Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Schüler und Regimentskommandeur.

I.

»Hohe Frau, die Wohltaten, womit Eure Majestät mich zu überhäufen die Gnade hatten, sind so groß, daß ich es mir nicht länger versagen kann, meinem untertänigsten Dank endlich Worte zu verleihen. Alles, Hohe Frau, was mir Tröstliches und Linderndes in meinem Unglück zugekommen ist, verdanke ich einzig der unendlichen Güte Ew. Majestät, ihr vor allem seit einem Monat die Wohltat, täglich für einige Stunden aus der Gruft meines Kerkers zum goldenen Licht des Himmels emporzusteigen, wie auch besonders die unschätzbare Gunst, von Zeit zu Zeit die Besuche des Pater Nouet empfangen zu dürfen, dessen erbauliche Gespräche meine Seele aufrichten in ihrer unendlichen Betrübnis, dessen Worte mir mehr sind als ein frischer Quell dem Verschmachtenden in der Wüste ...«

Hier wurde der Vorleser von seinem Zuhörer unterbrochen. Dieser war eine dünne hagere Gestalt in eng anliegender schwarzer Soutane, mit dem langen, beiderseitig aufgerollten Jesuitenhut auf dem Kopf, der das schmale und fast weiße Gesicht vollkommen überschattete. Er lehnte mit dem Rücken gegen ein niederes Stück Mauer und sein Oberkörper stand wie ein scharfumrissener schwarzer Klex gegen den schimmernden Hintergrund von Licht und Luft.

Der andere, den der Jesuit unterbrochen hatte, saß nachlässig in einem rohen hölzernen Lehnstuhl. Ein kleiner, mit weißem Straußfederflaum verbrämter Dreispitz bedeckte sein Haupt, von dem in reicher Fülle und künstlich gelockt ein braunblondes, aber schon vielfach grau durchschossenes Haar auf Hals und Schultern niederfloß; wie denn auch in dem schmalen und fast winzigen Bärtchen auf der schön geschwungenen Oberlippe – die Nase darüber war von stark vorspringender aber edler und kaum merklich gebogener Form – bereits aus dem dunklen Goldbraun einzelne silberne Fädchen hervorschimmerten. Der genannten Kopfbedeckung, die der große Ludwig nicht anders trug, mochte seine übrige Kleidung entsprechen, die aber von einem reichfaltigen schwarzen Tuchmantel ganz eingehüllt und verdeckt war. Nur die weißseidenen Strümpfe und die Schuhe mit brillantenbesetzten goldenen Schnallen und weit abstehenden gesteiften Schleifen sahen darunter hervor.

Die beiden hatten über sich den hellen Himmel und um sich her in weitem unregelmäßig trapezförmigen Viereck das steinerne Gezack einer durchbrochenen Mauerkrone, zwischen deren Lücken die bronzenen Mäuler von langhalsigen Feldschlangen und Kartaunen über den Rand hinausstarrten hoch über schwindelnder Tiefe, während an der einen Schmalseite des Vierecks zwei rotmontierte Schildwachen mit ihren Musketen auf den Schultern, in gemessenem Tempo auf und nieder schritten und jedesmal, wenn sie in der Mitte zusammentrafen, in strammer Wendung vor einander Kehrt machten. Auch diese beiden Gestalten hoben sich wie Schattenbilder ab gegen die leere Lichtwand der Luft und des Himmels; doch drunten in der Tiefe sah das Auge weithin ein erstaunliches Panorama sich ausbreiten.

Das silbergraue hellblinkende Band eines Flusses zog sich da hin in Bogen und Krümmungen und zerteilte sich in schmälere Bänder, die jedoch bald wieder zusammentrafen: nicht in grüner Landschaft, sondern wie zwischen grauem und bräunlichem Felsgeklüft, das sich fast unabsehbar erstreckte. Nicht Felsen in Wahrheit waren es, aber unendlich sich erstreckende Mauern und Firste und Dächer – so weit das Auge reichte ein starrer, steinerner Ozean – in dessen Mitte ungefähr, wo das Stromband sich zum zweitenmal teilte, ein grauschwarzes Ungetüm aufragte mit scharfkantigem stacheligen Rücken, am Kopf zwei stumpfe Glieder gleich den Riesenfüllhörnern eines versteinerten Monstrums grad in den Himmel streckend.

Das war die Notre-Dame-Kirche von Paris. Die luftige Höhe aber, wo die beiden ungleichen Männer jetzt ihr Zwiegespräch führten und die rotmontierten pluderhosigen Schildwachen ihre Musketen achselnd spazieren trugen: das war die Dachterrasse jener furchtbaren Mauern und Türme am Eingang der Pariser Vorstadt von Sankt Anton – war die zinnenumkrönte Terrasse der schrecklichen Bastille.

»Dessen Worte mir mehr sind als der frische Quell einem Verschmachtenden in der Wüste ...« hatte der Mann im Kostüm des vierzehnten Ludwig gelesen, da war er von dem Jesuiten unterbrochen worden.

– Verzeiht Herr Graf, sprach dieser, Ihr beschämt mich mit Eurem Lob. Des Königs Mutter wird nicht wissen, was sie davon denken soll. Um Euch ins Gewissen zu reden mit all der Strenge, die man an mir kennt, hat Ihre Majestät mich zu Euch geschickt in Eurer Erkrankung und ...

– Gut, gut, Hochwürden, erwiderte der andere lächelnd; Ihr seid freilich weit entfernt, ein angenehmer Schwerenöter und Plauderer zu sein oder was man am Hofe unseres großen Königs allenfalls so nennen würde; aber wenn man wochen- und monatelang nur die stummen Mauern zu Gesellschaftern hat ...

– Ist einem der finsterste Jesuit schon ein lieber Kamerad, ich verstehe, Herr Graf; ich war wahrhaftig zu voreilig, Eure vermeintliche Schmeichelei abzuwehren. Ich zeigte Euch damit das Gegenteil von Bescheidenheit und stehe beschämt. Aber nun bitt' ich, fahrt fort in Eurem Brief an Ihre Majestät.

– »Dessen Worte mir mehr sind als der frische Quell einem Verschmachtenden in der Wüste,« las der Gefangene, »und ohne dessen tröstlichen Zuspruch ich längst verzweifelt wäre in dem quälenden Bewußtsein, einem Herrn mißfallen zu haben, den ich weit mehr liebe, als mein eigenes Leben. Verzeiht, hohe Frau, aber ich wollte, ich hätte Gott so geliebt, da wäre ich nicht so grausam gestraft worden; denn Gott hat Barmherzigkeit mit dem Sünder, der Buße tut. Oh, möchte auch Seine Majestät sich erbarmen. Ich habe gefehlt, hohe Frau, aber ist mein Vergehen nicht schon genug gestraft? Acht Monate schmachte ich nun in dem furchtbaren Kerker, weil ich in einer Art von lustigem Roman die Ausschweifungen mehrerer Personen vom Hof erzählt habe, die ohnedies jedermann kannte. Wahrlich, hohe Frau, wenn ich des Einverständnisses mit dem Feind überführt worden, dergestalt, daß aus meiner Verschwörung die verderblichsten Folgen für die Sicherheit des Staates und die geheiligte Person des Königs zu befürchten waren, hätte man mich nicht härter behandeln können ...« Diesmal unterbrach sich der Vorleser selber. Seine Augen hatten sich mit Tränen gefüllt, er war tief erschüttert. Und seine behandschuhte Rechte streckte dem Priester das Blatt entgegen.

– Da, nehmt, sagte er, ich mag meine Bettelei nicht weiter lesen, es tut mir zu weh.

Der Pater faltete langsam den Brief zusammen.

– Euer Gesuch soll noch morgen zu Ihrer Majestät Händen gelangen. Leider steht es um die Gesundheit der hohen Frau selber sehr übel. Man spricht von einem Krebsgeschwür unter der linken Brust. Bei ihrem Alter – denn Anna von Österreich wird von den Siebenzig nicht mehr weit sein – läßt die Krankheit alles befürchten. Ihr, Herr Graf, würdet an ihr eine große Wohltäterin verlieren.

Der Gefangene sah stumm vor sich nieder. Man hörte eine kleine Weile keinen andern Laut als die Tritte der beiden rotmontierten pluderhosigen Schildwachen, die mit ihren Musketen auf den Schultern auf der entgegengesetzten Seite der Terrasse in gemessenem Tempo auf und nieder schritten und jedesmal, wenn sie in der Mitte zusammentrafen, in strammer Wendung vor einander Kehrt machten.

– Ich hätte, unterbrach der Graf das Schweigen, wenn ich doch einmal das Schreiben nicht lassen konnte, fromme Andachtsbücher verfassen sollen, wie Ihr, Pater, so säße ich jetzt nicht hier.

– Ihr konntet, antwortete der Jesuit, auch Romane schreiben.

– O ja, ganze Wagenladungen voll, wie die Scudery und andere alte Frauenzimmer, langweilige Fabeleien, aus Nirgendwo und von Nirgendwann.

– Und die man eben deswegen Romane nennt, ließ der Schwarzrock bescheiden einfließen; Euer Buch dagegen, Herr Graf ...

– Ist kein richtiger Roman, platzte dieser heraus; Ihr mögt schon recht haben. Es ist ein Spiegel meiner Zeit. Meine lieben Zeitgenossen können sich darin erblicken mit ihren übertünchten Lastern.

– Das liebt niemand. Auch von einem Spiegel verlangen die Menschen – besonders die schönere Hälfte – daß er ihnen schmeichle.

– Gottlob, kann man meinem Spiegel diesen Vorwurf nicht machen.

Ein Schimmer von einem Lächeln überflog bei diesen Worten das strenge und fast weiße Asketenantlitz des Priesters.

– Warum lächelt Ihr, Pater, fragte der Graf.

– Es war mir, antwortete dieser, als ob Ihr gesagt hättet: Gottlob, daß ich in der Bastille sitze.

Da mußte auch der Gefangene lachen.

– Was wollt Ihr, Hochwürden, Schriftstellereitelkeit! Sie ist die hartnäckigste von allen. Ich könnte auch sagen: die treueste. Sie verläßt uns nicht im größten Unglück. Und sagt, Herr Pater, ist das nicht auch ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit? Denn wer anders war es, als sie, diese alberne Dame Eitelkeit, die einen ins Unglück hineingestoßen hat.

– Da Euer Gnaden selber zu scherzen belieben, begann zögernd der unterm Schiffhut, mögt Ihr mir vielleicht eine Freiheit erlauben. Man sagt in Hofkreisen – ich habe es von Pater Anet – daß Ihr lieber in der Bastille sitzt, als daß Ihr nicht in der Akademie sitzen solltet. Die Aufnahme unter die Vierzig der Unsterblichen soll Euch über das nachträgliche Mißgeschick hinlänglich getröstet haben.

– Und was meinen Euer Hochwürden? Der Graf sah den Jesuiten streng an.

– Boshaftes Geschwätz müßiggängerischer Höflinge, antwortete dieser lakonisch.

– Sapperlot noch einmal, ja, es muß einer ein rechter Esel sein, wenn er glauben kann, daß ein Bussy-Rabutin, daß ein in einem halben Dutzend Feldzügen angegrauter Truppenführer der Armee des großen Königs sich auf die Gesellschaft von Schulfuchsern, die sich die Akademie nennen, etwas zugute tue ...

– Um so schlimmer für Euch, sprach Pater Nouet und fast vibrierte es wie ein Anflug von leiser Bosheit in seiner Stimme.

– Wieso?

– Es geht nämlich noch ein anderes Gemunkel am Hof ...

Der Graf sah fast erschrocken auf und seine von Krankheit blassen Wangen bekamen rote Fieberflecken.

– Man erzählt, wollte der Jesuit nach einer kleinen Stockung mit scharf beobachtendem Blick in seiner Rede fortfahren.

– Zum Teufel, rief der Graf aufgebracht; noch mehr erzählt man ... was erzählt man?

– Daß Euch die Akademie um den Marschallstab gebracht habe, ergänzte der Jesuit mit kalter Ruhe. Der König sei bereits entschlossen gewesen zu Eurer Ernennung; aber der Eintritt eines Reitergenerals in die Gesellschaft der Poeten und Gelehrten habe ihn unangenehm berührt. Seine Majestät ist nicht gut auf die Akademie zu sprechen, seitdem die Herren sich geweigert haben, seinen Spaßmacher und titulierten Kammerdiener Poquelin zu den ihrigen zu zählen.

Wieder entstand eine Pause. Wieder hörte man eine Weile keinen anderen Laut als die Tritte der beiden rotmontierten Schildwachen, zweier im Dienst ergrauter Invaliden, die mit ihren Musketen auf den Schultern an der entgegengesetzten Seite der Terrasse in gemessenem Tempo auf und nieder schritten und jedesmal, wenn sie in der Mitte zusammenstießen, stramm vor einander Kehrt machten.

Der Graf schien in peinliches Nachdenken verloren. Mit verschleiertem Blick schweifte sein Auge über das unendliche Dächergewirr der königlichen Stadt hin und schien zuletzt aufmerksam eine lichte Wolke zu betrachten, die wie eine weiße Taube über den rauchschwarzen Türmen der Notre Dame-Kirche hinschwebte, als ob sie sich darauf niederlassen wollte. Unbeweglich und mit schmerzlichem Ausdruck sah der Graf nach der Wolke, als sei sie das Symbol des ihm entschwebenden Ruhms. Die Flügel seiner stark hervorspringenden, aber fein geschnittenen aristokratischen Nase verrieten ein nervöses Zittern.

– Man sagt, Kunst bringe Gunst, sprach nach einer Weile leise wie im Selbstgespräch der Gefangene. Ich glaub's. Die Kunst, einen guten Schuh zu machen, wird gewiß von jedermann geschätzt. Auch die Kunst, Festungen zu bauen, steht bei denen in Gunst, die welche brauchen, wie nicht weniger diejenige, Festungen zu zerstören, wenn es die des Feindes sind. Aber hat unser großer König sich dem großen Corneille auch nur in einem einzigen Augenblick günstig gezeigt? Er hat ihn fast gehaßt. Ihr lächelt, Pater? Aber nein, ich vergleiche mich nicht mit dem Dichter des Cid. Allerdings auch nicht mit dem Komödianten Molière. An den freilich verschwendet der göttliche Ludwig seine Huld und Gnade.

– Meister Poquelin weiß eben, was seinem Herrn gefällt, ließ väterlich mild der Jesuit einfließen; Euch hat es an nichts gefehlt als an ein wenig Klugheit. Daß Ihr den mächtigen Türenne durch Eure Spottlieder beleidigt habt, war nicht weise. Ihr konntet wissen, daß er der Mann war, es Euch beim König übel einzubrocken.

– Ich hätte etwa die Rücksichtslosigkeiten des hochmütigen Emporkömmlings ruhig hinnehmen sollen. Nein, Herr Pater, ich zog es vor, mich an den Impertinenzen des sauertöpfischen Hugenotten zu rächen durch meine Lustigkeit. Rache ist süß. Und eine lustige Rache doppelt.

– Unsere heilige Religion ... wollte der Pater erwidern.

– Gebietet uns nicht, versetzte der Graf schlagfertig, daß wir uns verletzen lassen, ohne uns zu wehren. Gott hat der Honigbiene den Stachel gegeben, daß sie sich wehre. Er hat auch mir einen Stachel gegeben. Auch die Söhne Apolls sind eine Art Honigbienen. Und seid sicher, ehrwürdiger Vater, wer in sich einen Stachel weiß, gebraucht ihn auch, wenn man ihn dazu herausfordert.

– Aber die Honigbiene, wie Ihr Euch ausdrückt, sprach mißbilligend der strenge Priester und Asket, die Honigbiene stirbt, wenn sie sticht.

– Gut gesagt, rief der Graf fast fröhlich. Und auch mich sind meine Spottlieder auf den großen Türenne, wie die Welt ihn nennt, teuer zu stehen gekommen.

Er hat mich dafür gehörig angeschwärzt bei unserem allergnädigsten König. »Und was den Herrn von Bussy-Rabutin anbetrifft,« hat er in einem seiner Berichte geschrieben, »so macht er von allen Offizieren der Armee die witzigsten Verse.« Von meinen kriegerischen Tugenden und Verdiensten hat er stets hartnäckig geschwiegen und nur unvollständig und auf Umwegen hat der König meine glänzendsten Leistungen erfahren.

– Das war grausam.

– Ja, bestätigte der Graf. Aber ich wußte es zu ertragen. Ich war leichtsinnig genug – und ist nicht der Leichtsinn das Beste am Leben? – leichtsinnig genug, mich darüber hinwegzusetzen. So sind wir einmal, wir Kinder von den goldenen Hügeln Burgunds. Und ich hatte mit meinem gereimten Spott so oft die Lacher auf meine Seite gebracht, mein lachender Übermut hat mir so viel Spaß gemacht, da durfte mich auch der Schaden billigerweise nicht verdrießen. Freilich hatte ich im Anfang in gröblichem Irrtum gemeint, Türenne selber werde mitlachen. Ein anderer hätte es getan. Aber diesem kalvinistischen Murrkopf so etwas zuzutrauen, hieß seinen Witz überschätzen.

– Und Ihr habt eben doch, sprach der Jesuit, nicht ohne eine Beimischung von leise vorwurfsvollem Ton, zuletzt den kürzeren gezogen.

– Ja, ja, versetzte der Graf wehmütig, ich habe den kürzeren gezogen. Natürlich.

– Nur wer zuletzt lacht, lacht am besten.

– Gewiß, gewiß; aber so lang bis zuletzt immer zu warten, lag eben nicht in meinem Temperament.

– Ein unglückliches Temperament.

– Das sich in diesem Leben wohl nicht mehr ändern wird. Obwohl ihm früh Gelegenheit gegeben war, gewitzigt zu werden. Denn schon mein erstes übermütiges Lied, lange vor meinen Beziehungen zu Herrn von Türenne, hat zwar schon gleich alle Lacher auf meine Seite gebracht, hätte mich aber auch um ein Haar das Leben gekostet. Und auch so hat es mir die größte Verdrießlichkeit im Anfang meiner Laufbahn bereitet. Trotzdem bin ich heute noch stolz darauf. Das war die Zeit, ach, meiner Lehrjahre im Dienste des Gottes Mars, aber nicht nur dieses, sondern auch des andern Gottes – Ihr könnt ihn Euch denken, Pater – der noch launischer und auch, wie man sagt, noch unbändiger und gefahrbringender sein soll. Und Ihr glaubt wahrscheinlich nicht, wie schwer mir die Lehre wurde gerade in seinem rosenbekränzten Tempel, schwerer wie den meisten anderen. Ich war lang ein großer Stümper. Niemand möchte es heut glauben ...

Dem Grafen stockte die Rede. Sein Geist schien sich angenehm in Erinnerungen zu verlieren. Eine kurze Zeit schwieg auch Pater Nouet; dann brach er das Schweigen.

– Ihr solltet mir, sprach er väterlich, diese Geschichte Eurer Lehrjahre erzählen. Mögt Ihr nicht? Ihr tätet mir einen großen Gefallen damit.

– Das heißt, entgegnete der Gefangene, Ihr wollt mir einen erweisen, Pater. Ihr hofft mich damit zu zerstreuen. Und Ihr wollt die Langeweile aus reiner christlicher Barmherzigkeit über Euch ergehen lassen.

– Verzeiht, sprach Pater Nouet sanft; aber Ihr werdet mir glauben, daß wir armen Priester meist langweiligere Beichten anhören müssen, als man von Euch, Herr Graf, befürchten muß.

Übrigens bin ich viel neugieriger als Ihr mir wohl zutraut. Und auch in meiner Eigenschaft als Euer Beichtvater ...

– Ich willfahre Euch ja schon, unterbrach lächelnd der Mann mit den zwei Mänteln. Nur müßt Ihr darauf gefaßt sein, daß einer, der nichts Großes geworden ist, eben auch nichts Großes zu erzählen hat.

– Nun, nun, Herr Graf, es hing ja, wie wir festgestellt haben, nur am Zufall, daß Ihr nicht ...

– Papperlapapp! Zufall. Ein Wort bloß für feigen Selbstbetrug. Wir selber schmieden unser Schicksal. Nicht der Herr Zufall.

– Unser Schicksal ist uns von Gott vorgezeichnet, bemerkte Pater Nouet etwas gewohnheitsmäßig, ohne zu denken, daß er sich selbst widersprach.

– Das heißt, erwiderte der Graf lebhaft, es muß in uns liegen ... Oder nein, verbesserte er sich, so ist es doch nicht ganz. Die Mitwelt, die Umstände reden schon ein Wort mit ... Doch ich wollte ja nicht philosophieren, sondern erzählen. Und habt Ihr mir nicht gelegentlich einmal gesagt, Pater, daß Ihr eine Zeitlang Professor wäret am Lyzeum Clermont zu Paris – das vor einigen Jahren seinen Namen mit dem unseres großen Königs vertauscht hat? Nicht wahr, und seht, nur wenige Jahre vor Euch war ich dort Schüler.

– Ich erinnere mich, bemerkte der Priester freundlich, Euren Namen unter den Laureatis gelesen zu haben.

