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Cassegruche.

I.

Noch einmal war ein goldig warmer Spätherbsttag eingetreten, der es dem Grafen Rabutin gestattete, die Stunden seiner »Rekreation« zusammen mit dem beichtväterlichen Gesellschafter auf der hohen luftigen Terrasse der Bastille zu verbringen.

Und also hatten die beiden, was der Graf über eine Woche lang entbehrt, endlich von neuem über sich den hellen Himmel und um sich her in weitem trapezförmigem Viereck das steinerne Gezack einer durchbrochenen Mauerkrone, zwischen deren Lücken die bronzenen Mäuler langhalsiger Kartaunen über den Rand hinaus starrten hoch über schwindelnder Tiefe, wo weithin ein erstaunliches Panorama sich ausbreitete. Das silbergrau blinkende Band eines Flusses zog sich da drunten hin in Bogen und Krümmungen und zerteilte sich in schmälere Bänder, die jedoch bald wieder zusammentrafen: nicht in grüner Landschaft, sondern, so konnte es aussehen, wie zwischen grauem und bräunlichem Felsgeklüft, das sich fast unabsehbar erstreckte mit zackigem Gegipfel von Mauern und Firsten – einem starren steinernen Ozean gleich, in dessen Mitte, ungefähr da, wo das Stromband sich zum zweitenmal teilte – ein grauschwarzes Ungetüm aufragte, mit scharfkantigem, stacheligem Rücken, am Kopf zwei stumpfe Glieder gleich den Riesenfühlhörnern eines versteinerten Monstrums grad in den Himmel streckend.

Eine Gesprächspause war wieder eingetreten, und man hörte eine kleine Weile keinen andern Laut als die Tritte der beiden rotmontierten Schildwachen, die mit ihren Musketen auf den Schultern an der entgegengesetzten Seite der Terrasse in gemessenem Tempo auf und nieder schritten, und jedesmal, wenn sie in der Mitte zusammenstießen, in strammer Wendung voreinander Kehrt machten.

– Ihr wart schon einmal in der Bastille? unterbrach der Jesuit die Stille.

– Mit einundzwanzig Jahren, antwortete der Graf. Und als der Pater schwieg: Ich sehe es Euch an, Ihr wüßtet gern, was damals mein Verbrechen war. Aber es ist eine umständliche Geschichte, ich fürchte Euch zu langweilen.

– Wenn Euch das Sprechen nicht ermüdet ...

– Ermüden! Es ist mir eine Wohltat. Ich fühle mich gesund werden vom Laut meiner Stimme. Aber setzt Euch, Herr Pater. Man hat Euch da einen schlechten alten Stuhl hingestellt, nehmt vorlieb, ich bitte Euch. Wenn ich Eure Ohren so hoch über mir weiß, kann ich nicht erzählen. Und noch eins erlaubt zuvor. He, Baptist!

Ein Lakai in Livree, der in einiger Entfernung parat gestanden, eilte herzu.

– Den andern Mantel noch, befahl der Graf, es fröstelt mich. Die Oktobersonne hat verdammt wenig Kraft, wandte er sich entschuldigend an den Pater, und ich war in der vergangenen Nacht wieder nicht ohne Fieber.

Der Jesuit half zuvorkommend dem Lakaien, der seinen Herrn in einen zweiten schwarzen Mantel wickelte, und der Graf begann also:

– Wie Ihr wißt, Pater, sagt man, daß ich für meine Bosheit hier sei; die Leute mögen recht haben. Aber das erste Mal war's für meine Gutmütigkeit. Man kann eben für eine Sache bestraft werden und auch für ihr Gegenteil. Und wirklich war meine damalige Gutmütigkeit ein viel sträflicheres Ding als meine literarischen Bosheiten von heute oder gestern. Nur meine Jugend konnte mich in gewissem Grad entschuldigen.

Ihr erinnert Euch, Ehrwürden, wie hart mein Vater gegen mich verfahren nach meinem ersten lustigen Feldzug in Lothringen, und wie er mich nachträglich wegen meines Duells von Vanves zur Strafe in die Akademie des Herrn Benjamin steckte. Ich blieb nicht lange darin. Mein Vater fing von neuem an zu kränkeln, und als im Sommer der Krieg gegen Spanien in Flandern zum Ausbruch kam, übertrug er mir, ich stand jetzt schon am Anfang meines achtzehnten Jahres, von neuem sein Regiment. Der Kardinal hatte auch diesmal seine Einwilligung dazu nur gegeben unter der Bedingung, daß mein Vater versprach, immer noch die Hand über dem Ganzen zu halten. Er gestattete, daß ich ihm vorgestellt werde. Immerhin erwies sich der gefürchtete Staatsmann bei dieser Gelegenheit sehr gnädig. Es war zu St. Germain, ich sehe ihn noch heut – aber nicht wahr, Ihr seid in der Chronologie, man schrieb 1641, es war also noch nicht der von heute, der habsüchtige Italiener, der erst später an die Spitze der Geschäfte trat, es war noch Richelieu, der Gewaltige – ich sehe ihn noch heute vor mir, wie er, seinen spitzen Knebelbart leicht mit den weißen Fingern liebkosend, aus seinem schmalen, aber gegen die Stirne hinauf sich mächtig verbreiternden Gesicht über dem Purpurtalar hoch auf mich niederschaute. Denn ich war noch nicht ausgewachsen. »Ist Eure Frau Mutter schon lange tot?« fragte er. »Meine Mutter lebt, Eurer Eminenz zu dienen,« war meine Antwort. »Was,« rief der allmächtige Priester, indem er tat, als ob er ganz erstaunte Augen machte, »und sie erlaubt, daß Ihr schon so jung in den Krieg zieht?«

»Es ist mein zweiter Feldzug, Eurer Eminenz zu dienen,« gab ich selbstbewußt zurück. Der Ton meiner Entgegnung schien Seine Eminenz zu belustigen. »Ihr könnt es einmal weit bringen«, sprach sie etwas spöttisch. Damit war die Audienz zu Ende.

Und sagt, Pater, hat er nicht gut prophezeit, der spöttische Kardinal. Wenn man es bis zur Bastille bringt ...

– Ihr seid noch heut ein jugendlicher Mann, und der Marschallstab ...

– Hing mir, wie Ihr behauptet, schon vor der Nase; Sapperlot, ja; aber lassen wir's gut sein.

Der unvergeßliche Kardinal hat noch einmal das Wort an mich gerichtet. Das war ein Jahr darauf, nach der Eroberung von Arras, wo er mich just am Tag nach der Einnahme der Festung zu sich nach Abeville beschied. »Ich habe die Ehre, sagte er, Euch den Dank des Königs zu übermitteln für Eure heldenhafte Führung – ich hatte dem Feind einen großen Zug Proviant abgeschnitten trotz der dreifachen Stärke seiner Bemannung. Nur Eure außerordentliche Jugend, fuhr der Kardinal fort, hindert Seine Majestät, Euch zum Gouverneur des Platzes zu ernennen. Niemand bedauert das mehr als ich, und ich bitte Euch, zum Zeichen meiner Erkenntlichkeit und Bewunderung diesen Ring von mir anzunehmen. Ja, ich bewundere Euch, und wenn ich nicht Richelieu wäre, möchte ich Bussy-Rabutin sein.« Er hatte wahrhaftig diesmal keinen Grund zum Spott; aber sein Wort war zu überschwenglich, um nicht doch ein wenig danach zu riechen.

Er ist fünf Monate darauf gestorben. Ein wahrhaft großer Mann ist mit ihm dahingegangen. Und wenn seine Rede an mich vielleicht falsch war, sein Diamant war es nicht. Seht, wie er funkelt.

Der Erzähler hatte seinen Handschuh abgestreift und ließ einen Stein vom reinsten Wasser an der Sonne blitzen.

Der fromme Asket im Jesuitenkleid schenkte Stein und Ring kaum einen flüchtigen Blick.

– Was für nichtigen Dingen doch die Menschen einen Wert beilegen, sprach er nachlässig.

– Ihr meint das gewiß aufrichtig, Pater, entgegnete der Gefangene, und es kommt Euch von Herzen; aber Ihr werdet mir zugeben, daß Euer Orden den Besitz von Geld und Gut nicht eben verachtet. Gerade mit einem gelegentlichen diskreten Geschäft in solchen Steinen, munkelt man, sollen die ehrwürdigen Väter schon Hunderttausende verdient haben ...

Der Jesuit machte nur eine stumme Bewegung mit der Hand.

