Leopold von Sacher-Masoch
Der Capitulant
Leopold von Sacher-Masoch

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Leopold von Sacher-Masoch

Der Capitulant.

Novelle


Lieb ist nicht Liebe,
Die Trennung oder Wechsel könnte mindern,
Die nicht unwandelbar im Wandel bliebe.
Shakespeare. Sonnet 140.

 

Wer in leichter Gondel im stillen Meere schwimmt, das Element mit sich spielen, die schattenhaft gezeichneten Ufer des festen Landes, der Inseln hinter sich versinken läßt, die Luft über sich, ein zweites Meer mit wogenden Wolken ahnungsvoll schaut, wird mich vielleicht verstehen, wenn ich von der galizischen Fläche, dem winterlichen Schneeocean, der Fahrt in dem flüchtigen Schlitten berichte. Es zieht die Menschenseele wehmüthig sehnsuchtsvoll an, der Ocean wie die Ebene. Nur ist der Flug im Schlitten rascher, adlerhafter – während sich der Kahn im Wasser wie eine Ente in der Luft wälzt – nur ist die Farbe der unendlichen Fläche, ist ihre Melodie ernster, düsterer, drohender, man sieht die Natur in ihrer Nacktheit, den Kampf des Daseins, man fühlt den Tod näher, man empfindet seine Atmosphäre, man hört seine Stimmen.

Mich lockte der lichte Winternachmittag hinaus. Ich hatte die Fahrt beschlossen, mein Fuchs war krank, nicht jedes Pferd geht gut im Schnee, ich ließ den Mausche Leb Kattun kommen, einen großen Kutscher vor dem Herrn, und seine verläßlichen Pferde vor meinen Schlitten spannen. Der Tag war prächtig, die Luft stand still, auch das Licht, die goldenen Sonnenwellen zitterten nicht im leichten Dunste der Erde. Luft und Licht waren ein Element. Auch im Dorfe war Alles still, kein Ton verrieth die Bewohner der schweigsamen Strohhütten, nur die Sperlinge flogen an den Zäunen in Schaaren auf und schrieen.

Weiter stand ein kleiner Schlitten mit einem hinkenden Pferdchen bespannt, nicht größer als ein Fohlen; auf dem führte ein Bauer Holz aus dem Walde, sein halbgewachsenes Mädchen rief ihn und watete mit bloßen Füßen durch den ellenhohen Schnee nach einem kleinen Scheite, das er verloren hatte.

Wie wir den kahlen Berg hinabflogen mit klingenden, hellen Glöckchen, lag die Ebene vor uns, unermeßlich, unfaßbar, unendlich. Der winterliche Hermelin gab ihr die höchste Majestät. Sie war ganz von ihm bedeckt, nur die kahlen Stämme der niederen Weiden, entfernter einzelne langatmige Heidebrunnen, in der Ferne ein paar verlorene rußige Hütten, zeichneten sich schwarz auf dem weißen Schneepelz.

Mausche Leb Kattun schüttelte sich und schrie. Der erste Blick in die Ebene wirkte bei ihm wie schnelles Gift; seine palästinische Phantasie begann in biblischen Phrasen zu reden, sie kam mit einem einzigen Flügelschlag aus der Region der Pelzthiere in jene der Palmen und Zedern; es warf ihn auf dem Bocke wie einen Fieberkranken, er grub in seinem Hirn nach tausend Bildern für das eine Unfaßbare, das ihn quälte, er spuckte die Gleichnisse zu Dutzenden aus, bis ich ihn schweigen hieß. Jetzt murmelte er vor sich hin. Ich weiß nicht, ob er das Gespräch mit sich selbst fortsetzte, ob er betete? ob er endlich das Gleichniß gefunden? ein unendliches weißes Papier, auf das er seine unendlichen Rechnungen schrieb und zählte, und zählte.

Wir flogen auf der festen Bahn dahin.

Drüben lag ein Hof, hinter ihm ein Dörfchen; der Schnee hatte Alles versilbert, die elenden überhangenden Dächer mit Silber gedeckt, die kleinen Scheiben mit silbernen Blumen, jede Rinne, jeden Brunnen, jeden verkrüppelten Obstbaum mit silbernen Quasten behängt. Hohe Wälle von Schnee umgaben jede Wohnung. Da hat sich der Mensch seine Gänge gegraben wie der Dachs oder Fuchs. Der leichte Rauch, der aus dem Dache emporsteigt, scheint in der Luft zu frieren. Große silberne Pappeln stehen um den Hof. Hie und da flattern Stäubchen Reifes wie Schwärme diamantener Mücken empor und ziehen – ein Miniaturgewitter – tausend kleine Blitze sprühend, durch die Luft.

