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Ein neuer Sturm bricht los.

Helga wies nach der Richtung, in welcher der Dampfer, nach dessen Namen wir leider nicht gesehen hatten, vor kurzem verschwunden war.

Weshalb haben Sie uns diese Gelegenheit entgehen lassen?

Ihre und Mr. Tregarthens Gesellschaft macht mich so glücklich, daß ich mich noch nicht von Ihnen trennen kann, antwortete Kapitän Bunting.

Helgas blaue Augen flammten vor Zorn, und ihre Brust hob und senkte sich in schnellen Atemzügen.

Sie nannten sich gestern einen Samariter. Ist das Samariterart?

Es schien, als ob ihre Erregung sie ihm nur noch reizvoller machte, denn er verschlang sie förmlich mit seinen Blicken.

Der Samariter hat also seine Rolle gut gespielt? fragte er selbstgefällig. Nun, mein liebes Fräulein, diese Eigenschaft hat sich bei ihm nur noch mehr vertieft. Jetzt, da unsere Botschaft heimgesandt ist, liegt kein Grund mehr vor, unsere kleine Kreuzfahrt nicht in vollen Zügen zu genießen.

Ich gab Helga einen Wink, zu schweigen, und ging unter dem Vorwand, nach dem Kompaß zu sehen, auf das Achterdeck, um meinen Ärger hinunterzuschlucken.

Die Brise flaute bei Sonnenuntergang ab, das Meer wurde spiegelglatt, und als wir beim Abendessen saßen, hörten wir die Segel schlaff an die Masten schlagen.

Bei Tisch wurden die Aufmerksamkeiten, die der Kapitän Helga erwies, immer auffallender. Er nötigte sie im süßlichsten Tone zum Essen und Trinken, und bat sie, doch jeden Wunsch ungesäumt zu äußern. Wenn der farbige Koch auch kein erstklassiger Künstler in seinem Fache sei, so solle er sich doch alle Mühe geben, sie zufrieden zu stellen.

Das »Licht der Welt« ist zwar keine Lustjacht, fuhr er, sich den Schnurrbart streichend, fort, aber vergoldete Spiegel und große echte Teppiche gehören ja glücklicherweise nicht zu unumgänglichen Vorbedingungen menschlicher Glückseligkeit: auch strahlt uns die Sonne ebenso hell, und der Wind bringt uns denselben frischen Meereshauch.

So sprach er weiter, als wenn wir im schönsten Einverständnis miteinander wären, und uns alle auf die gemeinsame Reise von ganzem Herzen freuten. Daß ich sehr kühl und einsilbig blieb und nur widerstrebend aß und trank, störte ihn nicht im geringsten: unaufhaltsam plätscherte sein Redestrom.

Da Helga die Partie Dame, die er ihr nach dem Essen anbot, ablehnte, holte er Taylors »Heiliges Leben und Sterben« hervor und bat um die Erlaubnis, ein paar Seiten daraus vorlesen zu dürfen. Noch heute steht mir das Bild dieses seltsamen Schiffsherrn deutlich vor Augen. Das dicke Buch in beiden Händen haltend, las er mit näselnder Stimme ohne die geringste Betonung und machte nur ab und zu eine kleine Pause, um Helga Beifall heischend anzublicken. Der Abwechselung halber bat er sie, weiter zu lesen.

Welch ein Genuß für uns, die eindrucksvollen Worte des großen Bischofs von Fräulein Nielsens bezaubernden Lippen zu hören! sagte er.

Das junge Mädchen weigerte sich jedoch, und nach einer weiteren halben Stunde zog er sich, von den Fortschritten, die er seiner Meinung nach in Helgas Gunst gemacht hatte, augenscheinlich vollständig befriedigt, in seine Kabine zurück.

Das ist ja noch schlimmer als auf dem Floß, Helga, sagte ich. Wir wollen an Deck gehen, sonst kommt er womöglich noch einmal zurück.