– Jedenfalls werdet Ihr mir glauben, fuhr der andere fort, daß mir der Stein nicht deshalb so am Herzen liegt, weil er vielleicht zweitausend Pistolen wert ist. Geld und viel Geld haben Unzählige von dem großartigen Kardinal erhalten; aber daß er ihnen eigenhändig einen Ring an den Finger gesteckt, dessen können sich wenige rühmen; keiner, dem er das getan hätte als einem Siebzehnjährigen. Sogar mein Freund Saint-Preuil, der, zehn Jahre älter als ich, damals an meiner Statt Gouverneur von Arras geworden ist, hat mich um diese Gunst beneidet.

Dennoch hat mir mein Diamant Unglück gebracht. Ohne ihn wäre ich jenes erste Mal vielleicht nicht in die Bastille gekommen.

Der Feldzug hatte meine Gesundheit angegriffen, ich verbrachte den Winter in Paris und am Hof in einer nichts weniger als musterhaften Lebensführung. Man hat mich viel deswegen getadelt, und es ist wahr, ich war immer ein schlechter Hofmann. Feierliche Empfänge, zeremonielle Bälle und die ewigen Jagden: das ganze höfische Wesen langweilte mich zum Sterben. Es muß die poetische Ader in mir sein; ich habe mich immer gelangweilt bei diesem Hof-Hokuspokus. Die Jagden fand ich besonders abgeschmackt. Am glücklichsten war ich, so lang ich nicht im Felde lag, mit meinem Ovid am einsamen Kamin.

Oder wenn einmal standesgemäß dem Vergnügen gelebt sein sollte, dann lieber so toll als möglich. Und so trieb ich's jenen Winter. Weiber, Spiel, Duelle, lärmende Gelage im Kreise abenteuerlicher Gesellen bildeten meinen täglichen Zeitvertreib. Gegen das Frühjahr aber erkrankte ich ernstlich, und als sich zwei Jahre später die große Kampagne in Deutschland eröffnete, wo drei französische Heere mit dem Herzog von Enghien, dem nachmaligen Condé und den Marschällen von Guébriant, Gramont und Türenne gegen die Kaiserlichen fochten, da lag ich elend danieder und hatte das Nachsehen.

Von Ärger und Krankheit zerfressen, schleppte ich mich den halben Sommer hin, und mein Schloß zu Burgund, in das man mich gebracht hatte, erschien mir wie der schlimmste Kerker. Ihr kennt mich als eifrigen Katholiken, ehrwürdiger Vater, und begreift vielleicht nicht meinen Kummer darüber, daß ich mich von einem Unternehmen ausgeschlossen sah, wo der Allerchristlichste König und älteste Sohn der Kirche seine Apostolische Majestät bekriegte im Bündnis mit den Protestanten, die wir alle verabscheuen.

– Die Politik wollte es so, brummte der Jesuit unwirsch.

– Und ich als junger Krieger – ich hatte noch immer mein neunzehntes Jahr nicht überschritten – kümmerte mich den Teufel drum, wer der Feind oder Freund war. Mir galt es gleich, auf welchen Feldern mein Lorbeer wuchs, wenn ich mir ihn nur pflücken durfte.

Ich erklärte mich darum eines Tages selber für gesund, gegen alle Einsprüche der Ärzte, und rekrutierte von neuem mein Regiment, das während meiner Krankheit, in der Schlacht von Marfée, wo der Herzog von Soissons den Tod fand, man weiß heut noch nicht wie, fast vernichtet worden war. Und am 21. Juli des Jahres machte ich mich auf den Marsch. Am 16. August erreichte ich Philippsburg. An demselben Tage kam der Herzog von Enghien, in einer Sänfte getragen, dort an, er war bei Nördlingen verwundet worden. Diese Gelegenheit, in einer großen Schlacht mit dabei zu sein, war also versäumt. Vom 19. auf den 20. August kampierte ich bei Bruxelles, Bruchsal meint der Erzähler. Den nächsten Abend in Viseloh, und zwei Tage später nahm ich teil an der Erstürmung von Wimpfen. Von hier datiert mein erstes Zusammentreffen mit Türenne.

Und gleich hatte ich auch einen Zank mit ihm. Der Marschall hatte drei Regimenter in die Stadt gelegt, darunter das meinige, und hatte einen Kapitän aus dem Lager von Heilbronn zum Gouverneur gesetzt. Das war aber eine Ungerechtigkeit. Uns drei Obersten und Regimentskommandeuren einen Offizier geringeren Grades zum Vorgesetzten zu geben, ging so sehr gegen Gesetz und Herkommen, daß wir beschlossen, uns diesen Affront nicht gefallen zu lassen. Nur mit ausdrücklicher Vollmacht des Königs durfte der Marschall so handeln. Ich begab mich deshalb mit den Kommandanten der beiden anderen Regimenter zu Türenne, und wir baten ihn, seine ungerechte Verfügung zurückzunehmen. Der Marschall zog die engverwachsenen dicken Augenbrauen hoch (die seiner Physiognomie einen so unangenehmen Ausdruck verleihen), hob, wie er auch sonst im Gespräch aus reiner Angewöhnung zu tun pflegt, die linke Schulter gegen das Ohr, machte ein spöttisches Gesicht und – blieb bei seiner Entscheidung.

Türenne ist ja unstreitbar der erste Feldhauptmann unseres Königs. Zu seinen größten Eigenschaften gehört seine absolute Uneigennützigkeit. Selten hat ein Mann so das Geld verachtet wie er. Als er in Deutschland die französische Armee befehligte, hätte er Millionen zusammenraffen können. Er kam mit leeren Taschen über den Rhein zurück und genießt noch heute bei den Deutschen der höchsten Achtung.

Leider ist er über die Maßen eitel. Sein neugebackener Titel eines Fürsten gilt ihm mehr als seine begründetsten Ruhmestitel. Wie lächerlich. Aus dieser Eitelkeit fließt seine andere große Schwäche, jeden andern zu demütigen, in dem er einen Ebenbürtigen wittert.

Dazu kommt, daß er zwar gut spricht (von seiner lächerlichen Angewohnheit, von Zeit zu Zeit die linke Schulter in die Höhe zu ziehen, abgesehen), aber schlecht schreibt. Er hat sich darum eingeredet, daß nichts so innig zusammengehört, als ein großer Mann und ein schlechter Stil. Wer einigermaßen mit der Feder umzugehen weiß, ist ihm verdächtig, besonders wenn der Mann sein Untergebener ist. Damals in Wimpfen war vielleicht noch keine besondere Absicht bei seinem willkürlichen Handeln. Aber ich ärgerte mich deshalb nicht weniger und entschädigte mich durch lustige Spottverse, die ihm zu Ohren kamen und ihn mir zum Feinde machten bis auf den heutigen Tag.

– Euere Stachelverse sollen Euch schlecht bekommen sein, warf hier der Jesuit ein.

– Nun ja, versetzte der Gefangene, er war mein Vorgesetzter, er hatte die Macht, er konnte mir schaden. Und er hat es redlich getan. Von seinen Rapporten an den Kardinal könnte man nicht sagen, daß sie von meinem Lobe trieften. Aber er hat sich dafür auch grün und blau geärgert. Denn er verstand gar keinen Spaß, der große Mann. Er war der richtige Hugenotte. Nüchtern und trocken. Und ich kann Euch sagen, Hochwürden, er hat sich vor meinen Scherzliedern mehr gefürchtet als vor drei feindlichen Armeen. Das war doch auch eine Genugtuung.

Und ich hatte damals in Wimpfen noch eine andere. Es war da eine schöne junge Witwe, von Gouttemberg hieß sie, deren Schlößchen in der Nähe zerstört worden und die deshalb Quartier in der Stadt genommen. Die Höflichkeit verlangte, daß ich sie besuchte. Ich fand sie begehrlich, ich machte ihr den Hof. Sie tat ungemein spröd, aber da ich nichts fürchtete, wagte ich das Äußerste, und nach drei Tagen ... doch wem sage ich diese Dinge? Verzeiht, ehrwürdiger Vater.

Pater Nouets dünnasiges Gesicht zuckte mit keiner Miene; der Graf erzählte weiter.

– Nach drei Tagen, ergänzte er, war die blonde Deutsche meine Geliebte. Und ich habe in meinem Leben keine zärtlichere gekannt. Es folgten nun einige Tage, die zu den schönsten meines Lebens gehören ... Ihr verzeiht, Hochwürden. Ich würde einem heiligen Mann, wie Ihr seid, nicht solche Dinge erzählen, wenn ich nicht meinen Beichtvater in Euch sähe.

Der Pater hüllte sich in eisiges Schweigen.

