Bauern: »Wollt ihr mit uns Edelleuten halten oder mit wem wollt ihr es halten? Wenn ihr mit uns halten wollt, so kommt heute Nachts bei der Kirche alle zusammen und ich werde euch Schützen mit Gewehren beigeben und mit euch gehen.«

Hierauf erwiederte der Richter: »Wir wollen es keineswegs mit Euch halten, sondern mit unserm Herrn Gott und dem Kaiser.« Worauf sich der Grundherr entfernte und der Richter zu dem Volke sprach: »Ihr Leute, daß mir keiner mit diesen Schindern von Edelleuten halte und zu ihnen trete.«

Unser Grundherr, derselbe, der meine Katharina zum Weibe genommen hatte, ließ auch eine Schrift in der Schenke. Alle sahen hinein, keiner konnte lesen. Da sagte der Richter: »Ruft uns den Balaban, er ist so zu sagen ein alter Soldat, es wird ihm bekannt sein, was damit anzufangen.« – Nun so riefen sie mich denn und ich las ihnen die Schrift.

Oben stand: »An alle Polen, welche lesen können.«Ueberschrift eines Manifestes der polnischen Revolutionsregierung.

Da mußte ich laut lachen, denn erstens war kein Pole da und zweitens keiner, der lesen konnte, außer mir. Da stand es nun, Sie erinnern sich wohl an diese Komödien damals, da stand es: »Die Unterthänigkeit und die Robot seien nur durch Gewalt und Unrecht entstanden, denn in früheren Zeiten wären alle Menschen gleich und die Edelleute ebenso Landleute wie wir gewesen und hätten sich die Herrschaft über uns angemaßt und endlich das Land an den Moskowiter, den Preuß und den Kaiser verkauft, dessen deutsche Beamte in Gemeinschaft mit dem Edelmann den Bauer so schinden, daß er kaum seinen Hunger stillen und sich in elende Leinwand kleiden kann. Der Kaiser kenne den polnischen Bauer gar nicht, verkaufe ihm Salz und Tabak theuer, um gut in Wien leben zu können. Hülfe könne nur von Gott kommen, dazu müßte sich aber Jedermann im ganzen Lande erheben und zu den Waffen greifen. Die Edelleute erkennen ihr Unrecht und wollen sich mit dem Landvolke gegen den Kaiser vereinigen und die deutschen Beamten aus dem Lande jagen.«

Es war manche Wahrheit in der Schrift und die gefiel uns, »aber,« sagten wir untereinander, »das ist nicht so; pure Komödie, wer thut uns denn Gewalt an, als die Edelleute, wer schützt uns noch so gut es geht gegen sie – die deutschen Beamten und unser Kaiser,« und keiner wollte was von den Polen wissen.

»Wenn ihr den Edelleuten folgt,« sagte ich, »werden sie dann mit euch Bauern ackern wie ihr es jetzt mit euren Ochsen thut? Aber versammeln wollen wir uns heute Nacht in der Schenke für alle Fälle.«

So kam die Nacht heran.

Wie schon gesagt, es war ein strenger Winter, wie der jetzige etwa, und in dieser Nacht war besonders viel Schnee gefallen, Alles war verweht, keine Straße, kein Weg war zu sehen, nur die Wälder standen wie schwarze Mauern in der weißen hellen Nacht.

Wir waren in der Schenke beisammen und ein jeder hatte seinen Dreschflegel mitgebracht, oder seine Sense gerade genagelt. Ich nahm einen Haufen Bauern, es war gegen Mitternacht und machte eine Patroll. Die Bauern hatten da einen großen Jammer und fürchteten einen schlimmen Ausgang. Ich sprach ihnen Muth zu und sagte: »Wenn wir tapfer Widerstand leisten, haben wir von diesen Rebellen nichts zu fürchten.« – Da kamen schon einige Schlitten mit Edelleuten und Pächtern und anderen Lumpaken, die zum Edelhofe fahren wollten. Wie sie unserer ansichtig wurden, hielten sie stille und Einer stellte sich auf und schrie, wir sollten uns anschließen, die Revolution sei ausgebrochen, das Landvolk in Freiheit, die Robot geschenkt von den Edelleuten, auch dürften wir über die kaiserlichen Kassen und die Juden herfallen.

»Hier sind keine Verräther,« rief ich. »Wir stehen hier für Gott und den Kaiser.«

Ich hatte noch nicht geendet, da gaben euch die Polen schon Feuer, ein paar Schrote gingen mir in den Leib und ein Bauer hatte eine Kugel im Fuße. Ich schrie auf die Bauern: »Vorwärts!« Wir also von rechts und links auf die Polen, reißen sie aus den Schlitten und nehmen sie alle gefangen, Einem, der sich wehrte, hieb ich über'n Kopf, sonst wurde keiner mehr verwundet. Jetzt wurde auch bei der Schenke geschossen, ich lief so schnell ich konnte, wie ich ankam, war auch dort Alles vorbei. Der Edelmann Bobroski lag blutig im Schnee und unser Grundherr stand mitten unter den Bauern und sie schlugen von allen Seiten auf ihn los; sie hätten ihn auch erschlagen, wenn ich nicht gekommen wäre, das Blut rann ihm schon vom Kopfe. Ich rettete ihn.«

»Ihr?«

»Ich, Herr. Es war mir leid, das muß ich schon sagen, daß die Bauern ihn nicht todtgeschlagen hatten, aber wie ich einmal dabei war, durfte es nicht geschehen. Die Polen hätten gesagt, es sei aus Rache geschehen wegen der Katharina, und das hätte einen garstigen Fleck auf unsere Sache gegeben.

Wir banden ihm wie allen Anderen hübsch die Hände und Füße, warfen sie auf ihre eigenen Schlitten und führten das ganze adelige Lumpaken-Pack zum Kreisamt nach Kolomea, wo ich bei zwanzig Edelleute, ihr Geld, ihre Uhren und Ringe, Alles, wie es sich gehört, ablieferte. O! das waren schöne Tage, Herr! Ein Krieg des armen Menschen gegen seine Unterdrücker, und überall eine heilige Ordnung, unsere Wachen auf allen Kreuzwegen, Bauern in zerrissenen Leinwandröcken traten in das Kreisamt und zogen Tausende aus der Brust und legten sie dort treulich hin. Wir ließen auf uns schießen und entwaffneten dann die Herren, und Jeder hätte sein Blut hergegeben, Jeder meinte damals jetzt müßte jeder Unterschied aufhören, ein Mensch frei sein wie der andere, Alle gleich! Alle gleich! Dann begannen im Westen die polnischen Bauern zu morden, viel Kriegsvolk rückte in das Land. Alles kam anders, als man es erwartet. Nun aber zwei Jahre später wurde doch die Unterthänigkeit aufgehoben und die Robot und jetzt ist der Bauer ein freier Mann.«

»Was geschah mit eurem Grundherrn?« fragte ich.

»Er kam auf die Festung in Ketten,« rief Kolanko, »sein Weibchen tröstete sich mit einem Nachbaren, bis er im achtundvierzigsten Jahre wieder losgelassen wurde mit allen anderen polnischen Rebellen.«


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