Es war Neumond, aber die Sterne glitzerten hell und scharf, ein Vorzeichen schlechten Wetters, wie ichs bei uns zu Hause beobachtet hatte. Im Nordosten leuchteten von Zeit zu Zeit schwache violette Blitze auf, in diesen Breitengraden nichts Ungewöhnliches, wenn uns ihr Schein nicht so ungeheure schwarze Wolkenmassen enthüllt hätte. Grünliche Flämmchen zuckten hin und her auf dem Meere, das sich lautlos in breiter Dünung hob und senkte; die feuchten Perlen des reichlich gefallenen Taues blitzten wie Eiskristalle auf der Reeling und dem Oberlicht. Abraham hatte die Wache; ich sah ihn in der Nähe des Rades neben einem Farbigen.

Plötzlich brüllte er mit Stentorstimme durch die Finsternis nach ein paar Leuten zum Segeleinholen.

Heute nacht wird es ordentlich blasen, rief er mir zu. Und gleich darauf wurde die nächtliche Stille durch das Geheul der Matrosen unterbrochen.

Da ist der Kapitän, sagte Helga zurückweichend.

Sehr gut, Vise, hörten wir ihn sagen. Das Barometer ist stark gefallen, und im Nordosten wetterleuchtet es. Es ist am besten. Sie rufen alle Mann an Deck, denn ich kann mich nur bei ruhigem Wetter auf die Leute verlassen.

Abraham donnerte an die Tür des Mannschaftsraumes und schrie:

Alle Mann an Deck! Segelbergen!

Kurz danach war das Deck lebendig von gleitenden, huschenden Schatten; papageienartig schrille Rufe schallten durch die Nacht. Es hatte aufgehört zu blitzen, aber die Dunkelheit nahm schnell zu, und die Sterne über uns verschwanden bereits in den sich drohend auftürmenden Wolkengebirgen. Da uns beiden nichts daran lag, vom Kapitän beobachtet zu werden, stiegen wir in die Kajüte hinunter. Sonst hätte ich mit Freuden zugegriffen und geholfen; aber unter diesen Umständen war ich entschlossen, kein Tau anzurühren, um meine ablehnende Haltung zu betonen und den Kapitän einzuschüchtern. Hoffentlich sah er dann ein, daß er zu weit gegangen war.

Durch den Lärm auf Deck, durch Abrahams und Mr. Jones' Rufe und den Gesang der Malaien vernahmen wir deutlich die feste Kommandostimme des Kapitäns, die von seinem sonstigen öligen Tonfalle himmelweit verschieden war. Das drohende Wetter schien den Seemann in ihm geweckt zu haben. Klatschend liefen die nackten Füße der Malaien oben hin und her. Helga folgte den Manövern und benannte alles mit dem richtigen Namen.

Ich höre gern die rauhe Seemannssprache aus Ihrem Munde, Helga, aber lassen Sie sie ja nicht den Kapitän hören. Seine Bewunderung kennt sonst keine Grenzen.

Was kann ich nur tun, um in ihm das entgegengesetzte Gefühl hervorzurufen, Hugh?

Ich hoffe, Sie haben es hier unten einigermaßen gemütlich, sagte in diesem Augenblick eine nur zu bekannte Stimme.

Helga erstarrte zur Bildsäule.

Meine Bark ist jetzt gegen den Sturm gerüstet, fuhr der Kapitän fort; aber ich kann Ihnen leider nicht Gesellschaft leisten, ich muß an Deck bleiben. Bitte, betrachten Sie sich ganz als Herrin, Fräulein Nielsen, und geben Sie Punmeamootty Ihre Befehle. Sie können ruhig schlafen gehen; ich wache über Sie, aber darf ich Sie nicht noch einmal bitten, Mr. Jones' Koje zu nehmen?

Doch Helga dankte kurz, worauf der Kapitän, über diese entzückende Mädchenlaune den Kopf schüttelnd, verschwand, während Punmeamootty wie ein Geist hereinglitt.

Jetzt werde ich Abrahams weise Ratschläge befolgen, sagte ich, und die Speisekammer leer essen. Punmeamootty, bringt das Beste zu essen und zu trinken her, was Ihr habt! Gibts nichts anderes, als Rum, keinen Branntwein?

Ja, Herr, Kapt'n haben drei Flaschen für Krankheit.

Gut, bringt eine her, aber schnell müßt Ihr servieren, mein Junge, ehe das Geschaukele losgeht.