– Macht kein allzustrenges Gesicht, Hochwürden, fuhr der Erzähler fort, mein Glück war von kurzer Dauer. Ich wurde schon nach wenigen Tagen abkommandiert. Die Belagerung um Heilbronn schloß sich enger zusammen und ich erhielt mein Quartier in einem fast gänzlich zusammengeschossenen Dorf, diesseits des Flusses, kaum eine halbe Meile von der Stadt. Zu tun gab es hier einstweilen nichts; doch wurde von dieser Seite ein Ausfall der Feinde erwartet. In einem halbzertrümmerten schloßartigen Gebäude richtete ich mich mit meinem Stab ein so gut es gehen wollte, und in meinem Müßiggang dachte ich nur immer zurück an die süßen Schäferstunden von Wimpfen, die ich übrigens gern verschmerzt hätte, wenn ich wenigstens einmal ordentlich ins Treffen gekommen wäre.

Statt dessen ein unbedeutender und langweiliger Dienst. Da mußten Großtaten der Tafel, verbunden mit tausenderlei Possen, wobei gewisse deutsche Edelleute die Kosten zu tragen hatten, uns für die fehlenden Heldentaten auf dem Schlachtfelde schadlos halten. An einen solchen Scherz erinnere ich mich. Der Marschall Gramont, der zu Oehringen im Quartier lag, hatte mich eines Tages zu einer Gasterei geladen, die in ein richtiges Bacchanal auslief. Beim Nachtisch erschien ein Graf Hoheloh, um dem Marschall seine Aufwartung zu machen. Seine Manieren und sein bäuerisches Französisch belustigten uns aufs höchste. Und nicht weniger lustig fanden wir es, daß bald ein zweiter Graf Hoheloh, ja ein dritter und vierter sich meldete. Sie alle waren Söhne des regierenden Herrn am dortigen Orte, und nach deutscher Mode nannten sich alle zusammen Grafen. Als der vierte erschien, konnte der Marschall nicht mehr an sich halten. Herr von Büssy, rief er mir zu, ich trinke auf das Wohl der Herren Grafen von Hoheloh und sollten es hundert sein. Die ganze Gesellschaft brach in ein schallendes Gelächter aus, der deutsche Graf aber glaubte wunder, was man ihm für eine Schmeichelei gesagt habe.

Am siebenten Tag erhielt ich einen Brief von der Geliebten. Ihr Stallmeister überbrachte ihn mir. Länger als drei Jahre habe ich diesen Brief mit mir herumgetragen, aus allen möglichen Schlachtfeldern; dann aber habe ich ihn verbrannt, weil ich ihn nie lesen konnte, ohne Tränen zu vergießen. Nie habe ich je einen so zärtlichen Brief bekommen. Er war in schlechtem Französisch geschrieben; aber dieses Gestammel einer zarten und innigen Leidenschaft hätte einen Felsen erweichen mögen. Als es Nacht geworden, hieß ich meinen Bedienten zwei Pferde satteln; wir nahmen einen Bauern als Wegweiser mit, kurz, ich hatte noch einmal, nachdem wir uns bereits fürs Leben verabschiedet, eine Liebesnacht mit der Schönen, die mir lange gedachte. Es mochte gegen vier Uhr des Morgens sein, als ich in mein Quartier zurückkam. Ich ließ mich von meinem Bedienten entkleiden, und nachdem ich dem Kerl noch einmal anempfohlen, beim geringsten Alarm zuerst meinen Oberstleutnant im Saal nebenan und dann mich zu wecken, warf ich mich aufs Lager mit bleiernschweren Gliedern. Plötzlich fühle ich, daß mir am Finger der Ring des Kardinals fehlte. Aber der Schlaf hatte mich bereits in seiner Gewalt, in halbem Bewußtsein dachte ich noch, ich werde ihn, wie mirs schon einmal vorgekommen, mit meinem Handschuh abgestreift haben, und er werde sich am Morgen schon finden.

Es herrschte noch tiefe Dämmerung, als ich unsanft aufgerüttelt wurde. Also endlich wieder einmal ein Gefecht! Der Gedanke genügte, um mich vollkommen munter zu machen. Und dann nichts als in die Rüstung und aufs Pferd. Unten im Hof harrten auch schon mein Oberstleutnant und die Kapitäne meiner Befehle. Ich nahm die Meldung der Stafetten entgegen, gab meine Orders. In zwei Stunden eines hitzigen Angriffs war der Feind zurückgeschlagen. Wir hatten nur sieben Mann verloren, darunter meinen Tölpel von Bedienten, der mir ein Reservepferd bereitzuhalten hatte und dumm genug gewesen war, sich von einer Musketenkugel ins Ohr schießen zu lassen.

Soweit ging alles gut, ich saß mit meinen Hauptleuten wohlgemut bei einem vergnüglichen Frühstück, da fällt mir auf einmal der Ring ein. Er hatte sich nicht im Handschuh gefunden. Ich mußte ihn also verloren haben.

Oder – ein garstiger Gedanke stieg in mir auf. Die Dame Gouttemberg hatte sich einmal angelegentlich danach erkundigt und dabei begehrende Blicke nach dem Stein geworfen. Sollte sie ihn mir vom Finger gezogen haben in der vergangenen Nacht? Die Schändliche, dachte ich, und schwur bei mir, mich grausam zu rächen.

Den ganzen Tag brachte ich den Gedanken an das verlorene Kleinod nicht aus dem Kopf. Gegen den Abend traten drei Musketiere aus meiner ersten Kompagnie bei mir ein. Ich kannte die Kerle persönlich seit zwei Jahren. Es waren alle drei tapfere Soldaten, aber sonst standen sie eben nicht im besten Ruf. Einer von ihnen wäre in dem ersten flandrischen Feldzug wegen Diebereien um ein Haar gehenkt worden. Den beiden andern wurden allerlei brutale Gewalttätigkeiten nachgesagt. In meinem Mißmut fuhr ich sie hart an. Was sie wollten? Da trat just derjenige unter ihnen hervor, den sie La Ganache nannten, der nämliche, dem bei Arras der Strick zugedacht war.

»Wir bringen dem Herrn Grafen da einen Ring,« sagte er zögernd. Ich fuhr in die Höhe, ich riß ihm das Juwel aus der Hand. Es war der Ring des Kardinals.

Und was meint Ihr, Pater, wo sie ihn gefunden hatten? In der Tasche meines getöteten Bedienten, dieses Halunken. Die drei waren beauftragt worden, die Toten zu begraben. Sie hatten in diesem Fall das Recht, den Leichen die Taschen auszuleeren, und so hatten sie in dem Rock jenes Schurken den Ring entdeckt.

Die Ehrlichkeit der drei rührte mich. Ich machte La Ganache zu meinem Bedienten, der mir dankbar die Hand küßte, und seine beiden Kameraden, Marion hieß der eine und der andere Cassegruche, entließ ich mit einem Geschenk und schmeichelhaften Worten.

– Eure Handlungsweise zeugt von geringer Klugheit, ließ der Pater einfließen.

– Ja, ich habe wenig Talent für diese Tugend, sprach der Graf zustimmend. Man ist nicht ungestraft ein Poet.

Am Tage darauf, setzte er seinen Bericht fort, es war der 14. September, kapitulierte Heilbronn und bald darauf zogen wir uns über den Rhein zurück. Wir mußten auf Winterquartier bedacht sein, in Deutschland aber war daran nicht zu denken. Dort war alles ratzekahl ausgefressen und allerorten herrschte Hunger und Pestilenz. Alle Dörfer waren niedergebrannt, die übrig gebliebenen Bauern hausten in den Wäldern bei den wilden Bestien. Seit siebenundzwanzig Jahren wütete der Krieg in dem unglückseligen Lande. Da ist einer gegen alle und alle gegen einen. Das rauft sich wie Hund und Katze. Niemand weiß dort etwas von einem Vaterland. Die Feldobersten dienen dem, der am besten bezahlt. Die Fremden werden als Freunde, die Einheimischen als Feinde angesehen. Kurz, es ist ein unsäglicher Wirrwarr. Wir Franzosen führen Krieg, nicht um unser Haus zu zerstören, sondern um es schöner und größer auszubauen ...

Verzeihung, Hochwürden, sprach der Graf, Ihr wünscht zu reden.

