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Eine Schreckensnacht.

Am Morgen hatte sich der Sturm ausgetobt. Die dicken Wolkenmassen zerstreuten sich, die Sonne brach hervor und verwandelte das kalte Grau der noch immer hochgehenden Wogen in leuchtendes Saphirblau. Am Nachmittag beruhigte sich auch die See, und die Bark lief bei leichter westlicher Brise unter vollen Segeln. Es folgte ein Abend von berückender Schönheit; die Mondsichel streute Silbertropfen in das dunkle Wasser, und die Sterne funkelten und strahlten in südlichem Glanze.

Helga und ich genossen die wundervolle neue Ruhe bei einem Spaziergang auf Deck – und es dauerte nicht lange, so gesellte sich der Kapitän zu uns.

Nakier und zwei andere waren bei mir unten, sagte er. Schade, daß Sie nicht dabei waren. Mir scheint, daß sie jetzt allmählich Verstand annehmen!

Einer impulsiven Regung folgend, brach ich mein Schweigen, um ihn zu fragen, was die Leute denn eigentlich gewollt hätten.

Immer dieselbe langweilige Geschichte, antwortete er, unbekümmert um lauschende Ohren, mit lauter Stimme. Sie verlangen Rindfleisch, nichts als Rindfleisch. Ich sagte ihnen jedoch, daß sie es nur abwechselnd mit Schweinefleisch bekommen würden.

In salbungsvollstem Tone verbreitete er sich weiter über die eindringliche Art seiner Unterhandlung mit den Leuten. Es blieb mir einfach unbegreiflich, wie ein Mensch so verrückt sein konnte, ein derartig gefährliches Experiment zu wagen, und ich benutzte eine Pause, in der er Atem schöpfte, um ihm Jakobs Beobachtungen mitzuteilen.

Gewiß, Mr. Tregarthen, sagte er mit leisem Hohn. Das Bekehrungswerk erfordert einen furchtlosen Mann.

Man kann mutig sein und doch halbwegs vernünftig, sagte ich gereizt. Ihre Leute sind Teufel, wenn sie gereizt werden!

Der Führer eines Rettungsbootes sollte mehr Mut beweisen! Lassen Sie sich durch Ihren Freund nicht beunruhigen, Fräulein Nielsen! Meine Pflicht liegt klar vor mir. Ich tue, was recht ist, und stehe im Schutze des Höchsten.

Ich machte Helga ein Zeichen, zu schweigen. Er ist total unzurechnungsfähig, flüsterte ich ihr zu.

Gegen zehn Uhr zog Helga sich zurück, und bald suchte auch ich mein Lager auf.

Heftige Schläge gegen die Tür der Nebenkabine rissen mich aus dem Schlummer.

Mr. Tregarthen! Mr. Tregarthen! Wo sind Sie? schrie eine heisere Stimme. Um Himmels willen wachen Sie auf und kommen Sie heraus! Hier gibts Mord und Totschlag!

Ich erkannte die vor Entsetzen ganz entstellte Stimme Abrahams und wußte im selben Augenblick, was geschah, noch ehe der Mann es aussprach.

Hier bin ich! schrie ich, tastete mich im Dunkeln nach der Tür und öffnete sie. Wo sind Sie, Abraham? Ich streckte die Hand aus und zog ihn zu mir herein.

Die Mannschaft meutert! keuchte er. Sie haben den Steuermann erschlagen und jetzt ist der Kapitän dran!

Wo ist Jakob?

Das weiß Gott!

Sind Sie bewaffnet?

Ich habe gar nichts. Ich kann das Schreckliche nicht erzählen, hier so im Dunkeln, mit dem Mord vor der Tür, stieß Abraham atemlos hervor.

Was gibt's? rief Helga aus dem Innern ihrer Kabine.

Öffnen Sie schnell und lassen Sie uns hinein! rief ich. Kleiden Sie sich im Dunkeln an! Die Malaien meutern und haben den Kapitän und den Steuermann überfallen. Still!

Ich lauschte angestrengt, vernahm aber nichts, außer den gewöhnlichen auf einem Schiffe hörbaren Geräuschen.

Helga öffnete, und ich führte Abraham an der Hand in die dunkle, ihm unbekannte Kabine, deren Tür ich dann verriegelte.

Es war stockdunkel, denn die Sterne, die durch das kleine Fenster schienen, warfen auch nicht den schwächsten Lichtschimmer in die pechschwarze Finsternis.