Punmeamootty grinste über das ganze Gesicht, und mit affenartiger Geschwindigkeit wurde der Tisch gedeckt. Als der Malaie im Begriff war, den Korken aus der Flasche zu ziehen, betrat der Kapitän die Kajüte.

Was habt Ihr da, Punmeamootty? rief er, ist das der Branntwein?

Jawohl, ich habe welchen bestellt, antwortete ich mürrisch.

Bitte, gehen Sie sparsam damit um, sagte er mit mühsam unterdrücktem Ärger. Ich habe nur drei Flaschen davon an Bord. Damit ging er.

Hurra, Abraham hat recht! lachte ich. Nun wollen wir ihn aber ordentlich kränken.

Helga versuchte, etwas zu essen und zu trinken, und obgleich ich keinen Hunger hatte, tat ich, als ob ich mich mit großer Gier über die Speisen hermachte. Ich klapperte absichtlich mit den Tellern, weil ich mich von dem Kapitän durch das Oberlicht beobachtet wußte, füllte einen Humpen mit Branntwein und Wasser und rief mit lauter Stimme:

Auf unsere baldige Befreiung, Helga! Oder, wenn das nicht geht, auf möglichst schnelle Überfahrt mit dem alten Kasten! Nachher wissen wir ja, was wir zu tun haben. Ausgezeichneter Branntwein! schrie ich, daß man es bis aufs Vorderdeck hören mußte. Schenkt mir noch einmal ein! Es war nur ein Tropfen; ich wollte jedoch so tun, als ob ich die Flasche nicht schonte. Ihr könnt jetzt abräumen, Punmeamootty, und wenn Ihr eine Zigarre findet, wäre ich Euch dankbar.

Wie steht's da unten? Das Gesicht des Kapitäns erschien im Oberlicht.

Danke, wir haben gespeist, erwiderte ich hochmütig; Punmeamootty, die Zigarre, bitte.

Der Kopf verschwand.

Ich nicht wissen, wo Kapt'n haben Zigarren.

Plündert doch seine Kabine, rief ich laut.

Der Bursche schüttelte grinsend den Kopf.

Horch! was ist das? rief Helga plötzlich. Von fern her kam ein Ton wie das dumpfe Brüllen der Brandung. Ein blendender Blitzstrahl schoß durch das Oberlicht und verdunkelte das matt glimmende Licht der Kajütenlampe. Im nächsten Augenblick wurde das Fenster geschlossen und eine Decke darüber gebreitet.

Mein Ölzeug, Punmeamootty! schrie der Kapitän.

Kann das Regen sein? fragte Helga.

Ja, es war Regen; eine wahre Sündflut, untermischt mit ungeheuer großen Hagelschlossen, ergoß sich mit ohrenbetäubendem Getöse über das Deck. Das dauerte ein paar Minuten; dann brach der Lärm plötzlich ab, und man hörte wieder die ferne Brandung toben, aber tiefer, wilder, drohender. Noch ein paar Minuten der Ruhe, dann nahm der Sturm uns in seine Fänge, und im nächsten Augenblicke lag die Bark auf der Seite, während die Sturzseen mit schrecklichem Getöse aufs Hauptdeck stürzten.

Helga wurde durch den Tisch gehalten, unter mir aber brach der Stuhl zusammen; ich fiel der Länge nach auf den Rücken, und über mich stürzte alles, was auf dem Tisch stand. Ich lag in einem wüsten Durcheinander von Marmeladetöpfen, Tellern, Gabeln und Messern, der in tausend Scherben zerschmetterten Branntweinflasche und konnte mich nicht rühren. Helga schrie auf.

Ich bin unverletzt, rief ich.

Vom Achterdeck ertönte jetzt ein heiseres Geschrei, dem ein Knall wie aus einem Vierundzwanzigpfünder folgte.

Da geht ein Segel hin! sagte ich.