– Ich möchte Euch nur darauf aufmerksam machen, begann der Jesuit mit verhaltener Stimme, daß wir, dank unseren Kalvinisten, auch in unserem schönen Frankreich schon solche Zustände, ja noch viel schlimmere und bösartigere geschmeckt haben. Und ohne die entschlossene Tat der Bartholomäusnacht würden es die Hugenotten bei uns auch den heutigen Tag noch genau so treiben, wie drüben die Evangelischen. Ohne diesen Geniestreich eines sonst so schwachen und kranken Königs – so hinfällig mußte die Majestät sein, damit die Hand Gottes, die dabei mitwirkte, um so deutlicher erkannt werde – ohne diese, wie sage ich nur, ohne dieses göttliche Eingreifen stünde es heut mit dem König, wenn es überhaupt noch einen König gäbe, um kein Haar besser als um seine apostolische Majestät den Kaiser. Ja, haben wir nicht trotzdem, wir selber, einen Heinrich von Rohan erlebt, dem es nur an Kraft und Fähigkeiten, nicht aber an dem guten Willen gefehlt hat, sein Vaterland mit Hilfe der Spanier und Engländer zu zerreißen und auf den Tod zu verwunden? Und noch ist Frankreich nicht außer aller Gefahr. Noch haben wir das Edikt von Nantes, diese Achillesferse unseres Königtums.

Das Gesicht des Grafen zeigte, daß ihm der Pater aus der Seele sprach. Über dem schmalen blonden Schnurrbärtchen in den sein geschnittenen Flügeln seiner Adlernase vibrierte es leidenschaftlich. Er mochte an Türenne denken. Seitdem der große Marschall, der nüchterne Hugenott, sein Feind war, haßte er die Hugenotten dreimal. Er galt am Hof für einen Freigeist, ja für einen Atheisten, und seine berüchtigten »Liebesgeschichten«, derentwegen er in der Bastille saß, zeugten von nichts weniger als frommer Gläubigkeit, aber das hinderte ihn nicht, sich mit Leib und Seele – mit Seele und Leib – als Katholik zu fühlen.

– Wenn das, was man munkelt, wahr ist, sagte er jetzt, so werden wir es bald den Bemühungen Eurer heiligen Gesellschaft zu danken haben, daß jenes unheilvolle Edikt ...

– Erzählt weiter in Eurer Geschichte, Herr Graf, unterbrach der Jesuit mit fast unhöflichem Ton.

– Verzeiht, entschuldigte sich der andere ehrerbietig, ich kann mir wohl denken, daß die Gesellschaft Jesu, so gut wie ein anderer Staat, ihre Staatsgeheimnisse hat. Also Retournons à nos moutons, vielmehr zu unfern Musketieren, denn um die handelt es sich jetzt immer mehr. Ich bekam mein Winterquartier in Moulins angewiesen. Dort nahm ich Wohnung in der Vorstadt der Karmeliter in einem ansehnlichen Hause, das den hl. Christoph im Schilde führte. Einige Tage darauf kam die schöne Helene von der Queulle, seit kurzem Gräfin von Büffet, nach Moulins, wie sie sagte, um ihre dortige Schwester im Kloster zu besuchen, wahrscheinlich aber, um sich eine lustige Woche zu machen, und der Teufel wollte es, daß sie in demselben Hause zum Sankt Christoph abstieg, wo ich mein Quartier hatte. Nun weiß ich nicht, war es, weil mir die Schöne von Wimpfen noch im Gemüt lag oder daß ich nichts Gutes ahnte, kurz, ich ließ mehrere Tage verstreichen, ohne ihr meine Aufwartung zu machen. Man sagte mir, daß die Dame mehr als gewöhnlich schön sei. Um so mehr nahm ich mir vor, mich fern zu halten. Ich fürchtete, mich in etwas einzulassen, das mich zu weit führen könnte, und ich hatte mir vorgenommen, diesen Winter einmal ausnahmsweise vernünftig zu bleiben.

Mit solchen fast hugenottischen Vorsätzen in der Seele muß ich der Schönen eines Vormittags auf der Treppe begegnen. Und siehe, am Nachmittag befand ich mich auch schon zu Besuch bei ihr.

Der Pater nickte.

– Ja das Volk hat recht, wenn es sagt, der Weg zur Hölle sei mit guten Vorsätzen gepflastert.

– Mir schien es mehr der Weg zum Paradies, gestand der Graf treuherzig, und ich merkte gleich, daß ich ihn zu Ende gehen werde trotz allen Sträubens vorher. Ich habe mir auch längst mein Sprüchlein darauf gemacht:

Der Mann denkt,
Das Weib lenkt.

– Den Schwachen, moralisierte der Jesuit.

– Den Starken erst recht, sprach der Graf mit Lachen. Denkt nur an den hl. Herkules am Spinnrocken jener Omphale, die nicht einmal jung gewesen sein soll; oder an den frommen Samson, der sich auf dem wollüstigen Bette einer gemeinen Buhldirne das von ihr abschneiden ließ, worin eben seine Kraft lag. Gerade die Starken, die Stärke und Kraft zum wegwerfen haben, sind in diesem Punkt die Schwachen. Das ist meine Moralphilosophie, und ich halte – die Glaubensvorschriften unserer heiligen Religion in Ehren – jede andere für Unsinn oder Heuchelei.

Wie dem aber auch sei, ich selber war damals jedenfalls schwach, und ehe abermals drei Tage vergingen, saß ich im Reisewagen der schönen Gräfin und machte mit ihr eine Hochzeitsreise, so lustig als gewiß selten eine gemacht worden ist. Nach vier Wochen erst kehrte ich in vorzüglichster Laune nach Moulins zurück. Aber da erfuhr ich leider als Allererstes eine recht ärgerliche Geschichte. In derselben Vorstadt der Karmeliter, wo ich im Hause zum Sankt Christoph mein Quartier hatte, war in der Nacht zuvor ein Kirchenraub begangen worden. Zwei meiner Soldaten waren in betrunkenem Zustand durch das zerschlagene Fenster in die Kirche von St. Jakob eingedrungen und hatten auf dem Hochaltar den Tabernakel erbrochen. Sie standen gerade im Begriff, sich des Kelchs und des heiligen Ziboriums zu bemächtigen, als der Pfarrer, der neben der Sakristei in einer Kammer schlief, vom Geräusch erweckt, hinzukam und ohne ein Wort zu verlieren auf die Wache lief, womit er denn auch die Verhaftung der Missetäter glücklich bewirkte.

So stand ich also vor einem recht unbehaglichen Geschäft, abgesehen davon, daß man mir berichtete, wie ein lebhaftes Gemurre in der Bürgerschaft umginge, wo das kirchenschänderische Unternehmen überall mit großem Unwillen und nicht ohne Kritik meiner laxen Manneszucht besprochen wurde. Ich nahm mir deshalb vor, für dieses Mal ein Exempel zu statuieren. In aller Frühe des andern Morgens berief ich meine Hauptleute zum Kriegsgericht zusammen, und die beiden Malefikanten wurden vorgeführt. Sie traten kaum, die Hände auf den Rücken gebunden in den Saal, als ich in ihnen meine zwei Heilbronner Musketiere erkannte, den Marion und den Cassegruche. Die Schlingel taten mir leid, denn ich konnte ihnen nicht zutrauen, daß sie in nüchternem Zustand einer derartigen Schändlichkeit fähig gewesen wären. Ich hatte seit Heilbronn, wo sie mir mit ihrer Ehrlichkeit einen wahrhaften Dienst erwiesen, nichts Nachteiliges mehr über sie gehört, vielmehr wußte ich, daß sie sich bei ihren Kameraden großer Beliebtheit erfreuten. Aber zu retten waren sie nicht. Das Gericht verurteilte sie einstimmig zum Tode. Ich ließ das Regiment auf dem Markt im Viereck mit offener Seite aufstellen und die Malefikanten wurden, nachdem sie zuvor ihre Paten gewählt, – nämlich die Leute, die Feuer auf sie geben sollten, an zwei Pfosten festgebunden. In diesem Augenblick traten die sämtlichen Fähnriche des Regiments vor mich und baten um Gnade für die Delinquenten. Diese taten mir selber am meisten leid, sie waren beide bartlose Jünglinge, nur wenig älter als ich, und der Wein, der sie ihrer Vernunft beraubt hatte, trug die Hauptschuld an ihrem Verbrechen. Als die Soldaten mein Zaudern bemerkten, schöpften sie Hoffnung, und das ganze Regiment, wie aus einem Munde, rief: Gnade, Herr Kommandant, Gnade. Wie hätte ich widerstehen können!

Pater Nouet hörte dies mit mißbilligender Miene.

– Ihr tatet nicht wohl, Herr Graf, bemerkte er. Es konnte dem allmächtigen Gott nicht gefallen, zwei Verbrecher ungestraft zu sehen, die sich ruchlos an ihm selber vergriffen hatten.

– Er hat mich hinlänglich dafür gestraft, entgegnete der Graf, die beiden Musketiere haben mich zwei Jahre darauf in die Bastille gebracht.