An dem Ausgange des Weilers jagen Bauernbuben mit weißen Köpfen und rothen Backen, halbnackt im Schnee. Sie bilden einen Mann daraus und stecken ihm eine lange Pfeife in das breite Maul, wie der Edelmann sie raucht. Da sitzt ein junger Bauer auf einem Handschlitten und ein paar hübsche Mädchen mit langen braunen Zöpfen und vollem Busen in dem gebauschten weißen Hemde ziehen ihn über Stock und Stein. Der Muthwille steigt wie eine jubelnde Lerche über ihnen empor. Wie sie lachen! und er lacht noch toller und hat die Mütze verloren.

Wir flogen dem Wald vorbei.

Wo ist seine Melodie? Heiser bellt der Fuchs und die Dohle schreit. Das bunte rothe Blattwerk ist oben einförmig mit Schnee umhüllt. Wald und Himmel umfließt ein rosiger, feuchter Duft. Vor uns liegen nur noch beschneite Hügel wie die starren Wogen eines weißen Meeres. Wo der weiße Himmel in dasselbe taucht, lagert sich ein Glanz. Nur jenes Auge kann ihn sehen, das in die Sonne schauen kann. Hinter uns versinkt das Dorf, der rothe Wald; die letzten Spitzen der kahlen Berge leuchten noch einmal auf, auch sie versinken wie Hügel und einzelne Bäume. Die unbegrenzte Ebene hat uns aufgenommen. Vor uns nichts als Schnee, hinter uns Schnee, über uns wie Schnee der weiße Himmel, um uns die tiefste Einsamkeit der Tod, die Stille. – –

Wir glitten dahin wie im Traume. Die Pferde schwammen nur im Schnee, der Schlitten folgte lautlos. Seitwärts lief eine kleine graue Maus über das Schneefeld. Weit und breit blickte kein Schornstein, kein hohler Baumstamm, kein Maulwurfshügel hervor und sie lief so behutsam emsig vor sich hin. Wohin? Jetzt war sie noch ein kleines dunkles Pünktchen. Dann war es wieder einsam um uns. Es schien, daß wir nicht vorwärts kamen. Es veränderte sich nichts vor uns, nichts hinter uns, nicht einmal der Himmel. Er steht starr, wolkenlos, einfarbig, wie frisch mit Kalk getüncht, er bewegt sich nicht, er schimmert nicht einmal. Nur die Luft wird immer abendlicher, schärfer, sie schneidet wie Glas.

Mausche Kattun hat sich eben geschnitten, er greift erschreckt in den Schnee, reibt sein Ohr und zieht dann die Klappe seiner Mütze darüber. Am Ende steht unser Schlitten wie ein Fahrzeug in dem stillen Meere, das sich bewegt, ohne von der Stelle zu kommen. Wir glauben nur zu fahren, nichts hinter uns, nichts vor uns, wie wir zu leben glauben. Denn leben wir? Heißt nicht leben, sein? und nicht mehr sein – nie gewesen?

Da fliegt ein Rabe, er segelt mächtig mit schwarzen Fittichen, schweigsam mit offenem Schnabel. Jetzt flattert er um einen Schneehügel. Ist es ein Schotterhaufe, ist es ein verlorener, versunkener Heuschober, in dem er Mäuse wittert? Nein. Er fliegt halb, halb hüpft er um denselben, er hinkt im Fliegen und flattert im Gehen, besieht ihn von allen Seiten, steht dann oben und hackt hinein. Es ist ein Aas. Dort kommt auch schon der Wolf mit zottigem Nacken, er hebt die Schnauze und zieht Luft, dann trabt er heran. Wie er es erreicht, riecht er dazu, sieht den Vogel an, winselt und wedelt wie ein Hund, der seinen Herrn wiederfindet. Der Rabe steht oben, heiser, lustig und schlägt mit den Flügeln. »Komm Bruder, es ist genug da für uns Beide.« Wie sie sich anlachen, die Spitzbuben.