– Ich wurde in der Tat zweimal gekrönt, bestätigte der Graf. Ich war sogar ein außerordentlich guter Schüler und mit vierzehn Jahren ein so vortrefflicher Humanist, daß ich aus der Sekunda mit Überspringung der »Rhetorik« zur »Philosophie« promoviert wurde. Ich war der vollendete Musterschüler, ein richtiger kleiner Pedant. Und nicht wahr, Hochwürden, das ist kein sehr schmeichelhaftes Lob für einen Edelmann meines Kalibers. Es wäre mir auch lieber, berichten zu können, wie man es in allen Lebensbeschreibungen späterer Helden zu lesen pflegt: daß mir in allen verbotenen und gefährlichen Spielen die erste Rolle zugeteilt wurde, weil ich Jeden, auch die Stärksten, mörderisch verprügelte, wo man mir nur im geringsten widerstrebte. Ja das wäre angenehm zu erzählen, aber unwahr. Ich verprügelte niemand, ich begnügte mich damit, nicht geprügelt zu werden. Und die alten Schriftsteller machten mir nun einmal mehr Vergnügen, als die albernen Kindereien der Kameraden. Allerdings hielt ich mich damals für den geistlichen Stand bestimmt und träumte von hohen Würden in der Kirche. Ich glaube sogar, es wurde mir manchmal purpurn vor den Augen. Dieser kirchlich gefärbte Ehrgeiz, im Grund so unheilig als möglich, war es wohl auch, der meine gute Tante von Chantal, die nun ja bald als heilige Johanna von Chantal im Kalender figurieren wird, so schnöde getäuscht hat, daß sie sich zu jener Prophezeiung verstieg, wonach ich der große Heilige unserer Familie werden sollte. O du heiliger Rabutin! Das Blättlein wendete sich schnell. Denn das Jahr darauf starb ganz rasch an den Blattern mein älterer Bruder, der, ohne jeden Erfolg, die Klasse mit mir geteilt hatte, und so sah ich plötzlich eine andere näher lockende Laufbahn sich vor mir auftun.

Von diesem Augenblick an kannte ich keinen heißeren Wunsch als der Schule so bald als möglich den Rücken zu kehren. Es war als ob mit meiner neuen Stellung in der Familie, als deren zukünftiges Haupt ich mich nun betrachten durfte, zugleich ein neuer Geist über mich gekommen wäre. Das heilige Öl der Kirche, womit noch nicht mein Haupt, aber sozusagen meine Phantasie gesalbt war, verlor plötzlich alle Kraft und Wirkung; ich erhoffte nur noch von der Feuertaufe des Soldaten Heil und Ehre. Und wie ich vorher die Kühnheit hatte – oder die Phantasterei, wie Ihr lieber wollt – vom Purpur der Kirchenfürsten zu träumen, so brannte ich nun darauf, ein großer Feldherr zu werden, wobei mir kein geringeres Beispiel vorschwebte, als jener Waldstein von Böhmen, auch Friedland genannt, von dessen Ruhm damals ganz Europa erfüllt war. Zwar gehorchte ich meinem Vater und trat im Herbst in die Klasse der Physik über, aber ich fügte mich mit Widerstreben und ließ mich nur schwer überzeugen, daß mir die physikalischen Studien zur militärischen Ausbildung besonders vorteilhaft wären, auch stand es bereits in den Sternen geschrieben, daß ich die Klasse niemals absolvieren sollte.

Zwei große Aufregungen machen mir dieses letzte Jahr als Schüler für immer merkwürdig. Die erste wurde hervorgerufen durch die Verurteilung des Galileo Galilei vom Heiligen Offizium zu Rom. Wir Schüler, als Adepten der mathematisch-physikalischen Wissenschaft, fühlten uns selbstverständlich berufen, da auch ein Wort mitzureden. Aber wir waren nicht einig. Die Klasse spaltete sich in zwei Lager, wovon das eine sich für die Bewegung, das andere für den Stillstand der Sonne entschied. Ein hitziger, durch Wochen sich hinziehender Kampf entspann sich. Und das merkwürdigste daran war vielleicht, daß alle poetischen Geister sich gegen Galilei und alle nüchterneren und sogenannten mathematischen Köpfe für ihn erklärten ... Ihr lächelt, Pater, was denkt Ihr?

– Eure Einteilung und Charakteristik der Köpfe, antwortete der Jesuit, ist sehr fein. Aus demselben Grund haben die Patres Dominicani die neue Entdeckung verurteilt zusamt ihrem Entdecker, während unsere gelehrten Väter vom Kollegium Romanum sich als dessen Freunde erzeigt haben.

– Das andere Ereignis, das uns die Köpfe erhitzte, nahm der Erzähler wieder das Wort, war die meuchlerische Ermordung des großen Waldstein zu Eger, wovon uns gegen das Frühjahr, ich glaube anfangs Februar, die Kunde kam. Aber diesmal folgte darauf nicht Spaltung der Überzeugungen. Vielmehr waren wir alle eins in der Verurteilung der Tat.

Der Jesuit nickte.

– Es ist richtig, erwiderte der Graf; wir sahen die Sache ganz falsch; wir sahen in dem großen Waldstein oder Friedland nicht den Untertan, der seine verwegene Hand nach der königlichen Krone von Böhmen, vielleicht gar nach der Kaiserkrone ausstreckte und mit den Feinden seines Herrn und Meisters verräterisch unterhandelte; wir sahen in ihm nur den glänzenden Kriegshelden, den ein gedungener Mörder sozusagen im Schlaf überfiel und schändlich niedermetzelte. Meine Entrüstung war die größte. Auch wurde ich bei dieser Gelegenheit für eine Ode, die ich auf den gemordeten Helden machte, zum erstenmal als Dichter bewundert. Ich erhob darin Waldstein über Cäsar. Wir sahen eben den Verrat genau auf der anderen Seite, als wo er tatsächlich zu suchen war.

– Wie meistens, fiel hier Pater Nouet ein. Die mehrsten Ereignisse der Weltgeschichte werden von den kurzsichtigen und noch dazu voreingenommenen Menschen genau so beurteilt wie der Fall Waldstein, vielmehr Wallestein von Euch Herren Schuljungen – Verzeihung, Herr Graf; unterdessen sind Euer Gnaden ja weit davon abgerückt. Aber trotzdem noch einmal Vergebung, daß ich einen Augenblick bitter werden konnte.

– Man ist allerdings gewöhnt, nur Worte der christlichen Milde und Sanftmut aus Eurem Munde zu vernehmen, bestätigte entgegenkommend der Gefangene. Darum gebietet die Höflichkeit, Eure Gefühle in jeder Weise ebenfalls zu schonen. Sei mir dessenungeachtet noch ein Wort vergönnt. Unsere anerkanntesten Urteile – denen die ganze Welt zustimmt – sind vielleicht alle nichts als Vorurteile. Zum Beispiel, was heißt Verräter? Wenn jener Waldstein die Kraft in sich fühlte, ein unglückliches Reich aus seiner Niedergetretenheit aufzurichten und sich an die Stelle eines schwachen Herrn ...

– Halt, protestierte Pater Nouet feierlich. Verleumdet nicht, wie es leider durchgängig bei uns beliebt ist, jenen frommen Kaiser, der der Sache unserer heiligen Religion mit so glühendem Eifer ergeben war, der reineren Herzens und selbstloser als der große Konstantin, der Kirche Gottes nicht geringere Dienste geleistet hat. Aber selbst wenn es sich um einen unwürdigen Monarchen gehandelt hätte, so bleibt Verrat doch Verrat, und einen Bösewicht soll man in alle Ewigkeit einen Bösewicht heißen.

– Aber hat dieser Wallestein, wie Ihr ihn nennt, fragte der Graf ganz verdutzt, nicht selber mit größtem Erfolg auf Seite der römischen Kirche gekämpft?

– Auf Seite dieser Sache wohl, sprach mit fast leiser Stimme der Jesuit, aber nicht für die Sache. Er war Schlimmeres als ein Verräter. Er war ein Freigeist und Atheist.

– Da wäre ich also zum erstenmal in den Krieg gezogen, um den Tod eines Atheisten zu rächen, fuhr der Graf lachend fort. Denn wirklich in dem Gefühl, der Rächer Waldsteins zu werden, eilte ich damals zu den Fahnen. Dieses Gefühl vor allem beseelte mich. Ich zweifelte auch nicht, daß Seine geheiligte Apostolische Majestät vor mir zittern werde. Nun, Ihr werdet sehen, wie meine Rache ausfiel.

– Ihr seid also ohne weiteres aus der Schule gelaufen in Widersetzlichkeit gegen den Willen Eures Vaters?

– Durchaus mit väterlicher Einwilligung. Der Herzog Karl von Lothringen – er wollte vielleicht der Nachfolger Waldsteins werden – kündigte damals unserem König Ludwig dem Dreizehnten die zugesagte Allianz und schlug sich mit seinem Heer auf die Seite des Kaisers. Eine schönere Gelegenheit, ihm sein Land wegzunehmen, konnte der Narr dem König nicht geben. Der Aufmarsch unserer Truppen gen Lothringen wurde sofort ins Werk gesetzt. Auch das Regiment meines Vaters erhielt Ordre. Nun war aber mein Vater kurz zuvor zum königlichen Statthalter unserer Provinz Nivernais ernannt worden, wo ihn wichtige Geschäfte zurückhielten. Er beschloß darum, daß ich an seiner Statt mit dem Regiment zöge, ernannte mich zum Hauptmann seiner ersten Kompagnie und zugleich zu seinem Oberstleutnant. Doch war ich dies nur der Form nach. Der Hauptmann der zweiten Kompagnie, ein alter erfahrener Infanterieoffizier, Sieur von Chovence mit Namen, kommandierte in Wahrheit das Regiment. Wir wurden dem Marschall Delaforce zugeteilt, der zunächst die Bergfestung Lamothe umzingeln sollte, die lächerlicherweise für uneinnehmbar galt. Ich hatte zuerst mein Standquartier in dem berühmten Domremy la Pucelle – was mir, nebenbei bemerkt, allerlei Spott eintrug, den meine Jugend und Unerfahrenheit, Unerfahrenheit besonders in einem gewissen Punkt, nahelegte – dann in dem Dorfe Goncourt an den pappelreichen lieblichen Ufern der Maas, nur eine halbe Meile von dem Fuß des Berges, über dessen waldigen Abhängen Stadt und Festung Lamothe auf uns niedertrotzten. Die Blockade begann am 3. März, mein Regiment, eigentlich muß ich sagen, das Regiment meines Vaters, hatte von vier zu vier Tagen den Dienst in den Verschanzungen. Doch als am 9. März die Unserigen mehrere Meilen flußabwärts die unbedeutende Festung Neuchâteau genommen hatten, wurde mein Regiment dorthin abkommandiert, um den Platz zu halten. Hier traf mich schon nach einigen Tagen ein Bote, der mir aus einem benachbarten Schloß von der dortigen Schloßherrin, der Marquise von Langeron, einen Brief brachte, dessen Schreiberin mich als Herrn Vetter behandelte – sie war in der Tat von der Seite der Chantal her etwas mit mir verwandt – und mich zu einem Besuch bei ihr einlud. Nun sagte mir zwar mein Gewissen, daß ich nicht das Recht habe, mitten in Feindesland einen Platz ohne höhere Zustimmung zu verlassen, denn ich betrachtete ernstlich mein Regimentskommando mehr als eine Formsache. Doch als junger Fant von wenig mehr als sechzehn Jahren war ich auch viel zu neugierig, die unbekannte schöne Base kennen zu lernen – denn daß sie schön und jung sei, nahm ich ohne weiteres an – als daß ich mich nicht dennoch hätte entschließen sollen, der Einladung zu folgen, um so mehr, als wir einen feindlichen Überfall für ganz ausgeschlossen halten durften. Ich fand auch wirklich in der Marquise von Langeron eine hübsche dreiundzwanzigjährige Witwe, die mich, Schülerlein – und Regimentskommandanten! – in einer Art empfing, daß mir alles Blut zu Kopfe stieg. Das erste war, daß sie mich an beiden Ohren faßte, um mich in scherzhafter Weise auszuschelten. Ich sei ein schlechter Vetter, der wohl nie zu ihr gekommen wäre ohne ihr Zutun – ein pflichtvergessener, ein ganz und gar ungalanter Vetter sei ich; worauf sie mich, in einen Fauteuil niedersinkend, auf ihren Schoß niederzog und mich auf den Mund küßte, ungezählte Male, zur Strafe wie sie sagte: »Denn so wilde Knaben wie du, rief sie lachend, fürchten nichts so sehr in ihrem Stolz, als die Küsse einer alten Frau dulden zu müssen ... Aber du Böser verdienst noch viel schlimmere Züchtigung.« Dabei fuhr sie fort, mich heftiger und heftiger zu küssen.

Der Erzähler stockte.

– Ich glaubte, Ihr wolltet mich unterbrechen, Hochwürden.

Der Jesuit verneinte mit stummer Kopfbewegung.

– Da wurde es nun recht offenbar, begann der Gefangene wieder, was die Herren Kameraden gemeint, wenn sie mich zu Domremy und nachher so gern mit der Pucelle geneckt, was ich auch recht wohl verstanden hatte. Und bei Gott, sie hatten nur zu sehr recht. Denn welcher andere hätte das Betragen der schönen Marquise nicht im ersten Augenblick richtig gedeutet und die Konsequenzen daraus gezogen? Ich dachte an so was gar nicht. Ich fand wohl ihre Art etwas verwunderlich, aber ich meinte, das müsse so sein und sah sie nur immer wieder mit Augen an wie einer, der aus den Wolken gefallen ist. Da mußte die lebhafte Marquise, ob es ihr gefiel oder nicht, nach und nach in gemessenere Formen einlenken und unsere Konversation auf einen weniger ungewöhnlichen Ton stimmen.

Sie fuhr nichtsdestoweniger fort, mich zu hätscheln, ich mußte mit ihr frühstücken, und wie wir da in ihrem Frauengemach an dem kleinen Tischchen einander gegenübersaßen und sie mir vorlegte, indem sich dabei der weite Ärmel ihres Gewandes über den zarten, weißen Arm zurückstreifte, und sie selber kaum einen Bissen zum Munde führte, aber mir unausgesetzt, wie ich es nicht gekannt bis zu diesem Tage, in die Augen blickte, da wurde es mir wohl seltsam pricklich im Herzen und Blut und ich hätte um mein Leben gern den zarten weißen Arm geküßt. Doch mir war, als ob ich damit ein unsühnbares Verbrechen begehen würde, wenigstens eine Unritterlichkeit oder gar Ungeschicklichkeit. Ganz in ein inneres Zittern geriet ich, aus Angst, die Schöne für immer zu erzürnen, indem ich mich vergaß. Sie merkte meinen Zustand und fragte mit einem Ton, der mir durch Mark und Bein zitterte, ob mir etwas fehle, ob mir übel sei! »Laßt mich doch Euren Puls fühlen«, sprach sie und ergriff meine Hand und ihre Augen senkten sich tief in die meinigen und ihr Mund lächelte so rätselhaft, halb schelmisch, halb zärtlich.

Da war ich nun millionenmal nahe daran, aufzuspringen und das verführerische Weib um den bloßen Hals und um die weißen Schultern zu fassen und ihr im Ernst zu tun, wie sie mir zuvor getan. Aber meine Schüchternheit war größer, ich wagte nicht. Ich war wahrhaftig die liebe Unschuld selber. Und ich hatte in meinem Kindskopf gar seltsame Ideen über die Frauen. Eine schöne Frau erschien mir wie etwas Heiliges und Unberührbares. Meine späteren Erfahrungen ließen mich diese Kindereien in einem sehr lächerlichen Licht erblicken. Und oft, wenn ich später zurückdachte, wie ich damals zugleich blind und schreckgelähmt so nahe vor dem Paradiese stand, das sich mir am liebsten von selber aufgetan hätte.

– Im Paradies, sprach Pater Nouet mit weichem Ernst; Ihr befandet Euch mitten darin und wußtet es nicht.

– Im Paradies der Unschuld, nicht wahr? entgegnete der Gefangene. Aber zum Glück für die armen Menschen gibt es verschiedene Paradiese ...

– Nur ein wahres.

– So hat mir's der Himmel schlecht gedankt, versetzte mit fast zynischem Lachen der Graf, daß ich an dem einen wahren mit wahrhaft unbegreiflicher Dummheit, Pardon, Zähigkeit wollte ich sagen, festhielt; denn mein Abenteuer nahm einen Ausgang, der über den Spaß ging. Wirklich, die Götter scheinen sich manchmal geradezu lustig zu machen über die dummen Tugendbolde ...

– Herr Graf, rief der Priester, indem er dem Sprecher einen weniger zornigen als schmerzlichen Blick zuwarf und wie abwehrend die beichtväterliche Rechte erhob.

– Verzeiht, ich vergaß, vor wem ich spreche, versetzte der Erzähler höflich.

– Vor wem? klang es strafend und mahnend aus des Paters Mund; wo und wann der Mensch auch spreche, immer spricht er vor dem heiligen Angesicht Gottes.

Der »heilige Rabutin«, wie er sich selber scherzhaft genannt hatte, war diesem strafenden Ernst gegenüber nun doch ein wenig betroffen. Fast verlegen sah er den Jesuiten an.

– Es ist schon gut, es ist schon gut, meinte dieser; Ihr seid ein sündiges Weltkind und redet wie ein solches. Verzeiht auch mir, daß der Beichtvater den Gesellschafter einen Augenblick beiseite geschoben hat. Fahrt fort in Eurem Bericht; ich bitte sehr darum. Es scheint ja ohnedies, fügte er mit einem Lächeln hinzu, das man boshaft nennen konnte, daß jetzt die Moral von der Geschichte kommt.

– Und dick, bestätigte der Graf. Der Abend mahnte, ich verabschiedete mich von der schönen Marquise und sprengte auf meinem Rappen davon. Natürlich hatte ich versprechen müssen, wiederzukommen. Und also stand mir nach menschlicher Berechnung das Paradies ... Aber Ihr liebt den Vergleich nicht, Herr Pater. Es kam auch ganz anders; denn der Mensch denkt und ...

Der Jesuit nickte wohlgefällig.

– Zwar einem Erzengel mit feurigem Schwert begegnete ich nicht; doch kennt Ihr, Pater, die damals noch ziemlich neuen Teufelsmaschinen, jene langen erzenen Röhren, die auf zwei Haken oder einer Gabel ruhen und die, wenn man mit einer brennenden Lunte daran fährt, Feuer und Blei speien und auch auf viele tausend Schritte Entfernung die Rippen im Leib entzwei schlagen? Aber bleiben wir in der Ordnung.

Ich hatte also der schönen Marquise versprechen müssen, sie an einem der nächsten Tage aufs neue zu besuchen, und halb beseligt von dem Erlebten, halb in bitterer Unzufriedenheit mit mir selber – ohne daß ich deutlich wußte warum – halb mit kitzeligen Aussichten für den nächsten Besuch mich wiegend, aber auch halb in Bangen davor, ob ich mich das zweitemal besser aus der Sache ziehen werde: kurz in sehr wechselnden Stimmungen, bald beseligender, bald katzenjämmerlicher Natur, trabte ich auf meinem Gaul den Mauern von Neuchâteau entgegen. Als ich mich dem Wall näherte, bemerkte ich auf der Mauer die Einwohner in großer Erregung. Man winkte mir mit Tüchern, man gab mir hunderterlei Zeichen, die ich nicht verstand. Erst als ich so nahe kam, daß ich schon Worte verstehen konnte, wurde ich aufgeklärt. Mein Regiment sei abgezogen, hieß es, und auf der anderen Seite der Stadt stehe der Feind vor den Toren und verlange Einlaß. Nun denkt Euch meinen Schreck und meine Verblüffung – abgesehen davon, daß ich in der ganzen Sache vom Pfund kein Quentchen begriff. Auch war zum Nachdenken keine Zeit. Ich riß meinen Rappen herum, aber da sah ich auch schon auf dem anderen Ufer der Maas zwei Schwadronen Dragoner über die Wiesen her gegen die Furth zusprengen, die mir wohl bekannt war. Durch die Deckung eines nahen Gehölzes, diesseits der Maas, glaubte ich ihnen am besten zu entkommen, ich sprengte darauf los, als es plötzlich aus den Weiden am anderen Flußufer einen Blitz und fürchterlichen Knall tat. Diesem folgten mehrere und einmal war mir's als ob ich einen heftigen Stoß in die linke Schulter bekommen hätte. Auch fühlte ich ein heftiges Brennen und Reißen an der Stelle, doch hatte ich darauf zu achten weder Zeit noch Besinnung ...

Aber ich sehe Euch an, unterbrach sich der Erzähler, daß Ihr endlich erfahren möchtet, wie alles zusammenhing. Das kam so. Schon am Vormittag war dem Marschall gemeldet worden, daß eine Abteilung des Feindes sich im Norden von Neuchâteau zusammengezogen mit der offenbaren Absicht, das wenig sichere Neuchâteau zu überrumpeln und sich meines Regimentes zu bemächtigen. Er hatte darum Befehl gegeben, daß ich mich mit dem Regiment in aller Eile aus Neuchâteau, woran ihm nur wenig gelegen war, zurückzuziehen habe, um mich im Lager von Lamothe mit der übrigen Armee zu vereinigen. Dieser Befehl war an meiner Statt von dem zweiten Hauptmann, dem Sieur von Chovence, ausgeführt worden, der nicht vergaß, eine Patrouille von vier Mann nach dem Schloß der Marquise zu schicken, um mich von den Vorfällen in Kenntnis zu setzen. Zu allem Unglück mußten diese Leute einem Schwarm feindlicher Reiter in die Hände fallen, also daß ich eigentlich noch von Glück reden kann, wenigstens mit dem Leben davongekommen zu sein.