– Damit bewahrheitet sich nur die alte Erfahrung, erwiderte der Jesuit ernst, daß die größten Laster und Unordnungen der Vorgesetzten an sich ein geringeres Übel sind, als eine zu große Nachsicht gegen die Verfehlungen ihrer Untergebenen. Aber fahrt weiter fort, in Eurer Erzählung, denn Ihr habt mich wirklich begierig gemacht, wie es zwei gemeinen Soldaten, deren Wohltäter Ihr waret, möglich wurde, Euch in die harte Gefängnishaft zu bringen.

– Ihr seid zu gütig, Herr Pater.

II.

Eine Zeitlang schwieg der Graf, er schien in seinem Gedächtnis zu suchen.

– Ich will hoffen, half ihm sein Gesellschafter, daß Ihr die beiden Kirchenräuber, die Ihr vom Tode errettet, wenigstens mit Schande weggejagt habt.

– Wollte Gott, ich hätte es getan, gab der Graf dawider; aber da die endgültige Begnadigung durch den König, die nachträglich eingeholt werden mußte, erst nach Monaten eintraf, als der ärgerliche Vorfall längst vergessen war, ließ ich die Strafe für die beiden Halunken einzig darin bestehen, daß ich sie aus der Kompagnie Mestre de camps, die, wie Ihr vielleicht wisset, sich mancher Privilegien erfreut, in eine geringere Kompagnie versetzte, trotzdem gleichzeitig mit dem Begnadigungsschreiben ein Brief von Mazarin eingelaufen war, der mir wegen der Ausschreitungen meiner Soldaten die härtesten und rücksichtslosesten Vorwürfe machte. Ich haßte aber den Kardinal schon damals, und sein verächtlicher Ton bestärkte mich nur in meinem Trotz.

– Das war übel getan, urteilte der Pater.

– Und es ist mir übel bekommen, den beiden Schuften aber ebenfalls. All meine Gutmütigkeit konnte sie nicht vor dem Galgen bewahren. So wenig wie den Dritten, genannt La Ganache, den ich in Heilbronn unter meine Bedienten aufgenommen. Ihr erinnert Euch, es war der, der mir damals den Ring des Kardinals Richelieu wiederbrachte. Er mußte schon im folgenden Jahre während des zweiten Feldzuges in Flandern daran glauben, den ich als neugebackener Generaloberst unter Ludwig von Bourbon, damals noch Herzog von Enghien, mitzumachen die Ehre hatte. Seit diesem Feldzug mit der Eroberung von Dünkirchen und der ruhmreichen Einnahme von Mardick im Gefolge, datiert die Popularität des Prinzen, den das Volk seitdem den großen Condé nannte.

– Ja, nickte der Jesuit wohlgefällig, und damals, nach der Einnahme von Mardick, hat man selten zwei Namen so oft genannt, als den seinigen und den Euren.

– Ich weiß, ich weiß, bestätigte der Erzähler abwehrend. Man hat es mir an Lob nicht fehlen lassen. Den Lohn ist man mir noch schuldig. Dankbarkeit war nie die Sache Mazarins. Sie war sein geringster Fehler, würde der närrische Lafontaine sagen. Aber gut, jedermann weiß, daß der König die Einnahme von Mardick mir zu verdanken hat. Niemand weiß dagegen, daß ich bei einem unvorsichtigen Sturm auf die Schanzen ohne meinen treuen La Ganache, der sich meinen Angreifern wie ein Löwe entgegenwarf, getötet worden wäre. Ich verdanke ihm das Leben. Und drei Tage darauf konnte ich das seinige nicht retten. An diesem Morgen machte ich einen Ritt durchs Lager und komme zufällig am Galgen vorüber mit einer Menge Volks umher und einem Dieb auf der Leiter. Gnade, Gnade, Herr Generaloberst, rief mir der Delinquent zu. Es war La Ganache. Er hatte, wie ich erfuhr, einem Kameraden die Uhr aus der Tasche gestohlen und darauf stand allerdings der Strick. Ich näherte mich dem Profossen und bat ihn, die Hinrichtung etwas zu verziehen, ich wolle selber Seine Königliche Hoheit um Gnade anflehen für den Armen. Und in gestrecktem Galopp ritt ich nach dem Quartier des Prinzen, der mein Gesuch ohne Umstände gewährte. Als ich aber zum Galgen zurückkam, war Ganache gehängt. Und was sagte der rohe Kumpan von einem Profossen? »Ich konnte den Leuten, die einmal zusammengelaufen waren, doch den Spaß nicht verderben.« Dazu lachte das Ungeheuer. Auch eine Art Gutmütigkeit, nicht wahr. Hochwürden?

– Vielleicht weniger tadelnswert als die Eurige, sprach der Priester überzeugt.

– Kann sein. Wenigstens hatte die meinige für mich persönlich schlimmere Folgen. Unserem wahrhaft ruhmreichen Feldzug von Flandern folgte im nächsten Jahr, immer unter der Führung Ludwigs von Bourbon, der sehr wenig glorreiche von Katalonien. Wenn Prinz Ludwig noch nicht der große Condé gewesen wäre, in dieser unglücklichen Kampagne hätte er sich den Namen nicht verdient. Den unerwartetsten Ausgang aber nahm die vermaledeite spanische Exkursion für mich. Ich durfte mich, wie schon angedeutet, in der Bastille von meinen Strapazen ausruhen.

Das ging so zu. Nach einer dreimonatigen vergeblichen Belagerung der Festung Lerida gab Condé seine Sache für verloren und wir zogen uns, nicht ohne schweren Verlust, über die Pyrenäen zurück. Ich nahm den Weg nach Burgund. Das Verfehlte der ganzen Sache und mancherlei Verrätereien der Bevölkerung hatten uns allen ein wenig die Laune verdorben.

– Vielleicht auch noch andere Dinge, erlaubte sich der Zuhörer mit vieldeutigem Lächeln zu unterbrechen. Man hat mir einmal eine Skandalgeschichte erzählt, die, wenn ich mich nicht täusche, sich während der Belagerung von Lerida zugetragen haben soll. Ob Euer Name dabei genannt wurde, wüßte ich nicht mehr zu sagen.

– Zweifelt nicht daran, Hochwürden. Aber man hat aus der Mücke einen Elefanten gemacht. Man hat in Paris die Sache arg entstellt, und obwohl ich am wenigsten daran beteiligt war, mag sie doch, als ich bald darauf in Ungnade verfiel, wie ich zu erzählen im Begriff stehe, nicht wenig dazu beigetragen haben. Ich will Euch darum den Hergang wahrheitsgetreu berichten. Es war am Tag vor Peter und Paul, der Vicomte von Lavallière hatte bei den Verschanzungen des Marschalls Gramont den Dienst des Tages; er mochte sich langweilen und lud seine besten Freunde zum Essen zu sich. Ich stand an diesem Tag bei den Laufgräben des Prinzen Ludwig nach einer anderen Seite der Stadt und nahm die Einladung Lavallières um so lieber an, als ich zwei junge Edelleute von der Partie wußte, meinen Kameraden Jumeaux und den Grafen Barbantane, von der leichten Reiterei des Herzogs von Enghien, mit denen es unmöglich fiel, sich zu langweilen. Nun wollte es der Zufall, daß die Schanzen des Marschalls das weitläufige Mauerwerk einer alten Kirche zum Mittelpunkt hatten, deren Chor noch ziemlich erhalten war. Und hier fand ich bei meiner Ankunft bereits sämtliche Freunde, an die zehn oder zwölf, um die gedeckte Tafel. Trotz der frühen Stunde herrschte die ausgelassenste Laune. Ich wurde mit lautem Hallo begrüßt, und als nach dem vierten oder fünften Gang eine kleine Kapelle von Violinisten ankam, die sich Lavallière von Condé erbeten hatte, kannte der Jubel keine Grenzen mehr. Denn Ludwig von Bourbon war kein Hugenotte. Dieser Sproß aus königlichem Blut war überhaupt ein Mann von anderem Kaliber als der bigotte Türenne. Er fragte nicht nach Gott und dem Teufel. Eigentlich kannte er nur einen Gott: seinen Ruhm. Alles andere im Leben behandelte er als Bagatelle. Sein Grundsatz war: Leben und leben lassen. Er gönnte seinen Offizieren einen Spaß. Kopfhängen haßte er. Unser Bacchanal wäre durchaus nach seinem Geschmack gewesen. Wir wußten das und taten uns nicht den geringsten Zwang an. Immer lauter wurde der Tumult, Jumeaux war der erste, der zum Tanzen aufforderte. Er begann auch sofort einen Cancan vor dem Hochaltar, andere folgten ihm und bald war alles auf den Beinen.