Das Schiff rollte und schlingerte und stampfte; ich wurde auf dem Boden hin und her geschleudert und hatte Mühe, mich aufzurichten, ohne mich in den Scherben zu verletzen. Ich stieg aufs Achterdeck. Es war stockdunkel, und als ich die Leiter zum Oberdeck hinaufklettern wollte, trieb mir der Sturm so viel Nässe in die Augen, daß ich, geblendet, kaum etwas sehen konnte. Der Sturm fegte mit furchtbarer Gewalt daher. Es war, als ob eine übermächtige Gewalt uns emporriß, und dann von einer furchtbaren Höhe wieder in die Tiefe schleuderte. Dabei krachte, ächzte und stöhnte das Fahrzeug in allen Fugen, als wenn Tausende von eingesperrten Sklaven um ihr Leben jammerten.

Ich kletterte wieder in die Kajüte hinunter.

Das ist noch schlimmer als auf der »Anina«, Helga, sagte ich.

Ja, und dabei wehte es damals doch ärger. Aber ich fürchte keinen Orkan so sehr wie Kapitän Buntings Lächeln. Er wird gleich wieder hier sein. Ich will lieber zu Bett gehen!

Wir brauchten beinahe eine Viertelstunde, bis wir, uns krampfhaft festhaltend und in der Dunkelheit vorwärts tastend, das Quarterdeck erreichten. Ich fand die Falltür zu unserem Schlafquartier verschlossen, hob sie auf und sah in eine Finsternis, wie in einem Kohlenschacht. Mit aller Lungenkraft schrie ich nach Punmeamootty. Endlich kam er auf allen Vieren angekrochen, bis auf die Haut durchnäßt, denn vorn ging die See beständig über.

Strauchelnd und stolpernd holte er eine Laterne. Helga kletterte mit verblüffender Sicherheit hinunter, und ich reichte ihr das Licht mit der Bitte, es aufzuhängen und brennen zu lassen, da ich mir noch das Wetter ansehen und eine Pfeife rauchen wollte.

Dann tappte ich in die Kajüte zurück, und Punmeamootty, der mir gefolgt war, sah erschreckt auf den Trümmerhaufen. Dann schüttelte er die geballte Faust.

Wir alle sagen: Sturm kommen, weil Kapt'n böser Mann!

Da ich draußen in der Nässe durchgefroren war, ging ich, mich an der Wand entlang tastend, nach dem Schrank und holte mir eine Flasche Rum. In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und der Kapitän trat herein. Sein Schnurrbart hing ihm in feuchten Strähnen über dem Mund, und von seinem Südwester rann das Wasser. Sich an der Tischkante festhaltend und mit dem plumpen Zeigefinger auf die Verwüstung am Boden deutend, schrie er Punmeamootty an:

Wer hat das getan?

Ein Unfall, Kapitän, antwortete ich verdrießlich. Niederträchtiger, alter Kasten, Ihr Schiff!

Wo ist Fräulein Nielsen?

Zu Bett gegangen! Ich setzte mich auf den Deckel des niedrigen Schrankes. Punmeamootty, reicht mir ein Glas aus dem Gestell dort!

Der Mann taumelte und ließ das Glas fallen.

Verdammter Lümmel! brüllte der Kapitän. Tolpatschiger Sohn einer Hündin! Aufräumen! Aber schnell!

Hat Fräulein Helga Licht?

Ich bejahte.

Sie kann fallen und die Laterne hinwerfen. Das ist gefährlich bei solchem Wetter.

Sie ist geschickter als wir alle zusammen.

Gleichviel – ich muß nach Fräulein Nielsens Laterne sehen, sagte der Kapitän, sich der Tür zuwendend.

Ich sprang auf und vertrat ihm den Weg.

Kein Mann betritt Fräulein Nielsens Schlafquartier, so lange sie und ich auf dem Schiffe sind.

Die verschiedenartigsten Gefühle spiegelten sich in seinem Gesicht; er sah auf die Flasche, die ich noch immer in der Hand hielt, und merkte, daß ich in der richtigen Stimmung war, sie ihm an den Schädel zu schleudern, falls er mich aus dem Wege schieben wollte. Außerdem mochte er wohl denken, daß ich nicht ganz nüchtern sei.

Ich kann Ihnen versichern, sagte er, sich mit gewaltsamer Anstrengung zu seiner gewöhnlichen Sanftmut zwingend, daß Fräulein Nielsens Räume mir ebenso heilig sind wie Ihnen. Wollen Sie denn selbst nach dem Licht sehen? Unser aller Sicherheit steht auf dem Spiel.