Ich selber erfuhr diese Zusammenhänge erst drei Tage später. Denn mit Not im Lager angelangt und kaum aus dem Sattel gehoben, sei ich, so berichtete man mir später, ohne Bewußtsein und wie tot niedergesunken. Ich war nicht wenig erstaunt, solches zu hören.

Zwei volle Tage, scheint es, habe ich in Fieberphantasien gelegen, wobei ich, aus späteren Spottreden zu schließen, meiner Umgebung über die Marquise von Langeron und mich selber sozusagen wenig rühmliche Dinge verraten haben muß. Auch die Kugel, die ich im Rücken mitgebracht, wo sie, vom Mantel in ihrer Kraft geschwächt, das Schulterblatt nur wenig verletzt hatte und zwischen Bein und Fleisch stecken geblieben war, hatte man während meiner Bewußtlosigkeit entfernt.

– Ihr werdet sie kaum als Trophäe aufgehoben oder gar in Gold gefaßt haben, bemerkte der Zuhörer lächelnd.

– Wahrlich nicht, beteuerte der Graf. Sie war mir keine Ehre. Meine Feuertaufe, der ich in solcher Ungeduld entgegengeharrt, hatte sich nun so gestaltet, daß sie jeder höheren Weihe entbehrte. Dennoch dachte ich in der ersten Zeit meines Darniederliegens einzig an die schöne Marquise. Ich schmeichelte mir sehr mit der Aussicht, sie werde jeden Versuch machen, mich auf ihr Schloß abholen zu lassen, um mich eigenhändig zu pflegen. Denn notwendig mußte ihr mein Unfall zur Kenntnis gekommen sein. Aber sie ließ – einstweilen wenigstens – nichts von sich hören. Was ich später mit ihr erlebte, wird bald zu erzählen sein. Zunächst enttäuschte ihr Schweigen im höchsten Grade meine Eigenliebe. Und zugleich kam mit der Ernüchterung und dem Gefühl der Demütigung erst das Bewußtsein klar über mich, wie wenig wohl mein Abenteuer zu meinen Gunsten beurteilt werde. Auch ließ mir der Marschall einige Komplimente sagen, deren Sinn ich nicht mißverstand bei aller Höflichkeit der Form.

– Ihr werdet Euch eine Lehre daraus gezogen haben.

– Gewiß, Hochwürden, seufzte der Gefangene scherzhaft, nur mußte ich sehr schnell die Erfahrung machen, wie wenig Macht und Einfluß eine Lehre auf unser Handeln hat. Davon ein Näheres später. Für den Augenblick aber war das Schlimmste für mich, daß meine Wunde nur schwer heilte und mich für die ganze Zeit der Belagerung von jeder Aktion ausschloß, eine harte Probe für meinen jungen Ehrgeiz und Tatendurst. Ich hätte für meine Pflichtvergessenheit nicht schlimmer gestraft werden können. Auch war ich voll verbissener Wut in meiner Ohnmacht, bis mir die göttliche Poeterei eine Art Rettung wurde, sie, die dem mit ihr Beglückten zwar manchen Verdruß bereitet, aber in schlimmen Stunden auch eine süße Trösterin ist.

Der Kommandeur von Lamothe, ein Sieur von Iche, war eines Tages von einer Bombe – diese Sprenggeschosse, obwohl bereits seit einem halben Jahrhundert erfunden, wurden von uns vor Lamothe zum erstenmal in Frankreich in Anwendung gebracht – der Kommandeur, sagte ich, war getötet worden und an seiner Statt hatte sein Bruder, ein Kapuziner, das Kommando auf der Festung übernommen. Der Fall war spaßig genug. Ich dachte auch gleich an Bruder Hans bei Meister Rabelais und beschloß, die Heldentaten dieses neuen Bruder Hans in einem komischen Epos zu besingen, das ich, Gesang für Gesang, wie es fertig wurde, meiner angebeteten kleinen Base daheim, der fünfzehnjährigen Maria von Chantal, nachheriger Marquise von Sévigné, sozusagen mit feuchter Tinte zuschickte, wofür ich denn auch zum Dank entzückende Brieflein bekam.

In Wahrheit war unser Kapuziner von Lamothe nichts weniger als eine komische Figur. Er machte uns monatelang gehörig zu schaffen. Auch darf ich nicht verhehlen, daß wir auf unserer Seite aus Mangel an Erfahrung große Fehler begingen. Aber unseren Bomben hätte selbst der Teufel in Mönchsgestalt nicht auf die Dauer zu widerstehen vermocht. Immerhin hielt sich das elende Bergnest fast den ganzen Sommer über, und erst nach fünfmonatiger Belagerung, am 7. September, gelang es uns, die kleine Festung im Sturm zu nehmen. Auf Befehl des Kardinals wurden nicht nur die Werke geschleift, sondern die ganze Stadt, ich weiß nicht aus welchem Grund, dem Erdboden gleich gemacht, also daß heut auch nicht mehr eine Spur von dem ehemals berühmten Platz zu finden ist außer dem Berg über der Maas, der noch immer den alten Namen trägt und einzig von Wald und Gestrüpp bedeckt sein soll.

(Sogar in unseren vielberühmten und allwissenden Konversationslexiken, die französischen mit eingerechnet, ist nicht einmal der Name davon zu finden; man muß dazu schon auf die Enzyklopädien früherer Jahrhunderte zurückkehren. Anmerkung des Herausgebers.)

Schon vor Lamothe waren Nancy, Luneville, Epinal, wie eine Reihe anderer Platze von Lothringen in unsere Hände gefallen, und während der Don Quichote von Herzog ...

Eine plötzliche Handbewegung des Priesters ließ den Erzähler inne halten.

– Was gefällt Euch nicht, Hochwürden, fragte er.

– Nun ja, sprach Pater Nouet, Ihr sprecht so verächtlich von dem Lothringer, der dennoch, wenn ich recht unterrichtet bin, ein selbstloser, hochgemuter Herr war, ganz ein Ritter ohne Furcht und Tadel, ein leuchtendes Beispiel der Treue gegen seinen Oberherrn, den Kaiser.

– So ist es, sprach der Graf nachdenklich. Aber ein hochgemuter selbstloser Herr und erstaunlicher Abenteurer war auch der genannte Hagestolz von La Mancha. Es ist also nicht verächtlich gemeint, wenn ich den Herzog einen Don Quichote nenne. Ich bewundere Karl von Lothringen.

– Das läßt sich eher hören, versicherte der Priester.

– Wie sollt' ich auch nicht, fiel der Graf lachend ein, Karl von Lothringen hat über seinem Hang zu Kriegsabenteuern und fahrendem Rittertum ein Herzogtum leichten Sinnes in den Wind geschlagen, wie ich selber durch meinen Hang zur Poeterei mich um den Marschallstab und – wer weiß – vielleicht um den Herzogshut – Schlechtere als ich haben ihn erhalten – gebracht habe zum Spott meiner Feinde. Aber ich erzähle weiter.

Während also, habe ich gesagt, Karl von Lothringen dem Kaiser Ferdinand die Stadt Regensburg verteidigte und dem Kurfürsten von Bayern gegen die Schweden Beistand leistete – er war offenbar ein besserer Katholik als Politiker – besetzten die Franzosen sein Land von einem Ende zum andern. Mein eigenes Regiment, richtiger gesagt, das meines Vaters, wurde nach Epinal beordert.

Und auf dem Marsch dahin ist mir dann ein kleines Abenteuer zugestoßen, das wenigstens nicht ganz unrühmlich für mich ausfiel, ja, das wohl geeignet war, meine knabenhafte Unbesonnenheit von Neuchâteau einigermaßen wieder gut zu machen. Ohne diesen kleinen Zwischenfall wäre aber auch mein erster Feldzug, von dem ich fast nur lächerliche Dinge zu berichten habe, wahrlich ein recht unwürdiges Blatt im Buche meines Lebens, darin es doch zum Glück – mit berechtigtem Stolz sage ich dies – an wahrhaft großen und bedeutenden Dingen nicht fehlt und die – bei Gott, ich möchte den sehen, der mir zu widersprechen wagte – anderen Lohn verdient hätten als die Bastille. Aber bleiben wir bei der Sache.

Meine Marschroute und meine Quartiere auf dem Weg nach Epinal waren mir vom Marschall Tag für Tag vorgeschrieben. Als drittes oder viertes Quartier war das Städtchen Mirecourt zwischen Maas und Mosel notiert, wo ich einen doppelten Ruhetag machen sollte. In einigen Meilen Abstand von diesem Orte meldete man mir, daß das Städtchen bereits von dem Regiment »Türenne«, das unter dem Oberbefehl des Marschalls von Châtillon stand, besetzt sei.

Hier kam mir also zum erstenmal der Name Türenne, lang bevor ich mit dem Träger dieses Namens zu tun bekam, mit feindlichem Klang vor das Ohr. Als Kommandant des Regiments nannte man mir einen gewissen Sieur von Fontenay, mit dem Übernamen Coup d'epée, von dem man mir berichtete, daß er sein Quartier in rechtmäßiger Weise in dem Orte Charmes haben sollte, dem er aus reiner Willkür die Stadt Mirecourt vorgezogen hatte.

Ich beorderte unverzüglich den Major meines Regiments mit der mir ausgestellten Marschroute an diesen Herrn von Fontenay ab, den ich auf solchem Wege höflich auffordern ließ, mir den Platz zu räumen. Der Verwegene aber weigerte sich dessen und stellte dafür sein Regiment in Kampfbereitschaft gegen das meine. So jung ich war, begriff ich doch die Verruchtheit eines solchen Unterfangens. Darum schickte ich meinen Oberstleutnant zu dem Rasenden mit dem Vorschlag, den Kampf allein unter uns, unter Zuziehung von zwei Sekundanten, auszufechten. Fontenay nahm diese Herausforderung an, und schon waren Ort und Stunde unter uns vereinbart. Ich fühlte mich ordentlich stolz darauf, daß mein noch jungfräulicher Degen – diese Eigenschaft hatte er mit mir gemein – fürs erstemal in einer ernsten und würdigen Sache erprobt und nicht durch eine frivole Raufbolderei, wie es ja auch nichtswürdige Liebeshändel gibt (und ich habe mir selber deren vorzuwerfen), entweiht werden sollte. Denn ich habe stets in meiner Seele die höchsten Begriffe von Ehre und Tugend gehegt, auch gegen die erstere mich nicht ein einziges Mal in der Tat versündigt, wenn auch in Sachen der Moral ... aber moralisieren wir jetzt nicht. Ich stand also im Begriff, mich nach dem verabredeten Kampfplatz zu verfügen, richtiger gesagt, ich war, begleitet von meinem Oberstleutnant, bereits auf dem Wege dahin, als mir von einer fremden Staffette ein Billett überreicht wurde des Inhalts: der Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar bitte um die Ehre meines Besuchs und erwarte mich noch zu dieser Stunde in der Wohnung des Abts von Grâce-Dieu, eines Prämonstratenserklosters nahe bei der Stadt.

– Der Herzog Bernhard von Weimar? fragte Pater Nouet erstaunt.

– Ihr verwundert Euch, antwortete der Erzähler auf dieses Fragezeichen, über die Anwesenheit des Herzogs in Mirecourt. Seine Hoheit befand sich auf der Reise nach St. Germain, wo der Weimarer einige Monate später mit Richelieu den famosen Bündnisvertrag abschloß, in dessen Erfüllung der schlaue Kardinal dann freilich mehr als lässig war.

– Der Herr Kardinal hat nur zuviel getan für diesen Feind unserer heiligen Religion, warf Pater Nouet ein. Das war auch so einer wie jener Wallestein. Wie dieser nahm er die Religion zum Vorwand, sich ein Königreich, wenn möglich die Kaiserkrone zu erobern.

– Weil er die bestehende Kaisermacht zu vernichten Hoffnung gab, darum eben versprach ihm der Kardinal seine Unterstützung.

– Die er nachher wenigstens, beeilte sich der Priester hinzuzufügen, nur sehr mangelhaft zu gewähren den Mut fand. Dieser Fürst der Kirche war allzu sehr ein Knecht der Politik.

– Viele sagen, ihr soveräner Beherrscher, versetzte der Gefangene erheitert.

– Jeder ist Knecht, der der Politik dient, sprach in sanftem, doch bestimmten Ton der Jesuit. Aber verlieren wir nicht den Faden Eurer Erzählung, Herr Graf. Ihr seid also der Einladung jenes Bernhard gefolgt?

– Ich gehorchte zunächst meiner näheren Pflicht, nahm der Graf das Wort, und begab mich, nicht ohne mein Pferd zu besonderer Eile zu spornen, nach dem Ort unseres Stelldicheins. Hier fand ich bloß den Sekundanten des Herrn von Fontenay, einen alten Hauptmann namens Vaillac, der seinen Oberst entschuldigte und von dem ich erfuhr, daß dieser ein mit dem meinigen gleichlautendes Billett erhalten hatte.

Der Herzog mußte also von unserem Handel Wind bekommen haben. Ich gab meinem Pferd die Sporen und in weniger als einer Viertelstunde hielt ich vor der Abtswohnung zu Grâce-Dieu. Ein Hartschier in etwas phantastischem Aufputz sagte mir, daß mich der Herzog im großen Saal erwarte. Ein anderer seinesgleichen meldete mich und ich trat ein. Im Saal fand ich den Herzog allein mit Fontenay, genannt der Haudegen. Dieser machte ein Gesicht wie ein ausgescholtener Schulknabe, der Herzog schien mir zornig zu blicken. Ich sehe den großen Feldherrn noch heute vor mir, sehr einfach und ganz in schwarz gekleidet. Auch sein Harnisch, den er sich trotz der frühen Tagesstunde bereits angelegt hatte, war schwarz. Um so weißer erschien das scharfgeschnittene blasse Gesicht mit den großen helleuchtenden Augen von dunklem Blau. Sein Haupt war unbedeckt, das kastanienbraune Haar ergoß sich in reichen Locken auf die Schultern. Sein langer spitzer Knebelbart begann aber bereits zu ergrauen, was mich verwunderte, da der Herzog trotz seines weitverbreiteten Ruhms, wie man weiß, nicht viel über fünfunddreißig alt geworden ist.

»Was will der Knabe?« rief er unwirsch, als er mich erblickte.

»Eure Hoheit hat mir die Ehre erwiesen ...« antwortete ich befremdet.

Aber der Herzog ließ mich nicht ausreden. »Ah, Herr Vizegraf, rief er. Ich hatte wohl gehört, daß Ihr noch sehr jung wäret. Trotzdem seht Ihr mich überrascht. Kommt, mein Herzensjunge, ich muß Euch küssen. So, noch einmal. Und nun tut mir den Gefallen, umarmt auch diesen hier gegenwärtigen Herrn und Grafen von Fontenay, der mir versprochen hat. Euch hinfüro nur noch Liebes und Gutes zu erweisen.«

»Wird der Herr Oberst das Quartier räumen?« fragte ich mißtrauisch.

»Er wird,« sprach Seine Hoheit lachend.

Und wir umarmten uns zum Zeichen der Versöhnung. Mit einer freundlichen Handbewegung entließ uns der Herzog.

Noch einmal blieb also mein Degen jungfräulich wie sein Herr und so fügte es sich, daß er dieses wenig rühmliche Prädikat – ich meine natürlich wenig rühmlich für einen Degen – bei einer Gelegenheit verlor, wo auch im besten Fall nur geringe Ehre zu holen war, wie Ihr sehen werdet. Ich aber erhielt am anderen Tag zu meinem nicht geringen Erstaunen eine Einladung zur herzoglichen Tafel. Man gab mir sogar den Platz in nächster Nähe des Herzogs und Seine Hoheit sagte mir über meine Jugend und mein Betragen vom Tag vorher die schmeichelhaftesten Dinge. Zum Abschied gar versicherte mich der Fürst, daß er nicht verfehlen werde, den Vorfall dem Kardinal zu erzählen.

– Der verstockte Lutheraner, bemerkte Pater Nouet, wird zu St. Germain über seinem Schachern mit dem Kardinal Eure Gnaden gründlich vergessen haben.

– Mit nichten, rief der Graf. Er hat mein Abenteuer dem Kardinal haarklein erzählt. Als zwei Jahre später mein Vater – der, seiner frommen und sanften Gemütsart entsprechend, am Kriegshandwerk nie viel Geschmack gefunden – mir endgültig sein Regiment abtrat, wobei ich von dem Kardinal in persönlicher Audienz empfangen wurde, brachte Seine Eminenz von selber die Rede auf mein Abenteuer von Mirecourt; und ich konnte wohl bemerken, daß ich allein dem Weimar meine Bestätigung als Regimentskommandeur bei so jungen Jahren verdankte; denn ich war auch damals nur wenig über die achtzehn.

Der Erzähler machte eine Pause. Er verlor sich offenbar in angenehmen Erinnerungen an den glorreichen Kardinal, der ihm auch noch später sehr gewogen war.

– Ich ermüde Euch nun doch, entschuldigte der Jesuit.

– Nein, nein, rief der Graf. Ich erzähle schon wieder. Und also: ich marschierte auf Epinal. Ich hätte gewünscht, der Armee des Fürsten Condé zugeteilt zu werden, dem die Aufgabe zufiel, die mächtige Festung Dôle zu belagern. Aber höhere Bestimmungen wollten, daß ich trotz der frühen Jahreszeit zu Epinal das Winterquartier beziehen solle, und so ist es wahrlich nicht meine Schuld, wenn ich auch fürs nächste nicht von großen Kriegstaten zu erzählen habe, sondern nur davon, wie wir uns die Muße und Langeweile vertrieben, kurz wie wir uns in Feindesland für die unbefriedigte Tatenlust schadlos hielten, was denn bei mir von neuem auf dumme Streiche hinausläuft, wenigstens auf tolle, wofür ich aber diesmal bedeutend teurer zu zahlen hatte.

– Euren eigenen Ruhmredner macht Ihr wenigstens nicht, Herr Graf, das muß man Euch lassen, schaltete der Jesuit ein.

– Sicher nicht mehr als nötig, beteuerte der unheilige Neffe der heiligen Johanna von Chantal. Und fürs Erste, fuhr er fort, möchte mir das auch allzu schwer werden, obwohl ich mich jetzt keines ganz leichten Sieges zu rühmen habe. Er wurde mir sogar sehr schwer. Ihr, Herr Pater, werdet nur keine große Heldentat darin erblicken. Mit einem Wort: ich habe nichts Geringeres als die Pucelle von Domremy besiegt. Ich habe endlich über meinen Spottnamen triumphiert: denn als Spitzname wirklich war mir die Nebenbenennung meines ersten Quartiers (Domremy-la-Pucelle) hängen geblieben ... Aber was Ihr für ein Gesicht macht, Pater! Nun, ich weiß es zum voraus, was Ihr sagen könntet. Aber ich rede auch nicht vom moralischen Wert meines Sieges. Nur von der Schwierigkeit. Nein, nicht ironisch. Ihr habt meinen Roman gelesen, er ist gewiß nichts weniger als ein Lehrbuch der Keuschheit. Ihr kennt auch meinen Ruf in der Welt. Meine Feinde haben mich wohl allzu oft mit dem Titel eines hartgesottenen Sünders beehrt, und wenn sie damit nichts weiter meinten, als eben das Gegenteil eines Heiligen ... Kurz, so weit ich's später in der Meisterschaft dem weiblichen Geschlecht gegenüber gebracht habe, als Lehrling hat es mich was gekostet. Und wenn mir's zuletzt nicht noch leicht gemacht worden wäre, wer weiß.

An eine Dame von meinem Stand wagte ich in meiner Einfalt zunächst gar nicht zu denken. Doch bei einer kleinen Bürgerstochter glaubte ich wohl den Mut finden zu können. Es gab auch eine Anzahl allerliebste Mädels dieser Art in der kleinen Stadt, und ich erkor mir die ärmste und schönste zu meinem – sagen wir – Versuchsobjekt.

– So sprecht Ihr von einer Christenseele, verwies Pater Nouet.

– Seele, rief der Graf aus; wer zum Teufel spricht von Seele! An die dachte ich mit keinem Gedanken damals. War aber wahrhaftig ein allerliebstes Seelchen, das Fräulein Suson und ihrer berühmten Namensschwester aus dem alten Testament – obwohl nichts an ihr an das alte Testament erinnerte – in hohem Grade würdig. Im Ernst nämlich. Zwar gefiel ich ihr sehr, meine Aufmerksamkeiten setzten sie in höchstes Entzücken; aber ich schien einmal nicht gemacht, eine Unschuld, und das war Suschen, zu besiegen. Ich hätte erst über meine Schüchternheit triumphieren müssen. Bei diesem unerfahrenen Kind war das aber besonders schwer, also daß wir, so oft wir uns auch sahen, auch allein sahen, in langen Wochen über ein schämiges Küssen nicht hinauskamen. Und nicht wahr, Ihr hättet das nicht von mir gedacht, ehrwürdiger Vater?

