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XXXI.
Olivia's Erinnerungen.

Eine gewisse Weihe schien über das alte Haus verbreitet, als es eine Zufluchtsstätte für die theure trauernde Lady Lucia und die liebliche Lätitia wurde. Erstere war sehr verändert. Ihre stets so sanfte Stimme war leise wie die milden Klänge eines frommen Liedes; ihr stets schwebender Schritt war langsam und schwach; das noch immer reiche Haar, ehemals von wunderbar schöner kastanienbrauner Farbe, war in Silbergrau verwandelt; selbst die Wangen hatten eine andere Wölbung, obgleich sie mir noch ebenso schön dünkten, und ihre Farbe war weit blässer. Alles an ihr schien sich vom Sonnenuntergang in Mondschein verwandelt zu haben. Ihre Stimme und selbst ihre Gedanken schienen aus weiter Ferne herüber zu kommen, aus Regionen, die wir nicht betreten konnten, gleich einer Musik, die über einen stillen Wasserspiegel herüberklingt. Es war, als hätte sie über einen Fluß gesetzt, der sie von uns trennte und über den sie nie mehr herüber kommen könnte, nur den Ruf erwartend, um die dunkeln Höhen jenseits zu erklimmen. Nicht als ob sie im Geringsten traurig oder theilnahmlos oder in sich versunken gewesen wäre; allein sie schien nicht mehr zu uns zu gehören.

Ich hätte gern wissen mögen, ob Lätitia dies eben so bemerkte wie ich. Und oft traten mir Thränen in's Auge, wenn ich die Beiden ansah und bedachte, wie stark das Liebesband war, das sie verknüpfte, und wie schwach der Lebensfaden.

Tante Dorothea nahm Lady Lucia nicht weniger herzlich auf als die Andern. Das Silberhaar anstatt jener Schmachtlocken (das der Kummer so plötzlich gebleicht,) rührte sie unbeschreiblich. Aber Eines setzte ihre Nachsicht auf eine harte Probe. Und mir war sehr bange vor dem Ausbruch, zu welchem es führen könnte, wenn je einmal Tante Dorotheens Gewissen über ihre Gastfreiheit die Oberhand gewinnen sollte.

Lady Lucia hatte zu Hause in ihrem Betzimmer stets eine Art von weißbekleidetem Altar gehabt, auf welchem fromme Bücher lagen, die heilige Schrift, ein Thomas a Kempis, Herbert und andere, und darüber hing die Copie eines Bildes von Albrecht Dürer, den Heiland am Kreuze darstellend, worin die dorngekrönte Leidensgestalt blaß und schauerlich aus der mittägigen Finsterniß hervorleuchtet. Vor diesem erhabenen Gemälde standen zwei goldene Leuchter, welche die Kammerfrauen des Nachts anzuzünden pflegten. Nie werde ich den Ausdruck des Schreckens und Schmerzes auf Tante Dorotheens Zügen vergessen, als sie, bald nach Lady Lucia's Ankunft, eines Abends diese Vorrichtung gewahrte. Zwar bemeisterte sie sich so weit, Lady Lucia nichts darüber zu sagen, ihr nur gute Nacht zu wünschen und einige Vorschriften in Bezug auf die Biermolken zu geben, welche sie ihr gebracht hatte; aber den feierlichen Ton ihrer Stimme und den ernsten Ausdruck ihres Gesichts vermochte sie nicht zu verbergen. Nachher berief sie uns feierlich in das Kabinet meines Vaters, um uns mit ihrer Entdeckung bekannt zu machen.

»Ein Götze, Bruder!« schloß sie ihre Mitteilung; »ein Greuel! In diesem Augenblick wird Götzendienst unter diesem Dache getrieben, er wird den Blitzstrahl des Himmels auf uns Alle herabziehen!«

»Ich selbst möchte ein solches Mittel zur Beförderung der Andacht nicht gebrauchen, Schwester Dorothea,« sagte mein Vater, »aber was wolltest Du, daß ich thun sollte.«

»Beförderung der Andacht!« rief sie aus. »›Du sollst Dir kein Bildniß noch irgend ein Gleichniß machen.‹ Fege sie aus mit dem Besen der Zerstörung, und wirf die Götzen den Maulwürfen und Fledermäusen hin.«

»Schwester Dorothea, Du wirst mir doch nicht zumuthen wollen, mit Hammer, Axt und Stricken dieses gemalte Ding aus Lady Lucia's Zimmer wegzuschleppen.«

»Eure Augen sollen nicht schonen,« versetzte sie feierlich.