Indem die Sonne sinkt, wird sie allmälig tief unten als eine glänzende Dunstkugel sichtbar. Sie geht nicht unter, sie sinkt in den Schnee. Er zerfließt wie geschmolzenes Gold, goldene Wellen spielen bis zu uns, wunderbare Farben laufen über den Schnee, der mit flüssigem Silber besprengt ist. Jetzt verlöscht sie. Die tausend Lichter, welche sie ausgeworfen hat, rinnen zusammen, werden blaß, noch schwebt ein leichter, rother Hauch in der Luft, dann löst auch er sich auf, Alles ist wieder farblos, kalt und unbeweglich.

Nur einen Augenblick.

Dann stößt die Luft aus Osten plötzlich scharf und eisig gegen uns.

In der Ferne schwamm ein Schlitten, die flüchtigen Luftwellen trugen den wimmernden Ton seines Glöckchens herüber, dann verschlang ihn der aschfarbe Nebel, welcher an dem Horizonte eilig aufstieg, sich zusammenballte und wogte. Es wurde rasch dunkel, formlose, weißgraue Wolken umspannten den Himmel, eine furchtbare Armada, Segel an Segel. Jetzt schlägt der Wind hinein und bläst sie auf, sie schwimmen näher, theils kommen sie heran, theils fahren wir in sie hinein. Abendliche Dünste lodern hervor und lösen sich in leichte Schatten auf.

Der Jude hält seine Pferde an.

»Es kommt ein Sturm,« sagt er mit besorgtem Antlitz; »der Schnee kann uns verwehen, es ist näher nach Tulawa als zurück. Was meinen Sie, Herr?«

»Also fahre nach Tulawa.«

Er knallte zweimal mit der Peitsche über den Köpfen seiner Thiere.

Wir flogen weiter. Zerrissene Nebel schwirrten wie Vögel mit großen matten Fittichen um uns. Dort ist das Heiligenbild auf steinernem Pfahl, hier wendet sich der Weg nach Tulawa zur Rechten.

Schon schlägt uns der Wind mit beiden Fäusten in den Nacken, er heult mit entsetzlichen, jammervollen, wahnsinnigen Stimmen, er stößt von der Höhe herab in den Schnee, wühlt ihn auf, zerschlägt die großen Wolken, wirft sie zur Erde in fleckigen Klumpen und droht uns damit zuzudecken. Die Pferde nehmen die Köpfe zwischen die Beine und schnauben. Der Sturm weht weiße Wirbel auf bis zum Himmel empor, kehrt die Ebene mit weißen Besen und kehrt ungeheure Kehrichthaufen zusammen, in denen er Menschen und Thiere, ganze Dörfer begräbt.

Die Luft brennt als wäre sie glühend, sie ist fest geworden, vom Sturm zerbrochen fliegt sie in Stücken umher und dringt, wenn man Athem holt, gleich Glassplittern in die Lunge.

Die Pferde können nur langsam vorwärts, sie graben sich durch Schnee, Luft, Wind.

Der Schnee ist ein Element geworden, in dem wir mit aller Anstrengung schwimmen, um nicht zu ertrinken, das wir athmen, das uns zu verbrennen droht. In der furchtbarsten Bewegung wird die Natur starr und eisig. Wir selbst sind nur Theile der allgemeinen Kälte und Starrheit. Man begreift, wie das Eis eine Welt begraben hält, wie man aufhört zu leben ohne zu sterben, ohne zu verwesen. Ungeheure Elephanten, riesige Mammuths liegen darin unversehrt aufgespeichert für die Suppentöpfe fleißiger Gelehrter. Man erinnert sich an vorweltliche Diners und lacht. Man wird überhaupt lachlustig. Kitzeln reizt ja zum Lachen und die Kälte kitzelt furchtbar, ununterbrochen, grausam. Scheintodte in der Nase gekitzelt nießen und werden dann lebendig. Alles friert. Die Gedanken hängen wie Eiszapfen am Gehirn, die Seele bekömmt eine Eisdecke, das Blut fällt wie Quecksilber. Man denkt nicht mehr seine Gedanken, man fühlt nicht mehr wie Menschen fühlen, Moral und Christenthum hängen uns wie erstarrter Nebel in den Haaren, das Elementarische an uns wird gewaltsam herausgekehrt. Wie zornig werden wir, wenn uns ein Nagel nicht in die Wand will, wir zerschmettern ihm wohl mit einem Streich das metallene Haupt, wir werfen einen engen Stiefel in die Ecke und überhäufen ihn mit den merkwürdigsten Schimpfworten. Hier ist es ein Kampf um das Dasein, aber man kämpft ihn wie ein Element geduldig, stumm, resignirt, beinahe gleichgültig. Jenes Leben, das wir so sehr lieben, ist erstarrt, wir sind ein Stein, ein Stück Eis, eine erstarrte Luftblase mehr in dem Kampf der Elemente.