– Ihr waret gewiß, sprach dieser, durch die Gebete Eurer frommen Tante Johanna von Chantal – die heute selber als Heilige von der Kirche verehrt wird – der allerheiligsten Jungfrau besonders anempfohlen und ans Herz gelegt.

Der Graf mußte lächeln. Er schwieg eine Weile vor sich hin. Er mochte daran denken, was er vor Jahren einmal in einem Briefe an Frau von Sevigné geschrieben, daß manche Priester die Heiligen notwendig kompromittierten, indem sie ihnen zumuteten, sich in Dinge zu mischen, die ihrer wenig würdig sind. Dieser burgundische Edelmann bekannte sich als Christ und Katholik im strengsten dogmatischen Sinn, aber die Religion und rein körperliche Angelegenheiten, wie er so was nahm, zusammen in Beziehung zu bringen, darüber lächelte er, wie man es nur dem bösesten Freigeist zugetraut haben würde, das war eine Gedankenassoziation, die ihm von selber in seinem Leben nicht in den Sinn gekommen wäre.

– Entschuldigt eine augenblickliche Zerstreuung, Pater, bat er höflich. Aber ich bin schon wieder bei der Sache.

Unter den verschiedenen Frauen von Stand, denen ich zu Epinal neben Fräulein Susannen pflichtschuldig – oder halb pflichtschuldig – aufwartete, muß ich die junge Frau des gar nicht mehr jungen Präsidenten d'Aurilac nennen, die später in sehr unschuldiger Weise für mich die Katastrophe herbeiführte. Oh, sehr unschuldig war sie daran. Denn auch ihr gegenüber, die doch mich sichtbar allen anderen vorzog, blieb ich in einem Grad der schüchterne Knabe, wovon sich wahrscheinlich viele Menschen nicht einmal eine Vorstellung machen können. Ich hatte von der Achtung, die der ritterliche Mann einer Frau seines Standes schuldet, die lächerlichsten Begriffe; ich beurteilte Welt und Menschen nach gewissen dummen Romanen, die ich gelesen hatte, und glaubte, daß ein Liebender erst durch endloses Schmachten und Seufzen und verzweiflungsvolle Tränen sich der Gunst seiner Angebeteten würdig mache.

Während ich also nun so, ein wahrhaftiger Esel des Buridan, zwischen zwei gleich reizenden Bündeln Heu hungerte und schmachtete, obwohl aus anderen Gründen als das närrische philosophische Grautier – erhielt ich eines Tages ein Brieflein, Ihr würdet, Pater, nicht erraten von wem.

Abermals von der schönen Marquise von Langeron. Sie war tags zuvor in die Stadt gekommen, wo sie ein Haus besaß, und forderte mich, wie ehemals zu Neuchâteau in der freiesten und graziösesten Weise auf, sie zu besuchen. Von meinem Unfall zu Lamothe, der mir um ein Haar verhängnisvoll geworden wäre, kein Wort. Diese Art verletzte mich im ersten Augenblick; aber bald entschuldigte ich in meiner jugendlichen Unerfahrenheit die schöne Base. Ich hatte wenig Mühe, mir einzureden, sie werde eben doch von dem ganzen Vorfall oder wenigstens von der Gefährlichkeit meiner Lage nichts erfahren haben. Immerhin ließ ich die Marquise drei Tage warten, ehe ich mich bei ihr meldete.

Und ihr schien es vorbehalten zu sein, über meine Blödigkeit zu siegen. Denn sie kannte offenbar das Geheimnis, das man sich so ungern selber eingesteht: daß der Mann erobern lernt, nur indem er erobert wird. Ehe acht Tage vergingen, war ich ihr Geliebter. Und wahrlich, sie genoß ihres Triumphes. Ich aber hielt mich meinerseits für den Sieger und berauschte mich mehr als es vernünftig war an meinem, wie mir vorkam, unerhörten Erfolg. Meine Schöne war ungemein klug. Sie benahm sich so, daß nichts in ihrem Betragen mich in meinem kindlichen Glauben störte, den schwersten Sieg der Welt davon getragen zu haben. Der Eroberer eines Königreiches konnte nicht höher von seinem Glück denken, als ich von dem meinigen. Noch niemals, meinte ich, sei einem Sterblichen so Großes widerfahren. Gott im Himmel, waren das Tage!

Aber so weit darf ich mich nicht vergessen, Euch Pater, diesen Taumel zu schildern. Natürlich hielt ich mich für den einzigen Begünstigten. Und grenzenlos wie meine neue Seligkeit in diesen ersten Wochen war meine Dankbarkeit gegen die schöne Frau. Diese Dankbarkeit nahm ich für Liebe und ich wäre zu jeder Tat bereit gewesen für die Geliebte, die ich bei Tag, um jeden Verdacht abzulenken, nur selten besuchte. Dabei übersah ich lange, daß meine häufige nächtliche Abwesenheit von meinem Quartier den Kameraden nicht entging, daß sogar der Gouverneur der Festung sich ganz besonders dafür interessierte. Dieser Gouverneur, ein Edelmann aus Anjou, genannt Sieur von Quincez, hatte sein Leben im Feld zugebracht und war nicht ohne soldatisches Verdienst. In früheren Jahren war er im deutschen Solde gestanden und hatte vom Kaiser den Titel eines Reichsgrafen erhalten. Der neue Rang hatte aber an seinen Sitten nichts geändert. Er war gewalttätig und ließ gern die anderen seine Macht fühlen. Zwar konnte er sehr nachsichtig sein, wo sein Interesse nicht ins Spiel trat, aber man wußte nie, wessen man sich von ihm zu versehen hatte.

Zum Glück – oder Unglück wußte ich zu dieser Zeit noch nicht, daß man ihm ehemalige intime Beziehungen zu Frau von Langeron nachsagte. Doch auch wenn mir dieses Gerücht damals zu Ohren gekommen wäre, und selbst vorausgesetzt, daß ich es geglaubt hätte – ich hätte mich in meiner Glücksverblendung wahrscheinlich sehr davor gehütet – würde ich doch, wie ich einmal war, mein Betragen um kein Haar geändert haben. Auch die allmählich sich einstellenden Neckereien der Kameraden über mein nächtliches Außensein beunruhigten mich um meiner Dame willen kaum, da ich bald merkte, daß die Vermutungen der Freunde sich auf falscher Spur bewegten, worin ich sie darin bestärkte, daß ich fortfuhr, bei Fräulein Susanne und der Frau Präsidentin ostentativ den Galanten zu spielen. Das Bewußtsein aber, mit meinem heimlichen Glück die Neugierde aller Welt so geschickt zu täuschen und hinters Licht zu führen, machte die Sache für mich noch pikanter ...

– Wie alt waret ihr? fragte Pater Nouet.

– Wie alt? Wartet ... wir standen im Sommer von Anno vierunddreißig, oder war's fünfunddreißig? Ich mochte also um die sechzehn oder siebzehn sein.

Darauf antwortete der Jesuit nur mit einem Aufschlag der Augen, der etwas wie unglaubliche Verwunderung und Mißbilligung zugleich ausdrückte. Dem Grafen schien die stumme Sprache zu entgehen.

– Je jünger ich war, fuhr er fort, um so fertiger wollte ich vor den andern erscheinen und um so eifersüchtiger wachte ich bei den Kameraden über alles, was den Schein erwecken konnte, die Berechtigung meines Anspruches etwa in Zweifel zu ziehen. Dabei war ich nichts weniger als ein Händelsucher, lebte vielmehr mit jedermann in bestem Einvernehmen und auch mit dem Gouverneur hätte ich mich wahrscheinlich niemals überworfen, trotz seiner verächtlichen Miene, die er gern gegen jedermann heraushing, wenn er eben nicht mein Vorgesetzter gewesen wäre.

– Man sollte meinen, umgekehrt sei's logisch, bemerkte dazu mit Lächeln der Priester.

– Vielleicht bei anderen, nicht bei mir, erwiderte der Graf trocken. Aber hört, wie die Sache kam. Eines Nachts so um die zweite Stunde nach Zwölf werde ich im Haus der schönen Marquise durch Kanonendonner aufgeschreckt. Drei Schüsse tat's von der Zitadelle herunter, das verabredete Alarmsignal. Ich also nichts wie in die Kleider. Und schon bemerkte ich auch durch die Fenster eine große Helle. Diese verwunderte mich nicht, denn ich kannte die Anordnung des Gouverneurs, wonach die Bürgerschaft die Weisung hatte, sich beim ersten Alarmzeichen abteilungsweise an bestimmten Orten einzufinden und dort ein Holzfeuer anzuschüren und zu unterhalten, wodurch in wenigen Minuten die ganze Stadt hell und licht werden mußte wie am Tage. Nur um die Punkte, wo die Feuer zu entzünden waren, hatte ich mich bis jetzt nicht gekümmert. Wie erschrak ich darum, als ich ans Fenster trat und mich überzeugte, daß eines der Feuer nur wenige Schritte vor der einzigen Türe des Hauses flammte, während verschiedene militärische Personen, in Mäntel gehüllt, vor dieser Türe auf und ab schritten.

Ich sah mich also in der Zwangslage, entweder beim Appell zu fehlen oder meine Nachtbesuche bei der Marquise zu verraten. Der eine wie der andere Gedanke war gleich peinlich. Die Marquise redete mir zwar eifrig zu, auf sie keine Rücksicht zu nehmen; aber je weniger sie Schonung für sich zu fordern schien, desto mehr glaubte ich sie ihr schuldig zu sein, und nach einer halben Stunde feigen Schwankens und verstohlenen Hinunterspähens, wo immer noch das Feuer loderte und immer mehr Menschen sich ansammelten, beschloß ich, mich lieber gegen den Dienst als gegen meine Dame zu verfehlen, und obwohl nicht wenig beunruhigt, was der Vorfall für eine Wendung für mich nehmen werde, blieb ich bei der Marquise absichtlich bis gegen Mittag, wo ich endlich das Haus verließ, nicht anders als wie einer, der einer Dame einen kurzen Morgenbesuch gemacht hat.

Und sehr stolz darauf, so ritterlich gehandelt und durch meine Vorsicht jeden noch so leisen Verdacht von meiner Dame abgewendet zu haben, schritt ich, jedermann herausfordernd in die Augen sehend und mehr als nötig mit den Sporen klirrend, über das Pflaster des Marktes. Ich richtete meinen Gang nach dem Schlosse, dem ich auf einem Umweg zustrebte und wo ich, wie alltäglich zu dieser Stunde, vom Gouverneur den Tagesbefehl entgegenzunehmen dachte. Da begegnete ich einem meiner Hauptleute, der mir über die Vorgänge der Nacht einige ganz bedenkliche Einzelheiten meldete.

Gleich nach den Alarmschüssen sei der Gouverneur in meinem Quartier erschienen, wo sich bereits meine sämtlichen Offiziere versammelt hatten, die meine Abwesenheit, so gut es gehen wollte, zu erklären und mich zu entschuldigen gesucht hätten. Aber Herr von Quincez habe ein sehr ernstes Gesicht gemacht. Es wäre in hohem Grade befremdend, habe er verlauten lassen – daß ein Kommandierender bei einem Alarm nicht aufzufinden sei. Wenn davon etwas an den Hof dringe, würde mir das eine schlechte Empfehlung für den Anfang meiner Laufbahn sein. Kurz, das Verhalten des Gouverneurs habe meine guten Offiziere in keiner kleinen Bestürzung zurückgelassen.

– In diesem Augenblick, bemerkte der priesterliche Zuhörer, habt Ihr gewiß an Euren Unfall von Neuchâteau gedacht und bedauert, die dort erhaltene Lektion so leicht in den Wind geschlagen zu haben.

– Keineswegs, gestand der Erzähler treuherzig; ich dachte einzig daran, was ich dem Gouverneur sagen könnte, ohne zu lügen, noch auch andererseits mein Geheimnis zu verraten. Beides hielt ich meiner unwürdig. Mit solchen Überlegungen kam ich im Vorsaal Seiner Gestrengen an, der eben den Obersten sein Bedauern darüber ausdrückte, sie in der Nacht ohne Not bemüht zu haben, da ein ihm gemeldeter feindlicher Angriff auf die Stadt nachher ausgeblieben war. Als die anderen gingen, hielt er mich allein zurück.

»Ich muß Euch gestehen, begann er in ernstem Ton, daß ich sehr erstaunt war, Euch beim Alarm dieser Nacht nicht gesehen zu haben. Ich bin ein Freund Eures Vaters, fuhr er fort, und möchte ebenso sehr der Eurige sein; darum wollte ich Euch vor den Kameraden nichts sagen, ich fürchte nur, man wird den Fall von irgend einer Seite an den Hof berichten.«

Was sollte ich erwidern. Ich stand beschämt und zugleich empört. Die Schonung, die man mir scheinbar angedeihen lassen wollte, ließ mich den Verweis doppelt fühlen; und im höchsten Grade aufgebracht war ich über die Drohung, denn wer anders konnte über mich an den Kardinal berichten als der Gouverneur.

– Ihr wäret aber doch wirklich in der Schuld, ließ sich in liebreich-strengem Ton der Jesuit vernehmen.

– Das sagt' ich mir auch, als die erste Aufwallung vorüber war, bestätigte der Gefangene, und ich wollte sogar schon den Mund öffnen zu einem Dank für die milde väterliche Behandlung, als der Gouverneur, der sich sichtlich am Anblick meiner Bestürzung und Beschämung weidete, plötzlich in lautes Lachen ausbrach.

Darauf gestand er mir, unter stetigen Ausbrüchen seiner Heiterkeit, den wahren Sachverhalt.

»Ich wollte ja nur gern wissen, begann er, wo Ihr Eure Nächte zubringt, und als man mir die verflossene Nacht wieder, wie schon so oft, Euer Außenbleiben gemeldet, kam mir der Einfall, Euch mittelst der Alarmzeichen aus Eurem Versteck aufzuscheuchen. Ich ließ denn auch die Lärmfeuer vor den verschiedenen Häusern anzünden, wo ich Euch allenfalls vermuten konnte. Und sorgfältig auch ließ ich alle Ausgänge dieser Häuser durch meine Spione beaufsichtigen. Aber ich muß gestehen, Ihr habt meine List zuschanden gemacht.«

– Seltsame Handlungsweise eines Gouverneurs, meinte der Pater.

– Und welche Dummheit, fiel der Graf ein, ein solches Geständnis einem Menschen zu machen, den man zuvor so empfindlich beschämt hat. Diese vorausgegangene Demütigung ließ mich das Kompliment überhören, womit der Gouverneur seine Rede schloß, und ich ging weg mit Groll in der Seele und dem Vorsatz, es dem Gouverneur heimzugeben, wenn sich die Gelegenheit bieten sollte.

Dieser Vorsatz wurde noch lebhafter in mir, als mir wenige Tage später zum erstenmal das Gerücht zu Ohren kam von den früheren Beziehungen des Gouverneurs zur Marquise von Langeron. Noch vor einer Woche hätte ich wahrscheinlich mit voller Ungläubigkeit dazu gelächelt. Jetzt aber, wo ich alles gern aufgriff, was mir den Gouverneur verhaßt machen konnte, schien mir die Sache durchaus wahrscheinlich und ich stellte die Marquise darüber zur Rede. Sie schien sehr empört und leugnete, aber gerade ihre Aufgeregtheit über die Sache schien mir für ihre Schuld zu sprechen. Da sah ich auf einmal mein Verhältnis zu ihr mit anderen Augen und ich redete mir ein – vielleicht war es auch so – daß es allein von vornherein nur ihr um mich zu tun war und nicht mir um sie; daß sie es war, die sich meiner bemächtigt, nicht umgekehrt, kurz daß ich eine wenig ruhmreiche Rolle gespielt in unserem Verhältnis zueinander und daß die Dame gewiß im geheimen über meinen Erobererstolz lachte, zu dem ich in Wahrheit so geringen Grund hatte. Was ich für Liebe gehalten, verkehrte sich nun plötzlich in tödlichen Haß. Mit heldenhaftem Entschluß, in den sich ein gut Teil echt knabenhaften Trotzes mischte, kehrte ich der Schönen den Rücken und sah sie nie wieder.

Um so eifriger zeigte ich mich bei unserer Präsidentin von Aurilac und machte – aber wahrlich mehr zu meinem Spaß als zu meinem Ärger – bald die Entdeckung, auch hier den Gouverneur zum Nebenbuhler zu haben. Mein Spaß bestand darin, daß ich mich schnell davon überzeugte, diesmal wenigstens sei mir der alte Wolf nicht zuvorgekommen.

Leider sah ich mich überhaupt genötigt, mein anfängliches Urteil über die Präsidentin gründlich zu korrigieren. Ihr Entgegenkommen mir und anderen gegenüber war bei ihr nichts als die übliche gesellschaftliche Liebenswürdigkeit, worin sie höchstens noch etwas weiter ging, als die damalige allgemeine Sitte erheischte; aber daraus die Konsequenzen zu ziehen, worauf wir alle rechneten, fiel ihr nicht ein. Keiner jedoch ließ deswegen die Hoffnung auf sie fahren. Vielmehr erhöhte auch hier, wie immer, der Widerstand das Begehren, und besonders der Gouverneur schien entschlossen – wie man es von ihm auch gar nicht anders gewohnt war – in List oder Gewalt bis zum äußersten zu gehen. Er schien nur die günstige Gelegenheit abzuwarten. Denn wie Horaz mochte er überzeugt sein, daß die Gelegenheit eine moralisch neutrale Göttin ist, die das Böse begünstigt wie das Gute. Nicht anders dachte ich selber. Auch ich zweifelte nicht, daß meine Gelegenheit – meine Gelegenheit zur Rache an ihm – über kurz oder lang kommen werde. Also waren wir sozusagen in der gleichen Lage, und geradezu komisch ist es, wie seine Gelegenheit zugleich die meinige wurde.

– Ich sehe schon, nickte der Pater vor sich hin, wie der Rächer Wallesteins sich abermals in eine schlimme Lage bringt.

– Nun, meinte der Erzähler, ich habe es wenigstens früh offenkundig gemacht, daß man mir nicht ungestraft zu nahe treten darf, und für einen Soldaten ist es wichtig, über diesen Punkt keine Unklarheit zu lassen. Daß ich dies zugleich mit anderen Mitteln erreicht als dem üblichen brutalen Zweikampf, wurde mir um so höher angerechnet, als ich bald genug zeigen konnte, wie wenig ich diesen fürchtete. Was aber meine etwas kindlichen Rachegedanken für den ermordeten Waldstein betrifft, so bekamen diese gerade jetzt neue Nahrung.

Ein Teil der Besatzung von Epinal, darunter auch unser Regiment, sollte wirklich mit dem ersten Frühjahr unter dem Marschall von Gramont nach Deutschland aufbrechen. Der Marschall selbst kam nach Epinal, um von da das Zusammenziehen der Truppen zu leiten. Wenigstens wurde es uns so dargestellt, und ich schätzte mich überglücklich bei diesen neuen abenteuerlichen – was sage ich? – ruhmreichen Aussichten. Ich vergaß darüber sogar eine Zeit lang meinen Spahn mit dem Gouverneur. Und siehe, gerade in einem Augenblick, wo ich nicht mehr darauf spannte, kam die genannte Gelegenheit, welche nicht nur eine moralisch gleichgültige, sondern auch höchst launenhafte Göttin ist. Der Gouverneur hielt sie ebenfalls für gekommen. Er wußte – ich wußte es auch – daß der Präsident für einige Tage auf sein Landgut hinausgeritten. Wie ich meinen Gouverneur kannte, d. h. wie alle Welt ihn kannte, auch seine zuletzt fast drohend fordernde Haltung gegen die kokette – das ist vielleicht das richtige Wort – gegen die kokette Präsidentin in Betracht gezogen, war von ihm, im Zusammenhang mit dieser Entfernung des Präsidenten das Gewagteste zu erwarten. Und als er an diesem Abend bei einem Festgelage, das der Marschall gab – wobei ich ihn genau beobachtete – kurz vor Mitternacht verschwand, da blieb mir kaum ein Zweifel über sein Vorhaben.