Was ist geschehen? fragte Helga, während sie sich mit fliegender Hast ankleidete.

St! machte ich; meinen aufgeregten Nerven war es, als ob draußen nackte Füße über die Planken schlichen; doch hatte ich mich getäuscht.

Ohne Licht kann ich nicht erzählen, flüsterte Abraham. Ist hier keine Laterne? Ich habe ein paar Zündhölzer bei mir.

Ich schlüpfte hinaus und holte die Laterne, bei deren Licht wir uns gegenseitig in die todblassen Gesichter sehen konnten.

Die Leute werden uns nicht ans Leben wollen; wir haben ihnen nichts getan, sagte Helga.

Trauen Sie ihnen nicht! Ist hier nichts, was man als Waffe gebrauchen könnte? rief Abraham und erzählte dann hastig, was vorgegangen war.

Als ich um acht Glasen nach unten kam, fand ich Nakier mit ein paar Leuten in eifrigem Gespräch, das er aber sofort abbrach, als er mich sah. Ich legte mich hin, nickte aber nur ganz kurze Zeit ein. Dann wachte ich wieder auf. In einer Ecke standen ein paar von der Mannschaft beisammen und flüsterten, sahen sich auch ab und zu nach mir um, konnten aber nicht wissen, daß ich sie, sozusagen mit einem Auge, beobachtete. Es mag ungefähr sieben Glas gewesen sein, als Nakier leise etwas von oben durch die Tür rief, worauf sie alle gleichzeitig aus den Hängematten stiegen und verschwanden. Als ich mich überzeugt hatte, daß alle weg waren, richtete ich mich auf und horchte. Da ertönte ein entsetzlicher Schrei: »O Gott! Hilfe! Hilfe!« Ich dachte, jetzt würden sie sich auf mich stürzen, wenn nicht Jakob schon daran hatte glauben müssen, und rannte hierher ...

Mit zitternder Hand fuhr er sich über die Stirn.

Glauben Sie, daß sie den Kapitän auch ermordet haben? fragte Helga.

Ohne Zweifel! sie hatten sich in zwei Trupps geteilt.

Habe ich es nicht im voraus gesagt? rief ich. Mann, wo hatten Sie Ihren Verstand gelassen? Was können wir von diesen wilden Teufeln erwarten, die uns um unseres Glauben willen hassen?

Horch! sagte Helga, mir war's, als ob etwas ins Wasser fiele.

Wenn sie nur nicht meinem Kameraden zu Leibe gegangen sind! schrie Abraham. Bei Gott, das wäre zu hart, erst der eine, dann der andere!

Wer von ihnen kann ein Schiff führen? fragte Helga.

Niemand, das weiß ich genau aus Nakiers Reden.

Sollen wir hier etwa sitzen bleiben wie Ratten in der Falle, oder, wenn sie die Tür einbrechen, uns mit leeren Händen wie wehrlose Kinder abschlachten lassen? rief ich.

Mit einem nach dem andern würde ich allein fertig! sagte Abraham, tief Atem holend und in seine ansehnlichen Fäuste spuckend. Aber mit all den blutgierigen Bestien auf einmal – mutlos schüttelte er den Kopf.

Ich werde an Deck gehen! sagte Helga plötzlich. Ich habe am wenigsten von ihnen zu fürchten; sie sind mir immer freundlich begegnet und wissen außerdem, daß ich mich auf die Schiffahrt verstehe. Ich werde mit ihnen reden.

Sie wandte sich nach der Tür, doch faßte ich ihren Arm und hielt sie zurück.

Sie bleiben hier, Helga.

Lassen Sie mich gehen, Hugh! bat sie, indem sie sich meinem Griff zu entwinden suchte, ich bin die einzige, die mit den Meuterern sprechen kann. Lassen Sie mich gehen!

Tun Sie es nicht, Herr! rief Abraham, der jetzt seine ruhige Ueberlegung wiedergewonnen zu haben schien. Die Schurken werden sie nur zurückhalten, bis sie uns beide erledigt haben, und dann bliebe sie mit der Horde allein auf dem Schiff!

In diesem Augenblick klopfte jemand leise und, wie es mir vorkam, schüchtern an die Tür, durch deren Spalte ein Lichtstrahl drang.