Man beobachtet den eigenen Puls wie einen fremden. Ein weißer Vorhang trennt uns von unseren Pferden, der Schlitten trägt uns im Sturme wie ein Kahn ohne Ruder, ohne Segel – er steht beinahe still.

Der Orkan heult eintönig fort, die Luft brennt, der Schnee wirbelt; Raum und Zeit verschwinden. Gehen wir vorwärts? stehen wir? Ist's Nacht – ist's Tag?

Langsam ziehen die Wolken gegen Abend. Langsam schnauben die Pferde wieder, jetzt tauchen sie auf, den Rücken voll Schnee – es fallen dichte Flocken, die Erde ist ellenhoch von ihnen bedeckt, aber man sieht wieder und kommt vorwärts. Der Sturm keucht nur noch und wälzt sich winselnd im Schnee, die Nebel liegen wie grauer Schutt am Boden. Wo sind wir?

Ringsum Alles verweht, kein Weg, kein Schotterhaufen, kein hölzernes Kreuz, das ihn weist, die Pferde waten bis an die Brust, nur in der Ferne noch einzelne verlorene Töne des Sturmes. Wir stehen, gehen wieder vorwärts, der Jude fegt seinen Thieren den Rücken mit dem Peitschenstiel. Zwei Raben fliegen vorbei, lautlos, die schwarzen Flügel kaum bewegend. Der Schneefall verschlingt sie. Die Pferde schütteln sich und gehen rascher. Es fallen nur leichte wässerige Flocken. In der Ferne aber ist noch Alles umhüllt. Wieder halten wir, berathen.

Die Nacht bricht an, trübe, wolkige Dämmerung breitet sich aus, wickelt uns immer mehr ein. Der Jude peitscht die Pferde, sie werfen die Füße in immer rascherem Tacte. Da liegt ein glührother Streifen am Horizont. Wir wenden uns auf ihn zu. Jetzt war es, als sei der rothe Mond auf die Erde gefallen und liege da im Schnee und verlösche; es loderte empor und beleuchtete starke dunkle Schatten.

»Es ist die Bauernwache beim Birkenwäldchen,« sagte der Jude, »und hinter dem Wäldchen liegt Tulawa.«

Wie wir näher kamen stand das kleine Birkenwäldchen wie eine dunkle Wand gegen uns, stellenweise grell beleuchtet von dem ungeheuren Feuer, das die Bauernwache am Rande desselben emsig unterhielt. Das Feuer lag im Halbkreise gegen den Wald, so daß der Wind, der hie und da gegen die kleinen Birken stieß, die Flammen nach außen trieb. Der Rauch zog langsam gegen den Wald, wo er stückweise an den Bäumen hängen blieb und leise verflog.

Ein warmer leuchtender Dunst lag um das Feuer; die an demselben Wache hielten, tauchten jetzt wie Schatten darin auf. Der Jude winkte ihnen.

Sofort versanken sie wieder, nur Einer kam uns entgegen.

»Es ist der Balaban,« sagte Leb Kattun. »Kennen Sie ihn nicht? Es ist der Capitulant.«Soldat der freiwillig eine doppelte oder dreifache Dienstzeit – in Oesterreich Capitulation genannt – ausgedient hat.

Es war ein verabschiedeter Soldat, der Feldhüter der Gemeinde Tulawa, ein in seiner Gegend besonders angesehener pflichttreuer Mann. Ich hatte mehr als einmal von ihm gehört, aber bisher keine Gelegenheit gehabt, ihn kennen zu lernen, ich betrachtete ihn daher mit einigem Interesse. Seine hohe Gestalt und Haltung, sein Kopf, seine freie, maßvolle Bewegung machten mir sofort einen ganz bestimmten Eindruck von Festigkeit. Sein Gruß war artig aber nicht demüthig.