»Hast du bemerkt, unser Gouverneur ist unsichtbar geworden, sagte ich zu meinem Freund, dem Chevalier von Ambleville, damals Hauptmann der zweiten Kompagnie des Regiments Conti. Ich wollte ihn schnell zu finden wissen, fuhr ich fort, hast du Lust zu wetten?« »Was braucht's da noch Wettens, antwortete Ambleville, er wird sein Glück bei der Präsidentin versuchen. Wollen wir vielleicht hinter ihm her sein, wie die Sache abläuft? Der Verwegene macht sicher einen dummen Streich.« »Komm, rief ich; ein bißchen frische Luft wird uns auf alle Fälle gut tun.«

So machten wir uns auf, noch ohne zu ahnen, was für einen Mordspaß wir haben sollten und wie der blinde Zufall unseren schadenfrohen Erwartungen in die Hände arbeiten würde. Denn als wir in der schmalen finsteren Gasse, die zur Rückseite des d'Aurilacschen Hauses führte, uns diesem langsam näherten, rannte plötzlich in sich überstürzendem Lauf der Gouverneur gegen uns. »Heda, Herr Graf, rief ich, warum so eilig?« Statt aller Antwort erhielt ich einen Stoß gegen die Brust, der dem Gouverneur die Bahn frei machte. Ambleville war bereits nach der anderen Seite ausgewichen. Und in demselben Augenblick erkannten wir die Ursache der eiligen Flucht, deren Zeuge wir waren. Ein weißes Gespenst, mit hoher Zipfelmütze, war hinter dem Gouverneur drein, ihn mit einem unglaublich langen Spieß bedrohend. Wir glücklichen Zeugen selber waren einen Augenblick lang nicht wenig erschrocken. Ambleville, der sich eng an mich drückte, murmelte wahrhaftig ein Ave, sich zugleich dreimal bekreuzend. Er wollte das später ableugnen. Aber es war doch Tatsache, und um ein Haar wäre es deswegen zu einer Rauferei zwischen uns gekommen. Er hatte mir sogar bereits seinen Sekundanten geschickt. Doch gelang es mir, ihn mit einer scherzhaften Wendung wieder zu begütigen. Denn wenn ich gleich darauf brannte, die noch immer bewahrte Jungfräulichkeit meines Degens, wie kurz zuvor meine eigene, sozusagen an den Mann – diesmal an den Mann – zu bringen, woran niemand zu zweifeln gewagt hätte, so schien es mir doch eine ganz wahnsinnige Tollheit, um eines Scherzes willen einen guten Freund vielleicht zum Krüppel zu machen oder gar zu töten. Ich habe mein Leben lang die gewohnheitsmäßige Duellraserei mißbilligt, der besonders damals viele brave Leute des Königs fortwährend zum Opfer fielen. Was für eine Vernunft war auch dabei, daß sich jeden Augenblick die tüchtigsten Menschen derselben Armee, oft im Angesichte des Feindes für nichts und wieder nichts, für eine Lappalie, die Hälse brachen.

– So weise Reden höre ich gern aus Eurem Munde, sprach Pater Nouet mit sanftem Nachdruck.

– Doch darf man deswegen, beeilte sich der Graf einzuwenden, das Duell an sich nicht verdammen. Niemand soll ungestraft einem Edelmann und Soldaten in die Quere kommen dürfen. Und so habe ich nie ein Duell gesucht, bin aber auch nie einem ausgewichen. Von einem sehr ärgerlichen zu erzählen, bin ich nahe daran. Zuvörderst aber den Ausgang unserer Gespenstergeschichte.

Zufällig standen an der Seite der Gasse, wo wir uns hielten, einige hohe Tonnen, da ein Küfer hier seine Werkstatt hatte. So geschah es, daß der Geisterspuk mit der Hellebarde uns nicht gewahr wurde, auch nicht, als er, von der Verfolgung des Gouverneurs abstehend mit eiligen aber unhörbaren Schritten auf dem holprigen Pflaster zurückkehrte und durch die Hinterpforte des präsidentlichen Hauses verschwand. Es mußte also wohl, wenn es wirklich nicht der Teufel war, entweder der Präsident selber oder sonst ein Geist seines Hauses gewesen sein. Ich meinerseits stimmte für den Präsidenten, der Baron Ambleville schien starke Zweifel darein zu setzen. Er war immer noch ganz kleinlaut. Und so kehrten wir ziemlich stumm zum Bankett des Marschalls zurück, wo wir den Gouverneur fanden, der in einer engeren Gruppe mit dem Marschall sich ruhig am Spieltisch beteiligte als ob nichts vorgefallen wäre. Er schien unsinnig zu gewinnen und ich dachte an das bekannte Sprichwort. In einer andern Region des Saales ging es ziemlich lärmig zu. Hier wurden, von schallendem Gelächter begleitet, ausgelassene Späße erzählt und saftige Unzweideutigkeiten beklatscht. Die Herren mochten den Wein verspüren. Man tat sich kaum einen Zwang an. »Da ist Bussy zurück,« rief der Chevalier Isigny. »Zu uns, Bussy,« riefen mehrere, »hier gibt's was zu lernen.« »Und der hat's nötig,« ließ sich Freund Jumeaux vernehmen. »Er soll uns ein neues Liedl zum besten geben,« klang's von anderer Seite. Und schon fühlte ich mir auch die Laute in den Arm gedrückt.

Nun hatte ich bei Gott, während der stummen Rückkehr mit Ambleville, auf unser Erlebnis, mit Unterlegung einer vielgesungenen Melodie, bereits einige Strophen zusammengereimt. Die Aufforderung kam mir also in jedem Sinn gelegen; man gebot mit großem Tumult Ruhe und ich, nachdem es wirklich einigermaßen still geworden, begann:

Mein Freund, la la
Sag an, tra tra,
Sag an, warum du so rennst. –
Halt ein, la la,
Sag an, tra tra,
Sag an, was will das Gespenst. –
Ei, ei!
Dideldumdei,
Dideldum, dideldum, dideldumdei.

Im Hemd, ei ei!
Mit dem Spieß, ei ei!
Hinter mir fuchtelt's und sticht's,
Und wenn ich, ei ei,
Nicht lauf, ei ei,
Und wenn ich nicht lauf', so sticht's,
Ei, ei!
Dideldumdei,
Dideldum, dideldum, dideldumdei.

Mein Freund, la la,
Dir macht, tra tra.
Ein hemdiger Ehemann angst.
Nachtmüßig, la la,
Nacktbeinig, tra tra,
Ein Eh'mann ja ja macht angst,
Ei, ei!
Dideldumdei,
Dideldum, dideldum, dideldumdei.

Nicht wahr, fragte der Graf, der sogar auf den strengen Lippen des Jesuiten einen Anflug von wohlgefälligem Lächeln bemerkt zu haben glaubte; nicht wahr, meine Rache war fein?

– Sie war Eurer besonderen Waffe entsprechend, Herr Troubadour, antwortete der Pater in einem Ton, der zwar nicht unfreundlich, aber auch nicht eine Spur beifällig klang.

– Sie wurde nur, durch das Zutun der Anderen, fuhr der Gefangene in seiner Erzählung fort, viel weiter getrieben, als es in meiner Absicht lag. Denn während ich sang und die ganze Gesellschaft im Chorus bei jeder Strophe mit frenetischem Gebrüll einfiel – auch ging es noch durch eine Anzahl Strophen weiter – hatte Ambleville den Indiskreten gespielt, und bald wußte die ganze Korona, auf wen es ging. »Hollah, der Gouverneur! Dieser Teufelskerl. Aber nun soll er erzählen, der Duckmäuser!« So rief's von allen Seiten. Die ganze Gesellschaft drängte sich um den armen Quincez. Was war da zu machen. Leugnen hätte wenig genützt. Er konnte nicht zweifeln, daß wir beide ihn erkannt hatten. Selbst der Marschall drang zuletzt auf Erzählung. Da mochte er es am geratensten finden, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Natürlich suchte er zu beschönigen, so gut es ging. Am Hause des Präsidenten vorüberkommend habe er im Salon Licht gesehen und geglaubt, es sei Gesellschaft bei der Präsidentin. Er habe aber dann im Salon die Dame allein gefunden, die, bereits im Nachtgewand, mit einem Buch am Kamin saß. »Nun denken Sie sich in meine Lage, meine Herren, fuhr er fort. Den Präsidenten wußte ich auf seinem Landgut – ach, er war leider bereits zurück und lag nebenan im Bett. Wie konnt' ich's ahnen. Ich dachte ihn, wie gesagt, weit weg, ich sah mich allein in stiller Nacht mit der koketten reizenden Frau. Ich hätte mich für einen Esel in der siebenten Potenz gehalten, wenn ich nicht ... Denkt doch, der Feind so in meine Hand gegeben! Denn als Feind durfte ich die Präsidentin ansehen. Sie hat uns alle wie lange an der Nase geführt. Ich war also wie Ihr mir glauben werdet, meine Herren, ich war nicht schüchtern. Meine Position war zu günstig, der Feind ganz unverteidigt. Ich blies also zum Sturm. Da zum Teufel auch, wird die Türe aufgestoßen und ich erblicke vor mir den Präsidenten im Hemd, wie er aus dem Bett gesprungen, ich sehe, wie er mit einer gewaltigen Hellebarde sich auf mich stürzt. Meine Herren, was blieb mir da übrig, als ...«

»Als das Hasenpanier zu ergreifen,« sprach zur Verwunderung aller der Marschall mit der ernstesten Miene von der Welt. »Wahrlich, ich muß Euch tadeln, Herr Gouverneur,« setzte er streng hinzu. »Ein solches Betragen ist in Eurer Stellung am wenigsten zu entschuldigen. Das sieht bedenklich nach Mißbrauch des Amtes aus, und wenn der Herr Präsident morgen vor mir erscheint und Klage gegen Euch führt wegen Vergewaltigung seiner Frau, ich darf ihn nicht abweisen.« »Er hat keinen Zeugen«, meinte der Gouverneur kleinlaut. »Die Herren von Bussy und von Ambleville,« versetzte der Marschall, »werden ihr Zeugnis nicht verweigern.« Mit diesen Worten blickte der alte Marschall den Gouverneur durchbohrend an, der erblaßte. Ich aber jubelte in meinem Herzen, dem Gouverneur einen noch peinlicheren Augenblick verschafft zu haben als er mir getan.

Der gute Mann war denn auch von der Haltung des Marschalls so getroffen, daß er sich wie ein armer Sünder davonstahl.

– Euren Marschall muß man loben, sprach da der geistliche Zuhörer; nur zu oft wird uns von diesen Herren ein ganz anderes Verhalten berichtet.

Der Graf lächelte eigentümlich.

– Wie man's nimmt, sagte er dann. Man könnte den Marschall auch tadeln. Der Krieg ist keine Betstunde und Mucker taugen nicht zum Waffenhandwerk. Darum ist jener Waldstein fast gewaltig worden wie ein Kaiser und darum hatte später der große Condé so unglaubliche Erfolge, weil beide dem Grundsatz huldigten: Leben und leben lassen. Aber unserem Marschall war sein Auftreten auch gar nicht ernst. Der Gouverneur hatte sich kaum weggestohlen, als er sofort den Ton änderte. »Ich wollte dem Wolfsgesicht nur ein wenig bange machen, sagte er lachend; das scheint mir über Erwarten gelungen.« Also erschien Herr von Quincez noch dazu als der Gefoppte, und ich fühlte mich in einer Weise gerächt, wie ich es in meiner kühnsten Phantasie mir nicht zu träumen gewagt hätte. Meine Genugtuung war unbegrenzt. Das Verhängnis aber folgte ihr auf dem Fuß ...

Der Erzähler hielt inne. Sein Blick hatte bemerkt, daß sich eine männliche Gestalt ihnen genähert, die jetzt in mehreren Schritten Abstand respektvoll wartend stehen blieb, wo sie sich als dunkle Silhuette gegen die untergehende Sonne abhob. Ein bitteres Lächeln ging um den seinen Mund mit dem blonden Stutzbärtchen.

– Meine Stunde ist abgelaufen, sprach der Gefangene, indem er sich erhob und mit einer leichten Kopfbewegung auf den Harrenden hindeutete. Also denn morgen, wenn Ihr die Güte haben möchtet.

Und mit einem Händedruck verabschiedete er sich von dem Priester im Jesuitenkleid, der herbeigeeilte Diener nahm den Mantel auf, der dem Grafen beim Aufstehen von der Schulter geglitten; dann schritt er hinter seinem Herrn drein nach der Wendeltreppe des nächsten Turmes, desjenigen, der mit grausamer Ironie der Turm der Freiheit genannt war, wo alle beide wie in einer Versenkung langsam untertauchten. Die dunkle Silhuette mit dem schweren Schlüsselbund am Ledergürtel folgte ihnen.

Pater Nouet, an eine der Mauerzacken gelehnt, stand noch einige Augenblicke in stummem Betrachten vor dem Panorama der Stadt Paris, das sich in der Tiefe ausbreitete, unübersehbar weit, aber jetzt dem Auge halb entrückt durch einen bläulichen Schleier, den der Rauch aus vielen Tausenden von Kaminen, zusammen mit dem Hauch des Abends, dicht und dichter wob und über dem unendlichen Dächerozean hinwallen ließ, aus dessen Mitte, wo das silberne Band des Stromes zum zweitenmal sich teilte, ein grauschwarzes Ungetüm, mit scharfkantigem stacheligen Rücken den Schleier zerreißend, hoch darüber hinwegragte, am Kopf zwei stumpfe Glieder, gleich den Riesenfühlhörnern eines versteinerten Monstrums gerade in den Himmel streckend – die Notre-Dame-Kirche von Paris.

Steif, unbeweglich, wie geistesabwesend stand die schmale Gestalt des Jesuiten vor dem Schauspiel des verdämmernden Tages über der Riesenstadt.

»Dieser Graf Bussy von Rabutin, dachte er bei sich im stillen, gleicht recht dem Mann in der morgenländischen Fabel, der sich vor der Wut seines Kamels in eine Zisterne geflüchtet, aus deren Tiefe ein giftiger Drache ihn noch schlimmer bedrohte als das Kamel selber. Aber an einem Strauche sich notdürftig haltend, gewahrte er daran kleine Träublein von süßen Beeren. Daran begann er sofort sich gütlich zu tun, und über der Befriedigung seiner Naschlust und schwelgend in leichtsinnigem Genießen, vergaß er Kamel wie Drachen. So brauchte ich diesen Unglücklichen, der noch vor kaum zwei Stunden der finstersten Verzweiflung nahe war, nur dahin zu bringen, mir seine Jugendsünden zu beichten, sofort schwelgt er förmlich im Nachgenuß seines jugendlichen Übermuts, genießt die Süßigkeit seiner leichtsinnigen jungen Tage noch einmal, ist wie bezaubert von der Erinnerung lang vergessener toller Streiche, gerät von neuem ganz hinein in die ehemalige tolle Stimmung und vergißt darüber alle schlimme Gegenwart und Zukunft, die Bastille, die ihn umfängt, die Ungnade seines Königs, die so schwer auf ihm lastet, wie alles Schlimme, was ihm die Zukunft vielleicht noch vorbehalten mag.

Ja, so ist der Mensch. Soll man seinen Leichtsinn ein Verbrechen nennen oder nur Torheit. Oder muß man ihn wirklich, wie der Graf meint, als schönste Beigabe unseres armen Lebens betrachten? Ist er, dieser Leichtsinn, ein Geschenk der bösen oder guten Geister?«

Mit dieser Frage in der Seele schritt Pater Nouet, der Verfasser von einem halben Dutzend asketischer Erbauungsbücher, der Treppe zu, die im Turm der Freiheit – wirklich, so war dieser Turm genannt – an den Türen entsetzlicher Kerker vorüber, nach dem inneren Hof der Festung hinunterführte.

II.

Die folgenden Tage regnete es und die Dachterrasse war unzugänglich. In dumpfem Brüten saß der Graf vor dem leichten Tisch von ungestrichenem Tannenholz, wo sein Diener eben damit fertig geworden, die Reste des Frühstücks abzuräumen. Wie am Abend zuvor war er in seinen schwarzen Mantel gewickelt und nur die weißseidenen Strümpfe und die Schuhe mit goldenen, diamantenbesetzten Schnallen und weit abstehenden gesteiften Schleifen sahen darunter hervor. Auf seiner natürlichen ehemals goldbraunen, nun leicht angesilberten Perücke fehlte der Dreispitz.

Das Gemach war nicht allzu eng, auch hinlänglich beleuchtet, trotzdem armsdicke Eisenbarren in dreimaliger Wiederholung die schmalen Lichtöffnungen vergitterten, die, gleich den Schießscharten einer Kasematte, nach außen sich zu schmalern Spalt verjüngend, das klafterdicke Mauerwerk durchbohrte. Weißgekalkte Wände, nackt wie das Nichts, umgaben den Gefangenen. Doch schlössen sich an das Hauptgemach zwei Nebenräume, eine Schlafkammer für den Grafen und der Verschlag für den Bedienten.

Der Gefangene wäre schon glücklich gewesen mit etwas Papier und einem Schreibzeug. Allein beides wurde ihm nur gelegentlich und selten gewährt zur Abfassung von Briefen, wozu in jedem einzelnen Fall die Genehmigung des Gouverneurs eingeholt werden mußte.

Die Vergünstigung einer täglichen Promenade im inneren Hof der Festung aber hatte der Graf wegen der damit verbundenen peinlichen Vorschriften bis jetzt hartnäckig abgelehnt.

Nicht nur mußten die dort sich ergehenden Gefangenen sich auf Schritt und Tritt von einem Wachsoldaten begleiten lassen, noch unbequemer, ja empörend war das Gesetz, daß sie von keinem fremden Auge gesehen werden durften. Sobald jemand von der Außenwelt, Handwerker oder Lieferanten, den Hof betrat, waren die Arrestanten verpflichtet, sich schleunigst in ein Brettergehäuse zurückzuziehen, das ausschließlich diesem Zweck diente, und sich dort so lange verborgen und still zu halten, bis der Hof wieder leer war. Einem solchen entwürdigenden Gebot sich zu fügen, schien dem Grafen eine Unmöglichkeit. Er mochte auch schon aus bloßem Trotz seine Zelle nicht verlassen.

In diesem einen Punkte konnte er so etwas wie Auflehnung, wie freie Selbstbestimmung betätigen, und er schöpfte daraus eine Art innerer Genugtuung. Er verkroch sich in diesen Trotz wie in ein letztes Winkelchen von Freiheit, das man ihm nicht zu nehmen vermochte.

Natürlich kam dieses Verhalten seiner Gesundheit, körperlichen und seelischen, wenig zustatten.

So saß er also auch heute wieder in trostlosem Hinbrüten, die Seele der schwärzesten Melancholie preisgegeben. Von seiner Mahlzeit hatte er kaum einen Bissen berührt. Der Lebenstrieb in ihm wollte sich zwar nicht abtöten lassen, aber alle seine Organe befanden sich in einer Art Empörung und Revolution gegen diese Lüge von Leben, das in Wahrheit der Tod selber war. Der Unglückliche fühlte, wie er zu allem Elend krank wurde in allen Säften.

Wuchtig knarrendes Geräusch von Eisenringeln riß ihn aus seiner düsteren Versunkenheit. Ein Schlüssel, so klang das Geräusch, wurde zweimal im Schloß gedreht und eine schwere Tür ächzte in ihren Angeln. Sehr gedämpft klang es wie von Ferne. Doch dann wiederholte sich's verstärkter und wie um Vieles näher. Endlich noch einmal, ganz nahe, in schrill kreischenden Tönen.

Denn drei schwere, schwer mit Eisen beschlagene Türen versperrten diesen klafterdick ummauerten Kerker.

Und nun tat die letzte nach innen sich auf. Ein Strahl der Freude flog über das Gesicht des Gefangenen und er erhob sich von seinem Sitz. Vor ihm stand Pater Nouet im langen Schwarzmantel, den Schiffhut unterm Arm.

– Wie ich Euch danke, rief der Graf bewegt.

– Nicht mir, wehrte der Jesuit, allein unserer frommen Königin, Eurer gnädigen Herrin, gebührt Euer Dank; ich gehorche bloß den Befehlen Ihrer Majestät. Mit deren allerhöchsten Erlaubnis auch bringe ich Euch dieses.

Mit diesen Worten reichte der Jesuit, indem er sich auf einen Stuhl niederließ, dem Grafen einen unversiegelten Brief.

– Von meiner Frau ...

Pater Nouet machte dem Gefangenen ein Zeichen, daß er den Brief lesen möge, und mit hastiger Hand, indem er voll Rührung sich entschuldigte, entfaltete der Graf das Blatt. Er hatte kaum einen Blick darauf geworfen, so stürzten ihm schon die Tränen aus den Augen.

Der Jesuit betrachtete unterdessen aufmerksam den Knopf seines spanischen Rohres, der einen beinernen Totenkopf darstellte.

– Die Gute, rief der Graf, sie hat sich der Königin-Mutter zu Füßen geworfen. Ihre Majestät war über die Maßen gnädig gegen sie. Oh, daran erkenne ich Anna von Österreich. Diese fromme Habsburgerin war immer die Milde selbst. Und mir war sie gewogen seit den Anfängen meiner Laufbahn. Sie war die einzige, die es klar erkannte, welches Unrecht mir von dem Hugenotten Türenne geschah. Denn sie allein ließ sich von dem Glanz seiner Erfolge nicht über die kleinliche Engherzigkeit seines Charakters täuschen. Meine Frau schreibt ganz entzückt von Ihrer Majestät; sie macht mir Hoffnung, mich nächstens in meinem Kerker besuchen zu dürfen. Ich habe es kaum um sie verdient.

– Ja, sagte kopfnickend der Priester. Ihr habt wohl viel gegen sie auf dem Gewissen. Möchte das Unglück Euer flatterhaftes Herz ihr in Treue zuwenden.

– Mein Herz ist wahrhaft zerknirscht, beteuerte jener. Zudem, was bleibt mir hier übrig, fügte er in leichterem Tone hinzu.

Pater Nouet antwortete nur mit einem strengen Blick. Eine Sekunde lang herrschte peinliches Schweigen.

– Ihr zweifelt an mir? fragte der Gefangene fast ängstlich.

Der Priester schien nach Worten zu suchen.