»Meine Herren, eine Dame«, hörte ich plötzlich den Grafen Barbantane rufen. Er hielt wahrhaftig eine Dame an der Hand, eine Dame in Leichentüchern, eine Art Mumie. Ohne daß wir darauf geachtet, hatte er eine Grabplatte aufgehoben, hatte darin die Tote entdeckt. Und das Gespenst im Arm mischte er sich unter die Tanzenden.

Crimen sacrilegii, stieß der Priester hervor. Der Erzähler überhörte das Wort.

– Als Barbantane genug hatte, fuhr er fort, trat er die seltsame Partnerin an den Leutnant Bretêche ab, der die Posse bald bis zum Äußersten trieb. Mir graute vor dem Spiel; und obwohl ich nicht weniger wie die andern unter der Herrschaft des Weines stand, mißbilligte ich streng die abgeschmackte Posse. Sie spotteten meiner erst, ließen sich aber doch endlich bewegen, die arme Tote in ihre Ruhestätte zurückzubringen. Alles setzte sich wieder zu Tisch, das Zechgelage begann von neuem, und nach dem Tanzen bekam man es mit dem Singen. Fromm waren die Lieder nicht gerade, wir gehörten alle nicht zu der Gemeinde der Prediger, aber zu unserer Ehre muß ich doch sagen, daß allein der kleine Bretêche die unanständigen Worte zugleich mit unanständigen Handlungen begleitete.

So weit hatte sich das Bacchanal gesteigert, als beim Herannahen der Dunkelheit der Marquis La Trousse erschien, der Lavallière für die Nacht ablösen sollte. Er war gekommen, um sich von diesem Instruktion zu holen, und wollte sich zurückziehen, als er uns bei Tafel sah. »Bleiben Sie nur, Kamerad,« rief er dem Vicomte zu; »ich bin kein Spielverderber.« Doch Lavallière, weniger betrunken als die andern, erhob sich, um seine Pflicht zu tun, d. h. dem Marquis die Örtlichkeiten zu zeigen und den Dienst zu erklären. »Lassen Sie sich nicht stören, meine Herren, ich werde in fünf Minuten wieder bei Ihnen sein.« Mit diesen Worten ergriff er den Arm des Marquis und schritt hinaus. Er hat zum erstenmal im Leben sein Wort nicht gehalten; schon nach wenigen Augenblicken stürzte sein Diener herein und meldete, daß sein Herr eben von einer Kugel getroffen worden. La Trousse, der gern mit seiner Unerschrockenheit prahlte und diese mit Vorliebe zeigte, wo es am wenigsten verlangt wurde, war statt drunten in den Laufgräben auf deren Erhöhung hingegangen und hatte damit den Vicomte veranlaßt, das gleiche zu tun, den eine Musketenkugel vor die Stirn traf und augenblicklich tötete. Diese Nachricht hinderte uns nicht, unser Bacchanal fortzusetzen, als ob nichts vorgefallen sei; im Krieg geht's einmal so zu.

Acht Tage darauf aber war auch Jumeaux nicht mehr unter den Lebenden, ein hitziges Fieber hatte ihn hinweggerafft.

Diese beiden Todesfälle verursachten das Gerücht, jene Mumie sei der Leib einer Heiligen gewesen. Das war aber nicht der Fall; denn die Kirche stand längst außer Brauch und die genannte Frauenleiche, wie schon die Leichentücher bewiesen, war eine Tote, die erst kurz im Grabe lag und bloß unter dem Einfluß der dortigen austrocknenden Hitze, vielleicht aber auch, weil man sie einbalsamiert hatte, so unversehrt und ohne jede Spur der Verwesung geblieben war. Wenn es die Reliquien einer Heiligen gewesen wären, wie man in Paris erzählte, und Gott hätte die Verunehrung derselben strafen wollen, würde sein Zorn doch nicht gerade die Unschuldigsten unter uns getroffen haben; denn weder Jumeaux noch Lavallière hatten die Tote berührt, dem Grafen Barbantane und dem Leutnant Bretêche aber ist nicht das geringste zugestoßen. So ungerecht kann der Zorn Gottes nicht sein, das ist doch auch Eure Meinung, ehrwürdiger Vater?

– Gottes Absichten sind oft dunkel, sprach in beichtväterlichem Ton Pater Nouet. Ihr sucht den kirchenschänderischen Vorfall mit mehr Eifer zu beschönigen als er verdient; aber freilich, Ihr wart jung.

– Noch nicht einundzwanzig, wie Ihr wißt, und dies unerfahrene Alter muß mir auch im folgenden zur Entschuldigung dienen, wo mein gutmütiger Leichtsinn wahrlich hart genug bestraft wurde.

Ich befand mich also, wie ich schon sagte, auf dem Rückmarsch nach Burgund. Als ich nun eines Tages in der Stadt Nimes Quartier bezogen hatte, erschien vor mir ein ehrsamer Bürger der Stadt, Goldschmied seines Zeichens, und führte heftige Klage gegen vier meiner Musketiere, die bei ihm einquartiert, sich frech aufgeführt hätten, ja noch immerfort seine Nichte, ein unbescholtenes Mädchen, mit ihren Ruchlosigkeiten belästigten. Ich ließ den Buben sagen, daß ich sie hängen ließe, wenn mir noch das Geringste zu Ohren käme. Eine Stunde darauf, als ich gerade beim Essen saß, erschien das Fräulein selber, mich um meinen persönlichen Schutz gegen die Musketiere anflehend, und als ich mich noch kaum von meinem Erstaunen erholt hatte, traten auch die vier Kerle ein. Sie versicherten mir unter den heiligsten Beteuerungen, daß alles nur ein Scherz gewesen sei, daß sie das Fräulein nicht mit dem kleinen Finger angerührt hätten und daß sie jedenfalls nie wieder das geringste Wort an sie richten wollten. Zu meiner Verwunderung erblickte ich unter den vieren sofort den Marion und den Cassecruche, die beiden anderen nannten sich Le Petit und Chanfort.

Ich machte die Frechlinge gehörig herunter vor den Augen des Fräuleins; aber als ich die eingeschüchterte Person darauf entlassen wollte, fiel sie mir weinend zu Füßen und schwur, daß sie um keinen Preis in ihre Wohnung zurückkehren wolle. Ich gab also Befehl, daß man ihr in meinem Quartier ein Zimmer anweise. Dort verhielt sie sich ruhig, bis ich mich anschickte, zu Bette zu gehen. Da trat sie plötzlich herein und bat mich, die Nacht über in meinem Zimmer bleiben zu dürfen, da sie sich sonst nirgends sicher fühle. Ihr Betragen schien mir verdächtig. Ich suchte ihr begreiflich zu machen, daß sie in meinem Quartier durchaus unbehelligt bleiben werde, daß aber mein Schlafgemach der ungeeignetste Aufenthaltsort für sie sei, weil man sagen werde, sie habe einfach den Generaloberst seinen gemeinen Soldaten vorgezogen. Aber alles war umsonst, sie blieb bei ihrem Entschluß. Nun standen in meinem Zimmer vier Betten, und ich befahl meinen Leuten, ihr eins davon zurecht zu machen. Indessen suchte ich selber mein Lager auf. Als meine Bedienung sich zurückgezogen hatte, rief ich das Fräulein und ließ sie auf meine Bettschwinge sitzen; denn ich glaubte ihre heimlichen Absichten wohl erraten zu haben. Ich fragte sie also, ob sie etwa willens sei, dem Kommandanten zu gewähren, was sie seinen Soldaten versagt hatte, woran ohnedies niemand zweifeln werde. Aber sie antwortete mir sehr bescheiden, daß ihr an ihrem Ruf wenig gelegen sei, wenn sie nur ihre Tugend rette. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen, denn das Mädchen, offen gestanden, war weder ganz jung noch sehr hübsch, und mir fielen die Augen zu vor Schlaf; ich schickte das Fräulein in ihr Bett, drehte mich um und schlief ein ... Ihr wolltet etwas sagen, Hochwürden?

Eine verneinende Kopfbewegung des melancholisch dreinblickenden Paters belehrte den Erzähler, daß er sich geirrt habe.

– Als ich am Morgen erwachte, nahm der Graf seine Erzählung auf, überreichte man mir einen Brief. Schon an der Aufschrift erkannte ich die Hand meiner Base, der Marquise von Sévigné, und war hoch erfreut darüber. Wir hatten uns vor Jahren viel geschrieben und ich wußte besser als irgendeiner, was für heitere und unterhaltende Briefe die geistreiche Marquise zu schreiben verstand. Nach ihrer Verheiratung aber war mir das Glück seltener widerfahren und infolge einer kleinen Verärgerung zwischen uns hatte die Korrespondenz seit einiger Zeit ganz aufgehört. Um so glücklicher machte es mich, auf einer Briefaufschrift endlich wieder einmal die liebe Hand zu erkennen, die ich so oft geküßt hatte. Ich sollte sehr enttäuscht werden, der Briefinhalt war nichts weniger als freundschaftlich. In einem ironischen und spöttischen Ton hielt mir die Base das Abenteuer von Lerida vor, und ich sah wohl, in welcher Entstellung und Übertreibung die Geschichte zu ihren Ohren gekommen war.