»Hat Ihnen der Sturm viel gemacht?« fragte er und sah nach den Pferden. »Nun, ich will hoffen der Kutscher hat seine Schuldigkeit gethan?«

Alles wie ein Cavalier, bei dem man einkehrt, mit ebensoviel Grazie als Würde. Mit einer vornehmen Handbewegung lud er mich zu dem Feuer ein. »Die Pferde sind matt, schwitzen,« sagte er; »dann die Finsterniß – Sie werden rasten müssen.«

»Das wollen wir auch,« entgegnete ich, denn mich zog die Gesellschaft am Feuer an, und der Capitulant. Wie der mich führte, lief ihm ein Bube entgegen.

Dem strich er mit der Hand sanft über den weißen Kopf. Da war es nicht derselbe. Ich sah, das ist ein Mensch, mit dem man nicht auf den ersten Blick fertig ist.

Die Leute am Feuer standen auf.

»Nun, was macht Ihr da?« sagte ich.

Alle blickten auf den Capitulanten.

»Die Gutsbesitzer aus der Nachbarschaft,« sagte dieser ernst, »wohl noch andere Polen, fahren heute nach Tulawa in den Hof des Herrn. Sie haben dort gewiß Emissäre und Schriften und verabreden sich. Mancher kommt ohne Paß. Man muß also seine Schuldigkeit thun. Vielleicht kommt etwas zum Vorschein. Das ist die ganze Historie.«

»Ja, wir halten Wache!« sagte der Bub.

»In diesem Sturm!« rief ich.

»Nun, man thut seine Schuldigkeit!« antwortete der Capitulant; »wenn wir sie übersehen im Schneegestöber, waren wir doch da.«

Er verstand also gar nicht, daß ihn der Kampf der Elemente, die Gefahr abhalten könnten zu thun, was er für seine Pflicht hielt; das war merkwürdig.

Er nahm die Pferde bei der Mähne vorne und führte den Schlitten an das Feuer, zog eine Decke aus demselben und breitete sie für mich aus.

»Die Erde ist trocken,« versicherte er. »Wir liegen seit früh da und unterhalten ein Feuer, bei dem man einen ganzen Ochsen braten könnte.«

Es lag die Asche auch mehrere Schritte weit herum und war ganz warm. Die Flammen standen aufwärts oder schlugen aus dem Kreise, in dem wir uns lagerten. Die Schneeflocken kamen wie silberne Falter und sanken mit versenkten Flügeln in die Gluth.

»Auch die von Zawale kommen,« bemerkte der Bub.

»Freilich, die hübschen Frauen machen alle gerne Revolution,« sagte ich.

»Kommt sie auch, die Frau?« fragte der Jude, und seine Finger trommelten auf der Achsel des Capitulanten.

»Was weiß ich,« sagte dieser und machte eine Bewegung mit dem Kopfe wie ein Pferd, das eine lästige Fliege fortscheuchen will. Einen Augenblick leuchtete in seinem Auge etwas Verstecktes, Außerordentliches auf, während sein Gesicht unverändert blieb; dann starrte er in den Rauch, der gegen die Birken zog.

Es war ganz stille, nur der Wind blies leise in das Feuer. Ich legte mich auf das Ohr und sah mir die Leute an.

Ich kannte den Bauer, welcher mit der Sense an der Waldecke Wache hielt und von Zeit zu Zeit herankam, mehr um zu hören, was die am Feuer sprachen, als sich zu wärmen. Er hieß Mrak und hatte das entschlossene, ernsthafte Gesicht wie man es bei unsern Bauern gewöhnlich sieht.

Ein anderer, der mir zunächst am Feuer hockte, war mir fremd. Es war ein grämlicher Kerl im haarigen mausfarbenen Serak sein Kopf wie ein Fallschirm, oben spitz, unten breit, trug ein kleines Mützchen von schmutzigweißem Lammfell. Wie ich ihn von der Seite sah, schien er mir wie schlecht ausgeschnitten aus altem, schäbigen grauen Pappendeckel, seine Nase besonders lang, spitzig, dünn und filzig. Der Mund war in der Scheere geblieben, das Kinn wie verloren in den Hals. Auch der Faltenwurf seines farblosen Gesichtes war so ungeschickt, der ganze Mensch wie zerkrüppelt, das Feuer übertrieb noch seinen Schattenriß und warf ihn unwiderstehlich komisch in den Schnee.