Wer ist da? schrie ich, bereit, dem ersten, der sich zeigen würde, an die Kehle zu springen. Das Blut kochte mir in den Adern; denn ich hielt dieses sanfte Klopfen, diese lautlose Annäherung für einen hinterlistigen Kniff.

Ich seien es, Herr! Öffnen, Herr! Allee right!

Das ist Nakier! sagte Abraham.

Fürchtet nichts, Herr! Unsere Arbeit ist getan. Wir wollen euch sprechen und euer Freund sein!

Wie viele sind draußen? fragte ich.

Niemand als Nakier.

Wer kann das wissen? brüllte Abraham. Mit euren nackten Füßen schleicht ihr wie die Schlangen umher.

Ich schwöre, Nakier ist allein. Herrin, ihr müssen Nakier trauen. Ihr fürchten mein Messer. Tretet zurück, ich werfen es euch zu.

Wir gingen ein paar Schritt rückwärts, und im nächsten Augenblicke flog das Messer durch die Öffnung oben an der Tür mir gerade vor die Füße. Mit einem Satz sprang ich darauf zu, ließ es aber entsetzt wieder fallen, da es von Blut triefte.

Geben Sie es mir, schrie Abraham. In meiner Hand soll es noch blutiger werden, wenn die Kanaille uns hintergeht.

Mit gezücktem Messer schob er den Riegel zurück und öffnete die Tür. Alles, was ein Menschenleben an Gefahren und Aufregungen nur enthalten kann, konzentrierte sich für uns in diesem Augenblick. Ich war darauf gefaßt, eine Schar dunkler Gestalten aus dem Hintergrunde hervorstürzen zu sehen. Statt dessen stand im Korridor tatsächlich nur Nakier vor uns, eine Lampe in der Hand, die er bei unserem Anblick niedersetzte, um seinen Salaam zu machen.

Abraham steckte den Kopf heraus und meldete, daß niemand weiter da sei.

Nakiers Züge zeigten einen Ausdruck völliger Ruhe!

Was habt ihr getan? fragte ich.

Der Kapitän ist getötet – Pallunappachelly ihn töten. Der Steuermann ist getötet – von dieser Hand.

Dabei hob er seinen Arm.

Wo ist mein Kamerad? donnerte Abraham.

Niemand ihn anrühren. Wir nur zwei töten – Kapitän und Misser Jones. Sie uns behandeln wie Hunde; wir beißen wie Hunde.

Was wollt ihr von uns?

Wir wollen mit euch sprechen. Wir alle schwören auf den Koran, euch nichts zu tun, sondern euch dienen, wenn ihr uns helfen.

Ich stand unschlüssig da.

Wir können ihm trauen, sie brauchen uns, sagte Helga überzeugt.

Nakier, der uns beobachtete, merkte mein Zaudern, streckte mit einer Gebärde leidenschaftlicher Bitte die Hände aus und rief:

Wir alle schwören, euch nicht anrühren. Ihr müssen uns vertrauen! Mr. Vise seien Kapitän. Ihr Herr, seien Passagier und leben oben, wie ihr wollen. Die junge Herrin, sie führen das Schiff nach Afrika. Nein, nein! Ihr alle sein sicher. Meine Leute sollen ihre Messer vor euch auf den Tisch legen und schwören, euer Freund zu sein.

Wir wollen mit ihm gehen, Mr. Tregarthen, sagte Abraham, aber das Messer behalte ich, Nakier. Wo ist Jakob? Wehe! wenn einer von euch es gewagt hat –

Lassen Sie die Drohungen! raunte ich ihm zu. Kommen Sie, Helga! Leuchten Sie uns voran, Nakier, und Abraham mag mit der Laterne folgen.

Schweigend erreichten wir die Falltür, und nun stieg einer nach dem andern hinaus. Der Wind hatte sich mehr abgeflaut und genügte nicht, um Fock- und Großsegel zu füllen, die beim Flattern wie fernes Artilleriefeuer knatterten.

In der Kajüte brannte die Lampe, und beim ersten Blicke sah ich, daß die ganze Mannschaft zu beiden Seiten des Tisches aufgereiht und, die dunklen Gesichter mit den stechenden Augen uns zugewandt, wie in Paradestellung dastand. Ihre phantastischen Kopfbedeckungen lagen in einem Haufen auf dem Tisch.

Nakier trat zuerst ein, und furchtlos wollte Helga ihm folgen: ich ergriff jedoch ihre Hand und sagte:

Die Leute sind bewaffnet, Nakier.