Ohne zu antworten, setzte ich die Flasche wieder an ihre Stelle, und erregt, denn ich hatte mich auf ein Handgemenge gefaßt gemacht, verließ ich die Kajüte, indem ich Punmeamootty zurief, mitzukommen und die Falltür hinter mir zu schließen. Ob er mir folgte, weiß ich nicht; ich fand die Laterne brennend, löschte sie aus und warf mich vollständig angekleidet aufs Bett. Lange konnte ich bei den wahnsinnigen Schwankungen des Schiffes nicht einschlafen. Zweimal flog ich aus der Bettbank, daß ich mir dabei fast die Glieder brach. Ich rief nach Helga, konnte aber ihre Antwort nicht verstehen.

Gegen Morgen erwachte ich durch den Anprall einer gewaltigen Woge, der wie ein elektrischer Schlag alle Planken des Schiffes erzittern ließ, aus kurzem Schlummer und glaubte bei einem Blick durch die trübe Glasscheibe den Morgen dämmern zu sehen. Ich zog die Stiefel an und tastete mich nach der Falltür, die jedoch verschlossen war, so daß ich nicht heraus konnte. Ich überlegte nun, wie ich mich am besten bemerkbar machen könnte, holte eine lose Planke von meiner Bettstelle und donnerte damit gegen die Luke. Sie wurde nach ein paar Minuten geöffnet und das vertraute rote Gesicht Jakobs sah unter einem zerknitterten gelben Südwester auf mich herab.

Sie hätten noch lange in dieser Mausefalle hämmern können. Mr. Tregarthen, wenn ich nicht zufällig hier untergekrochen wäre, um Schutz zu suchen.

Bergehoch, bis zur Spitze des Hauptmastes reichend, kamen die Wellen heran und zerschellten in wirbelndem Gischt. Die Bark lief unter dichtgerefften Topsegeln; von der farbigen Mannschaft war niemand zu erblicken. Jakob schrie mir ins Ohr, daß alle vor Furcht halbtoll wären.

Es muß bei ihnen noch irgendein Aberglaube mit im Spiele sein; denn sie beten, als ob sie dafür bezahlt würden.

Wer hat denn Wache? fragte ich.

Der Steuermann, antwortete Jakob.

Zu meinem größten Erstaunen war es bereits acht Uhr, doch sickerte nur spärliche Helle durch die dicke, regenschwere Wolkenschicht. Jetzt tauchte auch Helga in der Falltür auf; trotz der gewaltigen Schwankungen des Schiffes schwebte sie leichtfüßig über das Deck auf mich zu.

Was für eine Nacht! rief sie. Ich glaubte, die Bark müsse jeden Augenblick in Stücke gehen.

Wir suchten bald die Kajüte auf, da uns der Sturm trotz des Breitengrades, auf dem wir uns befanden, eisig kalt um die Ohren pfiff. Ich erzählte Helga auch, daß der Kapitän und ich gestern aneinander geraten seien.

So lange dieses Wetter anhält, können wir nichts tun, sagte sie traurig. Unser Traum von Santa Cruz ist ausgeträumt. Ach, ich wünschte, alle drei Masten gingen über Bord!

Wenn nur der Rumpf heil bleibt! fügte ich hinzu.

Ja, wenn nur der Rumpf heil bleibt! Ich möchte vierzehn Tage auf dem Wrack herumtreiben, wenn ich nur die Aussicht hätte, endlich aus dieser lächerlichen Gefangenschaft erlöst zu werden!

Kaum hatte sie ausgesprochen, als der Kapitän eintrat. Er begrüßte Helga, erkundigte sich wortreich nach ihrem Befinden und hielt dabei ihre Hand fest, die sie vergebens zu befreien suchte.

Ich habe Sie noch um Entschuldigung zu bitten, wandte er sich dann an mich. Es ist mir gestern ein Ausdruck entschlüpft, den ich seit Jahren nicht mehr gebraucht habe, aber es kamen so viele Widerwärtigkeiten zusammen, daß wohl auch das frömmste Gemüt einmal außer sich geraten konnte.