Neben ihm lag Einer platt auf dem Bauche, den der kleine pudelblonde Jur Vetter Mongol nannte. In der Nähe liegt ein Schlachtfeld, auf dem eine Horde der Tartaren vor mehr als zweihundert Jahren eine blutige Niederlage erlitten hat. Mit den Gefangenen wurden verwüstete Dörfer bevölkert. Ich kann leicht wetten, daß unser Mongol von da abstammt. Er ist nicht halb so lang als der ganze ausgereckte Pappendeckelmann, aber der kleine Topf steht fest. Der bloße Nacken schwillt ihm voll Kraft, er liegt in leinener Hose und Leinwandkittel, die offene Brust in der heißen Asche, die nackten Beine im Schnee. Auch an dir Bruder Mongol ist Alles lüderliche Arbeit, wie haben sie dir nur die breiten Hüften und die mächtige Brust so zusammengeschoben, und erst dein Gesicht, oder was du dafür ausgiebst! Da haben sie dir ein paar so elende kleine Löcher gemacht für deine lebhaften schwarzen Augen, daß deine Haut dafür beim Maul die abscheulichsten Falten macht. Die Augen schief hinab geschlitzt und die kleine Nase nach oben gedrückt, mit Nasenlöchern, wovon eines genug wäre für deine beiden Augen. Dafür bist du auch gelb wie der Neid in der Zauberposse und ziehst die gewirkte Tschapka über das dünne drahtsteife schwarze Haar bis an die spitzen langen Ohren hinab.

Die Hauptperson war offenbar der Capitulant, Frinko Balaban.

Wie alt er war? Wer wollte das genau bestimmen, aber er war ein Mann.

Ein Mann, der nicht zu übersehen war – im Gliede so wenig als in der Gemeinde, als hier am Feuer der Bauernwache. Ein brauner erdfahler Rock von einem schwarzlackirten Pas gehalten, kleidete ihn schlank und stattlich. Er hatte ihn bis oben zugeknöpft, hatte der Einzige ein verblichenes altes Tuch um den Hals geschlungen, und die abgenutzte blaue Soldatenhose städtisch über dem Stiefel. Am Gurt hing ihm der Tabaksbeutel aus einer Schweinsblase, aus dem er die kleine Pfeife stopfte, und das lange Messer. Die andern waren mit Sensen und Dreschflegeln bewaffnet, er hatte eine einläufige Flinte quer über die Kniee gelegt. Neben zwei Dienstzeichen hatte er noch ein drittes Band auf der Brust. Die runde hohe Lammfellmütze verlieh seinem feinen Kopfe die Würde eines Rabbi und die Wildheit eines Janitscharen, sie half dem kurz geschnittenen braunen Haar ein merkwürdiges Antlitz einrahmen, ein Antlitz mit sanften Linien, feiner Nase, feinem Munde, von dem Felddienst mit jener schönen Bronce überzogen, welche mit den beiden wehmüthigen Linien des Mundes und dem herabhängenden Schnurrbart unserem Soldaten ein so eigenthümliches Gepräge gibt. Aber sein ehrliches Auge war unter den festen Brauen so versunken, so feucht wie mit Thränen gefüllt, es blickte ruhig, erkenntnißvoll, daß es Einem wehe that. Das war es und die Stimme. Der ganze Mann war so fest, soldatisch und in ihm klang Alles wie zerbrochen, die Töne kamen zerschellt aus seiner Brust und seine Redeweise hatte etwas Monotones, Feierliches. So mögen die christlichen Märtyrer auf dem Rost gesprochen haben und im heißen Sande der Arena.

Dann hatten sie auch einen Hund am Feuer; einen gewöhnlichen Bauernhund von unbestimmter Farbe, mit einer Halskrause von dunklen Haaren und einem hübschen Fuchskopfe. Er schlief, die spitze Schnauze auf den vorderen Pfoten gebettet, in der warmen Asche und bewegte nur leise den Schweif, wenn die wehmüthige Stimme des Capitulanten an sein Ohr schlug.


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