– Die Sünde rächte sich, ließ der Beichtvater einfließen.

– Um so empfindlicher, gab der Graf zurück, als es auf der Welt keinen zweiten Menschen gab, an dessen Urteil mir so viel gelegen war, als an dem meiner schönen Base, auf die etwas vom Geist unserer Tante, der ehrwürdigen Johanna von Chantal, übergegangen ist.

– Deren Heiligsprechung unser Orden eben in Rom betreibt; habt Ihr sie noch gekannt?

– Ich war als Kind öfter um sie; sie hat mir prophezeit: ich werde der Heilige unserer Familie werden ... Und Ihr lacht nicht, Pater? Nun denn, was nicht ist, kann noch werden. Bei Gott und in der Bastille ist vieles möglich.

Also der Brief meiner Base wurmte mich nicht wenig. Das war kein Spaß mehr. Denn wahrlich, hier ging's um meine Ehre. Im höchsten Ärger sprang ich aus dem Bett, als einer meiner Edelleute, der mit mir im Zimmer geschlafen hatte, herzutrat und mir meldete, daß das Fräulein vom Abend spurlos verschwunden sei, ohne daß die Wache oder sonst jemand sie in der Frühe weggehen sah. Ich antwortete, daß ich von der verrückten Person nichts mehr hören wolle, und ohne mir darüber weiter Gedanken zu machen, kleidete ich mich an. Aber als ich mich gerade zum Frühstück niedergesetzt hatte, traten zwei ehrwürdige Väter Eurer Gesellschaft ein, und da auch sie mir wieder nichts als von dem dummen Gänschen sprachen, steigerte sich meine üble Laune aufs höchste. Die ehrwürdigen Väter zeigten sich dagegen von äußerster Höflichkeit. Sie dankten mir in den verbindlichsten Worten für die Protektion, die ich dem Fräulein angedeihen lasse, und baten mich, ihnen das Mädchen anzuvertrauen, um es der Familie zurückzuführen. Ich gab kurz und bündig zur Antwort, daß sich das alberne Ding heimlich von hier weggeschlichen habe und daß ich weiter nichts von ihr wüßte.

In der ärgerlichen Stimmung, in der ich mich befand, mochte meine Rede ein wenig allzu abweisend ausgefallen sein, denn die beiden Väter gingen, nach ihren Mienen zu schließen, ziemlich unbefriedigt, vielleicht ungläubig hinweg. Es wäre auch in der Tat meine Pflicht gewesen, die Höflichkeit der heiligen Männer mit gleicher Höflichkeit zu erwidern. Man hat sich eben nicht immer in seiner Gewalt.

– Wir wären vollkommen, wenn wir das erreichten, bemerkte Pater Nouet.

– So seid Ihr's, Hochwürden, erwiderte der Gefangene, und ich werde es sicher nie. Aber hört, die frommen Väter hatten etwa seit einer Viertelstunde mein Zimmer verlassen, als ich, von einem Geräusch aufmerksam gemacht, mich umdrehte und – bleich wie eine Geistererscheinung – das Fräulein vor mir stehen sah. »Sie hat unter dem Bett gesteckt,« rief mein Diener, »eben ist sie hervorgekrochen.«

Ich fuhr sie hart an, was sie denn da für eine Komödie spiele. Und warum sie sich nicht gezeigt habe, als die Väter Jesu gekommen waren, sie abzuholen? Sie gab beschämt Antwort. Kein Mensch wurde klug aus ihren Reden. Hatte die Angst ihr den Verstand verwirrt, oder war sie eine elende Heuchlerin? Kurz, ich wußte nicht, was ich von ihr denken sollte.

Ich befahl ihr barsch, mein Quartier zu verlassen und zu ihren Eltern zurückzukehren. Da fiel sie mir abermals weinend zu Füßen und flehte mich an, sie so lang zu dulden, bis ich selber abzöge.

Um sie los zu bekommen, mußte ich sie mit Gewalt vor die Türe setzen. Übrigens war alles zum Abmarsch bereit. Ich vollendete noch mein Frühstück und setzte mich dann zu Pferd.

Unser nächstes Quartier war Lünel. Als ich hier am Abend nach reichlicher Tafel in Gesellschaft meiner ersten Offiziere mich zur Ruhe begeben wollte, meldete sich noch der Musketier Marion mit einer höchst verwunderlichen Mitteilung. Das Mädchen, um das in Nimes so viel Lärm gemacht worden, sagte er mir, sei ihnen freiwillig hierher gefolgt, und befände sich bei seinen Kameraden. Wenn ich Verlangen danach hätte, wollten sie das Fräulein herbringen. Ich schlug das Anerbieten aus, nicht ohne innere Befriedigung, daß ich meinen Argwohn wegen der rätselhaften Person bestätigt fand. Marion hatte mit solch harmloser Heiterkeit erzählt, daß auch nicht der leiseste Zweifel an seiner Darstellung des Sachverhaltes in mir aufstieg.

– Euer Glauben an die Ehrenhaftigkeit eines Kirchenräubers ist etwas verwunderlich, rügte der Jesuit.

– Ihr wollt wohl sagen »in hohem Grade sträflich«, versetzte der Erzähler. Und wahrhaftig, es wäre nicht zu viel gesagt. Hört. Wir kamen nach Montpelliers. Hier war damals Cesar von Choiseul, Marschall von Plessis-Praslin, königlicher Statthalter. Ich machte ihm am andern Morgen meine Aufwartung, ebenso dem Präsidenten des Gerichtshofs, einem Herrn Baron von Breteuil. Dieser sagte mir, daß schwere Klagen gegen mich eingelaufen seien wegen Entführung eines ehrbaren Mädchens aus Nimes durch einen Soldaten.

»Was,« rief ich aus, »diesem Mädchen ist in keiner Weise Gewalt angetan worden. Es ist meinen Soldaten freiwillig nachgelaufen. Wenn einige meiner Musketiere bei ihr geschlafen haben, geschah es mit ihrer Einwilligung und zu ihrer höchsten Befriedigung.«

Dann erzählte ich ihm die Vorfälle in Nimes mit allen ihren Einzelheiten, und ohne auch nur an die Angelegenheit weiter zu denken, begab ich mich in mein Quartier. Um so mehr entrüstete ich mich, als kurz darauf zwei Gerichtspersonen erschienen und im Namen Breteuils die Auslieferung der Musketiere Marion und Cassecruche von mir verlangten. Ich verweigerte sie barsch. Aber schon eine halbe Stunde später meldete sich ein Ordonnanzoffizier der Statthalterschaft und verlangte diese Auslieferung im Namen des Marschalls. Zugleich erfuhr ich, was mir nützlich gewesen wäre früher zu wissen, daß jener Goldschmied aus Nimes im Dienst des Grafen Schömberg stand, der nicht nur der mächtigste Mann jener Provinz war, sondern auch mit dem Kardinal die freundschaftlichsten Beziehungen unterhielt. Dem Marschall-Statthalter konnte ich die Musketiere nicht verweigern. Ich wunderte mich nur, daß er nicht alle viere von mir forderte, gegen die der Goldschmied Klage geführt hatte. Das aber hatte seinen guten Grund. Die beiden anderen, Le Petit und Chanfort, die Schuldigsten unter ihnen, waren gar nicht mit nach Montpelliers gekommen, sondern hatten sich bereits unterwegs aus dem Staube gemacht. Ich war also von den Kerlen recht an der Nase geführt worden.

Wenigstens hoffte ich, die Kanaillen nicht mehr vor Gesicht zu bekommen. Aber das erwies sich noch einmal als ein Irrtum. Als wir am Morgen darauf durch das Tor von Tarascon abzogen, sahen wir linker Hand der Straße, wo sich auf einer kleinen Anhöhe der Galgen erhob, eine Exekution in vollem Gange. Die Delinquenten waren Marion und Cassecruche, und so wollten es meine sonderbaren Freunde von Heilbronn her, daß ich sie alle drei sollte aufknüpfen sehen. Als ich hart am Galgen vorüberritt, stand gerade Cassecruche, den Strick um den Hals, auf der Leiter, und der Schurke war frech genug, mich anzurufen. »Herr Generaloberst,« schrie er mir zu, »kennt Ihr Euren Cassecruche? Lange ging der Krug zum Brunnen, nun zerbricht er. Hoch der Generaloberst.« »Hoch Cassecruche«, riefen meine Musketiere, denen dieser Galgenhumor imponierte. Für mich aber war der Auftritt peinlich genug und ich mußte so recht erfahren, was Euer Hochwürden bereits gestern in Worte gekleidet haben: »daß die Laster und Unordnungen der Vorgesetzten ein geringeres Übel sind als die allzu große Nachsicht gegen die Verfehlungen ihrer Untergebenen«. Oder habt Ihr es anders gesagt?