Ich antwortete sehr kühl und war entschlossen, meine ablehnende Haltung beizubehalten. Er ging darauf in seine Kabine, um seinen Anzug in Ordnung zu bringen, nicht ohne uns vorher mitzuteilen, daß er die ganze Nacht auf Deck gewesen sei, um über das Schiff zu wachen, dessen Sicherheit ihm seit Montag noch unendlich viel mehr am Herzen liege denn vorher. Inzwischen erzählte ich Helga, wie kräftig der fromme Kapitän fluchen könne.

Also wirklich! Zeigt er sich auch mal von seiner menschlichen Seite! lachte sie.

Sorgfältig zurechtgestutzt, mit leuchtend roter Krawatte, erschien der Kapitän nach einiger Zeit wieder. Da der Koch bei dem Wetter kein Feuer anzünden konnte, mußten wir uns mit kaltem Fleisch und etwas Wein begnügen, worüber sich Kapitän Bunting in Entschuldigungen gegen Helga erschöpfte. Ein Blinder mußte merken, daß er rettungslos bis über beide Ohren verliebt war. Je kälter und zurückhaltender Helga sich benahm, desto feuriger wurde er. Ich hätte nie geglaubt, daß die Eitelkeit einen Mann derartig verblenden könne. Soviel steht fest, dachte ich, diesseits des Kaps trennt er sich unter keinen Umständen von ihr und ist im stillen überzeugt, daß er schon vor dem vierunddreißigsten Grad ihre Einwilligung erringt.

In unerträglicher Langsamkeit schlichen die Stunden des Tages dahin. Matt und elend durch die ewigen Saltomortales des Schiffes blieben wir größtenteils in der Kajüte. Der Kapitän kam und ging, und am Nachmittage machte auch ich mich auf, um in Jakobs Gesellschaft eine Pfeife zu rauchen. Wir stellten uns hinter einen Vorsprung, um ungestört miteinander plaudern zu können. Dabei berichtete er mir, daß es wieder unter der Mannschaft gäre.

Es ist immer dasselbe, sagte er, sie haben wieder Schweinefleisch bekommen. Als ob das nicht egal ist, was sie in ihren Schlund stecken, da in der Küche doch kein Feuer brennt! Es scheint aber, daß sie sich die Behandlung nicht länger gefallen lassen wollen. Als Nakier ihnen, in seiner Sprache natürlich, sagte, daß es wieder Schweinefleisch gäbe, schrien und kreischten sie, wie die Besessenen, und einer fuchtelte sogar mit seinem Messer in der Luft herum. Als ich das sah, kroch ich in meine Hängematte und machte mich so dünn wie möglich: denn ich dachte, wenn der Kerl jetzt Amok läuft, will ich nicht der erste sein, den er absticht.

Wie lange dauerte denn der Tumult? fragte ich.

Nicht lange! Nakier hielt eine Ansprache, nach der sie ganz still wurden; sie schnitten nur scheußliche Gesichter und ballten drohend die Fäuste. Ich sage Ihnen, Herr, bei dem Anblick hätt' ein Eisbär das Schwitzen kriegen können.

Wie denkt denn Abraham über die Sache?

O, der nimmt die ganze Geschichte nicht ernst, er fühlt sich jetzt als halber Offizier und hält es mit dem Kapitän.

Der Kapitän ist total verrückt, sonst müßte er doch sehen, was er mit seinen blödsinnigen Bekehrungsversuchen für Unheil anrichtet, sagte ich. Mir soll es recht sein, wenn die Malaien meutern und das Schiff gewaltsam nach Madeira oder den Kanarischen Inseln bringen.

Abraham hat mir erzählt, daß der Kapitän sich in die hübsche junge Dame verliebt hat. Übrigens kein Wunder! schmunzelte Jakob. Ein verschmitzter Zug trat in das ehrliche Gesicht. Ich kann mir denken, wie Ihnen zu Mut ist, Herr! Denn ich hab' das alles selbst durchgemacht und weiß, was Eifersucht ist ...

Schleunigst ließ ich das Thema fallen und sprach wieder mit ihm von den Malaien, um dann bald die Kajüte aufzusuchen.