Auf ein paar malaiische Worte, die er ihnen zurief, zog jeder sein Messer aus der Scheide und legte es auf den Tisch. Punmeamootty sammelte alle Messer in eine Mütze und brachte sie Nakier, der sie zu Helgas Füßen niedersetzte, wonach auch Abraham das blutbefleckte Messer zu den übrigen warf.

Plötzlich ertönte ein Ruf: Heda! Ihr da unten!

Das ist Jakob! schrie Abraham, trat zurück und blickte nach oben. Jakob ahoi! Wo steckst du, Mensch!

Oben auf dem Hauptmast – halbtot, klang es trotz des angedeuteten Zustandes in urkräftigstem Gebrüll zurück.

Gott sei Dank, daß du lebst! Jetzt ist alles im Lot!

Ja, wer's glaubt!

Sie können herunterkommen, Jakob, rief ich nun hinauf. Die Gefahr ist vorüber.

Vorüber? Sie haben den Steuermann getötet und über Bord geworfen, und wenn ich nicht Hals über Kopf hier herauf geklettert wäre, hätten sie es mit mir ebenso gemacht.

Nein, nein! nicht wahr! Kommt herunter, Jakob! schrie Nakier.

Wo ist der Kapitän?

Über Bord! Alles in Ordnung! antwortete Nakier, dessen kühle Auffassung der Sachlage die Schaurigkeit der blutigen Tragödie nur noch erhöhte.

Bitte, kommen Sie endlich, Jakob! sagte Helga.

Langsam und schwerfällig kletterte Jakob durch die Takelage herunter.

Als er von der Reeling auf Deck sprang, brach er los, und drohend fuchtelten seine Fäuste Abraham unter der Nase herum.

Habe ich es dir nicht immer gesagt, daß die verfluchte Schweinefleischgeschichte uns noch den Hals kosten würde? Weshalb hast du den Mund gehalten und der Sache nicht Einhalt getan? Ich hätte dort oben vor Schreck den Tod haben und über Bord fallen können, und mein Schatz hätte sich zu Hause die Augen aus dem Kopfe geweint!

Nakier und die andern warteten regungslos, bis das Unwetter sich ausgetobt hatte. Als Jakob zum Zeichen, daß es nun soweit war, seine Mütze wieder aufgesetzt hatte, begaben wir uns alle vier in die Kajüte. Plötzlich machte Abraham einen entsetzten Seitensprung, und ich sah mit Grausen, dicht an der Tür, die in die Kapitänskabine führte einen dunklen Fleck.

Es ist leicht wegzuscheuern, sagte Nakier. Einen Augenblick durchfuhr mich der Gedanke, auf Deck zurückzukehren, die noch immer dort liegende Mütze mit den Messern zu nehmen und über Bord zu werfen. Doch ich überlegte, daß der Verlust der Messer nur die Wut der Leute erregen würde. Außerdem hätte es keinen Zweck gehabt: wenn sie uns umbringen wollten, standen ihnen ohnehin Mordwerkzeuge genug zur Verfügung.

Nakier trat an das Kopfende des Tisches, legte die Hand auf den Stuhl des Kapitäns und fragte, sich vor Helga verbeugend:

Will die Herrin hier sitzen?

Helga ging die Reihe der Leute entlang und setzte sich. Tödliche Blässe bedeckte ihr Gesicht, aber ihre glänzenden Augen sahen unerschrocken in die farbigen Gesichter.

Ich stand links neben ihr, Abraham und Jakob zu ihrer Rechten. Nakier sagte einige Worte in der fremden Sprache zu seinen Leuten, wonach alle, wie auf Kommando, ihre beiden Arme mit aneinander gelegten Zeigefingern nach uns ausstreckten. Jakob trat erschreckt einen Schritt zurück und stieß einen Laut des Unwillens aus.

Was bedeutet das, Nakier? fragte ich.

Es soll sagen, wir sein eure Brüder, Herr. Es ist Zeichen von Freundschaft in meinem Land.

Die Hände der Leute sanken herunter; doch wieder sprach Nakier etwas und alle Zeigefinger richteten sich nur auf Helga. Dann verließ Punmeamootty die Kajüte.

Abraham trocknete sich die Stirne.

Ich wünscht', er redete Englisch, meinte er. Wie soll einer sonst wissen, was passiert?

Es ist allee right, Misser Vise, sagte Nakier. Punmeamootty holen den Koran für uns zu schwören.


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