– Mit den gleichen Worten, nickte Pater Nouet, aber berichtet weiter.

– Es bleibt mir nicht mehr viel übrig. Ich brachte mein Regiment zu Revers ins Winterquartier und eilte nach unserm Schloß, wo ich leider meinen armen Vater in schwerer Krankheit daniederliegen fand. Acht Tage weilte ich an seinem Krankenlager und ich kann schon sagen, daß ich in all der Zeit keine heitere Stunde verlebt habe.

– Es war wohl auch nicht die Zeit und Gelegenheit dazu.

– Ihr habt recht, versetzte der Graf; aber mir kam's eben vor, als ob ich nicht zum Krankenpfleger geboren sei. Ich war zu sehr an eine andere Art Leben gewöhnt. Dennoch wartete meiner ein noch Schlimmeres. Meinem Vater ging es bereits wieder besser und ich stand auf dem Sprung, mich zu meinem Regiment zu begeben. Da sehe ich eines Morgens, ich lehnte melancholisch mit der Stirne gegen das Fenster des Krankenzimmers, eine königliche Stafette in den Schloßhof einreiten. Sie brachte einen königlichen Brief an meine Adresse. In dem Schreiben wurden mir harte Vorwürfe gemacht wegen der Vorgänge in Nimes und Montpelliers. Der Schluß lautete wörtlich: »Indem ich mir vorbehalte, Euch meinen näheren Willen allhier kund zu tun, bitte ich Gott, Herr von Bussy, daß er Euch in seiner heiligen Obhut behalte. Gegeben in meinem Schloß zu Marly, den 2. Oktober 1647.« Gezeichnet war: »Ludwig«, und etwas weiter unten: »Süblet«. Am Stil des Briefes aber erkannte ich den Staatssekretär Desnoyers, den Todfeind meines Vaters, damals die rechte Hand des Kardinals. Ich ließ den Wagen schmieren und machte mich auf den Weg nach Paris. Dort stieg ich im »Temple« ab, bei meinem Onkel, dem Großprior von Frankreich. Ich hütete mich aber, ihm den wahren Zweck meiner Reise zu verraten. Denn noch zweifelte ich nicht, mich vor dem Kardinal zu rechtfertigen, und den dreiundachtzigjährigen Greis, meinen Oheim, durfte ich nicht verstimmen. Er bezog damals aus seinem hohen Amt eine jährliche Rente von rund hunderttausend Livres und ich war mit meinen Finanzen bedenklich auf dem Trockenen.

– Man sagte ihm großen Geiz nach, dem Herrn Großprior von Frankreich, forschte der Jesuit.

– Mag sein. Mich liebte er und gab mir nie Grund, mich über ihn zu beklagen – vielleicht, weil ich jeden Anschein vermied, ihn beherrschen zu wollen; denn in diesem Punkt war der achtzigjährige Greis kitzlig. Meine Lage wurde ihm indessen nur zu schnell offenbar.

Am Morgen nach meiner Ankunft ließ ich mir in aller Frühe die Karosse meines Onkels vorfahren und begab mich nach Marly. Der Kardinal weigerte sich, mich zu empfangen. Er wies mich an den Herrn Desnoyers, den Staatssekretär. Dieser zuckte die Achsel. Er wollte von allem nichts wissen. Und er entließ mich mit vagen Tröstungen. Voll Groll und Mißmut kehrte ich nach Paris zurück. Als ich, vor dem Temple angelangt, aus dem Wagen steige, tritt mir der Chevalier Testu, ein Hauptmann der Scharwache, den ich recht wohl kannte, in den Weg. »Euren Degen, Herr Graf, im Namen des Königs.« »Es ist der Degen des Königs,« antwortete ich, indem ich ihm das Ding überreichte. Testu entschuldigte sich, er habe außerdem den Auftrag, mir meine Papiere abzuverlangen. »Es wäre möglich,« antwortete ich, »daß ich einen Brief meiner Geliebten bei mir trüge, in diesem Fall müßtet Ihr gestatten, ihn Euch zu verweigern.« Aber ich fand nichts von Bedeutung in meinen Taschen, und der Chevalier überreichte mir ein Schreiben mit der Unterschrift des Königs, der, ein seltener Fall, die Gnade haben wollte, mir meine Verhaftung selber kund zu tun. Auch dieser Brief schloß: »Und so bitte ich Gott, daß er Euch, Sieur de Bussy, in seiner heiligen Gnade und Obhut behalte.« Als ob man die in der Bastille nötig habe.

– Lästert Gott nicht, mahnte Pater Nouet.

– Verzeiht, entschuldigte der Graf, so war's nicht gemeint. Aber sagt selbst, ob es wohl noch ein Land in der Welt gibt, wo man mit so höflichen Manieren verhaftet wird als in unserm schönen Frankreich. Das entschädigt für vieles. Ich aber stieg damals, nicht wenig verwirrt, in den Wagen meines Onkels zurück und Testu, nachdem er dem Kutscher die Adresse gegeben, nahm neben mir Platz. Und wißt Ihr, an wen ich die ganze Zeit denken mußte, auf dieser Fahrt nach der Vorstadt von Sankt Anton? An den Musketier Cassecruche. Ich beneidete ihn um seinen Humor mit dem Galgenstrick um den Hals. Mir war im Augenblick aller Witz vergangen.

– Ihr wart also verurteilt, ohne vorher gehört worden zu sein, fragte der Hörer.

– Nicht ganz, erwiderte der Gefangene; man hält hier auf Form. Ungefähr nach acht Tagen wurde ich vor den Gouverneur der Festung geführt. Ich fand ihn in Gesellschaft des Parlamentsadvokaten Talon und des Herrn Ferté de Ris, eines Untersuchungsrichters bei demselben Parlament, und mein Verhör ...

Dieser Satz des Grafen blieb unvollendet. Sein Blick hatte bemerkt, daß sich eine Gestalt ihnen genähert, die jetzt in mehreren Schritten Abstand respektvoll wartend stehen blieb, wo sie sich als dunkle Silhouette gegen die untergehende Sonne abhob. Ein bitteres Lächeln ging um den seinen Mund mit dem blonden Stutzbärtchen.

– Auf morgen denn, sprach der Gefangene, indem er sich erhob und mit einer leichten Kopfbewegung auf den Harrenden hindeutete.

Und mit einem Händedruck verabschiedete er sich von dem Priester im Jesuitenkleid, der herbeigeeilte Diener nahm den Mantel auf, der dem Grafen beim Aufstehen von der Schulter geglitten; dann schritt er hinter seinem Herrn drein nach der Wendeltreppe des nächsten Turmes, desjenigen, der mit grausamer Ironie der Turm der Freiheit genannt war, wo alle beide wie in einer Versenkung langsam untertauchten. Die dunkle Silhouette mit dem schweren Schlüsselbund am Ledergürtel folgte ihnen.

Pater Nouet, an eine der Mauerzacken gelehnt, stand noch einige Augenblicke in stummem Betrachten vor dem Panorama der Stadt Paris, das sich in der Tiefe ausbreitete, unübersehbar weit, aber jetzt dem Auge halb entrückt durch einen bläulichen Schleier, den der Rauch aus vielen Tausenden von Kaminen, zusammen mit dem Hauch des Abends, dicht und dichter wob und über dem unendlichen Dächerozean hinwallen ließ, aus dessen Mitte, wo das silberne Band des Stromes zum zweitenmal sich teilte, ein grauschwarzes Ungetüm, mit scharfkantigem stacheligen Rücken den Schleier zerreißend, hoch darüber hinweg ragte, am Kopf zwei stumpfe Glieder, gleich den Riesenfühlhörnern eines versteinerten Monstrums gerade in den Himmel streckend – die Notre Dame-Kirche von Paris.

Steif, unbeweglich, wie geistesabwesend stand die schmale Gestalt des Jesuiten vor dem Schauspiel des verdämmernden Tages über der Riesenstadt.

Dann aber schritt auch er, der Verfasser von einem halben Dutzend asketischer Erbauungsbücher, der Treppe zu, die im Turm der Freiheit – wirklich, so war dieser Turm genannt – an den Türen entsetzlicher Kerker vorüber, nach dem inneren Hof der Festung hinunterführte.


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