– So lang Ihr noch glauben könnt, brachte er dann zögernd und vorsichtig hervor, daß Euch der König zu Unrecht hier ein Obdach gewährt.

Da mußte der Graf doch lachen. Es klang aber bitter.

– Ein Obdach gewährt, ist gut, rief er dann in ehrlicher Entrüstung. Ich hatte gehofft, zum Marschall von Frankreich ernannt zu werden und meine Verdienste um das Vaterland und den König heischten längst diese Belohnung, die unterdessen mehr als einem Unwürdigen zuteil geworden ist; statt dessen wirft man mich in die Bastille um einer Lappalie willen. Ich sage auch gar nicht, daß ich unschuldig sei; nur daß meine Strafe in keinem Verhältnis steht zu meiner Verfehlung. Der König tut meinem Roman viel zu viel Ehre an, ein solches Aufheben davon zu machen. Man könnte meinen, ich habe die verruchten Briefe an einen Provinzialen geschrieben.

– Ihr sprecht von dem stolzdemütigen Pascal, erwiderte der Jesuit finster; der Unglückselige wurde unterdessen vor einen höheren Richterstuhl gerufen. Auch vergleiche ich Eure Werke nicht mit den unheilvollen Schriften dieses Verdammten. Doch ich weiß, was Ihr denkt. Als unser Orden verlangte, daß die wahrhaft teuflischen Briefe des Verblendeten von Henkershand öffentlich verbrannt würden, da hat sich der König auf die Seite unseres ärgsten Feindes, wie nicht weniger des seinigen, des Parlaments gestellt. Er hat damit ein großes Unrecht getan, seine Nachfolger werden dafür büßen müssen.

– Aus Pascals Briefen, warf der Graf ein, nehmen die Jansenisten und Hugenotten gleichermaßen ihre giftigen Waffen.

– Gott will es so, um uns wach zu halten, sprach Pater Nouet mit demütigem Senken des Kopfes. Ihr aber könnt daraus ersehen, daß aus keinem Verbrechen der Welt so viel Unheil zu fließen vermag als ein schlechtes Buch anzurichten imstande ist. Und wenn Ihr auch nichts direkt gegen die heilige Religion geschrieben habt, so wimmelt Euer Buch doch von aller Art strafwürdiger Frivolitäten, die, glaubt mir, niemand mehr in ihren heiligsten Gefühlen verletzt haben als die fromme Königin-Mutter. Um so höher müßt Ihr es anschlagen, daß sie Euch trotzdem gegen Eure Verfolger in Schutz nimmt. Möchtet Ihr hierin die ganze Erhabenheit ihres großmütigen Herzens erkennen. Sie haßt in ihrem tiefreligiösen Sinn die Leichtfertigkeit über alles, aber sie hat Mitleid mit den Leichtfertigen. Sie kennt die Schwäche der menschlichen Natur. Aber nun, Herr Graf, erzählt mir Eure Geschichte zu Ende, in der ja bereits – früh krümmt sich, was ein Dorn werden will – der frivole Gebrauch eines gottverliehenen Talents die Hauptrolle zu spielen scheint.

– Wahrlich so ist es, sprach der Gefangene. Der Herr Gouverneur von Spinal hat sich für meinen Spottgesang schnöde gerächt. Rache gebiert Rache, das ist in der Ordnung. Aber der Sieur von Quincez rächte sich nicht mit Witz und heiterem Lachen wie meine Strophen getan, auch nicht auf sehr ritterliche Weise, die ihm Ehre gemacht hätte, wie mir mein Lied. Nun, Ihr werdet sehen wie, und mögt selbst urteilen, was dieser sogenannte Reichsgraf für ein Patron war.

Am anderen Morgen nach jenem Bankett bei dem Marschall von Gramont – es war am Tag vor dem Fest der hl. drei Könige – erhielt ich aus Paris einen Brief von meiner Mutter mit der Nachricht, daß mein Vater, der aus dem Nivernais nach Paris zurückgekehrt war, daselbst von schwerer Krankheit befallen worden und mich unverzüglich zu sich rufe. So stand ich drei Tage später zu Paris vor dem Bette meines Vaters, der sich sterbend glaubte. Er empfahl mir vor allem an, meiner Mutter ein guter Sohn zu sein; seine übrigen Ermahnungen beschränkte er auf drei Punkte: immerdar Gott vor Augen zu haben, meine Ehre höher zu schätzen als das Leben und in Treue dem König zu dienen.

Mein Vater starb aber damals nicht, er wurde von diesem Tage an zusehends besser, und ich hatte kein höheres Anliegen, als von ihm die Erlaubnis zu erhalten, im Frühjahr mit unserem Regiment nach Deutschland gehen zu dürfen. Er zögerte noch, sich auszusprechen, ließ mich aber an seiner Einwilligung kaum zweifeln.

Einstweilen fand ich es nicht unschicklich, in Paris ein wenig meinem Vergnügen nachzugehen. Was man sich von meinem Feldzug bei so jungen Jahren erzählte, machte mich den Damen interessant und ich wurde bald von der besten Gesellschaft verhätschelt.

Besonders waren es zwei Freundinnen, die Damen von Artagnan und von La Ferté-Imbaut, beide unzertrennlich, die mir tausend Freundlichkeiten erzeigten, also daß ich bald keinen Tag vergehen ließ, ohne bei denselben aufzuwarten, sei es im Hause der Gräfin von Artagnan, sei es in dem ihrer Freundin, und nie sah ich die eine ohne die andere.

Beide waren jung, schön, voll Geist und Lebhaftigkeit, die Gräfin blond, von tiefem goldblond, ihre Freundin aber, die Marquise von La Ferte-Imbaut mehr ins Dunkle getönt und etwas kleiner von Gestalt. Diese liebte über alles den Tanz und konnte lustig sein bis zur Ausgelassenheit; die Gräfin, selber mit einer wunderbaren Stimme begabt, schätzte als höchstes Musik und Gesang. Mein Herz gab indessen keiner vor der andern den Vorzug, vielmehr war ich beiden, wenigstens glaubte ich es, in gleichem Grad ergeben.

So standen meine Sachen, als plötzlich mein alter Kamerad von Epinal her, der Chevalier von Ambleville in Paris auftauchte. Er hatte auf einige Zeit Urlaub genommen zu keinem anderen Zweck, als sich in der Hauptstadt ein lustiges Leben zu machen. Ich freute mich aufrichtig, ihn zu sehen und er erzählte mir von Epinal Dinge, die meiner Eigenliebe und Poeteneitelkeit ungemein schmeichelten.

Er wußte unter anderem zu berichten, daß meine Strophen auf den Gouverneur als fliegendes Blatt gedruckt worden, daß die Gassenbuden sich des Textes bemächtigt und daß man das Lied, wenn auch verstümmelt und verdorben, an allen Straßenecken hören könne, zum höchsten Ärger des Herrn Reichsgrafen, der jeden Augenblick einen Knirps festnehmen und durchpeitschen lasse, womit er aber bis jetzt nichts erreicht, als sich noch mehr denn zuvor bei allem Volk zum Gespött zu machen.

Aber, fügte Ambleville hinzu, ich meinerseits möge mich in Acht nehmen, Herr von Quincez habe mir Rache geschworen, und er sei wohl der Mann dazu, mir einen schlimmen Streich zu spielen.

Ich ließ mich diese Warnung wenig anfechten. Dagegen zögerte ich nicht, meinen Freund bei meinen beiden Schönen einzuführen und diesen alles Gute und Liebe von ihm zu sagen. Ja, ich tat, was ich nur konnte, um sie für den Chevalier einzunehmen, der mich gleich nach dem ersten Besuch mit der Frage überraschte, welches von den beiden meine Geliebte sei. Lachend antwortete ich, daß ich mich noch nicht entschieden hätte.

»Wie du lange Zeit brauchst zu so etwas, antwortete er mir in gleichem scherzhaften Ton; aber weißt du was, wir wollen das Loos ziehen, wem die eine und wem die andere zufällt. Das war gewiß noch nicht da. Ich finde es einen reizenden Einfall.«

Der Einfall war wenigstens charakteristisch für den Chevalier, dem die Liebe – ich selber sollte sie in ihrem wahren Wesen erst kennen lernen – für nichts anderes galt als für ein Spiel und Zeitvertreib. Sein Vorschlag verblüffte mich zuerst, aber Ambleville erreichte es mit seinem Spott, daß ich nicht länger auf eine gewisse Stimme in meinem Innern hörte, vielmehr scherzend in das frivole Spiel einging.

In Wahrheit suchte auch ich nur ein vergnügliches Hinwegkommen über den ausgenötigten Müßiggang, eine Art galanten Kampfspiels in Ermangelung ernsterer Zwecke und langersehnter Krafterprobung, suchte höchstens eine Berauschung und Befriedigung von allerlei Durst und Begierde, kurz, so etwas wie mich die Marquise von Langeron kennen gelernt hatte. Ich ahnte nicht, daß ich den Schmerz finden werde, den allmächtigen Herrn der Welt, denn ich suchte nichts als die dumme Lust mit ihrem leichtfertigen Gefolge. Worin ich mich von Freund Ambleville unterschied, war einzig das, daß es in meiner Seele eine Wohnung gab für den Schmerz, darin zu thronen mit all seiner Macht, während das enge Herz des Chevalier nichts zu fassen vermochte, was groß war. Er hatte also bei weitem weniger zu riskieren als ich, indem ich sozusagen sein Schüler wurde.

»Das ist die einzige Art, sagte der Chevalier triumphierend, wie Leute von Geist eine Angelegenheit dieser Art behandeln sollten.«

Wir gaben uns also das Ehrenwort, uns ein für allemal an die Entscheidung des Loses gebunden zu halten, dann schrieben wir die Namen der beiden Schönen auf zwei gleiche Zettel, knüllten diese zu kleinen Kügelchen zusammen und warfen sie in die Höhe. Das mir zunächst fiel, enthielt den Namen der Marquise von La Ferté-Imbaut; dem Chevallier fiel die Gräfin zu.

Eine plötzliche und ganz unbegreifliche Traurigkeit überkam mich bei diesem Spruch des Fatums. Aber erst viel später begriff ich deren Bedeutung. Sie war das erste Anzeichen dafür, daß ich die Gräfin im innersten Herzen liebte, ohne es noch selber zu wissen. Und vielleicht würde ich mir's ohne Ambleville überhaupt nie bewußt worden sein. Seine Frivolität war dazu bestimmt, die erste ernstliche Leidenschaft in mir zum Leben aufzuwecken.

Wir begannen nun zunächst damit, daß wir, jeder von seiner Seite, unseren Damen in aller Form den Hof machten, wobei ich schneller als ich dachte, zum Ziel gelangte, das mich aber wenig beglückte. Vielmehr bemächtigte sich meines Herzens mehr und mehr eine tiefe Melancholie, die ich mir jedoch noch immer nicht zu deuten wußte.

Nicht so raschen Erfolg wie ich mit meiner Schönen – die ich zu lieben mir einbildete – hatte Ambleville mit der Gräfin, und gerade dieser Widerstand der angeblich angebeteten Frau war es, der sie ihm nun wirklich anbetungswürdig erscheinen ließ und eine bloß gespielte Leidenschaft in bitteren Ernst verwandelte, den man ihm bei seinem flatterhaften Wesen und seiner sehr oberflächlichen Natur nicht zugetraut hätte.

So gelang es ihm in der Tat, die schöne Gräfin von seiner heftigen Liebe zu überzeugen, ohne aber mehr zu erreichen, als eine wohlwollende Teilnahme.

Denn immer wieder kamen der Dame Zweifel an der Aufrichtigkeit seiner Schwüre, wie an der Lauterkeit seines Charakters überhaupt. Sie machte ihm daraus auch gar kein Hehl und er veranlagte mich in seiner Not, die Gräfin wieder wie früher so häufig als möglich zu sehen, um ihr bei jeder Gelegenheit in unauffälliger Weise von seiner großen Liebe zu ihr zu erzählen und seine Vorzüge und Tugenden so vor ihr zu rühmen, wie er von mir, als seinem besten Freund erwarten dürfe.

Das tat ich denn auch mit großem Eifer. Ich sagte zehnmal mehr Gutes von ihm als ich selber glaubte, und seine allzu offenkundigen Fehler suchte ich nach Kräften zu entschuldigen. Die Gräfin hatte das selbstische und undankbare Herz des Chevalier instinktmäßig herausgefühlt; es gelang mir, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Nicht in Abrede stellen konnte ich sein lautes prahlerisches Wesen, seine Sucht, um jeden Preis zu glänzen, so gab ich diese Schwächen zu, dichtete ihm aber dafür Tugenden an, – er hatte sie keineswegs – um derentwillen man über die paar Unzierden seines Charakters schon hinwegsehen dürfe. Kurz ich tat alles, was ich nur vermochte, um, wenn es möglich wäre, sogar einen Mohren weiß zu waschen.

Als aber die Wirkung davon eintrat und ich gewahr wurde, daß sich ihm das Herz der Gräfin immer ernstlicher zuneigte, fühlte ich mich darüber so bestürzt, daß mir nun doch allmählich eine Ahnung davon kam, was sich unbewußt in mir regte und wuchs. Doch beruhigte ich mich bald wieder. Denn ich überzeugte mich, daß die Gräfin in ihren Gunstbeweisen die Grenzen strengster Tugend und Ehre auch nicht Haarbreit überschritt.

Unterdessen aber war der Urlaub des Chevalier abgelaufen und er mußte zu seinem Regiment zurückkehren. Der Abschied schien auch für die Gräfin schmerzlich. Eine erste zärtliche Träne in ihrem schönen Auge konnte mein Freund für ein künftiges Wiedersehen mit den kühnsten Hoffnungen erfüllen. Auch erlaubte ihm die Dame, ihr von Zeit zu Zeit zu schreiben.

Ich war bei jenem Abschied gegenwärtig, und daran, wie mir die zurückgehaltene und doch in einem Augenblick sich verratende Zärtlichkeit der Gräfin in tiefster Seele wehe tat, erkannte ich endlich den Zustand meines Herzens und die Gefahr, in der ich schwebte.

Bei dieser Gelegenheit darf ich von mir rühmen, daß mir von Kindheit an die Pflichten, die uns die Ehre auferlegt, über alles heilig waren. Der Gedanke, an meinem Freund zum Verräter werden zu können und noch dazu in dessen Abwesenheit erschreckte mich aufs höchste. Wohl war Ambleville das, was man gemeinhin ein windiges Subjekt nennt, und ich hatte von Tag zu Tag deutlicher erkennen müssen, daß meine Freundschaft für ihn eine weggeworfene Sache sei. Aber ich ließ ihn an diese Freundschaft glauben, und so hatte er einstweilen ein Recht darauf. Ich genoß sein Vertrauen, ich durfte es nicht täuschen. Ich schuldete ihm das um so mehr, je höher ich mich über ihm wußte.

Und also faßte ich, meiner Festigkeit mißtrauend, zur Stunde den Vorsatz, die Gräfin von Artagnan von diesem Tage an nicht wieder zu sehen, obwohl ich dem Chevalier zu gleicher Zeit in die Hand versprechen mußte – dies konnte ich nicht vermeiden – seine Angebetete täglich zu besuchen, um sein Andenken bei ihr lebendig zu erhalten. Ich versprach also, was ich, um nicht ein schlimmeres Verbrechen zu begehen, fest entschlossen war, nicht zu erfüllen; war das Sünde, Pater?

– Nein, antwortete der Priester; ist der Zweck nur heilig, so heiligt er auch das Mittel, insofern dieses geringfügig ist im Vergleich zu jenem. Aber da Ihr Euch nun einmal unterbrochen habt, Herr Graf, möchte ich auch Euch um Eure Meinung in einer einschlägigen Sache fragen.

– Fragt immerzu, ehrwürdiger Vater.

– Ich will Euch nicht, sagte Pater Nouet mit der ihm gewöhnlichen leisen und langsamen Rede, ich will Euch nicht mit dem Gebot Gottes kommen. Du sollst nicht ehebrechen. Ich weiß, daß wir alle, so gut wir die Gebote Gottes kennen und anerkennen, doch unausgesetzt dagegen sündigen in unserer menschlichen Schwachheit. Aber Ihr selber habt von dem Vertrauensbruch gesprochen wie von einem unauslöschlichen Makel, unverträglich mit einem Mann von Ehre. Und nun sagt mir, warum Ihr gegen den Grafen von Artagnan – der für Euch gar nicht zu existieren scheint – Euch weniger verpflichtet fühltet in Eurer Ehre; warum Euch zu aller Zeit das Verhältnis eines Freundes zu seiner Geliebten für unverletzlich gilt, das anzutasten eine schimpfliche Tat wäre, indessen Ihr es Euch nicht im geringsten zur Unehre rechnet, den Gemahl der Dame zu betrügen, der Euch in seinem Haus und an seiner Tafel empfing und Euch damit ebenfalls kein kleines Vertrauen schenkte. Ihr versteht mich. Ich rede nicht vom göttlichen Moralgesetz, nur von dem Gesetzbuch Eurer weltlichen Ehre, dessen Paragraphen, wie es mir scheint, nicht immer miteinander in Einklang stehen. Habt Ihr darüber nicht nachgedacht?

– Über alles nachzudenken ist ungesund, platzte der gräfliche Gefangene heraus. Man würde darüber ganz versäumen, zu leben, was eben doch wichtiger ist – und auch lustiger als Nachdenken; aber wartet ...

– Nein, versetzte wie entschuldigend der Verfasser von mindestens einem Dutzend asketischer Erbauungsbücher, lassen wir das Fragen. Ihr habt wohl ohnehin schon längst gedacht bei Euch, daß ich recht wie ein Bauer rede, was ich nach Geburt und Herkommen in der Tat bin. Im übrigen stehen die Väter unseres Ordens fast ein wenig allzusehr im Geruch, sich um vornehmes Weltwesen mindestens ebensosehr zu bekümmern als um das Heil der armen Menschenseele. Ihr erfahrt nun, daß es auch einfältige Jesuiten gibt.

– Ich hab's, rief der Graf. Keine Rede von Widerspruch in unserem Ehrenkodex. Nein, nicht die Spur. Man muß nur das stillschweigende Übereinkommen in Betracht ziehen. Es ist stillschweigendes Übereinkommen, daß die Geliebte des Freundes uns heilig sei. Darum muß der Freund uns vertrauen und wir hingegen dürfen sein Vertrauen nicht mißbrauchen. Aber falsch ist es und unrichtig, daß der Ehemann, daß der Gemahl uns vertraut. Die Sitte berechtigt ihn gar nicht dazu. Er würde gegen sie verstoßen, er würde direkt gegen seine Ehre handeln, wenn er uns ein solches Vertrauen aufnötigen wollte. Er würde sich lächerlich machen. Er muß wissen als ein Mann von Welt, daß wir der Feind sind. Er muß sich auf dem Qui vive halten. Man betrügt ihn nicht. Und: vae victis. Das klingt brutal, ist es aber nicht. Denn ich sage wohl der Ehemann und »wir«, aber damit nenne ich nicht zwei sich gleichbleibend entgegengesetzte Interessen; denn auch »wir« sind ja manchmal der Ehemann und so vice versa.

– Wie Ihr das zu wenden wißt.

– Ja, versetzte der Graf lebhaft, es ist in der Tat so. Unser Kodex widerspricht sich nicht in seinen einzelnen Paragraphen, und unsere Sitten mit dem Recht des Eroberers werden auf ihrer brutalsten Seite noch sehr gemildert durch das Gesetz der ausgleichenden Gerechtigkeit. Wenn es Euch genehm ist, Pater, erzähle ich weiter.

Der Jesuit nickte zustimmend.

– Ungefähr drei Wochen, nahm der andere lebhaft fortfahrend das Wort, war ich schon meinem Vorsatz treu geblieben, als ich eines Tages von der schönen Gräfin ein Brieflein bekam, womit sie mich sehr dringend zu sich bat.

Ich fand sie in ihrem Boudoir auf einem seidenen Ruhebett ausgestreckt. Die Fenster des Gemachs waren leicht verhängt, nur durch das eine drang ein letzter Strahl der Abendsonne und verfing sich in ihrem hochgetürmten Haar, das wie eine goldene Flamme zu lodern schien, während die nackten weißen Schultern von dem Reflex opalisierten wie bleiches Perlmutter. Die Gräfin schien mir schöner und begehrenswerter als je. Ich erschrak in der Seele, als sie ihr sanftes blaues Auge zu mir erhob, in dem eine stille Traurigkeit deutlich zu lesen stand.

»Was habt Ihr mir zu befehlen, schöne Frau,« sprach ich tiefbewegt, indem ich ein Knie beugte, um ihre herabhängende blütenweiße Hand zu küssen.

»Sagt mir lieber, was ich Euch getan habe, entgegnete sie nicht ohne Vorwurf im Ton, daß Ihr mich zu meiden scheint wie die Pest. Euer Freund läßt auch nichts von sich hören, hat das einen Zusammenhang?«

Ich antwortete ihr, indem ich meiner Stimme einen festen Ton zu geben bemühte, daß es allein persönliche Gründe wären, die mich bewogen hätten, auf das Glück ihrer Gegenwart zu verzichten.

»Ob ich mich, fragte sie, über ihr Betragen zu beschweren habe?«

Ich versicherte sie des Gegenteils. Nur mein Unstern wollte es, daß ich sie meide.