»Aber vor Allem müßte ich wissen, daß Lady Lucia sich wirklich davor niederwirft und es anbetet.«

»Das sind spitzfindige Unterschiede, Bruder, Unterhandlungen mit dem Erzfeinde. Der Himmel verhüte, daß sie nicht unser Verderben herbeiführen, wie ehedem das des Josaphat.«

Denn obgleich Tante Dorothea nicht mehr über Privatsünden zu Gericht sitzen wollte, so hätte sie es doch für Gottlosigkeit gehalten, dies zu unterlassen, wo es sich um Ketzerei handelte.

»Schwester Dorothea,« wendete Tante Gretchen ein, »in meinem Vaterlande gebrauchen fromme Männer und Frauen solche Dinge für ihre häusliche Andacht sowohl als auch in den Kirchen, ohne deswegen Götzendiener zu werden.«

»Das mag schon sein, Schwester Gretchen,« versetzte Dante Dorothea trocken. »Die Hand, welche die Epistel des heil. Jacobus einreißen wollte, konnte wohl auch einige Götzen stehen lassen. Eine Eule sieht besser als ein blinder Mensch; aber sie ist kein Führer für diejenigen, deren Augen an das Tageslicht gewohnt sind.«

Tante Gretchen erschrak über diese Profanität, Dr. Luther mit einer Eule zu vergleichen, so sehr, daß sie den Streit völlig aufgab. Dieser endete damit, daß mein Vater erklärte, in seinem Hause solle völlige Gewissensfreiheit herrschen; und Tante Dorothea betheuerte, sie werde, welches auch die Folgen sein möchten, nimmermehr zugeben, daß eine Seele in ihrem Bereiche ungewarnt den breiten Weg des Verderbens gehe.

Diese Drohung erhielt uns in ängstlicher Spannung. Mit der größten Vorsicht suchten wir zu verhindern, daß die beiden Gegnerinnen allein beisammen blieben, wovon die eine so entschlossen und die andere so ahnungslos war.

Endlich jedoch erschien der gefürchtete Moment.

Es war in den ersten Tagen des April, zwei Wochen nachdem Lady Lucia und ihre Tochter sich unter unser Dach geflüchtet hatten.

Dr. Antonius war von London gekommen und hatte Nachrichten gebracht, die uns sehr beunruhigten.

Die presbyterianische Majorität im Unterhause wollte, in der Voraussetzung, daß der Bürgerkrieg zu Ende sei, das Heer auflösen, dem man diesen Ausgang verdankte, und das sie noch mehr als den König fürchtete, da es meist aus Independenten bestand.

Im Februar hatten die Presbyterianer für den Beschluß gestimmt, daß kein Offizier unter Sir Thomas Fairfax einen höhern Rang einnehmen sollte, als den eines Obersten, in der Absicht, Oliver Cromwell, Ireton, Ludlow, Blake, Skippon und Algernon Sidney, kurz jeden Befehlshaber, der das Vertrauen der Armee besaß, und unter dem sie ihre Siege erfochten hatte, zu verdrängen.

Ueberdies sollte das Heer aufgelöst werden, ohne seinen Sold, der noch von einem halben Jahre rückständig war, zu erhalten. Auch wurde der Vorschlag gemacht, die Soldaten, welche noch beisammen behalten wurden, sollten nach Irland geschickt werden, um die dortigen Angelegenheiten zu ordnen, und zwar unter neuen presbyterianischen Anführern, anstatt derer, die sie kannten und zu denen sie Vertrauen hatten.