Hier unterschied ich im Halbdunkel die Gestalt des Kapitäns dicht neben Helga; er hatte sich zu ihr gebeugt und sprach sehr ernst auf sie ein. Als er mich sah, brach er ab und fragte:

Nun, wie steht es oben?

Das Wetter kann nicht schlechter sein, und der Sturm spielt mit diesem alten Kasten Fangeball.

Gewiß, das Schiff ist alt, aber tüchtig, und hält mehr aus, wie sogenannte schöne Schiffe, erwiderte Kapitän Bunting würdevoll, nahm einen großen Mantel aus dem Schrank und zog ihn an. Wir wollen hoffen, daß Sie nicht mehr lange hier zu bleiben brauchen. Ich hätte von Ihnen ein freundlicheres Benehmen erwarten können, Mr. Tregarthen.

Ich weiß nicht, worauf Sie diese Erwartung gründen, erwiderte ich scharf. Aber was nützt es, uns darüber zu streiten? Ich bitte Sie nur, daß wir vollständig als Fremde miteinander verkehren, so lange wir das Unglück haben, auf demselben Schiff weilen zu müssen.

Nein, sagte er, während er das Gummiband seines Südwesters befestigte, nicht als Fremde! Nächstenliebe sollen wir allen erweisen, und nichts, was Sie auch tun und sagen mögen, junger Freund, soll mich davon abhalten. Ich glaube nicht, daß wir lange zusammen bleiben werden, fügte er bedeutungsvoll hinzu, inzwischen bemühen Sie sich, zufrieden zu werden. Zufriedenheit ist das höchste Glück, und wer sie besitzt, der Reichste.

Er neigte den Kopf mit einer grotesk-segnenden Bewegung, zögerte einen Augenblick, als ob er Helga, die uns den Rücken zukehrte, auch noch ansprechen wollte, drehte sich dann aber kurz um und verließ die Kajüte.

Helga, was hat er mit Ihnen gesprochen? rief ich, als wir allein waren.

Sie kam zu mir und umklammerte meinen Arm, während sie mit heißem Erröten die Augen zu Boden schlug. Wie lieb sie aussah! Ihr Haar leuchtete wie goldiger Bernstein.

Er hat mir gesagt, daß er mich liebt! antwortete sie, mich jetzt frei und offen ansehend.

Da hat er sich ja die beste Zeit ausgesucht! Muß ein Schiffskapitän ausgerechnet beim heftigsten Sturm einem jungen Mädchen einen Heiratsantrag machen!

Die Eifersucht stachelte einen quälenden Argwohn in mir auf.

Und was antworteten Sie ihm?

Ich hasse den Mann, aber konnte ihn nicht schroff abweisen, fuhr Helga fort. Er sprach von seiner Tochter, ganz einfach und natürlich, ohne zu näseln. Er tat mir leid, und ich konnte daher nicht einfach aufspringen und weggehen, das wäre zu roh gewesen.

Aha, deshalb hat er mir auch zu verstehen gegeben, daß meine Anwesenheit hier nicht länger vonnöten ist. Jetzt glaube ich alle Sprichwörter über die Weiber, fuhr ich auf und befreite meinen Arm von ihren Fingern. Wenn er Ihnen noch lange leid tut, dann werden Sie bald aufhören, ihn zu hassen.

Weshalb sind Sie so böse, Hugh?

Die bittenden blauen Augen, die sich mit Tränen füllten, das schöne, betrübte Gesicht vor mir besänftigten rasch meinen eifersüchtigen Grimm und erweckten Selbstvorwürfe in mir. Ich nahm ihre kleine Hand und führte sie an meine Lippen.

Vergeben Sie mir, Helga! Unser stetes Zusammensein hat mich daran gewöhnt, Sie als mein zu betrachten – bis – kurz und gut, ich bin eifersüchtig!

Sie sah mich sonderbar an. Dann trat sie, da Punmeamootty zum Tischdecken kam, wieder an das Fenster und sah in Gedanken versunken, hinaus, wobei ihre schlanke Gestalt in unbewußter Grazie den Bewegungen des Schiffes nachgab.


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