»Euch ist Schmerzliches zugestoßen, rief die schöne Gräfin mit lebhafter Teilnahme, und Ihr kommt nicht zu mir, um Euer Herz vor mir auszuschütten, deren Vertrauter Ihr seid in ihren intimsten Angelegenheiten; wißt Ihr, daß das häßlich von Euch ist?«

»Sprecht nicht also, schöne Frau, rief ich mit beklommener Brust, bedenkt, daß es Gesetze der Ehre gibt, die dem Manne oft gerade da Schweigen auferlegen, wo er am liebsten sprechen möchte ...«

Hier hielt ich erschrocken inne. Ich sah die schöne Gräfin erröten und erkannte, daß ich schon zu viel gesagt hatte.

»Wenn ich Euch recht verstehe, sprach sie ernst, so muß ich allerdings sagen, daß Euch wirklich die Ehre ein unverletzliches Schweigen auferlegt.«

»Nein, nein, rief ich dagegen, da ich Euch nun so viel erraten ließ, muß ich Euch ganz aufklären über mein Unglück, und fürchtet nicht, daß ich einen Augenblick vergessen könnte, was ich Euch und meinem Freund schuldig bin.

Und darauf erzählte ich, wie alles gekommen. Wie mich vom ersten Augenblick unserer Bekanntschaft eine geheimnisvolle Macht zu ihr gezogen, wie ich aber in meiner Unerfahrenheit den Zug des Herzens so lange verkannt, bis es zu spät und mein Freund Ambleville mir zuvorgekommen mit dem Geständnis seiner Liebe zu ihr.

Die Sache mit dem Auslosen verschwieg ich. Wie ich die Gräfin kannte, hätte das genügt, um ihr Herz für immer von Ambleville abzuwenden. Das aber durfte nicht geschehen durch meine Schuld.

»Erst das Geständnis meines Freundes, fuhr ich fort, klärte mich auf über mein eigenes Herz. Aber nun war es für mich verspielt. Mein Freund hatte sich erklärt, ich mußte meiner heimlichen Liebe Schweigen gebieten und meine Eifersucht verbergen wie eine schimpfliche Krankheit. Ich mußte mehr tun, ich mußte dem Freunde, weil er es von mir erwartete, bei Euch das Wort reden.

Und darf ich gestehen, daß dieser Dienst, den der Freund von mir verlangte, mich einen Augenblick sogar über alles beglückte. Nun brauchte ich wenigstens die heimlich Geliebte nicht zu meiden. Im Gegenteil gebot mir sogar die Pflicht, Euch täglich zu sehen, schöne Frau. Und lange Zeit verlangte mein Herz nicht mehr. Dann aber wurde, was mich bis dahin still beseligt, mir nach und nach zur unerträglichen Qual, für die ich auch darin keine Linderung fand, daß ich, wie Ihr wißt, Eurer Freundin, der Marquise von La Ferté mit Erfolg den Hof machte. Anfänglich bildete ich mir wirklich ein, sie zu lieben. Aber dieser Selbstbetrug hielt nur wenige Wochen an. Die Marquise konnte ich wohl noch länger täuschen, mich nicht.

Denn wie ich im täglichen intimen Verkehr Euch immer näher kennen lernte, wuchs die Leidenschaft zu Euch, die ich unterdrücken sollte, mir ganz und gar über den Kopf. Zuerst hatte sich meine Liebe bloß an Eurer Schönheit entzündet, nun lernte ich auch Eure himmlische Seele kennen, und je unverhüllter Ihr mich in Euer Herz blicken ließet, um so mehr brachtet Ihr, Ahnungslose, einen Unglücklichen der finstersten Verzweiflung nahe. Aber ich habe mich bezwungen. Und Euch selber rufe ich auf zum Zeugen meiner Loyalität. Mit blutendem Herzen habe ich für den Freund sogar mehr getan als er erwarten konnte. Ihr, vielgeliebte Frau, wißt am besten, mit welchem Eifer ich so oft seine groben Fehler entschuldigte. Ich hätte nicht nötig gehabt, ihn zu verleumden, um ihn für immer aus Eurem Herzen zu drängen; ich brauchte oft nur zu schweigen. Aber ich habe seine Sache mit einem Eifer verfochten, wie man für gewöhnlich nur seine eigenen Interessen verficht. Und nicht wahr, schöne Frau, Ihr konntet nicht ahnen, was ich dabei litt; Ihr hättet nie geglaubt, daß ich, dem Freunde zu dienen, mit eigener Hand das Glück meines Lebens untergrub. Aber als dann der Freund gegangen war, erachtete ich, daß die nun vergrößerte Gefahr meine immer schwächer werdende Kraft übersteigen könnte und ich faßte den Entschluß, den Ihr kennt, vielgeliebte Frau, und dessen Gründe ich Euch ewig verschwiegen hätte, wenn Ihr nicht selber heut in mich gedrungen wäret, mein Herz vor Euch auszuschütten ...«

Hier schwieg ich, und auch die schöne Gräfin blieb eine Zeitlang nachdenklich. Sie hatte sich von ihrer liegenden Stellung erhoben, und nun rührte sie die goldene Glocke mit dem Griff von Elfenbein, die neben einem umgeklappten Buche vor ihr auf niederem Tischchen stand. Die Zofe erschien und zündete die Kerzen an. Denn das Gemach hatte sich vollständig in Dämmerung gehüllt. Als die Zofe sich wieder entfernt hatte, nahm die Gräfin das Wort.

»Ihr habt, trotz Eurer Jugend, begann sie, wie ein ganzer Mann gehandelt. Ich will Euch nicht verhehlen, daß Euer Betragen mich mit Bewunderung erfüllt. Aber ich muß Euren Entschluß loben. Ihr müßt dabei bleiben. Denn wie hoch ich auch denke von der Delikatesse Eures Herzens, so müßte doch, nach dem, was ich nun unglücklicherweise erfahren, notwendig Schlimmes daraus entstehen, wenn wir fortfahren würden, uns in Abwesenheit Eures Freundes ferner zu sehen. Abgesehen davon, daß ein unbefangener Verkehr von heute an zwischen uns unmöglich wäre; es könnte sich ereignen, daß Ihr Freund sich eines Tages von mir zurückzöge, dann würde ich mich des Verdachts nicht erwehren können, daß ein solcher Bruch vielleicht doch auf verborgenen Wegen von Euch herbeigeführt worden ist. Ihr überragt Euren Freund zu sehr an Geist und Phantasie, um ihm nicht gelegentlich einen Fallstrick zu legen, ohne daß er es ahnt, und ihn darüber zu Fall zu bringen. Es ist also wirklich Eure Pflicht, jeden Verkehr mit mir abzubrechen, und so viel ich auch dabei verliere, muß ich Euch doch selber dazu auffordern und in Eurem hochherzigen Entschluß bestärken.

»Ja, Ihr müßt noch ein Mehreres tun, fuhr sie fort, Ihr müßt noch heute Eurem Freund schreiben, wie die Sachen stehen, Ihr müßt ihn über Euer Betragen vollständig aufklären.«

Ich konnte nicht widersprechen. Im tiefsten erschüttert, küßte ich der schönen Frau die Hand und beurlaubte mich. Und noch am Abend schrieb ich an den Chevalier in dem Sinn, wie es die Gräfin wünschte.

In acht Tagen erhielt ich dessen Antwort. Sie lautete, wie ich befürchtet – oder auch wie ich vielleicht heimlich in der Seele gehofft hatte. Ambleville schrieb mir, daß er meiner Charakterstärke vollkommen vertraue und mich bitte, die Gräfin auch ferner so oft als nur möglich zu besuchen und in ihrer guten Meinung über ihn zu bestärken.

»Wie ich dich kenne,« hieß es dann wörtlich, »bist du unfähig, an Deinem Freund zum Verräter zu werden, und sollte die schöne Gräfin Dich wirklich dergestalt umgarnen, um Dich soweit zu vergessen, müßte ich Dich billigerweise noch entschuldigen, da ich nur zu sehr weiß, daß jeder, der sie kennt, sie auch lieben muß.«

Ich beschloß, diesen Brief der Gräfin zu zeigen. Nur den angeführten Satz tilgte ich aus. Er sollte zwar der Gräfin schmeicheln, wie ich aber von ihr dachte, mußte er ihren Zartsinn aufs äußerste verletzen und dem Schreiber schaden. Darum überstrich ich ihn dick, zusammen mit dem folgenden Satz, wo mich der Chevalier von neuem ermahnte, mehr als je auf meiner Hut zu sein, da er genau wisse, daß mein vielgenannter Herr Reichsgraf Übles gegen mich im Schilde führe.

Mit dem also verkürzten Brief begab ich mich zu der schönen Gräfin.

»Ich habe Euch erwartet, rief sie mir fast freudig entgegen. Der Chevalier hat mir geschrieben.«

»Auch mir, antwortete ich, hier sein Brief.«

Sie wollte lesen, stutzte dann aber wegen der ausgestrichenen Zeilen.

»Das waren einige persönliche Mitteilungen, die mich allein angingen.«

Und zur Hälfte wenigstens hatte das seine Richtigkeit.

»Da es unser Freund wünscht, sagte die Dame von Artagnan, nachdem sie gelesen, daß wir an unserem früheren Verkehr nichts ändern, so bin ich es auch zufrieden, jedoch unter der einen Bedingung, daß Euch nie wieder ein Wort über die Lippen kommt von gewissen Dingen, wovon ich überhaupt niemals etwas hätte erfahren sollen.«

Dies versprach ich der schönen Frau in aller Ehrlichkeit des Herzens. Und nun laßt mich schweigen über die Tage und Wochen, in denen ich mit todwundem Herzen meine Pflicht als Kavalier bei der schönen Gräfin erfüllte, die durch verdoppelte Herzensgüte mir mein Schicksal erträglich zu machen suchte, damit aber nur erreichte, daß ich von Tag zu Tag kränker wurde in meinem Gemüt und Geblüt. Wohl las ich nicht ohne Genugtuung in ihren Augen zugleich Mitleid und Bewunderung für mich; aber so lindernd der Balsam des Mitleids für jede andere Art Unglück sein mag und wie sehr der Hoffnungsvolle die Bewunderung einer schönen Frau als mächtigen Sporn empfinden wird, so sind doch beide nur ein bescheidenes Almosen dem, der nach Liebe krankt.

Was mich allein aufrechthielt, war die Aussicht auf den Feldzug in Deutschland. Der Aufbruch unseres Regiments stand nahe bevor und ich zweifelte ja nicht, daß ich in seinem Gefolge sein werde. In den Aufregungen eines vielbewegten Kriegslebens, im Tumult wechselnder Garnisonen, in der blutigen Gefahr der Schlachten durfte ich hoffen, meine unglückselige Leidenschaft zu vergessen. Schon das Träumen von den großen Dingen, die mir in der Phantasie bevorstanden, hob mich wenigstens für Augenblicke empor aus meinem elenden Zustand.

Dieser Art war es um mein Gemüt beschaffen, als ich am vierten März – ich weiß das Datum, da es just mein Geburtstag war – zur Gräfin kam und sie in einer Verwirrung antraf wie jemand, der lange schmerzlich geweint hat. Dennoch schienen mir ihre Augen mehr Zorn und Entrüstung als Schmerz zu verraten.

»Ach, seid Ihr es, sprach sie, indem sie mich zu sich heranwinkte und ein Papier, das zerknittert in ihrem Schoß lag, von sich wegschleuderte. Ihr kommt im rechten Augenblick. Ich ersticke vor Scham und Zorn. O, dieser Elende, das ist der Dank für so viel Güte und Freundschaft. Und Eure selbstlose Ergebenheit vergilt er nicht anders. Es geschieht Euch aber recht so. Ihr wolltet es nicht anders. Denn Ihr mußtet ihn besser kennen als ich, Euren saubern Freund.

Kurz, ich erfuhr endlich, daß es sich um den Chevalier handle, daß Herr von Ambleville der Gräfin einen Brief voll der ungerechtesten Beschuldigungen und Vorwürfe geschrieben, die nicht weniger meiner Person galten, mit einem Wort: daß er uns beiden in den beschimpfendsten Ausdrücken Verrat und Untreue vorwarf, wovon er aus sicherer Quelle Kunde haben wollte.

»Dort liegt sein nichtswürdiger Brief, lest selber, sagte die Gräfin zuletzt mit einer Gebärde des Abscheus.

Der erste Blick, den ich auf das zerknüllte Blatt warf, erweckte zunächst meinen Neid. Das Schreiben war von Philippsburg datiert. Ambleville hatte also mit seinem Regiment bereits den Rhein überschritten, indessen ich immer noch meine Tage in Untätigkeit und in Schlimmerem hinschleppte. Mit wachsender Empörung las ich dann das perfide Gekritzel.

Als ich die Augen davon aufhob, sah ich die der Gräfin in Tränen. Es waren nicht mehr Tränen des Zorns. Etwas ganz anderes blickte mich an aus diesen schönen Augen. Und dann fühlte ich plötzlich, wie die Heißgeliebte ihren Arm um meinen Nacken schlang und schluchzend ihr Gesicht barg an meiner Brust.

»Kein Wort mehr von dem Elenden, hauchte sie mit zuckenden Lippen. Es mußte so kommen. Und Gott sei Dank, daß es nicht länger gedauert hat.«

Und welch beglückende Geständnisse sie mir nun machte. Es war ihr nicht anders gegangen wie mir. Vom ersten Augenblick unserer Bekanntschaft an hatte ihr Herz zu meinen Gunsten gesprochen, um sich tödlich verletzt zu fühlen von meiner scheinbaren Kälte und Gleichgültigkeit. Nur mein geringes Entgegenkommen hatte sie dazu getrieben, meinem Freund Hoffnungen zu machen, auf die ich selber so wenig Wert zu legen schien. Nachher aber, als sie meinen wahren Zustand erfahren, habe sich ihr Stolz dagegen gesträubt, mir den ihrigen zu verraten. Mit einem Wort, ich erfuhr: daß ich von ihr geliebt wurde vom ersten Tag an.

Wie ein Taumelnder verließ ich das Haus. Die schönste und stolzeste Frau des Königreichs, sie, nach der ich mich in Sehnsucht verzehrt seit so lange, die ich auf immer für mich verloren glaubte, sie war mir am Hals gelegen, sie hatte mir unter Schluchzen gestanden, daß sie mich liebte, daß sie mir angehören wolle. Konnte es in der ganzen Welt ein Glück geben wie das meinige! Indem ich vor mich hin durch die Straßen schritt, meinte ich nicht anders, als ob ich alles, was mir begegnete, umarmen müßte. Meinen Todfeind, glaubt Ihr mir's, ehrwürdiger Vater, hätte ich in diesem Augenblick küssen mögen.

Der Zuhörer hatte keinen Grund zu zweifeln. Schon der Goldglanz der Erinnerungen, die im Geist des Erzählers aufstiegen, verklärte seine noch vor kurzer Zeit fast gramvollen Züge so auffallend, daß der Gefangene wie um zwanzig Jahre verjüngt erschien. Er hielt in seiner Rede inne, sein Poetenauge blickte vor sich hin wie in die Glanzwelt eines beseligenden Traumes.

– Und habt Ihr, unter so beschaffenen Umständen, unterbrach der Jesuit das Schweigen, jetzt nicht mit Schrecken an den Krieg gedacht, der Euch, vielleicht schon im ersten Augenblick, grausam aus dem Schoß des Glückes reißen konnte?

– Dessen ich unwürdig gewesen wäre mit so feigen Empfindungen, rief der Graf fast mit Entrüstung. Nein, Pater, so hättet Ihr nicht reden sollen, ich bitte sehr um Verzeihung; damit verrietet Ihr, daß Ihr wenig Kenntnis habt von einem stolzen, tapferen Herzen. Die Geliebte selber hätte mich verachtet bei dem leisesten Verdacht, daß ich der Stimme des Ruhms nicht mit aufrichtig jauchzender Seele zu folgen imstande wäre, selbst wenn zwei Herzen darüber zu brechen drohten; daß ich am Scheideweg der Pflicht auch nur ein Wimperzucken lang schwanken könnte. Zu meinem Unglück war sie in der Tat fähig, diesen schimpflichen Verdacht, ganz unbegründeterweise, gegen mich zu hegen, wenigstens gegen mich auszusprechen, wie Ihr sehen werdet. Kränkenderes Unrecht ist mir, der ich davon zu erzählen weiß, in meinem Leben nicht widerfahren. Und gerade im Gedenken daran, haben mich vorhin Eure Worte, ehrwürdiger Vater, so schmerzlich berührt. Nein, wahrlich, ich hätte mein Glück nicht verdient, wenn ich nicht bereit gewesen wäre, es der höheren Forderung und einer heiligen Notwendigkeit freudig aufzuopfern.

Ach, leider wollte es mein böser Stern, daß ich gar nicht auf eine so schöne Probe gestellt wurde. Die Tücke eines Rachsüchtigen und Feigen, wovor man mich längst gewarnt, vernichtete mit einem Schlag alle meine schönen Aussichten, und indem ich mich in der höchsten Gunst aller Götter wähnte, kehrten die zwei, zu denen ich am inbrünstigsten betete, Gott Amor und Gott Mars, mir zu gleicher Zeit den Rücken.

– Ihr hattet, scheint es, Pech als Retter Wallesteins, sprach in scherzhafterem Ton, als man es an ihm gewohnt war, Pater Nouet. Überhaupt haben die Franzosen sich im Feldzug jenes Sommers wenig Lorbeeren aus Deutschland heimgeholt – vielleicht weil der Rächer Wallesteins im Heer gefehlt hat, setzte der Jesuit mit noch betonterem Scherz hinzu.

– Spottet nur, antwortete der Graf lustig. Wer den Schaden hat, und so weiter. Aber richtig ist, daß unser Kontingent damals wenig in Deutschland ausgerichtet hat.

Die Züge des Priesters hatten bereits ihren gewohnten strengen Ernst wiederangenommen. Er blickte jetzt fast finster.

– Wie konnte auch der Segen Gottes, sprach er bitter, bei einer Sache walten, die Gott ein Greuel sein mußte. Unser christliches Frankreich mit dem schwedischen Antichrist im Bund gegen die katholische Kaisermacht: welche Schande! Aber so wollten es die Konsequenzen der unseligen Politik jenes vierten Heinrich, der ein geborener Protestant war und es im Herzen sein Leben lang geblieben ist.

– Ich habe mich gottlob nie um Politik gekümmert, versetzte ein wenig mürrisch der Gefangene, und weiß nicht, inwieweit Ihr recht habt, Pater; mir hat immer das Bewußtsein genügt, für die Sache meines Königs und meines Vaterlandes zu kämpfen. Dieses Bewußtsein ist uns Franzosen wie eine Religion. Und gerade drüben überm Rhein erfüllte uns diese Religion erst recht mit Glück und Stolz, indem wir das Elend und den Jammer einer Nation mit Augen sahen, deren Söhne sich gegenseitig selber zerfleischten – was dann auch sie hinwiederum ihre Religion nannten ...

– Es gab einen Augenblick, Herr Graf, rief Pater Nouet, indem er wie zum Schwur die Hand erhob, wo unser christliches Frankreich nahe daran stand, aus denselben Ursachen und durch die nämliche gottlose Religion – der weder menschliche noch göttliche Throne heilig sind – in den gleichen Zustand der Verwirrung und des Jammers zu geraten. Aber nun habt Ihr mir noch immer nicht die historischen Ereignisse des gedachten Geburtstages zu Ende erzählt. Wirklich, es war nicht recht, Euch zu unterbrechen, verzeiht.

– Auch noch verzeihen, ließ sich der Graf vernehmen. Es ist ohnedies der Gipfel der Unhöflichkeit, so lange immer zu reden, ohne den andern zu Wort kommen zu lassen. Aber mit Eurer gütigen Erlaubnis eile ich zum Schlusse meiner Erzählung. An dem gedachten Tage also besuchte ich am Abend mit einer Anzahl Leute meines Standes, die sich meine Freunde nannten, die Komödie im alten Burgunderhof an der Seine, ganz in der Nähe, wo sie jetzt den neuen Palast für die Akademie bauen, damals eine etwas verrufene Gegend, wo sogar noch die letzten Reste des durch die Königin Margot famosen Turms von Nesle zu sehen waren.

Als wir nach Beendigung des Stückes – man hatte den »Clitander« des Meister Corneille gegeben, den eben erst der Kardinal zu seinem Hofdichter ernannt –, als wir, sagte ich, zusammen aus dem Hause traten, nähert sich mir ein Hauptmann aus dem Regiment Navarra, den ich von Epinal her dem Gesicht nach kannte, da er mir dort öfter im Gefolge des Gouverneurs begegnet war. Er war ein Edelmann aus der Gascogne namens Busc. Weiteres wußte ich nichts von ihm. Nun trat er gegen mich heran und nach einem ironischen Gruß fragte er, ob es wahr sei, daß Herr Damat, Graf von Tianges, ein leiblicher Vetter meines Vaters, ihn, nämlich den Hauptmann Busc, einen Trunkenbold und seinen jüngeren Bruder einen Narren geheißen habe. Ich antwortete dem Aufdringlichen, daß ich den Grafen von Tianges viel zu selten sähe, um in der Sache etwas wissen zu können. »Er ist Euer Onkel, antwortete mein Gascogner, und da ich mit ihm, der sich in seiner Provinz versteckt hält, keine Auseinandersetzung haben kann, wende ich mich hiermit an Euch.«

»Nun denn, rief ich, da Ihr durchaus wollt, daß ich Euch für ihn Antwort stehe, so erkläre ich hiermit jeden für einen Lügner, der dergleichen von ihm behauptet.«

»Mein jüngerer Bruder behauptet es dennoch«, entgegnete Busc trotzig.