Tiefe Entrüstung herrschte in der Armee. Allein sie war schon von dem Gesetz gezügelt und in so geregelter Weise ausgedrückt, als ob das Heer ein Gerichtshof gewesen wäre. Die Regimenter versammelten sich, hielten Berathungen und setzten eine Eingabe auf, worin sie ihren rückständigen Sold forderten und sich weigerten, nach Irland zu gehen, außer unter Anführern, die sie kannten. »Was den Wunsch betrifft, daß der rückständige Sold bezahlt werden möchte,« sagten sie, »so zwingt uns das Bedürfniß, besonders unserer Soldaten dazu. Wir haben unsere Güter, manche von uns ihre Gewerbe und ihren Beruf Andern überlassen, auf die Annehmlichkeiten eines ruhigen Lebens verzichtet, um Euretwillen die Mühseligkeiten des Krieges für nichts achtend. Darum hofften wir, der Wunsch unsern sauer verdienten Sold zu erhalten, werde Euch keine unliebsame Forderung dünken und Ihr würdet uns darum nicht der mindesten Unzufriedenheit oder beabsichtigten Meuterei zeihen.

Vater sagte, Niemand könne die Wahrheit hievon bezweifeln. Das Parlamentsheer hatte sich nicht für seinen rückständigen Sold durch Plündern entschädigt.

Am 3. April waren drei Soldaten – Adjutanten (oder Agitatoren, wie Einige sie nannten) mit einer ehrerbietigen, aber entschiedenen Botschaft an das Unterhaus gesandt worden. General Cromwell, der seinen Sitz im Hause behauptete, trotz den ihm wohlbekannten Anschlägen, ihn in den Tower gefangen zu setzen, erhob sich und sprach ausführlich über die Gefahr, die Armee auf's Aeußerste zu treiben.

Und nun brachte Dr. Antonius die Nachricht, General Cromwell sei zu Saffron Walden, um der Armee das Versprechen der Schadloshaltung und des rückständigen Soldes zu bringen. Auch übergab er uns einen kurzen Brief von Roger, welcher die Ueberzeugung aussprach, es werde nun Alles gut gehen.

Diese Nachrichten hatten uns so beschäftigt, daß wir erst eine geraume Weile, nachdem Tante Dorothea uns verlassen hatte, ihre Abwesenheit bemerkten.

Tante Gretchen war die erste, welche deren Entfernung gewahr wurde und den Grund ahnte. Sogleich begab sie sich nach Lady Lucia's Zimmer, von wo sie ein Paar Minuten darauf zurückkehrte und, meine Schulter berührend, mir mit wichtiger Miene zuflüsterte:

»Olivia, man muß der Sache Einhalt thun; Lady Lucia ist blaß wie ein Geist; Fräulein Lätitia glüht wie eine Damascenerrose und Deine Tante Dorothea redet lateinisch.«

Dies war Tante Gretchens Ausdruck für die polemische Sprache. Sie sagte, das Englische bestehe aus zwei Elementen – aus dem Deutschen, das sie verstehen könne und wir gebrauchten, wie sie sagte, wenn wir von Dingen, die uns am Herzen liegen, von Geschäften, von Liebe oder Religion auf friedliche und freundliche Weise redeten. Aber das Latein gehe über ihren Horizont. Das enthalte lange Wörter, die auf ation, atical oder arian endigten, und die stets auf's Tapet kämen, wenn ein Streit im Anzuge sei. Dann zog sie sich stets zurück. Und diese kriegerische Rüstung hatten Tante Dorotheens Gedanken jetzt angelegt. Daher hielt es Tante Gretchen für das Beste, daß ich meinen Vater aufforderte, den Streit zu unterbrechen.

Ich trat sogleich zu ihm und benachrichtigte ihn von der Gefahr. Er schien halb ärgerlich, halb belustigt.

»Dr. Antonius,« sagte er, »Ihre ärztliche Hülfe ist droben von Nöthen. Meine Schwester hat den Bürgerkrieg wieder begonnen.«

Ich flog die Treppe hinauf, um die Ankunft der Herren zu melden.

In dem Augenblick, als ich in das Zimmer trat, hatte die Controverse ihren Höhepunkt erreicht. Lady Lucia saß blaß und aufrecht auf einem Stuhl mit hoher Lehne und sagte mit schwacher Stimme, die Thränen in den Augen:

»Fräulein Dorothea, ich bin keine Papistin und hoffe nie eine zu werden.«

Lätitia stand hinter dem Stuhle ihrer Mutter, sie mit einem Arm umschlingend, die eine Hand auf ihre Schulter gelegt, wie ein Kämpe, mit bebenden Lippen und glühenden Wangen, und erklärte, es gebe schlimmere Ketzer als die Papisten, und schlimmere Tyrannen als die Inquisition. Indessen stand Tante Dorothea, so bleich wie Lady Lucia und mit so bebenden Lippen wie Lätitia, Beiden gegenüber, während das Bewußtsein, Zeuge oder Märtyrerin für die Wahrheit zu sein, in ihr mit dem Gefühl stritt, daß sie von Andern als ein Inquisitor und Peiniger von Märtyrern betrachtet werde.

»Wenn es Ihnen gefällig wäre, Lady Lucia,« sagte ich, »mein Vater meint, Dr. Antonius, der unten ist, könnte Ihnen einen heilsamen Trank verschreiben. Er hat ausgezeichnete Recepte gegen den Husten.«

Und noch ehe sie antworten konnte, war mein Vater mit Dr. Antonius an der Thüre. Tante Dorothea sah sich in ihrem Zeugnisse unterbrochen, ohne die Möglichkeit noch ein letztes Wort hinzu zu setzen.

 

Dr. Antonius schien auf den ersten Blick den Stand der Dinge zu begreifen. Mit ruhiger Höflichkeit, welche ihn sogleich einführte und ihn zum Herrn des Schlachtfeldes machte, näherte er sich Lady Lucia, fühlte ihr den Puls, fand ihn ein wenig ungleich und fieberhaft, befahl, daß die Fenster geöffnet würden, und daß Alle außer Fräulein Lätitia das Zimmer verlassen sollten. Eine kühlende Arznei, die er zur Hand hatte, hoffte er, werde das Uebrige thun. Als ich im Begriff war wegzugehen, bat mich Lätitia zu bleiben, was ich sehr gerne that.

Bald waren wir alle drei ruhig um Lady Lucia's Stuhl versammelt; Lätitia saß (an ihrem Lieblingsplätzchen) auf einem Kissen zu den Füßen ihrer Mutter, ich ganz nahe dabei am Fenster, und Dr. Antonius auf die Lehne ihres Stuhles gestützt. Sie unterhielt sich mit ihm auf Französisch, das sie mit merkwürdig ächtem Accent sprach, wie ich es noch nie von ihm hatte sprechen hören. Ich weiß nicht, wie es kam; aber mir schien, als ob die Muttersprache seinem Gesicht eine ganz ungewohnte Lebendigkeit, seinen Augen ein neues Feuer verlieh; und ich fühlte mich sehr beschämt und unwissend, daß ich an dem Gespräch nicht Theil nehmen konnte. Allein dies währte nicht lange. Lady Lucia hatte die Gabe zu errathen, was in dem Gemüthe vorging; sie rief mich zu sich her, ließ mich an ihrer Seite auf einem Schemel Platz nehmen, nahm meine Hand zwischen die ihrigen, und ermunterte mich mitzusprechen, so gut ich konnte, und sagte, ich hätte gerade den niedlichen, englischen Accent, den einige Landsleute der armen Königin Henriette Marie so reizend gefunden.

Sie veranlaßte Dr. Antonius uns – immer in französischer Sprache – rührende Geschichten von seinen Vorfahren zu erzählen, von ihren Heldenthaten und den Gefahren, denen sie mit genauer Noth entronnen. So verging eine Stunde, und wir waren Alle Freunde, durch den leichten Zauber ihrer Liebenswürdigkeit verknüpft; der vorhergegangene Sturm und Alles war vergessen, als wir zum Abendessen gerufen wurden.

Indem sie Dr. Antonius ihre Hand zum Abschied bot, sagte sie lächelnd:

»Ich bitte Sie, Fräulein Dorothea über meine Rechtgläubigkeit zu beruhigen und sie zu versichern, daß die Opfer der St. Bartholomäusnacht meine ganze Theilnahme besitzen. Und Olivia, kleiner Kämpe,« sagte sie, meine Stirne küssend und mir die Wange streichelnd, »glaube nie mehr, daß es nöthig sei, einen Streit zwischen Deiner Tante und der alten Freundin Deiner Mutter zu schlichten. Ich achte sie von Grund meines Herzens für ihre Gewissenhaftigkeit. Und wenn sie mehr als nöthig um meinen Glauben besorgt ist, so sollten wir es einander nicht übel nehmen. Ich weiß, es hat sie große Ueberwindung gekostet, mich so zu ermahnen, und ich weiß nicht,« setzte sie lächelnd hinzu, »ob sie mich nicht mehr liebt als Ihr alle.«