»So gebt ihm die Rute, antwortete ich lachend, wenn er etwa noch ein Kind, aber lügen tut er wie ein Alter.«

Wir hatten bereits beide die Waffe gezogen und ich drang auf Busc ein. Er hatte nur einen Freund bei sich, um ihm beizustehen und ich deren viere, zu denen sich noch einige andere gesellten, die ebenfalls Miene machten, für mich vom Leder zu ziehen. Inständig bat ich meine Freunde, mich allein gewähren zu lassen, indem ich Busc immer härter auf den Leib rückte, der rascher zurückwich, als ich ihm folgen konnte.

Das gab mir eine schlechte Meinung von ihm. Doch habe ich mich hierin, wie sich später zeigte, sehr geirrt. Er wich nur vor der Übermacht, da er meinen Freunden keine Neutralität zutraute. Ich aber schimpfte ihn einen Feigling und Elenden, indem ich mich zu meinen Kameraden zurückwandte. Dann schickte ich einen Hauptmann meines Regiments, namens Rigny, einen Edelmann aus dem Nivernais, der mich nach Paris zu meinem Vater begleitet hatte, zu meinem Widersacher, um mich nach seiner Wohnung erkundigen zu lassen. Busc nannte seine Straße, deren ungewöhnlichen Namen Rigny mit einer anderen Straße im Hören verwechselte, infolgedessen zwei Tage vergingen, währenddessen wir uns einer den andern mit allem Eifer suchten, ohne uns zu finden. Denn ich hatte selber gleich am andern Morgen die Wohnung meines Vaters verlassen und mich in einem entfernten Viertel eingemietet, da meine Händel am Abend Aufsehen erregt und ich befürchten mußte, daß mir die Maréchaussée eine Wache auf den Leib schickte.

Am dritten Tag endlich meldete sich ein Edelmann bei mir, den ich nie im Leben gesehen hatte, wie ich auch seinen Namen heute nicht mehr weiß. Er sagte mir, daß er von meinen Händeln mit Busc vernommen und wie ich meinen Mann vergeblich suche. Er wisse dessen Wohnung und sei bereit, sie mir zu entdecken, unter der Bedingung, daß ich ihm die Ehre erweisen und seine Beihilfe annehmen wolle. Er kenne mich von Ruf und brenne längst darauf, mir seine Dienste anzubieten.

Dieser Edelmann war in seiner Art nur einer unter Tausenden. Jeder schätzte sich damals glücklich, bei einer Rauferei dabei sein zu dürfen, besonders wenn der Fall geeignet schien, in der guten Gesellschaft und gar am Hofe von sich reden zu machen. Selten endete darum in jener Zeit vor dem großen Bürgerkrieg, den man die Fronde nennt, ein Streithandel mit einem einfachen Duell. Vielmehr kämpften dabei nicht selten die feindlichen Parteien fünf bis sechs Mann hoch gegeneinander.

Ich sagte aber meinem Edelmann tausend verbindlichen Dank für sein Anerbieten und seine Freundschaft, die ich zu schätzen wisse, bat ihn jedoch, zu bedenken, daß bereits vier Freunde zu meiner Verfügung ständen und daß unser Zweikampf zur Schlacht ausarten würde, wenn es deren noch mehr werden sollten. Er möge indes versichert sein, daß ich mich ihm für seine Dienste ebenso verbunden fühlte, wie wenn er sie mir geleistet hätte. »Gegen Eure Gründe, antwortete er, läßt sich nichts erwidern; aber da ich sonach nicht einer der Eurigen sein kann, mag es Euch gefallen, daß ich meine Dienste dem Herrn von Busc anbiete und ihm verrate, wo er Euch finden kann.« Dagegen konnte ich nichts einwenden, wir umarmten uns, und kaum daß mich der Edelmann eine halbe Stunde verlassen hatte, bemerkte ich auch schon, wie Busc in einer Karosse, von vier Freunden begleitet, darunter jener Edelmann, die Straße herunter langsam an meinen Fenstern vorüberfuhr.

In Voraussicht dieses Falles hatten sich meine Freunde Tag und Nacht bei mir bereit gehalten; wir saßen auf und folgten zu Pferd dem Wagen, der den Weg nach Bourg la Reine einschlug. Als wir dort gerade daran waren, gemeinschaftlich den Ort zu bestimmen, wo der Kampf stattfinden sollte, sahen wir von weitem einen Reiter auf uns zusprengen. »Herrlich, meine Herren, rief er, ganz herrlich.« Es war der junge Herzog von Aigues. Er hatte im letzten Augenblick von der Sache gehört und kam, um sich zur Partei des Herrn von Busc zu schlagen.

Ihr seht hier abermals, Pater, die jungen Leute drängten sich damals zu einem Duell wie zu einem Fest. Den Herzog abzuweisen ging nicht; es blieb uns also nichts übrig, als einen der meinigen nach Paris zu schicken, um auch für mich einen fünften Mann aufzutreiben. In Erwartung desselben improvisierten wir bei einem benachbarten Wirt eine kleine Gasterei und waren auf einmal sehr verwundert, als der Abend anbrach, ohne daß sich von meinem Abgesandten wieder etwas hatte sehen lassen. Derselbe hatte, wie ich später erfuhr, niemand von all unseren Bekannten aufzutreiben vermocht, da nachmittags kein Mensch auf seinem Zimmer zu bleiben pflegt ...

Ein schwaches Räuspern des Paters ließ den Erzähler innehalten, ob vielleicht der Priester eine Bemerkung machen wolle.

– Ich gedachte Euch nicht zu unterbrechen, sagte dieser, aber mit Eurer gütigen Erlaubnis, scheint mir, daß in diesem Fall die allgütige Vorsehung das Ihrige getan hat, um ein unnötiges Blutvergießen zu verhindern.

– Mag sein, gab der Graf recht frivol dawider, leider sind ihre Versuche mißglückt, ja haben die Sache erst recht schlimm gemacht.

– Aber mußte denn ein gemeinschaftliches Pokulieren, sprach der Priester, wobei es doch notwendig zu erhobener Stimmung kam, die Feindseligkeiten nicht besänftigen?

– Feindseligkeiten? Wir hatten eigentlich keine. Wenigstens glaubte ich es zu jener Stunde. Wenigstens war eine Feindseligkeit zur Sache nicht nötig. Wir taten eben nach der Sitte der Zeit. Wir hatten uns unebene Worte gesagt, das verlangte Blut. Kavaliere verstehen, Blut zu vergießen auch ohne Blutdurst. Daß Busc aus besonderem Grund wirklich Durst nach dem meinigen hatte, ahnte ich noch nicht.

Kurz, als wir schon keine Möglichkeit mehr sahen, die Angelegenheit noch an diesem Tage zu beenden, fand mein Widersacher einmal Gelegenheit, mich einen Augenblick allein zu sprechen.

»Ich denke, sagte er, es wird Euch vielleicht ebenfalls recht sein, daß wir die Sache allein unter uns abmachen. Ist es so, dann wollen wir uns morgen früh mit dem Glockenschlag sechs vor dem Louvre treffen. Denn seht, die Freunde würden doch wahrscheinlich dem Kampf zwischen uns Einhalt gebieten, ohne daß Ihr oder ich ganz befriedigt wäre.«

– Der Rasende, fiel der Priester verwundert und verständnislos ein; was trieb ihn denn, um jeden Preis einen christlichen Nebenmenschen zu erwürgen oder aber mir nichts dir nichts sich selber kopfüber in die Hölle zu stürzen.

– Der Glaube, sprach der Graf feierlich. Und einen Augenblick lang sah er schweigend in das verdutzte Gesicht seines Gegenüber.

Den Kavalierglauben, meine ich, setzte er dann hinzu. Dieser Glaube ist so mächtig als einer. Er unterwirft sich die Geister und Herzen und das ganze Tun der Menschen in mindestens demselben Grade wie irgend ein Glaube. Und in jenen Tagen meiner Jugend vor fünfundzwanzig Jahren, stand allerdings die Tollheit des Duellwesens auf dem Gipfel, und man darf ganz gewiß die strengen Gesetze und Strafandrohungen nicht tadeln, die der allgemeinen Mordwut zu steuern suchten. Denn dem König konnte es nicht willkommen sein, daß seine Krieger, oft im Angesicht des Feindes, sich massenhaft untereinander würgten. Es war wirklich ein Unfug, – dem man aber auch bewunderungswürdige Seiten abgewinnen kann. Die Unbekümmertheit, mit der man jeden Augenblick sein Leben aufs Spiel setzte, bleibt bei aller Kinderei, die oft unterlief, immer etwas Großes, besonders bei Menschen, die wahrhaftig das Zeug in sich hatten, den Becher des Lebens in vollen Zügen zu trinken, die keine Lebensverächter waren, keine Armen gegenüber den Reichtümern des Lebens, sondern berauscht von der Fülle des Lebens. Alles Ding in der Welt nimmt sich anders aus, je nachdem man es ansieht. Aber wie gesagt, daß man dem allzu tollen Treiben gesteuert hat, ist nur zu loben. Mein damaliger Gegner war nicht schlimmer als irgend einer seiner Standesgenossen. Jedermann raufte damals, lediglich um zu raufen. Was allerdings den Herrn von Busc noch besonders antrieb, mir mit dieser Kaltblütigkeit auf den Leib zu rücken, sollte auch bald offenkundig werden.

Selbstverständlich nahm ich seinen Vorschlag an, und als am andern Morgen auf dem zierlich schlanken Turm von Sankt German, dem Louvre gegenüber, die Glocke die sechste Stunde schlug, ritten wir gleichzeitig, jeder nur von seinem Lakaien gefolgt, ich über die Flußbrücke kommend und Busc aus der Vorstadt von Sankt Honorat her, auf den damals recht öden und wüsten Platz vor dem alten Louvre, wo sich dann später die Kolonade des Meister Perrault erheben sollte.

Wir kamen überein, gegen Vanves hinauszureiten, wo man uns am wenigsten vermuten würde. Halbwegs zwischen der Vorstadt Vaugirard und dem genannten Dorfe Vanves machten wir uns kampfbereit. Unser beider Ungeduld war zu groß, um einen längeren Aufschub zu dulden. Der Zufall wollte es, daß die Straße auf der Seite, die mir im Rücken lag, von einer Art Feldrain begrenzt war. Schon beim zweiten Gang versetzte ich meinem Gegner einen Stoß, der ihm die Lunge durchbohrte. Wir hatten uns aber in der Hitze des Kampfes dem Rain genähert, und als ich den Degen zurückziehe und Abstand nehmen will, den Rain hinter mir nicht achtend, schlage ich sehr unglücklich rücklings zu Boden. Sofort stürzt sich Busc, seiner schweren Verwundung ungeachtet, über mich und will mir seinen Degen durch die Kehle stoßen. Mein Ellenbogen parierte aber, sein Degen verletzte mich nur äußerlich am Hals und drang in die weiche Erde ein. Um eine Wiederholung seines Manövers zu verhindern, faßte ich mit der Hand nach der blanken Degenklinge, die mir, da Busc sie mir entreißen wollte, zwei Finger und den Daumen tief durchschnitt.

Hier, unterbrach sich der Erzähler, seine Hand mit der untern Fläche vorzeigend.

Hier an den Narben mögt Ihr ermessen, wie ich zugerichtet war. Zugleich fühlte ich Buscs Degen von neuem an der Kehle. Doch zuzustoßen hatte sein Arm nicht mehr die Kraft. Die Waffe entfiel ihm, und während sich ihm ein Blutstrom aus dem Munde ergoß, sank er an meiner Seite nieder.

»Verzeiht mir, hauchte er, ich wollte Euch ans Leben, der Graf von Quincez, mein Patron ...«

Er konnte nicht ausreden. Ich hielt ihn für tot. Also nahm ich seinen Degen und den meinigen zu mir und dachte, wie ich mich in Sicherheit brächte. Ganz nahe lag das Schloß des Fürsten Condé, dahin begab ich mich. Der Fürst, damals Heinrich von Bourbon, der Vater des nachmaligen großen Condé, lag zur Zeit im Felde, aber die Frauen, seine Gemahlin die Marquise von Montmorency, wie auch seine Tochter Anna Genoveva von Bourbon, empfingen mich aufs herzlichste und gewährten mir mit Freuden Asyl.

Noch an demselben Tage machte mir Heinrich von Lothringen, Graf von Harcourt, seine Aufwartung. Zu ihm, der zurzeit sein Sommerhaus im Vanves bewohnte, hatte man den armen Busc gebracht, der noch lebte, und der Lothringen entschuldigte sich sozusagen bei mir, meinem Feind Aufnahme gewährt zu haben. Busc habe ihm gestanden, daß er sein Unglück als gerechte Strafe betrachte; daß er mir aus keinem andern Grund an den Hals gewollt, als weil er dem Gouverneur zu Epinal, dem Herrn von Quincez, seinem Wohltäter, damit eine Gefälligkeit zu erweisen gedacht. Ich übergab dem Grafen d'Harcourt den Degen des Unglücklichen, der den Tag nicht überlebte. Mich selber übergab man den Händen der Wundärzte, und bereits am andern Morgen wurde mir von der schönen Gräfin von Artagnan ein Brieflein zugestellt voll des zärtlichsten Inhalts, daß ich nicht anders konnte, als mir zu meinem Unfall aus voller Seele Glück zu wünschen. Es sollte aber anders kommen.

Mein Vater war noch nicht so weit hergestellt, um mich besuchen zu können. Ich erhielt jedoch von ihm ein ernstes Schreiben, das mich in große Bestürzung versetzte. Denn daraus erfuhr ich, daß ich nun an die Kampagne in Deutschland nicht mehr denken dürfe, ja daß mein Vater bereits mit Meister Benjamin wegen meines Eintrittes in dessen Akademie unterhandelt habe. Ihr werdet wissen, Pater, daß dieser Herr Benjamin damals zu Paris ein Institut hielt, wo die Söhne des Adels ihre letzte Erziehung genossen. Vergeblich suchte ich meinen Vater umzustimmen, und so mußte ich, nachdem ich über ein halbes Jahr ein Regiment kommandiert, mich von neuem in die Schule stecken lassen. Als Feldobrist war ich aufgetreten, als den »Rächer Waldsteins« hatte ich mich gefühlt und mußte mich nun zum Schüler degradiert sehen.

Und das war noch nicht einmal das Schlimmste. Fast tötlich traf mich's, von der Gräfin nichts mehr zu hören. Ich schrieb ihr die leidenschaftlichsten Briefe, sie blieben unbeantwortet. Und dann eines Tages erhielt ich hierüber eine Aufklärung, die noch niederschmetternder auf mich wirkte als mein seitheriges verzweiflungsvolles Harren und Bangen.

Die Marquise von La Ferté-Imbaut hatte mich zu einer Zusammenkunft aufgefordert, und von ihr erfuhr ich den Grund für das grausame Schweigen der schönen Gräfin. Ob diese Gründe aufrichtig waren oder nur vorgeschützt? Kurz, was die Marquise in ihrer Rede durchblicken ließ, war dies: Die Gräfin halte meinen Eintritt in die Akademie für mein eigenes Werk. Sie sei überzeugt, ich selber habe meinen Vater zu diesem Entschluß bestimmt, um einen guten Vorwand zu haben, nicht mit meinem Regiment an den Rhein zu gehen. Sie zweifle nicht, daß ich den erbärmlichen Schritt allein aus leidenschaftlicher Liebe zu ihr getan, weil ich um jeden Preis in ihrer Nähe bleiben wollte. Aber über eine feige Unwürdigkeit führe nicht der Weg zu ihrem Herzen. Sie habe einen höheren Begriff von mir gehabt und von der Stärke meines Muts. Mein Betragen bei dieser Gelegenheit habe sie bitter enttäuscht, und so weiter.

Ob dies alles, wie gesagt, der Wahrheit entsprach, wer vermöchte es zu sagen? Ich meinerseits zweifle heute einigermaßen daran. Was ich unterdessen von der Gräfin gehört, macht mich dem Glauben geneigt, daß die Eitelkeit dieser schönen Dame mehr Teil hatte an ihrer Grausamkeit gegen mich, als ihre moralische Entrüstung. Ich war wieder Schüler geworden, ich war von meinem Vater auf eine fast schimpfliche Weise gedemütigt worden: die glänzende Gräfin mochte sich meiner schämen.

Und ich durfte ihr's kaum übelnehmen. Die Zeit der alles überwindenden Liebe gehörte schon damals der fabelhaften Vergangenheit an. Eigenliebe und Eitelkeit waren schon damals, bei Männern wie Frauen, die unvermeidlichen Gesellschafterinnen der Liebe, vor deren lauten Ansprüchen diese wie oft schweigen mußte. Gleich einer Königin, die sich von den ihr durch die Etikette sozusagen verordneten Anstandsdamen tyrannisieren lassen muß, so ist allmählich die göttliche Liebe von einer allmächtigen Herrin, die sie einmal war, zur Sklavin ihres Gesindes geworden: die Eitelkeit, die Eigenliebe, die feige Rücksicht auf andere und ähnliche Nichtswürdigkeiten haben die Göttin um Macht und Würde gebracht. Um Euch aber, ehrwürdiger Vater, nicht länger zu ermüden mit meinen Ergüssen über die Dekadenz der Liebe, komme ich zu mir selber zurück. Und so will ich es gleich sagen, daß auch mein Vater an meiner Einsperrung bei Herrn Benjamin keine Freude erlebt. Durch die tollsten Exzesse suchte ich mich für die erlittene Demütigung schadlos zu halten. Wahrhaft triumphieren konnte aber – mag ihn der Teufel dafür geholt haben! – jener Herr von Quincez; er hatte mich mit seiner Tücke tödlicher getroffen als er selber ahnen konnte.

Zum erstenmal spielte ein wirklich heiteres Lächeln um die asketischen Lippen des Jesuiten.

– Ich hätte gar nicht gedacht, sagte er, daß das Dichten eine so gefährliche Sache sein könne. Aber natürlich, es kommt ganz darauf an, wie man's treibt. Und also gab Euch bereits dieser Herr von Quincez einen Vorgeschmack von jenem Größeren und Mächtigeren, der doch allem nach die Hauptursache war, daß Ihr nicht mit vierzig Jahren Marschall von Frankreich wurdet. Denn weise hat Euch der Fall Quincez nicht gemacht, und der ruhmreiche Türenne hat Euch Eure spitzigen Verse noch empfindlicher heimbezahlt als der Gouverneur von Epinal.

– Gesteht wenigstens, Pater, versetzte in selbstgefälligem Ton der unfreiwillige Gast der Bastille, gesteht, wie wenig schmeichelhaft es für den großen Türenne ist, daß es dieser Sieur von Quincez war, der mir von ihm den Vorgeschmack gab. Auch konnte der allmächtige Marschall mich höchstens schädigen. Zu demütigen vermag uns nur, wer uns vor uns selbst beschämt. Türenne erreichte allein das, daß ich in meiner Haltung gegen ihn um so stolzer und selbstbewußter wurde, je ...

Weiter kam der Sprecher nicht. Sein Satz blieb unvollendet. Ein knarrendes Geräusch von Eisenriegeln schnitt ihm das Wort im Munde ab.

Ein Schlüssel, so klang das Geräusch, wurde zweimal im Schloß umgedreht und eine schwere Türe ächzte in ihren Angeln. Sehr gedämpft klang es, wie von ferne. Doch dann wiederholte sich's, verstärkt und wie um Vieles näher. Zuletzt noch einmal, in schrill kreischenden Tönen. Denn drei schwer mit Eisen beschlagene Türen versperrten diesen klafterdick ummauerten Kerker. Und nun tat die letzte Türe nach innen sich auf.

Und zusammen mit dem Schließer erschien der Lakai des Grafen, ein großes Servierbrett vor sich hertragend. Der Graf und sein Gesellschafter hatten sich erhoben, und während 5er Lakai die Zurichtung des Tisches besorgte, hielt der Schlüsselmeister sich stumm an der Türe.

– Seht nur die reichliche Mahlzeit, scherzte der Graf. Das kann man Seiner Majestät nicht nachsagen, daß sie ihre Gäste kärglich hielte. Rehziemer und Fasan gibt es. Wein sogar zwei Flaschen. Man spürt den königlichen Gastgeber. Werdet Ihr mir die Ehre antun, Hochwürden? Aber ich vergesse, das liegt nicht in Eurer Mission.

Eine stumme Bewegung des Jesuiten bestätigte die Worte des Grafen.

– Denkt auf Eure Fortsetzung in drei Tagen, sagte er weich, dem Grafen die Hand reichend.

Und stumm mit dem Stummen [Textstelle fehlt im Buch] Noch einmal die Geräusche wie eben und [Textstelle fehlt im Buch].

Stille wie im Grab.


 << zurück weiter >>