»Fräulein Olivia,« sagte Dr. Antonius, als wir an diesem Abend in der Dämmerung am Fenster saßen, während mein Vater an seinem Schreibtische beschäftigt war, »ich wollte nur, daß christliche Frauen begriffen, welch erhabenes Werk sie vollbringen könnten, wenn sie ihren wahren Platz in der Kirche einnehmen würden.«

»Und worin bestände dies?« fragte ich, nach der Erfahrung des vergangenen Tages vermuthend, daß es wohl die Rolle eines stummen Zuschauers sein dürfte.

»Dafür zu sorgen, daß Moral und Theologie, Liebe und Wahrheit nie von einander getrennt werden,« versetzte er, »uns zu den Seligpreisungen zurückzuführen, wenn wir anfangen zu verwünschen, uns zu den Personen zurückzuleiten, wenn wir uns in Abstraktionen verwirren; statt Bücher voller Dogmen, seien diese nun die der Orthodoxen oder der Arminianer, oder der Supralapsarier und Anderer, uns eine Heimath zu geben, eine lebendige Welt, voll von dem Vater, dem Sohne und dem Tröster, von Engeln und Brüdern; dafür zu sorgen, daß wir nie den Gedanken des lebendigen Gottes zu einer metaphysischen Formel und noch am allerwenigsten zu einer bloßen Zahl versteinern; – uns nie vergessen zu lassen, daß der Hauptzweck der Erlösung ist, uns zu Gott zu leiten, und der Hauptzweck der Kirche, uns gut zu machen. Und wenn wir die lebendige Wahrheit beschnitten und in die enge Unveränderlichkeit unserer theologischen oder philosophischen Definitionen hinein gezwängt haben, sollten die Frauen uns wieder anhauchen mit der unergründlichen Einfalt jener Weisheit, welche himmlische Ehrfurcht über kleine Kindergesichter ergießt und himmlischen Frieden in die Augen der Sterbenden. Sie sollten die Fenster offen halten, damit wir aus unsern Erklärungen heraus in die Unendlichkeit Gottes schauen und unsere scharfsinnigen, bestimmten, unveränderlichen, scholastischen Ausdrücke in die einfachen unendlichen, gerade ihrer Lebendigkeit wegen immer wechselnden Worte des täglichen und ewigen Lebens übersetzen; so daß Heiligkeit niemals eine finstere oder mystische, von der Frömmigkeit verschiedene Eigenschaft bedeutet, oder Rechtschaffenheit nur etwas Gesetzmäßiges, von Gerechtigkeit ganz Verschiedenes; oder Demuth eine übernatürliche Gabe, ganz verschieden von dem einfachen Bestreben, stets sanft und großmüthig, selbstverleugnend und geduldig zu sein; oder ›Brüder‹ einen geistlichen Sammelnamen, der mit dem einzelnen ›Bruder‹ in keiner Beziehung steht. Wenn die Frauen ihr Werk in der Kirche vollbringen lernen, wird die Kirche das ihre in der Welt vollbringen.«

»Sie sprechen mit großer Begeisterung,« sagte mein Vater, seinen Schreibtisch verlassend und lächelnd seine Hand dem Dr. Antonius auf die Schulter legend; »das weibliche Geschlecht, wovon Sie sprechen, ist etwas edler als das der Eva.«

»Mariens Ave hat den Namen Eva's verklärt, wie ein altes Lied sagt,« versetzte er. » Ecce ancilla Domini (Siehe, ich bin des Herrn Magd) wird lauter und weiter schallen, und länger im Gedächtniß bleiben als das Wort: Die Schlange verführte mich und ich aß. Allein,« setzte er hinzu, »wir haben ein besseres Vorbild als Maria, für Frauen sowohl als auch für Männer, in Ihm, der nicht kam, daß Er sich dienen lasse, sondern daß Er diene. Ich dachte nur soeben an die Gaben, welche, scheint mir, am häufigsten bei Frauen, am wenigsten bei Polemikern zu finden sind, nämlich Phantasie und einfacher gesunder Menschenverstand; Phantasie, welche von den Zeichen zu dem, was die Zeichen bedeuten, durchdringt; welche, zum Beispiel, die tiefe Bedeutung solcher Worte wie ›Ewigkeit‹ und ›Verfluchte‹ ahnt; welche hinter den Eigenschaftswörtern Calvinistisch oder Arminianisch die Substantive Männer und Frauen, deren theologische Ansichten sie bezeichnen, herausfindet; – und gesunder Menschenverstand, welcher sich weigert, eine Folgerung anzunehmen, wenn dieselbe unserm angebornen Instinkt für Recht und Unrecht widerstreitet, möchte auch der Weg dahin noch so eben und durch die vollkommenste Logik bezeichnet sein.«

»Mit andern Worten,« versetzte mein Vater, »Sie wollen sagen, daß bei den Frauen das Herz öfter die Irrthümer des Kopfes verbessert, als dies bei uns Männern geschieht, weil wir's nicht so gerne gestatten. Allein wir dürfen nicht vergessen, daß auch das Herz nicht unfehlbar ist, und daß dieselben Eigenschaften, welche aus den Frauen die größten Heiligen bilden können, auch die schlimmsten Polemiker aus ihnen machen. Da Theologie und Moral in ihren Herzen so eng verschlungen sind, so kämpfen sie gegen einen Irrthum, als ob er eine Sünde wäre. Abstraktionen, ja selbst Gebräuche und Ceremonien gelten ihnen häufig so viel als persönliches Leben, und sie sind fähig, dieselben so gut wie den Charakter eines Gatten oder Sohnes mit blinder, leidenschaftlicher Heftigkeit zu vertheidigen.«

»Die besten Gaben werden durch Mißbrauch zum ärgsten Fluche,« sagte Dr. Antonius.

»Ist es nicht gerade die Niedrigkeit unseres Berufes, die ihn so erhaben macht?« wagte ich zu bemerken. »Können wir verhindern, daß unsere Stimme gellend wird, wenn wir sie laut erheben wollen?«

»So stimme nur die Deinige da, wo ich zuerst erfuhr, wie süß sie ist, mein Herzblatt,« sagte mein Vater, mir die Wange streichelnd, »an Krankenbetten oder an Kinderwiegen, oder im Hause der Trauer, oder wo immer ein gutes Wort nöthig ist und nur von dem gehört wird, an den es gerichtet ist – dort gewinnt die Frauenstimme ihren ächtesten Klang.«

 

Am nächsten Morgen machte ich jenen Gang im Obstgarten mit Dr. Antonius, wo er mir das Geheimniß anvertraute, das mein Vater durchaus (höchst ungerechter Weise, denk' ich) als den Grund seiner hohen Erwartungen in Bezug auf die künftige Bestimmung der Frauen erklären wollte.

Ein Paar Stunden später, nachdem ich ein wenig allein geblieben und dann mit Dr. Antonius niedergekniet war, um den Segen meines Vaters zu empfangen, und angefangen hatte mein Glück ein wenig zu begreifen, ging ich, Lady Lucia die Nachricht mitzutheilen, und erzählte ihr, wie seltsam es mir vorkomme, daß Dr. Antonius sage, er habe schon lange daran gedacht, während ich mir doch nie davon hatte träumen lassen. Darauf küßte sie mich liebreich auf die Stirne und erwiderte lächelnd:

»Höchst seltsam, Du arglose, kleine Puritanerin! Denn mir fuhr der Gedanke durch den Sinn, als ich Euch das erste Mal beisammen sah, und das war gestern Abend. Ach, Olivia!« setzte sie zärtlich, aber mit zitternder Stimme hinzu, »ich habe einst andere Wünsche gehegt. Wenn mein Harry am Leben geblieben und dies arme, zerrissene Land zum Gehorsam zurückgekehrt wäre, hatte ich gehofft, Dich vielleicht bei dem theuersten Namen nennen zu dürfen. Allein Gott hat es nicht gewollt. Und ich bestrebe mich, so viel ich kann, Seinen Willen zu dem meinigen zu machen. Er hat Dir das Herz eines frommen Mannes geschenkt. Und ich bezweifle nicht, daß Du es Dir bewahren wirst.«


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